Kratom - Dirk Netter - E-Book

Kratom E-Book

Dirk Netter

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Beschreibung

Dieses Buch ist die erste seriöse Publikation zu dieser psychoaktiven Pflanze, die im südostasiatischen Raum seit Jahrtausenden als Medizin verwendet wird, bei Opiatabhängigkeit hilfreich sein kann und im deutschsprachigen Raum nach wie vor legal ist. Der Kratombaum, botanisch Mitragyna speciosa, dessen Blätter psychotrope Wirkstoffe enthalten, kommt in Südostasien vor und blickt dort auf eine lange Geschichte als Rauschmittel und Entheogen zurück. Seine pharmakologischen Effekte können als klassisch paradox beschrieben werden, denn Kratom führt, je nach Dosis, Set und Setting, entweder sedative oder stimulative Wirkungen herbei. Mit einer ausführlichen Kulturgeschichte des Kratomgebrauchs, Safer-Use-Hinweisen, Informationen zu den diversen Mitragyna-Arten und Verwandten, Tripreports und Literaturhinweisen.

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Dirk Netter

Kratom

Ethnobotanik, Anwendung, Kultur

Impressum

Dirk Netter

Kratom – Ethnobotanik, Anwendung, Kultur

Nachtschatten Verlag AG

Kronengasse 11

CH-4500 Solothurn

Tel: 0041 32 621 89 49

Fax: 0041 32 621 89 47

[email protected]

www.nachtschatten.ch

© 2019 Dirk Netter

© 2019 Nachtschatten Verlag

Projektbetreuung und Lektorat: Markus Berger, Felsberg

Umschlaggestaltung: Sven Sannwald, Lüterkofen

Korrektorat: Inga Streblow, Salento

Layout: Janine Warmbier, Hamburg; Nina Seiler, Zürich

Druck: Druck und Verlag Steinmeier, Deiningen

Printed in Germany

ISBN: 978-3-03788-576-5eISBN: 978-3-03788-589-5

Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische digitale Medien und auszugsweiser Nachdruck sind nur mit Genehmigung des Verlags erlaubt.

Webseite zu diesem Buch mit zahlreichen weiterführenden Infos und Links:

www.mitragyna-speciosa.de

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Mitragyna-Botanik

Kultivierung

Geschichte

Herstellung und Gebrauch

Extraktion und Weiterverarbeitung

Safer Use

Medizinischer Nutzen

Die Wirkung von Kratom

Die Chemie von Mitragyna speciosa

Rechtliches

Bibliographie

Weblinks zu Kratom

Bildquellen

Über den Autor

Danksagung

Botanische Illustration von Mitragyna speciosa

Vorwort

Kratom wird im Westen als Medizin und Genussdroge zunehmend bekannter und beliebter. Darauf wurden, neben Politik und Strafvollzug, auch die Medien aufmerksam. Nahezu regelhaft steht jede »neue« Substanz dabei unter Generalverdacht, die Gesellschaft, insbesondere die Jugend, zu schädigen.

In periodischen Abständen wird jedes als neu deklarierte »Legal High« als Grundlage für die nächste große Drogen-Epidemie stilisiert. Jede dieser Drogen soll noch süchtiger machen und noch mehr Nebenwirkungen produzieren. Viele der Nebenwirkungen erzeugen dabei nicht die Substanzen selbst, sondern die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die zu ähnlich großen Teilen durch Geschichte, Politik und Zufall bestimmt werden.

Wider besseres Wissen – und nicht selten unter dem Deckmantel des Jugendschutzes – werden Substanzen dann als illegal und schädlich erklärt, was meist für einen beträchtlichen Teil des Schadens sorgt. Soziale Ausgrenzung der Konsumentinnen und Konsumenten und die Verschiebung des Verkaufs auf den Schwarzmarkt sind dabei die augenfälligsten Wirkungen, wie auch ein unkontrollierter Drogenmarkt mit seinen unsauberen und teils potenziell gefährlichen Produkten.

Während jedoch die Zahl der Konsumierenden durch politische Repression nicht verändert wird, sind objektive Informationen über »verbotene Stoffe« – gerade für Laien – nicht leicht zu finden, insbesondere, wenn deren Autoren als zwielichtige Gestalten gebrandmarkt werden oder deren Forschung schlichtweg als illegal deklariert wird.

