Künstlerseelen - Saskia Francoise Elvers - E-Book
SONDERANGEBOT

Künstlerseelen E-Book

Saskia Françoise Elvers

0,0
3,49 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Künstlerseelen schildert einen Versuch der deutschen Regierung, das Volk mehr in die Demokratie einzubeziehen. Kannst du dir ein Leben ohne jegliche Kunst vorstellen? Diese Frage müssen sich plötzlich die deutschen Bürger stellen, als die Regierung eine Idee von dem berühmten Schauspieler und Regisseur Edgar Brandig aufgreift. Eine Entscheidung, die nur einen Klick entfernt ist, greift plötzlich in das Schicksal tausender Menschen ein und ein Test der ganz anderen Art wird durchgeführt. Ein Roman über Wut, Ignoranz, Liebe und Hoffnung, der dazu ermutigt, sein wahres Ich zu finden und sein Leben danach auszurichten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Saskia Françoise Elvers

Künstlerseelen

Saskia Françoise Elvers

KÜNSTLERSEELEN

Inhaltsverzeichnis

1

Familie Brandig

Laura Herz

Nachrichten

Luise Irsch

Hardi Raacke

Schule

Familie Brandig

Luise Irsch

2

Regierung

Luise Irsch

Schule

Nachrichten

Pärchen

Doreen Timmel

Betsi Herrig

3

Regierung

Nachrichten

Familie Brandig

Hardi Raacke

Pärchen

Schule

Doreen Timmel

Valentin Bader

Luise Irsch

4

Regierung

Nachrichten

5

Familie Brandig

Doreen Timmel

Hardi Raacke

Schule

Luise Irsch

Nachrichten

Betsi Herrig

Valentin Bader

6

Pärchen

Nachrichten

Hardi Raacke

Betsi Herrig

Doreen Timmel

Regierung

7

Nachrichten

Valentin Bader

Familie Brandig

Luise Irsch

Nachrichten

Betsi Herrig

Doreen Timmel

Regierung

Musiker

8

Luise Irsch

Valentin Bader

Schule

Nachrichten

Betsi Herrig

Familie Brandig

9

Betsi Herrig

Schule

Luise Irsch

Nachrichten

Regierung

Valentin Bader

Betsi Herrig

10

Nachrichten

Valentin Bader

Luise Irsch

Regierung

Pärchen

Familie Brandig

11

Musiker

Valentin Bader

Doreen Timmel

12

Valentin Bader

Nachrichten

Schule

Luise Irsch

13

Regierung

Betsi Herrig

Hardi Raacke

Luise Irsch

Valentin Bader

Doreen Timmel

14

Pärchen

Schule

Musiker

Betsi Herrig

Valentin Bader

Schule

Nachrichten

Hardi Raacke

Luise Irsch

Pärchen

15

Hardi Raacke

Doreen Timmel

Luise Irsch

Familie Brandig

Regierung

Nachrichten

16

Pärchen

Betsi Herrig

Hardi Raacke

Familie Brandig

17

Hardi Raacke

Nachrichten

Musiker

Schule

18

Regierung

Luise Irsch

Nachrichten

Doreen Timmel

19

Regierung

Luise Irsch

20

Valentin Bader

Betsi Herrig

Hardi Raacke

21

Regierung

22

Musiker

Luise Irsch

Regierung

Pärchen

Betsi Herrig

Laura Horsch

23

Pärchen

Valentin Bader

Musiker

Luise Irsch

Nachrichten

Schule

Regierung

24

Die Hütten und die Mauer

Leben ohne Strom, fließend Wasser und Heizungen

Die Galerien

Ein Andenken an die Künstler

Der Künstlerfilm

1

AnfangMärz

Montag

Premierentag

Familie Brandig

Als sie sich im Spiegel betrachtet, kommt sie zu der Erkenntnis, dass sie für ihr Alter relativ jung aussieht. Das rote Kleid steht ihr hervorragend, obwohl ihr davon viele abgeraten haben. Unter anderem ihre Agentin, die ein Jahr jünger ist und momentan damit kämpft, fünfzig Jahre alt zu sein.Im Gegensatz zu ihrer Agentin kommt Julia Horsch mit ihrem Alter gut zurecht. Der Kopf ist jung geblieben und das strahlt sie auch aus. Eine Frau, die weiß, dass sie noch genug Zeit hat, die Welt zu verändern.

Elegant steigt Julia in die schwarze Limousine, welche vor dem Hotel auf sie wartet. Da sie kein großes Interesse an Automobilen hat, erkennt sie anhand der Automarke nicht, ob sie zu den gehobenen Schauspielerinnen gehört. Alles, was sie weiß ist, dass die Fahrer stets freundlich sind, egal, mit welchem Auto sie vorfahren.

Statt sich mit dem Fahrer zu unterhalten oder auf ihrem Handy zutippen, geht sie im Kopf die Posen durch, die ihre Tochter ihr vor wenigen Tagen beigebracht hat.

