Krisenspirale oder Neustart? - Bernd-Peter Lange - E-Book

Krisenspirale oder Neustart? E-Book

Bernd-Peter Lange

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Beschreibung

Diese Publikation wendet sich an wirtschaftlich und politisch Interessierte gleichermaßen. Es schildert an vier zusammenhängenden Krisenerfahrungen deren Hintergründe und zeigt grundsätzliche Ansätze zu einem ordnungspolitischen Neustart auf der Basis des aktualisierten Konzepts der sozialen Marktwirtschaft auf. Die Analysen sind interdisziplinär angelegt, indem wirtschaftswissenschaftliche, juristische, soziologische, psychologische und politikwissenschaftliche Ansätze zum besseren Verständnis der Probleme der Gegenwart herangezogen werden. Das Buch ist einerseits eine Einführung in die Sozio-Ökonomie und andererseits eine prononcierte Streitschrift gegen das "weiter so".

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Seitenzahl: 670

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Impressum:

Lange, Bernd-Peter:

Krisenspirale oder Neustart ?

Aktuelle sozio-ökomische Analysen und wirtschaftspolitische Perspektiven für Europa

Koblenz, August 2015

Alle Rechte am Werk liegen beim Autor:

Universitätsprofessor (Em.) Bernd-Peter Lange – Universität Osnabrück

Krisenspirale oder Neustart ?
Aktuelle sozio-ökomische Analysen und wirtschaftspolitische Perspektiven für Europa

Der Autor ist Jurist und emeritierter  Professor für Wirtschaftstheorie am Fachbereich

Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück.

1974/75 Mitglied der Bundeskommission zum  Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK)  für den Bereich Wirtschaft

1984 - 1989 Stellvertretender Vorsitzender der Begleitforschungskommission zum Kabelpilotprojekt Dortmund - Abschlussbericht in 3 Bänden

1990-1995 Vorsitzender der ISDN Forschungskommission des Landes NRW

Von 1993 bis 1999  Generaldirektor des Europäischen Medieninstituts in Düsseldorf.

Wichtige Veröffentlichungen:

Bernd-Peter Lange  et al., Konzentrationspolitik in den USA, Tübingen 1972

Bernd-Peter Lange, Kommerzielle Ziele und binnenpluralistische Organisation von

Rundfunkveranstaltern, Frankfurt am Main/Berlin 1980

Bernd-Peter Lange et al., Sozialpolitische Chancen der Informationstechnik, Frankfurt/New York 1982

Bernd-Peter Lange et al., ISDN in Unternehmen und Verwaltungen, Trends, Chancen und Risiken , Opladen 1996

Bernd-Peter Lange, David Ward, The Media and Elections, Mahwah, New Jersey/London 2004

Bernd-Peter Lange, Medienwettbewerb, Konzentration und Gesellschaft, Wiesbaden 2008

"The heritage of the past is the seed that brings forth the harvest of the future."

(National Archives, Washington DC)

Vorwort

1984 auf einer Japan-Forschungsreise hat der Verfasser Geldwäsche in aller Öffentlichkeit miterlebt. An einem sonnigen Sonntag standen festlich gekleidete, meist ältere Herren in einer langen Schlange vor einem religiösen Schrein. Waren sie vor ihm angelangt, zogen sie ihre Brieftasche heraus, entnahmen ihr in gemessenem Tempo Geldscheine mit hohen Summen und tauchten sie in ein kleines rituelles Becken, ähnlich einem Weihwasserbecken in katholischen Kirchen, dass die Gläubigen beim Betreten der Kirche benutzen, um ihre Finger zu benetzen und um sich zu bekreuzigen. Waren die Geldscheine durchs "heilige" Wasser gezogen, so wurden sie abgetropft. Die Herren in den dunklen Anzügen verneigten sich ehrerbietig in Richtung Schrein und kehrten, die Geldscheine sorgfältig an Ort und Stelle wieder verstaut, mit gefalteten Händen zu ihren abseits wartenden Familien zurück. Nach der Herkunft des Geldes fragte hier niemand, auch kein Priester. Sie blieb im Dunkeln.

Geldwäsche im ökonomisch-juristischen Sinne bedeutet, dass illegal erworbenes Vermögen in den normalen Geldkreislauf eingeschleust wird und dann die Herkunft nicht mehr zurückverfolgt werden kann. Wenn es dann noch religiös gereinigt wird, beruhigt das auch noch das Gewissen.

Diese Anekdote verdeutlicht, wie eng das Finanzwesen eines Landes in das gesellschaftliche, religiöse und ethische System eingebettet ist, welchen historischen Traditionen es vordergründig verpflichtet ist und wie Geldwäsche in aller Öffentlichkeit praktiziert wird.

Im Sommer 2015 pokert der bankrotte griechische Staat darum, möglichst viele günstige Kredite von den internationalen Gläubigern - IWF, EZB und EU-Kommission - möglichst ohne dringend notwendige Gegenleistungen zu erhalten. Die linksradikale Regierung in einer Koalition mit einer rechtsradikalen, nationalistischen Partei ist dabei, nach über 5 Jahren offenbar gescheiterter Rettungspolitik gegenüber Griechenland die Eurozone in eine existentielle Krise zu stürzen. Der mögliche Grexit und der nicht auszuschließende Brexit - der Austritt Großbritanniens aus der EU nach dem spätestens für 2017 angekündigten Referendum - gefährden grundsätzlich weitere notwendige Schritte der europäischen Integration, bzw. sie gefährden den erreichten Stand des europäischen Zusammenhalts.

Vor einem derartigen Hintergrund geht es in dieser Publikation darum, mit sozialwissenschaftlicher Akribie den Krisen der Gegenwart - internationale Finanzkrise, Euro-Krise, Staatsschuldenkrise und Krise der europäischen Integration - nachzuspüren und hinter den vielfältigen Erscheinungsformen der Realität nach Gesetzmäßigkeiten und Machtstrukturen zu fragen. Dabei ist zu klären, welche historischen Wurzeln die Krisen haben, denn sie ergeben sich aus vergangenen strukturellen Fehlentwicklungen.

Der Begriff der Krise enthält immer auch den der Chance: Was können Gesellschaften aus Krisen lernen, was können und müssen sie in Zukunft grundsätzlich besser machen. Handelt es sich um tiefgehende und lang andauernde Krisen, so ist ein grundsätzlicher Neustart auf ordnungspolitischer Basis erforderlich.

Wenn man einen so dramatischen Titel für ein wissenschaftliches Werk wählt, muss viel auf dem Spiel stehen:

- Selten war so viel Zusammenbruch - der Glaube an die freie Selbstregulierung der Märkte ist durch die andauernde Finanzkrise tief erschüttert; selten war so viel Umbruch - die Suche nach neuen auch internationalen Regulierungsstrukturen kennzeichnet die Zeit nach der Deregulierung; selten war so viel Aufbruch - die EU befindet sich am Scheideweg: zurück zum Nationalismus oder vorwärts zu den Vereinigten Staaten von Europa?

- Gelingt es, gegenüber einem räuberischen internationalen Finanzkapital zu einer demokratisch legitimierten Ordnungspolitik auf der Basis der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zurückzukehren?

- Lässt sich die Euro-Krise dauerhaft durch notwendige Strukturreformen überwinden oder fallen wir zurück auf nationale Währungen als Spielbälle der internationalen Spekulation?

- Gibt es Wege, um die weiter ansteigende Staatsverschuldung in den Ländern der Europäischen Union zu stoppen und zurückzufahren oder belasten wir uns folgende Generationen immer stärker?

- Fallen wir in Europa zurück in einen verheerenden Nationalismus oder schreiten wir fort im Friedensprozess der solidarischen europäischen Integration?

- Wie können um sich greifende Korruption und ein illegitimer Lobbyismus mächtiger Einzelinteressen zurückgedrängt werden zur Wiederherstellung des demokratisch legitimierten Rechts?

Die sozio-ökonomische Methode hat der Autor in mehr als 25 Jahren Lehrtätigkeit entwickelt und praktiziert. Hier geht es um die Anwendung auf vier brandaktuelle und sich gegenseitig befeuernde Krisen, die sowohl die Wissenschaft als auch die Politik herausfordern. Nur wenn man sie in ihrer Komplexität versteht, kann man sich selber ein Bild machen und informiert handeln im Sinne der nachhaltigen Überwindung der Krisen.

Hier geht es darum, die Leser mit sozio-ökonomischem Denken so vertraut zu machen, dass Sie am Ende in der Lage sind, mit diesen Analysemethoden diese zusammenhängenden Krisen und auch andere wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme zu verstehen und Reformvorschläge kritisch zu bewerten.

Es sind im Kern vier Essays über die oft verzweifelten politischen Versuche, gesellschaftliches Chaos und menschliche Hybris und maßlose Gier durch nachhaltige Ordnung zu disziplinieren. Welche Chance hat heute der Versuch, durch demokratisch legitimierte Entscheidungen dem Gemeinwohl auf nationalstaatlicher und auf EU-Ebene zu dienen?

Wertvolle Anregungen und Verbesserungsvorschläge verdanke ich meiner Frau, Dr. Jutta Lange-Quassowski. Verbleibende Unkorrektheiten oder Fehler gehen ausschließlich zu meinen Lasten.

Ich wünsche der Publikation eine weite Verbreitung. Möge sie zu einer breiten Diskussion beitragen.

Koblenz, im Sommer 2015

Bernd-Peter Lange

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1.1 Warum diese Form der interdisziplinären Analyse?

