Kriegs-Kultur - Martin van Creveld - E-Book

Kriegs-Kultur E-Book

Martin van Creveld

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Beschreibung

Vom Wesen des Krieges Der Krieg hat seine eigene kulturelle Welt hervorgebracht: Trotz aller technischen Entwicklungen im Lauf der Geschichte ist sein Wesen gleich geblieben. Der bekannte israelische Militärhistoriker Martin van Creveld sieht im Krieg eine Konstante menschlichen Verhaltens. Kriegslose Zeiten, so seine Überzeugung, werde es niemals geben. Seit der europäischen Aufklärung wurde der Krieg als bloße Weiterführung der Politik mit anderen Mitteln, also als Verfolgung von im Wesentlichen rationalen politischen Zielen angesehen. Genau dieser Ansicht stellt sich van Creveld entgegen. Die Wurzeln des Krieges sind allgemeinmenschliche – vor allem psychologische – und daher bleiben die anthropologischen Konstanten des Krieges im Wesentlichen immer gleich – trotz aller Veränderungen der Waffen, Taktik, Ausrüstung und des zivilisatorischen Standes. Er hat eine ganz eigene kulturelle Welt hervorgebracht, mit besonderen Regeln, Bräuchen, Uniformen, Paraden, Ehrenkodices, die heute weitgehend als irrational und archaisch abgelehnt werden. Wenn sie aber aus allgemeinmenschlichen Konstanten herrühren, werden sie auch in Zukunft Gültigkeit behalten. Von der Kriegsbemalung zu den Tarnanzügen, von Bumerangs zu Bastionen: Menschliches Verhalten im Krieg bleibt gleich – vom Kriegsgeschrei am Beginn bis zu den Möglichkeiten und Optionen zur Beendigung eines Krieges. In weiteren Kapiteln widmet sich der Autor dem Verhältnis von Geschichte und Krieg, der Spiegelung des Krieges in Literatur, Kunst und Denkmälern und schließlich der Frage, wie der Krieg – und der Friede – der Zukunft aussehen könnte.

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MARTIN VAN CREVELD

Kriegs-Kultur

Martin van Creveld

Kriegs-Kultur

Warum wir kämpfen:

Die tiefen Wurzelnbewaffneter Konflikte

Umschlaggestaltung: DSR – Digitalstudio Rypka GmbH, Dobl, Thomas Hofer, www.rypka.at

Bildnachweis – Umschlagabb. Vorderseite: Ullstein-Bilderdienst (2) / Umschlagabb. Rückseite: Archiv des Verlags

Wir haben uns bemüht, bei den hier verwendeten Bildern die Rechteinhaber ausfindig zu machen. Falls es dessen ungeachtet Bildrechte geben sollte, die wir nicht recherchieren konnten, bitten wir um Nachricht an den Verlag. Berechtigte Ansprüche werden im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.

Titel der Originalausgabe: The Culture of War. Published in the United States by Presidio Press, an imprint of The Random House Publishing Group, a division of Random House, Inc., New York 1988. Copyright © 2008 by Martin van Creveld

Aus dem Englischen ins Deutsche übertragen von Andreas Model

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://.dnb.d-nb.de abrufbar.

Auf Wunsch senden wir Ihnen gerne kostenlos unser Verlagsverzeichnis zu:Ares Verlag GmbHHofgasse 5 / Postfach 438A-8011 GrazTel.: +43 (0)316/82 16 36Fax: +43 (0)316/83 56 12E-Mail: [email protected]

ISBN 978-3-902475-97-8

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

© Copyright der deutschen Erstausgabe: Ares Verlag, Graz 2011

Layout: Ecotext-Verlag, Mag. G. Schneeweiß-Arnoldstein, 1010 WienGesamtherstellung: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. Stefan

Inhalt

Einleitung

I. Vorbereitung auf den Krieg

1. Von Kriegsbemalung zu Tigeranzügen

2. Von Bumerangs zu Festungen

3. Die Ausbildung der Krieger

4. Kriegsspiele

II. Im Krieg und in der Schlacht

5. Erste Spielzüge

6. Die Freude am Kämpfen

7. Die Regeln des Krieges

8. Die Beendigung des Krieges

III. Gedenken an den Krieg

9. Geschichte und Krieg

10. Literatur und Krieg

11. Kunst und Krieg

12. Denkmäler für den Krieg

IV. Eine Welt ohne Krieg?

13. Eine kurze Geschichte des Friedens

14. Das Ende der großen Kriege

15. Jenseits des Erlaubten

16. Quo vadis, Mensch?

V. Kontraste

17. Die wilde Horde

18. Die seelenlose Maschine

19. Männer ohne Rückgrat

20. Feminismus

Schlussbetrachtung: Das große Paradoxon

Danksagungen

Anmerkungen

Einführung

Die Vorbereitung des Krieges

Im Krieg und in der Schlacht

Gedenken an den Krieg

Eine Welt ohne Krieg?

Kontraste

Schlussfolgerung: Das große Paradoxon

Über den Autor

Bildnachweis

Namenregister

Einleitung

Theoretisch ist Krieg lediglich ein Mittel zum Zweck; eine rationale, wenn auch sehr brutale Aktivität, die den Interessen einer Gruppe von Menschen dienen soll, indem die Gegner dieser Gruppe getötet, verwundet oder auf andere Weise handlungsunfähig gemacht werden.1 Tatsächlich könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein. Sogar die Wirtschaftswissenschaftler gestehen mittlerweile ein, dass Menschen – einschließlich Krieger und Soldaten – keine Maschinen sind, die nur nach Profit streben. Zahlreiche Fakten belegen, dass der Krieg als solcher eine mächtige Faszination ausübt – eine, die ihre größte Wirkung auf die Teilnehmer hat, aber keineswegs auf sie allein beschränkt ist. Der Kampf selber kann eine Quelle der Freude, eventuell sogar die größte Freude von allen sein. Aus dieser Faszination entstand eine ganze Kultur, die sie umgibt und umhegt. Wie jede andere Kultur besteht die mit dem Krieg verbundene Kultur im Wesentlichen aus „nutzlosem“ Spiel, Dekoration und Affektiertheiten jeder Art; zuweilen werden Affektiertheiten, Dekoration und Spiele sogar übertrieben bis hin zu einem widersinnigen Ausmaß.2 So ist es immer gewesen, und so wird es vermutlich immer bleiben.

Eine ausführliche Diskussion über die Kriegskultur würde nicht ein einzelnes Buch, sondern eine ganze Bibliothek erfordern. Die betreffende Kultur reicht von den oft alles andere als zweckmäßigen Formen und Dekorationen der Rüstung (oder, vor der Erfindung von Rüstungen, der Kriegsbemalung) zu den heutigen „Tarnuniformen“ und „Tigeranzügen“; von den Kriegsspielen, die die alten Ägypter mit Spielsteinen auf speziell hergestellten Brettern spielten, bis hin zu der enormen Vielfalt der heutigen Kriegsspiele, Übungen und Manöver. Zu nennen sind weiter die göttlichen Gebote im 5. Buch Mose,3 das einige Grundregeln für die Behandlung von verschiedenen Arten von Feinden festlegte, mit denen man in bestimmten Formen des Krieges konfrontiert ist, bis hin zu den einzelnen Paragraphen des heutigen Völkerrechts. Es bezieht die Werte und Traditionen von Kriegern ein, wie sie sich in Verhalten, Sitten, Literatur, Aufzügen, Paraden und ähnlichen anderen Zeremonien manifestieren, wie auch die mannigfaltigen Formen, mittels derer Kriege erklärt bzw. förmlich beendet werden und ihrer gedacht wird.

In vielen Gesellschaften, besonders bei Stammesgesellschaften wie der von Tacitus beschriebenen, und in feudalen Gesellschaften wie in Homers Griechenland, im mittelalterlichen Europa, bei den Mamluken in Ägypten und den Samurais von Japan, genoss die Kriegskultur einen äußerst hohen Status. So sagte zum Beispiel Chrétien de Troyes in Perceval, dass sie „das Erhabenste war, das Gott geschaffen und befohlen hat“; ein französischer Ritter aus dem 16. Jahrhundert namens Brantôme, nannte die chevallerie „die Religion der Ehre“ und forderte, dass ihr Priorität gegenüber allen anderen Formen der Kultur gegeben werden sollte.4 In den heutigen, sich selbst „fortschrittlich“ nennenden Ländern hingegen genießt die Kriegskultur selten eine derartige Wertschätzung. Soldaten, Kriegsspieler, Sammler von Militaria und selbst militärische Historiker kennen die Situation. Bestenfalls wird ihre Kultur als ein wunderliches Überbleibsel einer früheren, vermutlich weniger rationalen, weniger utilitaristischen und weniger humanen Vergangenheit betrachtet. Im schlimmsten Fall wird sie bestritten, beiseitegelegt, ignoriert, lächerlich gemacht oder als kindisches „Kriegsgeschrei“ denunziert. Wie unzählige Witze über die Qualität von Nachrichtendienst, Wehrrecht, Militärmusik und sogar die militärische Kochkunst nahelegen, wird sie auch oft als laut, vulgär und roh verachtet.

