Kristallscherben - Svea Lundberg - E-Book

Kristallscherben E-Book

Svea Lundberg

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nach zwei Jahren Beziehung wagen Felix und Jannis sich endlich an das Projekt 'erste gemeinsame Wohnung'. Alles könnte so schön sein, wäre da nicht Felix' neuer Fall beim Jugendamt: Abgestempelt als Heimkind mit Aggressivitätsproblem, stellt der sechzehnjährige Lukas nicht nur den Arbeitsalltag von Felix, sondern auch dessen Privatleben mit Jannis auf den Kopf. Und als Felix erkennt, welche Probleme Lukas wirklich mit sich herumträgt, begeht der Junge bereits einen folgenschweren Fehler ... Nachfolgeband zu "Kristallschnee".

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 232

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kristallscherben

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2016

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover:

Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Stefano Cavoretto – shutterstock.com

© janvier – fotolia.com

© Dragon Images – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-057-7

ISBN 978-3-96089-058-4 (epub)

Kapitel 1 - Felix

Meine Hand zitterte nur ganz leicht, während ich die Unterschrift unter den Vertrag setzte. Mein Herz hingegen wummerte so laut, dass ich befürchtete, das Pochen könnte von den kahlen Wänden widerhallen.

Reiß dich zusammen, Felix!

Das hier war schließlich nicht der erste Mietvertrag, den ich unterzeichnete. Aber der erste, bei dem ich das Gefühl hatte, dass meine Unterschrift etwas wirklich Weltbewegendes in Gang setzen würde. Mein gemeinsames Leben mit Jannis!

Ich atmete aus, mein Blick streifte flüchtig den meines Freundes. Für das Lächeln, das breit auf seinen Lippen lag, hätte ich ihn gerne an mich gezogen und geküsst. Doch stattdessen reichte ich unserem neuen Vermieter den Vertrag und schlug in die mir dargebotene Hand ein.

»Schön, Herr Kulmbach, Herr Wiesner, ich freue mich, dass es geklappt hat. Auf gute Nachbarschaft!«

»Danke, auf gute Nachbarschaft, Herr Werner.« Auch Jannis erhielt einen kräftigen Händedruck und ich setzte noch erleichtert hinzu: »Freut uns, dass Sie sich für uns entschieden haben.« Das war keine heuchlerische Floskel, ich meinte es wirklich ernst. Nicht nur, dass wir uns sofort in die hübsche Dreizimmerwohnung verliebt hatten, die Suche nach einer geeigneten Bleibe hatte sich auch fast vier Monate hingezogen, was mit Sicherheit nicht nur an Stuttgarts überteuerten Mietpreisen gelegen hatte. Mich wurmte nach wie vor die Anzahl der Absagen von Maklern und Vermietern, da die meisten Eigentümer offenbar keine Lust auf ein schwules Pärchen hatten. Daran hatte nicht mal Jannis’ sicheres Beamteneinkommen rütteln können.

Reinhard Werner schien sich jedoch wenig um unsere Sexualität zu kümmern. Stattdessen setzte er noch einen drauf und erklärte: »Meine Frau und ich würden Sie gerne zu Kaffee und Kuchen einladen. Melden Sie sich, wenn Sie eingezogen sind und etwas Luft haben, ja?«

Wir tauschten einen kurzen Blick.

»Sehr gerne«, antwortete ich, schüttelte nochmals die Hand unseres Vermieters und begleitete ihn zur Tür. Er verabschiedete sich freundlich lächelnd und tätschelte im Hinausgehen sogar Pablos Kopf. Der Stafford Terrier war noch so ein Punkt, der uns die Wohnungssuche nicht gerade erleichtert hatte. Wer wusste schon gerne einen vermeintlich gefährlichen Listenhund im selben Haus? Pablo abzugeben, war jedoch nie eine Option gewesen. Nicht für mich und schon gar nicht für Jannis. Meinen Freund und seinen schwarz-weiß-gefleckten Vierbeiner gab es nur im Doppelpack.

Ich sinnierte noch über mein eigenes Verhältnis zu Pablo, als sich Jannis’ Arm von hinten um meine Brust schlang und ich sanft, aber dennoch bestimmt an seinen warmen Körper gezogen wurde. Gleich darauf kitzelte sein Atem meinen Nacken. Er hauchte einen Kuss auf die empfindliche Haut, ließ seine Lippen weiter zu meinem Ohr wandern.

»Hey, du, endlich zuhause«, murmelte er hinein und ich erschauderte. Wusste nicht, ob es an seinem Atem oder seinen Worten lag. Ich lehnte mich leicht gegen ihn, genoss das Kribbeln und das Gefühl, wie sich sein starker Körper an meinen schmiegte.