1.2 Was ist der Anspruch dieser Art der Analyse?

2 Globale Finanzmarktkrise seit Ende 2007 und internationale Ordnungspolitik

2.1 Kurzer Überblick über die Geschichte des Bankwesens

2.2 Die wichtigsten Krisen des Bankenwesens im Laufe der Geschichte

2.3 Die weltweite Bankenkrise seit 2007: ein chronologischer Überblick

2.3.1 Die Besonderheiten des US-amerikanischen Immobilienmarktes

2.3.2 Die US-amerikanische Politik des billigen Geldes zur Stimulierung des Konsums

2.3.3 Die Entwicklung der Immobilienblase

2.3.4 Die Zockerei der Investmentbanker - was sind das für Menschen?

2.3.5 Der Finanzmarktcrash als eine über internationale Märkte rollende Lawine

2.3.6 Krisenprofile einzelner ausgewählter Großbanken

2.3.7 JP Morgan Chase (USA)

2.3.8 Goldman-Sachs (USA)

2.3.9 Bank of America (USA)

2.3.10 Lehman Brothers (USA)

2.3.11 Fannie Mae und Freddie Mac (USA)

2.3.12 UBS ( Schweiz)

2.3.13 Credit Suisse (Schweiz)

2.3.14 HSBC (Hongkong & Shanghai Banking Corporation Holdings PLC) mit Sitz in London.

2.3.15 Royal Bank of Scotland (RBS) (Großbritannien)

2.3.16 Barclays (Großbritannien)

2.3.17 BNP Paribas (Frankreich)

2.3.18 Bankia (Spanien)

2.3.19 Schattenbanken

2.3.20 Hypo Real Estate (HRE) (Deutschland)

2.3.21 Landesbanken in Deutschland (LBBW, Nord LB, Bayern LB, West LB)

2.3.22 Geschichte der Deutschen Bank bis heute

2.3.23 Sozio-ökonomische Thesen zur Deutschen Bank

2.4 Die Auswirkungen im Finanzsektor und in der Realwirtschaft

2.5 Systematisierung der Krisenursachen

2.6 Reaktionen der Politik in den USA und in Europa.

2.6.1 Staatliche Bankenrettung

2.6.2 Einrichtung von Bad Banks

2.6.3 Die FED und die EZB und die Politik des billigen Geldes

2.6.4 Die Verschärfung der Regulierung in den USA und in der EU

2.6.5 Die Kontroversen um die Erhöhung von Eigenkapitalanforderungen

2.6.6 Die Kontroverse um das Trennbankensystem

2.6.7 Die Einschränkung des Eigenhandels (Volcker-rule in den USA)

2.6.8 Die Verbote von Leerverkäufen

2.6.9 Die Begrenzung von Bonuszahlungen

2.6.10 Das Vorgehen gegen Schattenbanken

2.6.11 Die Problematik des Hochfrequenzhandels und das Manipulationspotential

2.6.12 Regulierung der Ratingagenturen ?

2.6.13 Die Kontroversen über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer

2.6.14 Schärfere US-Regeln für Auslandsbanken

2.7 Die Skandale und ihre juristische Aufarbeitung.

2.8 Regulierung, Deregulierung, Re-Regulierung: Effizienz der Ordnungspolitik und die Frage nach staatlicher Souveränität.

2.9 Die Kontroversen zwischen Neo-Liberalen und Keynesianern und die jeweiligen Interessenpositionen

2.10 Der Beitrag der Institutionalisten

2.11 Zur Kritik des "homo oeconomicus"

2.12 Perspektiven der angestrebten Bankenunion in Europa.

2.13 Sozio-ökonomische Analyse von Rechtssetzung und -anwendung

2.14 Sozio-ökonomische Thesen zu den Erfahrungen der aktuellen Finanzmarktkrise - better safe than sorry -

2.15 Welches sind die Kosten - finanziell und gesellschaftlich - und wer trägt sie?

2.15.1 Kosten der Bankenrettung in den USA und in Europa

2.15.2 Kosten der Stützung der Realwirtschaft - Steigerung der Staatsschulden

2.15.3 Kosten durch Wohlstandsverluste

2.15.4 Gesellschaftliche Kosten: Erschüttertes Vertrauen in den Finanzsektor und in die Funktionsweise der Marktwirtschaft

2.15.5 Erhöhter und andauernder Stress für die Politik

2.16 Ausblick: Lehren aus der Krise?

2.17 Schritte auf dem Wege zu einer internationalen Ordnungspolitik

3 Eurokrise und die Notwendigkeit einer europäischen Wirtschaftspolitik oder der Test darauf, wie dünn die Decke einer solidarischen Zivilisation ist

3.1 Das Konzept eines einheitlichen Währungsraumes in Europa und die dazu gehörigen Rahmenbedingungen

3.2 Die Einführung des Euro und die Entwicklungsgeschichte

3.3 Die Eurokrise

3.3.1 Die Erscheinungsformen und die Chronologie

3.3.2 Die Kontroversen über die Ursachen

3.4 Besondere Krisenländer

3.4.1 Griechenland

3.4.2 Portugal

3.4.3 Irland

3.4.4 Italien

3.4.5 Frankreich

3.4.6 Zypern

3.5 Strategien zur Bekämpfung der Krise und ihre jeweiligen Nebenwirkungen

3.5.1 Rettungsschirme und Strukturreformen

3.5.2 EZB-Leitzinssenkungen und Aufkauf von Staatsschuldtiteln

3.5.3 Entwicklung eines klar definierten Rechtsrahmens für Staatspleiten

3.5.4 Koordination der Wirtschafts- und Haushaltspolitik im Euroraum?

3.5.5 Die Reichweite des Fiskalpaktes

3.5.6 Wirkungen und Nebenwirkungen

3.5.7 Wer zahlt für die Krise: schleichende Entwertung von Geldvermögen und Haftung als Steuerzahler

3.5.8 Keine Perspektiven für die Jugend: Hohe Arbeitslosigkeit in Europa

3.6 Welche Zukunft hat der Euro?

3.6.1 Einführung von Euro Bonds?

3.6.2 Aufspaltung der Eurozone in einen Nord- und einen Südeuro?

3.6.3 Entschuldung durch einen Schuldenschnitt und/oder eine einmalige Vermögensabgabe?

3.6.4 Exkurs: Entgangene Steuereinnahmen durch Schattenwirtschaft, Verschwendung und Korruption

3.7 Die Kontroversen zwischen Konservativen und Konjunkturförderern

3.8 Sozio-ökonomische Evaluation der Euro-Krise: Lassen sich die Geburtsfehler beheben?

3.9 Weitere Schritte zur europäischen Wirtschaftspolitik

4 Internationale Staatschuldenkrise und Wertewandel

4.1 Was sind Staatsschulden, wie werden sie erfasst und wie werden sie bewertet?

4.2 Die Entwicklung der Staatsschulden in verschiedenen Ländern - ein Überblick

4.2.1 Deutschland

4.2.2 Frankreich

4.2.3 Italien

4.2.4 Spanien

4.2.5 Griechenland

4.2.6 Portugal

4.2.7 Irland

4.2.8 Großbritannien

4.2.9 EU insgesamt und Vergleich der einzelnen Länder

4.2.10 Japan

4.2.11 USA

4.2.12 Kanada

4.2.13 Exkurs: Steuergeschenke, Klientelpolitik, Verschwendung , Steuerhinterziehung, Korruption

4.3 Die europäischen Regeln zur Begrenzung der Staatsschulden und warum sie bisher nicht eingehalten wurden

4.4 Perspektiven von Neuverschuldungsbremsen und Haushaltskonsolidierungen

4.5 Lösungsansatz: Schuldenschnitt?

4.6 Politische Zwänge zwischen Haushaltskonsolidierung, Zukunftsinvestitionen und Anforderungen an Generationen- und Verteilungsgerechtigkeit

4.7 Sozio-ökonomische Evaluation der internationalen Staatsschuldenkrise

4.8 Den notwendigen Wertewandel befördern

5 Krise der Europäischen Integration und Zukunft der Vereinigten Staaten von Europa Geschichtsvergessenheit oder aus der Geschichte lernen?

5.1 Geschichtlicher Überblick:

5.1.1 Von den 6 Gründungsmitgliedern zur EU der 28

5.1.2 Die Befriedung bzw. Integration von Balkan Staaten

5.1.3 Die EU Nachbarschaftspolitik

5.1.4 Die inhaltlichen Integrationsfortschritte

5.2 Die EU in der Entwicklung: ihre Verfassung, ihre Dimensionen, ihre Probleme und ihre Wahrnehmung

5.3 Zentrifugale Kräfte im Innern und Bedrohungen von außen

5.3.1 Das Wiedererstarken nationalistischer und rechtsradikaler Kräfte

5.3.2 Großbritannien: ein "Störenfried" oder ein nützlicher Reformmotor?

5.3.3 Die Bedrohung durch Russland

5.3.4 Beitrittsperspektiven für die Türkei, für Serbien und die Ukraine?

5.4 Kontroverse Reformkonzepte und pergierende Interessen

5.5 Die Vereinigten Staaten von Europa: ein zukunftsfähiges Konzept?

5.5.1 Ein überzeugendes Narrativ?

5.5.2 Eine europäische Öffentlichkeit als Integrationselement ?

5.5.3 Die Behauptung der EU als Friedens- , wirtschafts-, sozialpolitisches und sozio-kulturelles Projekt im Konzert der Weltmächte im 21. Jahrhundert?

5.6 Sozio-ökonomische Evaluation und die notwendigen Reformschritte

6 Interdependenzen, Problemkumulation und wissenschaftliche und politische Herausforderungen

6.1 Die Zusammenhänge der vier Krisen

6.2 Die neue Unübersichtlichkeit in globaler Perspektive - die zunehmende Bedeutung von Resilienz und Nachhaltigkeit

6.3 Vor dem Scherbenhaufen der herrschenden Wirtschaftswissenschaften - was nun?

6.4 Politische Neuorientierung und Rückbesinnung auf Werte

6.4.1 Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert

6.4.2 Grundfreiheiten in der EU

6.4.3 Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips

6.4.4 Stärkung der Demokratie - Zurückdrängung des Lobbyismus und Korruptionsbekämpfung

6.4.5 Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit

6.5 Hat sich der sozio-ökonomische Ansatz bewährt?

7 Anhang 1: Weitere Krisenprofile wichtiger internationaler Banken

7.1 USA

7.1.1 Wells Fargo

7.1.2 Morgan Stanley

7.1.3 Citigroup

7.2 Großbritannien

7.2.1 Lloyds Banking Group

7.2.2 Northern Rock

7.2.3 Ermittlungen gegen die Bank of England

7.3 Deutschland

7.3.1 Commerzbank

7.4 Niederlande

7.4.1 SNS Reaal

7.5 Schweiz

7.5.1 Wegelin

7.6 Vatikanstaat

7.6.1 Instituto per le Opere di Religione (IOR, Vatikanbank Rom)

8 Anhang 2: Sozio-Ökonomie und ähnliche Ansätze und Vorläufer

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Wiederholungen sind unvermeidbar, weil jeder der vier Teile für sich verständlich sein soll. Deshalb werden die Entwicklungen in besonderen Krisenländern mehrfach geschildert allerdings mit je spezifischem Akzent. Die jeweiligen Zahlen können voneinander geringfügig abweichen, weil zum Teil unterschiedliche Quellen verwandt worden sind.

