Kulturgeschichte der Technik - Martina Heßler - E-Book

Kulturgeschichte der Technik E-Book

Martina Heßler

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Beschreibung

Menschen waren schon immer auf die Nutzung von Technik angewiesen, aber seit dem 19. Jahrhundert leben wir in einer "verdichteten" technischen Kultur. Was dies für eine moderne Technikgeschichte bedeutet, erläutert Martina Heßler anhand der Bereiche Produktion, Haushalt, Mobilität und Kommunikation, Menschenbild sowie Unfälle und deren Folgen. Dabei schildert sie, wie sich Praktiken und Wahrnehmungen - vor allem in Bezug auf Raum und Zeit - und das menschliche Selbstverständnis im Kontext von Technologien wandelten. Sie liefert damit eine umfassende Einführung in Zugänge und Gegenstand der Technikgeschichte. Darüber hinaus begründet sie damit eine Kulturgeschichte der Technik, die auch zukünftige Entwicklungen in den Blick nimmt.

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Martina Heßler

Kulturgeschichte der Technik

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Menschen waren schon immer auf die Nutzung von Technik angewiesen, aber seit dem 19. Jahrhundert leben wir in einer "verdichteten" technischen Kultur. Was dies für eine moderne Technikgeschichte bedeutet, erläutert Martina Heßler anhand der Bereiche Produktion, Haushalt, Mobilität und Kommunikation, Menschenbild sowie Unfälle und deren Folgen. Dabei schildert sie, wie sich Praktiken und Wahrnehmungen - vor allem in Bezug auf Raum und Zeit - und das menschliche Selbstverständnis im Kontext von Technologien wandelten. Sie liefert damit eine umfassende Einführung in Zugänge und Gegenstand der Technikgeschichte. Darüber hinaus begründet sie eine Kulturgeschichte der Technik, die auch zukünftige Entwicklungen in den Blick nimmt.

Historische Einführungen

Herausgegeben von Frank Bösch, Angelika Epple, Andreas Gestrich, Inge Marszolek, Barbara Potthast, Susanne Rau, Hedwig Röckelein, Gerd Schwerhoff und Beate Wagner-Hasel

Band 13

Über die Autorin

Martina Heßler ist Professorin für Neuere Sozial-, Wirtschafts- und Technikgeschichte an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Inhalt

1.Leben in einer technischen Kultur

2.Narrative und Interpretationen: Geschichten der Technik

3.Geschichte der industriellen Produktion: Rationalisierung und ihre Grenzen

4.»Im Kaffeelöffel spiegelt sich die Sonne«: Die Technisierung des Haushalts

5.»All the world is on the move«? Mobilität(en) in der Moderne

6.»Saying more over more channels«: Geschichte der technisch vermittelten Kommunikation

7.Maschinen und Menschenbilder im historischen Wandel

8.Technische Unfälle: Die Verletzbarkeit technischer Kulturen

Auswahlbibliographie

Register

Kapitel »Methoden und Ansätze der Technikgeschichte« unter »Ergänzungen zum Buch« auf www.historische-einfuehrungen.de

Kapitel 1Leben in einer technischen Kultur

In einem Gedankenexperiment stellte der amerikanische Technikphilosoph Don Ihde die Frage, ob Menschen ohne Technik leben können. Er erfand einen imaginären Garten Eden, in dem es keine Technik, keinerlei Werkzeuge gibt. Ihde zeichnete das Bild eines neuen, technikfreien Paradieses, in dem ein »neuer Adam« und eine »neue Eva« leben (Ihde 1990: 12). Die Imagination eines Lebens ohne Technik macht allerdings vor allem eines deutlich: wie grundsätzlich Technik die menschliche Existenz prägt. Denn das imaginierte technikfreie Paradies erweist sich als schwieriges Terrain. Schnell wird klar, dass Ihde vor allem das beschreiben muss, was dieser »neue Adam« und die »neue Eva« nicht können. Zwar benutzen sie die Sprache, aber sie bleiben allein auf sie angewiesen, während die Schrift schon eines Schreibwerkzeugs bedarf. Sie hätten weiter keine Kalender, keine Zeitmessung; es gäbe nur eine unmittelbare Kommunikation. Dieser Garten Eden müsste sich in einer warmen Gegend befinden, in der Menschen in ihrer »naked and face-to-face existence« von Früchten und Pflanzen lebten, von handgefangenen Tieren, die roh gegessen würden. Letztlich veranschaulicht die Beschreibung des imaginären Gartens Eden, dass Menschen nur an einem technikfreien Ort leben könnten, der »isolated, protected, and stable« (ebd.: 12 f.) wäre. Es geht Ihde hier nicht um einen romantischen Entwurf, um Nostalgie oder darum, die Techniknutzung als Sündenfall darzustellen, sondern um die Reflexion, wie fundamental unser Leben mit Technik verknüpft ist. Wir leben in einer technischen Kultur.

Technikgeschichtsschreibung liefert daher einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der menschlichen Kultur. Sie umfasst die gesamte Menschheitsgeschichte. Nicht zuletzt die Beschreibung des Menschen als homo faber, als Werkzeug nutzendes Wesen, unterstreicht dies. Innerhalb der Technikgeschichtsschreibung lässt sich allerdings ein starkes Gewicht auf der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts feststellen. Dies hängt mit der zweifellos neuen Dimension von Technisierungsprozessen seit der Industrialisierung zusammen. In dieser Einführung wird, allein schon aufgrund der Seitenbeschränkung, der Schwerpunkt gleichfalls auf dem 19. und 20. Jahrhundert liegen.1

Technikgeschichte ist, entgegen einer immer noch weit verbreiteten Vorstellung, keine Geschichte von Erfindern oder von Artefakten, und auch keine Geschichte der Rekonstruktion technischer Entwicklungen. Vielmehr beschreibt und analysiert sie die Entstehung, Verbreitung und Nutzung von Technik, kurz technischen Wandel und dessen Wechselwirkung mit der Gesellschaft.