Einige gehen so weit zu behaupten, dass Krieg und Kultur unvereinbare Gegensätze sind. Wie Lord Byron sehen sie nur „berstende Gehirne und blutige Eingeweide“, sobald eine Fahne gehisst wird oder ein Hornsignal erklingt, schauen weg oder halten sich die Ohren zu. Andere räumen zwar ein, dass eine Kriegskultur existiert, betrachten sie aber als Ausdruck des größten aller Übel, des „Militarismus“. Akademiker, von denen viele politisch auf der linken Seite stehen, neigen wahrscheinlich besonders zu dieser Sichtweise. Dies mag erklären, warum trotz der unbestrittenen Popularität von Werken mit Titeln wie Mittelalterliche Armeen und Rüstungen, Uniformen der Wehrmacht und Militärflugzeuge der Welt eine wissenschaftliche, umfassende Studie über dieses Thema noch geschrieben werden muss. Vielleicht erklärt es auch, warum ein Buch, dessen eigentliches Thema die „Symbole des Krieges“ in der Antike sind, völlig von Betrachtungen über Waffen, Rüstungen und Taktiken dominiert wird.5

Selbst wenn die Vorwürfe berechtigt wären, folgt daraus nicht, dass die betreffende Kultur keine sorgfältige Aufmerksamkeit verdient hätte. Der Krieg hat immer eine entscheidende und wichtige Rolle in den menschlichen Angelegenheiten gespielt. Kein Imperium, keine Zivilisation, kein Volk und keine Religion haben jemals Großes vollbracht, ohne sich, wie es ein britischer Offizier mir gegenüber einmal ausdrückte, „im Geschäft des Schlagabtausches“ auszuzeichnen. Sehr oft sind die erfolgreichsten Ideen, Religionen, Völker, Zivilisationen und Imperien einfach jene, die die meisten Geschütze zusammenbrachten und anschließend einsetzten, um die anderen zu vernichten. Umgekehrt sind nur wenige großartige Ideen, Religionen, Völker, Zivilisationen oder Imperien untergegangen, ohne dass versucht wurde, ihren Niedergang durch den Einsatz von Streitkräften zu verhindern. Auch wenn es vielen missfallen mag: Der Krieg und seine Kultur sind ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Geschichte und des menschlichen Lebens, und so wird es aller Wahrscheinlichkeit nach immer bleiben. Kriege müssen als Teil des menschlichen Lebens verstanden werden. Um verstanden zu werden, verdienen sie es, sorgfältig und nicht weniger wohlwollend als andere Aspekte menschlicher Existenz untersucht zu werden.

Wie dieses Buch zu zeigen versucht, sind all diese Anklagen gegen den Krieg häufig nicht zutreffend. Sogar heute, wo die meisten entwickelten Länder die Wehrpflicht abgeschafft haben und Berufsarmeen wieder auf dem Vormarsch sind, trennt die meisten Menschen keine scharfe Linie von den Soldaten.6 Es ist richtig, dass die Soldaten keine homogene Masse sind. Einige mögen sogar unempfindlich, gefühllos und vulgär sein. Doch es gibt absolut keinen Grund zu glauben, dass solche Männer beim Militär häufiger als in anderen Bereichen vertreten sind; umgekehrt könnte man argumentieren, dass so viele „zivilisierte“ Menschen sich auch deshalb mit kultivierten Dingen beschäftigen können, weil es Soldaten gibt, die die Drecksarbeit für sie erledigen. So können nur Vorurteile erklären, warum die Kultur, die sie geschaffen haben und von der sie umgeben sind, so oft als minderwertig im Vergleich zu der von anderen Gemeinschaften betrachtet wird; mag es sich um Priester, Kaufleute, Berufstätige, Arbeiter, Weiße, Schwarze, Frauen oder auch um Menschen handeln, die sich von einer Krebserkrankung erholen.

In Wahrheit sind Kriegsbemalung, Rüstung, Uniformen und Waffen genauso interessant, haben eine ebenso lange Geschichte und sind genauso eng mit jedem Aspekt der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung verbunden wie die zivile Kleidung. Militärische Zeremonien sind nicht weniger hoch entwickelt und symbolträchtig wie zivile Zeremonien – oft haben sie sogar als Vorbilder für die Letzteren gedient. Es ist wahr, dass das Gesetz des Krieges oft ignoriert, verletzt oder als Fassade verwendet worden ist, um die Interessen der Menschen kaltblütig zu rechtfertigen; doch das Gleiche gilt für alle anderen Gesetze, die zur Regulierung irgendeines bestimmten Bereichs entwickelt wurden. Von Homer bis hin zu Lincolns Ansprache in Gettysburg hat der Krieg mit seinen unvergleichlichen Triumphen und der damit verbundenen unermesslichen Trauer stets herausragende literarische Werke inspiriert. Dies trifft in gleicher Weise auf die zu seinem Andenken errichteten Monumente zu – von der Nike von Samothrake bis hin zu der schwarzen V-förmigen Gedenkstätte an den Vietnamkrieg in Washington.

Viele von denjenen, die verächtlich auf die Kriegskultur schauen, können als bloße Snobs abgetan werden bzw. als Menschen, die – zu ihrem eigenen Glück – keine Ahnung davon haben, was Krieg ist. Einige von jenen, die sie vorsätzlich ignorieren, wissen ebenfalls nichts darüber, sie sind allerdings – zu unser aller Unglück – viel gefährlicher. Ich beziehe mich hierbei auf die selbststilisierten „Neorealisten“, boshaften Kreaturen, die den Krieg allen Ernstes für die Fortsetzung der Politik halten (bzw. für die Fortsetzung bürokratischer Kämpfe um Budgets). Da sie selber nie gedient haben, sind sie sich nicht bewusst, dass der Krieg das Höchste aller Opfer verlangt und dass er von Menschen aus Fleisch und Blut geführt wird. Von ihren bequemen Schreibtischstühlen aus befassen sie sich mit bloßen Abstraktionen. Sie verschließen ihre Augen gegenüber allem, was nicht mit „Nützlichkeit“ und „Interesse“ zu tun hat, betrachten die betreffende Kultur als irrelevant im Vergleich zum „eigentlichen“ Geschäft und behandeln sie dementsprechend. Unter ihnen sind manche, die hohe Posten in Washington und anderen Hauptstädten innehaben und die Macht haben, ihre Mitbürger in einen Krieg zu verwickeln, wenn es ihnen gerade passt.

Zwar stimmt, dass, wie bei jeder Art von Kultur, vieles von dem, was mit Krieg zu tun hat, vernunftwidrig ist und zu keiner (wie auch immer gearteten) Nützlichkeitserwägung passt. Doch diese Tatsache reduziert ihre Bedeutung nicht im Geringsten. Ein Grund dafür liegt darin, dass der Krieg ohne seine „nutzlose“ Kultur zu einer bloßen Gewaltorgie entartet, der keine Organisation, kein Zweck und kein Sinn zugrundeliegt. Natürlich hat es im Laufe der Geschichte immer wieder solche Orgien gegeben. Zuweilen haben sich einige der besten Armeen in der Geschichte ihrer schuldig gemacht. Die Disziplin wurde aufgegeben, die Kontrolle verloren, und das Ergebnis war eine blinde Wutorgie. Doch solche Exzesse machen keinen Krieg aus. Im Allgemeinen fehlt jenen, die nicht imstande sind, zwischen beidem zu unterscheiden, das Wissen um die gutorganisierten und vernünftig geführten Armeen mit all ihrem sperrigen kulturellen Beiwerk.

Dies bringt uns zu dem eigentlichen Grund, warum die Kriegskultur wichtig ist, nämlich die entscheidende Rolle, die sie bei der Überwindung der natürlichen Neigung des Menschen spielt, Gefahr zu meiden oder vor ihr zu fliehen, während sie ihn zur gleichen Zeit darauf vorbereitet, das höchste Opfer zu erbringen, falls und wenn es erforderlich ist. Truppen jeder Art können darauf vorbereitet werden, zu diesem oder jenem Zweck zu töten, zu rauben und zu zerstören. Sie können auch mit allem ausgestattet sein, was zum Erreichen dieser Ziele erforderlich ist: Ressourcen, Menschen, Organisation, Ausrüstung, was auch immer. Trotzdem werden sie bestenfalls unbrauchbar sein, wenn sie nicht zugleich darauf vorbereitet werden, sich der Natur zu widersetzen und ihr Leben zu riskieren.

Zugegebenermaßen ist an Pattons Witzelei, der zufolge der Zweck des Kriegs darin läge, den anderen für sein Land sterben zu lassen, ein großes Stück Wahrheit; dennoch ist sie nur eine Halbwahrheit. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Experten, die sich aus Unkenntnis oder Dünkel weigern, die Kriegskultur ernst zu nehmen, einen so gravierenden Fehler begehen, dass man alles bezweifeln möchte, was sie sagen, schreiben oder diesbezüglich tun mögen. Eine Anekdote über den deutschen Generalstabschef Alfred von Schlieffen (1893-1905) bringt es auf den Punkt. Er beschied einmal einem nörgelnden Kritiker, es laufe alles auf die Frage hinaus, wie man gewinnen könne.

Die Struktur dieses Buches ist wie folgt angelegt: Teil I befasst sich mit der Kriegskultur, wie sie sich in normalen Zeiten zeigt. Dies beinhaltet die Dekoration der militärischen Uniform und Ausrüstung, die Vermittlung und Über tragung von kriegerischen Werten an militärischen Bildungsstätten jeglicher Art und die zahlreichen Übungen und Spiele, deren Ziel darin besteht, auf den Krieg vorzubereiten und ihn zu simulieren. Teil II handelt von der Kultur, wie sie während Feindseligkeiten beobachtet werden kann, wozu der Übergang in den Krieg und die Schlacht, die Freude am Kämpfen, die Regeln des Krieges und der Übergang vom Krieg zurück zum Frieden gehören. Teil III beschreibt kurz die Kultur, die in der Folge des Krieges geschaffen worden ist, und zwar in der Form von Denkmälern, Literatur, Filmen, Museen usw. Teil IV konzentriert sich auf die Zivilisation seit 1945 – die so genannte postmoderne, postmilitärische, postheroische Zivilisation. Hier ist mein Ziel, zu zeigen, dass eine Welt ohne Krieg nicht vorstellbar ist. Im Gegenteil, jedes der in den verschiedenen Teilen des Buches erörterten Elemente bleibt lebendig und existent. Obwohl sie oft mit Verachtung behandelt und manchmal verdrängt werden, sind sie unterschwellig vorhanden und warten nur darauf, zum Vorschein zu kommen.

Soviel zu den historischen Teilen dieses Buches. Aber worauf müssen wir uns im Fall der Abwesenheit einer Kriegskultur gefasst machen? Diese Frage zu beantworten, ist der Zweck des fünften und letzten Teils. Hier liegt der Fokus auf einigen Aspekten, die immer als direkter Widerspruch zu der betreffenden Kultur verstanden worden sind; gemeint sind die wilde Horde, die seelenlose Maschine, Männer ohne Rückgrat und Feminismus.

