Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Sie haben die elementare Krise der Sonderperiode gemeistert. Sie haben ihre Kinder großgezogen und drei Generationen gleichzeitig versorgt. Sie sind häufig auch dann noch der Zusammenhalt von Familie und Gesellschaft, wenn sich ihre Männer bereits rar gemacht haben und in Florida die nächste Familie gründen. Nebenbei tanzen, feiern, musizieren sie und kommunizieren mit ihren Orishas in der geheimnisvollen Parallelwelt der Santeria. Mag sein, dass die Experten die rassigen Brasilianerinnen oder die gekrönten Schönheitsköniginnen aus Venezuela für die perfekteren Muchachas halten. Doch ohne jeden Zweifel sind die Kubanerinnen die stärksten Frauen des amerikanischen Kontinents. Und sie verzaubern jeden Besucher, der von jenseits des Meeres auf ihre Insel kommt. Was jedoch geschieht, wenn sie mit einem Europäer in sein Land ziehen, ist eine andere Geschichte ... Berichte aus Kuba zu Zeiten der ´Periodo Especial`.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 409
Veröffentlichungsjahr: 2018
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Einleitung
Kubagirls
Zoraida
Carolina
Loreta
Thaimi
Elba
Begegnungen
Rückblende
Mein Dank gehört meinen Freunden Bernd Schrader und Anne Rodemann, die beide die mühsame Arbeit des Korrekturlesens auf sich genommen haben.
Gemeinsam ist es uns halbwegs gelungen, die tückischen Klippen der deutschen Rechtschreibung zu umschiffen, mit denen uns der weise Rat alle Jahre wieder aufs Neue beglückt.
Kuba ist das Modell einer revolutionären Umwälzung in Lateinamerika in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ebenso wie es Mexiko zu Beginn dieses kriegerischen Jahrhunderts gewesen ist.
Dabei gab es gerade auf dem einzigen Kontinent, der von beiden Weltkriegen weitgehend verschont geblieben ist, eine enorme Fülle an Umwälzungen, Revolutionen, Militärputschen und Guerillabewegungen. Aber weder die Ereignisse in Chile von 1970 bis 1973, noch die Revolution der Sandinisten 1979 in Nicaragua oder die verordnete Bolivarische Revolution in dem Venezuela des Hugo Chavez konnten sich im Bewusstsein der Bewohner des Kontinents als wegweisendes Modell für Entwicklungen auch ihrer eigenen Länder einprägen. Sie blieben stets regional und zeitlich begrenzte Veränderungen mit einem verdächtigen Beigeschmack von kurzem Bestand.
Einzig die Revolution in Kuba hatte Auswirkungen, die weit über die regionale Bedeutung eines Umsturzes auf dieser Karibikinsel hinausreichten. Warum war dies so?
Bekannt sind die radikalen und alles erschütternden Veränderungen im sozialen und produktiven Bereich des Landes, welche die kubanischen Revolutionäre nach der Konsolidierung ihrer Macht so etwa ab Ende 1959 durchzusetzen begonnen haben. Die Zerschlagung der großen Latifundien, die Enteignungen ausländischer, in der Hauptsache US-amerikanischer Gesellschaften, die großen Kampagnen zur Alphabetisierung der Landbevölkerung und der Aufbau des ersten medizinischen Versorgungsnetzes, das die gesamte Insel überzieht. All dies ist hinlänglich bekannt.
Und natürlich auch die Tatsache, dass die kubanische Revolution mit Fidel Castro den engagiertesten, halsstarrigsten und zähsten Revolutionsführer hervorgebracht hat, der je ein Land während der gesamten Aufbauphase in eine ´neue` Gesellschaft überführt hat. Ohne Fidel ist das neue Kuba kaum denkbar.
*
Weitgehend ausgelöscht aus der heutigen geschichtlichen Erinnerung ist der Umstand, dass Kuba in dem Jahrhundert vor seiner Unabhängigkeit von der alten Kolonialmacht Spanien das reaktionärste und rückständigste Land der gesamten westlichen Hemisphäre gewesen ist.
Erst im Jahre 1886 wurde auf Kuba die Sklaverei per Gesetz abgeschafft. Es ist das Jahr in dem Carl Benz in Deutschland mit seinem Benz Patent-Motorwagen das Zeitalter des Automobils eingeläutet hat. Das Jahr, in dem das weltweite Konsumverhalten durch die Rezepte für Maggi und Coca Cola in gleichmacherische Bahnen gelenkt wurde. Hingegen konnte auf Kuba mit 375 Jahren Sklavenhaltung gerade ein weltrekordverdächtiges Jubiläum der eher makabren Art bejubelt werden.
Ähnliches lässt sich für die koloniale Abhängigkeit dieses Landes sagen. Die Stimmen für eine nationale Unabhängigkeit werden nach 1808 in allen Kolonien Lateinamerikas unüberhörbar, weil sich in diesem Jahr die spanische Königsfamilie freiwillig in die Hände Napoleons begibt, um durch Joseph Bonaparte, den Bruder des französischen Kaisers als neuem Monarchen in Madrid ersetzt zu werden. Nun fühlen sich selbst viele ´Peninsulares` (in Spanien geborene Bewohner der Kolonien) nicht mehr an die Gesetze und Richtlinien der Krone gebunden und unterstützten die Bestrebungen der ´Kreolen` (in den Kolonien geborene spanische Nachkommen) nach vollständiger Unabhängigkeit vom Mutterland.
Seit dem Jahre 1810 brodelte es also in allen spanischen Kolonien und der Ruf nach vollständiger Unabhängigkeit vom Mutterland eilte von Mexiko über Mittelamerika, die Inseln der Karibik und Venezuela über den gesamten südamerikanischen Kontinent.
1810 verliert Spanien das Vizekönigreich Neugranada (Kolumbien, Venezuela, Ecuador, Panama),
1811 das Vizekönigreich Rio de la Plata (Argentinien, Bolivien, Paraguay),
1823 Peru und
1824 das Vizekönigreich Neuspanien (Mexiko).
Doch Kuba gehörte noch für weitere drei Generationen als Kolonie zur spanischen Krone, bis auch auf dieser Insel im Jahre 1898 die Unabhängigkeit ausgerufen wurde. Spanien hatte für seinen Kampf um den Erhalt der letzten Kolonie in Amerika noch einmal über 200 000 Rekruten im Mutterland ausgehoben, um die kubanische Garnison von 50 000 Mann Besatzungstruppen massiv zu verstärken. Aus diesem Kontingent von zwangsrekrutierten jungen Männern aus den armen Schichten des Landes (die wohlhabenden spanischen Familien konnten ihre Söhne von dieser Rekrutierung freikaufen), blieben viele ehemalige Soldaten nach dem verlorenen Krieg in Kuba, um in der neu erstandenen Nation ihr Glück zu versuchen.
Doch bald schon wurde den neuen Bürgern des Landes klar, dass Kuba seinen alten kolonialen Status gegen eine neue Abhängigkeit von den USA eingetauscht hatte, und dass sich im Grunde die kubanische Schicht der ´Annexionisten`, also die Anhänger eines Anschlusses der Insel an die USA durchgesetzt hatten. Denn die Besitzer der großen Latifundien verkauften aus Angst vor möglichen Entwicklungen wie einst auf der Nachbarinsel Hispaniola ihre Ländereien an US-amerikanische Firmen wie die United Fruit Company und ließen sich in den USA nieder. Die Masse der enttäuschten Kämpfer für ein unabhängiges Kuba blieben auf der Insel zurück und mussten ohnmächtig mit ansehen, wie ihre neue Heimat von dem großen Nachbarn ausgeplündert wird. Auf Kuba mussten die alten gesellschaftlichen Strukturen vollständig zerschlagen werden, um dem überfälligen Neubeginn des Landes eine wirkliche Chance zu geben.