Einleitung

Wir schrieben vor einem Jahr das Jahr 2014: 200 Jahre nach dem Wiener Kongress als Reaktion auf die napoleonischen Kriege, - der Wiener Kongress als der 2. Versuch nach dem westfälischen Frieden eine "dauerhafte" Friedensordnung in Europa zu etablieren -, 100 Jahre nach Beginn des 1. Weltkrieges, 75 Jahre nach Beginn des 2. Weltkrieges, der mit dem 1. Weltkrieg zusammenhängt und den Tiefpunkt jeder zivilisierten Entwicklung in Europa markiert. 2014 sind aber auch 65 Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes vergangen, der freiheitlichsten Verfassung in Deutschland, die es je gab, und 25 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Union und des Mauerfalls in Berlin. Dieses freudige Ereignis ermöglichte inzwischen 9 osteuropäischen Staaten, der Europäischen Union beizutreten, und damit nach Europa zurückzukehren. 2014 fanden auch Wahlen zum europäischen Parlament statt und es wurde eine neue EU Kommission unter ihrem Präsidenten Jean Claude Juncker gebildet. Die Europäische Union seit 1956 gewachsen, auch und gerade jetzt unter Einschluss osteuropäischer Staaten und Slovenien und Kroatien, ist gemessen an den Kriegen vorher und den Zeiten des "kalten Krieges" und gemessen an früherem Nationalismus ein "Wunder" und ist sowohl politisch als auch ökonomisch ein historisch einmaliges Freiheits- und Friedenswerk in Bezug auf die Integration ganz verschiedener Völker und Länder nach demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien. Am 10. Dezember 2012 erhielt die EU den Friedensnobelpreis - nicht nur eine Anerkennung des bisher Geleisteten sondern auch eine Verpflichtung für die Zukunft!

Die Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 haben aber auch zwei besorgniserregende Ergebnisse gezeitigt; zum einen war die Wahlbeteiligung in einigen Ländern wie z.B. in der Slowakei sehr gering, zum anderen haben Parteien mit dezidiert antieuropäischen Programmen starken Zulauf erhalten: So wurde die Front National in Frankreich dort die stärkste Partei, ebenso die UKIP in Großbritannien. Dies zeigt, dass die Begeisterung für das europäische Integrationsprojekt stark nachgelassen hat. Die Revolution in der Ukraine in diesem gleichen Jahr ist trotzdem auch ein Zeichen, welche Strahlkraft die Europäische Union zumindest nach außen nach wie vor entfaltet, auch wenn die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Destabilisierung zumindest der Ostukraine durch Russland unter Führung von Putin ein barbarischer Rückfall ins 19. bzw. 20. Jahrhundert darstellt. Diese Entwicklungen gemahnen, den erreichten Stand der europäischen Integration nach innen nicht als selbstverständlich und auf Dauer gesichert anzusehen und nach außen weiterhin konsequent eine offene Nachbarschaftspolitik auch und gerade der Ukraine gegenüber zu betreiben. Dies ist leicht gesagt aber schwer zu realisieren: Für ein vereintes Europa und ein Europa der friedlichen Nachbarschaft muss auf allen Ebenen der Politik und Zivilgesellschaft geworben und gekämpft werden.

Im Jahre 2000 hatte die EU das Ziel formuliert, bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Dies ist nicht gelungen. Im Gegenteil: Die EU steckt heute in der tiefsten Krise ihrer Geschichte, geprägt durch demographischen Wandel - Europa ist der einzige Erdteil, dessen Bevölkerung sinkt -, hohe, bisher immer noch wachsende Staatsverschuldung, politische Krisen in wichtigen Ländern der EU wie z. B. Griechenland, Italien oder Spanien, eine hartnäckige globale Finanzmarkt- und eine tiefgehende Eurokrise mit zentrifugalen Desintegrationskräften, schwaches und uneinheitliches Wirtschaftswachstum und strukturelle Arbeitslosigkeit mit besonders einer Jugendarbeitslosigkeit von über 50% wie in Spanien. Außerdem stellen in vielen Ländern Europas rechts-populistische Parteien verstärkt die europäische Integration grundsätzlich in Frage.

Es stellt sich also die Frage, wie es zu diesen Europäischen Krisen kommen konnte, wieso strategische integrationspolitische Orientierungen sowohl auf EU- als auch auf nationalstaatlicher Ebene ins Leere liefen, wieso Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik offenbar versagt haben und vor diesem Erfahrungshintergrund welche Perspektiven es auf dem Weg zur Sicherung der europäischen Integration zu wieder dynamischem Wirtschaftswachstum, hoher Beschäftigung, ausgeglichener Einkommens- und Vermögensverteilung, Abbau der Staatsverschuldung und wirtschaftlicher und politischer Stabilität gibt. Grundsätzlich ist nach einer Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft, nach Regulierungsanforderungen besonders für Banken und nach ordnungspolitischer Neuorientierung besonders in der Eurozone zu fragen. Es geht um nicht weniger als um den weiteren Zusammenhalt der europäischen Union. Dabei müssen auch die Interdependenzen zwischen den Krisen herausgearbeitet werden: Wie weit haben die Rettungspakete für Banken in Schieflage die Staatsverschuldung weiter vorangetrieben? Ist dadurch die Eurokrise überhaupt erst ausgebrochen? Ist die Rettungspolitik gegenüber Griechenland gescheitert? Wenn ja, was dann? Haben Staatsschulden- und Eurokrise die drohende Spaltung Europas in einen prosperierenden Norden und einen kranken Süden beschleunigt? Nur wenn diese Fragen beantwortet sind, lässt sich auch eine umfassende Strategie zur Bekämpfung der verschiedenen, und doch zusammenhängenden Krisen diskutieren. Der Begriff der Krise umfasst daher zwei Perspektiven: Zum einen geht es um die Erfassung sich zuspitzender Fehlentwicklungen im Sinne einer abwärts gerichteten Spirale, zum anderen geht es um die Auslotung der Bedingungen eines Neuanfangs, um die Chancen, die Krise zu überwinden und in Zukunft zu verhindern.

Die Verwendung des Begriffes "Sozio-Ökonomie" ist Ausdruck eines Programms: Es geht darum, einen Beitrag zur Re - Formulierung der herrschenden Wirtschaftstheorie des Modell- orientierten "zeitlosen" Neo-Liberalismus zu leisten. Nur so können die Wirtschaftswissenschaften wieder als Sozialwissenschaften etabliert werden. Dies bedeutet, dass Kategorien wie Machtausübung und Herrschaft zentral für die sozio-ökonomischen Analysen sein müssen. Dies bedeutet weiterhin, dass wirtschaftliche Entwicklungen in ihrem jeweiligen historischen und sozialen Kontexten zu behandeln und dabei psychologische, soziologische, politische und juristisch-regulatorische Aspekte zu berücksichtigen sind. Daher ist ein interdisziplinärer Ansatz geboten.

In dieser Einführung gehe ich nicht systematisch - also z. B. von der Mikroökonomie über die Analyse der Marktformen hin zur Makroökonomie - vor, sondern schildere am Beispiel der krisenhaften Entwicklung seit 2007, was einen sozio-ökonomischen Ansatz leisten kann. Dabei werden verschiedene Aspekte der Krise analysiert: zunächst die internationale Finanzmarktkrise, sodann die Eurokrise in verschiedenen Ländern, dann die Staatsschuldenkrise und schließlich die Krise der Europäischen Integration mit den jeweiligen Querverweisen zwischen diesen Teilbereichen. Es geht darum, hinter den Erscheinungsformen z. B. von Bankenzusammenbrüchen bzw. -rettungen die Ursachen und Folgen zu ergründen und die kontroversen politischen Antworten darzustellen und nach ex- und impliziten Interessenpositionen und den jeweiligen externen Effekten zu bewerten. Vor dieser Folie sollen dann eigene Krisenvermeidungs- bzw. Bewältigungsstrategien zur Diskussion gestellt werden.

Als der Verfasser 1963 das wirtschaftswissenschaftliche Studium an der Universität Bonn aufnahm, lehrte Professor Krelle: "Vergessen Sie Krisen. Wir haben heute ein wirtschaftswissenschaftliches Instrumentarium, um einen gleichmäßigen, aufsteigenden Wirtschaftspfad zu steuern". Es war vom Beginn des "golden age" die Rede. Vergegenwärtigt man sich diese Prophezeiungen, so muss man sich fragen: Was ist in den herrschenden Wirtschaftswissenschaften falsch gelaufen?

Das Krisenparadigma setzt begriffsnotwendig als Gegenentwurf den "Normalzustand" wirtschaftlicher Entwicklung voraus: ausgeglichene Haushalte, angemessenes Wachstum, hohes Beschäftigungsniveau, stabile Währungen und nachhaltige europäische Integration. Aus historischer Perspektive ist zu fragen, ob der postulierte Normalzustand nicht auch ein Artefakt ist. Dann wäre Krisenbewältigung bzw. -vermeidung unter anderen Perspektiven zu diskutieren, als unter der der Rückkehr zu einer wie auch immer gearteten Normalität und Stabilität. Es wäre dann besonders nach gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Resilienz gegen allfällige Krisenschocks angesichts dynamischer wirtschaftlicher Entwicklung und kontinuierlichem gesellschaftlichem Wandel zu fragen.

Der Begriff der Krise enthält auch immer den Verweis auf die Chancen, die sie eröffnet: Chancen zu einem Neustart, die die Krisenerfahrung eröffnet. Diese Publikation weist bei aller oft grundsätzlichen Kritik den Weg zu praktikablen, ordnungspolitisch begründeten Reformschritten.

In diesem Zusammenhang soll auch die Kritik der vorherrschenden Wirtschaftstheorie zur Krisenerklärung entfaltet werden mit deren Artefakt des homo oeconomicus, des immer rational handelnden Menschen sowohl als Konsument als auch als Investor als auch als Banker oder Unternehmer. Dabei wird auch das Postulat sich selbst regulierender Märkte - also ohne staatliche Intervention - einem Realitätscheck unterzogen.

Auf der Basis dieser beiden Analysestränge werden dann Strategien zur Überwindung der Krisen diskutiert auf breiter interdisziplinärer Basis: es geht um juristische Regulierung und ihre jeweilige Wirksamkeit, es geht um alternative wirtschaftspolitische Konzepte auf der Basis unterschiedlicher wirtschaftstheoretischer Ansätze und spezifischen gesellschaftlicher Interessen, es geht um gesellschaftspolitische Grundvorstellungen über das Verhältnis von wirtschaftlicher Macht und demokratisch legitimierter politischer Souveränität, es geht schließlich um die Perspektiven der europäischen Integration vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen.

Kontroverse Ansätze sollen jeweils zunächst dargestellt und sodann auf ihren ideologischen Hintergrund abgeklopft werden. Ideologien sind Argumentationsstränge, die Allgemeingültigkeit beanspruchen, tatsächlich aber spezifische Interessenpositionen absichern sollen.

