Kreuz- und Querzüge des Ritters A-Z - Theodor Gottlieb von Hippel - E-Book

Kreuz- und Querzüge des Ritters A-Z E-Book

Theodor Gottlieb von Hippel

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Beschreibung

Ein historischer Roman über die Vorurteile und den Stolz des Adels des 18. Jahrhunderts.

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Seitenzahl: 961

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Ähnliche


Kreuz- und Querzüge des Ritters A. bis Z.

Theodor Gottlieb von Hippel

Inhalt:

Theodor Gottlieb von Hippel – Biografie und Bibliografie

Kreuz- und Querzüge des Ritters A. bis Z.

Erster Theil.

§. 1. Der Name

§. 2. Familie

§. 3. Stammbaum

§. 4. Legende,

§. 5. Sein Vater

§. 6. Wechsel

§. 7. Antwort

§. 8. Ueberwindung

§. 9. Gespräch

§. 10. Hochzeit.

§. 11. Paradebegräbniß

§. 12. junge Paar,

§. 13. Niederkunft

§. 14. krank,

§. 15. ein Schwindel

§. 16. Nachruhm,

§. 17.  die Leichenpredigt,

§. 18. Die Taufe

§. 19. Trauer.

§. 20. Säugling

§. 21. Veränderung,

§. 22. Stammbaum.

§. 23. Kleck,

§. 24. Inventarium

§. 25. Erziehung

§. 26. Türken

§. 27. Römische Kaiserhistorie

§. 28. zehn Verfolgungen

§. 29. Heraldik,

§. 30. Examen

§. 31. die Dämmerung

§. 32. Jerusalem

§. 33. Trinitatis

§. 34. Geschichte.

§. 35. Der Prediger

§. 36. Heraldicus junior

§. 37. Lebensgröße,

§. 38. Unvorgreiflicher Vorschlag

§. 39. Garrick

§. 40. Der Bau

§. 41. Session.

§. 42. Glaubensübungen

§. 43. Uebersetzung

§. 44. ermüden.

§. 45. Das Attestatum,

§. 46. Ein Ordensmann

§. 47. ganze Einrichtung

§. 48. Meister Hiram

§. 49. Schulmeister

§. 50. Rath.

§. 51. Controleur.

§. 52. Kreuzkabinet

§. 53. Uebertreibung?

§. 54. Commission

§. 55. Glück

§. 56. Benedicite,

§. 57. wandte

§. 58. Sohn

§. 59. gleichgültig.

§. 60. die Leidenschaft

§. 61. nicht

§. 62. Reise

§. 63. Orden der Verschwiegenheit

§. 64. Erscheinung

§. 65. Wer da?

§. 66. Freimaurerei

§. 67. lange,

§. 68. Correspondenz

§. 69. Berechnung

§. 70. Dank

§. 71. Erkenntlichkeit.

§. 72. scheiden

§. 73. Brustfieber

§. 74. Offenbarung Johannis

§. 75. rührend.

§. 76. Begleiter,

§. 77. Traum,

§. 78. Anzeigen

§. 79. Vigilien

§. 80. Abendessen

§. 81. Das Begräbniß

§. 82. Ruhe wohl,

Zweiter Theil.

§. 83. Die Betrübniß

§. 84. näher.

§. 85. Der Legatarius

§. 86. Begleitung

§. 87. Michael

§. 88. Abreise

§. 89. wohin?

§. 90. Fräuleinsohne,

§. 91. Pistole

§. 92. Pferde

§. 93. Empfang

§. 94. Sonne

§. 95. Späne.

§. 96. Vorläufer,

§. 97. Aufnahmen

§. 98. Adoptionsloge

§. 99. Brief

§. 100. Reitknecht

§. 101. wo denn?

§. 102. Abschied

§. 103. unschuldiger

§. 104. Antwort,

§. 105. Parole

§. 106. Stillschweigen.

§. 107. Herberge,

§. 108. Gespräch,

§. 109. drei

§. 110. Duell

§. 111. Stadt,

§. 112. Zettel

§. 113. Testament

§. 114. Dolch.

§. 115. Reitknecht

§. 116. der Seelenhirte

§. 117. Schicksal

§. 118. verlegen,

§. 119. drei Fragen

§. 120. erste Frage:

§. 121. zweite Frage:

§. 122. dritte Frage

§. 123. Quartier

§. 124. Gefängniß,

§. 125. Verlängerung

§. 126. Ordensrescript

§. 127. Lage

§. 128. sieben Stunden

§. 129. Ueberschwänglichkeit

§. 130. Unübereinstimmung

§. 131. Vorhandlung.

§. 132. Zweite Vorhandlung.

§. 133. Dritte Verhandlung.

§. 134. Die übrigen vier

§. 135. Obermeistergrad.

§. 136. Aufnahme

§. 137. Knappe

§. 138. Kleidung

§. 139. Unterricht

§. 140. Ritterin

§. 141. Fräulein von Unbekannt

§. 142. Meierhof,

§. 143. Thal Josaphat

§. 144. Bergorden?

§. 145. Karmel

§. 146. Sinai?

§. 147. Tabor

§. 148. Apostelorden,

§. 149. Protokoll,

§. 150. möglich;

§. 151. Wunder

§. 152. Nachträge

§. 153. Selbstüberwindung

§. 154. tête-à-tête

§. 155. grausam,

§. 156. Unteredungsstunde

§. 157. Drei,

§. 158. Wagestück,

§. 159. nicht

§. 160. Begleiterin

§. 161. Baumorakel

§. 162. Vater und Bruder

§. 163. Mutter

§. 164. Entführung

§. 165. Johannes

§. 166. Wortwechsel.

§. 167. Allerdings;

§. 168. Episode,

§. 169. Führer

§. 170. Der Gastvetter,

§. 171. Adoptions-Versammlung

§. 172. Sophie.

§. 173. Gastvetter

§. 174. warb

§. 175. Segen

§. 176. Anverwandte

§. 177. Mutter

§. 178. After-Sophie

§. 179. Gamaliel

§. 180. Heraldicus junior

§. 181. Engländer

§. 182. Gruppe

§. 183. das junge Paar

§. 184. Schluß

Kreuz- und Querzüge des Ritters A. bis Z. , T. G. von Hippel

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849638559

www.jazzybee-verlag.de

Theodor Gottlieb von Hippel – Biografie und Bibliografie

Schriftsteller, geb. 31. Jan. 1741 zu Gerdauen in Ostpreußen, wo sein Vater Schulrektor war, gest. 23. April 1796 in Königsberg, bezog in seinem 16. Jahr die Universität Königsberg, um Theologie zu studieren, und machte hier die Bekanntschaft des russischen Leutnants v. Keyser, der ihn 1760 mit nach Petersburg nahm und zuerst in die Kreise der großen Welt einführte. Nach seiner Rückkehr nach Königsberg ward H. Hauslehrer, gab aber 1762 diese Stelle auf, um sich dem Studium der Rechtswissenschaft zu widmen. Die Liebe zu einem vornehmen und reichen Mädchen hatte ihn zu diesem Entschluss gebracht, und er verfolgte sein Ziel mit unermüdlichem Eifer, entsagte aber nach Erreichung desselben seiner Liebe, um im ehelosen Stande seine hochfliegenden Pläne nachdrücklicher verfolgen zu können. Er erwarb sich ein bedeutendes Vermögen und stieg in der Beamtenlaufbahn rasch empor. 1765 wurde er Rechtskonsulent bei dem Stadtgericht in Königsberg, 1780 dirigierender Bürgermeister und Polizeidirektor daselbst mit dem Charakter eines Geheimen Kriegsrats und Stadtpräsidenten. Den vernachlässigten Adel seiner Familie ließ er 1790 erneuern. H. war einer der merkwürdigsten Charaktere, ein Sonderling, in dem sich die stärksten Gegensätze vereinigten. Schwärmerei und Neigung zum Aberglauben paarten sich in ihm mit einem hellen Verstand, eine an Bigotterie grenzende Frömmigkeit und warmer Tugendeifer mit Leidenschaftlichkeit und Sinnlichkeit, schwärmerische Freundschaft mit Verschlossenheit, Herrschsucht und Strenge mit heiterem und zuvorkommendem Wesen, Begeisterung für Natur und Einfachheit mit Neigung zum Luxus und leidenschaftlicher Geldgier, Uneigennützigkeit in seinen moralischen Grundsätzen mit dem größten Egoismus im praktischen Handeln. In seinen Schriften, die bis an seinen Tod anonym erschienen, behandelte er mit Vorliebe die tieferen Probleme des Lebens. Bei mehr oder weniger mangelhafter Form zeugen sie von großer Menschenkenntnis und enthalten eine Fülle dieser Beobachtungen, zu deren ruhiger Mitteilung es aber die stets abspringende, ungezügelte Phantasie und der launenhafte Witz des Autors selten kommen lassen. Sein bekanntestes Buch ist die Schrift »Über die Ehe« (Berl. 1774; neu hrsg. von Brenning, Leipz. 1872). In seinem Werk »Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber« (Berl. 1792) zieht er gegen die Ausschließung der Frauen von der bürgerlichen und gelehrten Tätigkeit zu Felde. Denselben Zweck verfolgt die Schrift »Über weibliche Bildung« (Berl. 1801). Seine »Lebensläufe nach aufsteigender Linie, nebst Beilagen A. B. C.« (Berl. 1778–81, 3 Bde.; neu bearbeitet von A. v. Öttingen, Leipz. 1878, 3 Bde.; 3. Aufl. 1892), ein Roman, dessen Humor aus dem tiefsten Ernste der Lebensanschauung geboren ist, der die inneren Kämpfe einer reichbegabten Natur darstellt, ist eine höchst charakteristische Schöpfung für jene Übergangsperiode, in der sich die Romandichtung von Reflexionen über das Leben zur Wiedergabe des Lebens selbst durcharbeitete. In dem Werk »Zimmermann I. und Friedrich II., von Joh. Heinr. Friedr. Quittenbaum, Bildschnitzer in Hannover; London, gedruckt in der Einsamkeit 1790« wie in dem Roman »Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z« (Berl. 1793–94, 2 Bde.) besprach er politische Zustände und Zeitereignisse, in letzterm namentlich das Treiben der geheimen Gesellschaften damaliger Zeit, mit scharfer Satire, aber in abspringender, ungleicher Darstellung, unter welcher der Eindruck leidet. Er gab auch geistliche Lieder und andre poetische Versuche heraus, unter denen seine idyllischen »Handzeichnungen nach der Natur« (Berl. 1790) hervorzuheben sind. Sein von Lessing in der Dramaturgie (Stück 22) besprochenes Lustspiel »Der Mann nach der Uhr« (2. Aufl. 1771) ist reich an drolligen Einfällen. Er schrieb auch »Über das Königsberger Stapelrecht« (Berl. 1791). Seine Selbstbiographie in Schlichtegrolls »Nekrolog« ist besonders gedruckt (Gotha 1800). Eine Ausgabe seiner »Sämtlichen Schriften« erschien in Berlin 1828–39, 14 Bde. Vgl. A. v. Öttingen, Vor hundert Jahren. Gedenkblatt zur Säkularfeier des ältesten baltischen Romans (Dorpat 1878); Czerny, Sterne, Hippel und Jean Paul (Berl. 1904). – Sein Neffe Theodor Gottlieb v. H., gest. 10. Juni 1843 als pensionierter Regierungspräsident in Bromberg, war der Verfasser des bei Beginn der Befreiungskriege vom König Friedrich Wilhelm III. von Preußen unterm 17. März 1813 von Breslau aus erlassenen Aufrufs »An Mein Volk«. Auch veröffentlichte er »Beiträge zur Charakteristik Friedrich Wilhelms III.« (Bromb. 1841). Seine Biographie schrieb Th. Bach (Bresl. 1863).