Die Kinder der Veteranen des antikolonialen Krieges nehmen den Kampf um die wahre Unabhängigkeit der Insel wieder auf. Ihre bekanntesten Kämpfer sind Frank Pais, Camilo Cienfuegos, Armando Hart, Enrique Oltuski, Alberto Bayo, die Gebrüder Castro, sowie ein Argentinier mit dem Namen Ernesto Rafael Guevara de la Serna, der sich den kubanischen Revolutionären anschließt. Sie wissen, dass sie nicht nur gegen die Diktatur des Fulgencio Batista und die kubanische Oligarchie, sondern gleichfalls gegen den übermächtigen Nachbarn USA und seine gigantischen Multikonzerne ankämpfen müssen, um in ihrem Land radikale und dauerhafte Veränderungen zu erreichen. Sie wollen die soziale Ungerechtigkeit, Korruption und Unwissenheit beseitigen, Schulen und ein System medizinischer Versorgung im ganzen Land organisieren und Kuba von jeglichem äußeren Einfluss unabhängig machen. Sie müssen den Kubanern ihr Selbstwertgefühl zurück geben, Rassenschranken einreißen, die Macht der katholischen Kirche begrenzen, die Gleichberechtigung der Frauen vorantreiben, sexuelle Tabus durchbrechen und die Entwicklung einer neuen intellektuellen Elite des Landes fördern. Ihr oberstes Leitbild ist ein Dichter und Philosoph, der bereits in den ersten Tagen des kubanischen Unabhängigkeitskrieges gefallen ist und ihr unbestrittener Führer heißt Fidel Castro.
´Fidel` wie ihn die Kubaner nennen ist ein ungeheuer zäher und engagierter Revolutionär, dessen grenzenloses Selbstwertgefühl an Größenwahn grenzt. Und sein Programm für das neue Kuba ist radikal. Durch seine Kraft, sein Redetalent und seinen messerscharfen Verstand steht Fidel haushoch über der Masse, auch wenn er oftmals die Nähe und die Auseinandersetzung mit dem einfachen Volk sucht. Er wird nicht geliebt, wie Camilo Cienfuego oder Che Guevara, aber ohne seine Person hätte das kubanische Modell einer radikalen gesellschaftlichen Umwälzung keine Chance auf Dauer gehabt.
In seiner Politik ist Castro Pragmatiker. Er wendet sich der Sowjetunion zu, weil die USA nach der entschädigungslosen Enteignung der United Fruit Company sämtliche wirtschaftlichen Verbindungen mit Kuba kappen und er wird Sozialist, weil er soziale Gerechtigkeit erzwingen will.
Fidel weiß, dass sein Land durch eine Partnerschaft mit Russland nicht reich werden kann und wohl kaum jemals genug Devisen erwirtschaften wird, um die Luxusartikel zu importieren, die in anderen Staaten der Region zunehmend zum Alltag gehören. Also schafft er ein Land der gerechten Armut, einen Sozialstaat der Habenichtse.
Allerdings stehen den Besitzlosen medizinische Versorgung, Schulen und Universitäten kostenlos zur Verfügung. Lebensmittel, Wohnung und Transport sind staatlich subventioniert und werden der Bevölkerung zu symbolischen Preisen angeboten. Das ist oftmals mehr, als die Sozialprogramme der reichen westlichen Länder für den verarmten Teil ihrer Bevölkerung anzubieten haben und unendlich viel mehr, als die Armen in anderen Ländern Lateinamerikas jemals erwarten können.
Die Revolutionäre der Bewegung des 26. Juli haben sich ein Land geschaffen, im welchem die meisten Bewohner der Insel materiell ohne Luxus, jedoch auch ohne elementaren Mangel überleben konnten. Bis eines Tages überraschend die riesige Sowjetunion zusammenbricht und die russischen Öllieferungen ausbleiben. Dies bedeutete nicht nur fehlenden Treibstoff für Fahrzeuge und Maschinen im eigenen Land, sondern auch fehlende Devisen für diese Insel, da Kuba einen großen Teil der russischen Erdöllieferungen an Drittländer weiter verkaufen und sich so seine überlebensnotwendigen Devisen beschaffen konnte.
Nun setzte die Führung des Landes unvermittelt auf die Karte des internationalen Tourismus, um die Devisenverluste auszugleichen. Aber weder die Infrastruktur noch das kubanische Selbstwertgefühl oder die soziale Balance waren wirklich auf dollarbepackte Besucher eingestellt. Tourismus war in dem kubanischen Modell nicht vorgesehen.
*
In den folgenden 17 Jahren verschieben sich jetzt die Prioritäten des kubanischen Alltags. Wichtig werden Beschäftigungen und Personen, die in der Lage sind, amerikanische Dollars an Land zu ziehen. Attraktive Muchachas, illegale Taxifahrer und private Vermieter werden in der Folge zu den wichtigsten Vertretern der kubanischen Zivilgesellschaft - und zwar genau in dieser Reihenfolge.
Im Prinzip reklamiert der kubanische Staat sämtliche Devisen, die Touristen ins Land bringen, exklusiv für sich selbst und stellt den individuellen Erwerb von Devisen unter Strafe. Denn schließlich trägt der Staat ja auch die Kosten für Ausbildung, medizinische Betreuung und die sonstige gigantische Subventionswirtschaft des Landes. Eine klassische Staatsfinanzierung durch Steuererhebung entfällt in diesem Land, denn kubanische Bürger unterliegen bislang keinerlei Steuerabgabe.
Auf der anderen Seite werden dem nationalen Markt immer mehr Produkte entzogen und sind nur noch gegen Devisen zu erhalten. Die Kubaner müssen also irgendwie an Dollars (oder in späteren Zeiten an den konvertiblen Peso CUC) kommen, wenn sie zum Beispiel Benzin, frei verkäufliche Kleidung oder manchmal auch nur die Devisen für ein internationales Telefongespräch benötigen.
Die neuen Bestimmungen und Gesetze, mit denen der Staat die alleinige Verfügung über sämtliche Devisen durchsetzen will, die der Tourismus dem Lande beschert, lassen sich nicht mehr aus der kubanischen Lebensweise und dem Selbstverständnis seiner Bevölkerung herleiten.
Prostitution zum Beispiel wird knüppelhart bestraft, wobei die offiziellen Moralapostel stets auf die vorrevolutionäre Situation in Kuba hinweisen, als ganz Havanna wie ein riesiges Bordell für amerikanische Touristen gewirkt hat. Aber steht in einem Land der sexuellen Freizügigkeit hinter jedem intimen Verhältnis einer Kubanerin mit einem Touristen gleich Prostitution?
Und steht hinter jeder Einladung in die eigene Wohnung gleich ein illegaler Pensionsbetrieb? Kann man in dem Land der hochgelobten Gastfreundschaft nicht mit einem Ausländer in seinem eigenen PKW fahren? Wo sind die Grenzen und vor allem – wie lassen sich die staatlichen Kontrolleure und Aufpasser in die Irre führen? Denn jede vage Möglichkeit irgendwie an Devisen zu gelangen muss in dieser neuen Situation unbedingt ausgenutzt werden.
Jetzt beginnt in Kuba ein Guerillakrieg der ganz neuen Art, den die Protagonisten des ´neuen Menschen` nicht voraussehen konnten. Es ist mehr eine ´Spaßguerilla`, aber mit ernstem Hintergrund, enormer Kreativität und großem Nachahmpotenzial. Sie kreiert neuartige Aktionen von Widerstand und Ungehorsam, denen die staatlichen Organe hilflos gegenüberstehen, weil sie nie gelernt haben, nach eigenem Ermessen und flexibel zu reagieren.
Wenn jetzt ein Besucher der Insel in einen Amischlitten steigt, dann wird er von dem Fahrer nach seinem Namen gefragt und mit Handschlag begrüßt. Darauf rappelt der Kubaner seine eigenen Daten herunter und sagt: ´Also bitte nicht vergessen ich bin José, arbeite als Mechaniker und wohne in Playa. Wenn eine Kontrolle kommt, dann sind wir Freunde und kennen uns bereits seit einem Jahr. Okay?`
Oder wenn wieder einmal die korrumpierten Türsteher von den angesagtesten Läden mit Livemusik ausgetauscht werden und von den durchtrainierten und linientreuen Schwarzen der nationalen Boxstaffel ersetzt werden, die weisungsgemäß keine unbegleiteten heißen sexy-Girls zur Tür hineinlassen, selbst wenn die mit dem Eintrittsgeld wedeln, dann kann es passieren, dass diese Chicas nach Hause flitzen und sich in die verstaubten Klamotten ihrer Uromas zwängen, um sich Eintritt zu verschaffen. Einmal im Salon reißen sich diese Muchachas natürlich sofort ihre Verkleidung herunter und legen erst einmal eine Show in Strips und Straps auf der Tanzfläche hin, auf dass der ganze Saal tobt und den Truppen der ´Sicherheit` keine Chance mehr zum Eingreifen lässt.
