Kreative Methoden in der Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen - Brigitte Unger - E-Book

Kreative Methoden in der Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen E-Book

Brigitte Unger

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Beschreibung

Dieses Buch soll ein Begleiter für die praktische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im therapeutischen Kontext sein. Die vorgestellten kreativen Methoden unterstützen therapeutische Ansätze zur Persönlichkeitsentwicklung, konkreten Problembewältigung und Verhaltensänderung. Durch ihren Einsatz kann zudem der therapeutische Prozess für alle Beteiligten anregend gestaltet werden. Neben den vielen praktischen Elementen wird auch der theoretische Rahmen von kreativen Methoden im Bereich der Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen skizziert. Besondere Aspekte der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen, wie Fragen des Settings oder der kompetente Umgang mit den verschiedenen Aufträgen von Eltern und Kindern bzw. Jugendlichen, werden thematisiert. Eine Bereicherung für das Handlungsrepertoire von Psychotherapeut:innen und verwandten Berufsgruppen!

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Brigitte Unger

Kreative Methoden in der Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen

Praxishandbuch zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung

Die Autorin

Mag.aBrigitte Unger, arbeitet seit 2001 in verschiedenen Settings mit Kindern und Jugendlichen und deren Familien; ausgebildete Verhaltenstherapeutin; Klinische und Gesundheitspsychologin; Spielpädagogin; Sportpsychologin; Lehrtherapeutin der Österreichischen Gesellschaft für Verhaltenstherapie; Unterrichtstätigkeit an verschiedenen Universitäten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr, eine Haftung der Autorin oder des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage 2024

Copyright © 2024 Facultas Verlags- und Buchhandels AG

facultas Universitätsverlag, Stolberggasse 26, 1050 Wien, Österreich

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitungsowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

Bildnachweis: S. 50 und S. 54 © zak00/istock

Umschlagbild: © Julia Garan – iStock

Lektorat: Astrid Fischer, Berlin

Satz: Wandl Multimedia-Agentur, Groß Weikersdorf

Druck und Bindung: finidr, Český Těšín

Printed in the EU

ISBN 978-3-7089-2430-4 (Print)

ISBN 978-3-99111-861-9 (E-Pub)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Teil 1: Kreativität und Kontakt