Kreuz- und Querzüge des Ritters A. bis Z.

Erster Theil.

§. 1. Der Name

meines Helden ist kurz und gut: A.B.C. bis X.Y.Z., des heiligen Römischen Reiches Freiherr von, in, auf, nach, durch und zu Rosenthal, Ritter vieler Orden trauriger und fröhlicher Gestalt, von der Ceder auf Libanon bis zum Ysop, der aus der Wand wächst. Da er das goldene A.B.C. bei der heiligen Taufe zu seinen Vornamen empfangen hatte, so ward er A.B.C. Freiherr von und zu Rosenthal, zuweilen auch, wer weiß ob beliebter Kürze oder der Euphonie wegen, Alpha- und Omega-Ritter genannt. Seine

§. 2. Familie

ist eine der urururältesten auf Gottes ergiebigem Erdboden, so daß sie das Wort neu selbst bei den heiligsten und unschuldigsten Dingen so leicht nicht ertragen mochte. Ob sie das Alte Testament für den eigentlichen Stamm, und das Neue etwa für einen Ableger hielt, blieb ein Familiengeheimniß, so wie wir noch mehr auf dergleichen stoßen werden. Außer Zweifel schien es, daß sie das Neue bloß als die Fortsetzung des Alten aus christlicher Liebe gelten ließ. War vom neuen Bunde die Rede, so wollten die Rosenthaler vom alten Bunde seyn, ob man gleich zur Steuer der Wahrheit nicht unangezeigt lassen kann, daß sie das Sacrament der heiligen Taufe dem Sacramente der heiligen Beschneidung rühmlichst vorzogen und überhaupt nicht in Abrede stellen wollten und konnten, recht altgläubige, zur evangelisch-lutherischen Kirchenordnung gehörige Christen zu seyn. Als ein junger Zweig des von Rosenthalschen Geschlechtes mit gewichsten Stiefeln von Universitäten zurückkehrte, ward im väterlichen Hause ein Büß- und Bettag angeordnet; und wer nicht aufhören konnte, über die wächsernen Nasen zu seufzen, die man aus Gottes Wort und aus den Rechten in dieser letzten betrübten Zeit machte war die Frau Großmama, deren wackelnder Kopf bei dieser Leichenpredigt sich rühmliche Mühe gab, dem entzahnten Munde schrecklich und erwecklich nachzuhelfen. Die alten Damen dieses Ehrengeschlechtes waren Todfeindinnen jeder neuen Mode; und wenn diese auch den ältesten Trachten auf den Familiengemälden wie Ein Ei dem andern glich, so machten sie es sich doch zur Pflicht, bei einem gothischen Geschmacke Verschwenderinnen zu seyn. Dessen ungeachtet circulirte von allem Neuen eine getreue Controle in der Familie, wiewohl nur als Präservativ, um über diese Gräuel ein desto gründlicheres Ach und Weh ausrufen zu können. Die jüngern Damen traten diesen Gesinnungen nicht völlig bei; indeß söhnten sie sich mit ihren Gothinnen durch eine gemeinschaftliche Sitte aus, nach welcher weder Damen noch Herren respective neue Schuhe und Stiefel trugen, sondern sie erst durch andere austreten ließen. Der Mißbrauch einer bekannten Spruchstelle, wodurch man noch zu dieser Frist das Inconsequente lächerlich zu machen sucht: Gleich wie der Löwe ein grimmiges Thier ist, also sollen wir auch in einem heiligen Leben wandeln, schreibt sich aus dieser Familie her. Wegen der apokalyptischen Worte: Siehe, ich mache alles neu! waren sie mit den Herren Geistlichen in ewigem Zwist, und die altfränkischen Wörter, bei denen in den Wörterbüchern Warnungstafeln zu stehen pflegen, hielten sie für die ersten und besten. Es war erbaulich, ihre Briefe zu lesen! wenigstens hundert Jahre konnte man sie zurück datiren. Ob ich nun gleich bei der Stange zu bleiben und mich auf meinen Helden einzuschränken entschlossen bin (mit dem ich gewiß alle Hände voll zu thun haben werde, wobei ich indeß vielleicht den Kopf zu schonen hoffen darf), so will es doch der Zusammenhang, daß ich auch ein paar Kreuz- und Querzüge von seinen Ahnherren in beliebter Kürze und Einfalt bestehe; und da muß ich Schande halber das Wort

§. 3. Stammbaum

zuerst beherzigen.

