Kriminalistische Fallanalyse - Rolf Ackermann - E-Book

Kriminalistische Fallanalyse E-Book

Rolf Ackermann

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine wesentliche Methode der kriminalistischen Untersuchung ist die gründliche und unvoreingenommene Analyse eines Falles. Denn nur eine solche Vorgehensweise ermöglicht es dem ermittelnden Beamten, bestehende Beweisprobleme im Strafverfahren zu erkennen und Wege zu ihrer Lösung zu finden. Dieser Leitfaden vermittelt dem Leser daher umfassende Kenntnisse zur Methodik der kriminalistischen Untersuchung von Straftaten und damit im Zusammenhang stehende Beweisführungsprobleme. Im Einzelnen werden Logik und kriminalistisches Denken, die Sondierung der Ausgangsinformationen, das praktische Vorgehen bei der Fallanalyse einschließlich der Operativen Fallanalyse (OFA) sowie der Unterschiede zwischen einer alltäglich vorkommenden Fallanalyse und der OFA abgehandelt. In diesem Zusammenhang wird auch auf den "Mythos" und die realen Möglichkeiten der Anfertigung von Täterprofilen eingegangen. Beispielhaft wird im letzten Teil gezeigt, wie aus den Ergebnissen der Fallanalyse Versionen/Hypothesen aufgestellt werden und sich daraus die Planung der weiteren Untersuchung entwickelt. Darüber hinaus werden auch theoretische Zusammenhänge erklärt, die als Orientierung für die Untersuchungspraxis in Besonderen Aufbauorganisationen (BAO) Bedeutung haben und die Untersuchung schwerer Straftaten unterstützen können.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 254

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lehr- und StudienbriefeKriminalistik / Kriminologie

Herausgegeben vonHorst Clages, Leitender Kriminaldirektor a.D.,Klaus Neidhardt, Präsident der Deutschen Hochschule der Polizei

Band 13Kriminalistische Fallanalyse

VonProf. Dr. Rolf Ackermann

VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBHBuchvertrieb

Forststraße 3a • 40721 Hilden • Telefon 0211/71 04-212 • Fax -270E-Mail: [email protected] • Internet: www.VDPolizei.de

1. Auflage 2010© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2010

E-Book© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2013

Alle Rechte vorbehalten.Unbefugte Nutzungen, wie Vervielfältigungen, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oderstrafrechtlich verfolgt werden.

Satz und E-Book: VDP GMBH Buchvertrieb, HildenISBN 978-3-8011-0631-7 (Buch)ISBN 978-3-8011-0693-5 (E-Book)

Besuchen Sie uns im Internet unter:www.VDPolizei.de

Vorwort

In der kriminalistischen Praxis und ebenso in theoretischen Abhandlungen zur Kriminalistik sind hin und wieder euphorische Stimmungen festzustellen, wenn es um bestimmte Methoden der Beweisführung geht. Zu denken ist beispielsweise an die begeisterte Beurteilung der RAID-Methode zur Vernehmung oder auch an die Einführung der DNA-Diagnostik. In ähnlicher Weise verhält es sich auch hinsichtlich der Operativen Fallanalyse. Auch im 21. Jahrhundert gibt es keine Mittel und Methoden der Kriminalistik, die zum alleinigen oder „dem“ Maßstab bei der Aufklärung von Straftaten gemacht werden können. So interessant und vielversprechend jede einzelne kriminalistische Methode bei der Fallaufklärung und Täterermittlung auch sein mag, sie wird stets in das Gesamtgefüge aller kriminalistischen Erkenntnismethoden einfließen, aus denen der Kriminalist ein homogenes Bild von der Wahrscheinlichkeit des Verlaufs einer Straftat oder der Täterschaft erhält.

Auch an die Operative Fallanalyse sind hohe Erwartungen geknüpft. Die Jahrzehnte währenden Forschungsbemühungen des Bundeskriminalamtes und der Praktiker, der Fallanalyse eine gediegene objektive Grundlage zu geben, hat sich gelohnt. Das ist besonders bemerkenswert, weil im Gegensatz zu den Naturwissenschaften und der Technik erhebliche Schwierigkeiten bestehen, geisteswissenschaftliche Erkenntnisse, die dem fachbezogenen Denken des Menschen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen entspringen, in normative Regelungen – also verlässliche Aussagen – zu bringen. Der theoretische Dialog über die Verlässlichkeit der Aussagen von erfahrenen Kriminalisten, Psychologen, Medizinern und anderen Fachwissenschaftlern zur schlussfolgernden Beurteilung von Tatsituationen, Täterverhalten, von Annahmen und Fakten kann nicht in einem Lehr- und Studienbrief ausgefochten werden. Deshalb konzentrieren sich die Ausführungen auf den gegenwärtigen Stand der Anwendungsmöglichkeiten dieser kriminalistischen Methode.

In den folgenden Darlegungen wird Wert darauf gelegt zu vermitteln, dass die „Operative Fallanalyse“ nur eine aus dem fallanalytischen Methodenspektrum herausgehobene Methode ist, welche die Kriminalistik bei der allgemeinen Falluntersuchung anwendet. Niemand wird in Frage stellen, dass die Kriminalistik schon seit der Zeit, als sie noch als eine Erfahrungswissenschaft galt, bei jeder Straftatenverfolgung Fallanalyse betrieb. Sie wurde nur mit unterschiedlichen Begriffen wie Tatrekonstruktion, Hypothesenbildung, Tatbestandsaufnahme, Informationserschließung, Versionsbildung oder Untersuchungsplanung belegt. Die gedankliche Tatrekonstruktion ist keine Erfindung der Neuzeit. An dieser Stelle sei ausnahmsweise bereits in einem Vorwort auf Hans Schneikert1 verwiesen: „Schon beim sog. ‚ersten Angriff’ und der Tatbestandsaufnahme oder der Rekonstruktion der Tatvorgänge setzt die nachprüfende kriminalistisch-logische Denkweise des geschulten und erfahrenen Kriminalisten ein, der zunächst einmal den wahrscheinlichsten Verlauf der Tat zu erforschen sucht. Unser Lehrmeister Hans Gross hat daher an die Spitze der Tatrekonstruktion die 7 Leitfragen gestellt: Quis (Wer), quid (was), ubi (wo) quibus auxiliis (womit), cur (warum), quomodo (wie), quando (wann).“ Und dieses Zitat ist zudem auch gut geeignet, an die Herkunft unserer W-Fragen zu erinnern.