»Endlich zuhause«, wiederholte ich seufzend seine Worte. »Ich kann’s noch gar nicht richtig glauben. Du und ich. Und Pablo. Hier.«

Jannis legte sein Kinn auf meiner Schulter ab.

»Schön, oder?«

Ich schielte zur Seite und versuchte ihn anzusehen, aber er vereitelte mein Vorhaben, indem er seine Lippen zu einem dicken Kuss auf meine Wange drückte.

»Sehr schön«, seufzte ich. »Noch schöner wär’s, wenn ich nicht gleich wieder zurück ins Büro müsste. Mein Chef hat mich nur mit Ach und Krach kurz zur Unterzeichnung verschwinden lassen.«

Mein Freund gab einen murrenden Laut von sich, zog mich noch ein wenig näher und vergrub die Nase in meinem Haar. Ich hörte und fühlte sein tiefes Einatmen, wie er meinen Geruch förmlich inhalierte.

»Und ich hatte gehofft, wir würden erst mal die Wohnung einweihen.«

Seine Worte entlockten mir ein Schmunzeln.

»Einweihen, ja? Woran hast du da genau gedacht?«

Er grinste an meinem Ohr, grub gleich darauf die Zähne vorsichtig hinein.

»Ich dachte an ein stürmisches Übereinanderherfallen hier im Flur, endend in einem Handjob. Dann weiter in die Küche. Zärtlicher Sex auf dem Fliesenboden. Wie du mich dabei anschaust …« Ein Seufzen und mir wurde plötzlich heiß. Verdammt heiß! »Kurze Verschnaufpause auf dem Balkon und dann ab unter die Dusche. Du vor mir stehend, meine Finger an deinem süßen Arsch und …«

»Hör auf!«, unterbrach ich seine Ausführungen halb lachend, halb keuchend und drehte mich in seiner Umarmung. Seine dunklen Augen funkelten.

»Was? Gefallen dir meine Ideen nicht?«

»Gefallen ist gar kein Ausdruck«, nuschelte ich nahe an seinem Mund, drückte meine Lippen auf seine, schickte meine Zungenspitze auf Erkundungstour. Egal, wie oft wir uns küssten, ich würde nie genug von seinem Geschmack bekommen.

»Ich muss wirklich los.«

Kurz dachte ich, Jannis würde versuchen, mich aufzuhalten, doch er trat zwei Schritte zurück.

»Okay. Wie lange arbeitest du heute?«

»Weiß nicht so genau.« Hastig angelte ich nach meiner Jacke, bevor ich doch noch schwach wurde. »Mein Chef will mir irgendeinen brenzligen Fall aufdrücken. Könnte also ’ne längere Besprechung werden. Ich beeil mich, okay?«

Ein Kuss zur Besänftigung. Jannis lächelte.

»Klar. Gut, dann messe ich noch ein bisschen was aus und fahr schon mal zum Baumarkt, Farbe kaufen.«

Sofort setzte ich meinen zuckersüßesten Blick auf und erntete ein Augenrollen von Jannis.

»Ja, schon gut, du bekommst deine grünen Streifen im Wohnzimmer. Und jetzt hau ab!«

Ich war schon fast aus der Tür, drehte mich dann doch noch einmal um. Mit drei schnellen Schritten war ich bei Jannis, nahm seine Lippen mit meinen gefangen.

»Liebe dich«, nuschelte ich dagegen. »Und das mit der Wohnungseinweihung holen wir nach, verstanden? Vor allem den Part unter der Dusche.«