Während sie sich aus dem Auto schlängelt, ist das Blitzlichtgewitter am roten Teppich in vollem Gang. Vor lauter Aufregung blickt Julia im falschen Moment zu einer blitzenden Kamera, woraufhin gelbe Glitzerpunkte vor ihren Augen zu tanzen beginnen. Dennoch erkennt sie, wer ihr wenige Meter entfernt zuwinkt - Edgar Brandig. Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor und ein wunderbarer Mann. Genauer gesagt: ihr Mann.

Nachdem Julias erste Ehe in die Brüche ging, glaubte sie nicht mehr daran, einen passenden Partner zu finden - bis Edgar in ihr Leben trat.Er ist vom Leben gezeichnet, musste selber viel durchmachen, aber genau das macht seinen Charakter aus - er weiß was er will und arbeitet hart dafür. Manchmal erwischt Julia sich sogar dabei, wie sie sich wünscht, ihr einziges Kind - eine Tochter - würde von Edgar stammen.

»Frau Horsch, schauen Sie bitte hierher?«

»Julia, mehr nach links.«

»Julia Horsch, hierher ... nein hier ... Mensch, hierher. Ich will ein Foto.«

»Frau Horsch, können Sie nochmal in meine Kamera lächeln? - Geht es auch frecher?«

»Stellen Sie sich vor das Filmplakat und posen Sie wie dort, ja?«

Bei so vielen Stimmen weiß Julia nicht, wo sie zuerst hinsehen soll. Je mehr sie sich auf einen Fotografen konzentriert, desto aggressiver werden die anderen. Die Stimmen werden schroffer und erinnern sie daran, wieso sie zum Theater gegangen ist.Bereits als Kind bekam sie Nebenrollen angeboten und spielte daraufhin bei einigen interessanten Filmen mit. Da die Bezahlung gering ausfiel, lud man Julia zu den Premieren ein, wo sie mit den großen Berühmtheiten über den roten Teppich laufen durfte.Diese Momente hat sie sehr genossen, obwohl sie nur für Gruppenfotos ins Bild geschoben wurde. Dennoch haben diese wenigen Minuten ihr einen Einblick in die turbulente Welt eines Filmschauspielers ermöglicht. Bemerkenswert fand sie, wie freundlich die Darsteller blieben und sämtliche Kommentare seelenruhig über sich ergehen ließen. Seit diesem Tag stand für Julia fest, dass sie zum Theater geht. Diesen ganzen Trubel braucht sie nicht. Ihr reicht es, nach jeder Szene einen kurzen und am Ende des gesamten Stücks einen längeren Applaus zu bekommen. Sobald die Zuschauer das Theater verlassen haben, kann sich Julia in Ruhe auf den Heimweg machen, ohne ständig angesprochen zu werden. Es kommt nur sehr selten vor, dass Menschen auf sie warten und um ein Foto oder Autogramm bitten. Aufdringlich oder unfreundlich war dabei allerdings noch niemand.

Dass sich Julia jetzt das erste Mal aus ihrer Komfortzone bewegt, hat sie nur Edgar zu verdanken. Er wollte unbedingt, dass sie in seinem Film mitspielt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Premiere so ein Ausmaß nehmen würde, obwohl sie die Medienpräsenz ihres Mannes sehr gut kennt.

Nachdem die Glitzerpunkte vor ihren Augen wieder verschwunden sind, sieht Julia kurz zu ihm hinüber, in der Hoffnung, ihm einen hilfesuchenden Blick zuwerfen zu können, doch Edgar ist bereits in einem Interview vertieft.

Erneut ruft sie sich die Posen und die Worte ihrer Tochter in Erinnerung: »Immer schön lächeln und am besten von rechts nach links alle Fotografen abarbeiten. Sobald du links angekommen bist, winkst du kurz und gehst dann weiter zum nächsten Punkt.«

Julia atmet einmal tief ein und arbeitet sich dann über den roten Teppich.

Laura Herz

»Laura Herz, ich bin von der Schnack, könnte ich bitte mal durch?«

Eine Frage, die Laura heute bereits unzählige Male stellen musste, dennoch kam sie selten ohne weitere Diskussionen durch. Mittlerweile hält Laura ihren Presseausweis so vors Gesicht, dass ihr Gegenüber nicht in ihre echten Augen, sondern in die auf dem Foto schauen muss.

Als sie am Geländer mit der Aufschrift ›Presseabteilung Schnack‹ steht, ist sie kurz überrascht darüber, dass sie den besten Platz erhalten hat - mittig zum Filmplakat, vor dem, im Laufe der Premiere, die komplette Filmbesetzung stehen wird.Die Zeit, in der Kinomitarbeiter, Moderatoren und Agenten an ihr vorbeilaufen und sich auf die Stars vorbereiten, nutzt Laura für die ersten Probefotos, um den ISO-Wert und die Blende perfekt zur Belichtungszeit einzustellen. Böse Überraschungen kann sie sich nicht leisten, denn solche Fehltritte sind noch Tage später Gesprächsthema beim Chef.Obwohl sie Fotografin aus Leidenschaft ist, hasst sie ihren Job. Der ganze Konkurrenzkampf, wer das beste Foto macht, ist gegen ihre Natur. Der einzige Grund, weswegen sie dennoch Prominente auf dem roten Teppich anschreit, ist Geld. Es stellt ein kleines Übel dar, wenn man trotzdem fotografieren darf, statt gar nichts Kreatives machen zu können.Den Traum, eines Tages Ausstellungen mit ihren Bildern zu füllen, gibt sie dennoch nicht auf. Das Talent dafür hat sie, aber noch fehlen ihr die Ideen und der unverkennbare Stil. Solange dies so ist, wird sich Laura keinen Namen in der Kunstszene machen können, denn es wird immer schwerer aus der Masse herauszustechen.Glücklicherweise hat sie Eltern, die sie bei allem unterstützen. Besonders bei der Entscheidung, für eine Klatsch- und Tratsch-Zeitschrift zu arbeiten, die sich Schnack nennt, haben sie ihr Mut gemacht.