1 Kreativität ist eine Haltung, keine Methode

1.1 Von den vielen Gelegenheiten, kreativ zu sein

1.2 Kreativität als Haltung

1.3 Psychotherapie als kreativer Beruf

2 Kontakt, Kontakt, Kontakt

2.1 Die therapeutische Beziehung als entscheidender Wirkfaktor

2.2 Wie gelingt Kontakt?

2.3 Das Spiel als therapeutische Intervention

3 Brainstorming zu kreativen Methoden

4 Systematische Einteilung kreativer Methoden

4.1 Wovon braucht es weniger oder mehr

4.1.1 Die sechs Beziehungsmotive nach Rainer Sachse

4.1.2 Das sich entwickelnde Funktionsniveau der Persönlichkeit

4.1.3 Das psychologische Sechseck

4.1.4 Einteilung nach dem Ausmaß der Führung durch die Therapeut:innen

4.2 Die vier Kategorien kreativer Methoden in der psychotherapeutischen Praxis

5 Zur Persönlichkeitsentwicklung im Kindes- und Jugendalter

5.1 Das Menschenbild in der Verhaltenstherapie

5.2 Verschiedene Modelle der Persönlichkeitsentwicklung

5.3 Zentrale Annahmen

5.4 Bausteine der Persönlichkeitsentwicklung

5.5 Impulse zur Persönlichkeitsentwicklung in den vier Spielkategorien

6 Therapeutische Haltungen beim Einsatz kreativer Methoden

6.1 Beobachten

6.2 Parallel spielen

6.3 Mitspielen

6.4 Führen

6.5 Und was ist mit dem Transfer?

Teil 2: Methoden

7 Kreative Methoden im Bereich der Diagnostik

7.1 Colour how you feel

7.1.1 CHYF: Die eigene Person

7.1.2 CHYF: Emotionale Familiendiagnostik

7.2 Familiendiagnostik mittels Systembrett

7.2.1 Die „neutrale“ Aufstellung

7.2.2 Systembrett und „Familie in Tieren“ bzw. „Verzauberte Familie“

7.2.3 Hierarchische Darstellung der Familie

7.2.4 Ideale Darstellung der Familie

7.3 Symptomdarstellungen mit kreativen Mitteln

7.3.1 Gestalten von Bildern

7.3.2 Situationen nachspielen

7.3.3 Visualisierung im Raum

8 Freies Spiel: Im Kontakt mit sich selbst sein

8.1 Wann und wozu

8.2 Was und wie

8.3 Input

9 Kontaktspiele: Das eigene Selbst spüren im Kontakt mit anderen

9.1 Wann und wozu

9.2 Was und wie

9.3 Input

10 Rollenspiele: Am eigenen Selbst arbeiten

10.1 Wann und wozu

10.2 Was und wie

10.2.1 Fallbeispiel Schimpfwort-ABC

10.2.2 Darstellen, Aufstellen und Externalisieren

10.2.3 Matrix einmal anders: Schemamatrix

10.3 Input

11 Regelspiele: Am konkreten Verhalten arbeiten

11.1 Wann und wozu

11.2 Was und wie

11.2.1 Angeleitete Ideen zur Selbstentdeckung

11.2.2 Übungen zur Gefühlsbewältigung und Emotionsregulation

11.2.3 Regelspiele einsetzen: Einüben von Verhaltensweisen

11.2.4 Problemlöse- und Konfliktbewältigungstechniken

11.2.5 Fantasiereisen, Imaginationen

12.2.6 Angeleitete Übungen zur Entspannung

12.2.7 Ultimative Listen

Teil 3: Kreative Methoden im therapeutischen Kontext

12 Unterschiedliche Aufträge in der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen

12.1 Im Auftrag von Kindern und Jugendlichen: Kontakt als oberste Priorität

12.2 Unterschiedliche Aufträge in Balance

12.3 Zur Schweigepflicht zwischen Psychotherapeut:innen, Eltern und minderjährigen Patient:innen

12.4 Hilfreiche Sätze im Umgang mit Eltern

12.5 Verantwortung für die Beziehungsgestaltung

12.6 Kreative Methoden als Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Aufträgen in der Psychotherapie

12.7 Fragen des Settings

13 Gezielter Einsatz kreativer Methoden

13.1 Welche Methoden für welche Verhaltensweisen

13.1.1 Fallbeispiel Trennungsangst

13.1.2 Wahl der Spielkategorie bei Patient:innen mit Überbetonung internalisierender Verhaltensweisen

13.1.3 Wahl der Spielkategorie bei Patient:innen mit Überbetonung externalisierender Verhaltensweisen

13.2 Was kann welches Spiel

14 Material für die Praxis

15 Anhang: Kinder und Jugendliche und ihre Lebenswelten

16 Literatur

Vorwort

Gerade in der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen gelten kreative Methoden als Mittel der Wahl, um jene Art von Kontakt herzustellen, der die Basis für wirksame psychotherapeutische Prozesse bildet. Kreative Methoden helfen, an Kinder und Jugendliche heranzukommen, sie emotional zu erreichen und auch bei der Stange zu halten.

Unterschiedliche therapeutische Ausrichtungen unterscheiden sich dabei in ihren Ansichten: Wie viele kreative, spielerische Inhalte sind „erlaubt“ und wann „spiele ich nur noch“ bzw. lasse mich vielleicht sogar als Spielpartner:in instrumentalisieren? Wie viel Spiel und Kreativität soll die Therapie beinhalten und wie viel Therapie muss das Spiel bzw. die kreative Methode beinhalten? Macht es denn überhaupt Sinn zu spielen und wenn ja, welchen? Wie behalte ich die therapeutischen Ziele im Auge und wie gehe ich mit den Aufträgen der Eltern um? Welche kreativen Herangehensweisen eignen sich für welche Fragestellungen bzw. diagnostische Gegebenheiten?