Ziel dieser Analysen ist es

- die relevanten realen Vorgänge mit Hilfe eines sozio-ökonomischen Instrumentariums zu sezieren und ihre wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen zu beschreiben,

- Ursachen und Wirkungszusammenhänge theoretisch zu erfassen und das heißt hinter den vielfältigen Erscheinungsformen wirtschaftlicher Entwicklungen nach Gesetzmäßigkeiten und Strukturen zu fragen,

- jeweils herauszuarbeiten, was politisch zur Krisenbekämpfung getan oder aber auch unterlassen wurde; dabei geht es auch darum zu ergründen, wem das Eine oder wem das Andere nützt.

- die notwendigen weiteren regulatorischen und politischen Reformschritte zu skizzieren;

- hierbei sollen so weit als möglich Erkenntnisse, die aus anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen fruchtbar gemacht werden können, verarbeitet werden.

Da es keine wertfreie Sozialwissenschaft gibt - schon die Auswahl der behandelten Themen stellt eine Wertentscheidung dar -, muss bei allen Analysen der jeweilige Wertehorizont so präzise wie möglich offengelegt werden. Hier spielen die im Grundgesetz verankerten Werte, wie z. B. das Selbstbestimmungsrecht jeder einzelnen Person gerade auch gegenüber mächtigen wirtschaftlichen Institutionen wie z. B. Banken, und das Konzept der sozialen Marktwirtschaft, - so viel Markt wie möglich, so viel staatliche Regulierung wie nötig -, eine besondere Rolle. Hier geht es auch um die volle Entfaltung demokratischer Entscheidungen angesichts wirtschaftlicher Macht auf den verschiedenen Ebenen der Nationalstaaten, der EU und auf globaler Ebene. Die Frage lautet: Sind die institutionellen Arrangements auf diesen Ebenen bzw. ist ihr Zusammenwirken effizient genug, um global agierenden Banken und anderen Finanzinstitutionen wie Hedge Fonds - gerade auch in Bezug auf ihre engen Verflechtungen untereinander - einen festen ordnungspolitischen Rahmen vorzugeben? Sind demokratisch legitimierte Institutionen so durchsetzungsfähig, damit Krisen soweit als möglich vermieden werden können bzw. ihre negativen Auswirkungen nicht immer wieder die Allgemeinheit schwer belasten. Die weitere ordnungspolitische Frage auf der Basis eines Konzepts eines funktionsfähigen Währungsraumes lautet: Welche wirtschaftspolitischen Schritte sind erforderlich, um die Eurokrise, die von der Finanzkrise befeuert wurde, dauerhaft zu beenden. Damit zusammenhängend ist nach dem notwendigen Wertewandel in Politik und Gesellschaft auf der Basis des Konzepts von Generationengerechtigkeit zu fragen, um die weitere Ausbreitung der Staatsschuldenkrise zu stoppen. Schließlich ist zu klären, ob der weitere Weg zu vereinigten Staaten von Europa als Bundesstaat sui generis einen Ausweg aus der Krise der europäischen Integration darstellt und wenn ja, wie er konkret beschritten werden kann.

Der hier vertretene Wertehorizont geht also von der Priorität der Grundrechte und dem Demokratiegebot aus. Er orientiert sich an den ordnungspolitischen Grundentscheidungen des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft. Er speist sich darüber hinaus aus den Überzeugungen der friedensstiftenden Funktion der europäischen Integration.

Neben der interdisziplinären Anlage der Analysen geht es auch um einen vergleichenden Ansatz zwischen den Entwicklungen in den USA und der EU, dabei weiter differenzierend zwischen den Entwicklungen der einzelnen Mitgliedsländer.

Bei diesem Unterfangen ist eine unendliche Fülle von Materialien - Statistiken, Dokumenten, Gerichtsentscheidungen und Literatur - zu sichten und aufzuarbeiten. Dabei kann es nicht um Vollständigkeit gehen, sondern nur um eine Auswahl der für diese Analysen wesentlichen Unterlagen. Verweise auf einschlägige Literatur dienen auch als Anregungen zur vertieften eigenen Auseinandersetzung.

In Bezug auf über die Tatsachen wiedergebende Berichte hinausgehende mediale Einschätzungen ist Vorsicht geboten. Privatwirtschaftliche Medien neigen aus Gründen des Buhlens um Aufmerksamkeit zu negativen Schlagzeilen und zur Skandalisierung von Ereignissen. Wie oft ist schon in den vergangenen 5 Jahren das Ende der Euro Zone beschworen worden, wie oft stand die nächste Finanzkrise unmittelbar bevor, ohne dass diese "Berichte" seriös begründet waren. Es ist daher zwischen oft negativen "headlines" und oft medial vernachlässigten "trendlines", den positiven durchgängigen Entwicklungen, zu unterscheiden.

Wichtiger als das Streben nach Vollständigkeit erscheint dem Verfasser die Überprüfung von Tatsachenbehauptungen und deren Einordnung in den jeweiligen Kontext und die klare Herausarbeitung unterschiedlicher wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Konzepte mit jeweiligen konträren wirtschaftspolitischen Konsequenzen. Dem Leser soll so die Möglichkeit gegeben werden, sich eine eigene fundierte Meinung zu den brennenden Fragen der Gegenwart zu bilden.

1.1 Warum diese Form der interdisziplinären Analyse?

Die Krise der Finanzierung des Immobilienmarktes in den USA hat sich negativ nicht nur auf die Stabilität der Immobilienmärkte und der Banken ausgewirkt, sondern hat auch die weltwirtschaftliche Entwicklung massiv beeinträchtigt. Diese langandauernde Kettenreaktion ist mit den herkömmlichen Instrumenten der neoklassischen Wirtschaftstheorie - die These lautet: sich selbst überlassene Märkte führen immer relativ schnell zu einem Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zurück - nicht erklärbar.

- Die weltweiten Finanzmärkte waren und sind in dieser Krise auch heute noch nicht in der Lage, durch wettbewerbliche Anpassungsprozesse aus sich heraus wieder zu Stabilität und Wachstum zurückzufinden. Die Finanzmarktkrise dauert inzwischen mehr als 7 Jahre. Ein derartiges Marktversagen kommt in der herrschenden Wirtschaftstheorie nicht vor.

- Die staatliche Regulierung der Finanzmärkte hat insbesondere auf Grund der staatlichen Deregulierung vor der Krise - begründet mit der Behauptung der immer zum Gleichgewicht tendierenden Selbstregulierung der Märkte - versagt. Dies ist nur durch eine erweiterte politikwissenschaftliche Analyse zu erklären. Dabei sind die Wellenbewegungen von strenger Ordnungspolitik hin zur Deregulierung und zurück in ihrem zeitlichen Verlauf zu analysieren.

- In Folge dieser Entwicklungen ist das Vertrauen in den Finanzsektor weltweit nachhaltig erschüttert. Vertrauen in den Geldwert, Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Banken in Bezug auf dort getätigte Einlagen ist aber die Grundvoraussetzung der Funktionsfähigkeit marktwirtschaftlicher Wirtschaftsordnungen. Eine Analyse über die Voraussetzungen von Vertrauen sowohl bei Bankkunden - Privatpersonen und Unternehmen - als auch zwischen Banken ist bisher kein Thema der herrschenden Wirtschaftswissenschaften. Vertrauen ist aber grundlegend für soziale Beziehungen, indem es Menschen Sicherheit gibt und Gesellschaften stabilisiert. Nur wenn es gelingt, Aufbau und Zerstörung von Vertrauen aus dem psychologischen Wissen über menschliche Verhaltensweisen und Reaktionen zu erklären, kann es gelingen, zu einer gewissen Stabilität des Bankensektors zurückzufinden. Der Artefakt des homo oeconomicus, des wirtschaftlich immer rational handelnden Menschen, verstellt den Blick auf menschliche Emotionen, auf Gier, auf Geiz, auf Größenwahn, auf Panikreaktionen, auf Herdentrieb und auf Handeln aus Prestige- und Herrschaftssucht.

- Die Lobby des internationalen Finanzsektors versucht die notwendige (Re-) Regulierung auf nationaler und internationaler Ebene zu blockieren. Die Politik hechelt permanent der Krise hinterher und versucht immer aufs Neue, Zeit zu gewinnen. Nationale und internationale Politik befinden sich offenbar in dem Dilemma, einerseits der Empörung und der Wut der von der Krise Geschädigten durch (angeblich) strengere Regulierung Rechnung zu tragen und andererseits der "mächtigen" Bankenlobby nicht zu weh zu tun. Nur durch eine sozialwissenschaftliche Analyse lassen sich die Probleme demokratischer Willensbildung zur Wirtschaftspolitik auf nationaler, auf EU- und internationaler Ebene angesichts "nervöser" Finanzmärkte, angesichts automatisierter computergestützter Börsen und angesichts von sog. Schattenbanken wie Hedge Fonds erklären. Macht und Herrschaft eines entfesselten weltweiten Finanzsektors müssen dabei zentrale Kategorien sein. Wirtschaftssoziologische Analysen können hier hilfreich sein.

- Die weltweite Finanzmarktkrise hat die Eurokrise und die Staatsschuldenkrisen in Europa, aber auch in den USA und Japan verschärft. Die Versuche zur Rettung der Krisenstaaten im südlichen Europa durch sog. Rettungsschirme für Banken und Staaten aber auch durch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank hat Europa gespalten. Dadurch steht das "Jahrhundertprojekt" der europäischen Integration am Scheideweg: Zurück zu Nationalismus oder Vorwärts zu demokratischen legitimierten Vereinigten Staaten von Europa? Welches sind die Kräfte, die in die eine oder andere Richtung weisen? Was wären die jeweiligen Folgen? Welche Rolle spielt dabei die Bundesrepublik Deutschland? Geht es um ein europäisches Deutschland oder um ein deutsches Europa? Hier bedarf es gesellschaftswissenschaftlicher Analysen unter Einbezug historischer Erfahrungen insbes. aus zwei Weltkriegen bzw. dem oft auch genannten zweiten 30jährigen Krieg.

- Die internationale Finanzmarktkrise, die Eurokrise und die Staatsschuldenkrisen kumulieren in der Krise der europäischen Integration. Kann diese Krise genutzt werden zu mutigen Schritten zur weiteren Integration wie z. B. der Durchsetzung einer europäischen Bankenunion und/oder einer europäischen Wirtschaftsregierung und einer Energieunion oder führt die Krise zurück zu Renationalisierung und Zerfall des Euro?