An vorderster Front dieses endlosen Scharmützels täglicher Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und dem Volk von Kuba stehen die attraktivsten Frauen des Landes. Kuba könnte zur Not hart gegen den Gebrauch der Oldtimer als Privattaxis vorgehen oder auch Privatvermietungen unterbinden. Doch jedes Mal, wenn das Regime in den nächsten Jahren die Präsenz und freie Mobilität der attraktiven Muchachas einschränkt, sind in der Folge die Einnahmen aus dem Tourismus in den Keller gepurzelt. Wie ein roter Faden durchzieht ein wackeliger Eiertanz zwischen neuen staatlichen Repressionen und den Lockerungen eben dieser repressiven Maßnahmen die ´Periodo Especial` und selbst die persönlichen Interventionen des ´Maximo Lider` haben jetzt keinen dauerhaften Bestand mehr.
Vor diesem Hintergrund wollen die in den folgenden Berichten aufgezeichneten Erlebnisse und Episoden bewertet werden.
* * *
Eigentlich hatte ich eine Reise nach Kuba überhaupt nicht auf dem Schirm.
In diesem Winter wollte ich nach Angola. ´ El Rubio` lebte jetzt bereits seit über 12 Monaten in diesem riesigen afrikanischen Land und hatte mir eine Einladung geschickt: ´Du kannst jetzt runter kommen, wenn du willst, ich habe hier alles soweit im Griff.`
Und wenn der Blonde schrieb, er hätte alles im Griff, dann konnte man darauf vertrauen, dass er auch in einem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land eine Nische gefunden hatte, wo die Gefahr kontrolliert und die Versorgung gesichert war. Und wo es attraktive junge Frauen gab, die schon mal mit Männern aus Europa ihr Nachtlager teilen.
Die Rede ist hier von dem Angola des Jahres 1991, als sich nach der Schlacht von Cuito Cuanavale drei Jahre zuvor so etwas wie eine Patt-Situation im angolanischen Bürgerkrieg abzeichnete. Die intervenierenden Mächte der Russen, Kubaner, Südafrikaner und der US-Amerikaner hatten sich aus dem Lande zurückzogen, und es wurde zum ersten Mal seit dem Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft mit einer internen und friedlichen Lösung des Konflikts versucht.
Die spanische Regierung hatte sogleich ihre Chance erkannt, in diesem mit Rohstoffen überreich gesegneten Land eine wichtige Rolle in der Nachkriegs-Aufbauphase zu spielen. Wenn die Russen sich zurückzogen, weil sie gerade zu Hause alle Hände voll zu tun hatten, um ihr zerbröckelndes Imperium noch halbwegs zusammenzuhalten; die Amis und die Südafrikaner Distanz nahmen, weil sie im Bürgerkrieg auf das falsche Pferd gesetzt hatten und somit diskreditiert waren, entstand in Angola unweigerlich ein Machtvakuum, das doch prima von Spanien ausgefüllt werden könnte! Oder etwa nicht?
Die Portugiesen waren eindeutig zu schwach, um in ihrer ehemaligen Kolonie noch einmal wirtschaftlich Fuß fassen zu können, und die Kubaner bekamen Druck von allen Seiten, sich nun endlich vollständig aus Afrika zurückzuziehen. Außerdem wollte Fidel sein Expeditionskorps zurück auf die Insel und unter Kontrolle bekommen, denn ihm war zu Ohren gekommen, dass der führende General in Drogengeschäfte verstrickt sei, und sich zudem unter den kubanischen Soldaten rapide das HIV Virus ausbreite.
Nach der Rückkehr des Korps wurde General Ochoa hingerichtet und für die Aidsis in San Antonio de los Baños, 100 Kilometer südlich von La Habana, ein Quarantäne-KZ errichtet. In einem Staat mit einer Castro Doppelspitze fallen derartige Entscheidungen ohne großen Aufschub nach kurzen, knüppelharten Prozessen und ohne allzu viele hemmende bürokratische Hürden.
Jedenfalls war damit eine Rückkehr der Kubaner auf die politisch/ökonomische Bühne von Angola definitiv ausgeschlossen.
Allerdings hatte Kuba auch massiv und uneigennützig auf dem Ausbildungssektor in Universitäten und Schulen investiert und somit eine neue Elite im Lande geformt, deren intellektuelle Verständigungssprache spanisch ist. Hier wollte die spanische Regierung ansetzen und dem Land weitere kulturelle und fachliche Ausbildung in dieser Sprache anbieten, um so einen Fuß in den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes zu bekommen. Die damalige Regierung brauchte also einen wendigen Tausendsassa in Angola, der zwischen Kultur und Wirtschaft, zwischen korrupten Regierungsbeamten, stolzen Kubanern und schießwütigen Guerilleros lavieren und zwischen Küste und Inland hin und herpendeln konnte, ohne dabei vom Leben zum Tode befördert zu werden. Einen Experten für Öl, Diamanten und Seltene Erden, der sich auf diplomatischem Boden ebenso sicher bewegen konnte wie bei einer Fahrt durch die Minenfelder der Hochebene und den Malariagebieten des tropischen Dschungels.
Tja, und der beste Mann für solch einen Posten war ohne Zweifel mein alter Kumpel ´El Rubio`.
1991 hatte er sich jedenfalls schon bestens dort eingerichtet und mir die besagte Einladung geschickt, als plötzlich alles anders wurde …
Jungs, ich will euch nicht mit endlosen Hintergrundgeschichten langweilen, ihr wollt etwas über exotischen Sex lesen, ich weiß. Aber Geduld, kommt noch. Ein wenig muss ich schon diesen Hintergrund durchleuchten, damit auch verständlich wird, wieso ich so plötzlich und völlig unvorbereitet mitten in das unglaubliche Heer von hemmungsarmen Cubagirls der 90er Jahre geraten bin. Außerdem kann es ja wohl niemandem schaden, ein wenig kultivierter herumzulümmeln, weil er eine gewisse Ahnung davon hat, weshalb zu ihm gewisse Frauen ohne den üblichen Eiertanz und ohne zu zögern ins Bett schlüpfen. Oder etwa nicht?
Also weiter:
In Angola kam genau zu dieser Zeit der Bürgerkrieg wieder ins Rollen, weil ein gewisser Jonas Savimbi mit seiner UNITA die Wahlen verloren hatte und nur den Posten des Vizepräsidenten angeboten bekam. Das reichte ihm eindeutig nicht und er zog sich in sein Stammgebiet im Osten zurück, machte Huambo zur neuen Hauptstadt der von ihm besetzten Zone und zog wieder in den Krieg gegen die von der Regierung kontrollierten Küstengebiete. Damit war allerdings auch der schöne Entwicklungsplan von Felipe González Makulatur, und El Rubio wurde abberufen.
Noch bevor der Blonde in Luanda einen Platz im Flieger ergattern konnte (was nicht so ganz einfach war, denn das erneute Aufleben der Kämpfe löste eine panikartige Fluchtwelle im Lande aus), also praktisch direkt vor seinem Abflug schickte er mir zum Glück ein Telegramm, in dem er seine bevorstehende Rückkehr ankündigte.
Ich saß folglich unmittelbar vor meinem Flug mit seinem Telegramm in der Hand auf einem Koffer voller Tropenkleidung und einem Flugticket nach Luanda in der Tasche. Was tun?
Zunächst bin ich in das alternative Reisebüro in Barcelona gestürmt, in dem sie mir das komplizierte Ticket nach Angola besorgt hatten, und versuchte den Kauf rückgängig zu machen. (Damals war noch nichts mit Onlinebuchung. Man brauchte ein Reisebüro, um einen Flug zu buchen. Und für spezielle Flüge brauchte man auch ganz spezielle Reisebüros).