Dieses Praxishandbuch möchte Ihnen kurz und prägnant den Zugang zu den für Sie passenden kreativen Methoden erleichtern und Sie mit dem nötigen Überblickswissen ausstatten, wie sich kreative Methoden in das verhaltenstherapeutische Geschehen einordnen. Kinder lernen lustbetont, daher liegt auch der Schwerpunkt dieses Buches auf lustbetontem Wissenserwerb.

Einem praktischen Methodenteil (Teil 2) geht ein theoretischer Teil voran, der die Hintergründe erklärt, die für den Einsatz, die Strukturierung und somit auch die Auswahl kreativer Methoden in der Verhaltenstherapie notwendig sind (Teil 1). Zum Ende (Teil 3) erfolgt eine erneute theoretische Einbindung der vorgestellten kreativen Methoden, diesmal unter dem Gesichtspunkt praktischer Fragen wie z. B. des Settings oder der unterschiedlichen Aufträge und Ziele, die das Kind, die Eltern und die Therapeut:innen in die Therapie einbringen.

Beginnen Sie gerne, indem Sie sich einzelne Methoden herauspicken, die Ihnen passend erscheinen und die Sie selbst gerne durchführen. Wenn alles klappt – wunderbar, wenn sich Fragen auftun, dann lade ich Sie ein, in den theoretischen Teilen nach Antworten zu suchen und diese hoffentlich auch zu finden.

Dieses Buch ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der ambulanten Psychotherapie. Mit Fertigstellung des Manuskripts entstand außerdem ein Text, der hier erwähnte praktische Anleitungen anhand von drei Fällen aufgreift und gleichzeitig die aktuellen Lebenswelten von Jugendlichen illustriert. Dieser Text findet sich im Anhang des Buches und verankert das Bemühen, soziale und systemische Bedingungen in der ambulanten Praxis nicht außer Acht zu lassen.

Wien, Jänner 2024

Brigitte Unger

Teil 1: Kreativität und Kontakt

1 Kreativität ist eine Haltung, keine Methode

Gerade Verhaltenstherapeut:innen verlassen sich oft zu sehr auf Methoden und gelten innerhalb ihrer Berufsbranche geradezu als methodenverliebt. In der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen scheint momentan die gesamte Bandbreite vorhanden: von starker Strukturierung (z. B. mittels Arbeitsblättern, Regelspielen oder Ähnlichem; hier wird das Spiel oft als Belohnung eingesetzt) bis hin zu keiner bzw. marginaler Strukturierung (freies Spiel, ungeleitet, ohne Bezug zum Alltag des Kindes). Beide Extreme gehen an der Alltagswirklichkeit vieler Kinder und Jugendlicher vorbei und zeigen daher nicht den gewünschten Erfolg.

1.1 Von den vielen Gelegenheiten, kreativ zu sein

Übung: Notieren Sie fünf Dinge, bei denen Sie in der letzten Woche Ihrer Meinung nach kreativ waren. Was sind Ihre Erinnerungen daran, wie haben Sie sich dabei gefühlt?

Übung: Reflektieren Sie nun die beruflichen Aktivitäten der letzten Woche. Hatte Kreativität dabei einen Raum und wenn ja, bei welchen Gelegenheiten? Hat Kreativität in Ihrer psychotherapeutischen Praxis einen Stellenwert und wenn ja, welchen?

Wenn wir unseren Alltag nach Gelegenheiten durchforsten, bei denen wir kreativ sind, stoßen wir auf eine Vielzahl von Möglichkeiten: kochen, malen, etwas neu ordnen, neue Wege ausprobieren, den Schlafplatz wechseln, ein neues Lokal ausprobieren, musizieren, tanzen, Kreativität in der Sexualität etc.