- In diesen Krisen wird besonders zweierlei deutlich: Erstens wird um das "europäische Geschäftsmodell" angesichts der weltweiten Konkurrenz um Innovationen, Ressourcen, Produktionsknowhow, Technikentwicklung, Arbeitskräfte und ihre Qualifikation und um Absatzmärkte gerungen. Welches sind die Perspektiven für die soziale Marktwirtschaft in Deutschland? Eignet sie sich als Vorbild für Europa? Ist eisernes Sparen in den Staatshaushalten nicht nur der PIIGS-Staaten - Portugal, Irland, Italien und Griechenland - eine Vorbedingung zur Erhaltung internationaler Wettbewerbsfähigkeit? Oder aber führt die Austeritäts- Politik in eine Abwärtsspirale von Minuswachstum, steigender Arbeitslosigkeit insbes. bei Jugendlichen und damit zu einem weiteren Anstieg der Staatsverschuldung? Besteht die Gefahr einer unheilvollen Verbindung von wirtschaftlicher Stagnation und Deflation wie in jüngster Zeit in Japan? Gibt es dagegen eine Förderung des Wirtschaftswachstums, die Arbeitsplätze besonders für hoch qualifizierte Jugendliche schafft, die aber nicht die Staatsschulden weiter aufbläht? Woran scheitern die dringend notwendigen Investitionen in den Bereich der erneuerbaren Energien, in den Bildungssektor und in die Erneuerung der Verkehrsinfrastruktur? Zweitens wird deutlich, dass es dringend einer breiten öffentlichen Diskussion zur strategischen Orientierung der EU sowohl nach innen als auch nach außen bedarf: Was ist mit der Perspektive der "Vereinigten Staaten von Europa" gemeint? Welche Schritte dahin können realistisch gegangen werden? Sollen weitere Länder als Mitglieder in die EU aufgenommen werden oder geht es vorrangig in den nächsten Jahren um Konsolidierung nach innen? Welche außenpolitische Rolle kann die EU angesichts der vielen Konflikte in der Welt spielen ohne sich zu übernehmen?

- Mit der Entwicklung des "Turbokapitalismus" seit dem Zusammenbruch des Sowjet-Imperialismus geht einher die stetige Vergrößerung der Schere zwischen "Reich" und "Arm" in den westlichen Industrienationen, und dies auch und gerade in dieser Krise seit 2007, wobei immer auch zwischen absoluter und relativer Armut zu unterscheiden ist. Der Prozess der gesellschaftlichen Entsolidarisierung schreitet weiter voran. In der politischen Auseinandersetzung der Parteien spielt der Ruf nach mehr Gerechtigkeit eine zunehmende Rolle, wobei die Vorstellungen von Gerechtigkeit diffus sind und zwischen Leistungs-, Verteilungs- und Chancengerechtigkeit hin und her schwanken. So bleibt die Frage nach den Mechanismen der Einkommens- und Vermögensverteilung und der Rolle des Staates hierbei zu analysieren.

Die Europäische Union mit ihren mehr als 500 Millionen Bürgern macht 7% der Weltbevölkerung und knapp 25% des Weltsozialprodukts aus, verteilt aber gleichzeitig 50% der Weltsozialausgaben in ihrem Gebiet. Unter welchen Bedingungen hat dieses Wirtschafts- und Sozialmodell noch eine Zukunft? Gleichzeitig findet ein rigoroser Verteilungskampf unter den Staaten der EU um günstige Kredite, um Subventionen, um Standortvorteile durch günstige Steuern und um Rettungsschirme mit ihren Garantien statt. Wie weit muss die Bundesrepublik in europäischer Solidarität bürgen für wirtschaftspolitische Fehlentwicklungen z.B. in Griechenland, Spanien und Portugal oder Zypern auch um die europäische Union zusammenzuhalten? Oder müssen diese Länder die in Folge der Krise hohe Arbeitslosigkeit, besonders bei den Jugendlichen (zum Teil über 50%), allein bekämpfen?

Hieraus folgt - so die zu begründende These -, dass die vorherrschende Volkswirtschaftslehre auf der Basis des Neoliberalismus nicht in der Lage ist, diese Fragen zu beantworten, d. h. die umfassende Krisenentwicklung adäquat zu erklären. Daher kann sie auch nicht nachhaltige Instrumente und Lösungen zur Krisenbekämpfung bereitstellen. Es bedarf daher eines neuen Zugangs zu diesen essentiellen Fragen in sozio-ökonomischer Perspektive.

1.2 Was ist der Anspruch dieser Art der Analyse?

"Ideologien sind unzutreffende Auffassungen und Aussagen, an deren Entstehen, Verbreitung und Bewahrung sich gesellschaftliche Interessen … knüpfen. … Ideologien sind Ausdruck der Interessen des überlegenen Teils der Gesellschaft. Eben hierdurch haben sie sozial konservierenden Charakter. … sie sind eine Form der Übermächtigung des Bewusstseins" (Werner Hoffmann, Universität, Ideologie und Gesellschaft a.a.O. S.55f).

- Die sozio-ökonomische Analyse soll möglichst ideologiefrei, d. h. möglichst frei von einseitiger Interessenorientierung sein; d.h. es wird eine faktengesättigte Theoriebildung angestrebt. Dabei wird Theorie verstanden als Aussage zu Gesetzmäßigkeiten hinter den Erscheinungsformen wirtschaftlicher Entwicklung - Gesetzmäßigkeiten in der Form von wenn - dann - Beziehungen. Ist die Theorie von den Fakten her plausibel, so eignet sie sich auch als Ausgangspunkt wirtschaftspolitischer Gestaltung, wobei jeweils Nebenwirkungen zu berücksichtigen sind.

- Die gegenwärtige Krise wird in dem Kontext der historischen Entwicklung analysiert. Handelt es sich um eine "normale" Krise wie viele vorher wie z.B. die sog. Gründerkrise in den 70er Jahren des 19. Jahrhundert oder die Weltwirtschaftskrise ab 1929 oder ist sie besonders? Geht es um eine Konjunktur- oder um eine Strukturkrise? Ist die Krise nur die Unterbrechung in einer ansonsten stetigen und stabilen Entwicklung oder sind Bankenkrisen mit ihren riskanten immer neuen Produkten und Verhaltensweisen der "grenzenlosen" Spekulation der "Normalzustand" der wirtschaftlichen Evolution?

- Hier wird explizit analysiert werden müssen, wie es dazu kommen konnte, dass zumindest ein Teil der US-amerikanischen Politik in Bezug auf Großbanken davon ausgeht: " Too big to fail" (zu groß, um fallen gelassen zu werden) oder "too big to prosecute bzw. too big to jail" (zu groß, um juristisch belangt zu werden). Ist die hoch konzentrierte Macht des internationalen Finanzsektors tatsächlich in der Lage, die Politik in demokratisch legitimierten Staaten als Geisel für seine grenzenlosen Gewinninteressen zu nehmen? In neoliberalen Wirtschaftstheorien wird das Problem wirtschaftlicher Macht ignoriert. Dies widerspricht allen wirtschaftssoziologischen, rechts- und politikwissenschaftlichen Befunden. Der sozio-ökonomische Ansatz muss also explizit die Frage nach der Ausübung wirtschaftlicher Macht - hier die Macht der Banken und anderer Finanzinstitutionen - und deren Folgen thematisieren.

- Es wird im Rahmen der Abschätzung des jeweiligen Kräfteverhältnisse zwischen Staat und Wirtschaft das Auf und Ab der Regulierung des Finanzsektors - z. B. in Bezug auf die Trennung zwischen Investmentbanken und Kreditinstituten oder die Frage nach der Zulässigkeit des Eigenhandels - analysiert.

- Es wird nach der Effizienz der Regulierung gefragt: handelt es sich nur um symbolische Politik zur Beruhigung kritischer Bürger oder greifen Strukturreformen? Werden nur die "schwarzen Schafe" strafrechtlich verfolgt oder wurde eine neue Kultur des " das tut man nicht" und der nachhaltigen Geschäftspolitik etabliert? Wie ist die Haftungskaskade organisiert bei einem Bankenzusammenbruch: haften zuerst die Aktionäre und die Gläubiger? Haften auch die Bankkunden? oder stehen zunächst der Staat und damit der Steuerzahler in der Pflicht, um einen Zusammenbruch des eng verflochtenen Finanzsektors zu verhindern?

- Es wird die emotionale, irrationale Seite menschlicher Verhaltensweisen - Gier, Imponiergehabe, Geiz, Spekulationssucht, kriminelle Energie bei Täuschung und Betrug, Entgrenzung der Risikobereitschaft, Herdentrieb und Panik - aus der Perspektive der Individual- und Sozialpsychologie berücksichtigt. Nur so lässt sich ein realistisches Bild von menschlichen Verhaltensweisen und damit von Krisenursachen zeichnen.

- Es wird nach den historischen und spezifisch politischen Bedingungen der Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung, des Euro gefragt und die Theorien zu seiner Begründung hinterfragt. Nur so lassen sich die Defizite in der Funktionsweise der Währungsunion erklären. Außerdem werden die politischen Konstellationen für Euro Rettungsschirme und Forderungen nach Strukturreformen in den Krisenländern analysiert. Dabei müssen auch die sozialen Folgen für die Bürger dieser Länder in Form einer Binnendifferenzierung berücksichtigt werden.

- Die Entwicklung der Staatsschulden lässt sich nur aus den Mechanismen der politischen Willensbildung in parlamentarischen Demokratien mit relativ kurzen Wahlperioden erklären. Vor diesem Hintergrund werden realistische Alternativen zum energischen Abbau der Staatsschulden diskutiert.

- Die Entwicklung der europäischen Integration wird als komplexe Verknüpfung zwischen historischen Erfahrungen, den völlig neuen Perspektiven eines friedlichen Zusammenlebens in Europa und den ökonomischen Notwendigkeiten eines europaweiten gemeinsamen Marktes analysiert. Nur vor diesem Hintergrund lassen sich die aktuellen Bedrohungen der EU von innen und von außen verstehen.

Dieser sozio-ökonomische Ansatz geht interdisziplinär vor im Sinne der Erweiterung der Wirtschaftswissenschaften, nicht im Sinne ihrer Auflösung. Dies bedeutet eine enorme Komplexitätssteigerung und dies in Bezug auf die Analyse eines in sich schon sehr komplexen Sachverhalts. Da es sich hier aber um eine Einführung für allgemein an wirtschaftlichen Fragen Interessierte handelt, muss immer aufs Neue eine Komplexitätsreduktion im Sinne der Konzentration auf das Wesentliche versucht werden. Es geht vor allem darum, mit vernetztem Denken vertraut zu machen. Sozioökonomisches Denken dient der Analyse und darauf aufbauend der systematischen Bewertung wirtschaftspolitischer Alternativen: Nur wer Nach - Denken kann, kann Vor - Denken, nur wer umfassend analysieren kann, kann auch nachhaltig politisch selbständig handeln.

