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Während des II. Weltkriegs geborene, unschuldige Erdenbürger, welche die Bombenabwürfe in ihren jeweiligen Städten miterlebten, sie haben hautnah erfahren müssen, wie schwer Kriegs- und Nachkriegszeiten zu ertragen waren. Die meisten von ihnen, die den Krieg überlebten, haben ihre traumatischen Kriegserlebnisse nie so richtig verarbeiten können und so blieben zeitlebens Folgeschäden. Rückblickend sind jene zu bewundern, welche dank ihres Gottvertrauens und dank hilfreicher Menschen ihre Kriegswunden einigermaßen zum Abheilen brachten. Zu ihnen gehört jener Peter Mirandus, von dem im Buch hauptsächlich die Rede ist. Der Bamberger Autor K.-H.-Garnitz erzählt auf kurzweilige Art und Weise die Geschichte dieses Kriegskindes, welches 1942 in der Bamberger Entbindungsanstalt auf die Welt kam so, als ob er selbst dabei gewesen wäre. Und in der Tat. es ist zu einem Großteil auch seine eigene Geschichte.
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Seitenzahl: 252
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Karl-Heinz Garnitz
KRIEGSKIND
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Umschlagfoto und Kommentar:
Bamberg nach dem Ende des unseligen II. Weltkriegs: Grüner Markt,
Ecke zur Mauthgasse (Martinskirche im Hintergrund). Alles in allem
hatte Bamberg wahnsinniges Glück, dennoch wurde die Stadt bei den
Luftangriffen im letzten Kriegsjahr empfindlich getroffen. Die
annähernd 400 toten Einwohner der Stadt konnten keine Zeitzeugen
mehr sein. Diejenigen, welche überlebten sind heute im Jahr 2021
nicht mehr allzuviele. Doch was Zeit verweht, geht in der Erzählung
weiter und sollte gelesen werden. Motto: Nie wieder Krieg!
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IMPRESSUM
Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin
Text: Copyright 2021 by Karl-Heinz Garnitz
Layout und Satz: Karl-Heinz Garnitz
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Germany
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Schreckliche Kriegsjahre für Peter Mirandus
Als Deutschland kapitulierte und der unselige II. Weltkrieg am 8.
Mai 1945 sein Ende fand war Peter gerade mal drei Jahre alt und
er musste sich in der Folgezeit immer wieder an Geschehnisse erin-
nern, welche sich in den letzten Kriegsmonaten als belastende En-
gramme in sein Bewußtsein eingruben. Auf der einen Seite waren
es die eigentlichen Schrecknisse dieser Kriegsjahre, auf der anderen
Seite der quälende Hunger, der für ihn oft zur Plage wurde. Bekam
er etwas zum Essen war es wenig gehaltvoll und so mag es nicht
verwundern, dass er als Kleinkind unter Mangelernährung litt und
mager aussah. Hinzu kam, dass Peter oft gereizt war und panische
Angstzustände hatte, wenn er Sirenen oder Brummgeräusche von
Flugzeugen hörte, denn besonders in den letzten Kriegsmonaten
musste man fast täglich auf Bombenabwürfe von amerikanischen
Flugzeugen gefaßt sein. Die Angst ums eigene Leben ging um und
sie war irgendwie ansteckend. Immer wenn die Alarmsirenen auf-
heulten flüchteten die Mieter des Hauses, in welchem Peter mit
den Seinen lebte, in den Keller des Hauses und erhofften sich dort
unten ein gnädiges Schicksal, wohl wissend, dass der notdürftig
eingerichtete Schutzraum alles andere war als ein sicherer Bunker.
Sollte das Haus von Bomben getroffen werden, musste sekunden-
schnell reagiert werden, um durch bereits aufgebrochenes Mauer-
werk hinüber in die angrenzenden Keller der Nachbarhäuser zu
flüchten. Dies konnte hilfreich sein oder auch nicht, denn im Ernst-
fall benötige man immer wieder verdammt viel Glück um am Leben
zu bleiben. Bezüglich der täglichen Mahlzeiten war es meist so,
dass Peter nur ein dünnes Süpplein mit selbstgemachten Nudeln o-
der eine Zwiebelsuppe mit eingebrockten Brotkrusten erhielt. Mei-
ster Schmalhans war üblicher Küchenmeister, wenn Peter, Mut-
ter Hanna und die Großeltern am Küchentisch saßen und aßen. Der
Vater fehlte, war noch in Russland und Peter kannte ihn nicht. Doch
hoffte die ganze Familie, dass er irgendwann doch noch heimkehren
würde. Heute, als die Familie ihr spärliches Mittagessen nahezu be
endet hatte ertönten wieder einmal die Sirenen, was nur heißen
konnte: „Bringe sich in Sicherheit wer kann!“ Peters Mutter stellte
schleunigst das Geschirr ins Spülbecken, nahm Peter an der Hand
und zusammen mit den Großeltern hasteten sie in den Keller
hinunter. Dort herrschten spartanische Zustände, denn es gab
nur eine lange Sitzbank und einen alten Waschhaustisch auf