Der Stammbaum dieser Altenbundes – Familie hatte, wie Europa, die Gestalt einer sitzenden Jungfer; nicht als ob Europa schon das weiteste Ziel wäre, das dieses ausgebreitete Geschlecht sich zum Territorio vorgezeichnet hatte; nicht als ob die Jungfer hier etwa ein Bild der Fruchtbarkeit vorstellte (denn die Familie wußte so gut wie ein anderer und irgend jemand, daß Jungfrauen nicht, wie Aecker, durch Fruchtbarkeit im Anschlage steigen), sondern weil Europa der Sitz des wahren Großen und alles Erhabenen und Schönen ist; und zunächst, um die Makellosigkeit, Pracht, kurz, die reine Jungfrauschaft der Rosenthalschen Familie anzudeuten. Der Stammbaum lag bei dem Seniori Familiae, um die Ehrerbietung für das Alter auszudrücken, was auch die Zahl bezeichnen sollte, die mit der Welt lief und jährlich am Charfreitage abgeändert ward; wohl zu merken, zum Andenken des Hauptmanns, der unter dem Kreuze Christi stand, und mit dem die Familie (obgleich nur vermittelst eines Streifschusses, wie sie Hochselbst im Scherz es zu nennen pflegte) verwandt zu seyn nicht undeutlich zu verstehen gab. In dem jetzt laufenden Jahre hat die Stammtafel nach Sethi Calvisii Rechnung die Nummer 5741. Dieß Ehrenwerk war übrigens auf holländische Leinwand geklebt, um theils den Reichthum der Familie, und theils auch, in Rücksicht des Kleisters, die Bluts- und Gemüthsübereinstimmung des Geschlechtes zu versinnbilden. Ob es übrigens aus Pergament oder bloßem Papiere bestanden habe, wird leider! in meinen Nachrichten nicht bemerkt; und da ich es vorzüglich darauf anlege, treu befunden zu werden, so will ich diesen Umstand weit lieber mit bescheidenem Stillschweigen übergehen, als ihn voll Eigendünkel mit falschen Vermuthungen ausstatten. Vielleicht finde ich noch loco congruo Gelegenheit, diese Stammtafel anzuführen. Der dritte Paragraph mag sich mit dem Postscripte von Anmerkung begnügen, daß dem Familienkasten, in welchem dieses Kleinod von Stammbaum lag, die Form des Kastens Noä beigelegt war, so daß (obgleich, wie es sich von selbst versteht, nach verjüngtem Maßstabe) dreihundert Ellen seine Länge, fünfzig Ellen die Breite und dreißig Ellen seine Höhe hielt. Auch war er von Tannenholz und (des weisen Sittenspruchs: »wer Pech angreift, besudelt sich,« ungeachtet) mit Pech, Notabene nur inwendig, nicht ver-, sondern ausgepicht, und verdiente sonach, caeteris peribus, mit allem Rechte der Kasten Noä genannt zu werden. Außer dem Seniori Familiae gehörten zu dieser Bundeslade vier Assessoren, welche die vier an Jahren auf den Senior folgenden Freiherren von Rosenthal waren und im gemeinen Leben schlechtweg Kastenherren hießen. Jeder von den Kastenherren hatte einen Schlüssel, nach Anzahl der fünf besondern Schlösser; dem Seniori kam das Schloß in der Mitte zu, das die übrigen vier an Größe bei weitem übertraf und auch, wie Rechtens, einen großen Schlüssel erforderte, welcher gewöhnlich der Kammerherrnschlüssel genannt zu werden pflegte. Ich will dieser heiligen Rolle nicht zu nahe treten, die mit so vielen Randglossen verbrämt war, daß die Tressen das Tuch, die Noten den Text kaum frische Luft schöpfen ließen. Nur auf das, was unumgänglich nöthig ist, wollen wir uns einschränken. Dahin gehört unter andern, daß vier Arme von der Rosenthalschen Familie sich ergossen hatten. Einer war gräflich, einer bestand, wie man sagte, aus simpeln Edelleuten, zwei Arme, und bei weitem die zahlreichsten, waren freiherrlich. Die Gräflichen schrieben sich ausschlußweise Grafen von und zu Rosenthal, und hießen zuweilen die Edelsteine der Familie; die simpeln Edelleute von Rohsehnthaahl, weil sie, nach unwiderlegbaren Urkunden, von jeher des Buchstabirens rühmlichst unbeflissen gewesen waren, wobei sie sich denn auch bis auf den heutigen Tag hochansehnlich zu erhalten um so mehr Mühe geben, da sie sonst sehr leicht den Ruhm des Alterthums aufs Spiel setzen könnten. Was hülf' es dem Menschen, wenn er das Buchstabiren gewönne und nähme doch Schaden am grauen Alterthum seiner Familie? Zuweilen wurden sie die Familienecksteine genannt. – Was die beiden freiherrlichen Arme betrifft, so schrieb sich der eine mit, der andere ohne Circumflex am Ende des Namens, so daß jene, mit diesem Circumflex, auch Circumflexer hießen. Zuweilen wurden sie Elephanten genannt, und obgleich diese Benennung ihnen nicht zur Schande gereichte und von keinem Spötter erfunden zu seyn schien, so sahen sie doch diesen Namen als einen Spitz- oder Ekelnamen an. Auch hießen in dieser steinreichen Familie die ohne: Flintensteine, die mit: Steine des Anfloßes. Die Circumflexer waren wieder nach ihren Häusern unterschieden und hießen Mühl-, Reib- und Nierensteine, womit ich aber weder meinen Lesern noch mir einen Stein in den Weg legen will. Wer es seiner geben wollte, nannte jene mit dem Circumflex bloß: mit, z.B. Freiherr von Rosenthal mit. – Man hatte zu dieser Ellipsis noch eine besondere Ursache; es ging nämlich die Rede, daß, so lange die Circumflexer existirt hätten, zwei Dritttheile von ihnen einen Buckel gehabt. Ob es bloß ein artiger Scherz oder eine unartige Wahrheit gewesen, daß der Stamm ohne den Stamm mit durch Brief und Siegel, durch Urtheil und Recht, gezwungen hätte, buckelig zu seyn (welcher Rechtsspruch bei Gelegenheit eines dreißigjährigen Lehnsprocesses rechtskräftig geworden war), lass' ich dahin gestellt seyn. – Wie viel durch Urtheil und Recht möglich ist, wissen wir alle. Dieser Hokuspokus macht das Gerade krumm, das Krumme gerade, erklärt Menschen für todt und spricht: kommt wieder Menschenkinder! je nachdem es im Rathe der Schöppen beschlossen ist. Ich selbst habe drei Rosenthaler gekannt, welche diesen Auswuchs (dieses Harz, wie es die anderen Arme der Rosenthalschen Familie, um es sein und lieblich zu geben, auch wohl zuweilen nannten) nicht läugnen konnten, indeß gar merklich daß widerlegten, was man in der Regel zu behaupten pflegt: daß dergleichen Ausgewachsene oder Harzige sich in Hinsicht der Seelen durch Verschlagenheit und Lift und dem Fleische nach durch körperliche Stärke auszeichnen. Wenn die Spruchstelle: »Hüte dich vor dem, den Gott gezeichnet hat,« (so wie die meisten Exegeten der höckerigen Meinung sind) geradezu auf die Buckeligen geht, so kann man mit Bestande der Wahrheit hinzufügen: Excipe die Circumflexer. – Unser Held war aus dem Stamm ohne. Wie der Stamm mit zu dem Mit gekommen, erhellt aus einer

§. 4. Legende,

die bei der Familie durch Tradition, und also nicht im Kasten Noä mit fünf besondern Schlössern, aufbewahrt wurde, und die ich curiositatis gratia, so wie ich sie empfangen habe, erzählen will.