2 Globale Finanzmarktkrise seit Ende 2007 und internationale Ordnungspolitik

"Der König regierte, aber die Banken herrschten", Götz von Pölnitz, die Fugger, S. 71

2.1 Kurzer Überblick über die Geschichte des Bankwesens

Sprichwort: Geld borgen, bringt Kummer und Sorgen.

Es wäre viel zu kurz gegriffen, die Ursprünge des Bankwesens nur auf die Funktion des Geldwechselns - banca als Wechseltisch - zu reduzieren. Vielmehr lässt sich z.B. an der Entwicklung des Bankwesens im Altertum die enge Verflechtung zwischen Religion, staatlicher Herrschaft und Finanzwesen aufzeigen: " Mit allen bedeutenden Heiligtümern war eine umfangreiche Finanzverwaltung verbunden, indem es die Aufgabe der Priester war, durch kluge Verwaltung, durch vorteilhafte Verpachtungen, durch Darlehn usw. die jährlichen Einkünfte zu steigern und einen Schatz zu bilden, der nicht nur zur Aufrechterhaltung der Würde des Gottesdienstes ausreichte, sondern auch für die nationale Macht des Heiligtums eine wesentliche Forderung war" (Ernst Curtius, griechischeGeschichte ). Der Tempel war damit Geldinstitut mit den Funktionen der sicheren Geldaufbewahrung, der Darlehnsgewährung gegen Zinsen (12-14%) und des Umtausches fremder Münzen. Im alten Rom wurden diese Funktionen von den argentarii ausgeübt, die ihre Läden am Forum, also in unmittelbarer Nähe der politischen Herrschaft, hatten. Machten sie Pleite, so mussten sie vom Forum weichen - foro cedere, daher stammt das Wort fallieren im Sinne von zusammenbrechen.

Bis ins frühe Mittelalter waren die Banken Geldwechsler, später dann kam das Münzwechselgeschäft, die Umprägung von Geldstücken in leichtere, vom Wert her schlechtere Münzen hinzu - das schlechtere, weniger Gold oder Silber enthaltende Geld verdrängt das gehaltvollere. Aus diesem Geschäft entwickelte sich das Depositengeschäft, wobei man zwischen dem depositum regulare - genau die gleichen Münzen mussten nach der vereinbarten Aufbewahrungszeit wieder herausgegeben werden - und dem depositum irregulare - die Bank kann das Geld verleihen und muss nur die gleiche Summe wieder zurückgeben - unterscheiden muss. Der Bankier lebte von dem Vertrauen, dass er jederzeit seine Rückzahlungsverpflichtungen einhalten konnte. Enttäuschte er dies Vertrauen, wurde seine banca zerschlagen - banca rotta, woher das Wort Bankrott kommt. Das Depositengeschäft wurde im Laufe der Zeit auch von Banken als juristische Personen weiterentwickelt. Einlagen werden hereingenommen gegen eine mäßige Aufbewahrungsgebühr. Nächster Schritt in der Entwicklung des Bankwesens war die Verwaltung eingezahlter Gelder durch die Bank: sie organisierte den Kreislauf (Giro) der Zahlungen zwischen verschiedenen Gläubigern und Schuldnern z. B. bei Handelsgeschäften. So entstanden Girobanken, zuerst in Venedig im 12. Jahrhundert. Große Bedeutung erlangten Banken, die mit den römisch-katholischen Kurien (depositares papae) zusammenarbeiteten, die mächtigsten waren die Bankiers der Medici in Florenz. 1508 gelang es den Augsburger Fuggern, ihre Niederlassung in Rom zur Bank des Papstes Julius II. zu machen. Wie die Fugger waren auch andere deutsche Banken des Mittelalters aus internationalen Handelshäusern hervorgegangen oder wie die Welser aus Handwerksbetrieben, die sie zu großen Manufakturen entwickelt hatten. Die Fugger finanzierten kaiserliche Unternehmungen durch die Gewährung von Staatsanleihen für die Habsburger und so machten sie sich diese zu Abhängigen.

Nachdem eine große Zahl von Girobanken in Venedig zusammengebrochen waren, wurde 1587 die Staatsgirobank " Banca de Rialto" gegründet. Sämtliche Wechsel sollten nur bei ihr eingereicht werden dürfen. Wechselkredite spielten früher eine besondere Rolle, dienten sie doch dazu, für Hersteller von Gütern die Zeit bis zum Verkauf durch Händler zu überbrücken. Wechsel waren dem Geld gleichgestellt. Die Zentralbank konnte durch Festsetzung des Zinsabschlages, zu dem sie Wechsel hereinnahm, das Volumen der Wechselkredite steuern.

Auch heute spielt der internationale Zahlungsverkehr, ausgeweitet durch globalisierten Handel, abgewickelt von Banken, eine wesentliche Rolle: es geht um den Wechsel zwischen verschiedenen Währungen bis hin zu Währungsspekulationen. Aber auch der private Zahlungsverkehr wird über Banken abgewickelt.

Geld hat in diesen Zusammenhängen also zunächst die Funktion des universellen Zahlungsmittels. Darüber hinaus ist es ein Wertaufbewahrungsmittel und es ist eine Recheneinheit, die Preise, Löhne und alternative Investments vergleichbar macht. Geld und Währungen sind damit die Schmiermittel, ohne die Privatwirtschaft und Steuerstaat nicht funktionsfähig wären. Verfügung über Geldmittel bedeutet aber auch wirtschaftliche und politische Macht, so wie sie die Fugger im Mittelalter ausgeübt haben oder so wie sie heute von international agierenden Großbanken und Hedge Fonds ausgeübt wird.

Die historischen Wurzeln lassen damit das heutige Bankwesen besser verstehen.

1907 hatte eine Finanzkrise in den USA eine schwere Rezession zur Folge, wodurch zahlreiche Banken Bankrott gingen. Um eine derartige Entwicklung in Zukunft zu verhindern, trafen sich im November 1910 US Senator Nelson W. Aldrich und Repräsentanten der großen Wallstreet Banken wie J.P.Morgan und National City Bank of New York (heute Citibank), um auf einer zu dieser Jahreszeit verlassenen Ferieninsel ein Konzept für eine zentrale Notenbank der USA zu erstellen. Die so 1913 entstandene Federal Reserve Bank (FED) ruht auf 12 privatwirtschaftlich geführten regionalen Zentralbanken, die rund 3000 Mitgliedsbanken gehören. Der US-Präsident ernennt den Chef der FED und die 7 Mitglieder des Board of Governors. Die FED ist dafür verantwortlich, durch ihre Geldpolitik die Inflation in den USA im Zaum zu halten und konjunkturelle Schwankungen der Wirtschaft zu glätten (boerse.ARD.de 26.12.2013 Notenbank Jubiläum, FED: Wie die Entenjagd zur Blaupause wurde).

In Europa gibt es als oberste Bank jeweils die staatliche Notenbank wie z.B. die Bank of England oder die Deutsche Bundesbank, in der EU die Europäische Zentralbank (EZB). Sie ist für die Ausgabe von Geldscheinen und Münzen zur Sicherung des Bargeldumlaufs zuständig. Darüber hinaus ist sie jeweils für die Stabilität der Währung verantwortlich, indem sie das Recht hat, den Banken z. B. durch ihre Zinspolitik Liquidität zuzuführen bzw. zu entziehen. Die EZB ist offiziell ausschließlich auf die Verhinderung der Geldentwertung verpflichtet - die Inflationsrate im Euroraum soll nicht höher als 2% betragen aber auch nicht wesentlich unter diesem Satz liegen, um deflationäre Entwicklungen zu verhindern.

Bei der Liquiditätsversorgung spielt neben dem Bargeld aber auch das Giral- oder Buchgeld eine entscheidende Rolle. Auf Grund des immer weiter verbreiteten bargeldlosen Zahlungsverkehrs sind die Banken in der Lage, Geld zu "schöpfen", das sog. Buchgeld: Sie wissen, dass sie für jede 100 Euro Verbindlichkeiten, - z. B. Spareinlagen, Festgelder und gewährte Kredite -, nur etwa 20 Euro Bargeld vorhalten müssen. Die restlichen 80 Euro werden in "normalen" Zeiten bargeldlos von einem Konto zu anderen Konten unterschiedlicher Gläubiger und Schuldner überwiesen. Im genannten Fall ist der Faktor der Giralgeld - Schöpfung also vier. Dies bedeutet, dass Banken ein vielfaches ihrer in Bargeld vorhandenen Einlagen zinsbringend ausleihen können und damit in der Lage sind, die Geldmenge, die zu einem bestimmten Zeitpunkt im Umlauf befindliche Menge aus Bar- und Buchgeld, zu vermehren. Umso schwieriger ist daher die Steuerung der Geldmenge durch die jeweilige Notenbank. Sie kann von den Banken in diesem Zusammenhang das Halten von Mindestreserven bei ihr verlangen und so versuchen, die Schöpfung von Buchgeld zu begrenzen.

Außerdem stehen die Banken vor dem Problem der Fristenkongruenz: Haben sie täglich fällige Spareinlagen, so ist zu klären, wie weit auf diesen aufbauend, langfristige Kredite, z. B. Hypothekarkredite, ausgegeben werden können. Selbst bei konservativer Kalkulation in Bezug auf "aus kurz mach lang" für normale Zeiten ist klar, dass bei einem Run auf die Bank sie nicht in der Lage sein wird, alle kurzfristig fälligen Einlagen in bar auszuzahlen. Die Bank wird in diesem Fall ihre Schalter schließen, der Staat wird Bankfeiertage verkünden und ansonsten werden die Banken auf Hilfe aus dem Einlagensicherungsfonds und/oder staatliche Hilfe warten. Kommt keine rechtzeitige Hilfe, so muss die Bank Bankrott anmelden. Um derartige Entwicklungen zu verhindern, gibt es Vorschriften für das notwendige Eigenkapital einer Bank, das im Notfall den Bankrott abwenden soll.

Eigenkapital ist bei einer Aktiengesellschaft das gezeichnete Aktienkapital und es sind thesaurierte, nicht ausgeschüttete Gewinne. Je höher das Eigenkapital umso größer die Chance der Aktiengesellschaft beim Eintritt von Verlusten - bei einer Bank z. B. bei der Zahlungsunfähigkeit von mehreren Kreditschuldnern - den Konkurs zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist von extremer Bedeutung, das Banken im Schnitt nur Eigenkapital im einstelligen Bereich als Prozentsatz- zwischen 5 und 10% - zu den Verbindlichkeiten aufweisen, während Industrieunternehmen in der Regel mindestens 30% ausweisen (Vgl. hierzu Amati et al., aaO. S. 61). Dies heißt einerseits, dass Banken ihre Aktivitäten am liebsten mit Fremdkapital - Ausleihungen von anderen Banken, von der EZB bzw. der FED oder auf Grund von Bankanleihen -unterlegen und andererseits, dass sie im Vergleich zur Industrie viel krisenanfälliger sind. Um es klar auszusprechen: Banken arbeiten vorrangig mit fremden Geldern und gehen dabei oft hohe Risiken ein.