Mein Anliegen ist doppelter Natur. Zunächst will ich die Vertreter der verschiedensten „-ismen“ ein für allemal widerlegen: Relativisten, Dekonstruktivisten, Destruktivisten, Postmodernisten, Pazifisten der larmoyanten Art sowie Feministinnen. Ohne diesen Menschen zu nahe treten zu wollen: Es existiert nicht nur eine Kriegskultur, sondern sie ist zum großen Teil großartig und allemal einer Untersuchung wert. Darüber hinaus ist sie in vielerlei Hinsicht im Grunde genommen über alle Zeiten und Orte die Gleiche geblieben. In gewissem Sinn ist mein Ziel genau das Gegenteil des Buches von John Keegan in A History of Warfare (1993). Er versucht zu zeigen, dass wenn sich die Kultur wandelt, sich auch die Art und Weise der Kriegführung ändern muss. Ich dagegen will im Gegenteil zeigen, dass einige sehr grundlegende Dinge unverändert geblieben sind, und zwar trotz aller Veränderungen der Waffen, Taktiken usw.

Ich will die Münze umdrehen und den „Neorealisten“ entgegentreten. Wenn sie sich fast ausschließlich auf Informationen, Kapazitäten, Waffensysteme und auf „strikte Strategie“ konzentrieren, wie der Herausgeber einer sehr bekannten Fachzeitschrift in diesem Bereich sagt, beweisen sie nur ihre eigene Unfähigkeit, die dem Krieg zugrundeliegenden Motivationen zu verstehen, geschweige denn ihn zu führen. Im Gegensatz dazu besteht mein Ziel darin, beim Studium des Krieges all die wichtigen Dinge zu berücksichtigen, die sie wie schon ihr Schreibgehilfe Clausewitz dabei übersehen haben. Ich stehe damit in Opposition zu beiden Seiten des politisch-kulturellen Spektrums, also den eher sentimentalen Linken und den „nüchternen“ Rechten. Aber ich habe schon immer Gefallen an einem guten Kampf gefunden.

I.Vorbereitung auf den Krieg

Clausewitz ging, wie oben bereits angesprochen, davon aus, das Krieg theoretisch lediglich ein Mittel zum Zweck sei; eine rationale, wenn auch sehr brutale Aktivität, die den Interessen einer Gruppe von Menschen dienen soll, indem die Gegner dieser Gruppe handlungsunfähig gemacht werden. Wir stellten in diesem Zusammenhang fest, dass nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte. Ob Krieg profitabel ist, ist oft bezweifelt worden. Doch seine Fähigkeit, Männer und auf andere Weise auch Frauen zu faszinieren, steht außer Frage. Über jeden Tag, den der Erste Weltkrieg andauerte, wurden mehrere Bücher geschrieben und werden immer weitere geschrieben; müsste jemand alle Filme sehen, die jemals über den Zweiten Weltkrieg gedreht worden sind, dann würde dies zweifellos Jahre dauern. Mehr als jeder andere Faktor ist es diese Faszination, die für die unglaublichen Summen und das enorme kreative Talent verantwortlich ist, die oft in die Dekorierung der Männer bzw. ihrer Ausrüstung und Waffen investiert wurden. Andere Aspekte der Kriegskultur umfassen die Vorbereitung von Soldaten auf die Schlacht wie auch die Entwicklung und Umsetzung von Kriegsspielen verschiedenster Art; selbst zu dem Punkt, wo, von einem rein militärischen Standpunkt aus gesehen, die Investition zuweilen widersinnig war.

1. Von Kriegsbemalung zu Tigeranzügen

Naheliegenderweise sollten Männer in möglichst sparsamer, zweckorientierter Art und Weise in den Krieg ziehen – denn ist nicht der Krieg die Verschwenderischste aller menschlichen Aktivitäten? In der Realität tun sie oft genau das Gegenteil und bedecken sich mit kunstvollen Dekorationen, deren Anlegen Stunden, ja Tage dauern kann. Soweit wir in die Vorgeschichte zurückblicken können, ist die Kriegsbemalung immer ein Bestandteil der Kultur von Stammesgesellschaften gewesen.1 Ursprünglich mag diese Farbe nur für den Feldzug bestimmt gewesen sein und trug so dazu bei, eine deutliche Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden zu schaffen. Wie bei so vielen anderen Elementen im Hinblick auf das, was wir als Kriegskultur bezeichnet haben, folgte daraus auch hier die Verwendung für zeremonielle Zwecke bei anderen Gelegenheiten, und zwar in einer derartigen Weise, dass es schwer zu sagen ist, ob der Krieg die Kultur durchdrungen hat oder die Kultur den Krieg.

Normalerweise wurden zur Bemalung die örtlich verfügbaren Materialien verwendet, besonders pflanzliche, die mit kleinen Mengen an anorganischen Substanzen zu einem Pulver gemahlen oder zerstampft wurden. Zuweilen wurden die Farben auch auf dem Handelswege erworben. Unter den Indianern Nordamerikas war Zinnoberrot sehr begehrt; in den Jahren 1756–1763 zählte es zu den Gütern, mit denen sowohl die Franzosen wie auch die Briten ihre indianischen Verbündeten bezahlten. Normalerweise wurde es mit den Fingern aufgebracht, zuweilen wurden freilich auch speziell dafür entwickelte Utensilien benutzt. Zu den beabsichtigten Wirkungen gehörte die Magie – einigen Elementen wurde die Fähigkeit nachgesagt, ihre Träger zu beschützen –, zudem sollten sie Furcht erregen und dienten bis zu einem gewissen Grad als Erkennungsmerkmale.

Normalerweise durfte jeder Krieger sich nach eigenem Gutdünken bemalen, indes hatte jeder Stamm auch sein eigenes Muster als Erkennungsmerkmal. Die Sioux benutzten Rot, die Crows Weiß. Der furchterregende Ruf der Catawba aus Carolina kann etwas mit der asymmetrischen Art zu tun gehabt haben, wie sie ihre Gesichter bemalten. Ein Auge wurde von einem weißen Kreis, das andere von einem schwarzen umgeben; der Rest wurde zusätzlich geschwärzt. Oft zeigten verschiedene Farben verschiedene Stimmungen an. So stand zum Beispiel unter den Cherokee die rote Farbe für Sieg, Blau stand für die Niederlage oder Schwierigkeiten, Schwarz für den Tod und Weiß für Ruhe, Frieden und Glück. Sehr oft wurden ganze Mythologien geschaffen, um zu erklären, warum ein Volk diese oder jene Farbe für diesen oder jenen Zweck auflegen musste. Allzu häufig aber dienten solche Geschichten lediglich zur Verschleierung der Tatsache, dass die Wahl der jeweiligen Farbe in Wirklichkeit völlig beliebig war.

Ursprünglich reisten und kämpften die Indianer Nordamerikas zu Fuß. Sobald aber Pferde genutzt wurden, wurden die gleichen Farben bei ihnen verwendet. Sie wurden symmetrisch auf beiden Seiten ihrer Körper bemalt, wobei jede Seite dieselbe Geschichte erzählte. Zu den verwendeten Symbolen zählten Kreise um eines oder beide Augen des Pferds, wohl um sie bedrohlicher wirken zu lassen, wie auch lange Zickzacklinien, die Blitze symbolisierten, anscheinend mit der Absicht, Kraft und Geschwindigkeit darzustellen und den Feind zu erschrecken. Die verschiedenen Symbole waren nicht isoliert, sie bauten aufeinander auf. Sie formten oder sollten eine Form bilden; ein Ganzes, das seinen Schöpfern harmonisch erschien, selbst wenn es auf Außenstehende befremdlich wirkte.

Was auf die Indianer Nordamerikas zutraf, galt in gleicher Weise für andere Stammesgesellschaften in der ganzen Welt – obwohl vor der Ankunft des weißen Mannes nur wenige von der Existenz anderer gewusst haben können. Weder die Zulus in Südafrika noch die Sioux in Süddakota zogen so in den Kampf, wie ihre Götter sie geschaffen hatten. Das Gleiche gilt für die Einheimischen Neuguineas und Kämpfer überall in Polynesien wie auch für die Krieger der zahllosen Stämme in der Region, die heute als Lateinamerika bekannt ist. Stattdessen bedeckten sie ihre Körper mit dekorativen Mustern und/oder speziellen Haartrachten wie im Fall der Meru aus Kenia. Sehr oft wurde die Farbe nicht einfach angelegt, sondern durch schmerzhafte Tätowierungen im Rahmen von Initiationsriten permanent angebracht, die ihrerseits zu den Unterscheidungsmerkmalen der Krieger gehörten. Zum Beispiel bedeckten Britenkrieger um die Zeit von Christi Geburt große Teile ihrer Körper mit Tierzeichnungen. Dies verlieh ihnen eine bläuliche Färbung und ließ sie, wie Julius Cäsar meinte, „in der Schlacht furchterregend wirken“.2 Die römischen Legionäre brauchten nicht lange, um diese Praxis zu übernehmen. In den nächsten Jahrhunderten verbreitete sie sich überall im Imperium, bis der erste christliche Kaiser, Konstantin I., sie verurteilte, weil er der Meinung war, sie stehe im Widerspruch zu „Gottes Werk“.