Jannis lachte – Gott, wie ich diesen Laut aus seinem Mund liebte – und schob mich energisch aus der Wohnung.

~~~

Wenig später saß ich im Büro meines Vorgesetzten und warf einen ersten kritischen Blick in die Akte, die er mir zugeschoben hatte. Rasch erfasste ich die wichtigsten Eckdaten: Lukas Frieß, 2000er-Jahrgang, Scheidungskind, Mutter an Krebs verstorben, danach aufgewachsen beim Vater, Schule abgebrochen, momentan gemeldet im Jugendheim.

»Weshalb wurde dem Vater das Sorgerecht entzogen?« Ich sah auf und begegnete Herrn Wessers Blick, doch der zuckte nur gelangweilt mit den Schultern.

»Wurde es nicht. Der Junge hat selbst den Antrag gestellt, aus der Familie genommen zu werden.«

Wesser ließ sich einen langen Moment Zeit, schenkte uns Kaffee ein, ehe er fortfuhr: »Als der Antrag im ersten Verfahren abgelehnt wurde, hat die Polizei den Jungen kurz darauf von der Straße aufgelesen. Das ging so, glaube ich, drei oder vier Mal hin und her. Inzwischen ist er im Heim. Ihre Kollegin Münchinger hat einen Platz im betreuten Wohnen für ihn beantragt. Keine Ahnung, wie der Stand der Dinge ist.«

»Okay«, gab ich gedehnt zurück und strich mir nachdenklich durchs Haar. »Und warum soll ich den Fall jetzt betreuen?«

»Frau Münchinger geht doch in Mutterschutz.«

Ich griff nach meiner Kaffeetasse.

»Ach, stimmt, wann denn?«

»Heute ist ihr letzter Arbeitstag.«

»Bitte?« Ich verschluckte mich prompt an dem heißen Gebräu und hustete. »Sorry. Aber warum findet die Fallübergabe erst jetzt statt?«

Wesser zuckte die Schultern, als ginge ihn das alles nichts an.

»Fragen Sie das Frau Münchinger.«

Innerlich entfuhr mir ein Knurren. Ich frag aber dich, du Idiot, weil du mein verfluchter Chef bist!

»Tja, dann.« Ich erhob mich, ehe dieses Gespräch in eine Grundsatzdiskussion ausarten konnte. »Ich werde gleich mit der Kollegin sprechen.«

»Machen Sie das, Kulmbach, und lassen Sie mich wissen, wenn es Fortschritte im Fall gibt. Dieser Lukas scheint ein schwieriger Kerl zu sein.«

Ich schnaufte nur knapp zur Verabschiedung. Wenn die Münchinger den Fall bislang betreut hatte, wunderte es mich nicht, dass sich kaum etwas getan hatte. Die Frau war die Unfähigkeit in Person. Wir sollten froh sein, wenn sie in den Mutterschutz ging und uns nicht länger in unsere Arbeit hineinpfuschen konnte. Andererseits würde sie bald ein eigenes Kind haben, welches sie mit ihrer nur rudimentär vorhandenen Autorität verhunzen konnte – auch keine berauschenden Aussichten.

Den Gedanken verdrängte ich, als ich ihr Büro betrat. Stattdessen wurde mir beim Anblick ihres kugelrunden Bauches ein wenig warm ums Herz.

»Herr Kulmbach, wie kann ich Ihnen helfen?«

Indem du einfach deine Schubladen leerräumst und gehst.

»Ich komme gerade von Herrn Wesser. Er hat mir den Fall Frieß übertragen.«

Regina Münchinger sah mich an, als habe ich ihr soeben erzählt, ich würde Mr. Spock vertreten.

»Frieß?«, hakte sie mit dämlicher Miene nach.

»Lukas Frieß«, versuchte ich, ihr auf die Sprünge zu helfen, »momentan im Heim, soll ins betreute Wohnen.«

Mit einem Mal klärte sich ihr verwirrter Blick. Ihre runden Wangen begannen zu glühen.

»Oh, ja, Lukas Frieß.« Seinen Namen sprach sie aus, als rede sie über einen Haufen widerlichen Spinnengetiers. »Viel Spaß auch mit ihm.«

Ich hob nur die Augenbrauen und Regina plapperte gleich weiter.

»Ich bin froh, wenn ich den Fall los bin. Ich komme mit dem Jungen nicht klar.«

Wundert mich nicht, hast ja auch die Autorität einer Klopapierrolle.

»Polizeibekannt?«, fragte ich nur und machte mir gedanklich eine Notiz, Jannis zu bitten, mal ein paar Nachforschungen anzustellen.

»Mir ist nichts bekannt. Aber der Junge hat ein gewaltiges Aggressionsproblem, wenn Sie mich fragen.«

Ups, vielleicht sollte ich Pablo zum ersten Treffen mitnehmen.

Ich gab mir Mühe, mein Schulterzucken unbefangen aussehen zu lassen.