Desweiteren besteht das Anliegen dieses Studienbriefes darin, eine gewisse Systematik und Ordnung in die Prozesse zu bringen, die insbesondere dann notwendig sind, wenn der Täter unbekannt ist sowie keine offenkundigen Erklärungen für bestimmte Ereignisse, Tatabläufe, Sachverhalte oder sonstige Zusammenhänge bekannt sind. In dieser Phase kriminalistischer Tätigkeit haben das kriminalistische Denken und die Anwendung logischer Verfahrensweisen einen breiten Raum, weil nur unvoreingenommene Betrachtungsweisen im Ergebnis des „Nachdenkens“ zu realen Erkenntnissen führen, die als Ermittlungshinweise dienen können. Es wird versucht, die fallanalytischen kriminalistischen Methoden und Vorgehensweisen so zu ordnen, dass der mit der Falluntersuchung befasste Polizeibeamte erkennt, dass es außerhalb der „Operativen Fallanalyse“ viele weitere analytische Aufgaben gibt, die nicht gleich den Anspruch OFA für sich beanspruchen müssen. Der Spielraum zwischen einer „einfachen“ kriminalistischen Fallanalyse des Sachbearbeiters und der „Operativen Fallanalyse“ durch ein Spezialistenteam ist methodisch in Deutschland noch nicht hinreichend ausgefüllt. Deshalb sollen einige Anregungen dazu gegeben werden, welche methodischen Verfahren noch möglich sind.

Es soll schließlich im letzten Teil darauf verwiesen werden, dass die Anwendung von kriminaltaktischen und kriminaltechnischen Methoden und Verfahrensweisen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen. Die Erkenntnisse aus ihrer Nutzung bedingen sich gegenseitig und sind in einen einheitlichen Untersuchungsprozess eingeordnet. Etwas feststellen, über etwas nachdenken, daraus zu schlussfolgern (wie es gewesen sein könnte) und davon begründete Vorstellungen und Annahmen (Hypothesen/Versionen) abzuleiten sowie die Maßnahmen zu deren Überprüfung zu planen, ist in einfachen Worten ausgedrückt der Kerngedanke der Fallanalyse. Fallanalyse steht nicht isoliert für sich und ist nicht unabhängig, sie ist immer eingebettet in den gesamten kriminalistischen Untersuchungsprozess und an den natürlichen Verlauf (Ablauf) von Ermittlungen gebunden. Und daraus ergibt sich zwangsläufig auch der Fakt der Zusammengehörigkeit von Fallanalyse, Versions-/Hypothesenbildung und Planung einer Untersuchung als einer Untersuchungsmethodik. Diese Zusammenhänge sollen, beispielhaft beschrieben, in den letzten beiden Kapiteln verdeutlicht werden.

Mit dem vorliegenden Band werden vorrangig Studierenden, Dozenten und Berufsanfängern Anregungen zur Einordnung fallanalytischer kriminalistischer Aufgaben in Kohäsion zu anderen Modul- bzw. Fachthemen gegeben. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Individualität der Straftaten oder Ereignisse den praktischen Anwender dazu zwingt, weitere Varianten des fallanalytischen Vorgehens zu wählen.

Prof. Dr. Rolf Ackermann

Berlin, Januar 2010

 

1 Schneikert 1940, S. 259.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1

Einführung in Aufgaben der Fallanalyse

1.1

Allgemeines

1.2

Bedeutung der Fallanalyse im kriminalistischen Untersuchungsprozess

1.3

Begriffsverwendung

1.4

Begriffsbestimmung

2

Ausgangssituationen zu Beginn der Kriminalistischen Fallanalyse

2.1

Begriffserklärung

2.2

Ausgangslage – Ausgangssituation

2.2.1

Kriminalistische Ausgangssituation

2.2.2

Abgrenzung von Lagebeurteilung

2.3

Notwendigkeit

2.4

Zeitpunkt

2.5

Besondere Ausgangssituationen bei Erstellung von Fallanalysen

2.5.1

Während des Ersten Angriffs

2.5.2

Nach dem Ersten Angriff

2.5.3

Bei Ermittlungslagen

2.5.4

Bei Serienstraftaten

2.5.5

Zu anderen Ausgangssituationen

3

Informationspotenzial vor der Fallanalyse

3.1

Informationspotenzial – Ausgangsinformationen

3.2

Prüfung der Daten/Informationen

3.3

Extraktion von Tatsachen

3.3.1

Spureninformationen

3.3.2

Aussageinformationen

3.3.3

Andere Beweismittel

3.3.4

Speicherinformationen

3.4

Ausgangsmaterialien

4

Denken und Logik

4.1

Einführung

4.2

Denken und Fallanalyse

4.3

Erkenntnisprozess

4.4

Logik und Denkgesetze

4.4.1

Denkgesetze

4.4.2

Kausalität

4.5

Logische Schlussverfahren

4.6

Kombinieren

4.7

Intuition

5

Vorgehen bei der Fallanalyse

5. 1

Zweck und Ziel der Fallanalyse

5.2

Arten der Fallanalyse

5.3

Grundform einer Fallanalyse

5.4

Beurteilungskriterien/Analysefelder

5.5

Methodik des Vorgehens

5.5.1

Visualisierung und Hilfsmittel

5.5.2

Unterstützende Methoden

5.5.2.1

Moderationstechniken

5.5.2.2

Fallanalyse mittels Mindmaps

5.5.2.3

Crime Mapping

5.5.2.4

Analyse-Software und Standard-Software

5.5.2.5

Geografische Informationssysteme (GIS)

5.6

Fallanalyse – Methode der Problemlösung

5.6.1

Problemerkennung

5.6.2

Problem

5.6.3

Problemsituation

5.6.4

Problemlösungsalternativen

5.6.5

Problemlösung

6

Operative Fallanalyse (OFA)