Die Schnack ist ein Schundblatt, so bezeichnet Laura ihren Arbeitgeber, wenn sie von jemanden auf die Zeitschrift angesprochen wird, der vorher noch nicht davon gehört hat. Ihre Meinung ist nicht ganz unberechtigt, denn die meisten Gerüchte der Promiszene stammen von Redakteuren der Schnack. Lena Herz, ist die Top-Fotografin, wenn es um peinliche Promibilder geht.

Dann ist es endlich soweit - Edgar Brandig ist der Erste, der über den roten Teppich läuft. Seine Filme werden jedes Mal zu Kassenschlagern, bleiben aber gleichzeitig auch die meist kritisierten. Jeder noch so kleine Ausschnitt aus jedem seiner neuen Filme wird von der Presse sofort zerrissen.

Edgar Brandig wird von allen Seiten belagert und fotografiert. Laura wendet sich ab, denn sie hat genügend Fotos von ihm und wartet nun gespannt auf ihr nächstes Opfer. Ehe sie sich versieht, fährt ein schwarzer Mercedes vor. Das rote Kleid, welches kurz darauf erscheint, funkelt und glitzert im Scheinwerferlicht. Etwas verschüchtert torkelt die Dame zum Filmplakat. Es scheint fast, als wäre sie betrunken.

»Frau Horsch, schauen Sie bitte mal hierher?«, ruft Laura, freundlich wie immer.

Damit tritt sie eine Lawine ihrer Presse-Konkurrenten los. Die gesamte Meute stürzt sich auf die Theater-Berühmtheit und lässt Edgar Brandig links liegen.Laura leidet mit der Schauspielerin, die offenbar mit der Situation überfordert ist und plötzlich stocknüchtern wirkt. Julia Horsch gehört zur obersten Elite der Schauspielszene, obwohl sie nur am Theater arbeitet. Eine Prominente, die sich so selten in der Öffentlichkeit präsentiert, dass sie sich, auf dem roten Teppich, unwohl fühlt.Laura plagt ein schlechtes Gewissen, weshalb sie kräftig winkt, in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit von Julia Horsch auf sich zu ziehen - doch sie wird nicht beachtet. Stattdessen sieht Julia zu Edgar hinüber, der bereits bei Lauras Schnack-Kollegin steht und ein Interview gibt. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als auf den nächsten Schauspieler zu warten, auf den sie die Aufmerksamkeit lenken kann. Kurz darauf geht ihr Plan auf. Laura tritt eine zweite Lawine frei und erlöst Julia Horsch, womit ihr schlechtes Gewissen ebenfalls verschwindet.

Nachrichten

»Hallo, ich bin Lena Nöthe und das sind unsere Themen heute.«

Während die kleinen Einspieler erscheinen, zu denen Lena am Nachmittag ein Voice Over eingelesen hat, räuspert sie sich.Der Schleim ihrer letzten Grippe sitzt noch immer im Hals fest, doch die heutigen Nachrichten wollte sie unbedingt selber sprechen.Das ganze Wochenende hat sie damit zugebracht sich mit Antibiotika, Tee und Hustenbonbons vollzupumpen, um wieder fit zu sein. Nichts wollte sie zwischen sich und der Meldung zur Brandig Premiere kommen lassen. Ihr Chef verwehrt ihr noch immer, vor Ort von Premieren zu berichten. Stattdessen werden ihre Kollegen hingeschickt. Dabei wünscht sich Lena nichts sehnlicher, als im direkten Kontakt mit den Stars zu sein - besonders mit Edgar Brandig, schließlich ist er einer der gefragtesten Schauspieler und Regisseure im ganzen Land. Niemand polarisiert mehr als er und dennoch bleibt er unheimlich gelassen. Brandig ist ein Arbeitstier und was er anpackt wird zu Gold. Ein Mann der sich nicht den Mund verbieten lässt, der aber weiß, wann er zu schweigen hat. Trotzdem besitzt er ein Temperament was ihn unberechenbar macht, denn er kann verdammt wütend werden.Ein Treffen mit ihm ist wie ein Freilauf im Löwengehege. Man weiß nie, wann er genug hat oder wo sein Schwachpunkt an diesem Tag ist, aber man kann gewiss sein, dass man sich wünscht, das Gehege nicht betreten zu haben, sobald man diesen gefunden hat.