dem eine Karbitlampe sowie zwei dickbauchige Kerzen stan-
den. Die Mieter, welche nach und nach im Keller ankamen setz-
ten sich wortlos nieder und es herrschte eine überaus beklem-
mende Stimmung. Peter saß mit seinem Teddy auf dem Schoß
der Mutter, daneben Oma Marga und ihr Mann Karl. Links von
ihnen die Witwe Heurich und die Wohlfarts. Insgesamt hoff-
ten acht Personen am Leben zu bleiben. Als plötzlich entfernte
Explosionsgeräusche zu hören waren bekreuzigte sich Peters
Großmutter, nahm ihren Rosenkranz aus der Brusttasche und
schaute aufmerksam in die Runde. Dann sagte sie zu den Anwe-
senden: „Betet alle laut mit, dann wird uns schon nichts schlim-
meres passieren!“ Von den acht anwesenden Personen, beteten
anfangs nur drei lautstark mit. Dann aber, als das Gedröhne von
fliegenden Bombern näher kam und ein gewaltiger Knall zu
hören war begannen auch jene mitzubeten, welche vordem still
dasaßen. Peters Großmutter als geübte Vorbeterin freute sich
darüber, nahm ihre Stimme etwas zurück, bestimmte aber wei-
terhin das Gebetstempo, sodass all die anderen Beter mithalten
mussten. Plötzlich eine laut hörbare Explosion, vermutlich in
unmittelbarer Nähe, entweder in der Josefstrasse oder am nahen
Bahnhof. Die Stimmen der Betenden verstummten und minu-
tenlang herrschte jene Angst, welche die Kehlen zuschnürt und
sprachlos macht. Alle starrten auf das trostlose Mauerwerk der
Kellerräume, doch es stand festgefügt. Peter begann einige Zeit
lauthals zu weinen und drücke seinen Teddy fester an die Brust.
Dann wieder unheimliche Stille und ein Insichgehen der Anwe-
senden. Wie sich später herausstellte war jener sonnige Don-
nerstag des 22.02.1945 wirklich ein sehr unheilvoller. Zwar
schien die Sonne vom klaren Bamberger Himmel, doch gerade
diese Schönwetterlage war es, welche der Stadt zum Verhäng-
nis wurde. Die unzähligen amerikanischen Flieger hatten beste
Sicht, als sie gezielt den Bahnknotenpunkt Bamberg anflogen
und ihre todbringendes Frachtgut verteilten. Zweihundertsech-
zehn Todesopfer und etliche zerstörte Gebäude waren inner-
städtisch zu beklagen und allein 54 Menschen starben im Stol-
len auf dem Stephansberg. Erst am Nachmittag um 15:16 Uhr,
nach Stunden nervenzehrender Angst, wurde Entwarnung ge-
geben. Große Teile der Innenstadt mit Obstmarkt, Lange-Stra-
ße, Grüner Markt und Keßlerstraße waren bombardiert worden.
Einschläge gab es auch in der Josefstraße nahe der Kaimsgasse,
in der Klosterstraße, Gertraudenstraße, Hainstraße, am Prie-
sterseminar und am Marienplatz. Bomben unterbrachen die
Bahnlinie nach Lichtenfels und fielen im Bereich des Aufseß-
höfleins. Während die Erlöserkirche einen Volltreffer erhielt
und weitgehend zerstört wurde, überlebten die fast 500 Men-
schen die im Kellerbereich Schutz gesucht wie durch ein Wun-
der. Peter, seine Mutter, Oma, Opa und all die anderen Perso-
nen im Kellerraum des Hauses in der Kaimsgasse überlebten
ebenfalls diesen letzten grossen Bombenangriff der Amerika-
ner auf Bamberg. Nach der erfolgten Entwarnung gingen alle
nach oben in ihre Wohnungen und Großmutter Marga meinte:
„Leute, unser Rosenkranzgebet hat beim Herrgott Gehör gefun-
den, ansonsten hätten wir ja wohl nicht überlebt. Deo gratias!“
Jeder, der Peters Großmutter kannte, bewunderte ihren Gebets-
eifer und ihr bedingungsloses Gottvertrauen in Bezug auf die
Allmacht ihres Gottes. Bis hin zu ihrer Todesstunde blieb sie
im Glauben unerschütterlich. Jahre später fand man Oma Mar-
ga an einem frühen Sonntagsmorgen mit dem Rosenkranz in
der Hand. Sie saß auf ihrem Küchenlehnstuhl, war friedlich
entschlafen und ihr Gesicht zeigte ein verklärtes Lächeln. Zu
Lebzeiten bat sie täglich ihren Herrgott mit einem „Vater un-
ser“ um eine gute letzte Stunde. Als Peters Großvater die Tote
im Lehnstuhl sitzend fand, schloß er ihr die Augen und begann
zu weinen. So ist es wohl immer, wenn gute Menschen dahin-
scheiden und nahe Überlebende in Stich lassen müssen. Es gibt
Tränen und seelischen Schmerz. Von den letzten Zerstörungen
sei noch ein erschreckendes Erlebnis berichtet, an dessen Aus-
wirkungen sich Peter immer wieder schmerzlich erinnern
musste. Nach der Sprengung eines Munitionszuges im Bereich
des Bamberger Bahnhofs erzeugte eine gewaltige Explosion
eine überaus heftige Druckwelle, sodass in der nahe gelegenen
Wohnung in welcher Peter lebte die Fensterscheiben zerbar-
sten und Glasscherben, sowie aus der Verankerung gerissene
Fensterkreuze in die Wohnräume hineingeschleudert wurden.