6.1

Einführung

6.2

Zur Begriffsbildung

6.3

Geschichtliche Entwicklung (Historie)

6.4

Anforderungen an Fallanalytiker

6.4.1

Fallanalytiker – Profiler

6.4.1.1

Personale Anforderungen an Fallanalytiker

6.5

Methoden der Operativen Fallanalyse (OFA)

6.6

Anwendungsfelder der Operativen Fallanalyse

6.6.1

Auftrag

6.6.2

Einsatzfelder der OFA

6.6.3

Analyseprozess

6.6.4

Tötungsdelikte, sexuelle Gewaltdelikte

6.6.5

Erpressung und erpresserischer Menschenraub

6.6.6

Vergleichende Fallanalyse

6.6.7

Geografische Fallanalyse (GEOFAS)

6.6.8

Täterprofil

6.7

Ergebnisbewertung von Fallanalysen

6.8

Computerunterstützungen

6.8.1

Analysesysteme – Datenbanksystem ViCLAS

6.8.2

Fallstrukturdateien

6.8.3

Experten und Spezialistendatei (ESPE)

7

Methodik der kriminalistischen Versionsbildung

7.1

Kriminalistische Versionsarten

7.2

Allgemeine Versionen

7.2.1

Ereignisversionen

7.2.2

Standardversionen

7.3

Spezielle Versionen

7.3.1

Tatversionen

7.3.2

Täterversionen

7.3.3

Ermittlungsversionen

7.3.4

Fahndungsversionen

7.4

Vorgehen bei der Aufstellung von Versionen

7.4.1

Teamdiskussionen zur Versionsbildung

7.4.3

Rechtsanwalt-Verteidiger-Diskussion

7.5

Grundsätze für die Aufstellung von Versionen

8

Planung der Untersuchung nach Fallanalyse und Versionsbildung

8.1

Fallbeispiel

8.2

Versionsprüfung

8.3

Prüfungsmethoden

8.3.1

Wahrscheinlichkeit des Zutreffens von Versionen

8.3.2

Rangfolge der Versionsprüfung

8.3.3

Parallelität und Kontinuität der Versionsprüfung

8.4

Kriminalistische Untersuchungsplanung (KUP)

8.4.1

Arten, Formen und Modelle für Untersuchungspläne

8.4.2

Gedankliche Untersuchungsplanung

8.4.2.1

Methodische Hinweise zur gedanklichen Untersuchungsplanung

8.4.2.2

Schriftliche Untersuchungsplanung

8.5

Übersicht über Untersuchungs-/Ermittlungspläne

Anlage 1Begriffe zur Fallanalyse

Anlage 2Beurteilungskriterien der Kriminalistischen Fallanalyse Nordrhein-Westfalen

Anlage 3Chronologische Entwicklung der Fallanalyse in Deutschland

Zum Autor

Literatur- und Quellenverzeichnis

1 Einführung in Aufgaben der Fallanalyse

1.1 Allgemeines

Dieser Lehr- und Studienbrief befasst sich mit der Methodik der polizeilichen Untersuchung von Straftaten. Schwerpunkte sind untersuchungsmethodische Aspekte, vorrangig die Fallanalyse, Fragen der Logik und des Denkens sowie Problemerkennung und Gewinnung von neuen Erkenntnissen im Rahmen der Versions-/Hypothesenbildung einschließlich der sich daraus ergebenden Planung des Untersuchungsverlaufs.

Er behandelt wesentliche kriminaltaktische und methodische Verfahrensweisen des kriminalistischen Vorgehens bei der Ermittlung zu Straftaten auf der Grundlage der strafprozessrechtlichen Regelungen.

Die Strafprozessordnung2 bildet die rechtliche Grundlage für das polizeiliche Vorgehen bei der Untersuchung von Straftaten. Die Art und Weise des taktischen und methodischen Vorgehens bestimmt dabei die Kriminalistik im rechtlich vorgegebenen Handlungsrahmen. Insbesondere sind das Aufgaben zur Beweisfindung, Beweisführung und Beweisverwertung im Vorverfahren. Darüberhinaus haben insbesondere in der Anfangsphase die polizeirechtlich geregelten Aufgaben und Befugnisse große Bedeutung für das taktisch zweckmäßige Handeln und den zweckgerichteten Verlauf der Untersuchung von Straftaten. Diese Belange und Anforderungen werden vorangestellt, weil auch die Fallanalyse als taktische Methode den rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Beweissuche, der Beweissicherung, fallanalytischen Beweisbewertung sowie dem gesamten Prozess der Beweisführung unterliegt.

Des Weiteren werden die Methodik und der Verlauf kriminalistischer Untersuchungen durch Vorschriften der Innen- und Justizministerkonferenz und bundeseinheitlich geltende Verwaltungsordnungen geregelt. Sie dienen der Auslegung entsprechender Gesetze und befassen sich im Detail mit dem Vollzug von einzelnen staatsanwaltlichen bzw. polizeilichen Befugnissen, einschließlich des Vorgehens bei der Untersuchung.

Die „Richtlinien für das Straf-und Bußgeldverfahren“ (RiStBV)3 enthalten wichtige, den Gang des Strafverfahrens betreffende Regelungen. Diese haben entsprechenden Einfluss auf das taktische Vorgehen bei der Untersuchung und legen prozessuale Regelungen hinsichtlich des möglichen Handlungsrahmens aus. Die Richtlinien nehmen somit Einfluss auf die bei der Untersuchung zur Anwendung kommenden Methoden.