Lena hat bereits viele Berichte über ihn gesehen und mit Kollegen sprechen dürfen, die ins Gehege gegangen sind. Sie fühlt sich bereit für ihren Auftritt, doch bislang blieb er ihr verwehrt.Da der heutige Tag wieder nicht zu ihrem Glückstag gehört, versucht sie sich wenigstens bei den Nachrichten von den anderen Sendern abzuheben, was keineswegs mit ihrem Chef abgesprochen ist.Der Tag ist, abgesehen von der Filmpremiere, nicht besonders. Nur alltägliche Diebstähle und Staumeldungen liegen vor, so dass Lena zu viel Energie für die Premieren-Meldung hat, für die Edgar Brandig eine perfekte Vorlage lieferte.

»Unsere Hauptstadt war im Brandig-Fieber. Zur Premiere seines neuen Films Leichen küsst man bei Tageslicht, kam Edgar Brandig wie gewohnt pünktlich und begeisterte Fans und Presse.Obwohl sein Streifen bereits seit Wochen Kritiken kassiert, wirkt der Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor gelassen wie nie.Hier ein kleiner Ausschnitt aus dem Film.«

Der Trailer wird eingespielt und obwohl Lena ihn bereits mitsprechen kann, genießt sie den erneuten Anblick auf ihrem Monitor. Kurz bevor Edgars Frau Julia Horsch auf der Bildfläche erscheint, schaltet ihr Team ihren nächsten Text auf dem Prompter zu, damit sie sich kurz vorbereiten kann.

Auf die Sekunde genau setzt Lena ein: »Haufenweise Fragen hat Edgar Brandig heute über seinen neuen Film beantwortet und obwohl die Frage so nahe lag, haben nur wenige sie ausgesprochen.Unsere Reporterin Ursula Hennings hat sich getraut und die Fragen aller Fragen gestellt.«

Ein weiterer Ausschnitt wird eingespielt, diesmal von der Premiere. Ursula ist nicht zu sehen, nur ihre zittrige Hand, die Edgar das Mikrophon entgegenhält, nachdem sie ihre Frage gestellt hat.

»Sie sehen so entspannt aus. Haben Sie die Kritiken der letzten Wochen zu Ihrem Film nicht gelesen oder sind sie Ihnen egal?«

Edgar lacht kurz auf, dreht sich um und schaut zu dem roten Teppich hinter sich. Nachdem er kurz seine Frau gemustert hat, blickt er zu Ursula und antwortet gelassen.

»Wissen Sie, ich habe gewusst, dass diese Frage kommen wird und lange überlegt, was ich darauf antworten könnte. Ich mache meine Arbeit genauso gut wie Sie, daher weiß ich, was in Ihren Köpfen vor sich geht, bevor Sie überhaupt wissen, dass es zu dieser Situation kommt.Selbstverständlich lese ich die Kritiken und nur weil ich nicht sofort darauf reagiere, heißt es noch lange nicht, dass sie mich nicht beschäftigen.Wie gesagt, ich habe sehr lange über Ihre Frage nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass man der Menschheit für ein paar Wochen die Kunst entziehen sollte. Ich bin mir sicher, nach dieser Phase würden die Kritiker mehr Respekt vor der künstlerischen Arbeit haben und zukünftig mehr darüber nachdenken, welche negativen Worte ihnen von den Zungen rollen.«

Auf den ganzen Fernsehgeräten des Landes, die gerade diese Nachrichtensendung eingeschaltet haben, flimmert Lenas Gesicht wieder auf und setzt zum richtigen Zeitpunkt ein: »Edgar Brandig will uns die Kunst wegnehmen. Das klingt nach einem spannenden Projekt. Braucht unser Film-Ass einfach nur Urlaub oder ist der Gedanke gar nicht so abwegig - eine Erziehungsmaßnahme der anderen Art?Noch hat sich die Regierung nicht zu Brandigs Idee geäußert.«

Ein Scherz, an dem sie mit ihrem Team lange gefeilt hat, denn sie musste ihn so keck wie möglich aussprechen. Um den Scherz auch für die Spätzünder schneller begreiflich zu machen, baut sie noch ein spontanes Zwinkern mit ein. Im Anschluss wird von ihr ein weiterer Filmabschnitt der Premiere eingeleitet, bevor sie sich von ihren Zuschauern verabschiedet.Ihre Arbeit ist vollbracht. Stolz packt Lena ihre Sachen zusammen und macht sich auf ihren Heimweg. Zuhause geht der letzte Kampf gegen die Grippe weiter.

Luise Irsch

Meine Auswahl an Liebhabern ist so vielfältig wie meine Musiksammlung und dort befindet sich eine ganze Reihe unterschiedlicher Geschmacksrichtungen. Natürlich sind einige Fehlkäufe in meinem Regal, wie auch Spuren auf meinem Bettlaken. Während ich alte CDs zur Erinnerung behalte und sie einer extra Kategorie in meinem Regal widme, schmeiße ich die männlichen Fehltritte aus meiner Wohnung und lösche Nummern, sowie jegliche Gedanken an sie. So kommt es, dass meine jetzige Toyboy-Liste genauso gut ausgewählt ist, wie meine Playlist auf dem Handy.