Es war einmal Adam Sem Ham Japhet Freiherr von Rosenthal, der wegen seiner Stärke, um bei der heiligen Schrift zu bleiben, Simson, und wegen seiner Schönheit Joseph heißen konnte. Ich würde ihn mit dem Königssohne Absalom vergleichen, wenn der Herr Vater des Prinzen Absalom von alter Familie gewesen wäre, und Se. Majestät nicht in Dero Jugend das liebe Vieh gehütet hätten. – Hierzu kommt, daß Se. königliche Hoheit an einer Eiche hangen blieben. (Schade, nicht um den Prinzen, sondern um sein schönes Haar! –) Das schwarzbraune Haar unseres Adam Sem Ham Japhets, das Absalom gewiß nicht köstlicher haben konnte; seine Ritterstirn, die sich wie ein Fächer in Falten legte und öffnete, je nachdem es Styli war; seine freiherrliche Adlernase; seine felsenfeste Brust; sein Potsdamer Wuchs – alles und jedes erhob ihn zu dem seltsamsten Manne seiner Zeit. Jeder Theil seines Körpers schien es auf eine besondere Festung anzulegen und auf sichere Eroberung Anspruch zu machen. Er war vom Schlage der Antinousse, ging übrigens, wie es sich eignet und ziemet, ländlich sittlich, ehrlich und ordentlich zu Werke, und spannte alle diese Natursegel nur auf, um den Hafen eines einzigen schönen und reichen Fräuleins zu erreichen. Diese Bescheidenheit gab allen seinen Eigenschaften ein reizendes Colorit. Sein Haus ward durch diese Heirath, durch Fleiß und Oekonomie groß, und allgemein erscholl die Rede, er werde sich, wie man es nannte, grafiren (in den Grafenstand versetzen) lassen. Bei allem, was dem Publikum zum Besten gegeben wird, ist Wahrheit die Basis; indeß, um es schmackhaft zu machen, mischt, wer die Kunst versteht, etwas für den Gaumen hinzu; er bemüht sich (um ein anderes Bild aufzustellen), durch seine falschen Steine eine Wahrheit zu erspiegeln, und jedem seiner Lügenschlösser legt er ein Fundament von richtigen Umständen; nur selten bauet er auf Sand, wie Stümper, die entweder nicht lange genug im Dienste des Lügenvaters gewesen sind, oder denen es an Genie fehlt, seinem Unterrichte Ehre zu machen. – Unser Freiherr hatte wirklich öfters den Gedanken, für sein so reich gewordenes Haus den Grafenstand zu suchen, den er auch eben so wirklich gesunden haben würde. Bloß der weise Umstand, daß die von der gräflichen Familienlinie ältere Grafen gewesen wären, erzeugte die reifere Ueberlegung, lieber zu bleiben, was er war, und sich auf andere Art unsterblich zu machen. Man weiß z.B., daß er einen prächtigen Kirchthurm, drei neue Glocken und einen Riß zu einem neuen Beichtstuhle veranstalten, dem Pfarrer loci eine Speisekammer und was sich bei Küche und Speisekammer von selbst versteht – anlegen ließ; und wenn gleich einige naseweise Klüglinge ihm den Rath gaben, den Theilhabern der in seinem selbsteigenen Hospitale befindlichen Armen ein paar Pfennige zuzulegen, so fand er es doch weit rühmlicher, das Hospital durch eine schöne Uhr zu zieren, als diese Zulage einzuräumen, da es wohl auffallend den Vorzug verdient, ganz richtig zu wissen, wenn es Mittag ist, als etwas zu essen zu haben. – Sein Geld trug, wie sein Acker, tausendfältig, ohne daß er den Boden und alles, was sonst um und an ihm war, anders als landüblich behandelte. Die Glücksumstände unseres Freiherrn wurden zu groß, als daß sie nicht die todten Kohlen des Neides hätten ins Leben hauchen und sie glühend machen sollen, obgleich der Kohlendampf den Neidern oft mehr als den Beneideten schadet. Der gemeine Mann schrieb in beliebter Kürze und Einfalt dieses fast unerklärliche Glück dem Alp zu, der nicht allein drückt, sondern auch beglückt; die Philosophen damaliger Zeit behaupteten: es hätte sich im Rosenthal'schen Schlosse ein Schatz gefunden; die Juristen, die am seltensten den Punkt treffen, waren der federleichten Meinung: er hätte seine Schwäger bei der Theilung hintergangen; die Politiker sagten sich ins Ohr: er wäre ein Spion und geheimer Briefträger einer benachbarten Macht; die Theologen, die er Ehren halber weidlich bewirthete, machten alle jene Aus- und Einfälle durch die fromme Belehrung caput: Gottes Segen, an dem alles gelegen sey, habe ihn reich gemacht ohne Mühe! – Niemand traf den Nagel auf den Kopf; und freilich konnte man so leicht nicht errathen, daß allein die frommen Wünsche und Einlenkungen der Unterirdischen dieß Hans so glücklich machten. Diese Unterirdischen hatten ihre Wohnung in dieß Schloß verlegt, und zwar wegen eines unangenehmen Vorfalles, der ihnen in ihrem vorigen Quartier zugestoßen war. (Bekanntlich sind kleine Leute sehr leicht aufzubringen.) Den Schwergläubigen unter meinen Lesern zu Nutz und Frommen bemerk' ich, daß die Unterirdischen angeblich kleine, fingerlange Menschlein seyn sollen, die mit einer unbeschreiblichen Leichtigkeit in ihre unterirdische Wohnung hinab und zu uns herauf kommen und, wenn sie um uns sind, sich mit der leichtesten Mühe, und fast natürlich, unsichtbar machen können. Sie haben die vortrefflichsten Augen, die ihnen selbst in der Dämmerung und bei Nacht nicht ungetreu werden. Ach! nicht nur zwischen Himmel und Erde, sondern auch in und unter der Erde gehen, nach alter Rosenthal'scher Meinung, Dinge vor, die keinem Philosophen – ausgenommen den Grafen Gabalis – geträumt haben! Wer hörte nicht, wenn am schwülen Sommertage, wo der Hirsch nach frischem Wasser schrie, die Natur sich schnell mit Flor überzog, so wie der Hof, wenn der Fürst das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselt? Wer hörte nicht beim Donner und Blitz, bei Hagel und Schlossen und dem heftigsten Sturme seine pfeifende Stimmen, die so ein alter grauer Kerl, wie der Sturm, um alles in der Welt nicht herauszugurgeln im Stande ist? Wer vernahm nicht fürchterlich heisere Stimmen, die zuletzt nur pfiffen und zischten? Und wer zweifelt an der unerschütterlichen eisernen Brust des Sturms, dem es schier eine Kleinigkeit ist, alles Stimmbegabte und den tapfersten Bassisten zu überkreischen? – Wer kann es erklären, wenn Hunde, oft mir nichts dir nichts, anschlagen und ihre Leute aus dem angrenzenden Quartiere durch ein Feldgeschrei ins Gewehr rufen und, wie es uns dünkt, ohne alle Ursache schneidend heulen und jammernd wehklagen? – O, des gräßlichen Weh's, das in diesen Klagen liegt! – Wer sah nicht Fenster zittern und beben, ohne daß weder Schlossen noch ein heftiger Regen dazu Anlaß gaben? – Wem blitzte nicht oft ein kalter Schauer durch alle Glieder, obgleich nichts als ein sanftes, fast unmerkliches Säuseln in der Luft seine Nerven berührte? – Wie oft wimmern nicht unsere Hausthiere und selbst das Schooßhündchen (das sich doch nicht sicherer befinden kann), ohne allen körperlichen Schmerz und ohne alle Luftveränderung? – Wer wird nicht aufmerksam gemacht durch so manchen Aufruhr unter dem Federvieh, der ohne Schatten von Ursachen entstand? – Wer kann es erläutern, warum die ältesten hölzernen Mobilien, die alle mögliche Jahreszeiten ein ganzes Säculum hindurch und länger erduldeten, die von Großmutter auf Mutter, und von Mutter auf Tochter vererbt wurden, auf einmal in Laute ausbrechen, über die ein Feldmarschall aufspringt und derentwegen der gespensterungläubige Philosoph die Feder fallen läßt, die er sich in sechs Minuten nicht aufzuheben getraut? – Wenn nicht Besuche von Unsichtbaren hieran Schuld sind, was kann es sonst seyn?

Längst hätte der Mensch die Hunde, an die er sich so unerklärlich gewöhnt, mit dem Hunderechte, das diese Creaturen, so gut wie die Tauben das ihrige, behaupten, aufgegeben; längst hätte der Mensch eine Balanz von Kosten und Vortheil gezogen und das augenscheinlichste Mißverhältniß zwischen den Diensten der Hunde und dem Aufwande, den man ihretwegen treibt, überschlagen – wenn Hunde nicht so sichere Witterung von dergleichen Erscheinungen hätten. – Eine Abschweifung! Wahr! allein ein Auszug von fünfzig Folioseiten meiner Legendennachrichten, bei dem meine Leser nichts verloren haben. Damit wir indeß unsere Fingermenschen nicht unter den Händen verlieren, so setzt meine Tradition zum voraus, daß sie gar gern sich in Schlössern aufhalten, je älter je besser; nur müssen diese Schlösser bewohnt seyn, weil die Menschlein sich gar zu gern mit Menschen messen, und, wiewohl fast unsichtbar, ihres Umganges genießen. Ein besonderes Völkchen! So lange hat man vergebens Eldorado gesucht, und es bis jetzt nirgends als in Romanzen gefunden; – unter der Erde ist es, ihr Herren Sucher und Versucher! – Ach! glaubt mir – nirgends anders, als unter der Erde!

Ob übrigens etwa eine Verwünschung, die in dergleichen alten Gebäuden zu Hause gehört, an der Figur unserer Kleinen Schuld sey, oder ob wirklich dergleichen Geschöpfe gleich anfänglich und schon bei der Schöpfung so klein gewesen, das bleibt in meinen Nachrichten weislich oder unweislich unbemerkt. Allenfalls müßte D. Swift darüber Auskunft geben. – Daß ihrer weder bei einem Tagwerk in der Schöpfungsgeschichte Mosis, noch bei dem Inventario von dem Kasten Noä der alten Welt, noch vermittelst einer Registratur bei dem Rosenthalschen Kasten Noä gedacht worden, ist nicht zu läugnen; indeß können solche Kleine leicht von Geschichtschreibern übersehen worden seyn, besonders da sie sich so gerne verstecken und die Gewohnheit haben, mit den Menschen Blindekuh zu spielen. Sie leiden nichts mehr, als das Wiedervergeltungsrecht, wenn sie übersehen werden. Genug, dergleichen Fingerlein, wie man sie in der Familie nannte, befanden sich bei oder unter dem altväterischen Schlosse des Herrn Freiherrn Adam Sem Ham Japhet, Freiherrn von Rosenthal. Schon zu seines Herrn Großvaters Zeiten hielten sie ihren Einzug in dieses Schloß; und so sehr man sich auch Mühe gab, die eigentliche Ursache zu ergründen, welche die Fingerlein bewogen haben könnte, diese Wanderung vorzunehmen, so war dennoch dieses Geheimniß nicht zum Stehen zu bringen. Man hielt die Familie in dem Schlosse, dem die Fingerlein den kleinen Rücken zugekehrt hatten, für eine der glücklichsten im Lande, ohne daß sie wußte, wie sie zu diesem Segen kam. Was sie anfing, ging fort, wie die Weiden an den Wasserbächen; – ihre Rechnung war ohne Wirth gemacht, und doch richtig. Selbst der Neid schwieg. »Der Himmel gibt es ihnen im Schlafe;« mehr getraute er sich nicht ihnen nachzureden. O, des beneidenswerthen Glücks! Nach dieser böslichen Verlassung ging es der Familie nicht viel anders, als dem Kreuz- und Querträger Hiob; doch mit dem Unterschiede, daß sie nicht wie er zu sagen vermochte: Ende gut, alles gut. Man konnte nicht ausfahren, ohne ein Rad zu brechen; nicht bei dem Fürsten des Landes essen, ohne von einer bauchlauten (ventriloque) Kolik übel geplagt zu werden. Ward etwas Kluges gesprochen, so überfiel die Cavaliere ein so schläfriges Gähnen, daß sie wegen dieser Idiosynkrasie zum Sprichwort wurden. Gegen die Fräulein, die sich so geheim zu halten wußten, wie eins im Lande, hatte man, der äußersten jungfräulichen Behutsamkeit ungeachtet; in puncto puncti gar übel Verdacht, so daß nicht Stern, nicht Glück weiter, in der Familie war. Der Name dieser verlassenen Familie ist nicht mehr unter den Lebendigen, und hauset nur noch auf Leichensteinen und in Gebeinhäusern, wo man, wiewohl doch nur sehr verstümmelte Ueberbleibsel ihrer vorigen Bedeutung findet; – denn selbst im Grabe hörte die Rache der Unterirdischen dießmal nicht auf! – Diebe haben die Hauptstücke dieser Grabesherrlichkeiten verfälscht und Donner und Blitz sich an den Ruinen auf eine so gewaltsame Weise vergriffen, daß diese Ruinen (wenn man den elenden Ueberbleibseln ja diesen Ehrennamen verstatten wollte) nur Schrecken und Rache verkündigen. – Einer von den Fingerlein, und wie man sagt nicht der geringste, kam zum Großvater des Adam Sem Ham Japhet Freiherrn von Rosenthal früh Morgens um drei Uhr. Den eigentlichen Tag hat man nicht ausfindig machen können; indeß soll es entweder der kürzeste oder der längste im Jahre gewesen seyn. Sonst wird bemerkt, daß die Fingerlein in der Regel des Morgens zwischen zwei und drei Uhr ihren Anzug zu melden und zwischen elf und zwölf Uhr Nachts Abschied zu nehmen gewohnt wären. Sie wurden von dem Großvater mit Freuden auf- und angenommen; wer wird sich auch nicht freuen, Gäste in seinem Hause zu haben, die mehr einbringen, als kosten? Man hört, man sieht sie nicht; bloß Sonntagskindern war es gegeben, sie zu erblicken, und nur diese wußten ein Wort von ihnen zu seiner Zeit zu erzählen. Zwar gaben sie keine verabredete Miethe; indeß strömte dem Großvater Geld und Gut von allen Ecken und Enden zu, er und sein ganzes Haus gingen auf einer Art Rosen, die keine Dornen hatte, man lebte, wie man sagt, in floribus. – Der Großvater, ward der Glückliche genannt, und all sein Dichten, all sein Trachten ging herrlich von statten. Die Erbschaft dieses Glückes fiel seinem Sohne glücklichen Andenkens zu, und auch sein Enkel Adam Sem Ham Japhet grünte und blühte, so daß der Wohlstand der von Rosenthalschen Familie weit und breit bekannt und des Redens und Singens darüber kein Ende war – Sela!