Die Verwendung von Farbe, um das Erscheinungsbild von Männern und Tieren im Krieg zu verändern, ist auch keineswegs auf die „barbarischen“ Völker beschränkt, deren Zeugnisse häufig in ethnologischen Museen anzutreffen sind. So färbten britische Regimenter im 18. Jahrhundert ihre Pferde, damit sie ihnen ähnlich sahen. Diese ursprünglich für Paraden entwickelte Praxis setzte sich manchmal bei Feldzügen fort, auch wenn es für die Gesundheit der Tiere schädlich war, weshalb sie 1811 schließlich verboten wurde.3 Später in diesem Jahrhundert wurden französische Offiziere, deren Schnurrbärte blond waren, angewiesen, sie mit Schuhcreme zu schwärzen. In den heutigen Armeen ist Kriegsbemalung immer noch in Verwendung – so häufig, dass sie oft als Synonym für die Vorbereitung auf den Kampf verwendet wird. Mindestens zwei Bücher, nämlich Khaki Become You? von Cynthia Enloe und The New American Militarism von Andrew Bacevich haben Titelbilder von jungen Soldaten, Frauen wie auch Männer, deren Gesichter mit einem grünlich-schwarzen Muster bemalt sind. Ein drittes, Bill Goshens autobiographischer Roman über seine Kriegserlebnisse in Vietnam, nutzt die Wörter „war paint“ (Kriegsbemalung) sogar als seinen Titel.4

Für Stammesvölker lag ein Grund für die Verwendung von Kriegsbemalung darin, magische Kräfte zu nutzen, entweder um sich selbst zu schützen oder um dem Feind zu schaden. Andere eher praktische Gründe mögen darin bestehen, für Tarnung zu sorgen – besonders bei nächtlichen Einsätzen, Hinterhalten und Überraschungsangriffen – oder den Feind zu erschrecken. In der modernen Welt ist die Situation noch komplizierter. Auf der einen Seite, da die meisten Menschen sich ihres klaren Verstandes rühmen und nicht länger dem Aberglauben anhängen, trifft die Erklärung der magischen Kräfte (angeblich) nicht länger zu. Da andererseits die meisten Soldaten längst nicht mehr im Nahkampf die Klingen kreuzen, sondern aus derartig großer Distanz operieren, dass sie kaum noch die Gesichter der feindlichen Truppen sehen können, treffen auch die beiden anderen Gründe nicht mehr zu. Zu den wenigen Ausnahmen – Soldaten, die noch aus nächster Nähe kämpfen – zählen Kommandotruppen. Nicht zufällig schrieb Goshen über seine Ranger-Einheit.

Dies erklärt, warum die praktische Verwendung der Kriegsbemalung in den modernen Armeen zu einem Erkennungszeichen von Elitetruppen geworden ist. Es ist manchmal von anderen Soldaten übernommen worden, die neidisch auf sie sind und sie imitieren wollen, um von dem Renommee zu partizipieren, das normalerweise für diese Elitekämpfer reserviert ist. Hinzu kommen aber auch andere Gründe. Dazu zählt die Hoffnung, Mut aus der Mitwirkung an diesem zeremoniellen Akt zu schöpfen, wie auch die Notwendigkeit, den Wechsel von einer Existenz, in der das Überleben im Allgemeinen gesichert ist, zu einem anderem Leben, wo es in ständiger Gefahr ist, zu markieren. So kompliziert ist die Mischung der Motive, die für die Verwendung der Kriegsbemalung verantwortlich ist – psychologisch, sozial, praktisch und magisch —, dass es wahrscheinlich unmöglich ist, sie voneinander getrennt zu betrachten. Das Gleiche, so werden wir bald sehen, trifft auf fast jedes andere Element in der Kriegskultur zu.

In unzähligen Gesellschaften wurde die Kriegsbemalung, ob nun auf die Haut aufgetragen oder permanent eintätowiert, durch andere Formen der Dekoration ergänzt. Vogelfedern oder Tierschwänze, Ringe aller Art und Form, Stücke von Knochen oder Holz oder Metall, die durch die Nase oder die Ohren gestoßen wurden, Hörner oder Klauen und Zähne von verschiedenen Tieren, die als Kopfschmuck verwendet und als Halsketten getragen wurden – all dies und vieles andere wurde genutzt. Wie bei den Tätowierungen diente dies ganz unterschiedlichen Zwecken. Ein Grund war wahrscheinlich, die Krieger größer und wilder aussehen zu lassen, als sie in Wirklichkeit waren. Ein anderer bestand darin, dafür zu sorgen, dass die Eigenschaften der Tiere, deren Körperteile auf diese Art in die Schlacht getragen wurden, auf die Kämpfer übertragen würden. Ein weiterer war noch immer der Gedanke, schützende Magie ins Spiel zu bringen, um den Träger unverwundbar zu machen. In Nord- und Südamerika, Mikronesien, Polynesien, Neuguinea, Neuseeland und großen Teilen von Südostasien gehörten dazu auch getrocknete, geschrumpfte oder eingelegte Körperteile des Feindes, die bei früheren Kämpfen getötet worden waren und nun dazu dienten, die Tapferkeit des Trägers zu demonstrieren.

Moderne Soldaten führen in Feldzügen selten echte Wertsachen mit sich, abgesehen von Gegenständen mit ideellem Wert wie Bildern von Ehefrauen, Kindern, Freundinnen und Ähnlichem. Die Mitglieder von älteren Gesellschaften verhielten sich oft ganz anders. Wenn sie in den Krieg zogen, nahmen sie ihre gesamte Habe mit, trugen sie an sich und stellten sie möglichst auffallend zu Schau. Zum Teil hatten sie keine andere Wahl; schließlich gab es keine Banken, oft nicht einmal permanente Wohnsitze, wo sie ihre Habe verwahren konnten und sicher waren, das sie noch da ist, wenn sie zurückkehrten. Andererseits war das Mitnehmen all ihrer wertvollen Gegenstände vielleicht ein Weg, um sich selber Mut zu machen. Noch nach der Schlacht am Nil im Jahre 1798 sah man Napoleons Soldaten im Fluss nach den Leichen ihrer Feinde suchen, um sie um die Gold- und Silbermünzen zu erleichtern, die sie in ihren Taschen trugen.5

Die Zeiten, in denen die Krieger vieler Völker mehr oder weniger nackt kämpften, waren längst vorbei. Stattdessen bedeckten sie sich mit Kleidung aller Art, die ihnen Schutz gab; mit anderen Worten: sie trugen eine Rüstung und eine Kopfbedeckung. Andere ergänzten dies durch das Tragen von Geräten zur Verteidigung wie beispielsweise Schilden. In dieser Studie sind wir in erster Linie an jenen Aspekten von Kleidung und Rüstung interessiert, die nicht funktionell sind, zumindest nicht in dem Sinn, dass sie strikt mit der Notwendigkeit, ihre Träger zu schützen, verbunden wären.

Historisch trugen nicht alle Krieger Schutzkleidung oder Rüstungen oder verwendeten Schilde. Im Falle von einigen, wie den römischen velites („schnellen“ Einsatztruppen), lag dies daran, dass sie lieber auf den Schutz durch ihre hohe Beweglichkeit vertrauten. Häufiger lag es vielleicht daran, dass die Menschen es sich nicht leisten konnten; je nach Zeit und Ort konnten die Preise schwanken, von wenigen Tagelöhnen bis zu einem Vermögen. Die Tatsache, dass Schutzausrüstung kostspielig war, führte auch dazu, dass sie zu einem Statussymbol wurde und den Wettstreit zwischen den Männern förderte. Schon von Anfang an verzierten jene, die Schilde und/oder Rüstungen oder Schutzkleidungen trugen, sie in der Regel mit extrem kunstvollen und häufig sehr kostspieligen Dekorationen.

Wie im Falle der Kriegsbemalung, Tätowierungen und verschiedener Objekte, die auf dem Körper getragen wurden, dienten Teile der Dekoration dazu, zu beeindrucken und zu erschrecken. Bei vielen Völkern verwendeten die Krieger Kampfanzüge, die aus den Häuten von wilden Tieren wie Tigern, Leoparden und Pumas gemacht wurden. Oft wurde der Anzug komplett mit dem Tierkopf, Glasaugen und Zähnen verwendet; das berühmteste Beispiel ist der altgriechische Halbgott Herakles, der im Kampf immer ein Löwenfell trug. Ein anderes Beispiel ist die griechische Kriegsgöttin Pallas Athene. Ihr Schild, die Ägide, bestand aus Ziegenleder. Darauf war der abgetrennte Kopf der Medusa angebracht, aus dem Schlangen anstelle von Haaren wuchsen. Dem Mythos zufolge wurde jeder, der diesen Kopf nur ansah, sofort in Stein verwandelt. Laut Sigmund Freud entstand dieser Glaube, weil er für das Unbewusste ein Sinnbild für Kastration und eine Rückkehr zum Geschlechtsorgan der Mutter war, aus dem die Menschen gekommen waren.6

Auch die Ilias enthält einige ausführliche Beschreibungen der Rüstung. Nestor trägt einen vollständig aus massivem Gold gemachten Schild (der Dichter meinte vermutlich, dass er mit einer sehr dünnen Schicht des Materials bedeckt war, andernfalls wäre er ziemlich nutzlos gewesen). Als er sich für die Schlacht vorbereitet, legt König Agamemnon „zuerst um die Beine sich bergende Schienen / Blank und schön, anschließend mit silberner Knöchelbedeckung“ an. Sein Harnisch ist genauso pachtvoll: „Ringsum wechselten zehn blauschimmernde Streifen des Stahles / Zwölf aus funkelndem Gold’, und zwanzig andre des Zinnes / Auch drei bläuliche Drachen erhuben sich gegen den Hals ihm / Beiderseits, voll Glanz wie Regenbogen, die Kronos’ Sohn in die Wolken gestellt, den redenden Menschen zum Zeichen: mit „zehn Bändern aus Emaille, zwölf aus Gold und zwanzig aus Zinn. Emaillierte Schlangen sind in Richtung des Halses gewölbt, hier auf jeder Seite, wie der Regenbogen, den Zeus fest in den Wolken als ein Zeichen für die Sterblichen anbringt“. Sein „gewaltiger, ringsbedeckender“ Schild war „Schön von Kunst: ihm liefen umher zehn eherne Kreise; / Auch umblinkten ihn zwanzig von Zinn gewölbete Nabel, / Weiß, und der mittlere war von dunkeler Bläue des Stahles. / Auch die Schreckengestalt der Gorgo drohete schlängelnd, / Mit wutfunkelndem Blick, und umher war Graun und Entsetzen. / Silbern war des Schildes Gehenk; und gräßlich auf diesem / Schlängelt ein bläulicher Drache dahin“. Vollendet wurde sein prächtiges Erscheinungsbild durch „des Helms viergipflichter Kuppel, / Von Roßhaaren umwallt“.7

Der Schild von Achilles war noch berühmter. Er war mit einem kompletten Panorama des menschlichen Lebens aus Gold, Silber, Zinn und Lapislazuli geschmückt; unter anderem zeigte es den Himmel, die Erde und den Fluss, Städte, Menschen in einer Versammlung, Szenen aus dem landwirtschaftliches Leben und vieles mehr.8

Eindeutig legen Herakles, Nestor und Agamemnon einen hohen Wert auf Dekoration. Die ersten beiden waren vermutlich bereit, sie sich etwas kosten zu lassen, während der Dritte seine Ausrüstung von dem göttlichen Schmied Hephaistos erhielt. Ihre Motive waren, soweit sie sich uns erschließen, unterschiedlicher Natur. Von den drei Schilden war jener, der Achilles gehörte, der kunstvollste und der schönste – Kunst um der Kunst willen, um einen Ausdruck der Moderne zu benutzen, den kein Grieche der Antike verstanden hätte. Agamemnons Schild sollte den Gegner in Furcht versetzen, und jener von Nestor sollte demonstrieren, wie reich und mächtig sein Eigentümer war. Alle drei Motive existierten während des Trojanischen Krieges, vor über dreitausend Jahren, und alle drei sind auch heute anzutreffen.