Die Prohibition von Kaffee und Alkohol zeigt dabei deutlich, wie unsinnig Drogenverbote sind; beide Substanzen haben mittlerweile (wieder) ihren festen Platz in der Gesellschaft gefunden, und nicht einmal die striktesten Prohibitionisten würden es wagen, an deren gesellschaftlicher Stellung zu rütteln. Unstrittig ist, dass beide Substanzen schädlich sind, werden sie problematisch angewendet, klar ist aber auch, dass diese beiden Drogen das Leben vieler Menschen erheblich bereichern können.

Bevor Kratom vorschnell das Schicksal der Prohibition ereilt, soll dieses Buch dazu beitragen, den kulturellen Wert dieser Pflanze und ihrer Verwandten zu unterstreichen. In den asiatischen Herkunftsländern hat Kratom in der Bevölkerung einen ähnlichen Stellenwert wie der tägliche Kaffeegenuss im Westen, weshalb jegliche Panikmache dem nüchternen Blick als überzogen erscheint. Wie nahezu jedes Genussmittel ist auch Kratom relativ unschädlich – wenn Konsummuster und Dosis vernünftig gewählt werden.

Mündigkeit und Eigenverantwortlichkeit können nicht durch »gutgemeinte« propagandistische Drogenerziehung und Bevormundung ersetzt werden. Wissen und Verstand bilden die Grundlage für die gesundheitsbewussten Entscheidungen der Menschen – nicht paternalistische Diktate diverser Politiker.

Dieses Buch ist deshalb in erster Linie allen mündigen Konsumentinnen und Konsumenten gewidmet. Ich habe mich bemüht, einen weitreichenden Überblick über die Thematik zu vermitteln und Hinweise zum risikominimierten Konsum zu liefern. Darüber hinaus soll der Band als Nachschlagewerk für alle Personen dienen, die in sozialarbeiterischen Berufen, in der Drogenberatung, im Gesundheitswesen oder in den vielen weiteren relevanten Bereichen tätig sind.

Dirk Netter

Marburg, im April 2019

Einleitung

»Clearly, this is one of the most complex of the hallucinogens.«

EMBODEN 1979: 49

Die Komplexität von Kratom, wie sie William Emboden im obigen Zitat sehr treffend attestiert, zeichnet sich auf sehr vielfältige Weise ab. Deshalb wurde, um den verschiedenen Facetten von Kratom gerecht zu werden, in jedem der folgenden Kapitel ein ganz eigener Zugang gewählt.

Kratom-Blatt

Zu Beginn wird ein Blick auf die Botanik der Gattung Mitragyna geworfen – innerhalb der sich nicht nur Kratom (Mitragyna speciosa), sondern auch einige andere ethnobotanisch wertvolle Arten befinden. Ebenfalls wurden Spezies erwähnt, die botanisch zwar nicht mit Kratom verwandt sind, jedoch in ihrem Gebrauch ähnliche subjektive Wirkungen zeigen.

Das zweite Kapitel umfasst Informationen über die Kultivierung von Kratom in Europa. Dabei werden sowohl Hinweise auf den Bezug von Saatgut und Stecklingen gegeben, als auch Informationen zur erfolgreichen Aufzucht von Jungpflanzen.

Der Begriff »Kratom« wird in Thailand sowohl für den Baum als auch die Kräuterdroge verwendet. Der traditionelle Gebrauch als Medizin und Genussmittel kann auf der malaiischen Halbinsel weit zurückdatiert werden. Die bewegte Kulturgeschichte des vielversprechenden Gewächses wird im dritten Kapitel ausführlich dargestellt.

Feldaufzeichnungen von Pieter Willem Korthals

Vergleichbar mit bedeutenden Nutzpflanzen wie dem Kaffeestrauch ist auch Kratom bis heute eng mit europäischer Kolonialgeschichte verwoben. Europäische Botaniker und Ethnologen bemerkten den Nutzen von Kratom als Opium-Surrogat bereits im 19. Jahrhundert – was paradoxerweise für dessen Illegalisierung in Thailand sorgen sollte. Erst zu Beginn des neuen Jahrtausends entdecken auch die asiatischen Länder wieder langsam dessen kulturellen und medizinischen Wert.