So war und blieb es, bis ein durchlauchtiges Beilager unter den Fingerlein sich ereignete, der erste Vorfall dieser Art, den man bei Familiengedenken erlebte. Zwar sind es bloß Bruchstücke, die man von der Sache weiß; ist es indeß überhaupt mehr als Bruchstück, was von den Fingerlein mit Bestand Rechtens gewußt und erzählt werden kann? Selbst da, wo sie Wohnung machen, haben nur drei, sieben, höchstens neun und allerhöchstens zehn von dem Geheimniß ihres Aufenthalts Wissenschaft. Das Geheimniß der Zahlen ist nicht jedermanns Ding. Die wenigsten Menschen verstehen Drei zu zählen; Geweihte kennen Sieben und Neun, und Auserwählte, deren es in der ganzen Welt nicht über drei, höchstens sieben, geben kann, haben es bis Zehn gebracht. Die zahlreichen Betrachtungen, die meine Tradition bei dieser Gelegenheit preisgibt, muß ich übergehen, um den extraordinären Gesandten, der des Morgens zwischen zwei und drei Uhr am freiherrlich von Rosenthalschen Ehebette seine Cour machte, nicht länger warten zu lassen. Unser Herr Adam Sem Ham und Japhet legte bei dieser Gelegenheit keinen Beweis der ihm beiwohnenden Entschlossenheit ab; denn er fiel, unter uns gesagt, in ein so panisches Schrecken, daß die Frau Gemahlin ihm ein Riechfläschchen holen mußte. Auch wär' er sicher und gewiß in seinen Sünden geblieben und auf der Stelle Todes verblichen, wenn etwa, Gott sey bei uns! ein Riese als Gesandter erschienen wäre. Se. Excellenz verbaten mit unausdrücklicher Höflichkeit diese Riecherei, da sie Dero Nerven zu sehr angriffe; und es war ein Glück, daß unser Adam Sem Ham Japhet sich schon von selbst erholt und frischen Muth geschöpft hatte, würde er sonst wohl im Staude gewesen seyn, Nase und Ohren zu öffnen, um zu vernehmen, weß Geistes Kind der Gesandte wäre? Diejenigen aus meiner Lesewelt, welche glauben, daß dieser Ambassadeur extraordinaire etwa den Auftrag gehabt, zur Hochzeit einzuladen, kennen die Weise der Fingerlein noch nicht. Ihre Art und Sitte verdiente wohl einen besondern Folianten, den ich, wenn sie mir die Ehre erweisen und das alte Haus auf meinem Gute zu beziehen geruhen wollten, sehr gern ex officio schreiben würde. Das wenigste wär' es, mir bei diesem Anlaß von diesen Hochmögenden ein Privilegium exclusivum auszuwirken, dergestalt und also, daß alle Nachdrucker dieser Schrift den Nachdruck zur ewigen Scham und Schande an ihrem Leibe tragen müßten. – Wer weiß, was sie mir unter der Hand von wegen dieses Riesen von §. schon jetzt zu Gefallen thun –! Wornach man sich zu achten und vor Schaden zu hüten hat! Kommt Zeit, kommt Rath.

Se. Excellenz nieseten wegen des Geruchs, der Sie hart angegriffen, dreimal, und erbaten Sich (damit ich meine Leser nicht aufhalte) den Saal, der beinahe über das ganze Schloß ging und der den Fingerlein schon in vorigen Zeiten bei festlichen Anlässen war eingeräumt worden. Gern ward er bewilligt, und eben so gern die Bitte, daß sich niemand unterstehen sollte, auch nur durch die kleinste Ritze sich einen Blick zu Schulden kommen zu lassen. Der Frau Baronin Gnaden war bei dieser Gelegenheit, als eine in das Fingerleingeheimniß längst eingeweihte, nicht nur eben so schnell, sondern noch vorschneller, auf die Bitte der Fingerlein in Absicht des Saales ein deutliches und aufrichtiges Ja anzugeloben. Wenn es indeß auf Beweise ankäme, daß unsere Damen überhaupt zum Ja und wir zum Nein geneigter sind, so könnte dieser Vorfall zu keinem Belege dienen, denn die zweite Bitte blieb hinterlistig unbeantwortet, und es war allerdings ein großer Fehler, daß seine Fingerleinsche Excellenz, ohne über den zweiten Punkt dieß Ja auch von der gnädigen Frau zu vernehmen, sich bloß mit dem Ja des Herrn Barons begnügte, um, wie diese Excellenz sich gar zierlich und manierlich ausdrückte, sich dankbarlichst zu beurlauben. Da die Fingerlein schon vorher oft bei solchen Feierlichkeiten den altväterischen gothisch-prächtigen Saal inne gehabt hatten, ohne durch ein neugieriges Auge gestört zu werden, so glaubten Se. Excellenz unfehlbar, keiner so großen Peinlichkeit zu bedürfen, und welcher Gesandte wird auch gleich einem Notario publico jurato und immatriculato, ein Protokoll über seinen Auftrag aufnehmen, oder, wie ein Testamentsdeputirter, die Fragdreistigkeit besitzen, die sich bis auf den Umstand erstreckt: ob auch respective der Herr Testator und die Frau Testatricin sich bei gesundem Verstande befinden? Si vales bene est, ego valeo: (Wenn die Herren nur bei gesunden Sinnen sind; ich befinde mich Gott Lob ganz wohl!) ist keine unschickliche Antwort, die einst bei einer solchen Fraggelegenheit fiel.

Der Tag erscheint. Die meisten Hausbedienten werden verschickt; und, um so viele Hindernisse, wie nur möglich, aus dem Wege zu räumen, wird den übrigen, männlichen und weiblichen Geschlechts, ein froher Tag gemacht. Sie sollten über die Freude (wie es gemeiniglich der Fall mit der Freude zu seyn pflegt) der Neugierde ausweichen. Die Traurigkeit ist unaufhörlich neugierig, welches, wie ich fast glaube, der Drang der Hoffnung verursacht. – Die freiherrliche Familie selbst behalf sich mit kalter Küche, da der Koch, der von höchst neugieriger Complexion war, verschickt und aus dem Schloß entfernt werden mußte, ob er gleich, so wie der eben so neugierige Nachtwächter, sehr gern an dem frohen Tage des Hausgesindes theilgenommen hätte und wirklich darum ansuchte, indeß abschlägig beschieden ward. Herr und Dame des Hauses unterhielten sich, wie wohl nicht anders zu vermuthen ist, von dem Feste der Fingerlein, welches diese in großer Stille anfingen, bis nach drei Stunden, gegen ihre sonstige Gewohnheit, alles ins Laute ausbrach, woraus man aber, wie die gnädige Frau sich ausdrückte, keinen Vers machen konnte. Da sie indeß, weil dießmal alles außer der Weise ging, lüstern auf einen Vers war, so ging es hier wie mit Adam und Eva im Paradiese. Man sagt, unser Adam würde nun und nimmermehr nachgegeben haben, wenn nicht die Stunde des Rendezvous mit einer Kammerzofe der Frau Gemahlin gekommen wäre, die sich unvermerkt von ihrem großen Feste schleichen sollte, um dem gnädigen Herrn ein kleines zu geben. Er hatte es darauf angelegt, daß Eva eine Promenade machen und ihn allein lassen sollte; allein der Mann denkt, die Frau lenkt. Was war zu thun? Sie schützte Kopfweh vor, das die Damen gleich bei der Hand haben, wenn sie nicht spazieren gehen wollen. »Meinethalben,« sagte Adam, da die gnädige Frau dringend vorstellte und bat, und da es dem gnädigen Schäfer so vorkam, als hörte er schon die Schäferin lauschen – »Meinethalben,« wiederholte er stärker, und er würde es zum drittenmal sogar geschrien haben, wenn die gnädige Frau so viel Zeit gehabt hätte, das drittemal abzuwarten. Wohl ihm; denn es war schon ein Viertel über die verabredete Schäferstunde. – Adam aß vom verbotenen Baum, während daß Eva in einen Apfel anderer Art biß. Auf Strümpfen schlich sie sich an das heilige Schlüsselloch. O, des unglücklichen, des dreimal unglücklichen Ganges! Kaum hatte sie ihr Auge eingepaßt, so ging alles her, wie bei einem Ameisenhaufen, den man durch einen Stock aufschreckt. Die Lichter wurden mit Mund und Händen ausgelöscht, und in weniger als drei Minuten war alles aus, und zum unseligen Ende.