Nur um es vorweg zu nehmen, ich bin Single und verhüte selbstverständlich - ganz so blöd bin ich ja nicht. Mein Job lässt es nicht zu, dass ich eine feste Beziehung führe - wobei das nur eine Ausrede ist, die ich bei meiner Familie benutze, damit sie aufhören, mich wegen meiner ablaufenden inneren Uhr zu nerven. Ich mag mein Leben so wie es ist, auch wenn andere es oft nicht verstehen wollen.

Georg ist der Rammstein-Typ. Nicht, weil er so aussieht - nein, keineswegs. Man könnte sogar meinen, er würde sich beim Hören dieser Musik in die Hose scheißen. Er ist ein typischer Suppenbubi, den man sogar dann sofort wieder vergisst, wenn er einem das Leben gerettet hat. Doch im Bett - mein lieber Scholli - da ist er der Rammstein-Typ. Hart, uncharmant und ein Tier.Dieser große Unterschied zwischen Aussehen und Triebverhalten ist wahrscheinlich der Grund, wieso ich ihn beim Sex nicht ansehen kann - nichts ist schrecklicher als zu Rammstein und einer brennenden Vagina einen Lachanfall zu bekommen.

Obwohl am heutigen Abend alles anders ist, bleibt es dabei - während unsere Triebe verschmelzen, gibt es keinen Blickkontakt.Ich hänge mit dem Oberkörper über der Rückenlehne meines Lieblingssessels und sehe mir die Nachrichten an, in denen es um Edgars Premiere geht. Georg habe ich gebeten, seinen Kopf von meinem so weit wie möglich fernzuhalten, damit ich nichts durch sein Stöhnen verpasse. Er stöhnt wie ein unsportlicher Mann, der Müll rausbringen für einen Marathonlauf hält.Nicht unbedingt die Art von maskulinen Tönen, die eine Frau feucht macht, was mir noch einen weiteren Grund gibt,Rammstein-Musik laufen zu lassen.

Lena Nöthe heißt die unscheinbare hübsche Frau Anfang dreißig, die mich aus dem Fernseher heraus beim Sex beobachtet. Irgendwie mag ich sie. Dass sie sich als erste auf die mir merkwürdig erscheinende Idee Edgars stürzt, ist völlig unerwartet für mich - die Idee eines separaten Ortes für Künstler.

»Hat er deinen Kollegen gegenüber diese Idee auch geäußert?«, frage ich Georg, ohne mich umzudrehen.

Seine Bewegungen werden langsamer, weswegen ich ein Augenrollen nicht vermeiden kann. Dass Männer nicht wenigstens so multitaskingfähig sind, dass sie beim Antworten die Penis-Geschwindigkeit halten können, ist unverständlich für mich - beim Autofahren können sie auch alles gleichzeitig bedienen.Ich bekomme keine gesprochene Antwort, aber anhand seiner Hüftbewegung, die offenbar direkt mit seinem Kopf verbunden ist, verneint er durch ein Kopfschütteln.

»Hatte der Edgar wohl einen guten Tag heute«, versuche ich wieder vom Thema abzulenken, da seine Bewegungen immer mehr wirken, wie ein aus dem Rhythmus gekommener Wackeldackel.

Als Georg über einen Scherz von Lena Nöthe lacht, wird mir das erste Mal bewusst, dass ich ihn zuvor noch nie richtig lachen gehört habe. Die Lache erinnert an einen Schuljungen, der sich nicht vorstellen kann, sich jemals für Mädchen zu interessieren.Mit aller Macht versuche ich, das Lachen aus meinem Kopf zu löschen und mich wieder auf sein pochendes Glied zu konzentrieren, welches zu seinem alten Rhythmus gefunden hat und meine Schleimhäute zum Glühen bringt.Doch bevor er mich zum Beben bringen kann, breche ich alles ab. Sein Gelächter und das lausige Interview von Edgar gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich bereue, dass ich nicht einfach Rammstein aufgelegt habe - so wie ich es immer tue.Schnell bringe ich Georg vor die Tür, schlage sie ungehalten zu - das kennt er bereits. In einem Sprint geht es rüber zu meinem Bett und der Nachttischschublade. Wenige Sekunden später surrt es unter meiner Decke und ich stöhne den kompletten Frust aus mir raus - Georgs Lache, Rammstein und besonders Edgar, mit dem ich vorher die möglichen Fragen nicht durchgegangen bin. Ich bin seine Agentin, ich hätte wissen müssen, dass diese Frage gestellt wird. Was mich am meisten daran stört ist, dass ich vorher nicht ahnte, wie dumm seine Antwort werden könnte. Die Überraschung kam mit einem Knall, der durch Georgs Schuljungen-Lache nicht leiser ausfiel.