»Sonst noch was, das ich wissen müsste? Haben Sie schon den Antrag für eine Wohngruppe gestellt?«

Sie nickte. »Ich maile Ihnen das zu. Dann müsste alles geklärt sein.«

»Gut.« Ich stellte mich schon mal darauf ein, nachher entweder gar keine oder eine unbrauchbare Mail zu erhalten.

»Alles Gute«, brachte ich noch über die Lippen und zwang mich zu einem Lächeln, ehe ich den Raum verließ.

In meinem eigenen Büro empfing mich Janine mit einem breiten Grinsen, ihre Jacke bereits in der Hand.

»Hey, Felix, ich mach Feierabend. Bleibst du noch?«

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Schon fast 17 Uhr und das am Freitag, aber es half nichts. Ich wollte mich zumindest noch etwas in die Akte einarbeiten.

»Mhm, hab ’nen neuen Fall.«

»Oh, okay.« Von Janine erntete ich einen mitleidigen Blick. »Habt ihr nicht heute den Mietvertrag unterschrieben? Da solltet ihr doch heute Abend gemütlich anstoßen.«

Ich seufzte tief. »Sollten wir, ja.« Außerdem war es Jannis’ freies Wochenende.

»Na gut, dann mach nicht mehr allzu lange. Bis Montag, schönes Wochenende!« Und schon war meine Kollegin aus der Tür gehuscht.

»Dir auch«, rief ich ihr noch nach und fischte mein Handy aus der Hosentasche. Ich sollte Jannis wenigstens eine kurze Nachricht schreiben. Wie gerne hätte ich jetzt mit ihm die neue Wohnung eingeweiht. Jedes einzelne Zimmer …

Kapitel 2 - Jannis

Ich trat drei Schritte von der Wand zurück und betrachtete zufrieden mein Werk. Mal abgesehen davon, dass ich eigentlich keine Farbe an den Wänden hatte haben wollen und Grün auch nicht meinem Geschmack entsprach, sahen die beiden Querstreifen wirklich gut aus. Beide schnurgerade, nicht verlaufen oder verwackelt, der obere nur halb so breit wie der untere und hoffentlich so, wie Felix es sich vorgestellt hatte. Zusammen mit meinem weißen Sideboard und dem dunkelgrauen Sofa würden die grünen Streifen hübsche Farbtupfer abgeben. Blieb nur zu hoffen, dass Felix sich nicht noch einmal umentschied. Vor drei Tagen hatte er noch fliederfarbene Senkrechtstreifen im Wohnzimmer haben wollen, doch gegen die hatte ich ein vehementes Veto eingelegt. Flieder musste dann wirklich nicht sein …

Pablo kam ins Wohnzimmer getrottet, hockte sich neben mich auf den Boden und schien ebenfalls die Wand einer kritischen Betrachtung zu unterziehen.

»Na, Dicker, was meinst du? Gefällt das dem verehrten Sir Kulmbach?« Noch während ich die Worte an meinen Hund richtete, musste ich grinsen. Ich sollte Felix nicht wissen lassen, dass ich ihn manchmal heimlich mit dem Titel »Sir« belegte. Das tat normalerweise nur Anni, wenn sie sauer auf ihn war, weil er mal wieder seine zickigen fünf Minuten hatte. Da seine beste Freundin aber bald nicht mehr mit ihm würde zusammenleben müssen – oder dürfen – war es mir wohl erlaubt, meine kleine Diva ab und an ein wenig aufzuziehen.

Apropos Diva – wo steckte mein Sir Kulmbach eigentlich so lange?

Als bestände eine telepathische Verbindung zwischen uns, summte in diesem Moment mein Handy auf dem Boden. Rasch legte ich den Pinsel beiseite, wischte mir die Hände notdürftig ab und angelte nach dem Smartphone. Tatsächlich war eine Nachricht von Felix eingetrudelt.

Bei mir dauert’s leider noch etwas. Trauriger Smiley. Muss mich in die Akte einarbeiten. Augen verdrehender Smiley. Soll ich später zu dir kommen?

Kurz überlegte ich, bei mir zuhause irgendein leckeres Essen zu zaubern, bis Felix von der Arbeit kam, entschied mich dann aber anders.

Komm in die neue Wohnung, schrieb ich also. Wie lange brauchst du noch?

Gleich darauf kündigte ein neuerliches Handypiepsen den Eingang dreier Smileys mit Herzchenaugen an. Gefolgt von: Schon noch’ne Stunde. Ich beeil mich.

Ich warf einen prüfenden Blick auf die Uhr. Eine Stunde würde reichen, um zu duschen, eine kurze Runde mit Pablo zu drehen und eine Matratze aus meiner Wohnung hierher zu schaffen. Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Wenigstens das Schlafzimmer konnten wir ja heute schon mal einweihen.