Das aus Peddingrohr geflochtene Schlafbettchen mit gewölb-
ter Dachabdeckung in welchem Peter lag, das wurde von ei-
nem heraugerissenen Stück Fensterkreuz getroffen, welches
dank des Schutzdaches aus Peddingrohr quer über dem Bett
liegenblieb und den Kleinen vor schlimmen körperlichen Ver-
letzungen schützte. Doch der Explosionsschock war für den
knapp drei Jahre alten Peter ein gewaltiger und erschütterte den
gesamten Körper des Kleinen über alle Maßen. Großvater Karl
erlitt zwar leichte Verletzungen, doch grenzte es an ein großes
Wunder, dass ihm nicht mehr passierte. Jedoch für den kleinen
Peter blieb dieses Schreckerlebnis irgendwie bestehen, denn
es hatte sich tief in sein Unterbewußtsein eingeprägt.
Zerstörungen, Verletzungen, Ängste, Not und Tod brachte die-
se teuflische Kriegszeit eben überall hin in Europa und vielen
Beobachtern erschien nach Beendigung dieses unseligen II.
Weltkrieges das Ende der gesamten westlichen Zivilisation ge-
kommen zu sein. Die circa 50 Millionen Kriegstoten sowie die
Auflösung all der nötigen Existenzbedingungen sprachen eine
recht deutliche Sprache. Und nicht zu vergessen, nach dem of-
fiziellen Ende des deutschen Unrechtregimes herrschten nicht
nur hier in Deutschland, sondern auch im übrigen Europa noch
längere Zeit Hunger, Not und Verzweiflung in ungekanntem
Ausmaß, von Frankreich bis in die Ukraine hinein und von
Norwegen bis nach Griechenland hinunter. Die Stadt Warschau
war praktisch vollkommen zerstört und total unbewohnbar.
Nach Kriegsende waren es europaweit erbärmlichste Lebens-
bedingungen, worunter wohl die Kinder und die Alten am meis-
ten litten. Wie es wohl weiterging, speziell mit unserem Haupt-
protagonisten Peter und dessen Familie? Der geschätzte Leser
wird es in den nun folgenden Kapiteln erfahren.
Der II. Weltkrieg ist aus - Not und Elend bleiben
Heute im Jahr 2021 sind immerhin noch einige Millionen Deut-
sche am Leben, die wie Peter Miandus zwischen 1942 und 1945
auf die Welt kamen. Kriegskinder kann man sie nennen, geboren
und herangewachsen in Hitlers Deutschland während der heftigen
letzten Kriegsjahre. Sie waren Opfer ohne irgendeine Schuld da-
ran zu haben. Kriegs- und Nachkriegserlebnisse haben zum Teil
ihre Lebensgeschichten geprägt. Viele von ihnen sind bereits ver-
storben und haben ihre kriegstraumatischen Erlebnisse mit ins
Grab genommen. Jene anderen aber, welche noch leben, sie sind
meist gesundheitlich angeschlagen, leiden zum Teil immer noch
unter schmerzlichen Kriegserinnerungen oder haben noch nicht
ihre Traumata aus längst vergangenen Kriegstagen verarbeitet.
Denn auch im hohen Alter können sich bei den heute über 77 bis
85ig Jährigen ganz plötzlich noch negative Folgeerscheinungen
aus Kriegs- und Nachkriegstagen als belastend erweisen. Wenn
wir das insgesamt große Trauma des II. Weltkrieges verstehen
wollen, das aus vielen Bildern von Elend und Hoffnungslosigkeit
spricht, so müssen wir eben bei den konkreten Erlebnissen der
betroffenen Menschen ansetzen, die in jene Zeiten hineingebo-
ren wurden. Einer von ihnen war unser Protagonist Peter Miran-
dus. Immer wieder erinnerte er sich, wenn Stunden des Betrach-
tens anstanden an die Schrecknisse des letzten Kriegsjahres und
im weiteren Verlauf an all jene Halluzinationen und Notsituatio-
nen, welche sein Leben nach dem Ende des unseligen II. Welt-
krieges belasteten. Peter war ein hochgewachsenes, unterernähr-
tes und sensibles Kind, welches wohl nur deswegen überlebte,
weil in den Jahren 1946 und 47 die fürsorgliche und couragierte
Großmutter des öfteren mit der Scheßlitzer Bummelbahn von
Bamberg aus aufs Land hinausfuhr. Bei Bauern erbettelte sie
Überlebensnotwendiges oder erwarb es mit Tauschware. Wenn
sie Geld bezahlen sollte, feilschte sie so lange, bis ihr der Preis