Technikgeschichte hatte sich in einer ingenieurwissenschaftlichen Form um 1900 herausgebildet; seit den 1970er Jahren versteht sie sich im Sinne einer »modernen Technikgeschichte« (Rürup/Hausen 1975) als Teil der Geschichtswissenschaft. Lange hatte sie eine hohe Affinität zu wirtschaftshistorischen Fragestellungen und Themen, die seit den 1970er und 1980er Jahren mit sozialgeschichtlichen Perspektiven erweitert wurden. Seit den 1990er Jahren finden sich verstärkt kulturgeschichtliche Ansätze. Heute ist die Technikgeschichte ein ausdifferenziertes Feld, in dem unterschiedlichste methodische Zugänge ihren Platz finden. Nicht zuletzt sind diese stark von angelsächsischen Methoden und Debatten beeinflusst. Ausführlich vorgestellt werden Methoden und Ansätze der Technikgeschichte unter »Ergänzungen zum Buch« auf www.historische-einführungen.de.

Die vorliegende Einführung legt einen kulturgeschichtlichen Schwerpunkt. Im Sinne einer Einführung soll allerdings der Spagat zwischen einem Überblick über verschiedene Themenfelder, deren Entwicklung und die relevanten Forschungsfragen einerseits sowie dem Versuch, Technikgeschichte als eine Geschichte der technischen Kultur zu schreiben, andererseits gewagt werden. Letzteres meint, den historischen Blick auf die stete Verwobenheit der menschlichen Existenz mit Technik zu lenken. Damit gerät die technische Konstituiertheit von Handlungen, Praktiken, Erfahrungen, Wahrnehmungen, des menschlichen Selbstverständnisses, menschlicher Beziehungen und Interaktionen sowie von Raum und Zeit in ihrer jeweiligen historischen Verfasstheit in den Blick, kurz gefasst, die Frage, »auf welche Weise unser Verhältnis zur Welt über die Technik organisiert ist« und historisch jeweils war (Nordmann 2008: 13).

Begriff der technischen Kultur

Der Begriff der »technischen Kultur« wird innerhalb der Technikgeschichte in unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Kleinster gemeinsamer Nenner ist die Diagnose der immensen Bedeutung von Technik in modernen Gesellschaften. Der amerikanische Technikhistoriker Thomas P. Hughes spricht in diesem Sinne von einer »technology-based culture« (Hughes 2006: 31). Wiebe E. Bijker, niederländischer Technikhistoriker, verwendet den Begriff im Kontext der Verletzbarkeit hoch technisierter Kulturen (Bijker 2006). Der Philosoph Jürgen Mittelstraß wiederum beobachtete mit der »gesellschaftlichen Entwicklung zu technischen Kulturen […] eine kompromisslose Verwissenschaftlichung und Technisierung aller Verhältnisse« (Mittelstraß 1991: 48). Er reflektierte den Begriff im Kontext der Frage des Umgangs mit Natur in industrialisierten Gesellschaften und verband ihn eng mit einem Prozess der Verwissenschaftlichung und der Verfügbarmachung von Natur, die technischen Kulturen eigen sei.

Das Potential des Begriffs »technische Kultur« liegt allerdings insbesondere darin, dass er es ermöglicht, Technik und Kultur nicht als separierte Sphären zu betrachten, wie es in der deutschen geistesgeschichtlichen Tradition üblich war. Technik wurde, insbesondere um 1900, aber noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein als autonome Macht gedacht, die sich immer weiter ausdehne und die Kultur bedrohe. Eine solche technikdeterministische Perspektive ging mit der Vorstellung einher, Technik habe bestimmte Wirkungen auf die Kultur, beeinflusse und verändere sie. Aber auch die Betonung der sozialen oder kulturellen Konstruiertheit der Technik, also die Annahme, Technik sei das Produkt kultureller und sozialer Entwicklungen (Sozial- oder Kulturdeterminismus), führt implizit den Dualismus von Kultur und Technik mit sich. Mit dem Begriff der »technischen Kultur« kann genau dies überwunden werden, indem die Verwobenheit und Untrennbarkeit von Technik und Kultur gefasst wird. Kultur wird dann im Sinne Raymond Williams als ein »whole way of life« gedacht (Williams 1958). Die Rede von einer »technischen Kultur« wiederum zeigt an, dass der »whole way of life« untrennbar mit Technik verwoben ist. Kultur ist nicht von Technik beeinflusst oder umgekehrt, sondern Kultur ist immer schon technisiert. Wie der Philosoph Nordmann formuliert: »Technik ist Lebensform, und jede Lebensform ist von verfügbaren Techniken gekennzeichnet« (Nordmann 2008: 15). Ähnlich betont auch Hartmut Böhme, Technik sei »längst nicht mehr ein Subsystem der Gesellschaft, deren übrige Sektoren – zum Beispiel Medien, Verwaltung, Stadtkultur – sich unabhängig von Technik entwickeln würden. Eher stellt die Technik eine Superstruktur der Gesellschaft dar.« Die moderne Kultur sei »technomorph, das heißt ihre wesentlichen Erscheinungsformen sind technisch geprägt« (Böhme 2000: 164).

Technische Kultur meint, kurz gefasst, dass alle Handlungen, Erfahrungen, Wahrnehmungen, das menschliche Selbstverständnis, der Weltbezug und das In-der-Welt-Sein technisch vermittelt sind. Für die Geschichtsschreibung bedeutet dies, dass nicht die Technisierung historische Entwicklungen bestimmt oder umgekehrt, sondern dass sich »historische Entwicklungen unter technischen Bedingungen« vollziehen (Nordmann 2008: 15). Aufgabe der Technikgeschichtsschreibung ist es, die jeweilige Ausprägung und den Wandel der technischen Kultur zu beschreiben und zu analysieren. Es geht darum, die technische Vermitteltheit der menschlichen Existenz in ihren je spezifischen historischen Ausformungen aufzuzeigen und die Gewordenheit der heutigen technischen Kultur zu erklären.

Technik und Lebenswelt

Vom morgendlichen Aufstehen über das abendliche Zubettgehen bis in die Nacht hinein lässt sich heute kaum eine Handlung oder Erfahrung finden, die nicht mit Technik verwoben ist. Die meisten von uns werden am Morgen von einem elektronischen Wecker oder dem Handy geweckt. Im Badezimmer drehen wir das warme Wasser auf, machen die Heizung an. In der Küche brüht die Kaffeemaschine den Kaffee auf, im Kühlschrank sind Milch, Butter und Marmelade gelagert. In der Freizeit nutzen wir einen iPod, telefonieren, treiben Sport, ob im Fitnessstudio oder als Lauf im Park in der Funktionskleidung. Ob wir die Stimme eines anderen am Telefon hören, Kleider tragen, die uns vor der unmittelbaren Erfahrung der Kälte schützen, ob wir in einem Konzertsaal Musik hören, deren Klang kunstvoll mit der Raumakustik optimiert wurde, ob wir Nahrungsmittel essen, die wir zuvor gekocht haben, ob wir eine Brille tragen oder Nachrichten im Fernsehen schauen, ob Menschen künstliche Gelenke erhalten oder einen Herzschrittmacher – immer sind unserer Erfahrungen, unsere Wahrnehmung technisch vermittelt, unsere Existenz untrennbar mit Technik verschränkt. Wir leben in einer technischen Kultur und die Technik ist uns so selbstverständlich geworden, dass wir sie nur bei Störungen und Unfällen wahrnehmen.