In den westlichen Ländern ist Kratom insbesondere aufgrund seiner Qualitäten als Genussdroge sehr beliebt. Das vierte und fünfte Kapitel des Buches nutzen daher eine ethnografische Perspektive, um den Herstellungsprozess der verschiedenen Kratomprodukte zu beschreiben. Dabei werden nicht nur die vielfältigen Produktbezeichnungen, sondern auch deren Herkunft erklärt. Sowohl die traditionellen als auch die modernen Konsumformen werden ausführlich beschrieben und mit Informationen zur Kratom-Extraktion und ausgewählten Rezepten zur Weiterverarbeitung illustriert.

Das sechste Kapitel enthält wichtige Informationen über den verantwortungsvollen Gebrauch der Kratomprodukte. Dies betrifft neben den Angaben zu Dosis, Set und Setting auch allgemeine Verhaltensmaßregeln zur Schadensminimierung. Die möglichen Risiken eines chronischen Kratomgebrauchs werden ungeschönt und nüchtern dargestellt – während mit verschiedenen Mythen, wie dem »enormen Suchtpotenzial« oder der »Letalität von Kratom«, aufgeräumt wird.

Neben der Verwendung als Genussmittel zeigt sich ebenso die medizinische Bedeutung von Kratom bei verschiedensten Indikationen. Insbesondere als Alternative zu herkömmlichen (opioidbasierten) Schmerzmitteln, als milder Stimmungsaufheller und in der Opiumsubstitutionstherapie werden einige Hoffnungen in Kratom gesetzt, die im siebten Kapitel beleuchtet werden.

Im Anschluss werden im achten Kapitel die Wirkung von Kratom sowie dessen psychedelische bzw. psychoaktive Qualitäten beschrieben. Exemplarische Erfahrungsberichte von Konsumenten wurden ausgewählt, um einen Einblick in das Wirkungsspektrum der Substanz zu geben.

Die für die pharmakologisch bedeutsamen Wirkungen verantwortlichen Kratom-Alkaloide sowie deren Wirkungen auf die jeweiligen Rezeptoren werden im neunten Kapitel behandelt.

Wichtige rechtliche Fragen über die Legalität von Kratom werden im zehnten Kapitel beleuchtet. Dabei wird die Legalität von Kratom und dessen Alkaloiden in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Besonderen betrachtet. Ebenso einige Erkenntnisse zur Nachweisbarkeit von Kratom in Urin und Blutuntersuchungen sowie den möglichen Implikationen von Kratomgebrauch auf die Fahrerlaubnis.

Für Kratominteressierte ohne weitere Erfahrungen ist es empfehlenswert, das Buch von Anfang bis Ende zu lesen. Leser mit Vorerfahrungen können an jeder Stelle im Buch beginnen. Wo spezifisches Wissen von Vorteil ist, wird auf das betreffende Kapitel verwiesen, um das Verständnis zu erleichtern.

Trotz des Anspruchs, ein Werk zu verfassen, das wissenschaftlichen Maßstäben genügt, wurde dafür Sorge getragen, dass es für ein breites Publikum ohne Mühen lesbar sein sollte – weshalb an mancher Stelle diverse Vereinfachungen notwendig waren.