Eine zur Zielerreichung wesentliche Methode der Untersuchung ist die Fallanalyse, die in dieser Broschüre näher behandelt wird. Insbesondere am Anfang der Untersuchung von kriminalistisch relevanten Sachverhalten, die den Verdacht einer Straftat begründen, orientieren sich Handlungsabläufe und methodisches Vorgehen zunächst weitgehend auf der Grundlage des Polizei- und Ordnungsrechts. Der taktisch mögliche Handlungsrahmen zur Gefahrenabwehr wird in den Polizeigesetzen der Bundesländer, dem BKA-Gesetz sowie dem Gesetz über die Bundespolizei bestimmt. Zwangsläufig können in der ersten Phase des dynamisch verlaufenden polizeilichen Eingreifens bei Verdacht von Straftaten die rechtlichen Handlungsgrundlagen nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden. Besteht jedoch nach ersten unaufschiebbaren Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung der Verdacht einer Straftat, hat die Falluntersuchung ausschließlich auf strafprozessrechtlicher Grundlage zu erfolgen. Die Anwendung der dazu geeigneten Mittel, Methoden und Verfahren wird dabei weitgehend durch die Kriminaltaktik bestimmt, welche die Methoden zur allseitigen Tataufklärung und Täterermittlung bereitstellt. Eine dieser Methoden ist die „Fallanalyse“. Gemessen an weiteren ursprünglichen kriminaltaktischen Methoden ist sie eine sehr junge Disziplin zur Ermittlungsunterstützung bei der Fallaufklärung. Das hat zwangsläufig zur Folge, dass die Fallanalyse auch wegen ihrer Aktualität im Zentrum vieler Forschungen und Veröffentlichungen stand und steht. Durch öffentliche Presseartikel zum „Täterprofil“, weitgehend als Profiling bekannt, wurde das Wesen der Fallanalyse verwässert, Begriffe und Inhalte nicht mehr getrennt, Hilfsmittel als Methoden deklariert, die Fallanalyse als allgemeine polizeiliche Lagebeurteilung oder kriminalistische Lagebeurteilung benannt und mit der Einführung der Bezeichnung Operative Fallanalyse (OFA) als Oberbegriff der Fallanalyse drifteten die Ansichten auch der Fachautoren auseinander. Die Generierung von Softwareprodukten für analytische Zwecke, z. B. Geografische Fallanalyse (GEOFAS), Crime Mapping oder Crime Maps sowie die Errichtung neuer Datenbanksysteme als unterstützende Instrumente, führten noch nicht zu systematisch geordneten Vorstellungen von dem, was „Fallanalyse“ in der alltäglichen Praxis der Verbrechens- und Straftatenuntersuchung eigentlich ist oder sein sollte. Publikationen zu spektakulären Einzelfällen, bei denen die Erarbeitung eines Persönlichkeitsprofils letztendlich zum Täter führte, verstärkten den Eindruck, dies sei Fallanalyse und so entstand ein „Mythos“,4 ähnlich dem Boom zum genetischen Fingerabdruck (DNA).5

Zur Klarstellung werden deshalb einige Prämissen vorangestellt:

•  Gegenstand dieses Lehr- und Studienbriefs ist das fallanalytische Vorgehen zur Bearbeitung von Alltagsfällen der Kriminalität.

•  Darstellungen zur Grundform der Fallanalyse fördern das Methodenverständnis.

•  Fallanalyse ist ausschließlich ein Instrument der kriminalistischen Falluntersuchung und erfasst keine anderen Analysefälle bzw. Analysemöglichkeiten (z. B. Kriminalitätsanalyse) in anderen polizeilichen Handlungsfeldern.

•  Handlungsanleitungen richten sich vorrangig an Vorgangssachbearbeiter und Leiter von Besonderen Aufbauorganisationen und nicht an spezialisierte Fallanalytiker.

•  Ausführungen zur Operativen Fallanalyse dienen dazu, einen Überblick über diese spezifische Anwendungsform der Fallanalyse für Schwerstkriminalität zu geben.

•  Es wird auf Qualitätsstandards der Operativen Fallanalyse Bezug genommen, um zu zeigen, welche hohen Anforderungen an die Fallbearbeitung in den Dienststellen zu stellen sind.

•  Ausgewählte theoretische Grundlagen stellen den bestehenden inneren Bezug zur Fallanalyse her (z. B. Logik und Denken – Fallanalyse).

•  Der Studienbrief gibt praktische Anregungen zur Durchführung von Fallanalysen und regt zum Studium der zahlreichen Veröffentlichungen an.

•  Auf die theoretischen Grundlagen6 der Versions-/Hypothesenbildung und Untersuchungsplanung wird nicht näher eingegangen; es werden beispielhaft untersuchungsmethodische Zusammenhänge dargestellt.

1.2 Bedeutung der Fallanalyse im kriminalistischen Untersuchungsprozess

Zweifelsfrei ist die kriminalistische Fallanalyse in der Praxis der Straftatenuntersuchung, wie auch im wissenschaftlichen System der Kriminalistik, der Teildisziplin Kriminaltaktik zuzuordnen. In jüngster Zeit rücken kriminalistisch anwendbare Erkenntnisse der Psychologie, der Logik und des Denkens immer stärker in den Vordergrund. Darin wird das Bemühen deutlich, kriminaltaktischen Methoden eine betont „objektiv“ fundierte Grundlage zu geben, ähnlich anderen wissenschaftlich zertifizierten Verfahren, wie sie beispielsweise in der Kriminaltechnik und Expertisentätigkeit vorherrschen. Derartige binnenstrukturelle Überlegungen ändern nichts am Wesen von fallanalytischen Aufgaben und der Praxis ihrer Anwendung bzw. Durchführung. Es ist demzufolge unerheblich, ob die Fallanalyse wissenschaftstheoretisch in die kriminalistische Teildisziplin Kriminaltaktik oder Kriminalistische Psychologie/Logik/Denken7 eingeordnet wird.

Merke:

Die Fallanalyse ist eine Methode der Kriminaltaktik.

Die Kriminaltaktik entwickelt vorrangig Mittel, Methoden und Verfahren, wie der Sachbearbeiter bei der Untersuchung vorgehen sollte und gibt entsprechende Empfehlungen zur Anwendung der breiten Palette von strafprozessual geregelten Aufklärungsmethoden. Die Kriminaltaktik konzentriert sich auf das „Wie“ der Durchführung bestimmter Aufgaben und gibt Empfehlungen zu Vorgehensweisen. Die Fallanalyse spielt dabei eine entscheidende Rolle. Sie selbst ist im Strafverfahren kein Beweis. Jedoch können durch sie hervorgebrachte Resultate zum Beweis erhoben werden. Vielfach werden durch die Fallanalyse neue Zusammenhänge oder zur Beweisführung geeignete Erkenntnisse gewonnen. Mit deren Auswertung und Prüfung kann letztendlich Beweis für ein bestimmtes Tatgeschehen oder eine offene Untersuchungsfrage geführt werden.