Georg - Ich weiß, er wird beim Verlassen der Wohnung mein Stöhnen hören, denn mein gekipptes Schlafzimmerfenster richtet sich zur Straße. Das ist mir egal. Georg kann man das Herz nicht brechen, denn er steht auf harten Sex mit mir, ohne Küssen, ohne Lecken und vor allem ohne Blicke.Es dauert einige Zeit, bis ich mich selbst dazu bringen kann, meinen Kopf abzuschalten und mich auf das Happy End einzulassen. Nachdem ich die Nachbeben genossen habe, schlendere ich, mit einer Dose Lachs in Orangen-Senf-Sauce, in mein Büro und tätige den fälligen Anruf.

Hardi Raacke

Nichts ist schwerer als ein gutes Drehbuch zu schreiben. Das liegt nicht daran, dass die Ideen oder das Können fehlen, sondern daran, dass ich sofort an die damit verbundenen Kritiken denke.

Als ich damals Edgar Brandig kennengelernt habe, war ich beeindruckt von seiner Leistung, alles selbst zu machen. Lange habe ich davor Angst gehabt, es ihm nachzutun.Doch wieso sollte man sich als Schauspieler nicht weiterentwickeln dürfen? Wieso sollte es nicht auch bei mir funktionieren? Ideen hatte ich schließlich genug und an Willen und Geld mangelte es ebenfalls nicht. Es hat mich schlussendlich dennoch sehr viel Überwindung gekostet, meine eigene Firma zu gründen.Nun habe ich sie und es läuft ganz gut, doch richtig fühlt es sich immer noch nicht an. Gerne würde ich meinen Horizont erweitern, doch ich muss ans Geld denken. Wer keine finanzielle Freiheit besitzt, wird gleichzeitig auch beim Drehbuch eingeschränkt.

Ich beklage mich nicht gerne, aber es ist nun mal so, dass viele Deutsche die heimische Filmkultur nicht zu schätzen wissen. Das einzige, was wirklich Geld für meine Firma einbringt, und mir ermöglicht, etwas für ein Herzensprojekt anzusparen, sind Komödien. Gleichzeitig werden diese von den Zuschauern immer stärker kritisiert, weil die schauspielerische Leistung nicht stimmt oder man ein Abklatsch ist. Die Menschen befassen sich nicht mit den Unterschieden oder gar dem Hintergrund - sie urteilen ohne Kopf. Dass solche Menschen der Grund sind, wieso ich billige Komödien machen muss, in denen ich mich nicht künstlerisch entfalten kann, sehen sie nicht. Dabei liegt es einfach daran, dass filmische Experimente aus dem eigenen Land nicht angenommen werden. Ich würde massig Geld für Produktionen ausgeben, die ich niemals einspielen kann, weil die Menschheit zu faul ist, sich auf etwas Neues einzulassen.Ich mache Filme, um die Leute in eine andere Welt zu holen - raus aus ihrem Alltag. Doch alles, was die Leute machen, ist meckern. Auf Experimente wollen sie sich nicht einlassen, mit einer Ausnahme - Hollywood. Das frustriert auf Dauer.

So sitze ich vor einem neuen Drehbuch und habe eine klasse Idee im Kopf, die unbedingt raus möchte. Das erste Mal soll es etwas anderes werden, als mein Standard. Und dort wartet das nächste Problem. Es gibt mittlerweile so viele Filme, dass ich jetzt genau schauen muss, was noch nicht vorkam.Alle Augen sind auf mich gerichtet - ich weiß das. Sobald ich etwas benutze, was in einem anderen Film ähnlich stattgefunden hat, habe ich die nächsten Kritiken am Hals - im Sinne, dass ich nicht die Fähigkeit besitze, mir selber etwas auszudenken und es dann doch besser bleiben lassen soll.Viele übersehen dabei, dass Hollywood viel öfter geklaut hat. Wobei - was heißt übersehen? Die Menschen informieren sich nicht. Die Menschen wissen nicht, dass wenn ich eine alte, ursprünglich deutsche Idee aufgreife, welche in Dutzenden von Hollywood-Filmen benutzt wurde, dass ich damit nicht aus Amerika klaue, sondern mich unserer eigenen Kultur bediene. Beispiel gefällig?Jeder kennt die Hollywood-Blockbuster, in denen Zwillinge bei der Geburt getrennt wurden, sich zufällig im Teenageralter begegnen und dann die Rollen tauschen, um ihre Eltern wieder zusammenzubringen. Filme wie Ein Zwilling kommt selten allein oder Eins und Eins macht Vier,laufen im Samstags-Nachmittagsprogramm auf und ab. Jeder weiß sogar, dass entweder Lindsay Lohan oder die Olsen-Twins die Hauptrollen spielen. Doch woher die Idee stammt, weiß kaum einer.Der Erfinder dieser Kerngeschichte stammt aus Deutschland. Erich Kästner heißt der gute Mann, dem dieser grandiose Einfall entsprungen ist. Ein Name, mit dem jeder Deutsche etwas anfangen kann. Sein doppeltes Lottchen war der Anfang dieser Zwillings-Ära.

Befasst man sich nur etwas mit der Geschichte, dann erkennt man ziemlich schnell, dass viele Künstler nur wegen Kriegen geflüchtet sind und ihr Erbgut nun in anderen Teilen der Welt vervielfachen. Wer sich ernsthaft mit Hollywoodstars befasst, dürfte darauf aufmerksam geworden sein, wie viele einen deutschen Ursprung haben.