Kratom-Spezies und ihr Vorkommen

Art

Vorkommen

Mitragyna diversifolia

Von Bangladesch bis China (Yunnan) und Malesien

Mitragyna hirsuta

Von China (Yunnan) bis Indochina

Mitragyna inermis

Tropisches Westafrika bis Sudan

Mitragyna ledermannii

Tropisches Westafrika bis tropisches Zentralafrika

Mitragyna parvifolia

Vom indischen Subkontinent nach Myanmar

Mitragyna rotundifolia

Von Darjeeling nach China (S. Yunnan) und Indochina

Mitragyna rubrostipulata

Tropisches Afrika

Mitragyna speciosa

Thailändische Halbinsel bis Neuguinea

Mitragyna stipulosa

Tropisches Afrika

Mitragyna tubulosa

Indien (Kerala, Tamil Nadu), Sri Lanka

GOVAERTS et al. 2018. Eigene Tabelle

Mitragyna-Botanik

Die Gattung Mitragyna gehört zur Pflanzenfamilie der Rötegewächse (Rubiaceae). Dies ist eine der artenreichsten Familien der bedecktsamigen Pflanzen und beinhaltet viele für den Menschen bedeutsame Arten, wie z.B. den Arabica-Kaffee (Coffea arabica), Robusta-Kaffee (Coffea canephora), die DMT beinhaltende Psychotria viridis sowie auch den in Mitteleuropa weithin bekannten Waldmeister (Galium odoratum).

Die Gattung besteht insgesamt aus zehn Arten, von denen vier in Afrika und sechs in Asien beheimatet sind. Die Mitragyna-Arten sind Büsche oder mittelgroße Bäume, welche Höhen von bis zu 20 Metern erreichen können (im Falle von Mitragyna speciosa).

Die leicht ledrigen Laubblätter sind gegenständig angeordnet und gestielt. Die Fruchtstände sind kugeliger Gestalt. Die Kapselfrüchte enthalten viele kleine Samen.

Kratom-Blüte

Den Namen Mitragyna erhielt die Gattung vom niederländischen Botaniker Pieter Willem Korthals, weil die Blätter und Blattnarben einer Bischofsmitra ähneln sollen (CINOSI et al. 2015; EMCDDA 2018).

Viele Vertreter der Gattung Mitragyna haben eine lange Geschichte als Medizinalpflanzen. Sie wurden traditionell als Mittel gegen Fieber, Schmerzen, Entzündungen und bei Darmerkrankungen eingesetzt. Als Hauptwirkstoffe gelten Alkaloide, Triterpene und Flavonoide.

Pharmakologen fanden in den letzten Jahrzehnten neben der analgetischen Wirkung einige weitere medizinisch bedeutsame Eigenschaften, wie zum Beispiel die tumorhemmenden und antibakteriellen Eigenschaften von Mitragyna-Alkaloiden (GONG et al. 2012: 263).

Das rötliche Holz des Kratombaums wird aufgrund der schönen Maserung gerne als Furnier- und Leistenholz verwendet (EISENMAN 2015: 65).

Mitragyna speciosa

SYNONYMENauclea korthalsii Steud. Nauclea luzoniensis Blanco Nauclea speciosa (Korth.) Miq.Stephegyne speciosa Korth. Mitragyna religiosa

Quellen: GOVAERTS et al. 2018; RÄTSCH 2018

Mitragyna speciosa ist ein immergrüner, tropischer Baum, welcher Wuchshöhen von bis zu 25 Metern erreicht. Der Stamm ist gewöhnlicherweise aufrecht und kann einen Durchmesser von 90 Zentimetern erreichen. Die Rinde ist glatt und von grauer Farbe (PHILIPPINE DEPARTMENT OF AGRICULTURE (DA) 2013). Seine dunkelgrünen, meist leicht glänzenden Blätter sind eiförmig zugespitzt und erreichen eine Breite von 8,5–12 cm, sowie eine Länge von 14–20 cm. Sie sind gegenständig angeordnet und in Blattstiel und Blattspreite gegliedert. Die Stiele haben üblicherweise eine Länge von 2-4 cm (EISENMAN 2014: 60; DA 2013).

Die gelblichen Blüten wachsen meist in einer Dreiergruppe am Ende des Astwerks. In den 7–9 mm großen Früchten werden zahlreiche winzige Samen gebildet, die länglich geformt sind und eine Länge von 1–2 mm aufweisen.

Die Vermehrung und Verbreitung von Mitragyna speciosa erfolgt üblicherweise über Samen. In den vergangenen Jahren wurde jedoch auch die vegetative Vermehrung erforscht und im großen Stil in der Renaturierungsökologie eingesetzt; bspw. in Kinabatangan, Malaysia (AJIK UND KIMJUS 2010).

Junger Kratombaum

Die lateinische Artbezeichnung »speciosa« bedeutet auf deutsch »schön, wohlgestaltet, besonders«. Der im Westen verwendete Trivialname »Kratom« stammt aus dem Thailändischen und wird dort als Name für die Gattung und auch als Bezeichnung für die getrocknete Pflanzendroge verwendet.