Also Geld zurück ging nicht. Schon verständlich, es waren ja auch ganz persönliche Gründe, weshalb ich meinen Flug nun nicht mehr antreten wollte. Sie konnten mir im Rücktausch gewisse Prozente an Erlass für einen alternativen Flug einräumen, oder – und das war ihr bestes Angebot – eine Ferienreise mit minimaler Zuzahlung nach Kuba.
Eine halbe Stunde später hatte ich ein Ticket für eine 14-tägige Kubareise in der Tasche. So etwas wie eine halbe Abenteuerreise, 3 Tage in einem Hotel in Habana del Este und danach – mal sehen. Na prima, bis zu diesem Tag hatte ich gar nicht gewusst, dass es überhaupt Individualreisen nach Kuba gab …
Ehrlich gesagt war Kuba bis dahin ein weißer Fleck auf meiner inneren Landkarte. Natürlich kannte ich die Eckdaten – kennt ja jeder. Karibikinsel, Zuckerrohr, Rum und Zigarren, Revolution, Fidel Castro, Che Guevara und eine saftige Krise, die einst beinahe den nächsten Weltkrieg ausgelöst hätte.
Aber meine Güte, das alles war schon ewig lange her und gewissermaßen vor meiner Zeit. Danach war Kuba irgendwie in dem Einheitsbrei sozialistischer Gleichmacherei untergegangen, aus dem höchstens noch so ab und an mal ein gedopter Sportler, eine Flugzeugentführung von Miami nach Havanna oder ein besonders waghalsiger Kubaflüchtling, der sich im Paddelboot oder auf einem Floß nach Florida aufmachte, in den Schlagzeilen auftauchte.
Jedenfalls in der Wahrnehmung eines Wessis. Aber mit der Flugkarte in der Tasche fragte ich mich natürlich, ob dieser Eindruck nicht eventuell daher rührt, dass jahrzehntelang kaum noch ein unabhängiger westlicher Besucher die Insel beschrieben hat. Dieser Eindruck drängte sich mir jedenfalls auf, als ich schnell noch die Stände auf den Ramblas in Barcelona nach einem Buch über Kuba durchstöberte. Die einzige Ausbeute dieser Suche war ein schmales Büchlein über die Insel, das ganz offensichtlich lange vor der Revolution geschrieben worden ist.
´Streng katholisch`, ´Leute mit höflichen Sitten`, ´gepflegtes und elegantes Äußeres`, ´lange Siesta am Nachmittag`, und so weiter …
Klang nicht so richtig glaubhaft für ein Land, dessen Staatschef sich stets nur in Uniform und Rauschebart präsentierte und der angeblich noch persönlich auf den Zuckerrohrfeldern die Machete schwang. Die Mittagspause wird doch in so einem Land als Erstes abgeschafft. Die höflichen Sitten auch und die Religion sowieso. Aber eventuell hat ja doch eine gewisse Eleganz überlebt, zumindest in der Hauptstadt.
Immerhin war der einzige Kubaner, den ich in den letzten Jahren kennengelernt hatte, ein recht smarter und eleganter junger Mann gewesen. Das habe ich ganz zu erzählen vergessen.
Also: ungefähr zwei Jahre zuvor saß ich bei einem Flug von Barcelona nach Berlin neben einem sympathischen jungen Burschen, der gerade frisch aus Kuba kam. Der durfte damals ausreisen, weil er eine Austauschstudentin geschwängert hatte, die aus der damaligen Deutschen Demokratischen Republik auf die Insel geschickt worden ist. Die muss wohl eine der letzten Austauschstudenten gewesen sein, denn die DDR lag in jenen Jahren ja bereits in den allerletzten Zügen. Auf jeden Fall durfte der smarte Kubaner die Insel verlassen, um in Deutschland seinen Vaterpflichten nachzukommen. Seine Tussi wohnte nun ausgerechnet in Weißwasser, also in Dunkeldeutschlands hinterstem Winkel. Das weiß ich noch genau, denn mein neuer kubanischer Bekannter löcherte mich den ganzen Flug hindurch, wie es dort wohl aussieht.
Mal ehrlich, wer kann denn so eine Frage beantworten? Eishockey ist das einzige, was mir zu dem Nest eingefallen ist. Die hatten in der Dä-Dä-Rä doch so eine merkwürdige Liga, in der nur zwei Vereine den jährlichen Meister ausspielten. Und einer davon war Weißwasser. Folglich wurde dieses Kaff jedes zweite Jahr Meister der Republik im Eishockey, schon aus Gründen der Ausgewogenheit.
Ich wusste das, weil ich ein eingefleischter Eishockeyfan bin, aber was für eine Ahnung hat ein Kubaner schon vom Eishockey? Oder von einem Plattenbau an der deutsch-polnischen Grenze?
Der hatte doch bestimmt einen Hauch von Großer-Weiter-Welt verspürt, als er die Nachwuchsgenossin flachlegte. Und jetzt wartete auf ihn ein Winkelchen in der Drei-Zimmer-Wohnung der Schwiegereltern und ein Aushilfsjob im VEB Farbglaswerk Weißwasser.
Ich glaube, ich habe den damals beruhigt und ihm erklärt, dass in Germanien sowieso bald alles ganz anders wird und er dann sein Bündel überall in Deutschland oder auch woanders in Europa abstellen kann, ob nun mit Anhang oder ohne. Diese Entwicklung hat sich zu jener Zeit ja schon klar abgezeichnet. Als Dank hatte der mich nach Kuba eingeladen, obwohl er selbst voraussichtlich dort die nächsten Jahre nicht wieder auftauchen werde. Aber er schrieb mir die Adressen von allen seinen Familienangehörigen auf. Alle wohnhaft in La Habana, und zu jeder Adresse bekam ich von ihm noch ein spezielles Empfehlungsschreiben.
Dieser Schatz hatte bei meiner schnellen Entscheidung im Reisebüro den Ausschlag für das Kubaticket gegeben, denn damit hatte ich einen klaren Plan für diese Reise: drei Tage Hotel Habana del Este, und danach die Familie meines Kubaners in der Hauptstadt aufsuchen. Die weitere Planung würde sich dank lokaler Unterstützung bestimmt einfach aufstellen lassen. Jetzt brauchte ich mir nur noch schnell ein paar leicht elegante Sommerklamotten und einen Panama-Hut besorgen, und es konnte losgehen.
*
Eine Woche später stand ich in Madrid auf dem Flughafen Barajas. Seltsamerweise startete der Flieger nachts um zehn. Dies bedeutete, dass er – grob geschätzt – gegen Mitternacht in Havanna landen werde, Erdumdrehung, Zeitverschiebung und voraussichtliche Flugzeit über den Daumen gepeilt.
Na egal, die werden schon wissen, warum!
Der Flieger war eine russische Iljuschin II 62 des Cubanacan (staatliche kubanische Reisegesellschaft). Das ist so eine merkwürdige Maschine, die alle 4 Triebwerke nicht an den Flügeln, sondern hinten am Schwanzende konzentriert hat. Wenn mal jemand von euch mit so einem Gerät fliegen sollte, dann bitte nicht nach hinten setzen. Beim Start überträgt dieser Jet derart laute Resonanzwellen auf die hinteren Sitze, dass einem glatt die Spucke gerinnt. Aber damals gab es bei Flugreisen noch eine Raucherzone, und die war bei der Iljuschin eben ganz hinten im letzten Viertel.
Vielleicht ist es auch besser, überhaupt nicht mit so einem Vogel zu fliegen, denn das Handgepäck wird in Netzen verstaut, wie bei einem alten Reisebus. Das kann unangenehm werden, wenn die Maschine durch Turbulenzen erschüttert wird. Dann müssen die Passagiere rechts und links des Mittelganges volle Deckung nehmen, weil das ganze Gepäck von oben herunter gepurzelt kommt. Sauerstoffmaske von oben, oder Schwimmweste unterm Sitz ist natürlich auch nicht. Aber mein Gott, das habe ich ja auch bisher noch nie gebraucht. Ihr etwa?