Wenn wir weiter im alten Griechenland verweilen, finden wir unzählige Vasen, bemalt mit Szenen von kämpfenden Kriegern und gegeneinander vorrückenden Schlachtreihen. In diesen Darstellungen können wir eindeutig sehen, wie stark die Beinschienen und die Rüstung dekoriert waren; Sokrates kritisierte an einer Stelle diese Praxis und argumentierte, dass eine eng sitzende Rüstung einer mit Silber und Gold versehenen vorzuziehen sei.9 Es war üblich, dass die Bürgersoldaten ihre eigenen Waffen stellten und die Panzerung von den Handwerkern kauften, die sie herstellten. Dies kann ein Grund dafür sein, dass, soweit wir es beurteilen können, kaum zwei von ihnen identisch sind. Einige Beinschienen und Kürasse wurden so lange bearbeitet, bis sie regelrechte Kunstwerke waren, und zeigten Reliefs von mythologischen Figuren, Tieren, Vögeln und Symbolen jeglicher Art und Beschreibung. Häufiger aber bestand ihre Dekoration nur aus ins Metall geritzten geometrischen Mustern.

Die von griechischen Kriegern getragenen Schilde unterteilen sich in drei Arten, vergoldet, hartgelötet und weiß. Als Xenophon über die Vorteile von aus Bronze gemachten Schilden im Gegensatz zu hölzernen sprach, meinte er einfach, dass sie sehr gut poliert werden könnten.10 Einige Schilde trugen geometrische Muster. Andere waren mit einer Vielzahl bedrohlicher Tiere wie Löwen, Stieren, Ebern, Widdern, Schlangen, Skorpionen, Kampfhähnen und verschiedenen Raubvögeln bemalt; das menschliche Auge war ebenfalls ein beliebtes Emblem. Die Spartaner malten gewöhnlich den Buchstaben lambda (das Kürzel des Staatsnamens für Sparta, Lacedaimon) auf die von ihnen getragenen Schilde. Doch diese Verwendung von Schilden zum Zweck der Identifikation scheint eine Ausnahme gewesen zu sein. Wahrscheinlich hängt es mit der Tatsache zusammen, dass Sparta als einziger von einigen hundert Stadtstaaten ein System pflegte, in dem die Waffen zentral gekauft und an die Truppen verteilt wurden; vielleicht sollte dieses System die Soldaten daran hindern, ihren eigenen Weg zu gehen und ihrer Neigung zum Prunk nachzugeben. Über die Art und Weise, wie Alexander und seine Nachfolger ihre Schilde dekorierten, ist weniger bekannt. Doch unsere Quellen sagen uns, dass einige Eliteeinheiten teure Schilde trugen, die aus Silber bzw. damit beschichtet waren; sie wurden dementsprechend als argyraspides bezeichnet.11

Bei den von griechischen und makedonischen Soldaten getragenen Helmen spielten ästhetische Erwägungen eine noch größere Rolle. Die Ilias enthält zahlreiche Verweise auf wehende Helmbüsche, und der berühmteste von ihnen war jener, der den Helm von Hektor schmückte und dessen kleinen Sohn Astyanax sehr in Erschrecken versetzte.12 Die Helme variierten entsprechend der Region, in der sie hergestellt wurden. Abhängig von der Identität ihrer Eigentümer, dem jeweiligen Korps des Kriegers bzw. der gesellschaftlichen Klasse des Trägers neigten sie dazu, im Laufe der Zeit immer kunstvoller zu werden, und fanden ihren Höhepunkt in jenen, die von den königlichen Wachen von Alexander und seinen Nachfolgern getragen wurden. Ihre kunstvollen Visiere, Ohren- und Halsklappen und die prunkvollen Federn reflektierten sowohl die Notwendigkeit der Erkennbarkeit beim berittenen Angriff wie auch den privilegierten Status des Kriegers. Wer diese Helme trug, riskierte, die Aufmerksamkeit feindlicher Lanzenträger auf sich zu ziehen – ein Risiko, das sich allem Anschein nach lohnte.

Im Altertum wie auch heute dürften einige der kunstvolleren bzw. kostspieligeren Stücke eher zur Kriegskultur anstatt zum Krieg selber gehört haben. Sie waren bestimmt für Paraden, zeremonielle Anlässe, die Präsentation bedeutender Persönlichkeiten voreinander und vor ihren Untergebenen oder einfach für die Vitrine. Einige waren sicherlich zu zerbrechlich, um sich für andere Zwecke zu eignen.13 Dies war jedoch keineswegs immer der Fall, und zwar aus zwei wichtigen Gründen. Erstens sagen Kommandeure und Truppen, die mit der praktischsten, billigsten Ausrüstung in den Krieg ziehen, damit auch etwas über sich selber aus, nämlich dass es ihnen an Stolz auf sich selber fehlt und dass sie nicht auf das Ergebnis vertrauen. So haben sie bereits einen psychologischen Nachteil, bevor der Kampf beginnt. Zweitens, wie wir später in dieser Studie detaillierter sehen werden, waren die meisten historischen Schlachten selber die größten Paraden von allen.

In jedem Fall sind zahlreiche Berichte überliefert, denen zufolge eine teure und reichlich dekorierte Ausrüstung oft in der Schlacht getragen und für den Kampf benutzt wurde. Von Xenophon wissen wir, dass er stets seine beste Rüstung trug. So taten es andere Kommandeure; in der Tat berichtet er darüber selber in der Anabasis.14 Wenn Livius 309 v. Chr. die Armee der Samniter beschreibt, berichtet er, dass die Hälfte ihrer fünfzigtausend Männer weißgekleidet mit Kämmen und Federn auf ihren Helmen waren. Der Anblick machte wenig Eindruck auf den römischen Kommandeur Lucius Papirius Cursor, der zu seinen Truppen sagte: „Kämme verursachen keine Wunden, und der römische Speer dringt durch bemalte und vergoldete Schilder.“15 Caesar, der auf die Habgier seiner Soldaten setzte, um sie dazu zu bringen, besser zu kämpfen, ermutigte sie, Waffen zu benutzen, die mit Gold und Silber verziert waren. Umgekehrt machte er sich 48 v. Chr. in Pharsalus Sorgen, dass die hervorragende Ausrüstung der Pompejier eine ungünstige psychologische Wirkung auf sie (seine eigenen Legionäre) haben könnte.16

Bei der Schlacht am Mons Graupius ermahnte der britische Anführer Calgacus 84 n. Chr. seine Männer: „Erschreckt nicht vor der unnützen Zurschaustellung [der römischen Truppen], vor dem Glitzern von Gold und von Silber, das weder schützen noch verletzen kann.“17 Der Autor Ammianus Marcelinus aus dem vierten Jahrhundert n. Chr. teilt uns mit, dass die Römer ihre „ausgezeichnete“ Ausrüstung benutzen, um ihre germanischen Feinde einzuschüchtern und zu beeindrucken, zuweilen sogar mit Erfolg. Vegetius fügt hinzu, dass die Rüstungen und Helme der Centurionen mit Silber geschmückt waren, so dass sie leichter durch ihre Soldaten identifiziert werden konnten.18 Tatsächlich sprechen die Beweise so überwältigend dafür, dass zumindest ein Teil der teuren Ausrüstung in der Schlacht und nicht nur bei Paraden benutzt wurde, dass man sich nur wundern kann, warum sich manche noch immer weigern, es zu glauben.

Sowohl im klassischen Griechenland als auch im republikanischen Rom waren die Soldaten normalerweise Männer bürgerlicher Herkunft, die ihre eigene Ausrüstung kauften und sie zu Hause verwahrten, um sie dann mitzubringen, wenn sie zum Wehrdienst eingezogen wurden. Vom imperialen Rom wissen wir und bei den griechischen Monarchien können wir es vermuten, dass bei ihren Berufsarmeen die meisten ihrer einfachen Soldaten aus den unteren Gesellschaftsschichten kamen; doch sogar in diesen Zeiten waren es die Legion und die Schlachtreihe, nicht die einzelne Person, die zählte.19 Wie viele erhalten gebliebene Aufzeichnungen belegen, hieß dies keineswegs, dass eine Einheitlichkeit der Kleidung und der Bewaffnung vorgeschrieben war.20 Dennoch müssen sie dem Wettbewerb der Soldaten untereinander Grenzen gesetzt haben; für Armeen, deren Stärke auf der Tatsache beruhte, dass sie in Schlachtordnungen kämpften, wäre ein derartiger Wettbewerb sehr schädlich gewesen. Die Situation in den vorfeudalen und den entstehenden feudalen Gesellschaften – zum Beispiel während des europäischen Mittelalters wie auch im System der Samurai in Japan – war ganz anders. Dort gab es kein Bürgertum. Sie wurden von adligen Kriegern dominiert, die jede Form von Regulierung ablehnten, während sie ihre persönliche Ehre und Unabhängigkeit über alles andere setzten.