Also sprang ich in meinen eigenen vier Wänden im Rekordtempo unter die Dusche, ging noch schnell eine Runde mit meinem Hund um den Block und stand bereits fünfzig Minuten nach meinem Aufbruch wieder in der neuen Wohnung – mit Matratze. Die deponierte ich kurzerhand dann doch nicht im Schlaf-, sondern im Wohnzimmer, auch wenn es dort trotz des Lüftens noch nach Farbe müffelte. Felix sollte direkt auf die frisch gestrichene Wand schauen können.

Pablo verstand die Matratze als Aufforderung, es sich auf der weichen Liegestätte bequem zu machen und brummelte zufrieden, als auch noch eine Decke und mehrere Kissen folgten.

»Wenn Felix kommt, musst du da runter, klar?«

Doch mein Hund warf mir nur einen seiner Ja-ja-schon-klar-Blicke zu und schloss betont desinteressiert die Augen. Meinem kleinen Racker konnte ich jedoch nie lange böse sein. Also ließ ich mich neben ihn fallen und kraulte seinen dicken Kopf.

Nach einer halben Stunde wurde ich langsam unruhig. Zur Ablenkung schnappte ich mir mein Handy und öffnete die Ebook-App, konnte mich aber nicht recht auf die Handlung des Krimis konzentrieren. Eine weitere halbe Stunde ging ins Land. Und nochmal eine. Meine Laune sank auf den Nullpunkt. Ich verstand durchaus, dass Felix sich in seinen neuen Fall einarbeiten musste, aber doch wohl nicht freitags, um kurz vor halb acht. Bei aller Liebe!

Ich hatte mir gerade eine Portion Dosenravioli auf einem provisorischen Einplattenherd, den ich im Kellerraum meiner alten Wohnung ausgegraben hatte, warm gemacht und mich damit auf die Matratze verzogen, als endlich der Schlüssel im Schloss kratzte und umgedreht wurde. Na endlich! Aber hey, es war ja auch erst 20 Uhr.

Gleich darauf stand Felix im Durchgang zum Wohnzimmer. Er sah müde aus und seine Miene verriet überdeutlich das schlechte Gewissen.

»Hey«, murmelte er und schien nicht recht zu wissen, ob er zu mir herüberkommen sollte oder nicht. Ich musste wohl ziemlich angefressen ausgesehen haben, selbst im Halbdunkel des Zimmers erkennbar. Pablo hingegen sprang auf und strich schwanzwedelnd um Felix’ Beine herum. Weil mein Freund so bedröppelt aussah, ließ ich mich dann doch zu einer Begrüßung herab.

»Hey, na, warst du bis jetzt im Büro?«

Felix nickte und setzte sich endlich in Bewegung, kniete sich vor mir auf die Matratze.

»Ja, tut mir leid, ich hab voll die Zeit vergessen.«

Ich hob eine Augenbraue.

»So spannend, der neue Fall?«

»Mhm, irgendwie schon.« Ein kleines Lächeln zuckte um seine Lippen. Er deutete auf die vielen Kissen. »Willst du hier schlafen?«

»Hatte ich vor, ja.« Ich seufzte und streckte eine Hand nach ihm aus. »Müssen doch die Wohnung einweihen.«

Felix verhakte seine Finger mit meinen. Mit der anderen Hand deutete er auf die Dose Ravioli.

»Stoßen wir damit an?«

Seine Worte entlockten mir ein Grinsen und ich zog ihn zu mir. »Idiot«, nuschelte ich an seinen Lippen, küsste ihn. Mit der Zungenspitze tastete er sich von meinem Mundwinkel an der Unterlippe entlang, bescherte mir ein wohliges Kribbeln.

»Du schmeckst gut«, raunte Felix mir entgegen. »Krieg ich auch was?«

»Klar.« Ich drückte noch einen Kuss auf seine Lippen, schaute in seine grünen Augen und spürte, wie mein Ärger verrauchte. Liebevoll strubbelte ich durch Felix’ Haare. Mein kleiner Chaot …

»Mach mal das Licht an.«

»Warum?«

»Mach einfach.«

»Okay.« Felix erhob sich, wandte sich um und erstarrte, noch bevor er den Lichtschalter erreicht hatte. Ein gehauchtes »Oh« entwich ihm und dann: »Hast du …? Du hast doch nicht …?«

War das jetzt Begeisterung oder Entsetzen?

Er rannte förmlich zum Lichtschalter und knipste die einzelne Glühbirne an, die an einem Kabel von der Decke baumelte. Mit dem Rücken zu mir starrte er sekundenlang auf die von grünen Streifen verzierte Wand.