passte. Stets hatte sie Erfolg auf ihren Hamsterfahrten. Vielleicht
auch deswegen, weil sie selbst ein Landkind war und die bäuer-
liche Sprache gut beherrschte. Immer, wenn sie wieder nach Hau-
se kam, hatte sie im gefüllten Ranzen Eier, etwas Butter, Speck,
Schwarzbrot oder Kartoffeln. Peter profitierte von all diesen
Lebensmitteln am meisten. Nicht nur, weil er als abgemagertes
Kind bessere Ernährung nötig hatte, sondern auch weil er Omas
frommer Liebling war und stets mit ihr zusammen die Andach-
ten und Messfeiern in der nahe gelegenen Gangolfskirche be-
suchte. Alles in allem war der Anfang der Friedenszeit für Peter
in mancherlei Hinsicht etwas besser, als die drei Jahre während
des Krieges. Doch insgesamt gesehen war Deutschland zu Be-
ginn der Nachkriegszeit ein Land der "Stunde Null" und in all
den kriegszerstörten Ruinenlandschaften mangelte es an Was-
ser, Strom, Lebensmitteln, Medikamenten, Wohnraum, Klei-
dung, Heizmaterial und Arbeit. Viele der Heimatvertriebenen
mussten jahrelang in Auffanglagern oder Baracken leben, denn
lebenswürdiger Wohn- und Lebensraum musste erst wieder
neu geschaffen werden. Die Vertriebenen traf neben den Stra-
pazen der Flucht und dem Verlust der Heimat auch das Los des
sozialen Abstiegs. Sie mussten meist mit leeren Händen den
Neuanfang versuchen. Haus, Hof, Hab und Gut blieben zurück.
Peter und seine Familie konnten zum Glück in ihrer Heimat
bleiben, hatten noch ein Dach über den Kopf und lebten wie
vordem in ihrer 3-Zimmerwohnung, in einem Haus, welches
all die Angriffe der Aliierten ohne große Schäden überstanden
hatte. Glück hatten übrigens auch die übrigen Bewohner in
ihrer Gasse, kein einziges Wohnhaus wurde durch Bombentref-
fer zerstört. Doch in der nahe gelegenen Josefstraße hingegen
sah es da schon ganz anders aus. Dort lag zumindest ein Wohn-
haus in Schutt und Asche und es gab etliche Tote. Glück und
Unglück sind eben meist blinde Gesellen und nur Gott kann
wissen, warum einer sterben muß und ein aderer weiterleben
darf. Doch am Leben zu bleiben heißt nicht automatisch sich
am Leben erfreuen zu dürfen. Unserem Peter zum Beispiel
wurde während der Kriegstage sein Leben nicht physisch weg-
genommen, doch obwohl er überlebte hatten sich die Schock-
und Angsterlebnisse aus Kriegstagen tief in seinem Unterbe-
wußtsein eingenistet. Vielleicht war er deswegen oft traurig
oder missmutig, empfand Schmerzen im Kopf und in den Ein-
geweiden. Am Abend, wenn er in seinem Bett lag und zur Zim-
merdecke hinaufstarrte, sah er des öfteren im Dämmerlicht des
halbdunklen Zimmers vogelähnliche Wesen über seinem Kör-
per hin- und herfliegen. Sie ähnelten meist irgendwelchen Gän-
sen und sahen oft aus wie Störche. Peter schrie während solcher
Erlebnisse meist laut auf und weinte bis die Mutter ins Zimmer
kam, ihn in die Arme schloß und alle Strophen des Liedes
„Schlaf Kindlein, schlaf“ solange vorsang, bis sich der Kleine
wieder beruhigt hatte und friedlich einschlief. Als Peter an die
vier Jahre alt war verschwanden solch halluzinative Erschei-
nungsbilder, welche ihn vor dem Einschlafen des öfteren er-
schreckten. An ihre Stelle traten dann Angst- bzw. Flugträume
und im weiteren Verlauf besondere Traumerlebnisse, von de-
nen später noch ausführlicher zu berichten sein wird. Bezüglich
der Halluzinationen behaupten Forscher, dass solche durch phy-
siologische Zerrüttung oder auch im Einzelfall durch echten
Mediumismus zustande kommen können, Typisch für Halluzi-
nationen sei die Tatsache, dass der daran Leidende dieselben
niemals als eingebildet empfindet, sondern die gesehenen Bilder
von ihm stets für echt gehalten werden.
Manchmal ging Peter, obwohl es Mutter nicht so gerne sah, in
die nahegelegene Josefstraße, um sich dort mit den in etwa
gleichaltrigen Nachbarskindern Erwin und Karin zu treffen.