Im Bereich der Ästhetik, wie auch in jedem anderen Bereich, führen solche Einstellungen aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem starken Wettbewerb zwischen den einzelnen Personen. Daher ist es nicht überraschend, dass die europäische Rüstung dieser Periode eine erstaunliche Vielfalt an Formen und Gestalten zeigte. Ausgrabungen von angelsächsischen Gräbern in Großbritannien, Gräber aus der Zeit vor den Wikingern in Skandinavien und vorkarolingische Gräber in Deutschland vermitteln ein interessantes Bild. Während jene, die die Überreste von Frauen enthalten, voller Schmuck sind, sind die von den Männern mit prunkvollen Waffen gefüllt; offensichtlich hielt man beide in gewisser Weise für gleichwertig. Von besonderem Interesse sind diesem Kontext die so genannten Spangenhelme; hohe, kegelförmige Helme, die überall in Deutschland zu finden waren und die sich auch bis nach Norditalien ausbreiteten. Viele waren vergoldet und mit Figuren von Tieren und Blumen dekoriert. Einige trugen die Spuren von Schwertschlägen, was belegt, dass sie im Kampf und nicht nur zur Zurschaustellung verwendet wurden. Die Schilder aus Holz waren ebenfalls oft reichlich verziert, mit metallenen Applikationen aus Silber oder Messing, die Raubvögel, Löwen und andere Tiere zeigten.21

Obwohl die Anzüge mit Kettenpanzern, die während des Frühmittelalters getragen wurden, schwer zu dekorieren waren, belegen bildliche Darstellungen wie der Wandteppich von Bayeux, dass die Krieger auf beiden Seiten mit mehrfarbigen, üppig verzierten Schilden in die Schlacht gingen. Die nächsten zwei Jahrhunderte erlebten eine Reihe von Weiterentwicklungen, doch die kunstvollsten wie auch die kostspieligsten Formen der Dekoration entstanden erst im 13. Jahrhundert, als Kettenpanzer durch Blech ersetzt wurden. Von nun an bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts galt die Herstellung der Rüstung als hoch entwickeltes und hoch spezialisiertes Handwerk, dessen Zentren sich in Städten wie Nürnberg, Augsburg und Mailand befanden.

Das Grundmaterial, aus dem Rüstung gemacht wurde, war Eisen, das so lange geschmiedet und gehämmert wurde, bis es nach unseren heutigen Standards zu minderwertigem Stahl geworden war. Sehr oft war es eingelegt, mit verschiedenen Mustern verziert, geschliffen und auf Hochglanz poliert. Wer es sich leisten konnte, dekorierte seine Ausrüstung mit Gold und Silber. Sie wurde mit Edelsteinen und mit allen Arten von Emblemen wie Mottos, Schriftrollen, Kronen, Krönchen, biblischen und mythologischen Figuren und anderem verziert; einige der Arbeiten basierten auf den Werken berühmter Künstler wie Daniel Hopfer, Hans Holbein (Vater und Sohn) oder Albrecht Dürer. Ein ganzes Vokabular, vieles davon nur für Experten zu verstehen, beschreibt die verschiedenen Typen: Korseletts, Kürasse, Brigantinen mit oder ohne Aufriss.

Nach dem Ende der „Kettenhemden-Periode“ im frühen 14. Jahrhundert folgt die „Surcot-Periode“ (1325–1335). Als Nächstes erleben wir die „Periode der Schienen- und beschlagenen Rüstungen“, die „Periode der Helmbrünnen und Jupons“ und die „Lancastrische Periode“.22 Da nur wenige Stücke der Rüstung aus diesen Perioden erhalten geblieben sind, beruht diese Periodisierung hauptsächlich auf den in englischen Kirchen gefundenen Messingreliefs; andere Fachleute haben ihre eigenen Systeme geschaffen. Auf die „Lancastrische Periode“ folgte wiederum die auch als „Gotische Periode“ bekannte „Tappert-Periode“, aus der viele Stücke noch erhalten sind. Wie der Name schon sagt, nahm die Rüstung kunstvolle gotische Formen an. Doch auch damit war der Höhepunkt noch nicht erreicht, denn später wurde noch geriffelt und gezahnt.

Mal wiesen die Teile, die die Füße bedeckten, Spieße an der Spitze auf – einige waren länger als die Füße selbst und müssen ihren Trägern das Gehen unmöglich gemacht haben; mal waren sie breit und flach.23 Überdies waren die Teile, die die Schultern und Ellenbogen bedecken sollten, relativ einfach; dann plötzlich hatten sie Wölbungen, die am ehesten an Blumenkohlblätter erinnerten. Auch die Panzerhandschuhe wiesen enorme Unterschiede auf. Einige hatten Gelenke, so dass die Finger einzeln bewegt werden konnten. Andere wurden wie Fausthandschuhe geformt, während andere mit ihren spitzen Dornen an der Vorderseite die heutige Punk-Kultur vorwegnahmen. Nur einige der endlosen Variationen lassen sich mit Gründen der Zweckmäßigkeit erklären. Wahrscheinlich reflektierte die große Mehrheit allgemeine Veränderungen in der Mode: Viele Rüstungshersteller versuchten, mit Metall jene Art der Dekoration zu nachzuahmen, die Menschen aus der Oberschicht auf ihren Kleidern trugen.24

Von diesen stilistischen Entwicklungen abgesehen, gab es auch regionale Unterschiede. So unterschied sich die in Italien hergestellte Rüstung, die ein charakteristisches „vierschrötiges“ Aussehen aufwies, von dem eher zart gestalteten deutschen Gegenstück. Einige moderne Wissenschaftler identifizieren viele Unterarten mit Namen wie dem Schott-Sonnenberg-Stil, dem Stil von Friedrich dem Siegreichen, dem Sanseverino-Stil und anderen. Abhängig von Zeit und Ort finden wir hohe Taillen und tiefe, hohe Halsausschnitte sowie tiefe (die im Fall der Rüstung mit Kettenhemden bedeckt wurden) Quasten und Schlitze. Einige Anzüge, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts hergestellt wurden, wiesen das ultimative Symbol der Männlichkeit, eine mächtige Schamkapsel, auf. Andere, die nur zwanzig Jahre später hergestellt wurden, sind unterhalb der Taille wie Röcke geformt, als seien sie für Ballerinen gemacht.

Wie schon in früheren Zeiten boten die Helme besondere Möglichkeiten der Zurschaustellung. Einige Helme waren schachtelförmig, andere rund, andere kegelförmig. Einige waren vorne offen, andere hatten fest angebrachte Blenden oder angehängte Blenden, die geschlossen werden konnten. Einige hatten Klappen zum Schutz der Ohren und der Rückseite des Halses, andere dagegen nicht. Wieder andere wiesen auch Fassungen auf. Einige hatten Schnäbel, um dem Feind einen scharfen Vorsprung zu präsentierten. Vermutlich um sie noch bedrohlicher wirken zu lassen, waren auf einigen Helmen aus dem 15. und 16. Jahrhundert sogar Zähne, Augenbrauen und/oder Schnurrbärte angebracht.25 Andere sollten den gleichen Effekt erzielen, indem man ihnen die Formen von verschiedenen Tieren verlieh – Löwen, Wölfe und Raubvögel waren besondere Favoriten – oder sie mit Dornen, Kämmen, Krägen und verschiedenen vogelartigen Verfahren versah, um ihre Träger größer wirken zu lassen, als sie waren. Wahrscheinlich konnte nichts, was die Krieger anzogen oder trugen, wie einfach es auch immer war, dem dekorativen Drang jener entkommen, die es schufen oder bestellten. Ein Beleg dafür sind auch die Sporen, die oft aus wertvollen Materialen hergestellt wurden oder mit ihnen belegt wurden, so dass sie zu regelrechten Kunstwerken wurden.26

Auch die Streitrosse wurden bedeckt – beinahe möchte man sagen: erstickt – mit Zierobjekten. Schon alte Quellen berichten von speziellen Teilen des Geschirrs und sogar Pferdesandalen, die aus Edelmetallen hergestellt oder auf andere Weise emailliert wurden. Im Mittelalter kamen zum Pferdegeschirr Steigbügel und Sättel hinzu. Einige der Letzteren aus Holz und Leder wurden so üppig mit Verzierungen bedeckt, dass sie aussahen wie Elfenbein; andere waren mit wertvollem Steinen gespickt.27 Während die auf dem Wandteppich von Bayeux dargestellten Pferde so erscheinen, wie sie ihr Schöpfer geschaffen hatte, waren bei einigen gegen Ende des 13. Jahrhunderts die Köpfe durch speziell angefertigte Eisenmasken mit Dornen geschützt. Später wurden auch ihre Vorderseiten und ihre Flanken mit Rüstung verkleidet, ihre Schwänze sorgfältig gestriegelt oder gestutzt, und ihre ganzen Körper wurden mit farbig bestickten Mänteln bedeckt, die als Trapper bezeichnet wurden und beinahe vollständig ihre Gestalt verbargen.28 Zur Mitte des 16. Jahrhunderts hin wird die Ausschmückung immer kunstvoller.

Kaiser Karl V. nach der Schlacht von Mühlberg (Gemälde von Tizian)

Dem großen holländischen Historiker Johan Huizinga (1872–1945) zufolge war der Trend in Richtung einer immer kunstvolleren Verzierung ein Zeichen des Niedergangs. Politische, ökonomische und technologische Faktoren waren der Grund, warum das Rittertum an Bedeutung verlor; die Menschen, die sich dessen unbewusst gewahr waren, bäumten sich dagegen mit einer immer fantasievolleren Verschönerung auf.29 Andere haben dies bestritten und die Entwicklung der Armeen und der Rüstung während dieser Zeit rein utilitaristisch zu begründen versucht; sie gehen beinahe so weit, jegliche Form von „Kultur“ generell zu leugnen.30 Ich persönlich halte keines dieser Argumente für überzeugend. In seinem anderen großen Buch Homo ludens behauptet Huizinga, dass Nützlichkeit und Dekoration, praktische Überlegungen und Schauspielerei nicht nur während des späten Mittelalters, sondern zu allen Zeiten und an allen Orten zusammengewirkt hätten (leider nur nicht in jenen, in denen er leben musste).31 Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass dies auf den Krieg weniger zutrifft als auf jeden anderen menschlichen Bereich.