»Oh Mann«, stieß er hervor und fuhr sich in einer fahrigen Geste durchs Haar. »Wann hast du ...? Okay, blöde Frage.« Er wandte sich um, die rechte Hand noch immer an seinem Hinterkopf, als müsse er sich dort festhalten. »Warum hast du denn gestrichen? Du wolltest doch gar keine Farbe im Wohnzimmer.«

»Ich hab doch gesagt, ich hol dir Grün im Baumarkt. Und weil ich weiß, dass du zwei linke Hände hast, dachte ich, du freust dich, wenn ich das mache.«

»Klar freue ich mich!« Mit wenigen Schritten war Felix wieder bei mir, kauerte sich vor mich. Seine Hände ruhten auf meinen angewinkelten Knien. »Danke«, murrte er verlegen, knuffte mir einmal gegen den Arm. »Das ist total lieb und ich Depp lasse dich so lange hier warten.«

Ich zuckte die Schultern und stellte die Dose mit meiner Gabel neben mich auf den Boden. Wie hätte ich diesen grünen Augen lange böse sein sollen? Felix beherrschte den Zucker-Blick noch besser als mein Hund.

»Gern geschehen. Und ich muss sagen, mir gefällt’s auch ganz gut.«

»Echt?«

»Ja, echt.«

Sein Lächeln ließ mein Herz pochen. Noch immer. Nach über zwei Jahren Beziehung. Mehr denn je. Ja, das war kitschig. Ich grinste schief.

Auf Felix’ Gesicht trat mit einem Mal ein anderer Ausdruck. Er streichelte von meinen Knien die Oberschenkel aufwärts, hin zur Hüfte. Eine sanfte, liebevolle Geste, die aufgrund ihrer Intensität jedoch gleich ein erregtes Kribbeln weckte. Er sah mich direkt an, verfolgte jede meiner Regungen. Angekommen am Bund meiner Jeans verharrte er kurz, lächelte kaum merklich, ehe er die Finger unter meinen Pullover schob, an den Saum griff. Ich folgte einfach seiner stummen Bitte, zog mir rasch das Kleidungsstück über den Kopf. Felix’ Blick glitt tiefer, tastete sich über meine Brust zum Bauch hinab. Ich kannte den halb sehnsüchtigen, halb bewundernden Ausdruck in seinem Gesicht und wusste, wie sehr er meinen durchtrainierten Körper mochte. Doch mir erging es mit ihm ja nicht anders. Felix machte nur selten Sport, ging ab und an joggen. Trotzdem war er schlank. Fast drahtig. Ich brauchte keinen Muskelprotz. Nur ihn.

»Wolltest du nicht was von den Ravioli abhaben?« Ich wunderte mich nicht, dass meine Stimme kratzig klang.

Felix sah zu mir auf. Ganz kurz stockte unser beider Atem.

»Scheiß auf die Ravioli«, stieß er hervor und kam noch näher. Er drückte meine Beine nach unten und saß beim nächsten Atemzug rittlings auf meinem Schoß. Presste sich an mich, im selben Moment, da ich die Arme um ihn schlang. Unsere Lippen fanden sich, nicht tastend, sondern stürmisch fordernd. Ich hätte nicht zu sagen vermocht, wer die Zunge zuerst in wessen Mund stieß, doch es war auch egal. Alles, was zählte, war, dass dieser Mann sich an mich drückte, durch den Jeansstoff hindurch seine beginnende Erektion an meiner rieb und mich scheinbar um den Verstand küssen wollte.

Nach Luft schnappend lösten wir uns irgendwann voneinander, höchstens einen Zentimeter. Ich erschauderte unter seinem intensiven Blick.

»Tut mir leid«, flüsterte er kaum hörbar.

Als Antwort suchte ich wieder seine Lippen und dieser Kuss war sanfter, zärtlicher als der zuvor. Unsere Zungen umkreisten und neckten sich. Ich hätte ewig so weitermachen können, wäre es nicht in meiner Jeans unangenehm eng geworden.

»Ich muss aus der Hose raus«, knurrte Felix und brachte mich damit zum Lachen. Er kämpfte sich von mir herunter. Unsere Klamotten flogen unachtsam durchs Zimmer. Aus dem Augenwinkel meinte ich, eine meiner Socken in Pablos Richtung segeln zu sehen. Jedenfalls verzog sich mein Hund mit pikierter Miene nach nebenan.

»Und jetzt?«, lenkte Felix meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Er kniete vor mir, ließ die Fingerspitzen aufreizend über seinen steifen Schwanz gleiten und feuerte einen dementsprechenden Blick auf mich ab. »Welches Zimmer weihen wir zuerst ein?«