Gemeinsam kletterten die Drei in den Steinhaufen eines zer-
bombten Bürgerhauses herum, versteckten sich, spielten stun-
denlang Räuber und Gendarm oder nahmen manchmal speziell
geformte, leicht verkohlte Holzstücke in die Hände, belebten
sie mit ihrer überbordenden Phantasie, gaben ihnen Namen und
taten dann so, als seien es lebendige Wesen aus irgendwelchen,
ihnen bekannten Märchengeschichten. Manchmal war es so,
dass Peter an Spätnachmittagen total verschmutzt und abge-
kämpft nach Hause kam, sodass er aussah wie ein aus der Koh-
legrube heimkehrender Steiger. In solchen Fällen gab es zu-
hause ein kräftiges Donnerwetter und zusätzlich ein Ausgeh-
verbot für den Folgetag. Heute, nachdem Peter gewaschen war
und die abendlichen Kröstel gegessen hatte, kam Großvater in
die Küche, redete auf ihn ein und sagte: „Junge steig nicht mehr
mit den Nachbarskindern auf den Trümmern des zerbombten
Bürgerhauses herum, denn du könntest leicht stürzen, dich stark
verletzen oder auch von jenen Ratten gebissen werden, welche
sich dort versteckt halten.“ Als Peter eine Stunde später zu Bett
gehen musste schlief er zwar nach dem Abendgebet mit der
Großmutter sofort ein, hatte aber eine Nacht voll von wirren
Träumen in denen ihn zeitweise fette Ratten verfolgten. Sie ver-
suchten an ihm hochzuspringen und liefen zwischen seinen Fü-
ßen, sodaß er fast gestürzt wäre. In seiner Not blieb er kurz ste-
hen, drehte sich um und sah in einiger Entfernung eine Traum-
gestalt, welche aussah wie sein Freund Erwin. Peter winkte mit
der Hand und der offenbar aus dem Nichts aufgetauchte Erwin
zog aus seiner Hosentasche eine Art Handschleuder, eine soge-
nannte Dswisdl und schoß auf die Ratten, welche von Peter nicht
ablassen wollten. Dies wirkte und als die Plagegeister ver-
schwunden waren wollte Peter auf seinem Retter zugehen und
wissen, ob es auch wirklich sein Freund Erwin war. Doch im
gleichen Augenblick eine unliebsame Störung, ein Ziehen an
der Bettdecke. Peter wachte auf, sah seine Mutter und hörte sie
sagen: „Steh auf, denn es gibt Neuigkeiten in Bezug auf deinen
Vater. Ich habe soeben die Nachricht bekommen, dass er und
etliche andere Soldaten gegen Ende der Woche aus russischer
Kriegsgefangenschaft heimkommen werden. Wir müssen des-
wegen einiges vorbereiten und eine bescheidene Willkommens-
feier arrangieren.“ Toll sagte Peter, dann werde ich mit Papa
öfter was unternehmen können,wie z.B. Fußballspielen im
Sommer und auf dem Eis höschln im Winter. Laß es gut sein
meinte die Mutter, Vater wird sich zuhause erst wieder neu ein-
gewöhnen müssen und dazu braucht er in den ersten Wochen
nach seiner Heimkehr Ruhe und gute Hausmannskost, denn ich
denke als Gefangener in Russland ist er wohl nicht verwöhnt
worden. Nach diesem kurzen Wortwechsel stand Peter vom Bett
auf, zog sich an und machte dann am Küchenspülbecken eine
Art Katzenwäsche. Mit dem nassen Waschlappen einmal quer
übers Gesicht gewischt und das wars dann schon. Nach dem
Frühstück ging Peter mit der Mutter in den Hof hinaus und half
mit beim Aufhängen der Wäsche. Viele Tagesabläufe wiederhol-
ten sich meist auf eintönige Art und Weise. Abwechslung gab
es für Peter immer nur dann, wenn er sich mit den Freunden
auf der Gasse, beim Trümmerhaus oder im Bereich der nahgele-
genen Gärtnerei Fichtel austoben konnte. Das Gelände dieser
Gärtnerei wurde seit Peters Rattentraum mehr denn je von den
Kindern als Abenteuerspielplatz genutzt. Es gab Sträucher,
Holzschuppen und Gerätelager, welche besonders gut für span-
nende Versteckspiele geeignet waren. Peter und Erwin liebten
es im großen Schuppen hinter Säcken mit Pflanzenerde oder
aufgestapelten Pflanztöpfen in Deckung zu gehen. Wohingegen
die ein Jahr ältere Freundin Karin oft Angst hatte und sich nie
so richtig in den halbdunklen Lagerschuppen hineintraute, we-
der beim Verstecken, noch beim Suchen. Deswegen war es für
die zwei Buben ein leichtes Spiel die Karin zu finden, weil sie
sich meist nur hinter den Pflanzbeeten mit Buchsbäumchen
versteckte. Peter und Erwin mieden solche Verstecke, weil sie
wußten, dass Gärtnermeister Fichtel etwas dagegen hatte. Oft,
wenn Herr Fichtel die Karin beim Herumrennen oder Verste-
cken in solchen Bereichen ertappte, band er seinen Schäferhund
Rasso los und der rannte mit wedelndem Schwanz auf Karin
zu und beschnupperte sie. Das Mädchen streichelte Rasso und
dieser ließ es mit sich geschehen. Es sah meist so aus, als hätte
Karin eine gewiße Macht über das Tier, denn der Hund verhielt
sich ganz anders, wenn er die Buben erspähte. In solchen Fällen
reagierte er viel heftiger, sprang mit wedelndem Schwanz auf
die Beiden zu, hüpfte an ihnen hoch und drohte sie umzuwerfen.