Auch hier stellt sich die Frage, wann und warum die betreffende Kleidung hergestellt, gekauft und getragen wurde. Einiges davon konnte ohne Zweifel nur von wirklichen Granden besessen werden und war nur zum Gebrauch auf Paraden oder bei Turnieren bestimmt. Andererseits ist von einigen hochgestellten Persönlichkeiten bekannt, dass sie Rüstungen ausdrücklich bestellt haben, um sich auf Kriege vorzubereiten, in denen sie zu kämpfen erwarteten; wie es zum Beispiel Erzherzog Leopold V. von Tirol 1618 tat.32 Von einigen Anzügen, die jetzt in verschiedenen Museen ausgestellt sind, wissen wir, dass sie im Krieg erbeutet wurden. Andere gehörten condottieri oder Kapitänen von Landsknechten, Männern, die ihr ganzes Leben damit verbrachten, einen Kampf nach dem anderen zu führen. Manche wurden sogar mit dem ausdrücklichen Hinweis „für das Feld“ gekennzeichnet. Wenn man die Beweisführung umkehrt und nicht auf die Waffen, sondern auf die Gelegenheiten sieht, bei denen sie in einigen Schlachten verwendet wurden, gibt es eindeutige Beweise. In Nikopolis wurde im Jahre 1396 die Prunksucht, angetrieben vom Wettbewerb unter den christlichen Rittern, so weit getrieben, dass die Armee eher einem Festumzug glich, als einer sich auf den Krieg vorbereitenden Streitkraft. Ähnlich verhielt es sich 1476 in Granson.33

Überdies übernahmen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, manchmal sogar später, Fürsten, Herzöge, Könige und sogar Kaiser eine aktive Rolle in den Schlachten, die sie befehligten. Sehr oft kämpften sie selber. Unter den englischen Königen traf dies auf Willam den Eroberer, Heinrich I., Heinrich II., Richard Löwenherz, Eduard I., Eduard III. den Schwarzen Prinz und Heinrich V. zu. Genauso agierten auf dem Kontinent Karl VI. von Frankreich (der 1415 in Agincourt gefangen genommen wurde), Karl I. (der Kühne) von Burgund (1477 in Nancy getötet) und Franz I. von Frankreich (1525 in Pavia gefangen genommen). Als Kaiser Karl I. 1535 in Bizerta gegen die Türken kämpfte, wurden mehrere Pferde unter ihm getötet. König Sebastiäo I. von Portugal wurde beim Kampf gegen die Marokkaner 1578 in Alcazarquivir getötet; vierundfünfzig Jahre später verlor König Gustav Adolf von Schweden sein Leben im Kampf gegen die Katholische Liga in Lützen. Aus bereits erörterten Gründen konnten es sich derartig erlauchte Personen kaum leisten, ihre Anzüge nicht zu tragen, wenn sie ihre Truppen bei Feldzügen anführten. Indem sie so handelten, zwangen sie ihre Untergebenen, es ihnen gleichzutun.

Aufgrund der sozialen Bedingungen und der Methoden der Kriegführung unterschieden sich die Entwicklungen in anderen Weltgegenden sehr stark von jenen in Europa. Die indianischen Schilde bestanden nur aus zusammengebundenen Bambusrohren. In anderen Regionen wurden sie aus Nashornfell hergestellt, aus damasziertem Stahl oder aus vergoldetem Stahl – die Letzteren waren für die höchste Klasse von Kriegern reserviert. Doch wie billig oder teuer sie auch immer gewesen sind, fast alle wurden üppig verziert mit geometrischen Mustern oder mit Blumenmotiven. Auf vielen waren verschiedene Tiere abgebildet, vor allem Löwen und Elefanten. Andere trugen verschiedene Buchstaben, die für magische Formeln standen.34 Selbst die Rüstung der Kriegselefanten wurde verziert. Das Gleiche gilt cum grano salis auch für arabische, persische und chinesische, osmanische (aus Rindsleder und für den Einsatz zu Pferde vorgesehene) Rüstungen und fast jede erdenkliche andere Rüstung.

Wenige andere Krieger dürften mehr Gefallen daran gefunden haben, ihre Rüstung zu dekorieren, und dies oft in sehr befremdlichen Formen, als die Samurai. Wie im feudalen System des Westens wurden auch im mittelalterlichen Japan die meisten Waffen nicht zentral ausgegeben, sondern von einzelnen Kriegern bei individuellen Handwerkern in Auftrag gegeben. Selbst wenn dies nicht der Fall war, sollten Samurai sowohl ihre eigenen Wappen als auch jene ihrer Herren tragen.35 Im Ergebnis finden sich in der gesamten japanischen Kunst kaum zwei Krieger, deren Bekleidung und Ausrüstung genau identisch waren. Zahllose Mittel wurden verwendet, um den Gegner einzuschüchtern und den Kampf möglichst zu gewinnen, bevor er überhaupt begonnen hatte. Dazu gehörten leuchtende Materialien, besonders poliertes Metall und Lack; Embleme in der Form von Dämonen und wilden Tieren; schwarze Helme, von denen manche so aussahen wie jener von Darth Vader, während andere mit Geweihen (bekannt als kuwagata) oder vorstehenden Kampfzähnen verziert waren; die Gesichter waren mit roter, schwarzer und gelber Farbe bemalt – und noch manch andere Besonderheit wäre hier aufzuführen.

Einige Teile der betreffenden Ausrüstung wurden so kunstvoll gestaltet, dass sie aus militärischer Sicht eindeutig kontraproduktiv waren. Ein gutes Beispiel hierfür sind die etwa sechzig Zentimeter hohen goldlackierten, kegelförmigen Helme, die von den Truppen von Date Masamune (1566–1636) getragen wurden, als sie auf dem Weg nach Korea 1592 durch Kyoto marschierten.36 Wie im Westen könnte der eigentliche Zweck – wenn das der richtige Begriff ist – solcher Monstrositäten darin bestanden haben, einen anhaltenden Prozess des Niedergangs zu kaschieren. Wie im Westen ist dies nur eine von mehreren möglichen Erklärungen und nicht unbedingt die überzeugendste. Die Krieger hier waren vielleicht noch mehr dazu bereit, bis zum Äußersten zu gehen, um eine angemessene Erscheinung zu präsentieren. Wir wissen sogar von einem Mann namens Kimurai Shinegari, der seinen Kopf parfümierte, damit dieser eine attraktivere Trophäe abgäbe, wenn er erbeutet würde – was dann auch tatsächlich geschah.

Sowohl im Westen wie auch in Japan stellte die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts einen Wendepunkt dar. In Japan ist dies darauf zurückzuführen, dass es dort nach dem Sieg von Tokugawa im Jahre 1603 in den nächsten zweieinhalb Jahrhunderte keinen weiteren Krieg gab. Im Westen lag es daran, weil eine Rüstung, die sich als immer weniger wirksam gegen Kugeln erwies, so kunstvoll und so teuer geworden war, dass sie sich nur eine Handvoll der großen Herren leisten konnte. Ab etwa 1550 ging die Produktion der Rüstung zurück.

Rüstung als Dekoration; eine westliche Karikatur von einem Samuraikrieger, der sich selber im Spiegel bewundert. (Dvora Lewy)

Als Erstes verzichtete man auf die Teile, die die unteren Bereiche der Beine bedeckten. Danach wurde der Schutz für den Rest der Beine und die Arme entfernt, bis schließlich nur der Brustharnisch blieb, und zwar nur noch für eine gewisse Art der schweren Kavallerie, die als Kürassiere bezeichnet wurden. Von etwa 1650 an wurden sie durch Uniformen ersetzt. Uniformen entstanden ursprünglich aus den Livreen, die die Herren ihren Bediensteten gaben, um Geld zu sparen (und zu verdienen, indem sie den Bediensteten zu viel dafür abnahmen) sowie zu Identifikationszwecken. Sehr bald kamen jedoch ästhetische Erwägungen hinzu, bis sie in Wirklichkeit reiner Firlefanz wurden.

In den Armeen von heute dienen Uniformen oft dazu, ihre Träger möglichst unsichtbar zu machen. Mit einigen Ausnahmen, wie leichten Truppen und Jägern, war dies noch nicht der Fall für jene, die im 17. Jahrhundert in Erscheinung traten und die im 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierten. Die damaligen Soldaten vertrauten auf das Feuer ihrer Musketen und trugen häufig noch Lanzen. Sie kämpften stehend in voller Sicht des Feindes, dessen Truppen, die ebenfalls aufrecht standen, kaum mehr als hundert Meter entfernt waren. Zwar wurden nach dem Spanischen Erbfolgekrieg Lanzen endgültig abgeschafft. Die Verwendung von Steinschlossgewehren anstelle von Musketen steigerte jedoch nicht beträchtlich die Schussreichweite, so dass die Schlachten noch immer von lebenden Menschenmauern geführt wurden, die sich stetig aufeinander zubewegten. Erst um etwa 1860 änderten sich die Dinge. Die Einführung von Handfeuerwaffen und Kanonen zwang die Soldaten dazu, sich auf den Boden zu legen und Schutz zu suchen; das Ersetzen von Vorderladern durch Hinterlader machte ihnen dies möglich. Bis dahin nahm nicht unerwartet die Entwicklung der Uniformen einen ähnlichen Verlauf wie die gepanzerte Rüstung in der Periode von 1300 bis 1550. Einige Befehlshaber, allen voran der Marschall von Sachsen, wandten sich gegen die Tendenz immer kunstvollerer, teurerer und (teilweise) nutzloserer Uniformen.37 Doch in der Regel hatten sie wenig Erfolg.