Geflogen ist der Apparat ganz ordentlich, und an Bord herrschte so etwas wie eine erwartungsvolle Aufbruchstimmung. Gerüchte, Tipps, Adressen und sogar Fotos wurden unter den jungen Männern im Flieger reihum gereicht. Also von Passagier zu Passagier, denn die ganze Gesellschaft bestand aus jungen Männern. Die einzigen weiblichen Wesen waren die Stewardessen und gehörten zum Cubanacan. Es war wohl für alle der erste Flug nach Kuba, jedenfalls von uns Qualmern im hinteren Viertel. Und so hatte jeder Reisende eine eigene, sehr individuelle Phantasievorstellung davon, was ihn auf dieser Insel erwarten würde.
Unser Flieger landete in Varadero, und der Großteil der Passagiere stieg aus. Ich wusste ehrlich gesagt gar nicht, wo dieses Varadero überhaupt liegt. Auch nicht, dass der Flug nicht direkt nach Havanna ging, hatte mir ja auch niemand verraten. Also Varadero war das erste Stück Kuba, das ich sah. Oder besser, einen Teil der nassen Landebahn des Flughafens von Varadero, den ich aus einem Fenster des Warteraumes erkennen konnte. Hier war ich mit dem verbliebenen Rest der Havanna-Fahrer vor dem Start zum letzten Teil unserer Flugreise festgenagelt, denn wir konnten nicht auschecken und durften somit den Flughafen nicht verlassen.
Na egal, wenigstens hatte dieser Aufenthaltsraum eine Bar. Über Mitternacht hing ich also mit dem Resttrupp von Fluggästen und ein paar Jungs von dem Cubanacan in ihren blauen Uniformen an dem Tresen in einem mickrigen Wartesaal mit dem Charme eines frisch gebohnerten Klassenzimmers und schlürfe die ersten originalen Mojitos meines Lebens. Wie Mann die korrekt trinkt, führte uns der Häuptling der blauen Truppe vor, der bei den Kubanern das Sagen hatte.
Also: beide Hände auf dem Rücken verschränkt, das Glas nur mit den Zähnen aufgenommen und langsam Kopf und Oberkörper aufrichten, bis der Rum in die Kehle rinnt. Nicht ganz einfach, denn da rutscht dann sogleich noch das gestoßene Eis und das Grünzeug hinterher, falls Mann seine Zunge nicht wendig einzusetzen versteht. Die Kubaner beherrschten natürlich diese Technik perfekt, aber selbst ihr Oberguru war nicht vollständig gegen die Wirkung des Alkohols gefeit, nachdem er uns begriffsstutzigen Guiris zum x-ten Male die vollendete Trinktechnik demonstriert hatte. Auf dem Weg zum Flughafenpissoir mussten wir den rechts und links kumpelhaft unterhaken, damit der nicht über seine eigenen Füße stolperte und eine Bauchlandung hinlegte.
Ich erwähne diese kleine Episode deshalb, weil sich unser Kubaner kurz darauf an der Bar eine Serviette, einen Kamm und einen Kaffee bestellte und gleich wieder wie neu aussah. Danach beruhigte er die etwas verunsicherten Vertreter unseres Zivilistenhaufens, die darauf drängten, nun so langsam dem Ausgang zuzustreben, damit wir ja den Flug nach Havanna nicht verpassten: ´Keine Angst, der Vogel fliegt nicht ohne mich. Ich bin der Pilot!`
Damit löste der einen prima Lacher mit Schulterklopfen aus. ´Der Pilot, ach nee! Guckt euch den an, der kann ja noch nicht einmal kontrolliert saufen. Pilot, ha – ha, und wir sind das Triebwerk und gehen jetzt mal nach hinten zum Schieben!`
So eine Iljuschin hat zwei Einstiege, einen ganz vorne, den die Crew benutzt, und den zweiten für die Fluggäste über die hintere Treppe. Weil mir nun doch etwas mulmig geworden war, schlich ich direkt hinter der Crew die vordere Treppe hoch, bekam in der Dunkelheit gar keiner mit. Die Tür zur Pilotenkabine stand noch sperrangelweit geöffnet, als ich in den Jet schlüpfte und – na, ihr habt es schon erraten – da saß tatsächlich der kubanische Kollege auf dem Pilotensitz. Hackedickeknüppelvoll!
Nichts wie raus hier!
Aber auf der anderen Seite waren in dieser Maschine meine ganzen Klamotten, und dann wartete auf mich ein Hotelzimmer in Havanna und nicht an diesem unbekannten Ort. Va-ra-de-ro, das klingt verdammt nach Wildwest und Rindercorral, also gewissermaßen dampfende Kuhfladen unter Palmen. Und dazwischen vielleicht ein paar Ferienhütten. Das war eigentlich nicht so meine Vorstellung von einem gelungenen Beginn einer dauerhaften Kubafreundschaft. Und so kämpfte ich mich noch unentschlossen durch diese lange Zigarre von Flieger bis zur hinteren Raucherzone, denn zumindest das Handgepäck musste ich retten und außerdem meine ahnungslosen Mitreisenden alarmieren, als der Einstieg bereits wieder geschlossen und die Treppe weggerollt wurde. Nun gut, es sollte halt so sein. Mit ein wenig Glück war ja der Copilot nüchtern.
Geflogen ist unser Trinkkumpan astrein, das muss ich ihm lassen. Und dabei rauschten wir die 120 Kilometer bis Havanna praktisch im nächtlichen Tiefflug über ein Land mit nahezu vollständiger Verdunklung, und dann legte der auch noch eine klasse Punktlandung auf der einzig beleuchteten Piste des Flughafens Jose Marti hin. Da war wohl nichts mit Radar bei so einem nächtlichen Anschleichen. Der Tower hatte ja auch schon seine Lichter ausgeknipst. Alle Heiligen beschwören, ein Auge zukneifen, die restliche Konzentration abrufen, letztes Gebet – und runter!
*
Eine halbe Stunde darauf sind wir durch die Kontrollen und stehen auf dem Parkplatz vor der abgedunkelten Eingangshalle des Flughafens. Vier nagelneue Busse warten dort in einer Reihe auf die letzten Urlaubsgäste dieses Tages, um sie zu den verschiedenen Hotels zu bringen. Jeder Bus hat im Frontfenster ein Pappschild mit einer Nummer angebracht, aber keiner weiß, ob er nun in Bus eins, Bus zwei oder Bus drei einsteigen muss. Vielleicht ja auch in den Bus Nummer vier ganz auf der rechten Seite? Die Organisation ist hier zu dieser nächtlichen Stunde wohl gerade auch ausgefallen.
Wir vergleichen unsere Reservierungen und bilden nun selbsttätig vier verschiedene Haufen nach Hotelzuordnung. Als sich nach einer weiteren halben Stunde nichts und niemand gerührt hat, steigt ein Spanier unseres Hotel-Itabo-Haufens in den Bus vier und verklickert dem Fahrer, dass er jetzt die Itabo Tour fährt und uns einsteigen lassen soll.
Hat hingehauen. Das ist ja das Schöne am sozialistischen Paradies. Jeder nach seinen Bedürfnissen!
Allerdings ist der Bus nicht gleich losgefahren, nachdem wir unserer Gepäck verstaut und erwartungsvoll Platz genommen hatten. Der Fahrer bestand bei mir zunächst noch darauf, dass ich mein Handgepäck ebenfalls im unteren Stauraum deponiere. Verstanden habe ich das zwar nicht, denn im unserem Bus war ja noch mehr als ausreichend Platz, und mein Handgepäck habe ich eben auch gerne zur ´Hand`, daher kommt ja die Bezeichnung. Aber ich war inzwischen zum Protestieren zu müde geworden, und so stieg ich hinter dem Fahrer noch einmal aus dem Fahrzeug, um meine Tasche gleichfalls in den Kofferraum zu schieben. Immerhin hatte ich noch soviel Protestenergie, darauf zu bestehen, dass nun aber die Kofferraumklappe in meinem Beisein abgeschlossen wird.