Merke:

Die Fallanalyse ist eine Methode zum kriminalistischen Erkenntnisgewinn. Sie dient der Ermittlungsunterstützung und zur Beweisführung.

Fallanalysen werden vorrangig im ersten Stadium der Untersuchung von Straftaten, insbesondere Verbrechen, notwendig. Das schließt nicht aus, dass erneut fallanalytische Methoden zur Anwendung kommen, wenn sich neue Fakten (Tatsachen) ergeben, die Ermittlungen festgefahren sind oder während der Fallbearbeitung neue Probleme erkannt werden, die herkömmlich nicht zu lösen sind.

Die Fallanalyse ist keine starr und dogmatisch anzuwendende Methode. Im Gegenteil, sie ist sehr dynamisch. Sie begleitet den gesamten Untersuchungsprozess, denn sie ist sachverhaltsgebunden und korrespondiert mit der Anwendung von weiteren kriminaltaktischen Methoden, die sie mit ihren Erkenntnissen sozusagen „speist“. Die Fallanalyse soll einerseits Probleme der Untersuchung erkennen, andererseits Hinweise und Empfehlungen zur Problemlösung geben.

Merke:

Durch Fallanalyse sollen neue Sichtweisen auf den Fall und Erkenntnisse gewonnen werden, die bislang nicht offenkundig waren.

Mit einfachen Worten ausgedrückt heißt das, die Ergebnisse und Erkenntnisse aus einer Fallanalyse müssen geeignet sein, weitere Ableitungen (Synthesen) zur Klärung des Sachverhaltes treffen zu können, Vorstellungen darüber zu entwickeln, wie die Untersuchung des Einzelfalles weiter erfolgen soll und welche weiteren Prüfungshandlungen und Aufgaben dazu erforderlich sind. Die Fallanalyse ist dabei stets in den Gesamtzusammenhang der Untersuchung mit allen anderen Maßnahmen zu stellen. Sie nimmt keine Sonderstellung gegenüber anderen Aufklärungsmethoden ein. Sie ist ein Instrument, welches jeder Vorgangssachbearbeiter beherrschen sollte.

Wesensgleiche spezielle Methoden der Fallanalyse werden durch besonders ausgebildete Kriminalbeamte mit einem entsprechenden Ausbildungsprofil angewandt. Das schließt nicht aus, dass auch der Vorgangssachbearbeiter, wenn er fallanalytisch arbeitet, sich an den qualitativen Standards der Methodik der Operativen Fallanalyse (OFA) orientiert. Bei der Qualität der Beweisführung darf es keinerlei Unterschiede oder Abstriche geben. Darauf wird an anderer Stelle (Kapitel 6) näher eingegangen.

Die folgende Abbildung zeigt die Einordnung der Fallanalyse in die komplex verlaufende Untersuchung (Untersuchungsmethodik) eines Falles und den inneren Zusammenhang zwischen der Analysetätigkeit, der Schlussfolgerungskunst (Synthese) und der Ableitung der weiteren Untersuchungsschritte.

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Analyse, Synthese und Versions-/Hypothesenprüfung

Dieser Lehr- und Studienbrief folgt in seinem Aufbau im Wesentlichen der Diktion der Abbildung 1. Im Zentrum stehen allerdings die Fallanalyse, sowie die theoretischen Grundlagen und Anforderungen an das kriminalistische Denken. Die untersuchungsmethodischen Aufgaben der Versions-/Hypothesenbildung sowie der davon abgeleiteten Planung der Untersuchung werden an Hand der sich aus einer Fallanalyse ergebenden Erkenntnisse beispielhaft erläutert. Zur Abgrenzung und zum Gebrauch der Begriffe „Version“ bzw. „Hypothese“ in der Kriminalistik wird auf die Ausführungen in Kapitel 7 „Methodik der kriminalistischen Versionsbildung“ hingewiesen. Mit der Konzentration auf bestimmte Eckpunkte der Fallanalyse wird eine gewisse Systematisierung angestrebt, die vom Verlauf fallanalytischer Vorgehensweisen abgeleitet wird. Ein bestimmtes Maß an Einheitlichkeit der Fallanalyse bei der deutschen Polizei könnte für das Verständnis bei den Nutzern (das für alle Bundesländer gleiche Maßstäbe setzt) für die Standardisierung der allgemeinen Methode der Falluntersuchung sowie für den Prozess der Beweisführung förderlich sein.

Einer dieser einheitlichen Maßstäbe ist das Vorgehen nach einem einheitlichen Grundmuster8 der Fallanalyse. Es unterscheidet sich nur in wenigen Details vom Vorgehen bei der Operativen Fallanalyse.

Daten/-Informationssammlung

Aus dem Ersten Angriff und ersten Ermittlungshandlungen

Informationspotenzial – Kapitel 3Ausgangssituationen – Kapitel 2

Erhebung der für die Analyse geeigneten Falldaten

Beginn der Fallanalyse, Prüfen der Vollständigkeit, Feststellen der Geeignetheit

Festlegen von erforderlichen Nacherhebungen, Veranlassung von Nacherhebungen – Kapitel 2

Versionen/Hypothesen bilden

Auf den Analyseergebnissen beruhende Erklärungen für unbekannte Sachverhalte und offene Fragen finden

Versionsbildung, wo notwendig Versionen/Hypothesen bilden Kapitel 7

Die weiteren Untersuchungen/Ermittlungen planen

Emittlungsaufgaben und Maßnahmen zur Überprüfung der Versionen/Hypothesen bestimmen

Planung des weiteren Vorgehens, in geeigneten Fällen mittels Untersuchungs- und Ermittlungsplänen sowie Spezialaufgabenplänen – Kapitel 8

Abbildung 2: Vorgehen bei der Fallanalyse

Aus der Abbildung wird deutlich, dass die Fallanalyse in den kriminalistischen Untersuchungsprozess eingeordnet ist und die einzelnen Untersuchungsschritte aufeinander aufbauen. Ein solcher Ablauf der Untersuchung fördert nicht nur zielgerichtetes und auf Erfolg orientiertes Vorgehen, diese „Technologie“ verkörpert die kriminalistische Untersuchungsmethodik.