Technik ist, um in phänomenologischer Tradition zu sprechen, unabdingbarer Teil der Lebenswelt. Die Lebenswelt ist ein »Universum vorgegebener Selbstverständlichkeiten« (Husserl 1950: 183), die kaum mehr hinterfragt werden. Sie scheint uns vorgegeben und damit quasi natürlich. Die »fraglos [v]orhandene, [v]ertraute« (Blumenberg 1981: 239) Technik bleibt dabei allerdings in grundsätzlicher Weise unverstanden, wenn sie in ihrer täglichen Selbstverständlichkeit nicht auf ihre historische Gewordenheit hin befragt wird. Dieses Unverstandene bezieht sich weniger auf die technische Funktionsweise, denn die historische Reflexion der Technik bedarf nicht zwangsläufig technischer Kenntnisse. Technikgeschichtsschreibung als eine historische Disziplin hat nicht die Aufgabe technische Entwicklungen zu rekonstruieren. Mit einem lebensweltlichen Ansatz geht sie vielmehr, wie Langdon Winner dies formulierte, vom täglichen Umgang mit Technik aus und zielt darauf, diesen zu reflektieren und in seiner historischen Gewordenheit zu erklären (Winner 1986: 9). Die alltägliche Selbstverständlichkeit der Technik lässt aber die grundsätzliche Frage vergessen, warum die technisierte Lebenswelt genauso so ist, wie sie ist. Solange Technik selbstverständlich vorhanden, vertraut scheint, verdeckt sie die vielfältigen Gründe ihrer je spezifischen Gestalt. Phänomenologisches Denken insistiert dagegen auf der Kontingenz der Lebenswelt, die in ihrer gegebenen Gestalt doch nur einen Ausschnitt aus einer Fülle von Möglichkeiten darstellt. Dies zu hinterfragen ist nicht nur Bedingung für das Verstehen des Selbstverständlichen, sondern auch die Bedingung der Möglichkeit, sich für andere Formen der Technik zu entscheiden. Hans Blumenberg formulierte als Programm der Phänomenologie, »die letzten und versteckten Selbstverständlichkeiten noch infrage zu stellen« (Blumenberg 1981: 48). Wesentlich ist ein historisches Befragen der lebensweltlichen, technischen Selbstverständlichkeiten, weil wir in einer technischen Kultur leben.

Wir führen unsere Handlungen, unsere Kommunikation, unsere Arbeit mit Technik aus, die diese dabei verändert und mitkonstituiert. Reisen beispielsweise hat sich im Kontext von Verkehrstechniken im Laufe der Zeit verändert: Wir reisen mehr und weiter, Reiseerfahrungen sind andere geworden, die Reise selbst ist häufig nur noch eine schnell zu vollziehende Passage. Arbeitsprozesse, sei es die Herstellung von Gegenständen, sei es die Produktion von Texten, veränderten sich mit der jeweils verwendeten Technik. Don Ihde machte dies am Beispiel des Schreibens deutlich. Welcher Technik wir uns beim Schreiben bedienen, beeinflusst wesentlich die Weise, wie wir diese Handlung ausführen (Ihde 1990: 141). Ihde verglich das Schreiben mit einem Füllfederhalter, einer Schreibmaschine und dem Computer und beobachtete erhebliche Unterschiede in der Geschwindigkeit und Art und Weise des Schreib- und damit einhergehend des Denkprozesses. Beim Schreiben mit dem Füllfederhalter sind die Gedanken schneller als das Schreiben; die Sätze werden im Kopf geformt, bevor sie niedergeschrieben werden. Das Verändern oder Korrigieren ist im Text sichtbar und hinterlässt Spuren der Überarbeitung. Dabei trägt der Text den individuellen Charakter seines Schreibers, seine Handschrift, zeigt die Spuren seines Denkens. Mit der Schreibmaschine wird der Schreibprozess schneller, Korrekturen sind immer noch schwierig, das Verändern nicht einfach, aber möglich. Die individuelle Handschrift des Schreibers geht verloren. Ihde konstatierte, dass sich mit der Schreibmaschine der Stil des Schreibens veränderte und näher an die Sprache rückte. Mit dem Computer schließlich hat sich der Schreibprozess wiederum gewandelt. Die Geschwindigkeit hat sich massiv erhöht, die gedankliche Formulierung geht dem Schreibprozess nicht zwangsläufig voraus, häufig werden das Formen der Gedanken und das Schreiben zum gleichzeitigen Prozess. Der Text wird zu etwas, das permanent überarbeitet, umgeschrieben wird, er bewahrt länger seine Unfertigkeit, die man gleichwohl am Schluss nicht mehr sehen kann. Die Spuren des Denkens, die Umschreibungen, Verschiebungen, Einfügungen sind genauso wenig sichtbar wie individuelle Spuren des Schreibenden. Die Möglichkeit der permanenten Überarbeitung veränderte die Einstellung zum Text und machte nicht zuletzt viele Texte erheblich länger (ebd.: 141 f.).

Insbesondere in seinem Buch Technology and the Lifeworld (1990) geht Ihde der Frage nach, wie Technik das Verhältnis zur Welt, die Weltwahrnehmungen und -erfahrungen prägt. Sein Ziel ist dabei ein Zweifaches: zum einen die phänomenologische Beschreibung der Mensch-Technik-Beziehung, mithin die genaue Beschreibung menschlicher Praktiken, Erfahrungen und Wahrnehmungen, die technisch vermittelt sind; zum anderen die hermeneutische, also verstehende und kontextabhängige Interpretation der Technik. Don Ihde eröffnet damit eine wichtige Perspektive, die sich auf alle lebensweltlichen Wirklichkeiten anwenden lässt und zum Verständnis der Gewordenheit der technischen Kultur beitragen kann.