Es sollte jedoch immer noch nicht losgehen. Denn nun stieg eine junge Dame in den Bus und hielt einen ewig langen Vortrag. Die ´Periodo Especial en Tiempos de Paz`, also dass Kuba zur Zeit gerade eine Reihe spezieller Probleme an der Backe hat, die aus dem Verrat der Sowjetunion und natürlich auch aus der Wirtschaftsblockade der Yankees herrühren … und gerade mal wenig Sprit und häufige Stromausfälle und so … aber es ginge schon wieder bergauf … und so weiter und so fort – wie halt verordnete Ansprachen von Funktionären nun einmal so sind.
Warum die allerdings ihre Predigt auf den Start der nächtlichen Busfahrt um 2 Uhr nachts gelegt haben, wenn sowieso niemand mehr zuhört, habe ich damals nicht verstanden. Außerdem hatten die doch tatsächlich die hässlichste Kubanerin aufgeboten, die diese Insel zu bieten hat.
Pickelgesicht, stechender Blick, hölzerner Gang, schlecht sitzende Uniform und fettige, strähnige Haare – also meine lieben Parteifunktionäre, das war ja wohl ein echter Abtörner. Dabei gibt es in Kuba praktisch kaum ein unattraktives Girl unter 25, wie ich bei etlichen späteren Besuchen beobachten konnte. Es gibt Weiße, Farbige und Schwarze, Schlanke, ganz Schlanke, lecker gerundete Vollschlanke und natürlich die vielen brandgefährlichen Muchachas mit Granatenfigur und Engelsgesicht.
Alle haben sie etwas. Sexy Kurven, charmantes Lächeln und Bewegungen mit tänzerischer Eleganz und Sicherheit. Sämtliche jungen Frauen in diesem Land sind irgendwie zum Anknabbern, zum Zugreifen, und erzeugen bei Männern mit spielerischer Leichtigkeit geile Wünsche und verdrehte Fantasien. Sie sind verführerisch, verlockend und erscheinen gewissermaßen unschuldig sündhaft. Eben bloß nicht diese Nachwuchsgenossin im Bus. Aus welcher Mülltonne die gekrochen war, um vor uns ihren Auftritt hinzulegen, wird wohl auf ewig ein kubanisches Geheimnis bleiben.
Der nächtliche Vortrag dauerte beinahe eine dreiviertel Stunde, also eine gefühlte Ewigkeit für unseren, inzwischen reichlich gestressten und übermüdeten Haufen. Der Fahrer stieg währenddessen ein paar Mal wieder aus und verschwand in der Finsternis, denn der Flughafen wurde nach dem letzten Flug geschlossen und die Lichter gelöscht. Energieeinsparungen, schon klar, das hatten wir ja inzwischen verstanden.
Um drei stehen wir endlich vor dem Hotel Itabo in Habana del Este. Ich springe aus dem Bus und baue mich vor der Klappe des Stauraumes auf, um gleich meine Taschen zu schnappen. Dann an die Hotelbar, last Drink, duschen und ab ins Bett. Aber denkste – meine Taschen sind weg. Beide!
Dabei standen die direkt hinter der Kofferraumtür übereinander.
Ich warte, bis alles geräumt ist, greife mir den Fahrer und stelle den zur Rede. Der meint doch in aller Seelenruhe, meine Taschen werden sich sicherlich schnell wieder auffinden, denn hier in Kuba werde nicht geklaut. Ansonsten wäre ja wohl auch noch anderes Gepäck abhanden gekommen. Wahrscheinlich seien meine Sachen in einem anderen Bus gelandet …
Ich fange langsam an auszuflippen. Vor einer Stunde hat genau dieser Typ doch noch darauf bestanden, dass ich mein Handgepäck ebenfalls hier unten rein bunkern soll, und hat dann in meinem Beisein die Klappe verriegelt. Ich werde laut und fange an zu schimpfen. Daraufhin kramt der eine alte russische Taschenlampe aus der Ablage und klettert damit in den Stauraum. Das Ding hat so einen Bügel, der einen Dynamo auf Touren bringt und damit einen auf- und abschwellenden Lichtstrahl erzeugt. Sieht aus wie eine Mehrzweck – Handgranate der Marke ´Dyadya Stalin`. Also der Fahrer krabbelt da eine Weile in dem leeren Bauch seines Fahrzeugs herum, hält – huuii,huuii,huuiiii – den Dynamo in Schwung und verkündet mir dann, dass er keine Taschen entdecken kann. Folglich müssen die also noch auf dem Flughafen stehen. »Lógico – no?«
»Na gut«, sage ich, »dann fahren wir jetzt nochmal zum Flughafen«.
*
Aber der Chauffeur traut sich nicht, eine derartig gravierende Entscheidung alleine zu treffen und saust in das Hotel, um sich mit der Frankenstein-Tochter zu beraten. Ich hinterher, damit ich die Situation halbwegs im Auge behalten kann. Da sitzen nun in der Eingangsbar meine Reisekollegen mit glänzenden Augen, geduscht und mit frischen Klamotten bei ihren nächtlichen Begrüßungsdrinks – und schon in bester Begleitung. Die ganze Bar ist gefüllt mit appetitlichen Muchachas, die wenig nach Mona Lisa und dezenter Zurückhaltung aussehen. Und da muss ausgerechnet ich in voller Hektik und in durchschwitzten Winterklamotten durch diese malerische Oase der Sinnlichkeit einer hässlichen Ente hinterherhecheln. Dabei hatte ich noch nicht einmal im Hotel eingecheckt und mir einen Schlafplatz gesichert. Aber ich muss das jetzt durchziehen, sonst stehe ich morgen ohne meine Klamotten da!
Wie ich die beiden letzten Endes dazu überreden konnte, mit dem ganzen Bus noch einmal zum Flughafen zu fahren, weiß ich nicht mehr so genau. Immerhin – inmitten einer elementaren Versorgungskrise so ein ganzes Schiff in Bewegung zu setzen, um Sprit für 60 sinnlose Kilometer zu verjuckeln!
Irgendeiner musste dann doch bestimmt wieder klammheimlich Diesel organisieren und außerdem noch den Tachometer zurückdrehen …
Aber vermutlich waren weder meine Überredungskünste noch mein Auftritt entscheidend für die nächtliche Schleichfahrt auf den auto- und menschenleeren Straßen zu dieser kubanischen Geisterstunde. In späteren Jahren, als ich mehr über die knüppelharte Strafjustiz und die noch um einiges härtere Vollzugsrealität dieser Insel wusste, habe ich oft gedacht, dass meine beiden Trickbetrüger einfach unglaublichen Schiss bekommen hatten und der ganzen Geschichte den Wind aus den Segeln nehmen wollten.
Andererseits – warum die dann so einen Stunt abziehen, ist auch wieder unklar!
Ist doch logisch, dass sich ein jeder Tourist in solch einer Situation aufgeregt und nach den Bullen geschrien hätte. Und gemäß kubanischer Rechtsauffassung liegt ja gleich ein schweres Bandenvergehen vor, wenn sich drei ´Delinquentes`, also in diesem Fall der Busfahrer und die Bustante mit noch einem Kumpel verabreden, um einen Touri abzuziehen. Denn ein Dritter war garantiert auch noch dabei. Irgendjemand musste ja schließlich die Taschen abtransportieren. Vielleicht haben sie die auch erst mal in einen anderen Bus umgeladen – was weiß ich? Aber das wären bestimmt für jeden zehn Jahre geworden, wenn die Sache aufflog. Die muss Mann (oder Frau) im kubanischen Knast erst einmal überleben!
Und warum nun ausgerechnet meine beiden Taschen verschwunden waren und sonst gar nichts, habe ich auch nie ergründen können. Vielleicht lag das ja an diesem albernen Panama-Hut ´Colonial`, den ich völlig unpassend zu meinen Winterklamotten trug. Aber schließlich konnte ich das teure Gerät ja nicht in meine Reisetasche stopfen – da wäre doch die schöne traditionelle ´Colonialform` gleich hinüber gewesen! So aber sah ich mit Hut und dem zerknitterten 50er Jahre – Regenmantel vom Berliner Flohmarkt über Rollkragenpullover und Jeans wohl reichlich albern aus. Vielleicht stellen sich die Inselgenossen ja auch so einen Yankee-Spion vor, wer weiß? Oder einen von der Mafia verdingten Attentäter. Wenn man so die kubanischen Fernsehproduktionen dieses Genres anschaut, könnte das durchaus gut zutreffen.