Peter und Erwin begannen dann mit weinerlicher Stimme laut-
hals um Hilfe zu schreien. In solchen Fällen ertönte ein gewißer
Pfiff und Hund Rasso verschwand so schnell wie er zuvor ge-
kommen war. Oft war es auch so, dass der Gärtnermeister mit
dem angeleinten Hofhund höchst persönlich bei den Kindern
vorbeikam und mit ernster Miene bekanntgab: „Ihr Drei geht
jetzt mal schön nach Hause! Lasst euch nicht mehr so schnell
hier blicken, denn ansonsten werde ich euch auch mal den
Hintern versohlen.“ Immer wieder das gleiche Ritual, Peter,
Erwin und Karin waren einsichtig, trabten nach Hause, um in
den nächsten Tagen wieder zum Spielen beim Fichtel vorbeizu-
kommen. Immer wieder hofften die Drei unentdeckt zu bleiben,
doch leider ging dieser Wunsch meist nur dann in Erfüllung,
wenn Gärtnermeister Fichtel mit seinem uralten Ford-Prit-
schenwagen unterwegs war. Heute schien es so zu sein, dass
Herr Fichtel mit diesem Auto auf Tour gehen will. Peter sah
wie der Gärtner den Hund Rasso an die Kette legte, welche an
einem Mauerhaken neben dem Eingang des Wohnhauses be-
festigt war. Von dort aus konnte der Hund zu seiner Hütte und
fast nahezu bis zum Eingang des großen Treibhauses laufen.
Eine Abwesenheitstafel auf welcher stand „Heute nachmittag
geschlossen“ hing bereits neben der Hofausfahrt des Anwesens.
Es waren gute Vorzeichen, welche Peter von der Gasse aus be-
obachtete und er wartete in einiger Entfenung so lange, bis der
Gärtnermeister mit seinem Ford-Pickup wegfuhr. Dann re-
agierte der Bub wie elektrisiert, lief zur Mutter in die Küche
und sagte: „ Mama, ich geh mal zum Erwin und schau, ob er
mit mir was unternehmen will.“ Dann lief er los ohne auf die
Worte seiner Mutter zu achten, welche ihm noch nachrief:
„Komm aber bis spätestens fünf Uhr nach Hause zurück!“ Als
Peter beim Erwin ankam und ihm erzählte, dass der Fichtel
weggefahren sei rief Erwin ein Juchhu aus und sagte: „Komm
wir nehmen noch die Karin mit.“ Aber die durfte nicht
mitkommen, weil ihre Mutter es nicht wollte. Also zogen die
zwei Buben alleine los und liefen bis zum Ende jenes Ma-
schendrahtzaunes welcher den hinteren Teil des Gärtnereige-
ländes absicherte und dort, an einer von der Gasse aus nicht
einsehbaren Stelle, krochen sie über den Zaun und waren nach
wenigen Schritten in der Nähe des großen Komposthaufens,
von dem aus es nur wenige Meter waren bis zum sogenannten
Umtopfschuppen. Dort war ein sicherer Bereich zum Herumtol-
len. Hund Rasso konnte sie nicht erspähen, da einige Reihen
meterhoher Büsche seine Sicht einschränkten. Doch dennoch
war Vorsicht angebracht, denn sollte der Schäferhund aus ir-
gendwelchen Gründen irgendwann mit dem Bellen beginnen
und sich nicht mehr beruhigen kam meist die Frau des Gärtners
aus dem Wohnhaus und schaute nach dem Rechten. Wehe den
Kindern, wenn diese resolute Frau sie entdecken würde. Es gä-
be ein Mordsdonnerwetter und vermutlich ein paar Hiebe mit
dem Bettklopfer, welcher griffbereit hinter der Haustüre hing.
Doch heute lief alles gut und die Kinder begannen unbeschwert
herumzutollen. Sie vergaßen die Zeit und fanden erst dann wie-
der in die eigentliche Realität zurück, als Herr Fichtel mit seinem
knatternden Ford zurückkam und Hund Rasso mit Gebell seinen
Herrn begrüßte. Dies waren nicht zu überhörende Signale, wel-
che die Kinder ans Nachhausegehen erinnerten. Nach fußläufig
kurzer Wegstrecke waren sie beide wieder daheim. Peter wurde
bereits von seiner Mutter und den Großeltern zum Abendessen
erwartet. Alle aßen Schmalzbrote mit Zwiebelringen und tranken
dazu den obligatorischen Pfefferminztee. Gab es mal keinen Tee
stand für vom Durst Geplagte der Wasserhahn beim Ausguss in
der Küche zur Verfügung. Wenn Peter untertags sagte „ich habe
Durst“ hieß es immer „geh zum Wasserhahn in der Küche“ oder
wenn es um seinen kleinen Hunger ging „nimm dir ein Stück
trockenes Brot aus dem Kasten.“ In den ersten Nachkriegsjahren
war es eben meist genauso schwierig an vollwertige Nahrungs-
mittel heranzukommen wie in den Zeiten des II. Weltkrieges.