»Verdichtete« technische Kultur der Moderne

Don Ihdes imaginärer Garten Eden machte deutlich, dass eine Kultur nicht ohne Technik existieren kann. Es stellt sich jedoch die Frage, was mit dem Begriff »technische Kultur« genau zu bezeichnen ist: jede Kultur, insofern keine ohne Technik existieren kann? Oder insbesondere die »moderne« Kultur? Aber wann begänne diese? Mit Francis Bacon und der modernen Wissenschaft im 16. Jahrhundert oder mit dem Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert? Meint sie die Neuzeit oder eher das 19. und 20. Jahrhundert?

Die Forschung ist sich in zwei Aspekten weitgehend einig: zum einen darüber, dass alle Kulturen in einem grundsätzlichen Sinne technische Kulturen sind, dass es keine Kultur ohne Technik gibt. David Nye schrieb: »Technology matters because it is inseparable form being human« (Nye 2006: ix). Im Wort Kultur, das auf das lateinische colere, cultura zurückgeht, stecke, so betonte Böhme, ein »eminent technischer Sinn«, »insofern es allererst um die Entwicklung praktischer Fertigkeiten geht, mit Hilfe derer eine Gesellschaft ihre materielle Reproduktion bewältigt […] Kultur ist hiernach technisch transformiert Natur« (Böhme 2000: 165). Zum anderen besteht innerhalb der Forschung Einigkeit darüber, dass mit der Industrialisierung und vor allem im 19. und 20. Jahrhundert die technische Kultur »dichter« wurde (ebd.) bzw. dass wir von einer modernen technischen Kultur sprechen können, die sich wesentlich von früheren Epochen unterscheidet. Dies wird in den einzelnen Kapiteln dieser Einführung deutlich werden, indem nach einem kurzen Blick in die Frühe Neuzeit jeweils der Wandel der betrachteten lebensweltlichen Felder wie Arbeit, Mobilität, Kommunikation sowie das menschliche Selbstverständnis im Kontext technologischer Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert beschrieben werden.

Aufschlussreich für die Frage, ab wann von einer modernen technischen Kultur die Rede sein kann, ist ein Blick auf die Begriffsgeschichte der Technik, denn das Auftauchen und die verdichtete Nutzung eines Begriffs zeigen die Relevanz dessen, was er beschreibt. Begriffsgeschichtlich betrachtet spricht viel dafür, von einer modernen technischen Kultur seit dem 19. und vor allem dem 20. Jahrhundert zu sprechen. Was genau diese ausmacht, wie sie entstanden ist und wie sie unterschiedliche Lebensbereiche verändert hat, wird in den einzelnen Kapiteln näher betrachtet.

Im Englischen ist das Wort technology zuerst im 17. Jahrhundert zu beobachten. Zu dieser Zeit wurde der Begriff für eine Kunstfertigkeit, für Fertigkeiten verwendet, zum Beispiel das Glasmachen. Entsprechend meinte man auch noch im frühen 18. Jahrhundert mit technology meist »a description of the arts, especially the mechanical« (Nye 2006: 12). Die auf die Antike zurückgehende Unterscheidung der freien Künste (artes liberales) und der angewandten, praktischen Künste (artes mechanicae) ist hier wirksam, wobei Technik klar den artes mechanicae zugeordnet wurde. In den USA wurde der Begriff technology vor dem frühen 19. Jahrhundert kaum genutzt. Während des 19. Jahrhunderts wurde das Wort dann in die Namen bedeutender, neu gegründeter Institutionen aufgenommen, wie beispielsweise dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) (ebd.: 12). Der Technikhistoriker Leo Marx kam zu der Einschätzung: »But that sense of the word did not gain wide currency until after World War I« (Marx 1997: xx). Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde technology im englischen Sprachraum ein selbstverständlicher Bestandteil der Alltagssprache (Nye 2006: 15).

In Deutschland wiederum führte der Philosoph und Ökonom Johann Beckmann im 18. Jahrhundert den Begriff der Technologie im Kontext seiner Vorlesungen über Stadtwirtschaft ein, in denen er eine Übersicht über die Handwerke gab (Bayerl 1999). 1822 unterschied August Koelle in seinem Buch System der Technik, ganz im Sinne der Tradition der artes liberales und der artes mechanicae die freien Künste von den mechanischen und ordnete die Technik den Letzteren zu (Koelle 1822). Technik geriet in die Sphäre des Mechanischen, später des Maschinellen und des Nützlichen. Schon Nikolaus von Kues definierte am Ausgang des Mittelalters und im Anschluss an Platon Rationalität und Nützlichkeit als Kern der Abgrenzung der mechanischen Kunst von den schönen Künsten. Er veranschaulichte dies am Beispiel des Drechslers und des Holzbildhauers. Während der Drechsler Dinge schaffe, die man in der Natur nicht finde, schöpferisch sei und Nützliches produziere, ahme der Bildhauer die Natur nach (Fischer 1996: 9). Technik wird hier – eine Denkfigur, die vor allem Heidegger später prominent vertreten hat – an das Schöpferische gebunden, an das Hervorbringen, das Schaffen von Neuem und Künstlichem, aber auch an Nützlichkeit.

Der Technikbegriff – Versuche der Definition

Die Überlegungen, ab wann von einer technischen Kultur zu sprechen ist, berühren die grundlegende Frage, was Technik überhaupt ist. Der Begriff Technik »ruft uns«, schrieb Hans Blumenberg, »eine bunte Vorstellungsreihe ins Bewusstsein: Apparate, Vehikel, Antriebs- und Steuerungsaggregate, Instrumente manueller und automatischer Funktionen, Leistungen, Schalter und Signale usw. – ein Universum von Dingen also, die um uns herum funktionieren, deren vollständige Klassifizierung oft und wenig befriedigend versucht worden ist, deren […] gemeintes Einheitsmoment nicht erfassbar zu sein scheint« (Blumenberg 1981: 10). Tatsächlich ist eine »Klassifizierung« oder Definition von Technik ausgesprochen schwierig. Bereits der kurze Einblick in die Begriffsgeschichte machte deutlich, dass sich der Technikbegriff historisch wandelte. Die Vorstellungen von dem, was unter Technik zu fassen ist, änderten sich mit den zeitgenössisch existierenden Artefakten. Blickt man allein auf das 20. Jahrhundert, so zeigt sich, dass die traditionelle Verknüpfung des Technikbegriffs mit der Maschine zuerst im Kontext der Kybernetik mit dem Begriff der »transklassischen Maschine« und schließlich im Kontext »neuer Technologien« wie der Bio- oder Nanotechnologie fragwürdig wurde.