Dass die damaligen Uniformen oft von Amateuren gestaltet wurden, die dies als Hobby betrieben, steigerte diese Extravaganz noch. Eine von diesen war Königin Anne von England; sie umgab sich mit einer Truppe von uniformierten Bogenschützinnen, die sie die „Amazonen“ nannte. Ein anderer war der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Er scheint der erste Monarch in der Geschichte gewesen zu sein, der eine Uniform trug; als er auf dem Sterbebett lag und hörte, wie der Kaplan sang: „Nackt soll ich vor Deiner strengen Miene erscheinen“, soll er sich aufgesetzt und geschrien haben, dass er in seine Uniform gekleidet werden wolle.38 Zu den anderen gehörte Zar Peter III. von Russland, der (wie seine Ehefrau Katharina die Große behauptete) seine Stiefel so sehr liebte, dass er sie nicht einmal im Bett ablegte, Friedrich Wilhelm III. von Preußen, der eine riesige Sammlung besaß, und Georg IV. von England, der die Dinge so weit trieb, dass er sich zum Gespött der dortigen Presse machte.

Einige von Napoleons Marschällen fanden ebenfalls Gefallen daran, Uniformen für sich und ihre Männer zu entwerfen. Joachim Murat, der verwegene Kommandeur der Kavallerie, der später zum König von Neapel wurde, war ein besonders eitler Mann; so phantasievoll waren einige der Uniformen, die er für sich selber entwarf, dass der Kaiser ihn einmal mit einem berühmten Clown dieser Zeit verglich. Das Interesse an Uniformen beschränkte sich keineswegs auf gekrönte Häupter, sondern betraf sämtliche Gesellschaftsschichten. Viele Obristen machten sich daran, Uniformen für ihre Einheiten zu entwerfen, aus deplatzierter Eitelkeit oder reiner Langeweile, und gingen sogar soweit, ihr eigenes Geld auszugeben, um sicherzustellen, dass die Mantelknöpfe aus einem bestimmten Material hergestellt wurden oder ein ganz bestimmtes Muster aufwiesen. In den frühen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts konnten Kinder dann für wenige Groschen Pappsoldaten mit austauschbaren Papieruniformen kaufen.

Viele, aber nicht alle der bisher erörterten Gegenstände erzielten ihre ästhetische Wirkung aufgrund ihrer Individualität, wenn jeder Krieger seine eigene Ausrüstung herstellte bzw. in Auftrag gab und nach eigenem Gutdünken verzierte. Dies trifft nicht auf Uniformen zu, die, wie der Ausdruck impliziert, auf Standardmustern beruhen, die endlos wiederholt werden, indem sie, um es mit anderen Worten auszudrücken, an die vermeintliche Ordnungsliebe des Menschen appellieren.39 Jede Armee des späten 17. und 18. Jahrhunderts hatte ihren Martinet oder Zuchtmeister. Der ursprüngliche Martinet hieß mit Vornamen Jean und war der erste französische Generalinspekteur unter Ludwig XIV. Er fiel 1672, aber sein Name wurde später von anderen Offizieren und Unteroffizieren übernommen. Mit der kleinen neunschwänzigen Peitsche – die im Französischen ebenfalls nach ihm benannt ist – bestand seine Aufgabe darin, die Einheitlichkeit bis zum letzten Gamaschenknopf durchzusetzen. Das verhinderte aber keineswegs, dass die Uniformen eine verwirrende Vielfalt an Mustern, Schnitten, Farben und Zubehör jeglicher Art darboten. Das alles bestimmende Ziel war immer, die Gestalt der Männer hervorzuheben, ihre Statur zu vergrößern, ihre Schultern zu verbreitern, ihre Stärke zu übertreiben und physische Mängel (wie dürre Hälse, schmale Brustkörbe, dicke Bäuche und spindeldürre Beine) zu verbergen – kurz, um sie für sich selber, ihre Feinde und für Zuschauer beider Geschlechter beeindruckend zu machen. Obwohl Schamkapseln längst aus der Mode gekommen waren, verwendeten einige Uniformen andere Mittel, um die Aufmerksamkeit auf die Männlichkeit ihrer Träger zu richten, zum Beispiel durch V-förmige Streifen oder Knopfreihen, die von der Schulter bis zur Leiste verliefen.

Wenige Armeen reichten an die schnitttechnische Finesse britischer Uniformen im frühen 19. Jahrhundert heran, sie sollen daher als Beispiel dafür dienen, was in diesem Bereich möglich und üblich war.40 Die Uniformen, die von den verschiedenen Bereichen der Streitkräfte getragen wurden, unterschieden sich stark voneinander. Bei den Kleidungsfarben herrschte das traditionelle Scharlachrot für Infanterie und Pioniere, Scharlachrot oder Dunkelblau für die Kavallerie, Dunkelblau für die Artillerie und Dunkelgrün für die Gewehreinheiten vor. Doch wenn es um Krägen, Revers und Manschetten ging, hatte jedes Regiment seine eignen Uniformfarben, wobei die Favoriten Gelb und Grün waren. Die Kleidung der Offiziere wurde mit Gold- oder Silberlitzen besetzt, während die anderen Dienstgrade weiße Kammlitzen trugen. Auf der Kleidung waren zwischen zwanzig und vierzig glänzende Metallknöpfe angebracht. Jeder Knopf wurde mit einem Zeichen geprägt und von einem eigenen Knopfband umgeben. Die Offiziere verstärkten diese Wirkung noch, indem sie Epauletten aus Gold oder Silber trugen, jene für die Mannschaftsdienstgrade waren aus Kammgarnwolle gemacht.

Die ersten Darstellungen des Herrschers in Uniform: Der junge König Friedrich Wilhelm I. von Preußen (Gemälde von Samuel Theodor Gericke, um 1710)

Auch der Kopfbedeckung widmete man viel Aufmerksamkeit. Besonders die Kavallerie hatte eine Vorliebe für hohe und beeindruckende Hüte. Durch aufgesteckte Federn in Rot und Weiß oder Grün und Weiß wurden sie noch höher. Selbst zu einer Zeit, in der noch die zuvor beschriebenen Taktiken vorherrschten, war dies ein Beispiel für militärische Widersinnigkeit. Ein Untersuchungsbericht stellte fest, dass die Tschakos schwer waren – ihr „unerträgliches Gewicht“ belastete die Halsmuskulatur und machte breite und unbequeme Kinnbänder erforderlich. Einige Formen der Kopfbedeckung boten nur wenig Schutz vor dem Wetter. Andere leiteten das Regenwasser „in einem unaufhörlichen Rinnsal“ den Rücken ihrer Träger hinunter, während wieder andere zwar Wasser absorbierten, aber Staub ansammelten oder eine unglückselige Anziehungskraft für Insekten hatte, sowohl in Feldzügen wie auch bei der Lagerung. Eine amüsante, wenn auch wahrscheinlich apokryphe Geschichte beschreibt, wie im Jahr 1829 der Herzog von Wellington bei einer Parade aufgrund des riesigen Hutes, den er trug, durch einen Windstoß regelrecht von seinem Pferd gefegt wurde.

Unter den Farben, die die Soldaten trugen, spielte Weiß eine besondere Rolle, da es bekanntlich jeden Schmutzfleck zeigt. Französische, britische und australische Einheiten (Letztere wurden manchmal als „whitecoats“, Weißröcke, bezeichnet), sie alle trugen Uniformen, die zumindest teilweise weiß waren und die mit Tonerde gereinigt werden mussten. Bis die Tonerde getrocknet war, schränkte sie die Bewegungsfreiheit der Soldaten ein, denn sie mussten es vermeiden, gegen irgendetwas zu streifen. Die häufige Anwendung des Materials machte die Uniformen steif und unangenehm zu tragen und reduzierte zudem ihre Lebensdauer. Beim Marschieren entstanden regelrechte Staubwolken; ein britischer Offizier bemerkte, dass Tonerde, die er als „weißen Dreck“ bezeichnete, „für die Sicht und die Gesundheit der Männer schädlicher ist als irgendetwas anderes, das man sich nur vorstellen könnte“.41

Enge Uniformen konnten die Bewegungsfreiheit der Männer beeinträchtigen; besonders wenn die Kavalleristen versuchten, auf ihre Pferde aufzusteigen, und die berühmten Wellington-Stiefel waren äußerst unbequem beim Marschieren. Doch das widersinnigste Detail der Kleidung war die Halsbinde; eine so wunderliche Vorrichtung, dass sie nicht einmal in den meisten modernen Wörterbüchern Erwähnung findet. Halsbinden wurden in allen Armeen verwendet, so auch bei den US-Streitkräften. Sie bestanden aus einem Kragen aus steifem Leder, etwa vier Zoll hoch, der zugeschnürt werden konnte, als ob er den Kopf des Trägers in der richtigen kriegerischen Position halten sollte. Trotz vieler Beschwerden über den mangelnden Komfort und obwohl er sogar Verletzungen verursachte, sollte er in Friedenszeiten jederzeit getragen werden; jeder Versuch, ihn zu kürzen oder ihn weicher zu machen durch Einschaben des Leders, wurde streng bestraft. Erst 1845 beschloss der Herzog von Wellington, endlich eine angenehmer zu tragende Variante einzuführen, aber selbst dann widersetzten sich noch einige Obristen der Veränderung.

Uniform als Tortur; die Halsbinde in der Karikatur (Punch, 1854)

All dies bringt uns zur wirklich entscheidenden Frage, nämlich ob derart widersinnige Praktiken nur während der Paraden zur Friedenszeit gepflegt wurden oder ob man auch in Kriegszeiten daran festhielt. Die Antwort lautet, dass sie auch im Krieg gepflegt wurden, wenn auch nicht ständig und in allen Einheiten. So zeigen einige zeitgenössische Abbildungen die preußischen Truppen in ihren blauen Mänteln und ihrer weißen Hose mit dem Titel „Feldzuguniform“.42 Die Gefahren, die farbige Uniformen während des Kampfes darstellten, waren natürlich durchaus erkannt worden.43 Doch noch immer wurde von britischen Regimentern erwartet, dass sie selbstverständlich ihre vollständige Uniform trugen, und, soweit wie wir es wissen, taten sie es, wann immer möglich; in Waterloo gingen die Offiziere bekanntermaßen in den gleichen Galauniformen in die Schlacht, die sie noch am Vorabend auf einem Ball in Brüssel getragen hatten.