Jedenfalls hat der Bus vor dem Flughafen nur eine müde Runde gedreht und ist gleich wieder zurückgefahren. Also nicht einmal anhalten und irgend etwas nachfragen oder nachschauen. Der Fahrer meinte, da wäre niemand mehr im Flughafen, alles geschlossen und so. Außerdem hätte er über Funk die Anweisung erhalten, sofort wieder zum Hotel zu kommen.
Gegen 4 Uhr war ich dann endgültig im Hotel zum Einchecken. Ich musste unbedingt erst einmal ein Weilchen schlafen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Außerdem konnte ich zu dieser Stunde sowieso nichts mehr unternehmen. Der Fahrer blieb gleich draußen, und von der Rezeption konnte ich aus den Augenwinkeln erkennen, wie der Bus sich gerade wegschlich. Unsere grandiose Reisebegleiterin hatte sich schon vorher verdünnisiert. Aber dafür bekam ich ein Doppelzimmer, also ein zwei-Bett-Zimmer für mich alleine. Und das Versprechen, dass die mich um 8 Uhr zum Frühstücksbuffet wecken. In 4 Stunden also.
*
Nicht so toll, wenn man sich frühmorgens nach einer ewig langen Flugreise nicht einmal die Zähne putzen und die Haare waschen kann. Aber wenigstens konnte ich mich mit der hoteleigenen Kernseife gründlich abduschen. Dann musste ich allerdings wieder in meine verschwitzten Winterklamotten schlüpfen. Ich hatte die Wahl zwischen Unterhemd und Rollkragenpullover. Ich entschied mich für das Hemd, denn inzwischen hatten sich die letzten Regenwolken des Hurrikans verzogen, der sich kurz vor unserer Ankunft über dieser Insel entladen hatte. Dieser erste Urlaubstag versprach, gut heiß zu werden.
Tatsächlich bin ich einer der Ersten im Speisesaal. Und wie ich mir so salopp bekleidet am Buffet eine schöne Portion Rührei mit Früchten auf den Teller lade und mehrere Gläser mit frisch gerührtem Trinkjoghurt auf mein Tablett packe, um für den Tag gerüstet zu sein, kommt ein uniformierter Hotelangestellter und folgt mir verstohlen bis zu meinem Platz an der Frühstückstafel. Hier beugt er sich zu mir und flüstert mir diskret ins Ohr, dass mein Outfit an der Frühstückstafel dieses Hotels wohl nicht ganz passend sei. Ich möge mir doch bitte ein richtiges Hemd überziehen. Der kam mir nun gerade recht!
Ich schicke den zum Teufel, und er trollt sich tatsächlich, kommt jedoch im Nu mit Verstärkung wieder. Sein Begleiter stellt sich als ein Angehöriger der ´Sicherheit` vor, was dies auch immer in Kuba bedeuten mag. Jedenfalls werde ich nun hochoffiziell aufgefordert, meine Schultern zu bedecken oder aus diesem Saal zu verschwinden. Nun hat mich doch glatt das Trauma der letzten Nacht schon beim Frühstück wieder eingeholt, und mir platzen die Nerven. Ich brülle die beiden an, dass die sich ihr Kuba und seine Regeln sonst wo hinstecken können. Letzte Nacht sei ich gleich nach der Ankunft komplett geplündert worden, und jetzt kommen die mir mit Anstandsregeln, weil ich die Klamotten trage, die mir noch übrig geblieben sind …
Ich habe denen noch Einiges mehr hinterher gebrüllt, als sie sich dann verkrümelt haben. Schon deshalb, weil sich der Saal inzwischen gut mit Gästen gefüllt hatte, und die Geschichte anfing, sich zu einem feinen kleinen Skandal auszuweiten. Inzwischen nutzte ich meine momentane Popularität unter den Urlaubern, um mir von einem Guiri Rasierzeug und Haarshampoo auszuleihen.
Nachdem ich mich schnell ein wenig aufgepeppt hatte, bin ich wieder in den Speisesaal zurück. Irgendwie hatte ich erwartet, hier nun ein hohes Tier der ´Sicherheit` vorzufinden. Aber es tat sich nichts. Letzten Endes hatte ich dann in diesem ganzen Urlaub nie wieder Probleme mit Sicherheit oder sonstigen Autoritäten, egal was ich später gemacht oder wie ich mich verhalten habe. Heute vermute ich, dass die damals ihr Problem mit einem Touristen aus Deutschland, der beklaut worden ist und dummerweise auch noch fließend spanisch spricht, bis in die höchste Instanz hoch – telefoniert haben, um sich Anweisungen zu holen. ´Wie geht man bloß mit einem aufmüpfigen Gringo um, dem etwas passiert ist, was eigentlich gar nicht sein darf, Compañero? Ein Choleriker, der richtig Wirbel macht, wenn man den zu beruhigen versucht. Wo doch Kuba in dieser schicksalhaften Situation von den ´Vacancionistas` abhängig ist, wie der Chef uns so oft erklärt hat.` Irgendwie in der Art.
Und später in diesem Urlaub wurde mir dann so langsam klar, dass ich in gewissem Sinne während dieser zwei Wochen der freieste Mensch auf Kuba war. Einer, der die größten Verrücktheiten veranstalten konnte, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Vielleicht außer Fidel selbst und noch seinem Brüderchen. Aber die beiden Lider waren letztlich den eingefahrenen Normen eines Auftretens in der kubanischen Öffentlichkeit, ihrer selbstgestrickten Moral und ihren eigenen Mythen verpflichtet. Ich war niemandem und zu nichts verpflichtet. Ich hatte Narrenfreiheit.
Doch zunächst war ich noch weit entfernt von einem Hochgefühl schrankenloser Freiheit, sondern eher davon gestresst, meine missliche Situation irgendwie zu regeln. An der Rezeption des Hotels konnte ich keine vernünftige Auskunft bekommen, an wen ich mich in dieser verfahrenen Situation denn nun wenden könnte.
´Das wissen wir nicht, Señor.`
´Das ist doch noch nie vorgekommen, Señor.`
´Aber nein, Señor. Wir sind nur für Vorkommnisse innerhalb des Hotel zuständig, Señor.`
Doch ich habe Glück, denn gerade als mich diese fruchtlosen Bemühungen in die nächste Krise treiben und ich bereits wieder laut werde, rauscht unser Bus-Fantasma durch die Eingangshalle.
Also vielleicht ist ´Glück` nicht so ganz der treffende Ausdruck, aber jetzt hatte ich wenigstens jemanden, den ich festnageln konnte. Ich stelle mich ihr in den Weg und bearbeite dann Señorita Frankenstein solange, bis die sich bereit erklärt, mit mir in ein Taxi zu steigen und die nächste Polizeistation aufzusuchen. Natürlich zickt die Dame erst einmal gewaltig herum, aber letzten Endes kann sie mir einen abermaligen Hilfsdienst schlecht verweigern, denn diese kubanische Parteinudel war ja schließlich auch unsere offizielle Reisebegleiterin. Hatte sie ja bei ihrem nächtlichen Vortrag oft genug erwähnt.
Wir lassen uns also von dem einzigen Taxi vor dem Hotel zu einer Station der ´Policia` in Habana del Este chauffieren. Dort hört sich ein Uniformierter mit unbewegter Miene die Geschichte meines Missgeschickes an, ohne allerdings irgendwelche Aufzeichnungen zu machen.
Das wäre eine Angelegenheit der Flughafenpolizei, meint er am Ende, ich müsse mich an diese Einheit wenden.
Jetzt aber streikt meine Begleiterin, sie müsse zurück ins Hotel. Dringende Verpflichtungen gegenüber der restlichen Reisegruppe, ihr Protokoll auf dem Laufenden halten und solche Sachen.