Grundsätzlich ist zuerst eine Unterscheidung des Technikbegriffs zu treffen, auf die immer wieder hingewiesen wird: zum einen der auf das griechische techné zurückgehende Begriff, der Fertigkeiten und Geschicklichkeit bezeichnet. Er ist anwendbar auf alle menschlichen Handlungen: die Technik des Schreibens, des Klavierspielens etc. Zum anderen ein Technikbegriff, der im Allgemeinverständnis dominiert und Technik als Artefakt im Sinne einer Maschine, eines Geräts oder eines Werkzeugs bezeichnet, wie es das Zitat von Blumenberg deutlich macht. Die Technikgeschichte hat sich in den letzten Dekaden vermehrt mit dem Technikbegriff auseinandergesetzt und versucht, sowohl die zu weite Bestimmung der techné als auch die zu enge, die auf Technik als bloßes Artefakt zielt, zu überwinden. Prominent in der deutschen Technikgeschichtsschreibung ist nach wie vor die Definition des Technikphilosophen Günter Ropohl von 1991, die er als »mittelweiten« Technikbegriff bezeichnet. Demnach meint Technik: »die Menge der nutzenorientierten, künstlichen, gegenständlichen Gebilde (Artefakte oder Sachsysteme); die Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Sachsysteme entstehen; die Menge menschlicher Handlungen, in denen Sachsysteme verwendet werden« (Ropohl 2006: 45). Diese Bestimmung positioniert zwar das Artefakt in den Mittelpunkt der Definition, erweitert es aber um dessen Herstellung und Verwendung und stellt es damit in den Kontext seiner Herstellung und seines Gebrauchs.

Mit der Integration des Gebrauchs der Technik in ihre Bestimmung wurde es möglich, die Mehrdeutigkeit der Technik zu fassen, da das, was Technik ist, sich erst in ihrer Nutzung bestimmt. Technik ist damit zum einen nicht mehr ein-, sondern mehrdeutig, und zudem nicht als Artefakt gedacht, sondern als System, zu dem Produzenten, Nutzer und Kontexte gehören. Gleichwohl haftet der Definition noch immer der Geruch der engen Verbindung von Technik mit Nützlichkeit und Rationalität an, während gerade die Forschungen zu Nutzern von Technik in den letzten Dekaden aufzeigten, wie Technik jenseits der von den Produzenten intendierten Nutzungsweise ganz unterschiedlich angeeignet, uminterpretiert oder auch subversiv verwendet werden kann und keineswegs in den Kategorien der Rationalität und der Nützlichkeit aufgeht.

In der angelsächsischen Technikgeschichtsschreibung wird Technik häufig viel weiter gefasst. Don Ihde nutzt den Begriff im Sinne der materiellen Kultur überhaupt (Ihde 1990). Der amerikanische Technikhistoriker Robert Friedel hat in dieser Debatte die Bemerkung gemacht, dass es einfacher sei zu definieren, was nicht zur Technik gehört. Nicht zur Technik gehöre, so Friedel, alles, was »completely mental or biological« sei, beispielsweise die Sprache, Bewegung, Denken (Friedel 2007: 1). Zu bedenken ist allerdings, dass auch Denken oder Bewegung in der Regel nicht ohne einen technischen Kontext geschieht, es sei denn, wir würden wie Eremiten barfuss und zurückgezogen im Wald leben.

Problematisch an den bisher genannten Definitionen ist gleichermaßen, dass sie noch immer den Kern des traditionellen Technikbegriffs, nämlich das Artefakt mit seiner materiell-dinglichen Dimension, in sich tragen. Dieser Technikbegriff erodierte jedoch einerseits mit der Digitalisierung sowie andererseits angesichts neuer Technologien wie der Gen- oder der Nanotechnologie, die offensichtlich machen, was schon zuvor der Fall war: die Schwierigkeit, Kultur und Natur, Künstliches und Natürliches voneinander zu unterscheiden. Sowohl die Kulturlandschaft als auch die Zuchtpflanze oder das Zuchttier brachten diese Unterscheidungen bereits ins Wanken. Aber erst ein geklontes Schaf wie Dolly macht die Unterscheidung offensichtlich problematisch (vgl. zum Beispiel Karafyllis 2003: 2006).

Ziel des Buches

In dieser Einführung zur Technikgeschichte geht es darum, die »technische Kultur« des 19. und 20. Jahrhunderts in ihrem historischen Wandel zu betrachten. Daher wird die Disziplin Technikgeschichte anhand verschiedener Themen bzw. lebensweltlicher Felder präsentiert. Ziel ist es, jeweils einen Überblick über Forschungsansätze und -fragen zu geben als auch den technikhistorischen Wandel der einzelnen Felder zu erfassen. Mit der Entscheidung, einzelne Themenfelder zu behandeln, soll der Blick dafür geschärft werden, dass Technikgeschichtsschreibung keine schlichtweg an Artefakten orientierte Geschichtsschreibung ist. Vielmehr soll die grundsätzliche Verwobenheit der menschlichen Existenz mit Technik und deren historischer Wandel anschaulich werden. Es soll, sofern dies mithilfe der existierenden Literatur möglich ist, die stete technische Vermitteltheit des Daseins aufgezeigt und gefragt werden, wie Technik unser Leben, unser Arbeiten, unsere Art und Weise der Fortbewegung und der Kommunikation und unser Menschenbild verändert hat. Ein Kapitel zu Unfällen wird den Band abschließen und die grundsätzliche Ambivalenz sowie die Grenzen einer technischen Kultur aufzeigen.

Diese Entscheidung bedeutet, dass Geschichte nicht vorrangig aus der Perspektive einzelner Technologien wie der Geschichte des Computers, der Eisenbahn, der Beleuchtung etc. geschrieben wird. Auch wird die Vergangenheit nicht in »Zeitalter« entsprechend zentraler Innovationen eingeteilt, wie es zuweilen üblich ist: die Geschichte des Computerzeitalters, des Atomzeitalters, des Maschinenzeitalters usw. Zudem ist Technikgeschichtsschreibung inzwischen ein ausdifferenziertes Feld, das sowohl eine wirtschafts- und unternehmensgeschichtliche Perspektive als auch politik-, sozial-, kultur- und diskurs- oder medienhistorische Fragestellungen integriert. Nicht alle Aspekte werden gleichermaßen Berücksichtigung finden können. Der Schwerpunkt liegt auf kulturgeschichtlichen Fragestellungen. Auch muss notwendigerweise die Zahl der Kapitel in einem Buch beschränkt bleiben, obwohl es gleichermaßen wichtig wäre, sich die Geschichte der Ernährung, des Sports, des Vergnügens, des Wohnens, der Sexualität oder weiterer Felder aus technikhistorischer Perspektive anzuschauen.