Blätter und Blüten

In Myanmar ist der Name »Beinsa« gebräuchlich (KRESS et al. 2003: 401). Wie Eisenman (2014: 65) interessanterweise berichtet, war dort zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Begriff »beinsa« ebenfalls die Bezeichnung für Opiumesser, während »bein« dort die gebräuchliche Bezeichnung für Schlafmohn (Papaver somniferum) ist (KRESS et al. 2003: 401).

Trivialnamen von Mitragyna speciosa nach Ländern

Indonesien

kadamba, puri, keton

Malaysia

biak, biak-biak, ketum, kutum, pokok biak, pokok ketum, sepat

Myanmar

beinsa, bein-sa-ywat

Philippinen

mambog, lugub, polapupot

Thailand

ithang, thom, bai krathom, gratom, kakuam, katawn, krathawm, kratom, kraton

Vietnam

giam d[ef]p, giam l[as] nh[or]

Siehe: EISENMAN 2014; KAGAWARANNG PAGSASAKA 2013; KRESS et al. 2003; SUWANLERT 1975

Habitat und Vorkommen

Der Kratombaum wächst bevorzugt in feuchten bis sumpfigen Gebieten (DA 2013), er kann jedoch auch gelegentlich in Tieflandwäldern lokalisiert werden (EISENMAN 2015: 64). Ferner ist er häufig als Pionierpflanze an Flussrändern zu finden. Er ist sehr resistent gegen saisonale Überflutungen und ist deshalb auch an regelmäßig überschwemmten Altarmen von Flüssen sowie deren Sandbänken anzutreffen (NILUS ET AL. 2011).

Bedeutende Populationen von Mitragyna speciosa befinden sich in Thailand, Malaysia, Indonesien, auf den Philippinen und in Papua-Neuginea (SINGH 2016: 42; EISENMAN 2015: 64; PHILIPPINE DEPARTMENT OF AGRICULTURE (DA) 2013). Der Großteil des Habitats entspricht der phytogeografischen Region Malesien, dessen natürliche Vegetation von tropischem Regenwald dominiert wird.

Südostasien: Verbreitung von Mitragyna speciosa

Im malaysischen Bundesstaat Sabah, auf Borneo, finden sich große Wälder, die fast ausschließlich aus Kratom bestehen, insbesondere entlang des Flusses Kinabatangan. Im gleichnamigen Verwaltungsbezirk sollen einige dieser Wälder liegen (EISENMAN 2015: 64f.). Auf der Malaysischen Halbinsel befindet sich ein Großteil der Bestände an den Flusssystemen und Sümpfen in Selangor, Kelantan, Pahang und Perak (FRIM 2013).

In Thailand ist Kratom vor allem im Süden zu finden. Durch die Illegalisierung 1943 wurden viele der vormals kulturell bedeutsamen Bäume gefällt (vgl. Seite 42). Lediglich im Süden des Landes, in den Provinzen Pattani, Yala und Narathiwat nahe der malaysischen Grenze, wird Kratom noch traditionell verwendet (TANGUAY 2011).

Indonesien ist der Hauptexporteur von Kratom für den europäischen und nordamerikanischen Markt. Als wichtiges Anbaugebiet gilt der indonesische Teil Borneos. Kapuas Hulu im Westen Borneos ist ein Beispiel für eine Region, die durch den Anbau und Export einen sprichwörtlichen Boom erlebt (RUSMANA und EINHORN 2018).

Auf den Philippinen sind Kratombestände in der Provinz Cagayan auf der Insel Luzon, auf Mindoro sowie in der Region Davao auf Mindanao bestätigt (EISENMAN 2015: 65).

Auf Papua-Neuguinea findet sich Mitragyna speciosa am Fluss Ramu sowie an verschiedenen Seen und vereinzelt in Flachlandwäldern (CONN et al. 2004).

Varietäten und »Strains«

In vielen Internetforen, vor allem im englischsprachigen Teil des Netzes, wird immer wieder die Frage gestellt, wie viele und welche »Kratom-Strains« existieren. Meist geschieht dies mit dem Hintergedanken, die angebotenen Kratomsorten einem solchen Strain zuzuordnen.