Es ist durchaus gerechtfertigt, die eigene Kreativität im Alltag zu minimieren, sich also an Abläufe zu halten, das Kochen dem Thermomix zu überlassen, die Abfolge der Yoga-Asanas von Yogatrainer:innen zu übernehmen. Daran ist nichts Schlechtes. Menschen unterscheiden sich im Ausmaß, in dem sie spontane und kreative Prozesse wahrnehmen und zulassen können und wollen. Manche Kolleg:innen beantworten die Frage nach eigenen kreativen Tätigkeiten mit: „Ich bin überhaupt nicht kreativ!“

Viele von uns haben gelernt, kreative Prozesse als etwas Separates zu betrachten, das an bestimmte Tätigkeiten geknüpft ist. Kreativität darf in bestimmten Feldern vorkommen (z. B. beim Malen) und bei anderen nicht (schmerzlicherweise z. B. beim Lernen oder im Beruf). Oder Sie wurden im Unterschied zum „klugen“ Geschwisterkind als „kreativ“ betitelt und haben aus diesen Gründen Schwierigkeiten mit dem Wort. Oder aber eine innere kritische Instanz beurteilt alle spontanen, kreativen Prozesse, weshalb die Zuwendung zu eigenen Schöpfungen schwerfällt.

Ein Verzicht auf kreatives Tun bringt Nachteile mit sich, denn im Allgemeinen machen uns kreative, schöpferische Prozesse froh. Es scheint so zu sein, dass wir uns darüber mit so etwas wie unserer Mitte verbinden, Prozesse und Abläufe nach unserer Form gestalten und dabei eine gewisse Fülle erleben.

1.2 Kreativität als Haltung

Wenn in diesem Buch von Kreativität die Rede ist, so sind nicht Methoden gemeint, sondern eine Haltung. Kreativität als psychotherapeutische Haltung erfordert die innere Bereitschaft, Kontrolle abzugeben und Prozesse stattfinden zu lassen.

Kreativität als innere Bereitschaft wiederum braucht Präsenz, Achtsamkeit, Gewahrsein, Sich-Einlassen auf einen absichtslosen Kontakt, Vertrauen in die eigene Intuition, Vertrauen in den therapeutischen Prozess, Mut und therapeutische Erfahrung.

Diese Art von Haltung erlaubt es uns in der Psychotherapie, Kontakt mit unseren Patient:innen aufzunehmen. Und zwar tatsächlichen und nicht oberflächlichen Kontakt. Es geht darum, und diese Erfahrung teilen z. B. auch Musiker:innen, zu vergessen, was man gelernt hat, und sich auf den Moment einzulassen.

Der Jazzpianist Keith Jarrett hat das so formuliert: Gefragt, wie er auf der Bühne ein solches Ausmaß an Kreativität verwirklichen könne, war seine Antwort: „Ich spiele nicht. Es spielt mich!“ Lehrende an der Grazer Musikuniversität beispielsweise weisen ihre Schüler:innen immer wieder darauf hin, auf der Bühne nicht „zu üben“. In dem Moment, in dem sie die Bühne betreten, sollen sie ihr Wissen vergessen und „einfach spielen“.

Aber: „Simple is not easy“, wie Instrumentalprofessor:innen ebenfalls wissen. Tatsächlich ist dieses „absichtslose Sich-Einlassen“ auf den Kontakt mit den Patient:innen offensichtlich das Schwierigste, was psychotherapeutische Ausbildungskandidat:innen lernen müssen. Zu groß sind die Ängste, einen Fehler zu begehen (womit die Kandidat:innen bei sich sind und nicht bei den Patient:innen). Zu groß sind die Erwartungen an sich selbst, etwas leisten zu müssen (und wieder sind die Kandidat:innen bei sich selbst und nicht bei den Patient:innen). Zu hoch sind die Ansprüche an sich selbst, auf alle Fragen eine Antwort zu wissen …

All das verhindert einen intuitiven Zugriff auf das eigene Wissen, die eigenen (kreativen) Fähigkeiten sowie einen tatsächlichen, vertieften Kontaktaufbau zu den Patient:innen.

Wenn in diesem Buch also von Kreativität die Rede ist, geht es um das absichtslose, achtsame Sich-Einlassen auf die Momente mit den Patient:innen und darum, Ideen und Potenziale umzusetzen, die sich aus unserem profunden Expert:innenwissen, der Beziehung zu den Patient:innen sowie aus dem therapeutischen Prozess heraus ergeben.