Bereits vorhandene Einführungen und Überblickswerke ergänzen das vorliegende Buch und lenken den Blick auf andere Aspekte und Erkenntnisse. Einen breiten Überblick über das Fach bietet König (2009), der seine Darstellung in »Technik in der Industriegesellschaft« und »Technik in der Konsumgesellschaft« einteilt und insbesondere deren Komplementarität betont. Einen eher eklektizistischen Zugang zu einzelnen Aspekten wählen Gleitsmann/Kunze/Oetzel (2009). Einen umfassenden Überblick über die technischen Entwicklungen biete die Propyläen Technikgeschichte. Radkau widmete sich in seinem historischen Überblick über die Technikentwicklung in Deutschland der Frage eines »deutschen Weges« (Radkau 2008). Im angelsächsischen Sprachraum liegen verschiedene Überblickswerke vor, die sich häufig aber auf die Geschichte der USA beschränken (zum Beispiel Schwartz Cowan 1997). Tom Misa legte eine auf die US-amerikanische und europäische Entwicklung konzentrierte Einführung in die Technikgeschichte von der »Renaissance bis zum Internet« vor, in der er anhand von Fallstudien jeweils die wechselseitige Beeinflussung von Technik und Kultur aufzeigt (Misa 2004). In jüngster Zeit sind im deutschsprachigen Raum weitere Einführungen erschienen, die andere Schwerpunkte legen als die hier vorliegende, so beispielsweise die wirtschaftsgeschichtlich orientierte Einführung von Kleinschmidt (2007), weiter Einführungen zu einzelnen Themenfeldern, insbesondere der Industrialisierung oder der Industriellen Revolution (Condrau 2005; Ziegler 2005). Zu erwähnen sind zudem Einführungen zu angrenzenden und mit der Technikgeschichte verflochtenen Disziplinen, nämlich allein drei Einführungen in die Umweltgeschichte (Winiwarter/Knoll 2007; Uekötter 2007; Reith 2011) sowie zur Mediengeschichte (Bösch 2011).

Bislang ist die Technikgeschichtsschreibung zweifellos eine westliche. Die Erforschung globaler technischer Kultur/en steht noch aus und müsste die unterschiedlichen Wege der verschiedenen Weltregionen in eine je spezifische technische Kultur aufzeigen. Hier mangelt es der derzeitigen Technikgeschichtsschreibung an Forschung; transnationale, globale oder allein eine Technikgeschichte nicht westlicher Regionen ist noch viel zu häufig ein Desiderat, insbesondere im deutschsprachigen Raum. Technikgeschichte beginnt gerade, dies zu füllen.

Kapitel 2Narrative und Interpretationen: Geschichten der Technik

In seinem Buch Technology’s Storytellers fragte John M. Staudenmaier Mitte der 1980er Jahre, welche Geschichten Technikhistoriker über Technik erzählen: »How will we, in the West, tell the tale of our technological past? What interpretative language will shape our frame of reference for thinking about and responding to current technological issues?« (Staudenmaier 1985: xv). Diese historisch-methodologische Frage ist von hoher Relevanz für die Gegenwart, denn, wie Staudenmaier formulierte: »[T]he historians account of the past is essential to the life of the culture« (ebd.: xv).

Zwanzig Jahre später beschäftigten sich Mikael Hård und Andrew Jamison im Anschluss an Hayden White mit Narrationen der Technikgeschichte. Sie beobachteten insbesondere zwei grundlegende Erzählweisen: die Romanze, in der geniale Erfinder und Ingenieure Wunderwerke der Technik hervorbringen, sowie die Tragödie, die die zerstörerischen Auswirkungen von Technik betont (Hård/Jamison 2005). Demgegenüber forderten sie, »new stories« (ebd.: 1), die sich zwischen diesen Polen des Technikoptimismus und der Kulturkritik positionieren (ebd.: 3).

Die von Hård/Jamison beschriebenen Narrative der Romanze und der Tragödie dominieren insbesondere das alltagsweltliche Verständnis von Technik. Zu den Romanzen gehört beispielsweise der Glaube an den technischen Fortschritt, der behauptet, dass neue technische Entwicklungen immer »besser« seien und dass dieser technische Fortschritt mit gesellschaftlichem Fortschritt einhergehe. Aber auch als Tragödie präsentieren sich Geschichten der Technik. In diesen Erzählungen dominiert die Sorge, Technik bedrohe die Menschheit, die Kultur, gar den Bestand des gesamten Planeten. Eine weitere Geschichte, die um Technik gewoben wird, ist die ihrer vermeintlichen Neutralität; erst die menschliche Nutzung einer Technik entscheide darüber, ob sie einem guten oder einem schlechten Zweck diene. Schließlich wurden Ingenieure und Wissenschaftler als heroische Erfinder und Entwickler der Technik gezeichnet, während der Einfluss der Konsumenten und Nutzer lange unbeachtet blieb.

Die jüngere Technikgeschichte hat viele dieser traditionellen Narrative mithilfe neuer methodischer Ansätze differenziert: Diese »new stories« betonen beispielsweise die Rolle der Nutzer für die Technikentwicklung oder deren soziale bzw. kulturelle Konstruiertheit, um nur einige zu nennen (vgl. ausführlich hierzu das Kapitel unter »Ergänzungen zum Buch« auf www.historischeeinfuehrungen.de). Diese Ausdifferenzierung der Geschichten ging allerdings damit einher, dass Technikgeschichtsschreibung eine Fülle empirischer Studien produzierte, in denen wiederum kaum mehr gefragt wurde, was die unzähligen Fallbeispiele über die Einzelbefunde hinaus an Charakteristika einer technischen Kultur deutlich machen.