Diese Frage zu beantworten ist nicht ganz leicht. Wobei es zunächst sinnvoll ist, Klarheit über die wichtigsten Begriffe zu schaffen. Heutzutage werden biologische Spezies üblicherweise in einer binären Schreibweise dargestellt; dabei wird an erster Stelle die Gattung (z.B. Mitragyna) genannt, dann die Art (z.B. parvifolia).

Eine Unterart (Abkürzung ssp.) kann man sich als Gruppe von Pflanzen, auch Sippe genannt, vorstellen, deren Exemplare zwar zwischen den verschiedenen Sippen einer Art vermehrungsfähig sind, sich aber auch hinreichend von den anderen Gruppen unterscheiden, um eine eigene Gruppe zu begründen; ein wichtiges Merkmal ist dabei das Vorkommen einer Gruppe in geographischen Unterregionen des Verbreitungsgebietes (Areal).

Eine Varietät ist eine Gruppe von Pflanzen, die (wenige) leichte Abweichungen von den typischen Eigenschaften der Art aufweisen (z.B. unterschiedlich gefärbte Blüten), jedoch im Gegensatz zur Unterart kein eigenes Areal besitzen. Ihre Abweichungen werden genetisch vererbt.

Der Name der Varietät (Abkürzung var.) wird an die binäre Bezeichnung angehängt: Mitragyna parvifolia var. microphylla.

Der englische Begriff »Strain« hat bei der oben beschriebenen Klassifikation keinen offiziellen Status und wird von vielen Laien oft synonym mit dem Begriff »Varietät« verwendet. Er bezeichnet jedoch lediglich die Nachkommenschaft von einem gemeinsamen Vorfahren, der eine charakteristische genetische Mutation aufweist. Bei einem »Strain« weisen alle Nachkommen dieselbe genetische Mutation auf wie die Vorfahren.

Da die Kriterien zur Begründung einer neuen Unterart oder Varietät nicht immer eindeutig sind, ist manche Klassifikation ein ständiger Gegenstand von Diskussionen.

Kratomblatt mit Mittelvene

Derzeit sind von Mitragyna speciosa weder Varietäten noch Unterarten bekannt. Bei den kultivierten Züchtungen stellt sich die Lage ähnlich dar. Es wird zwar von verschiedenen Unterarten gesprochen, ob dies aber biologischen Kriterien standhalten kann oder nicht, ist derzeit noch nicht geklärt. Auf der anderen Seite ist es alles andere als unwahrscheinlich, dass sich verschiedene Kratomsorten entwickelt haben – auch im Hinblick auf das große Verbreitungsgebiet von Kratom. In der botanischen Literatur lassen sich einige Hinweise auf mögliche Kratomsorten finden, die wir im Folgenden betrachten werden.

Der britische Naturforscher George Darby Haviland beschrieb 1897 zwei nicht näher benannte Mitragyna-speciosa-Varietäten. Eine davon wurde in Borneo gefunden und hatte 15 Blattvenen, während die andere zehn Blattvenen aufwies. Die Zweite wurde sowohl auf den Philippinen als auch in Neuguinea gefunden. Beide scheinen heute nicht mehr in Verwendung zu sein (HAVILAND 1897; EISENMAN 2014: 63).

In einer Studie an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok sind, aufgrund von morphologischen Eigenschaften der Blätter, mindestens drei verschiedene Varietäten unterschieden worden: eine mit roten Blattvenen (Kan daeng), eine mit weißen Blattvenen (Tanggua) sowie eine mit leicht gezahnten Blättern nahe der Blattspitze (Yak yai). Genetisch betrachtet handelt es sich aber bei allen drei Varianten eindeutig um Mitragyna speciosa (SUKRONG 2007: 1284). Ob es sich bei Yak yai um eine Verwandte der im Handel beliebten »Horned«-Sorte handelt, kann nur spekuliert werden.