Abgesehen davon war das heutige Abendessen schon etwas be-
sonderes und deswegen schmeckte es allen recht gut, heute am
denkwürdigen 4. Mai des Jahres 1947. Denkwürdig deswegen,
weil sich noch etwas ereignete, womit Familie Mirandus nicht
im geringsten gerechnet hatte. Als alle mit dem Essen fertig wa-
ren und gemütlich beisammen saßen ertönte mehrmals die schrill
eingestellte Wohnungsklingel. Großvater Karl sagte zu Peter
mehr scherzend als ernsthaft: „Geh doch mal zur Wohnungstür
und schau ob dein Vater draußen steht!“ Peter ließ sich das nicht
zweimal sagen, lief hin zur Flurtüre und öffnete sie. Er sah einen
abgemagerten Mann mittleren Alters, welcher einen langen grau-
en Mantel anhatte. Seine Füße steckten in schmutzigen, stark
abgenutzten Stiefeln und in der linken Hand trug der recht müde
dreinschauende Besucher eine schmutzige Kappe. Der prall ge-
füllte Rucksack auf seinem Rücken hatte rote Flecken, welche
an Blut erinnerten. Peter starrte den unheimlich wirkenden
Fremden an, drehte sich dann nach hinten um und rief in die
Wohnung hinein: „Komm schnell an die Tür Opa, denn ich weiß
nicht ob es mein Vater ist, denn auf dem Foto im Wohnzimmer
schaut er ja ganz anders aus!“ Großvater Karl fühlte sich sofort
angesprochen, ebenso wie Oma Marga und Peters Mutter. Alle
standen wie elektrisiert vom Küchentisch auf und gingen mit Peter
bis zur offen stehenden Wohnungstür. Acht Augenpaare betrach-
teten den Mann welcher im Türrahmen stand und starrten ihn
einige Sekunden lang sprachlos an. Als Erste hatte Peters Mut-
ter Hanna ihre Sprachlosigkeit verloren und sagte mit Tränen
in den Augen: „Richard komm herein und lass dich umarmen!“
Der Angesprochene verlor seine innere Anspannung, setzte die
Kappe welche er noch in der Hand hielt auf Peters Kopf und
ging dann zur Gattin, sodaß sich beide umarmen und küssen
konnten. Dann hob der Vater den Peter mit seinen zwei Armen
in die Höhe, drückte ihn an sich und meinte: „Groß bist du ge-
worden mein Kleiner, bist ja schon fünf Jahre alt und wirst
wohl bald in die Schule kommen!“ Nach diesen Worten ging
er auf seine Schwiegereltern zu und umarmte auch diese kurz
und herzhaft. Dann liefen alle vom Flur aus hinüber ins Wohn-
zimmer, setzten sich nieder und wollten vom Heimkehrer recht
viel erfahren. Doch als Richards Frau bemerkte, dass ihr Mann
nur kurze, nichtssagende Antworten gab, öfter gähnte und an
seinen Augen rieb, sagte sie zu ihm: „Ist es dir recht, wenn ich
eine Brotzeit mit Schmalzbroten und eine Kanne Pfefferminz-
tee für dich mache. Wenn du dann gegessen und getrunken
hast, kannst du dich ja ins Bett legen und solange durchschlafen
bis du einigermaßen erholt bist.“ „Das wäre mir ganz recht“
erwiderte der Angesprochene, „allzuviele Strapazen liegen
hinter mir und deswegen habe ich jetzt keine Lust irgendwelche
Fragen zu beantworten.“ Nach diesen Worten lief Sohn Peter
zur Kommode, schon länger Zeit starrte er zu ihr hinüber, und
holte dort jenes gerahmte Foto auf welchem der Vater in
schmucker Feldwebeluniform und mit lächelnder Miene dar-
gestellt war. Peter zeigte das Foto seinem Vater und fragte:
„Papa, warum schaust du denn auf dem Foto so ganz anders
aus, bist du wirklich mein echter Vater?“ Ja, der bin ich sagte
der Angesprochene, hab im Krieg viel mitmachen müssen und
deswegen bin ich jetzt nur noch ein halber Mensch.“ Dann gab
der Vater seinem Sohn einen Klapps auf den Po und ließ es gut
sein. Anschließend rief Peters Mutter von der Küche aus ihrem
Sohn zu: „Peter, stell das Foto sofort wieder auf die Kommode
zurück und laß Papa jetzt in Ruhe, denn schließlich kam er erst
vor zwei Stunden aus russischer Gefangenschaft zurück. Ich
denke, dass er sowohl im Krieg, als auch in der Gefangenschaft
viel Leid ertragen musste. Das ist wohl der Grund, dass aus ihm
ein anderer Mensch geworden ist. Es wird wohl noch längere
Zeit dauern, bis er alles aufgearbeitet hat und ein normales Leben
führen kann.“ Peters Mutter sollte recht behalten, denn heute
am vierten Mai 1947, am Tag der Rückkehr ihres Mannes, be-
gann für die Familie eine Zeit, in der es nicht mehr so war wie
vor dem Krieg. Mit dem formalen Ende des Krieges waren
Gewalt und Angst noch lange nicht vorbei. Sie versteckten sich
nun in den Häusern einstmals glücklicher Familien, heimge-
bracht von scheinbar fremd gewordenen Männern. Dabei waren
es gar keine Fremden. Es waren die eigenen Väter und Ehemän-
ner, aber sie waren auch Soldaten gewesen, danach oft Gefange-
ne – eben Kriegsverlierer. Als solche kehrten sie nach etlichen
Jahren zurück, mit vielen üblen Erlebnissen im Gepäck die sie
stark verändert hatten. So trafen sie, wie Richard, auf ihre Fami-
lien, in denen nichts mehr war wie vor dem Krieg. Denn auch
die Frauen hatten sich verändert und die Kinder, welche sie oft
noch nie leibhaftig sahen, waren plötzlich groß geworden. Die
Menschen träumten alle von einem besseren Leben mit ihren
Familien. Die jungen Frauen hatten während des Krieges gear-
beitet, nicht nur um etwas Geld zu verdienen, sondern auch um
etwas zu lernen und um eine gewiße Dienstpflicht zu erfüllen.