Was es bedeutet, in einer technischen Kultur zu leben, wurde im 20. Jahrhundert in grundsätzlicher Weise und in Art großer Meistererzählungen vor allem von philosophischer und soziologischer Seite beschrieben. Nicht selten gerieten diese allerdings zur Tragödie, seltener zur Romanze. Was all diese Interpretationen auszeichnet, ist, dass sie die prägende Bedeutung von Technik für die gesamte Kultur unterstreichen und zu fassen versuchen. Die Philosophen der Antike dachten dagegen über Begriffe wie techné oder die Hierarchie der Wissensformen nach (Fischer 1996: 255 ff.); im Mittelalter und der Frühen Neuzeit wurde über Technik vor allem hinsichtlich der Frage der Unterscheidung von den schönen Künsten gehandelt. In diesen Überlegungen blieb Technik, und das ist das entscheidende, ein abgrenzbares Phänomen. Im 19. Jahrhundert wurde Technik dagegen zu einer »Zentralkategorie der Selbstdeutung des Menschen« (ebd.: 309). Seitdem und insbesondere im 20. Jahrhundert reflektierten vor allem Philosophen das Phänomen einer technischen Kultur und lieferten unterschiedliche Interpretationen. An ihnen wird deutlich, wie Technik einerseits zum zentralen Denkpunkt und Problemkreis großer Theorieentwürfe wurde, andererseits sich die (philosophische) Denkweise über Technik und Kultur im 20. Jahrhundert veränderte.

Im Folgenden werden exemplarisch historische und philosophische Interpretationen der technischen Kultur referiert. Betrachtet werden Konzepte, die inzwischen als Klassiker gelten und die zweifellos von immenser Wirkmächtigkeit waren, sowohl was die Ideen- und Geistesgeschichte angeht als auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Diskurse um Technik. Für Technikgeschichtsschreibung sind sie genau aus diesen beiden Gründen zentral. Erstens weil sie ideengeschichtlicher Teil einer technischen Kultur sind. Sie stellen Narrative über Technik dar, die auf ihre Erzählstruktur und deren Wandel hin befragt werden müssen. Zweitens beeinflussen sie die jeweilige Gesellschaft und ihre Weise, Technik zu interpretieren, zu konzipieren und mit ihr umzugehen. Sie prägen den »Referenzrahmen« (Staudenmaier 1985: xv) der Wahrnehmung und Interpretation gegenwärtiger Technik. Daher gilt es, im Anschluss an die überblicksartige Darstellung zu fragen, inwieweit an diese angeschlossen werden kann und welche Geschichten heute zu erzählen wären, wenn Technikgeschichtsschreibung die Gewordenheit der technischen Kultur, ihre Ausprägungen und Charakteristika nicht nur in unzähligen Einzelstudien analysieren will. Innerhalb der heutigen Technikgeschichtsschreibung finden sich kaum mehr Großentwürfe, schon gar nicht in jüngster Zeit, in der große Meistererzählungen verpönt erscheinen und sich das Feld in eine Vielzahl nebeneinander stehender kleiner, spezifischer Geschichten zersplittert hat. Zwei »Klassiker« der Technikgeschichte, nämlich Sigfried Giedion mit seinem Buch Mechanization takes Command von 1948 (auf Deutsch: Die Herrschaft der Mechanisierung, 1987) sowie Lewis Mumford mit seinem zweibändigen Werk The Myth of the Machine von 1967/1970 (auf Deutsch: Mythos der Maschine, 1981) wagten allerdings umfassende Entwürfe der technischen Kultur, die jeweils mit deutlichen Wertungen und dringlichen Warnungen einhergingen. Beide waren keine klassisch universitären Wissenschaftler, sondern »public intellectuals«. Und beide tendierten zur Tragödie.

Klassiker der Technikgeschichte

Lewis Mumford

Lewis Mumford erklärte in seinem über 800 Seiten umfassenden Werk die Gewordenheit der technischen Kultur. Bestreben seines Schreibens war es, »den Lauf der gegenwärtigen Technik zu verstehen – und gegebenenfalls zu verändern« (Mumford 1981: 25). Er diagnostizierte in der Gegenwart eine »Überschätzung der Technik«, die, so seine These, »auf eine grundlegende Fehlinterpretation des Ablaufs der menschlichen Entwicklung zurückzuführen ist« (ebd.: 14). Diese bestehe darin, den Mensch als werkzeugmachendes anstatt als geistiges Wesen zu interpretieren. Der Mensch sei aber nicht in erster Linie homo faber, so die engagierte These Mumfords, sondern ein kulturelles Wesen. Er war zutiefst pessimistisch und kulturkritisch; er schrieb eine Tragödie. Mumford nahm die gesamte Menschheitsgeschichte in den Blick und bezog dabei wirtschaftliche, politische, kulturelle und wissenschaftsgeschichtliche Aspekte in seine Darstellung ein. Zugleich zielte dieses monumentale Unterfangen auf die Analyse und Erklärung der Gegenwart als einer technischen Kultur, die zu ändern Mumford als anstehende Aufgabe betrachtete. Er verband Geschichtsschreibung mit Gegenwartsanalyse und grundlegender Kritik an den Ausprägungen der technischen Kultur.

Seine zentralen Begriffe der »Megamaschine« und der »Megatechnik« bezeichnen nicht allein technische Artefakte oder Systeme, sondern das Ineinanderverwobensein von Bürokratie, Macht, Kontrolle und Technik, die einer gemeinsamen Logik, nämlich einer Logik der Objektivier-, Berechen- und Quantifizierbarkeit folgten. Mit dem Begriff »Megamaschine« beschrieb er die Einbindung von Menschen in eine hierarchische Organisation, in der der Mensch zu einem austauschbaren und funktionierenden Teil eines Systems werde, dem Zwecke von außen gesetzt sind. Der Mensch sei dieser Megamaschine ausgeliefert, werde ihr angepasst. Sie erhalte sich selbst, um sich zu erhalten, ist also Selbstzweck. Sie »ignoriert die Bedürfnisse und Zwecke des Lebens, um den Machtkomplex zu stärken und seine Herrschaft auszudehnen« (ebd.: 633). Die ursprüngliche und »alte« Megamaschine sah Mumford im Pyramidenzeitalter; sie bestand »ausschließlich aus menschlichen Teilen« (ebd.: 221). Die »neue Megamaschine«, die nach Mumford die heutige Kultur präge, basiere auf dem mechanistischen Weltbild des 16. Jahrhunderts, nach dem alles quantifizier-, mess-, berechen- und damit beherrschbar sei. Daher bedeute die Megamaschine die Unterdrückung des Lebendigen, des Organischen. Mumford wollte dagegen der »Totalität der menschlichen Erfahrungen« (ebd.: 400) zu ihrem Recht verhelfen. Das Organische lasse sich nicht auf das Maschinenhafte reduzieren. Er kritisierte, dass das Leben des Menschen in der Logik der Megamaschine »an sich« wertlos geworden sei (ebd.: 550). Mumford insistierte jedoch auf der Veränderbarkeit der gegenwärtigen technischen Kultur. Die von ihm beschriebene Megamaschine sei das Produkt menschlicher Entscheidungen. Sie sei vom Menschen geschaffen und daher veränderbar. Mumford setzte der Megamaschine eine organische Gesellschaft entgegen, in der Subjektivität, Organisches, das Lebendige, die Vielfalt der Erfahrungen jenseits des Quantifizierbaren und Standardisierbaren das bestimmende Element wären.