Hieran wird deutlich, dass das heutige Bankgeschäft hohe Anforderungen an die Liquiditätsvorsorge und an das Risiko Management stellt. Das gesamte Geschäftsbankensystem beruht auf dem Vertrauen der Gläubiger, dass jederzeitige Zahlungsfähigkeit in Bezug auf kurzfristige Fälligkeiten gegeben ist, denn die Einlagen bei Banken sind nicht mehr durch Gold abgesichert. Ist Vertrauen in den Finanzsektor erschüttert, bricht der Kreislauf des Geldes zusammen, weil Panik ausbricht.

Für das Verständnis des heutigen Finanzsektors ist noch von Bedeutung, dass Banken ganz unterschiedlich organisiert sind. Da sind zunächst die Aktiengesellschaften, z. B. Deutsche Bank und Commerzbank. Da sind sodann die Sparkassen, meist in kommunaler Trägerschaft und damit mit kommunaler Gewährsträgerhaftung, d. h., dass im Notfall die Kommune für Verluste gerade stehen muss. Dann ist auf die Genossenschaftsbanken hinzuweisen, hier bes. die Raiffeisenbanken. Schließlich gibt es Landesbanken wie die WestLB, die NordLB oder die Bayrische Landesbank, die mehrheitlich einzelnen Bundesländern gehören und die damit von den jeweiligen Landesregierungen beherrscht werden. Außerdem gibt es Privatbanken und Spezialbanken wie z. B. Bausparkassen, hier wiederum in öffentlich-rechtlicher oder privater Trägerschaft.

Auffällig ist, dass praktisch alle Großbanken durch Fusionen extern gewachsen sind. Diesem Prozess des besonders externen Wachstums liegt die Kostendegression zu Grunde, d. h. dass es besonders rentabel erscheint, wenn Geldströme möglichst lange im eigenen Bankenimperium gehalten werden.

Zu den Haupttätigkeitsfeldern der Banken gehört die Abwicklung des Zahlungsverkehrs an Hand der Giro-Konten der Unternehmen und Privatpersonen, gehört das Kreditgeschäft - Dispo-Kredit, Konsumentenkredit, Hypothekarkredit, Investitionskredit für Unternehmen - , gehört der Handel mit Wertpapieren - Aktien und festverzinslichen Anleihen - und die Abwicklung von Währungstransaktionen. Diese Beschreibung der Aufgabenfelder der Banken unterstreicht die Dienstleistungsfunktion für Unternehmen und Bürger. Sie verweist nicht auf ein Handeln im eigenen Interesse und auf eine eigenständige Machtposition der Banken. Nach § 1 Kreditwesengesetz handelt es sich um Unternehmen, die Bankgeschäfte betreiben und die dabei einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb unterhalten. Diese Formulierung verweist auf den ehrbaren Kaufmann, dessen Handeln von Vorsicht und Vorsorge gegen Risiken gekennzeichnet ist bzw. sein soll. Das Aktivgeschäft besteht vorrangig aus der Gewährung von Krediten mit und ohne grundpfandrechtliche Sicherung. Das Passivgeschäft umfasst die Entgegennahme von Einlagen, die Ausgabe von Sparbriefen, Pfandbriefen und Kommunalobligationen. Grundsätzlich bestehen zu Lasten der Banken Aufklärungs- und Auskunftspflichten insbesondere bei dem Verkauf von Wertpapieren.

Neben diesen eher traditionellen Bankgeschäften ist jedoch in der jüngeren Zeit das Investmentbanking getreten. Hierbei handelt es sich z. B. um Wertpapiergeschäfte für fremde und eigene Rechnung. Hier beginnt der eigentliche risikoreiche Spekulationsbereich, in dem die Banken ihre der Realwirtschaft vorrangig dienende Funktion verlassen und zu eigenständigen Spielern im internationalen Rennen um höchst mögliche Renditen und um wirtschaftlichen Einfluss durch schnelles Größenwachstum werden. In diesen Feldern sind vor allem die Hedge Fonds als Schattenbanken zu nennen, die besonders stark versuchen, sich jeder Form von staatlicher Regulierung zu entziehen. Die Aktivitäten der Investmentbanken und der Hedge Fonds lassen sich kennzeichnen durch Wertpapierhandel, durch den Handel mit Derivaten, Wertpapieren zur Absicherung von Preis- und Kursschwankungen, aber auch durch weltweiten Handel mit Wetten auf Kurs- oder Preisentwicklungen z. B. bei Rohstoffen oder Nahrungsmitteln. Diese Märkte sind in ihren Volumina um ein Vielfaches größer als die zugrundeliegenden Märkte der Realwirtschaft. Wettgeschäfte durch Banken können aber auch völlig losgelöst von der Realwirtschaft abgeschlossen werden. Hier sind wir dann im Casino-Kapitalismus angelangt.

Wetten sind vertragliche Vereinbarungen über zukünftige ungewisse Ereignisse, wobei die beiden Wettpartner sich widersprechend auf den Eintritt oder das Nichteintreten des Ereignisses setzen. Wessen Behauptung sich als richtig erweist, erhält von dem unterlegenen Partner den ausgelobten Einsatz. Voraussetzung einer Wette ist damit, dass keiner den Eintritt/Nichteintritt des Ereignisses im Voraus kennt und ihn auch nicht beeinflussen kann. Ansonsten ist eine Wette nicht nur unfair sondern auch ungültig und der verlorene Wetteinsatz kann zurückgefordert werden. Wenn Banken gegen Privatpersonen wetten, gibt es meistens ein Informationsgefälle zu Gunsten der Banken z.B. auf Grund von Insiderwissen, bzw. die Banken gestalten die Wetten oft so aus, dass sie den Ausgang zu ihren Gunsten beeinflussen können. In diesen Fällen handelt es sich um mangelnde Aufklärung bzw. direkten Betrug.

Da Banken durch Unternehmensfinanzierungen spezielle Kenntnisse von Interna der betroffenen Unternehmen erhalten, besteht immer die Gefahr, dass sie dieses Insiderwissen zu ihrem eigenen Vorteil nutzen, z. B. Aktien dieses Unternehmens veräußern, bevor die Schieflage des Unternehmens öffentlich wird.

Außerdem betreiben sie oft Eigenhandel, also sie versuchen durch den Verkauf oder Ankauf von Aktien ihrer eigenen Bank "Kurspflege" zu betreiben oder aber durch den An- oder Verkauf von fremden Aktien für eigene Rechnung Extra - Gewinne zu erzielen auf Grund ihrer besonderen Marktkenntnisse.

Die Märkte, auf denen Banken tätig sind, unterscheiden sich sowohl regional als auch von der Art des Geschäfts. Während Spareinlagen eher im regionalen Umfeld der Privatpersonen, also bei örtlichen Spar- oder Raiffeisenbanken und evtl. den örtlichen Filialen der Großbanken getätigt werden, sind Investmentbanken vorrangig auf internationalen Märkten tätig. Gibt es um Spareinlagen einen relativ intensiven Wettbewerb, so befinden sich Investmentbanken eher in enger oligopolistischer Konkurrenz, was die Tendenz zu kartellähnlichen Absprachen begünstigt.

Um zu kennzeichnen, wie sich die Bankgeschäfte im Laufe der Zeit verändert haben, sei darauf verwiesen, dass früher Aktien im Schnitt etwa 4 Jahre gehalten wurden, heute sind es auf Grund des automatisierten Computerhandels 22 Sekunden - Aktien sind damit nicht mehr primär Beteiligungen an Unternehmen sondern reine Spekulationsobjekte auf volatilen, stark schwankenden Märkten.

 Aus diesem Überblick wird deutlich, dass an die Tätigkeit von Bankern besondere Anforderungen in Bezug auf Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit zu stellen sind. Dabei befinden sie sich in verschiedenen Dilemmata: Zum einen sollen sie ihre Kunden richtig beraten und ihnen nur die Produkte verkaufen, die zu deren zuverlässig erhobenen Risikoprofilen passen. Zum anderen sind sie verpflichtet zu helfen, die Gewinne der Bank - bei Aktiengesellschaften im Quartals Rhythmus - nach Kräften zu mehren. Zum einen haben sie höchste Normen im persönlichen Umgang mit Geld einzuhalten, zum anderen sind die Verlockungen, Geld im täglichen Geschäft für die eigene Tasche "abzuzweigen" sehr groß. Zum einen ist das traditionelle Bankgeschäft eher konservativ und "langweilig", zum anderen beflügelt bes. das Investment Banking die kreative Fantasie, neue Produkte wie z. B. Derivate so intransparent zu schaffen, dass die Marktgegenseite leicht über den Tisch gezogen werden kann.

Die Macht der Banken beruht daher auf ihrem Kreditpotential, also der Entscheidung darüber, ob sie einen Kredit gewährt oder nicht, auf ihren Industriebeteiligungen, auf der Vertretung der Stimmrechte ihrer Kunden, auf den Mandaten in Aufsichtsräten anderer Gesellschaften und auf den in all diesen Funktionen gewonnenen Informationen (Vgl. Arndt, Helmut, Wirtschaftliche Macht, S. 14ff).

Das Besondere des Finanzsektors gegenüber einem beliebigen Gütermarkt ergibt sich aus der Verflechtung der Banken untereinander: Wird das Vertrauen in ein Unternehmen, das Kühlschränke herstellt, erschüttert, so werden trotzdem weiter Kühlschränke bei anderen Unternehmen gekauft. Wird aber das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit einer Bank erschüttert, so versuchen die Kunden nicht nur dieser Bank, ihre Einlagen abzuziehen, sondern es gibt auch einen Run auf andere Banken. Außerdem ist mit systemischer Bedeutung der Banken gemeint, dass eine Finanzkrise sich auf die Realwirtschaft auswirkt, weil dann die Vergabe von Krediten verknappt wird und dadurch die Unternehmen der Realwirtschaft in Finanzierungsschwierigkeiten geraten. Derartige Effekte treten bei der Schieflage eines Kühlschrankproduzenten nicht auf (Vgl. Amati, Hellwig 1997).