1.3 Psychotherapie als kreativer Beruf

Psychotherapie ist offensichtlich ein kreativer Beruf. Psychotherapie ist aber auch einer jener vielen Gesundheitsberufe, die ein außerordentliches Maß an Expertise, also Können und Wissen, erfordern. Psychotherapie braucht Mut, Gelassenheit sowie die Bereitschaft, Risiken einzugehen und gemeinsam mit Patient:innen zu entdecken, wie alte Pfade verlassen und neue Wege gegangen werden können.

Als Psychotherapeut:in lehnen Sie sich entspannt in Ihrem Sessel zurück und nehmen alles wahr, was der Moment hergibt. Sie hören zu und achten auf eigene Impulse und Ideen. Es geht darum, etwas zuzulassen, also um ein „passives Wollen“, nicht um ein kognitives Herbeiführen von Interventionen.

Ich möchte nicht missverstanden werden: Natürlich wissen Sie um die verschiedenen Interventionen, die Ihnen zur Verfügung stehen. Sie kennen Indikationen, Kontraindikationen, haben die Verfahren und Methoden mehrfach eingesetzt und geübt. Aber im Moment der Beziehung mit den Patient:innen achten Sie auf die Fragen, die sich Ihnen selbst stellen, die Impulse, die Sie haben.

Das gilt in der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen in besonderem Maße, aber es gilt auch in der Psychotherapie mit Erwachsenen. Und das ist ein kreativer Prozess.

2 Kontakt, Kontakt, Kontakt

2.1 Die therapeutische Beziehung als entscheidender Wirkfaktor

Die authentische Begegnung zwischen zwei Menschen gilt auch in anderen psychotherapeutischen Schulen als hochpotenter Wirkfaktor. Kreative Methoden geben uns die Möglichkeit, diese Beziehung zu stärken und so die Wirksamkeit der Psychotherapie zu erhöhen.

In die psychotherapeutische Praxis kommt ein Junge, Diagnose F 90.1 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens, Alter bei Therapiebeginn 11 Jahre. Zerrieben in einem endlosen Loyalitätskonflikt zwischen den getrennten Eltern, belastet mit verschiedenen psychosozialen Faktoren, war sein Benehmen in der Schule und zuhause eine ständige Herausforderung oder, anders gesagt, ein beständiger Albtraum. Ein therapeutischer Aufenthalt an einer psychiatrischen Abteilung über mehrere Wochen brachte ebenso wenig Verbesserung wie mehrere therapeutische Anläufe bei unterschiedlich ausgebildeten Psychotherapeut:innen.

Im Kontakt mit dem Jungen fiel auf, dass Angst und Furcht bei aller zur Schau gestellten Toughness eine Rolle zu spielen schienen. Der sehr cool auftretende Bursche fürchtete sich vor Puppen, vielleicht weil er zu viele Horrorfilme mit Puppen als Protagonist:innen allein am Laptop in seinem Zimmer in zu jungem Alter gesehen hatte oder aber aufgrund anderer psychischer Prozesse.

Dies war der Einstieg in mehrere Spielsessions, bei denen die in der Praxis vorhandenen Puppen als Protagonist:innen in Szenen fungierten, die die Praxis in ein Horrorkabinett verwandelten. Es gelang der Therapeutin, sich mit dem Patienten gemeinsam „zu gruseln“. Es war erstaunlich zu beobachten, wie ein Jugendlicher, der seine gesamte Freizeit ausschließlich vor PC und Handy verbrachte, sich auf dieses freie Spiel einließ und somit auch auf einen vertieften Kontakt zu seiner Psychotherapeutin. Im Nachhinein erwies sich dieses Spiel und das Teilen von gemeinsamen Erlebnissen als positiver Knackpunkt in einer mehr als schwierigen Psychotherapie.

Ein vertiefter Kontakt zeichnet sich dadurch aus, dass sich Patient:innen nicht nur wahrgenommen fühlen (soweit gelingt es den meisten Psychotherapeut:innen), sondern dass mittels dieses Kontakts „Dinge geschehen“ können. Therapeut:innen begleiten diesen Prozess, ohne ihn zu forcieren. Sie begleiten, was zwischen ihnen und den Patient:innen passiert, auf Basis ihres Expert:innenwissens und der Fähigkeit, Beziehungsmotive des Gegenübers aufzugreifen sowie eigene persönliche Belange hintanzustellen.