1.3 Begriffsverwendung

In der kriminalistischen Praxis wie auch in der Theorie existiert nicht nur ein einziger Begriff zur Fallanalyse. Zwangsläufig haben sich im Verlauf der letzten zwanzig bis dreißig Jahre viele Begriffswandlungen vollzogen. Das ist eine logische Folge der immer breiteren und tieferen wissenschaftlich-praktischen und methodischen Auseinandersetzung mit dem Inhalt, den einzelnen Verfahrensweisen sowie Anwendungsgebieten der Fallanalyse.

Um von vornherein Irrtümer und Verwechselungen auszuschließen, soll bereits eingangs auf einige Entwicklungen verwiesen werden, die schließlich dazu führten, dass die Fallanalyse heute als eine kriminalistische Methode ihren anerkannten Platz gefunden hat. Dabei stellen sich verschiedene Fragen, zum Beispiel nach dem Unterschied von Fallanalysen, ihrer Entwicklung, den Anwendungsgebieten, den Anwendern, ihrem Einfluss auf den Beweisprozess und andere.

Das Verständnis für die Begriffsverwendungen ergibt sich einerseits aus den unterschiedlichen Anwendungsgebieten. Andererseits ist die Begriffsbildung aus ihrer historischen Entwicklung heraus zu verstehen. Da im Lehr- und Studienbrief der Schwerpunkt auf Fragen der Anwendung der Fallanalyse liegt, kann auf theoretische und geschichtliche Entwicklungen der Begriffsverwendungen lediglich hinweisend eingegangen werden.

Beachte:

Die Kriminalistische Fallanalyse und die Operative Fallanalyse stehen im Zentrum der Behandlung fallanalytischer Verfahren und Methoden.

Auf weitere Bezeichnungen bzw. Begriffsverwendungen wird in Kapitel 5 näher eingegangen.

Begriffsverwendung aus historischer Sicht

In Deutschland wurde die internationale Entwicklung, insbesondere in den USA, Kanada, in Großbritannien, den Niederlanden sowie in Schweden, Finnland und Österreich in den 80er Jahren des 20. Jahrhundert verfolgt und ausgewertet. Erste zunächst bescheidene Initiativen gingen vom Bundeskriminalamt aus, das 1988 ein Konzept vorlegte, wie Fallanalysen und die Täterprofilerstellung für die deutschen Verhältnisse eingeführt werden könnten. Erst 1993 konstituierte sich die Projektgruppe „Kriminalistisch-kriminologische Fallanalyse“, die zur Aufgabe hatte, Methoden der Fallanalyse unter Berücksichtigung der Täterprofilerstellung zu entwickeln und auf verschiedene Deliktarten bzw. andere phänomenologische Anwendungsbereiche zu übertragen. Schon damals wurde ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt. Zur Realisierung dieser Aufgabe wurde unter anderem ein internationales Symposium durchgeführt und entsprechende wissenschaftliche Aktivitäten in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftsbereichen außerhalb der Polizei (Psychologie) entwickelt. In der Veröffentlichung „Methoden der Fallanalyse“ 9 erfährt der Leser eine Vertiefung dieser Zusammenhänge.

In zahlreichen internationalen Veröffentlichungen10 lassen sich die mit unterschiedlichen Ansätzen initiierten Entwicklungsschritte bis hin zur heutigen Fallanalyse verfolgen. Deren Zweck und Ziel sowie ihr Ursprung liegen in den ewig währenden Bemühungen der Kriminalbeamten, aus dem Tatgeschehen und allen weiteren Tatumständen Erkenntnisse zu der Person eines unbekannten Täters (außerhalb eines Fingerabdrucks) zu gewinnen und diesen danach womöglich personifizieren und identifizieren zu können. Zur Geschichte und den Methoden der Fallanalyse und des Täterprofils haben Hoffmann und Musolff einen historischen Überblick gegeben. Sie beschreiben die ersten erfolgreichen Täterprofile aus den 50er Jahren in den USA, z. B. den Fall „Mad Bomber“11. Die in der Entwicklung befindliche Disziplin der psychologischen Fallanalyse erlitt aber auch Rückschläge wie im Fall „Boston Stranglers“. Zwischen 1962 und 1964 wurden 13 Frauen ermordet. Ein Profiling-Komitee erarbeitete eine Charakterbeschreibung des unbekannten Gewaltverbrechers, die sich nach der Täterermittlung jedoch als völlig unzutreffend herausstellte. Welche Folgen solche Aussagen auf den Gang der Ermittlungen haben, erklären sich von selbst. Einen entscheidenden Einfluss auf die Fallanalyse und Täterprofilerstellung in Deutschland hatten die Arbeiten des Wiener Kriminalpsychologen Thomas Müller, der neben seinen Schriften auch Vortrags- und Publikationstätigkeit in Deutschland betrieb. Hoffmann und Musolff gehen auch auf die ersten Täterprofile in Deutschland ein. Als Anregung, dieses Buch zur Stoffvertiefung in die Hand zu nehmen, daraus der folgende Ausschnitt:

„Die ersten Täterprofile – Am 8. April 1930 erschien eine Sonderausgabe des „Deutschen Kriminalpolizeiblattes“. Darin entwarf Kriminaldirektor W. Gacy ein Charakterbild des „Phantoms von Düsseldorf“, jenes Unbekannten, dessen blutige Überfälle und Morde die ganze Region in Angst versetzten. Der Fahndungsversuch nach dem noch nicht identifizierten Serienmörder Peter Kürten stellt das erste bekannte Täterprofil der deutschen Kriminalgeschichte dar. Zwar war Gacys Analyse noch weit entfernt von heutigen methodischen Ansätzen und psychologisehen Erkenntnissen, dennoch lassen sich verblüffende Parallelen zum Aufbau moderner Täterprofile erkennen. So vermutete der Kriminaldirektor einen hochintelligenten Einzeltäter, von Beruf her Angestellter in gehobener Position, der motorisiert sei und seine Taten gut vorbereite. Sein alltägliches Erscheinungsbild charakterisiere, dass man sich, wie stets in derartigen Fällen, von der Persönlichkeit eines Lustmörders grundlegend falsche Vorstellungen macht. Der Täter hatte offenbar ein durchaus sympathisches Wesen. Die Taten entspringen zum großen Teil der widernatürlichen Geschlechtsneigung, die man mit Sadismus bezeichnet. Besonders bemerkenswert ist, dass Sadisten in ihrem gewöhnlichen Leben nur selten brutale, rohe oder gewalttätige Naturen sind. Es handelt sich fast stets um Menschen, die sanft, weich und gutherzig erscheinen.“12