Egal, ich habe ja nun ein klares Ziel, und brauche die auch gar nicht mehr. Ich eile zum Taxi voraus und gebe dem Fahrer den Flughafen in Havanna als neues Ziel an. Soll das schöne Kind doch sehen, wie es zum Hotel zurückkommt. Vielleicht hatte sie ja inzwischen auch den Job geschmissen und sich direkt zu ihrer Mülltonne auf den Weg gemacht. Ich jedenfalls habe diese Sumpfblüte nie wieder zu Gesicht bekommen.
Unterwegs fällt mir ein, dass es von Vorteil wäre, wenn ich mir ein paar Klamotten besorgen könnte. Ich lief immer noch mit Winterschuhen, Jeans und Unterhemd herum und trug meinen Schlabbermantel über den Schultern. In diesem Mantel steckten meine Papiere, der Ausweis, Kreditkarte und Flugschein sowie eine dicke Rolle von kleinen Dollarnoten, die ich mir auf Anraten des Reisebüros noch in Spanien besorgt hatte. Diese Sachen konnte ich in meiner momentanen Verfassung unmöglich im Hotel lassen. Nicht einmal im Hotelsafe, falls so etwas überhaupt mit zum Service gehörte, denn mit meinem Glauben in die Ehrlichkeit der Inselbewohner stand es in diesem Moment nicht gerade zum Besten. Im meinem Hotelzimmer befand sich nur noch der Panama-Hut und ein verschwitzter Rollkragenpullover. Diese Sachen konnte ich verschmerzen, und irgend etwas muss ein möglicher Einbrecher ja mitnehmen können. Sonst pinkelt der mir wohl möglich aus lauter Frustration aufs Bett oder scheißt in den Schrank!
Ich frage den Fahrer, ob er weiß, wo ich mir schnell ein paar Klamotten besorgen kann. ´Ja`, meint der, ´im Hotel Habana Libre gibt es eine Boutique, wo ein Vacancionista (offizielle kubanische Bezeichnung für ausländische Urlauber) für Dollars Kleidung und Badeutensilien kaufen kann.` Also erst einmal ins Habana Libre.
Das ehemalige Hilton Hotel in der Calle M ist sicher nicht das schönste, aber ohne Zweifel das größte Hotel von Havanna. Es ist außerdem in dem höchsten Gebäude dieser Stadt untergebracht und von daher ohne Schwierigkeit zu finden. Im seinem Erdgeschoss befinden sich außer einer bombastischen Rezeption mit einer Telefonzentrale für internationale Gespräche verschiedene Bars und Restaurants im klassisch-kubanischen Stil und eben auch ein abgeteilter Laden, wo die Urlauber Kleidung und Strandutensilien für amerikanische Dollar erwerben können.
In einem weiten Bereich der Eingangszone sind komfortable Sitzgruppen zwischen frischen Blumen, grüner Dekoration und in Naturstein gefassten Wasserflächen aufgestellt, in denen die geschätzten Gäste manchmal von Liveauftritten lokaler Künstler unterhalten werden.
Dieser Ort hat sich gewissermaßen noch eine Resteleganz aus den alten Zeiten bewahrt. Mit Einschränkungen natürlich, denn der ganze Bau riecht penetrant und durchdringend nach demselben Reinigungsmittel, das mir bereits auf den Flughäfen von Havanna und Varadero die Nase verschleimt hatte. Aber die Riechorgane von Guerillaführern der Bewegung des 26. Juli, die in der ersten nachrevolutionären Zeit das Hilton zum provisorischen Regierungssitz umfunktioniert hatten, waren nach Jahren im Gebirge der Sierra Maestra wohl einigermaßen unempfindlich geworden.
Kein Wunder bei der ewigen Zigarrenqualmerei.
In der – gut, ich will es einmal Boutique nennen – finde ich allerdings wenig brauchbare Ersatzkleidung. Hosen gab es nur aus kubanischer Produktion, glaube ich, die hatten einen Unterstoff aus Taft. Dieser Unterstoff ist sparsam nur bis über das Knie und so merkwürdig eng geschnitten, dass ein Träger dieser Hosen sich beim Ankleiden rechtzeitig entscheiden muss, ob er seine Intimitäten für den Rest des Tages auf der linken oder auf der rechten Seite zu tragen gedenkt. Ein Splitting oder ein späterer Wechsel ist kaum möglich, jedenfalls solange Mann nicht die ganze Hose erst einmal wieder bis in die Kniekehlen rutschen lässt – muss also nicht unbedingt sein.
Männerschuhe gab es nur aus Leinen, ebenso wie Allwetterjacken, die jedoch keinen so schlechten Eindruck machten, und vor allem eine Menge Taschen hatten. Ich habe gleich eine erworben, denn nun musste ich nicht mehr mit meinem Vintage-Mantel rumlaufen. Aber vor allem hatte ich zwei Hemden erstanden. Schön auffällige Dinger, irgendwo so zwischen Samoa- und Hawaii-Style angesiedelt.
Vermutlich stammten die jedoch eher aus Hongkong oder von den Fidschi-Inseln, denn Hawaiihemden fallen doch bestimmt unter das US Embargo. Aber egal, jetzt war ich zumindest für einen seriösen Auftritt bei der Flughafenbullerei gerüstet.
Eine halbe Stunde später stehe ich vor dem Aeropuerto Internacional José Marti. Das Taxi hatte ich entlassen, denn ich hatte mit einem längeren Aufenthalt gerechnet und wollte nicht noch einmal Standzeit dazugerechnet bekommen. Die Dollartaxis in Kuba langen ganz schön hin. Aus diesem Grunde sucht sich der informierte Tourist viel lieber ein (illegales) Privattaxi. Die lauern an jeder Ecke der Stadt, man muss nur die geparkten Amischlitten im Auge haben. Aber an meinem ersten Tag in Kuba hatte ich natürlich noch null Ahnung, und mir fehlte jegliches Insiderwissen. Außerdem hatte ich in dem Flughafengebäude bereits den Laden einer Autovermietung entdeckt. Soviel an Luxus wollte ich mir in meiner Situation schon zugestehen.
Bei den Bullen ging es wieder einmal ganz fix. Die hörten mir zwar zu und machten sich sogar ein paar Notizen, aber irgendwann kam auch von denen wieder das saublöde Statement, dass in Kuba nicht geklaut wird. Und ich bekam wieder kein Protokoll. Diesmal mit der ganz windigen Begründung, dass es zu spät sei. Die Meldung hätte innerhalb der ersten 12 Stunden nach dem ´vermeintlichen Diebstahl` erfolgen müssen. Das muss denen der Maximo Lider so eingebläut haben:
´Wenn die Vacancionistas in unser Land kommen, müssen wir bei denen unbedingt den Eindruck hinterlassen, dass in Kuba kein Tourist bestohlen wird. Ansonsten erreichen wir nicht unsere Planziele bei den dringend benötigten Deviseneinnahmen aus diesem Sektor. Außerdem darf dem Klassenfeind hier kein moralischer Angriffspunkt gegen unser sozialistisches System gegeben werden. Wie dieser Eindruck erreicht wird, Compañeros, überlasse ich den Exekutivorganen, die in direkten Kontakt mit den Vacancionistas stehen werden. Also euch, den hier vertretenen Repräsentanten unserer Nation. In dieser entscheidenden historischen Phase seid ihr die Stimme Kubas!` So in etwa.
*
Noch auf dem Flughafen ziehe ich eine erste Bilanz. Meine Klamotten kann ich vergessen, soviel steht mal fest. Pass, Flugticket, Bargeld und Kreditkarte habe ich gewohnheitsgemäß auf Reisen immer am Körper, also da ist kein Verlust. Aber dummerweise lag mein Adressbuch im Handgepäck. Damit sind meine Anlaufstellen in Havanna und all die schönen Referenzschreiben meines Weißwasser-Kubaners auch futsch. Was soll ich dann eigentlich noch auf dieser Insel?
Ich sollte jetzt umgehend eine Filiale meines Reisebüros aufsuchen, um einen früheren Rückflug zu organisieren und vielleicht von denen ein Protokoll für die Versicherung zu erhalten. Diese Filiale sitzt auch im Habana Libre und wird von Spaniern betrieben. Soviel zumindest hatten mir die Flughafenbullen gesteckt.