Es ist die Begleitung dieses Prozesses, die vielen angehenden Psychotherapeut:innen schwerfällt, weil das erfordert, Kontrolle aufzugeben und die Möglichkeit des Scheiterns, also der „ergebnislosen“ Psychotherapiestunde, zuzulassen. Es ist aber auch dieser Prozess, der Persönlichkeitsentwicklung befördert, und damit auch eine hochpotente Psychotherapie.

Ein Zuviel an Methoden geht auf Kosten eines solchen Prozesses und auf Kosten des Kontakts. Dann bleiben auch psychotherapeutische Ergebnisse (vielleicht, weil es sich eben um Ergebnisse und nicht um Erlebnisse handelt) an der Oberfläche, finden keinen Niederschlag in einer Veränderung des tatsächlichen Empfindens, der Wahrnehmung, der Entscheidungen und des Verhaltens.

2.2 Wie gelingt Kontakt?

Alle kreativen Methoden dienen einzig und allein dazu, jenen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen herzustellen, der

a) per se therapeutisch wirkt und

b) die Basis für therapeutische Interventionen bildet.

Ein Spiel, welches das nicht kann, ist sinnlos!

Ein gelungener Kontakt belebt die Stunde und damit auch Sie. Das ist das einfachste Kriterium, um zu überprüfen, ob Sie auch alle Perspektiven nutzen, die ein Kontakt bietet. Hatten Sie in der Stunde Freude an Ihrer Tätigkeit? Gab es Momente des gemeinsamen „Schwingens“, haben Sie gemeinsam gelacht? Wie hoch war das Ausmaß der Beteiligung auf beiden Seiten? Langeweile aufseiten der Psychotherapeut:innen ist immer ein Alarmsignal, dass nichts Relevantes stattfindet. Wirksame Psychotherapie ist und bleibt eine spannende Angelegenheit. Wie schnell ist die Zeit vergangen?

Es ist ratsam, die Auswahl aller Methoden, besonders jener aus dem kreativen Bereich, diesem Kontakt-Kriterium unterzuordnen. Tatsächlich verschiebt eine solche Haltung die Verantwortung für das Geschehen in der Therapiestunde: weg von uns als Expert:innen und Machthaber:innen hin zu einer Beteiligung auf der Seite der Patient:innen. Kontrolle abzugeben heißt eben auch, Macht, oft euphemistisch umschrieben als „Verantwortung“, abzugeben. Und dies ist durchaus nicht immer erwünscht bzw. wird als selbstwertschädigend erlebt (besonders bei Psychotherapeut:innen mit narzisstischer oder zwanghafter Persönlichkeitsakzentuierung).

Eine Erhöhung der Beteiligung der Kinder und Jugendlichen findet statt, wenn sie selbst tun dürfen, wenn unmittelbar an ihre Alltagsrealität angeknüpft wird, wenn sie Dinge tun und Inhalte aussprechen dürfen, die zuhause nicht gern gesehen werden. Gleiches gelingt, wenn Motive, die aus verschiedenen Gründen im Alltagsleben zu kurz kommen, aufgegriffen und damit einhergehende Bedürfnisse befriedigt werden.

Hier kommt in der psychotherapeutischen Praxis sehr stark meine Ausbildung zur Spielpädagogin zum Einsatz mit dem zentralen Satz: „Lehre mich nicht, lass mich lernen!“ (Konfuzius). Diese Ausbildung hat mir vor Augen geführt, dass diese Maxime in vielfältigeren Situationen anwendbar ist, als wir glauben. Diese Maxime zu befolgen, bringt uns zum lustbetonten Lernen, einem Lernen, das auf intrinsischer Motivation beruht.

Nehmen Sie sich selbst als Therapeut:in nicht so wichtig. Nehmen Sie das Ausmaß des Kontakts zu Ihren minderjährigen und erwachsenen Patient:innen wichtig. Vertrauen Sie sich einem Prozess an, der von zwei Seiten gesteuert wird, und erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit der Beteiligung der Patient:innen, indem Sie einen professionellen Kontakt herstellen.