Sigfried Giedion

Die Verteidigung des Organischen, des Lebendigen, das vor einer Technisierung zu schützen sei, war auch ein Anliegen von Giedions Buch Mechanization takes Command. Giedion widmete sich den Folgen der Mechanisierung für die Lebensweise und nahm insbesondere alltägliche Praktiken und Dinge in den Blick. Für den Historiker gebe es keine banalen Dinge. Vielmehr habe er zu erforschen, wie die Mechanisierung die Kultur und die Lebenswelt verändert hat. Der Geschichtsschreibung weit voraus, beschrieb er neben der industriellen und handwerklichen Produktion den Haushalt, das Badezimmer sowie die »menschliche Umgebung«, also Alltagsgegenstände wie Möbel, Behälter, Wohneinrichtungen, weiter die Landwirtschaft, das Backen und Schlachten.

Auch Giedion war von einem Unbehagen an gegenwärtigen Entwicklungen angetrieben. Der Mensch sei »heute von den technischen Mitteln überwältigt« (ebd.: 769). Die Mechanisierung sei gefährlich, allerdings hänge alles davon ab, wie der Mensch sie nutzbar mache und sich vor ihr schütze. In seinem Vorwort betonte er, dass »in unserer Zeit Denken und Fühlen voneinander getrennt sind«. Indem er die »Mechanisierung« untersuchte, wollte er zeigen, wie es dazu gekommen ist (ebd.: 13). Mechanisierung wird damit für Entwicklungen in die Verantwortung genommen, die Giedion Unbehagen bereiten. Die »kommende Zeit muss die grundlegenden menschlichen Werte wieder herstellen« (ebd.: 13), formulierte er. Denn nicht nur das Denken und das Fühlen standen für Giedion in der gegenwärtigen technischen Kultur im Widerspruch zueinander, sondern auch das Technische und das Organische. Das Organische setze jedoch die Grenze des Technischen. In verschiedenen Abschnitten, beispielsweise zum Brotbacken, Schlachten oder den Rationalisierungsversuchen Taylors, beschrieb er das Widerspenstige des Organischen. Die Mechanisierung müsse vor dem Lebendigen haltmachen, so das Plädoyer Giedions.

Giedion ist lange nicht so pessimistisch wie Mumford, doch ist auch er ein Warner, der zur Tragödie neigt. Technikhistorisch sind ihre Positionen erstens aus geistesgeschichtlicher Perspektive zentral. Die starke Präsenz eines kulturkritischen Denkens gegenüber der Technik prägte das 20. Jahrhundert genauso wie wiederum die postmodernen Entwürfe die Gesellschaften am Übergang zum 21. Jahrhundert beeinflussen. Sie sind Teil einer technischen Kultur und ihre Kenntnis ist für deren Verständnis notwendig. Zweitens stellt sich die Frage, wie eingangs schon formuliert, welche Rolle heutige Technikgeschichtsschreibung selbst im Hinblick auf Interpretationen der technischen Kultur über unverbundene Einzelstudien hinaus spielen kann und an welche Konzepte sinnvoll anzuschließen wäre und an welche nicht. Bislang überlässt die Technikgeschichte dieses Feld der Technikphilosophie. Ungeachtet ihrer stark kulturkritischen Färbung und des Hangs zu einem Narrativ der Tragödie machen die beiden Klassiker Giedion und Mumford jedoch deutlich, dass eine historische Argumentation, die die Selbstverständlichkeiten der technisierten Lebenswelt hinterfragt und in ihrer Gewordenheit erklärt, zentrale Impulse für Diagnosen gegenwärtiger Technisierungsprozesse leisten könnte.

Technisierung als Rationalisierung und Kulturkritik

Im Folgenden wird ein verdichteter und kursorischer Blick auf zentrale soziologische und philosophische Interpretationen der technischen Kultur seit Ende des 19. Jahrhunderts geworfen. Es kann hier nicht um eine umfassende Geschichte der Technikphilosophie gehen; auch gilt es, sich auf wenige Konzepte zu beschränken. Die zuerst behandelten, der Tragödie verhafteten, stehen aufgrund ihrer Wirkmächtigkeit exemplarisch für Tendenzen der Geistesgeschichte der Technik, in die sich weitere Autoren wie Günther Anders, Hans Freyer, Helmut Schelsky oder Hans Jonas einordnen ließen. Als eine zentrale Tendenz kann man zusammenfassen, dass sich diese Interpretationen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein durch kritische und pessimistische Beschreibungen auszeichnen, in denen die technische Kultur als von Rationalisierung, Berechnung und dem Streben nach einer Beherrschbarkeit der Welt geprägt gedeutet wurde. Diese Positionen betonten die prägende und die kulturgefährdende Rolle von Technik.

Max Weber

Eine zentrale Figur für die Beschreibung von Rationalisierungsprozessen ist Max Weber. Er charakterisierte die Kultur des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts als Vorherrschaft des westlichen Rationalismus. Dabei seien Rationalismus, Kapitalismus, Naturwissenschaft und Technik eng verwoben, insofern Berechenbarkeit eine Grundkategorie der modernen okzidentalen Kultur sei (Weber 1920/21: Vorbemerkung). Rationalisierung meinte für Weber »das Wissen davon oder den Glauben«, dass alles berechen- und beherrschbar sei. Technik und Berechnung leisten in der Moderne demnach das, was in der Vormoderne mythische und magische Kräfte vollbringen sollten: den Versuch, die Welt zu beherrschen (Weber 1968: 8). Das rationale Denken wirke in ganz heterogenen Sphären, während in der Vergangenheit die Lebensführung wesentlich durch magische, religiöse Kräfte geformt worden sei.

Ein Kerngedanke, der die kulturkritischen Entwürfe des 20. Jahrhunderts kennzeichnet, ist genau diese Vorstellung einer spezifischen Form der Rationalität, die der Technik inhärent sei und die in alle Lebensbereiche dringe. In diesem Sinne ist das