Bei dieser Stelle entfiel meiner Erzählerin, einer wohlbeleibten Matrone der von Rosenthalschen Familie, der letzte Zahn, den sie mit einer solchen Rührung in ihren Nähbeutel begrub, daß ich nicht wußte, worüber ich hier am ersten und besten condoliren sollte. Ich will hoffen, daß man dieser Geschichte das Zahnlose ansehen wird, denn sonst liegt die Schuld an mir, und nicht an der Erzählerin, die nach dem Leichenpomp ihres Weisheitszahnes fortfuhr, wie folget.

Die bestürzte Baronin kam zu ihrem Gemahle, der sein Zimmer aus Furcht vor einem Nachschlüssel verriegelt hatte – was sie um so weniger befremdete, da er in dem Geschrei stand, daß er Betstunden hielte. – »Betstunden?« – Allerdings! Ist es etwa das erstemal, daß diese sich in Schäferstunden verwandeln –? Die gnädige Frau mußte es sich gefallen lassen, einen Umweg zu nehmen; und auch von dieser Seite waren Riegel vorgeschoben. In der großen Verlegenheit, worin sie sich befand, fiel ihr die Verlegenheit des Herrn Gemahls nicht auf, der nicht Zeit und Raum hatte, die Zofe wo anders, als in seinem Bücherschränke zu verbergen – und ihr nicht viel weniger zerstreut, als sie es selbst war, entgegen kam. Gewiß würde er, nach der Männer Weise, über den Sündenfall der Frau Gemahlin ein lauteres Zeter erhoben haben, wenn er nicht noch vom verbotenen Apfel den Mund voll gehabt hätte. Nach dem ersten Schreck, der nun allmählig vorüberging, fand die Baronin manchen Trostgrund in der Nähe und in der Ferne, den sie ihrem Gemahl mittheilte; indeß hatte er wegen des Bücherschrankes dringenden Anlaß, diese Tröstungen in einem andern Zimmer zu vernehmen und ihnen nach und nach beizutreten. Besonders beruhigte es ihn, daß die Augen der Frau Eva gar nicht waren aufgethan worden, und daß sie weder Gutes noch Böses, sondern gerade gar nichts gesehen hatte. – Umsonst! Nach neun Tagen zwischen 11 und 12 Uhr erschien der Bote, der den Abzug eröffnete und zugleich das Todesurtheil des Ambassadeur extraordinaire beiläufig bekannt zu machen, in commissis hatte. »Ach!« sagte der bedrängte Baron, »darum zu sterben, weil man nur einmal Ja gehört hat!« Die Baronin war in Verzweiflung, an dem Tode eines Ministers Schuld zu seyn, der es an Gefälligkeit und Höflichkeit gewiß nicht hatte ermangeln lassen. Sie nahm sich die Erlaubniß, von seinen letzten Stunden Nachricht einzuziehen und zu fragen, ob er durch einen Geistlichen zum Richtplatz wäre begleitet worden? Zu ihrem nicht kleinen Troste erfuhr sie, daß er mit größerer Resignation, als viele, welche diesen Weg vor ihm gingen, den Richtplatz bestiegen und der gnädigen Eva das hinterlistig zurückgehaltene Ja mit christlicher Fassung vergeben und nicht vorbehalten hätte. »Was ist mein Verbrechen?« sagte mit andern Worten der wohlselig Hingerichtete zu den Umstehenden. »Verrieth ich mein Vaterland? Sucht' ich Wittwen und Waisen in falschem Justizspiel um das Ihrige zu bringen? Ward ich reich auf Kosten des Dürftigen? Machte ich, wie Necker, Rechnungen ohne Wirth? Ward ich Minister, weil ich eine schöne Frau hatte, oder weil mich der Castrat, oder der Harfenist, oder sonst ein bedeutender Hofschranze dem Monarchen empfahl? Verführt' ich Weiber oder Töchter, indem ich Männer, Väter und Brüder durch Aemter und Pensionen gewann oder einschläferte? Macht' ich einen Lahmen zum Ballet-, oder einen Tauben zum Kapellmeister? Gab ich als Staatsdiener den Menschen auf? Der Mensch ist schön, die Menschheit ist erhaben; nur ein Haufen Menschen, ein Menschenkomplott, taugt gemeiniglich wenig oder gar nichts. – Vielleicht wird es mit der Zeit besser, wozu indeß unser guter Oberhofprediger und seine schwere und leichte Infanterie und Cavallerie sicherlich nie etwas beitragen werden. – Das Reich Gottes ist in euch, sagt der weiseste aller Lehrer auf Erden. – Ihr wißt mein Verbrechen: ich fragte nicht, was sich von selbst verstand; ich glaubte, daß unter Einem Ja, wie bei der Ehe, sich tausend Ja's von selbst verständen; ich bedachte nicht, daß Weiber zwar nicht böse, indeß neugierig sind. – Ich fluche ihr nicht, der guten Eva der Oberwelt; ich segne sie vielmehr. Sie ist keine aus der siebenten Bitte; ihr Fehler ist Leichtsinn: und wer ist davon frei bei Lebhaftigkeit und Offenheit des Charakters –? Man frage sie, was sie weiß! und ich gebe mehr als ein Leben hin (falls ich mehr als das Eine hätte, dessen Faden man gewaltsam abzureißen im Begriffe steht), wenn sie das mindeste gesehen hat. Ihr schönes, großes Auge ist viel zu stolz, um sich sogleich in ein Schlüsselloch einpassen zu lassen. Brachte sie einen Nach-, einen Diebsschlüssel in Anwendung? Bediente sie sich nicht vielmehr des allen Weibern zustehenden Rechtes des Schlüssellochs, das ihnen wegen der Untreue der meisten Ehemänner durchaus nicht zu entziehen ist? Ich sterbe, nicht weil die Baronin gesehen hat, sondern weil sie hätte sehen können; so wie die meisten des Beispiels halben zum Schaffot geführt werden – und diese sterben dann als Heilige, als Märtyrer der Gesetze. So, Freunde, sterb' auch ich. Ich murre nicht; ich danke meinen Richtern; sie thaten, was sie zu thun schuldig waren; ich danke den Gesetzen, sie sind nicht für einen einzelnen, sondern für alle Fälle gegeben. Gin Gesetz auf den gegenwärtigen Fall gemacht, ist ein Machtspruch, und ein altes ist selten oder gar nicht anwendbar! Was taugt also die Justiz? – Ich danke dem Gesalbten, der bei der ganzen Sache kein anderes Interesse genommen, als daß er sich die Mühe gegeben, seinen Namen zu unterschreiben. Der seinige möge dafür, und zwar kalligraphischer, eingeschrieben werden in allen unsern Jahrbüchern bis auf den jüngsten Tag! – Mein Andenken kann nicht in Unsegen unter euch bleiben; – und an meinem Blute hat niemand Schuld, als der Moloch, der Staat, der sich so viele seiner Kinder opfern läßt. Selten schlachtet er wie Brutus; Nero und seines Gleichen sind seine Vorbilder. – Doch wie? ich schelte, weil man mich schilt? Ich vergelte Böses mit Bösem, und bin ungehalten, weil ich leide? – Wohlan, meine Lieben! ich will segnen; und es ist nicht gut, daß bisweilen Einer stirbt für Viele –? Ich verzeihe allen, die mir je unrecht thaten; verzeihet auch mir! Und ihr, die ihr euch für beleidigt hieltet, Große und Kleine, Vornehme und Geringe, vergebt, so wird euch vergeben! Wer kann wissen, wie oft er fehle –? Laßt uns versöhnt scheiden! – Was ist am Leben? Die höchste Lebensweisheit ist: an den Tod denken und sterben lernen. – Geht! ich werde heute examinirt, und ich hoffe zu bestehen in der Wahrheit. Im Tode fällt der Schein: die Schminke wird abgewischt, und wir sind in eigener Person sichtbar. Starb doch die Königin Maria als eine Heldin, welche eine andere Königin, die Putzhändlerin Elisabeth, zwar rechtskräftig, aber doch bloß darum mordete – weil Maria schöner war als sie! Starben doch so viele Menschen – ohne daß die Gesetze einen Buchstaben, geschweige denn den Geist auf sie bringen konnten – bloß durch feile Richter! Heil mir! das Gesetz, daß mich verurtheilt, ist so ziemlich klar; – ganz klar ist fast keine, wenn es mit dem Fakto zusammen gepaßt wird. Niemand ist vor seinem Tode glücklich, sagte Solon; im Tode sind wir alle glücklich – alle! Guter Oberhofprediger, alle! – Ich sterbe. – Jeder, wer mich hört und sieht, wird auch sterben. – Ich habe in einer Viertelstunde vollbracht (bei diesen Worten bereitete sich der Scharf und Nachrichter vor, indem er seinen rothen Mantel von sich warf und sich mit dem blinkenden Schwert fürchterlich in Positur setzte), und über den Häuptern dieser Trauerversammlung schwebt noch immer der Fels des Sisyphus. Ich bin nach wenigen Augenblicken gewesen, und die meisten unter ihnen werden nach Stunden, Tagen und Jahren gewesen seyn! Gewesen!! Wer sein Leben lieb hat, wie können den Ananas, Caviar, Austern, Forellen, Haselhühner und dergleichen reizen? Der Gedanke, daß er auf den Tod sitzt, vergällt ihm alles. (Der Scharf- und Nachrichter winkte seinem geistlichen Collegen, dem Oberhofprediger; dieser verstand den Wink, und bat Se. Excellenz, sich kurz zu fassen. –) Kurz und gut! Lebt wohl, vergeßt mich nicht, nehmt euch meines Weibes und meiner Kinder an. Der älteste ist der nächste zur Schwadron bei den grünen Husaren, und sein Bruder will sich den Rechten widmen. Freilich könnt' er etwas Klügeres thun. Der Stabsrittmeister ist keinem vorgezogen; er hat die gewöhnliche Schule gemacht, und war drei Jahre Junker, ehe er Cornet ward. Lebt wohl!«