Kurz war ich atemlos, konnte nicht antworten, sondern verschlang meinen Freund mit Blicken. Felix lachte rau.

»Ich erinnere mich an … hm … Dusche …« Er stockte, keuchte ganz leise, als er über seine pralle Eichel rieb. »Deine Finger an meinem Arsch …«

Meine Hand schoss nach vorn, ergriff seine und zog sie von seinem Ständer weg.

»Bleib einfach hier«, raunte ich ihm zu, hauchte einen federleichten Kuss auf seine Lippen.

»Dreh dich um und leg dich hin.«

Felix erwiderte den Kuss genauso zärtlich, auch wenn ich sein verlangendes Zittern spürte, als meine Erektion die seine berührte. Mit offensichtlicher Mühe riss er sich von mir los und ging auf die Unterarme. Doch ich dirigierte ihn in eine seitlich liegende Position. Seufzte gleichzeitig erleichtert und erregt, als ich mich endlich von hinten an ihn drängen konnte. Felix kam mir sofort entgegen, mein Schwanz schmiegte sich perfekt zwischen seine runden Pobacken. Ich hätte nicht sagen können, was mich mehr anmachte: Das Aufeinandertreffen unserer Haut oder sein nur mühsam unterdrücktes Stöhnen.

Ich presste meine Lippen in seinen Nacken, tastete dann neben der Matratze nach Gleitgel und Kondomen. Doch bevor ich mir eines davon überziehen konnte, hielt Felix mein Handgelenk fest. Über seine Schulter hinweg begegnete er meinem fragenden Blick.

»Warte, nicht.« Er drehte sich ein wenig weiter zu mir um, suchte meine Lippen. »Ich weiß, du hast was gegen die Sauerei, aber hey, die Matratze passt eh nichts ins neue Bett.« Wieder ein Kuss. »Ich will dich spüren, Jannis, ohne Gummi dazwischen.«

Meinen Protest küsste er einfach fort. Wenn da überhaupt einer gewesen wäre …

Grinsend schaute ich auf ihn herab, streichelte dabei seinen Oberschenkel aufwärts, entlockte ihm ein zischendes Einatmen.

»Aber Gleitgel darf ich schon verwenden, oder?«

Statt einer Antwort erhielt ich nur ein genüssliches Stöhnen. Felix schloss die Augen und schob sich meiner Hand an seinen Hoden entgegen. Kurz gönnte ich ihm die intensiven Berührungen, dann löste ich mich endgültig ein Stück von ihm, um ungehindert hantieren zu können.

Meine Beherrschung schmolz dahin, als mein gelfeuchter Schwanz auf seinen von einer raschen Vorbereitung weichen Eingang traf. Ich schlang einen Arm um Felix, zog ihn an mich, spürte seinen Atem stocken, als ich mich in ihn schob. So eng. So gut. Mit keinem anderen Mann war Sex je gewesen, wie es mit Felix war.

Grinsend über den Gedanken leckte ich über seine Schulter. Hielt ihn fest, als sein Atem in einem lustvollen Keuchen aus seinen Lungen entwich und er sich entspannte. Trotzdem verharrte ich in ihm, ohne mich zu bewegen, genoss einfach die Intensität der Vereinigung. Ohne Gummi dazwischen. Ja, scheiß auf die Sauerei!

»Jannis.« Er rieb seine Wange  an meiner, wölbte mir seinen Körper noch weiter entgegen. »Gott, das ist so gut.«

Mit einem Ruck zog er mein Bein über seine. Keuchte in Einheit mit mir, als ich bei der Bewegung noch tiefer in ihn glitt.

Er drehte den Kopf. »Und jetzt …« Seine Lippen streiften meine. »Fick mich.«

Kapitel 3 - Felix

Ich lag auf einer Sommerwiese, auf dem Bauch, eingehüllt in weiches, warmes Gras. Um mich herum ein wunderbar herber, betörender Duft. Auf meinem Rücken tanzten vorwitzige Schmetterlinge. Hm, das Paradies auf Erden. Ich brummte zufrieden.

Just in diesem Moment machte sich einer der Schmetterlinge selbstständig. Ein ziemlich freches Kerlchen, das obendrein noch Feuer an den Füßchen zu haben schien. Das Flattertier glitt an meiner Wirbelsäule abwärts, zog dabei eine heiße, kribbelnde Spur, bis hinab zu meinem Hintern. Uuh! Und dann war da noch irgendein Raubtier – ein Panther vielleicht? – das gerade seine Krallen in meine Pobacken schlug.

Okay, das war jetzt merkwürdig. Traum oder Realität?