Ja, Unwissenheit macht Frust - besonders bei Künstlern wie mir!Solche Sachen gehen mir durch den Kopf, bevor ich nur ein Wort des Manuskriptes schreiben kann. So kommt es, dass ich seit geschlagenen drei Tagen untätig in meinem Büro sitze und immer wieder Zettel mit unbrauchbaren Ideen zerknülle und voller Wut zu Boden werfe. Einen Papierkorb habe ich mir nie angeschafft, weil ich den durchgehend verfehlen würde - ich bin ein sehr schlechter Werfer. Mein Büroboden ist übersät mit Papierschneebällen, wie meine Kinder sie liebevoll nennen, durch die ich mir meinen Weg bahne, nachdem mich meine Freundin angerufen hat, um mir mitzuteilen, dass Edgars Premiere in den Nachrichten diskutiert wird. Da ich beim Schnitt kurz einen Teil seines Films ansehen durfte, bin ich umso gespannter was die Presse diesmal kritisiert.

Die Nachrichten werden mehrmals am Tag wiederholt. Meistens sehe ich sie mir um 20 Uhr an, bevor meine Freundin Natalie und ich den Abend mit einer Serie ausklingen lassen. Heute mache ich eine Ausnahme, da mein Frustlevel bereits sein Limit erreicht hat und ich den Anblick von weißem Papier nicht mehr ertrage.

Meine beiden Kinder sind gerade von ihrem Mittagsschlaf aufgewacht, als ich durch die Haustür komme. Freudig springen sie mir entgegen und ich grinse breit, obwohl ich mich nicht danach fühle. Meine Unproduktivität verhagelt mir die Laune. Natalie ist die einzige, die es mir ansieht, weiß wie sie damit umzugehen hat und mich weitestgehend mit Arbeit verschont.

Wir sind schon lange zusammen. Sie ist eine gute Wegbegleitung und die starke Schulter, die ich oft brauche - besonders an solchen Tagen. Ich bin dankbar, sie zu haben und einer der glücklichsten Menschen, weil sie mir diese hinreißenden Kinder geschenkt hat, die mich täglich an das Wichtigste im Leben erinnern - Liebe und Selbstwahrheit. Wenn ich die beiden Kleinen sehe und höre, wie sie mich rufen, erinnere ich mich daran, dass die Arbeit nicht alles ist.

»Würdest du da mitmachen?«, fragt Natalie mich besorgt, nachdem wir die Kinder abends ins Bett gebracht haben und Edgar erneut in den Nachrichten auftaucht.

»Wenn er etwas starten würde, um die Menschen zu belehren, meinst du? Natürlich wäre ich dabei. Er hat Recht! Man wird nicht ernst genommen - nur kritisiert. Versetze dich mal in unsere Lage. Niemand hat den kompletten Film gesehen, dennoch zerreißt ihn jeder anhand von drei Minuten Material, der nur kurz einen Einblick geben soll, damit sich die Menschen entscheiden können, ob sie ihn gucken wollen oder nicht. In den paar Minuten kann man sich kein Urteil bilden, ob das Skript hervorragend ist oder nicht. Niemand weiß, ob alle Gags im Trailer enthalten sind oder nicht. Niemand kann die schauspielerische Leistung anhand von zusammengeschnittenen Fetzen bewerten, aber genau das wird getan.Die Leute sind verseucht von ihrer beschränkten Sichtweise. Es hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, wenn man unwissend etwas wahllos kritisiert, aber genau an dieser Begründung halten sich die Menschen fest, wenn man gegen sie argumentiert.Natürlich darf jeder seine Meinung kundtun, aber ein kluger Mensch urteilt erst, nachdem er das Gesamtwerk gesehen hat und kritisiert nicht nach Sympathien. Das ist in diesem Land verloren gegangen - so sehe ich das!Ich erlebe es bei der Arbeit. Diese ganze scharfe Kritik von Leuten, die dich hassen und andere damit beeinflussen wollen - etwas anderes kann nicht ihr Ziel sein, sonst würden sie uns einfach in Ruhe lassen und sich Dingen widmen, die sie wirklich interessant finden. Diese ganze scharfe Kritik macht mir die Arbeit schwer. Es hat sich in den Jahrhunderten nichts geändert. Künstler haben es immer schwer, weil viel zu viele Leute keine Weltoffenheit besitzen.Was meinst du, wie anders die Welt wäre, wenn sich das ändern würde? Wenn die Menschen endlich begreifen, wie wichtig Kunst für jeden einzelnen ist? Siehe dir doch nur deine alten CDs an. Wie viele Erinnerungen können an einem einzigen Song hängen?Kinder sind anders - begeisterungsfähig. Wann setzt die Zeit ein, wo sich das ändert? Auf einmal braucht man viel Selbstbewusstsein, um mit Stolz zu sagen, was man früher gehört hat. Man fängt an, sich dafür zu rechtfertigen, wieso man eine Musikrichtung hört, die in der eigenen Altersklasse gerade nicht modern ist. Je härter die Gesellschaft arbeitet, desto mehr Ballast muss jeder abladen. Doch die meisten tun es mit unsinniger Kritik, anstatt dankbar für die Kunst zu sein, die es ihnen ermöglicht, für einige Stunden aus ihrer Welt zu fliehen.«

Der ganze Frust fließt förmlich aus mir heraus. Aus Natalies Augen kann ich entnehmen, dass sie meine Meinung versteht, aber dennoch anderer Ansicht ist. Es muss schwer für sie sein, mit einem Künstler zusammen zu leben. Ich bin oft nicht da, arbeite lange oder bin gedanklich abwesend.