Die arme Baronin war dreimal in Ohnmacht gefallen, und hatte sich dreimal erholt. Der Oberhofprediger loci hatte eine sehr rührende Beschreibung von diesem Vorgange und den Wirkungen seiner Bemühungen zum Preise der göttlichen Gnade edirt – worüber sich die Baronin nicht der heißesten, bittersten Thränen enthalten konnte; und es war ein Glück daß etwas vorkam, worüber sie weinen konnte, denn eine neue Ohnmacht rückte heran, und hätte sich ohne den Ableiter des Oberhofpredigers gewiß nicht abweisen lassen. Die Furchtsamkeit des Barons bei der Anmeldung, das Riechfläschchen und die Ohnmacht des wohlseligen Herrn Ministers, die ihn, als hätte er Knoblauchsgeruch eingesogen, anwandelte, wurden jetzt als die treffendsten Omina anerkannt, und der Engel des Todes schien nicht ungehalten über die Langwierigkeit dieses Wortwechsels, da die wohlselige Excellenz sein Vetter war, und da er ungern zu seinem eigentlichen Auftrage schreiten mochte. – Endlich ermannte er sich. Die Schuld ist getheilt, fing er ex abrupto an; der Sohn, den die Frau des Hauses unter ihrem Herzen trägt, wird unglücklich, und ein Dritttheil der Familie, ohne Unterschied, ob fräulich oder männlich, trägt die Zeichen unzeitiger Neugierde am Leibe sichtbarlich. »Sichtbarlich!« seufzte die Baronin. Sichtbarlich, wiederholte der Unglücksbote. »Unglücklich!« fuhr der Baron fort. Unglücklich, hallte der Würgengel nach. – Beides ist Ja und Amen worden. Das Unglück des unschuldigen Sohnes, den die Baronin unter ihrem Herzen trug, traf leider zu seiner Zeit baar und richtig ein, so wie man überhaupt die Erfahrung haben will, daß prophezeietes Unglück sich richtiger, als verkündigtes Glück, einstellen soll. Was die Zeichen der unzeitigen Neugierde betrifft, welche ein Dritttheil der Nachkommenschaft, ohne Unterschied, ob fräulich oder männlich, am Leibe zu tragen verflucht ward, so ist auch dieser Fluch erfüllt bis auf den heutigen Tag. Da indeß die Damen der Sichtbarkeit aller solcher Auswüchse mächtiglich zu widerstreben pflegen, so würde die höchste Rechenkammer in der Welt, die doch in Rücksicht der Auswüchse eine unverkennbare Stärke besitzt, das eine Dritttheil arithmetisch herauszubringen Mühe haben. – Noch einen Fluch hauchte unser Thaumaturge aus, der den auf das Alterthum seiner Familie so stolzen Baron bei der Pusillanimität, die ihn wieder anwandelte, völlig zu Boden schlug. Sein Stamm nämlich sollte, nach hundert Jahren und sieben Tagen sein Ende erreichen. Die Baronin, welcher das Zeichen am Leibe und das Unglück ihres noch ungebornen Sohnes bis zum Verstummen nahe gingen, wollte den kleinen Gesandten bestechen und ihm eine Pathenstelle antragen, zu welchem Ende sie sich seinen Vornamen erbat; indeß er gab auf alle diese Höflichkeitserweisungen kein Wort, raunte dem Baron etwas ins Ohr (worüber die arme Frau in Puncto eines artigen jungen Herrn, der sie vor der Schwangerschaft sehr oft zu besuchen nicht ermangelte und jetzt, da sein Regiment – er war Fähnrich – ein entlegenes Standquartier erhalten hatte, nur schriftlich aufwarten konnte, sich allerlei Gedanken machte, ob es gleich nichts mehr und nichts weniger als die Bibliotheken-Geschichte war) – und nun verschwand er wie gewöhnlich – vor ihm Tag, hinter ihm Nacht. –

Das Säculum ist abgelaufen, ohne daß es diesem Familienzweige an Stammhaltern und Männern gebricht, die vor dem Riß stehen; woraus sich denn ergibt, daß die neueren Propheten unter diesem kleinen Volke eben den schlechten Ruf verdienen, wie die bei uns, oder daß ihre Jahre eine andere Breite und Länge haben müssen, als die man auf der Oberwelt zu kennen das Vergnügen hat. Sind doch schon die Jahrwochen des Propheten Daniel aus einem ganz anderen Kalender zu berechnen! – Vielleicht interpretirt man ihre Orakel, so wie die unsrigen, mehr aus dem Erfolg, als aus der Anzeige! – Bei Gesetzen und Prophezeiungen thut immer, die Auslegung das beste. Vielleicht schien dieser Familienzweig auch nur zu leben, da er, genau genommen, längst lebendig tobt war. In der That vegetirte ein großer Theil der Familie bloß, und schon ein gemeiner Geistlicher wäre im Stande gewesen, diese Weissagung bei so bewandten Umständen pünktlich erfüllt zu finden. – Was kümmert mich indeß jenes Fingerlein-Säculum, da das unsrige, welches sein Haupt neigt, alle Säcula in der Ober- und Unterwelt zu Spott und Schanden macht! – Und wer kann das Wort Säculum ohne ein: Steh, Wanderer! aussprechen? Nicht wahr? das beste ist, so lange in Sprichworten zu reden, bis unser Stündlein kommt – und sich in Legenden zu zerstreuen, bis die Morgenröthe der Wahrheit aufgeht. – Wozu mich das Wort Säculum bringt? – Noch hab' ich zwei

Legenden:

Eine

vom ungebornen Unglücklichen;

und die andere

vom Gevatterstande.

Beide sind bestimmt, diesen Paragraphen, welcher der Form nach gewiß kein Fingerlein ist, noch näher zu erläutern.

Legende vom Gevatterstande.