Auf weitere geschichtliche Entwicklungsabschnitte zur Herausbildung fallanalytischer Verfahren geht Clages im „Roten Faden“ ein. Es wird auf den bekannten Berliner Leiter einer Mordinspektion Ernst Gennat verwiesen, der bereits in den 20er und 30er Jahren in seinen Aufsätzen zur Morduntersuchung auf die Phänomene „Tatort“, „Spuren am Opfer“ sowie den Zusammenhang zum „Täter“ hingewiesen hat.13

Es ist nicht zu verkennen, dass die historischen Betrachtungen zur Grundsteinlegung und Entwicklung der Fallanalyse unterschiedlich dargestellt werden. Zentraler Ausgangspunkt scheint jedoch die Täterprofilerstellung zu sein. Während es zur „Operativen Fallanalyse“ ein lückenloses Kalendarium zur Geschichte gibt (Vgl. Kapitel 6)14 gehen die Ansichten über den internationalen Ursprung der Fallanalyse beträchtlich auseinander. So werden die Ansätze in das 5. Jahrhundert vor Christi verlegt (Hippokrates als Begründer der modernen Medizin). Auch aus der von Immanuel Kant 1798 vorgenommenen Untersuchung „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, wird die Methode hergeleitet. Ebenso wird Cesare Lombroso als einer der Wegbereiter angeführt, weil er (in seiner falschen Lehre vom geborenen Verbrecher) Menschen nach ihren Gesichtszügen, nach sozialen, seelischen und körperlichen Merkmalen einordnete. Auch kriminalbiologische Arbeiten aus dem Jahr 1921 weisen auf die „Täterprofilbestimmung“ durch Beurteilung der Konstitution des Menschen hin.15 Weit verbreitet scheint die Auffassung zu sein, Profiling sei eine amerikanische Erfindung. Das mag damit zusammenhängen, dass der Begriff Profiler 1978 von Robert Ressler, damals Leiter der Abteilung Verhaltensforschung des FBI in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen geprägt wurde. Es gibt weitere Personen, welche sowohl die Methode als auch die Namensgebung für sich beanspruchen. Charakteristisch ist, dass es in Deutschland in den 80er und 90er Jahren viele Veröffentlichungen zur Fallanalyse gegeben hat, die sich in breiterem Umfang mit der Geschichte und Entwicklung als mit der Methode an sich befasst haben. Daraus entwickelte sich auch die unterschiedliche Begriffsverwendung, indem beispielsweise ViCLAS16 als Fallanalyse gesehen wurde oder die Tatortanalyse sowie Tatrekonstruktion als Fallanalyse verstanden worden sind. Festzuhalten ist, dass ein eindeutiger Begriff zur Fallanalyse noch nicht existiert, es werden verschiedene kriminalistische Arbeitsmethoden und computerunterstützte Verfahren, die eigentlich nur Werkzeuge oder Hilfsmittel der Fallanalyse sind, als Fallanalyse bezeichnet.

1.4 Begriffsbestimmung

Unter Anwendungsaspekten ist die Analyse eines zu untersuchenden kriminellen Geschehens nichts anderes als eine vom Kriminalbeamten zu leistende Denktätigkeit, bei welcher er sich mit dem inhaltlichen Sachverhalt eines Ermittlungsverfahrens auseinandersetzt, um festzulegen, was noch zu tun ist, um die „umfassende Tataufklärung“ des Falles sicherzustellen. Systematisch und gedanklich strukturiert, geht der Sachbearbeiter den Fall gedanklich durch. Damit rekonstruiert er Schritt für Schritt das Tatgeschehen und vergleicht es unter dem Aspekt der Täterermittlung oder im „bekannten Verfahren“ mit den Beweisanforderungen.

Diese allgemeine Kennzeichnung des fallanalytischen Vorgehens reicht zur Erklärung noch nicht aus, deshalb sollen zunächst einige begriffliche Vorstellungen vorangestellt werden, die erklären, was darunter zu verstehen ist.

Das Bundeskriminalamt versteht darunter: „Bei der Fallanalyse handelt es sich um ein kriminalistisches Werkzeug, welches das Fallverständnis bei Tötungsund sexuellen Gewaltdelikten sowie anderen geeigneten Fällen von besonderer Bedeutung auf der Grundlage objektiver Daten und möglichst umfassender Informationen zum Opfer mit dem Ziel vertieft, ermittlungsunterstützende Hinweise zu erarbeiten.“17

Es wird darauf hingewiesen, dass das Werkzeug Fallanalyse ausschließlich im Sinne dieser Definition anzuwenden ist. Im Hinblick auf die geforderten fallanalytischen Grundsätze und Qualitätsmerkmale ist das wohl berechtigt, der Begriff engt aber die Anwendung für die breite Masse von Kriminalfällen ein.