Edgars Idee lässt mich auch beim Schlafengehen nicht los. Könnte man die Menschheit umerziehen? Wäre es möglich, dass mit einem künstlerischen Verlust der Wunsch zurückkommt, sich einfach in der Kunst fallen zu lassen, ohne einen hasserfüllten Blick darauf zu werfen? Musik zu einem Lebenssoundtrack zu machen oder einfach abzuschalten, wenn sie einem nicht gefällt? Würde das gehen?

Ich muss mir eingestehen, dass ich mich persönlich nicht trauen würde,diese Art von Test anzuzetteln. Doch würde Edgar den Versuch starten, würde ich ihn unterstützen.Entschlossen greife ich zu meinem Handy und verfasse eine Nachricht an Edgar, in der ich ihm meine Unterstützung beteuere. Die Nachricht wird versendet und während ich beruhigt das Handy zur Seite lege, sehe ich, wie Natalie zu mir rüber schielt.Sie weiß, was ich gemacht habe. Sie kennt mich viel zu gut. Meine Tat ist nicht in ihrem Sinne, das ist mir durchaus bewusst - doch was wäre anders? Sie kennt die Abwesenheit durch meine Drehtage. Sie ist es gewohnt - hat gelernt, damit zu leben. Es geht auch hier um meine Arbeit, das muss sie verstehen und akzeptieren.

Schule

Silvie Erbach schüttet sich den letzten Rest Tee in ihre Tasse, als sie die Nachrichten einschaltet. Um sie herum liegt ein Stapel Papier - Arbeiten von Schülern, die sie noch benoten muss. Als Kunstlehrerin fällt es ihr leicht, die Benotungen während ihrer Lieblingsserie vorzunehmen, die täglich nach den 18-Uhr-Nachrichten läuft.

Lena Nöthe flimmert auf Silvies Fernseher auf und die Themen werden eingespielt. Die meiste Sendezeit gehört Edgar Brandig und der Premiere seines neuen Films.Silvie hält nicht viel von Brandigs Filmen, nicht weil sie nicht gut gemacht sind, sondern weil es nicht ihrem Genre entspricht. Brandig ist ihr zu melancholisch, obwohl es sich stets um Komödien handelt. Sie dagegen ist ein Arthouse-Fanatiker. Der Grund dafür mag ihr Großvater sein, der sie früher in diese Filme mitgenommen hat.

Als Silvie von Brandigs Idee hört, den Menschen auf Probe die Kunst zu entziehen, starrt sie wie gebannt auf den Fernseher.Was würde das für sie bedeuten, wenn man diesen Test wirklich durchführen würde? Besonders für ihren Beruf? Dürfte sie dann nicht mehr unterrichten?

Lena Nöthe macht noch einen kecken Spruch, bevor die Nachrichten sich dem Ende neigen.In Gedanken bleibt Silvie bei Edgar Brandig hängen, dessen Ansicht sie durchaus nachvollziehen kann. Wie scharf Filme, Lieder und Bücher mittlerweile kritisiert werden, ist auch Silvie bereits aufgefallen. Oft packt sie diese Artikel kopfschüttelnd zur Seite und widmet sich wieder den Malereien ihrer Schüler.Die Kunst der Kinder ist so frei und grenzenlos. Obwohl sie immer ein Thema vorgegeben bekommen, gleicht kein Bild dem anderen. Weder von den Farben, Formen, Ideen, noch von der Interpretation. Das Spannende an ihrem Beruf sind eindeutig die präsentierten Ergebnisse. Diese Kunst benoten zu müssen, ist dagegen eine unzumutbare Aufgabe, denn immerhin kann man Kunst nicht mit Noten bewerten. Kunst ist vielfältig und wird durch jedes Auge unterschiedlich betrachtet.Dass Edgar Brandig sich angegriffen fühlt, kann sie sehr gut nachvollziehen. Nichts muss für einen Künstler schlimmer sein, als das Gefühl, dass man sich nicht mal darum bemüht, ihn zu verstehen. Die gekränkten Gesichter der Kinder spiegeln dieses Gefühl wider, sobald ein unfertiges Projekt frühzeitig verurteilt wird.

Während ihre Lieblingsserie läuft und sie die letzten Bilder mit einer Eins benotet, fällt ihr schlagartig ein, wie sie die erste Stunde mit ihrer neuen Klasse einläuten kann, welche sie von einer erkrankten Kollegin über einen längeren Zeitraum übernehmen wird.