Den Fingerlein geht es, wie der Gelehrsamkeit: beide haben die Gewohnheit, sich bei gewissen Familien einzuquartieren und mit dem zu begnügen, was da ist. So geschah es denn, daß die Fingerlein, nachdem sie jenes von Rosenthalsche Schloß mit den kleinen Rücken angesehen hatten, ihre Wohnung in einem andern eben derselben Familie aufschlugen und durch die Fourierschützen das Quartier einrichten ließen. Je länger sie hier hauseten, je zufriedener wurden sie mit ihrem Wirthe und seiner Gemahlin, so daß sie, wenn sie es gleich wollten, ihren inneren Hang, mit beiden sich näher zu verbinden, nicht bergen konnten. Zwar ging es so weit nicht, wie vor der betrübten Sündfluth, wo die Kinder Gottes nach den Töchtern der Menschen sahen, wie sie schön waren, und zu Weibern nahmen, welche sie wollten; indeß brachen die Fingerlein oft die Gelegenheit vom Zaun, um dem Herrn oder der Frau des Hauses einen Besuch abzulegen, der, ob er gleich durch keine Erfrischungen aufgeheitert ward, ungewöhnlich lange währte und dem guten Baron, noch mehr aber seiner Gemahlin, der mit keinem Fingerlein gedient war, lästig fiel. – Unsre beiden Eheleute wurden oft von dem schrecklichen Gedanken ergriffen, ob die Fingerlein nicht etwa eine Gegenvisite verlangen würden, welche ihnen einer Höllenfahrt nicht unähnlich schien; indeß trösteten sie sich mit dem Umstande, daß ihre Gäste sich jederzeit ein Gewerbe bei diesen Visiten machten, so daß keine derselben zwecklos, leer und aus bloßem Ceremoniell gemacht zu seyn schien. Die Baronin befand, sich, mit Vorbewußt, gepflogenem Rath und angewandter That des Herrn Gemahls, in gesegneter Verfassung, und näherte sich ihrer Entbindung, so daß bereits eine von den berühmtesten Wehemüttern der Gegend sich gegen Wartgeld im Hause aufhielt, und der Geistliche seit vier Wochen jeden Sonntag für Geld und gute Worte um eine glückliche Entbindung der Frau Kirchenpatronin gebetet hatte. Eines Morgens erschien ein Abgeordneter, welcher der Baronin eine baldige glückliche Entbindung wünschte, und es nicht etwa bloß fallen ließ, sondern pünktlich den Antrag that, daß eine Dame fürstlichen Standes bei der Taufe zu Gevatter gebeten werden möchte. – Dieses Verlangen kam der armen Dame so unerwartet, daß sie, bei der großen Verlegenheit, in welche sie fiel, sich nicht anders zu helfen wußte, als daß sie sich zu ihrer Erklärung drei Tage Befristung erbat, um während dieser Zeit dem Herrn Gemahl darüber Vortrag thun und gemeinschaftlich mit ihm einen Entschluß fassen zu können. Der Abgeordnete lächelte dienstfreundlich, als wollte er sagen: er wisse wohl, daß dieser Aufschub bloß zu einem Vorwande diene, indem es auch unter der Erde Sitte sey, daß nicht die Damen, sondern die Herren die Referendarien in Hausangelegenheiten wären. Bei dieser Gelegenheit erfuhr die Baronin, daß das Kind, welches sie unter ihrem Herzen trug, ein Fräulein sey; denn Ihro Hochfürstliche Durchlaucht hoffte, daß man Ehre dem Ehre gebühre erweisen, und nach wohlhergebrachtem Gebrauch ihr, als der Vornehmsten in der Gesellschaft, aus christlicher Demuth nachlassen würde, das neugeborne Fräulein über der Taufe zu halten. Bloß die Angst, die bei diesem Umstande am höchsten stieg, hielt die gute Baronin zurück, laut zu lachen. Das kleinste Menschenkind, dachte sie, ist ein Riese gegen Ihro Hochfürstliche Durchlaucht; und es war in der That ein Glück für die gute Dame, daß sie so dachte, und daß die Angst dem Lachen den Weg vertrat; denn ganz ohne alle Veranlassung fing jetzt der Abgeordnete an, die Hauptstücke des christlichen Glaubens zu beten, und sang darauf den Glauben so wörtlich und treu, daß wenn hier nicht die Frömmigkeit, wie vorher die Angst (ist der Unterschied unter beiden groß?) bei der Baronin ins Mittel getreten wäre, und das Lächeln über den possierlichen seinen Ton des Gesandten verhindert hätte, es ihr völlig unmöglich gewesen wäre, sich zurück zu halten. – Die Baronin wollte bemerkt haben, daß der Tit. Herr Abgeordnete die Bitte: Führe uns nicht in Versuchung, mit Thränen in den Augen gebetet hätte; und so schied denn unser katechismusfestes Fingerlein von dannen. Er sang den Tenor. – Den dritten Tag verfehlte er nicht, zu rechter Zeit und Stunde sich einzufinden, um die Antwort zu erfahren; und da die gnädige Frau bereits in der Dämmerung des ersten Fristtages diese Sache mit dem Herrn Gemahl, der alles, wie natürlich, der Frau Gemahlin anheimstellte, rechtskräftig abgeredet hatte: so erhielt der Herr Abgeordnete, der schon wegen seiner ersten vorläufigen, wiewohl nicht hoffnungslosen Antwort mit einem Orden verziert worden war, dessen Stern einem Fixstern ähnlich blitzte, ein volles Ja. – – Beiläufig ward jetzt noch die Etikette verabredet.

Ihro Hochfürstliche Durchlaucht, sagte der Herr Ritter, verlangten gar nicht eingeladen zu werden, da die Posten in der Unterwelt sehr unrichtig gingen und alles durch Gesandte und Couriere abgemacht würde. Höchstdieselben würden Sich von Selbst zu rechter früher Tageszeit einstellen; indeß müßte Ihnen eine Art von Thronhimmel mit Purpur beschlagen (wozu der Herr Abgeordnete die Zeichnung überlieferte, die vom Oberbaudepartement entworfen war) nahe am Wochenbett errichtet werden. Uebrigens würde sie, wie der Ritter es nannte, nur beitreten, und beifassen, so daß immer eine andere Dame das Kind vor der sichtbaren Welt halten könnte. Endlich würde sie der Frau Baronin eine besondere Wochenvisite nicht entziehen. Bei der Taufhandlung selbst wollte sie im strengsten Incognito seyn; das heißt: das Elternpaar sollte sich mit keiner Sylbe zu ihr wenden, obgleich die ihr zukommende körperliche Verbeugung (wiewohl unvermerkt) nicht erlassen ward. Das Kind sollte Banise heißen. »Banise?« Banise, erwiederte der besternte Abgeordnete, und fügte mit anständigem Ernste hinzu: Wie ich sage, Banise. – Gern hätte die Baronin diesen Namen verbeten; da indeß alle Punkte und Klauseln bereits bewilligt waren, so konnte freilich der Banisische keinen Anstand veranlassen. Nach vielem Hin- und Her-, Vor- und Nachdenken erinnerte sich unser freiherrliches Ehepaar des Umstandes, daß die Gemahlin des Adam Sem Ham Japhet den Gesandten des Fluchs mit einer Pathenstelle bestechen wollte, der er aber, ob sie gleich sich gar höflich seinen Vornamen erbat, mit einer Art von Verachtung auswich; und so war die Vermuthung nicht unrichtig, daß jener Vorfall Gelegenheit zu dem gegenwärtigen gegeben, der immer mitlaufen können, wenn nur der verwünschte Name Banise nicht das Spiel verdorben hätte. Nie war die Wöchnerin, die sonst immer schwere Geburten gehabt, so leicht abgekommen. Die weise Frau bediente sich des merkwürdigen Ausdrucks, sie nähme dießmal das Honorarium mit Sünden; und der Baron, der, er wußte selbst nicht warum, sich eine Tochter gewünscht hatte, war vor Freuden außer sich. – Die vornehmsten Personen der Gegend wurden zu Taufzeugen erkoren, und als der Tauftag erschien, der unsichtbaren Fürstin ihr besonderer Sitz nach der eingehändigten Zeichnung des Oberbaudepartements hingestellt. Dieser Sitz gehörte, wenn gleich eine unsichtbare Person ihm die Ehre erweisen wollte, ihn einzunehmen, doch zu den sichtbaren Dingen, und war so wenig das vornehmste darunter, daß vielmehr dessen Possierlichkeit einem jeden, der Autorität des Oberbaudepartements ungeachtet, auffiel. Besonders konnte die Gräfin v. **, die an sich eine stolze, übermüthige Dame war, nicht umhin zu wünschen, sie möchte das Schooßhündchen kennen lernen, welches hier ruhen würde. Die Sechswöchnerin sah sich einer Nothlügenverlegenheit ausgesetzt, und gab dieß Unwesen für Spielzeug ihres jüngsten Sohnes aus, der indeß, als er es nur betasten wollte, sehr ernstlich von diesem Noli me tangere abgewiesen ward. Natürlich stand der Name Banise obenan, und commandirte die sechs anderen, welche dem Fräulein sonst beigelegt werden sollten. Die Gräfin, die noch vor der heiligen Taufe diesen Umstand erfuhr oder erfahren mußte, weil sie sich darnach erkundigte, ließ des Namens Banise halber, da er ihrem Namen vorzutreten die Dreistigkeit hatte, ihrer Spottlaune noch mehr freien Lauf; und da sie es nicht wagen wollte, sich nach der Ursache dieses wildfremden Namens zu erkundigen (den sie aus dem Blitz-, Donner und Hagelroman vortheilhafter zu kennen Gelegenheit nehmen können, falls dieser Roman damals schon existirt hätte), so ersah sie sich (nach Art des Unwillens, der immer unruhig einen Gegenstand sucht, auf den er seine Pfeile schießen kann) den fürstlichen Sitz zum Ziel. – Die vornehmste und kleinste Taufzeugin trat mit dem Geistlichen zu gleicher Zeit ins Zimmer. Der Baronin, die sich durch die Stachelreden der Gräfin bis jetzt nicht im mindesten hatte verstimmen lassen, fiel die Figur der Fürstin nicht wenig auf. Ihro Durchlaucht erschienen nicht en parure, sondern in Krönungspracht; die Königin Elisabeth hätte ihr an Ziererei weichen müssen. Es war ohnehin die erste Dame von den Fingerlein, welche die Baronin jemals sah. – Der Reifrock war erschrecklich, und der ganze Anputz kam der aufgeweckten Wöchnerin so abenteuerlich vor, daß sie Mühe hatte, ernsthaft zu bleiben. Das Derrière des Dames,