Clages führt aus: „Die kriminalistische Fallanalyse ist ein am Einzelfall orientiertes Analyse- und Syntheseverfahren, in dem nach kriminalistischen und kriminologischen Kriterien die über den Fall vorliegenden Informationen in einem analytischen Denkprozess durchdrungen, bewertet und nach der Methode der kriminalistischen Synthese zu einem Bild über Tat, Täter und Opfer zusammengefügt werden. Ihr Zweck ist darauf gerichtet, Ergebnisse für die Aufklärung des einzelnen Kriminalfalles sowie für die Ermittlung und Überführung des Täters bereit zu stellen. Sie ist generell anwendbar auf alle Kriminalfälle.“18

Auf 2 Aspekte dieser Begriffsbestimmung ist hinzuweisen. Zum einen hebt Clages die Beurteilung des Falles auch nach kriminologischen Kriterien hervor. Das ist eine unerlässliche Bedingung, weil z. B. über täter- und opferbezogene Fakten wesentliche Hinweise gewonnen werden können. Ohne Beurteilung und Verwertung kriminologischer Faktoren ist keine Fallanalyse möglich. Im Entwicklungsprozess der Fallanalyse wurde diese 1993 bei Projektbeginn im BKA aus diesen Gründen auch als „Kriminalistisch-kriminologische Fallanalyse (KKF)“ bezeichnet. Darauf wird in Kapitel 6 noch einmal eingegangen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die in der Definition geforderte universelle Anwendbarkeit. Eine Beschränkung der Methode auf ausgewählte Fälle kann es nicht geben, lediglich höhere qualitative Anforderungen wie bei der Operativen Fallanalyse müssen gestellt werden. Ein unterschiedliches Aufwand-Nutzen-Verhältnis bedeutet keinen Abstrich an qualitativen Anforderungen, entscheidend ist, dass die Methode fachgemäß angewandt wird. Auf die Zweckmäßigkeit, auf einem Grundmuster, einer Grundform oder Normalform höhere Formen der Fallanalyse aufzubauen wird an anderer Stelle noch einmal eingegangen.

Hoffmann und Musolff definieren den Begriff der Fallanalyse folgendermaßen: „Eine Fallanalyse unternimmt den Versuch, über die Rekonstruktion und Interpretation eines Verbrechens – insbesondere aber über die Rekonstruktion und Interpretation des Verhaltens eines meist unbekannten Täters – Hypothesen über die Hintergründe der Tat aufzustellen, mit dem Ziel, polizeitaktisch relevante Informationen zu produzieren. Grundlage jeder Fallbearbeitung bildet die vorhandene Spurenlage eines Falles, wie sie sich etwa am Fundort einer Leiche oder in Form eines Erpresserschreibens darbietet. Auf dieser Basis wird das Verhalten des Täters während der Tat rekonstruiert, in aller Regel in chronologischer Reihenfolge des Tatgeschehens.“19 Der Aussage „polizeitaktisch relevante Informationen zu produzieren“ muss widersprochen werden, weil leicht der Eindruck der Beweismanipulation entstehen könnte. Es wird bei der Fallanalyse nichts geschaffen, erzeugt oder produziert, sondern Bestehendes und Erkanntes interpretiert. In vielen Berufungsverfahren sieht sich die Polizei mit dem Vorwurf Beweise manipuliert oder produziert zu haben konfrontiert. Und auch beweisrechtlich ist diese Formulierung angreifbar.

Diskussion

Unter Kriminalistischer Fallanalyse (KFA) ist die Zergliederung, Auflösung bzw. Zerlegung eines kriminalistisch relevanten Sachverhaltes, einer bestimmten Ereignissituation oder einer Straftat in seine Einzelteile zu verstehen, um nach rechtlicher, psychologischer, polizeitaktischer und kriminaltaktischer Beurteilung aller Zusammenhänge einen Entschluss zu fassen, wie die Ermittlung und Untersuchung im betreffenden Fall durchzuführen ist, um mit höchster Effizienz das Ziel der Untersuchung zu erreichen.

Die Analyse bildet die Voraussetzung, um danach im Sinne einer Synthese alle Fakten zu einem Mosaik über Tat und Täter zusammenzufügen. Die Kriminalistische Fallanalyse ist daher sehr eingeschränkt mit der Beurteilung der polizeilichen Lage zu vergleichen. Die polizeiliche Lagebeurteilung wird weitgehend von einsatztaktischen Aspekten im größeren Rahmen bestimmt. Deshalb reicht eine allgemeine polizeiliche Lagebeurteilung für die Falluntersuchung bzw. Untersuchung von Straftaten im Ermittlungsverfahren nicht aus. Der Einzelfall muss entsprechend der Bezugsebene (die nicht den gesamten polizeilichen Handlungsrahmen erfasst) gründlich nach allen Seiten hin analysiert werden. Das bezieht sich insbesondere auf Tatverlauf, Begehungsweise, Täter, Folgen der Tat, Motive, Ursachen, Spuren und Beweismittel, den Inhalt von getroffenen Feststellungen und bereits vorliegenden Aussagen (auch was Kräfte, Mittel anbelangt ist nicht ausgeschlossen).

Eine kriminalistische Fallanalyse endet, indem ein kriminaltaktisches Konzept für das weitere Vorgehen erarbeitet wird. Solche Konzepte sind auch als Untersuchungs- oder Ermittlungspläne bekannt. Empfehlungen und Hinweise aus der Fallanalyse können, teilweise als Aufgaben und Maßnahmen, in einen Entschluss des Polizeiführers eingehen, wenn es sich beispielsweise um Aufgaben mit Einsatzcharakter handelt.

Die Kriminalistische Fallanalyse geht ihrem Ursprung nach auf die zunächst empirische Betrachtung eines einzelnen Kriminalfalles zurück. Fallanalyse ist keine neue heutige Erkenntnis, schon im 18. und 19. Jahrhundert wurde sie bewusst angewandt. Die Methoden der „Fallbeurteilung“ gehen auf die umstrittene Ermittlungsempfehlung „in die Haut des Täters zu schlüpfen“ zurück. Umstritten deshalb, weil das verlangt, die Tat nachzuvollziehen, sie in ihren einzelnen Handlungsphasen zu ergründen. Das bedeutet soviel, wie die Tat zu wiederholen und das verstößt gegen Rechtsgrundsätze und nährt ethische Bedenken. Der Einzelfall war schon immer Ausgangspunkt der analytischen Betrachtung, um daraus neue Erkenntnisse zu gewinnen. Ursprünglich standen juristische Überlegungen eines Kriminalfalles im Vordergrund, später spielten immer stärker Erwägungen zum Tatablauf und zum Täter eine Rolle. Fallanalysen spielen sowohl in der Kriminalistik als auch in der Kriminologie eine Rolle. Die kriminologische Fallanalysebeschäftigt sich im Schwerpunkt mit den in der Person des Täters liegenden Faktoren, einschließlich seiner soziologischen Beziehungen. Die kriminalistische Fallanalyse