Ich schlug die Augen auf, blinzelte gegen das Morgenlicht. Die Schmetterlinge waren immer noch da, verwandelten sich aber gerade in einen forschenden Mund. Ich wollte etwas sagen, brachte jedoch nur einen hilflosen Laut, irgendetwas zwischen Keuchen und Wimmern, zustande, weil Jannis genau in diesem Moment über den Ringmuskel leckte.

»Shit, verdammt, Jannis!«

Ich vergrub das Gesicht im Kissen. Nichts da, von wegen Gras und so. Keine Schmetterlinge. Nur seine verfluchte Zunge an meinem Arsch.

»Was … wird das?«, brachte ich stockend hervor und hätte vielleicht lieber nicht gefragt. Die Schmetterlinge verschwanden endgültig. Gleich darauf streifte sein warmer Atem meinen Nacken.

»Guten Morgen«, raunte er, »wollte nur wissen, ob du noch nach mir schmeckst.«

Hilfe! Zuviel des Guten am frühen Morgen.

»Und?«, fragte ich dennoch. Jannis schnurrte an meinem Nacken, rückte näher. Sein Schwanz drückte sich hart und verlangend zwischen meine Backen.

»Ja, tust du. Riechst nach mir. Und nach Sex. Wahnsinnig gut.«

Hrrr! So hitzig kannte ich meinen Freund am Morgen ja gar nicht.

Ich drehte mich in seinen Armen. Hätte ihn für den verhangenen Blick aus dunklen Augen am liebsten überfallen. Doch mein Magen knurrte und mein Hintern brannte noch von der Wohnungseinweihung. Wir hatten nicht alle Zimmer geschafft, nur Wohnzimmer und Bad – Ersteres dafür doppelt.

»Ich hab Kohldampf. Haben wir was Essbares da?«

Jannis schielte über mich drüber, grinste schief.

»Mhm, kalte Ravioli von gestern.«

»Brötchen?«, hakte ich hoffnungsvoll nach. »Marmelade oder Nutella?«

»Nee. Aber wenn du magst, können wir in die Stadt gehen, schön frühstücken und anschließend in der Wohnung weitermachen.«

»Das klingt … FUCK!«

Jannis zog fragend eine Augenbraue hoch, während mir binnen einer Sekunde die Gesichtszüge entglitten.

»Oh Scheiße, ich hab voll vergessen, es dir zu sagen.«

»Was zu sagen?«

»Ich kann heute nicht.«

»Wie jetzt?« In seiner Stimme schwang Verärgerung mit und ich kaute schuldbewusst auf meiner Lippe.

»Ich muss ins Jugendheim. Lukas kennenlernen.«

»Nicht dein Ernst, oder? Es ist Samstag.«

Ich seufzte tief. »Ich weiß und du hast frei. Es tut mir leid, ehrlich! Aber der Fall ist heikel und ich …«

Jannis’ Finger auf meinen Lippen ließ mich stocken.

»Und du hängst dich mal wieder voll rein. Wie immer.«

Sollte das nun ein Vorwurf sein? Eigentlich hatten seine Worte eher enttäuscht geklungen.

»So schlimm?«, hakte ich vorsichtig nach.

Er nickte, grinste aber im selben Moment, wenn auch etwas gequält.

»Schlimmer.«

Ich bekam einen Kuss auf die Lippen, dann erhob Jannis sich. Mein Blick wanderte über seinen durchtrainierten Körper, blieb an seinem immer noch steifen Schwanz hängen. Mann, warum hatte ich den Termin auch schon auf zehn Uhr gelegt?

»Wie lange brauchst du?«

Hm … was?

Ich blinzelte zu Jannis hoch und begegnete seinem offensichtlich amüsierten Blick.

»Wann du wiederkommst, will ich wissen.«

»Weiß nicht. Ich beeil mich, okay? Ich bin nachmittags wieder da.«

»Okay.«

Rückwärts näherte er sich der Tür, sodass ich weiterhin einen freien Blick auf seinen Körper hatte. Seine Finger streiften wie zufällig seine Erektion und er wackelte mit einer Augenbraue.

»Ich geh dann mal duschen.«

Hmpf! Mir war schon klar, was er unter der Dusche tun würde und ich Trottel war selbst schuld, dass ich keine Zeit hatte, dabei zu sein.

~~~

Lukas Frieß saß, den Rücken mir zugewandt, auf einer Backsteinmauer. Er ließ die Beine über den Rand baumeln und schaute – so vermutete ich – über den Garten des Heims hinweg in die Ferne. Den Worten der Heimleiterin nach, wurde der Junge nicht selten handgreiflich anderen Kindern gegenüber und ich hatte daher einen stämmigen Muskelprotz in Nietenlederjacke erwartet. Doch ich fand einen schmächtigen Sechzehnjährigen, gekleidet in Röhrenjeans und Karohemd. Das dunkelblonde Haar zur Hälfte unter einer giftgrünen Cap verborgen. Schmale Hände klammerten sich an der Mauer fest.