Banken sind damit Zwitter: Einerseits sind sie privatwirtschaftliche Unternehmen im Wettbewerb, andererseits unterliegen sie wegen ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung besonderer Aufsicht und Kontrolle. Zum Dritten sind sie wegen ihrer Geld- und Kreditschöpfungsmöglichkeiten eingebunden in die Geldpolitik, im Euroraum in die der EZB, in den USA in die der FED. Grundsätzlich gilt, dass angesichts der unübersichtlichen Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen Vertrauen zu den Banken seitens der Bürger, seitens der Unternehmer, seitens der Politik noch viel notwendiger ist als früher.

2.2 Die wichtigsten Krisen des Bankenwesens im Laufe der Geschichte

Von einer Bankenkrise spricht man dann, wenn finanzielle Probleme einer oder mehrerer Kreditinstitute so groß sind, dass Ansteckungseffekte auf andere Banken, auf die Entwicklung der Realwirtschaft und auch auf die Finanzierung des Staates durch hohe zusätzliche Verschuldung drohen. Massenhafte Kreditausfälle oder große Börsenverluste können zum Verlust der Solvabilität einer Bank führen, der Fähigkeit, all ihre Verpflichtungen jederzeit erfüllen zu können. Meist geht hiermit ein Verlust an Liquidität einher, der zur Zahlungsunfähigkeit und damit zum Zusammenbruch einer Bank führt. (Die folgenden Zusammenfassungen beruhen hauptsächlich auf Artikeln in Wikipedia).

Die Berner Bankenkrise von 1720, in deren Folge mehrere Berner Bankhäuser kollabierten, wurde ausgelöst durch das Platzen einer Spekulationsblase mit Wertpapieren, die die besagten Banken z. B. an der Londoner Börse gehandelt hatten.

Die Wirtschaftskrise von 1857, die von den USA ausging aber auch nach Europa ausstrahlte, gipfelte in der Zahlungseinstellung der Ohio Life Insurance Co. Sie hatte sich in Bezug auf den weiteren Eisenbahnbau bzw. in Bezug auf erwartete höhere Frachtraten und auf die Erweiterung des Weizenanbaus im Nordosten der USA verspekuliert. Dieser Bankenzusammenbruch zog im Sinne eines Dominoeffektes weitere Zusammenbrüche von Banken, die auch mit Siedlungsland spekuliert hatten, nach sich. Die US-Regierung finanzierte sich zu dieser Zeit hauptsächlich durch Zölle und aus dem Verkauf von Land an Siedler. Da aber durch die Bankenzusammenbrüche der Handel mit Europa zurückging, fielen die Zolleinnahmen. Außerdem fanden sich weniger Siedler, die Land von Banken oder vom Staat kaufen wollten, und so fielen auch die Einnahmen in diesem Bereich. Die Folge war eine gravierende Finanzkrise der US Regierung.

Die Weltwirtschaftskrise von 1929ff wurde ausgelöst durch einen heute unvorstellbaren kreditfinanzierten Konsum - während die Kredite in den USA für Konsumzwecke 1919 noch 100 Mio. US Dollar ausmachten, waren es 1929 mehr als 7 Milliarden US Dollar. Außerdem wurden auch Aktien von Personen ohne jedes Vermögen auf Kredit gekauft, immer in der Hoffnung, den Kredit aus den immer weiter steigenden Aktienkursen zurückzahlen zu können - Dienstmädchen-, Friseurinnen- oder Taxifahrerhausse. Als die NY Börse wegen dieser Überspekulation im Oktober diesen Jahres zusammenbrach, kam es zu zahlreichen Selbstmorden von jetzt zahlungsunfähigen Einzelpersonen - die Banken verlangten Kreditrückzahlungen, da die als Sicherheiten hinterlegten Aktien dramatisch an Wert verloren hatten - mit der Folge, dass ein Drittel aller US-Banken, nachdem sie zunächst "Bankfeiertage" eingelegt hatten, liquidiert werden mussten. Die Krise wurde vertieft, weil die US Notenbank, die Federal Reserve Bank (FED) nicht genügend Liquidität in den Finanzsektor pumpte. 1930 argumentierte ein Vertreter der FED, dass durch Verbilligung und Ausweitung von Krediten die wirtschaftliche Erholung nicht beschleunigt werden könne, und er stand mit dieser Meinung nicht allein.

In den USA wurde in Folge dieser Krise zur Kontrolle der Finanzwirtschaft bzw. präziser zur Überwachung des Wertpapierhandels 1934 die Securities and Exchange Commission (SEC) als "Independent Regulatory Commission" gegründet. Ihr erster Vorsitzender war Joseph Kennedy, der Vater des späteren Präsidenten der USA. Sein Nachfolger war William O. Douglas, ein späterer langjähriger Richter am Obersten Gericht.

"The Securities and Exchange Commission has often been described as the product of a national protest against financial misbehavior. But abuse had been a factor in finance for years and the protest was not against that alone but the growing acceptance of malpractice as the normal thing in the world. … Of the many forces which breed insecurity, perhaps the most dangerous are the exploitation and dissipation of capital at the hands of what is known as ´high finance`…. who may be accurately termed as financial termites. …They destroy the legitimate function of finance and become a common enemy of investors and businesses. … Business becomes not service at a profit but a preserve for exploitation. The basic social and economic values in free enterprise disappear. For such reason one of the chief characteristics of such finance has been its inhumanity, its disregard of social and human values. High finance is interested solely in the immediate profit…. The danger of that concentration of power is that it is not accompanied by the assumption of social responsibility. … But the cycles and crises thus created are not inescapable. We may in Years to come look at them as monuments to the fall of the human race…. Complexities are made possible by notorious lax corporation laws - laws designed to suit the ingenuity of high finance and its lawyers, laws drafted in Wall Street for Wall Street`s purposes….There can be no question that the laxity in business morals has a direct relationship to the size of business" (James Allen aaO.).

Auf diese Zitate ist zurückzukommen, wenn in der Krise ab 2007 in Bezug auf Banken in Schieflage von "too big to fail" oder sogar "too big to prosecute" die Rede ist.

In Folge der Weltwirtschaftskrise, die auch auf Deutschland übergeschwappt war, kam es 1931 zur deutschen Bankenkrise, in der sowohl die Dresdner- als auch die Danat-Bank zusammenbrachen. Es kam zu Ansteckungseffekten in der Realwirtschaft mit Massenarbeitslosigkeit, weil die Regierung Brüning, um eine weitere Staatsverschuldung zu verhindern, eine kontraktive Haushaltspolitik - weniger Steuereinnahmen, dann auch weniger Staatsausgaben - betrieb. So trug die Krise und das falsche Krisenmanagement der konservativen Reichsregierung zur Machterteilung an die Nationalsozialisten unter Hitler durch Teile der Großindustrie, die nur noch in der Ausweitung der Rüstungsindustrie in Deutschland eine wirtschaftliche Zukunft sahen, bei. In der wissenschaftlichen und medialen Diskussion wird die Frage gestellt, ob die internationale Finanzmarktkrise ab 2007 mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 vergleichbar sei (vgl. dazu Ritschl).

Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 wurde in den USA durch den "New Deal" unter Präsident Franklin D. Roosevelt überwunden. Er setzte große Infrastrukturprojekte wie den Bau von großen Staumauern durch, um in Tennessee Strom zu gewinnen. Finanziert wurden die Projekte auf Pump.

1985 Savings and Loan Krise in den USA: in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts brachen in den USA über 1000 Savings- and Loans Banken, vergleichbar deutschen Sparkassen, beschränkt auf die Hereinnahme von Spargeldern und die Ausleihe von Immobilienkrediten, zusammen. !982 in der Präsidentschaft des Republikaners Ronald Reagan, einem reinen Wirtschaftsliberalen, war die strenge Regulierung des Finanzsektors in Folge der großen Depression der 30er Jahre gelockert worden. Sparkassen durften nun Ratenkredite anbieten, Unternehmenskredite vergeben und Kreditkarten ausgeben. Lediglich das Investment Banking war ihnen verwehrt. Die Haftung der staatlichen amerikanischen Einlagensicherung (Federal Deposit Insurance Corporation, FDIC) wurde von 70% auf 100% von Einlagen bis 250 000,-US Dollar angehoben. Dies verleitete die Savings and Loans zu riskantem Verhalten bei Kreditausleihungen insbes. bei der Ausgabe von sog. Junk Bonds, hochriskanten Unternehmensanleihen. Sie fühlten sich sicher, da ja im Ernstfall der Staat mit seiner Einlagensicherung einspringen würde - moral hazard, d. h. der Chance auf hohe Gewinne steht nicht mehr das Risiko eines Totalverlustes gegenüber. Als nun auch noch durch betrügerische Verhaltensweisen einzelner Manager die Blase hochriskanter Kredite platzte, brach als erste die Home State Savings Bank Cincinnati in Ohio zusammen. Weitere 999 und mehr folgten. Der Gesamtschaden wird auf 150 Milliarden US Dollar geschätzt, wobei ca. 125 Milliarden durch die öffentliche Hand aufgebracht wurden, insbes. durch den staatlichen Einlagensicherungsfonds. Infolgedessen kam es zu einem hohen Budgetdefizit im Bundeshaushalt der USA und zu einer anschließenden Rezession in der Realwirtschaft.

Schwedische Bankenkrise 1990-92: In Schweden gibt es eine vergleichsweise hohe Einkommenssteuerbelastung. Da die schwedischen Kreditnehmer in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts bis zu 50% der Kreditzinsen vom zu versteuernden Einkommen absetzen konnten, gab es einen hohen Anreiz, kreditfinanzierte Immobilien zu erwerben. Diese Kredite wurden von den Banken im Vertrauen auf die Werthaltigkeit der Immobilien großzügig ausgegeben. Zwischen 1987 und 1993 wurden Immobilien im Gegenwert von 400 Milliarden schwedischen Kronen errichtet. Als sich die Konjunktur verschlechterte und die Immobilienpreise zu sinken begannen, platzte 1990 die Blase. Im Herbst 1991 stand die größte schwedische Bank "Nordbanken" (zum größten Teil im Staatsbesitz) vor dem Zusammenbruch. Der schwedische Staat führte frisches Geld zu und faule Kredite wurden in eine bad bank ausgelagert. Dies reichte zur Eindämmung der Krise jedoch nicht aus, denn 1992 stand die erste Sparkasse vor dem Konkurs. Jetzt übernahm der Staat eine Garantie für die Einlagen dieser Sparkasse, kurze Zeit später für sämtliche Einlagen bei allen Banken, auch für die bei der bad bank. So konnte die Krise relativ schnell überwunden werden. Die Folge aber war eine zunehmende Bankenkonzentration.