2.3 Das Spiel als therapeutische Intervention

Über diese Basisfunktionen hinaus kann ein kompetent eingesetztes Spiel selbst als psychotherapeutische Intervention wirken. Die Möglichkeiten sind tatsächlich unbegrenzt. Sie müssen lediglich begründen können, was Sie wann (Zeitpunkt), warum (mit welchem Ziel) und wie einsetzen. In den nachfolgenden Kapiteln wird es genau darum gehen, immer unter der Prämisse des gelingenden Kontakts.

Gerade im spielerischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen ist es durchaus erlaubt, sich auszuprobieren (und das gilt auch bei Erwachsenen). Als Psychotherapeut:innen bilden wir in großer Geschwindigkeit Hypothesen darüber, wodurch das Verhalten unserer Patient:innen motiviert sein könnte, was die prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen sind. Unsere Hypothesen beziehen sich auch darauf, wie wir Veränderungen bewirken können, und werden laufend gemeinsam mit den Patient:innen überprüft. Auf Basis dieses Veränderungswissens und unserer Hypothesen erproben wir Methoden. Sollte es nicht klappen, verändern wir diese Methoden. Wie schon zuvor bemerkt, ist es sehr wichtig, dass „Scheitern“ in der Psychotherapiestunde mit Kindern und Jugendlichen vorkommen kann. „Scheitern“ meint festzustellen: „So kommen wir hier nicht weiter!“, und einen anderen Zugang zu wählen. „Scheitern“ meint aber auch, eigene Phasen der Ratlosigkeit zuzulassen.

Wesentlich ist, sich in solchen Momenten nicht in die eigenen Schemata verstricken zu lassen, sondern weiter beim aktuellen Geschehen in der Therapiestunde zu bleiben. Fühlt es sich unangenehm an? Dann lassen Sie es zu. Üben Sie sich im „passiven Wollen“, das heißt, warten Sie geduldig auf Ihre nächsten Impulse, statt mit „Gewalt“ und forcierend an einer letztlich für beide Seiten unbefriedigenden Lösung zu arbeiten. Überlegen Sie etwa, mit welchen Worten Sie die aktuelle Situation beschreiben würden. Was für Gefühle, welche Motive sind gerade im Raum? Wonach ist Ihnen? Wenn Ihnen selbst danach ist, wegzulaufen, dürfen Sie mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, dass es Ihrem Gegenüber ähnlich geht. Dann sollten Sie daran arbeiten, die Situation für beide Seiten erträglicher, vielleicht sogar gemütlicher zu gestalten. Dann sind Sie auf der richtigen Spur.

Versagensängste, die oft tabuisiert und wenig bewusst sind, hemmen unseren freien Zugang zu kreativen Methoden. Auch deswegen ist Selbsterfahrung ein so großer und wichtiger Bestandteil der psychotherapeutischen Ausbildung in Österreich. Wenn Sie mit dem Wort „gemütlich“ Ihre Schwierigkeiten haben, weil Sie es mit „zu wenig Leistung“ assoziieren, dann entgeht Ihnen vielleicht die Bedeutung des Wortstammes „Gemüt“. Und letztlich sind unser Gemüt und seine Verstimmungen sicherlich ein relevanter Bestandteil jeder Psychotherapie.

3 Brainstorming zu kreativen Methoden

Aus einem Brainstorming kreativer Methoden in der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen resultieren die folgenden Ideen und Abläufe:

Tab. 1: Brainstorming kreativer Methoden in der ambulanten Praxis

Diagnostisches (Satzergänzungstest, kurz: SET; „Color how you feel“, kurz: CHYF; Familien-Systembrett, Symptomdarstellungen …)

freies Spiel

malen, zeichnen

arbeiten mit Ton oder Knete

bauen

bauen und zerstören

Spiele mit Bällen oder Schaumstoffschwertern

anfertigen von Collagen

Fußball und andere Sportarten

Übungen zur Gefühlswahrnehmung und Differenzierung

Rollenspiele zu vielfältigen Themenstellungen

soziales Kompetenztraining: Selbstbehauptung, sich wehren; Freund:innen finden, sagen können, was ist; sagen können, was ich will …