Weitere Studien aus Thailand erwähnen jeweils zwei Kratomstrains:

»Es gibt nur zwei Arten von Kratom, die sich durch die Farbe der Blattvenen unterscheiden: rot oder grün.« (CHITTRAKARN et al. 2010: 344)

» … das Kratomblatt enthält entweder rote oder weiße Blattvenen, und letzteres hat einen stärkeren Effekt.« (SUWANLERT 1975)

Diese teils widersprüchlichen Aussagen haben so manchen Kratomfreund ratlos gemacht. Der US-amerikanische Ethnobotaniker und Spezialist für Salvia divinorum Daniel Siebert bringt ein wenig Klarheit in die Diskussion:

»Die Farbe der Mittelrippe (umgs. Blattvene) schwankt von diversen Grün zu verschiedenen Rottönen. Dies ist teilweise genetisch bestimmt, es hängt aber auch davon ab, wie weit das Blatt gereift ist und wie viel Sonnenlicht der Baum bekommen hat, andere Umweltfaktoren spielen ebenfalls eine Rolle. […] An ein und demselben Baum können Blätter mit blassgrünen, dunkelgrünen und roten Blattadern vorkommen. Üblicherweise haben die jungen Blätter rote Adern. Die rote Farbe verschwindet jedoch im Wachstumsprozess des Blattes und wandelt sich in grün. Schließlich verfärben sich die Blätter gelb und dann braun. Da alle Blätter in ihrem Wachstum diesen Kreislauf durchleben, können alle Blattaderfarben zur selben Zeit an einem Baum zu beobachten sein. […] Manche Kratombäume entwickeln keine Blätter mit roten Blattadern« (SIEBERT 2016).

Die letzte Aussage deckt sich mit den obigen Beobachtungen von CHITTRAKARN et al. (2010) und SUWANLERT (1975), die nur zwei Kratom-Strains nennen, abgesehen von Yak yai, dessen Farbe der Blattadern nicht spezifiziert wurde. Jedoch ist für Mitragyna speciosa in der wissenschaftlichen Literatur derzeit, wie bereits erwähnt, keine Varietät gelistet (GOVAERTS et al. 2018).

Die verschiedenen Kratomsorten (»redveined«, »whiteveined« etc.) lassen sich also mit großer Wahrscheinlichkeit nicht auf verschiedene Strains oder Varietäten zurückführen, sondern auf andere Faktoren. Siebert führt dazu aus:

»Wir haben bisher keine widerspruchsfreie Beziehung zwischen der Farbe der Blattadern und der Potenz oder Art der Wirkung gesehen. Es scheint so als wenn die Korrelation größtenteils als Marketinghype der Kratomverkäufer zu verstehen ist. Wir stellen Variationen im Wirkstoffgehalt zwischen verschiedenen Chargen fest, doch diese Variationen hängen nicht mit der Farbe der Blattadern zusammen. Da sich die Wirkung von Kratom auf Basis der Dosis unterscheidet, scheint es so, als würde eine schwächere Charge andere Effekte produzieren als eine starke, wenn dieselbe Dosis dieser beiden Chargen verglichen wird« (SIEBERT 2016).

Es ist jedoch bekannt, dass sowohl die Zusammensetzung der Wirkstoffe als auch deren Konzentration sehr stark in Abhängigkeit von der Blattherkunft variieren (ADKINS et al. 2011: 1168). In Blättern thailändischer Herkunft wurde in Bezug auf die Gesamtalkaloidmenge mit 66 % der bisher höchste Anteil an Mitragynin gemessen, während die Blätter aus Malaysia mit 12 % einen wesentlich geringeren Wert aufweisen (HARON AND ISMAIL 2015).

Daneben ist auch das Alter der Blätter entscheidend für die Ausprägung der Wirkstoffe, wobei sich das Alkaloidprofil von jungen Kratomblättern von dem reifer Blätter unterscheidet (CHITTRAKARN 2012: 83). Insbesondere die Mitragynalin- und Coryantheidalinkonzentration ist in jungen Blättern höher als in den älteren (HOUGHTON et al. 1991: 347).

Vieles deutet demnach darauf hin, dass die vielen verschiedenen Kratomsorten nicht auf unterschiedliche »Strains« zurückführbar sind, sondern auf die Selektion der Blätter. Wobei das Alter des Blattes möglicherweise ein wichtigeres Kriterium darstellt als die Farbe der Blattvenen.