Auch Peters Mutter hatte ihr Arbeitsbuch und wurde nach erfolg-
ter Ausbildung zur Kontoristin bei der Wäscherei Wohlleben
als dienstpflichtige Frau geführt, während ihr Gatte im Krieg
war. Sie hatte dadurch, wie viele andere junge Frauen, viel an
Selbstständigkeit gewonnen. Wie bereits erwähnt, sah Peter den
Vater das erste Mal, als dieser von Russland zurückkehrte. Zu-
vor kannte er ihn nur als Darsteller auf einem Foto. Und, als der
Vater noch nicht zuhause war, hatte Peter die ganze Liebe der
Mutter empfangen. Nun wird es für ihn bestimmt anders werden,
denn der seiner Frau fremd gewordene Ehemann wird vermutlich
mehr an Aufmerksamkeit und Liebe fordern, als er es je zuvor
getan hat. Dies spürte Peter instinktiv und er wendete sich des-
wegen im weiteren Verlauf öfter seiner Oma Marga zu und ver-
traute ihr meist mehr als den leiblichen Eltern. Als Peter am
Abend des ereignisreichen Tages in seinem Bett lag konnte er
lange Zeit nicht einschlafen. Besonders über den Satz seines Va-
ters - „im Krieg hab ich viel mitmachen müssen und deshalb bin
nur noch ein halber Mensch“ - grübelte er lange nach, ohne zu
verstehen was es bedeutete ein halber Mensch zu sein. Peter
reimte sich einiges in seinem Kopf zusammen und dachte,
vielleicht meinte mein Vater, dass in seinem Kopf nur noch ein
halbes Gehirn arbeitet, welches ihn zu einem halben Menschen
macht. So ganz zufrieden war er mit dem was er gerade gedacht
hatte aber auch nicht. Ich werde morgen Oma fragen, vielleicht
kann sie mir besser erklären was es bedeutet ein halber Mensch
zu sein. Mit diesem Vorsatz im Kopf schlief Perter dann doch
noch ein. Er träumte irgendwann während seiner Schlafenszeit
von Oma. Sie sah aus wie eine Prinzessin, hatte eine Krone auf
dem Kopf, lächelte und übergab ihm eine kleine Pappschachtel.
Peter war neugierig, öffnete die Schachtel und eine größere
Spinne krabbelte auf seine Hand. Peter erschrak darüber so sehr,
dass er aufwachte und angstvoll sein ganzes Bett nach irgend-
einer Spinne absuchte, aber er fand nichts. Auch wußte er nicht,
dass die Spinne vor allen Dingen bei den Germanen als Krafttier
den mächtigen Schicksalsweberinnen Urd, Werdandi und Skuld
zugeordnet wurde. Diese Weberinnen, auch Nornen genannt,
weben Schicksalsnetzte und bestimmen so das, was sich während
der menschlichen Lebenszeit ereignet. Dass Peter seine Groß-
mutter in Verbindung mit einer Spinne sah, welche auf ihn zu-
krabbelte, das kann wohl nur dahingehend gedeutet werden, dass
Peters Oma ihm stets als eine vom Schicksal bestimmte Helferin
beistehen wird. auch wenn ringsum Leid und Sorgen sein Leben
belasten und Mutter Hanna versagen sollte. Der neu anbrechende
Tag begann für Peter damit, das er beim Frühstücken Oma nach
der Bedeutung der Redewendung ich bin nur ein halber Mensch
fragte. Großmutter hatte schnell eine Antwort parat und sagte:
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„Das ist wohl jemand, der aus dem Lot geraten ist und dem die
Antriebskräfte für ein vollwertiges Leben abhanden gekommen
sind. Damit lass es mal gut sein Peter und zerbreche dir nicht
weiter den Kopf, dein Vater wird schon wieder sein inneres
Gleichgewicht finden.“ In diesem Moment kam Peters Mutter
an den Frühstückstisch und sagte: „Richard schläft noch, sprecht
etwas leiser, denn wir sollten ihn nicht vorzeitig aufwecken.
Soll er sich doch erst mal richtig erholen. Einige Wochen nahm
die gesamte Familie auf Richard Rücksicht. Er wurde von Ehe-