Schlagfertigkeitstraining

darstellen, aufstellen und externalisieren

Aufstellungen von komplexen psychischen Situationen

Arbeit mit Modi (Schematherapie) und dem inneren Team

Schemamatrix

Kinderbücher, Jugendbücher

angeleitete Ideen zur Selbstentdeckung

Übungen zur Gefühlsbewältigung und Gefühlsregulation (Skills)

generell: ausprobieren und einüben neuer Verhaltensweisen

Soziales Kompetenztraining: sich beherrschen und mitmachen – kooperieren

Soziales Kompetenztraining: Methoden zur Förderung von Perspektivenübernahme und Empathie

erstellen von „ultimativen Listen“

setzen und erreichen von konkreten Zielen

Problemlösemethoden und Methoden zur Bewältigung von Konflikten

angeleitete Übungen zur Achtsamkeit, wie z. B. Gefühle surfen; fünf Dinge, die ich sehe/fühle …

angeleitete Übungen zur Entspannung, wie z. B. Progressive Muskelrelaxation (PMR) für Kinder, Fantasiereisen …

Regelspiele

angeleitete Übungen zu bestimmten Themen, wie z. B. „Gute Nachrichten über mich“ (Hobday & Ollier, 2011)

angeleitete hypnosystemische Techniken, wie z. B. „Der kleine Lederbeutel mit allem drin“ (Signer-Fischer et al., 2014)

Übung: Brainstorming eigener kreativer Methoden

Notieren Sie kreative Methoden, die Sie bereits kennen und vielleicht auch schon in der Praxis einsetzen. Überlegen Sie in einem zweiten Schritt, welche dieser Methoden Ihnen persönlich nahestehen, die Sie also gerne einsetzen.

Alles ist möglich

Die Lehrtherapeutin Prof. Dr. Bibiana Schuch äußerte einmal, dass Psychotherapeut:innen alles tun können, solange sie begründen können, was sie tun, wörtlich: „auch Kaffeesud lesen“.

Es ist also durchaus möglich, in der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen den Raum zu verlassen und etwa im Käfig nebenan eine Runde Fußball zu spielen. Begründen Sie, mit welchem Ziel Sie das tun, und achten Sie in einer persönlichen Reflexion dieser Therapiestunden darauf, welche therapeutischen Prozesse Sie mit dieser Intervention in Gang bringen und welche nicht.

Es ist auch möglich, „Mensch ärgere dich nicht“ zu spielen, wie das viele Kolleg:innen machen (und wie es oft von Eltern kritisiert wird). „Mensch ärgere dich nicht“ kann beispielsweise als Intervention dienen, wenn Kinder ihre Frustrationstoleranz ausbauen müssen. Das Spiel ist von Therapeut:innenseite einigermaßen gut steuerbar und damit auch das Ausmaß der Frustration, mit dem das Kind fertigwerden muss. Ebenso verwenden manche Kolleg:innen das Spiel in einer ablenkenden Art und Weise, die es begünstigt, in einen Redefluss zu kommen. Das Spiel wird hier zur Nebensache, um den Boden für Gespräche zu bereiten. Auf diese Weise soll den Kindern und Jugendlichen der Druck und die Verlegenheit genommen werden, die beim direkten Gespräch vielleicht entstehen.

4 Systematische Einteilung kreativer Methoden

Es gibt unendlich viele Gelegenheiten, kreativ zu sein – das Geheimnis liegt im Zugriff und in der Anwendung. Mit welchen Mitteln ein psychotherapeutisch kompetenter Zugriff erfolgen kann, behandelt das folgende Kapitel.

Genauso wie es unendlich viele Methoden gibt, die dem kreativen Bereich zugeordnet werden können, gibt es auch unendlich viele Möglichkeiten, diese zu systematisieren. Tatsächlich liegt in der Einteilung der kreativen Methoden eine wichtige Problemstellung für die Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen, denn eine gelungene Einteilung erlaubt auch den gezielten Einsatz dieser Methoden.