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Axel Kruse

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Beschreibung

Migiersdottir, ein Planet am Rim, dem Rand der von der Menschheit erkundeten Galaxie, wurde im Rahmen der ersten Welle der Auswanderung von Terra besiedelt, aber irgendwann brach der Kontakt dorthin ab. Die Bevölkerung von Migiersdottir musste deshalb jahrhundertelang ihren eigenen Weg gehen. Nun, im Zuge eines Krieges, errichtet Terra auf Migiersdottir eine Militärbasis als Stützpunkt für ihre Eroberungspläne. Während draußen im All, weit weg vom Geschehen auf Migiersdottir, die entscheidende Schlacht der Terraner gegen eine Allianz aus nichtmenschlichen Intelligenzen tobt, überlässt man die Soldaten, die zu einem großen teil in den terranischen Dienst gepresst wurden, ihrem Schicksal …

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Axel Kruse

Kürben

(c) 2023 Wurdack Verlag, Nittendorf

www.wurdackverlag.de

Covergestaltung: Ernst Wurdack

Inhaltsverzeichnis
Kürben
Geleitwort
Erster Teil
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
Zweiter Teil
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel

Geleitwort

Thorsten, es ist an der Zeit, dich von deinen Vorurteilen zu befreien.

Nein wirklich, es ist so: Auch ich hege Vorurteile. Beispielsweise über Steuerberater!

Ich habe mich zeit meines Lebens gefragt, wofür sich Menschen begeistern, die Steuerberater werden. Für die Idee von Steuern an sich, oder für die unglaublich komplexen Feinheiten des Steuerrechtes, oder sie beflügelt so eine Art sportlicher Ehrgeiz, ihren Klienten zu einer möglichst hohen Rückzahlung zu verhelfen.

Ich habe geglaubt, Steuerberater müssten den Traum von fernen Welten allenfalls als infantile Vorliebe belächeln, ist er doch weder lukrativ, noch auf dem festen Boden der Realität verankert, ja nicht einmal steuerlich absetzbar. Eine absurde Fantasterei, mit der ein hoch analytischer Zahlenjongleur niemals Zeit vergeuden würde.

Ich lag falsch, müssen Sie wissen, und Axel Kruse hat mich von diesem Vorurteil befreit.

Axel ist nämlich Schriftsteller. Einer der Science Fiction schreibt, Fantastik und mehr. Aber er ist eben auch Steuerberater. Wobei, man kann sich davon selbst ein Bild machen, wenn mal ihm in den sozialen Netzwerken folgt, da seine Kanzlei auch das Atelier eines Raumschiffdesigners sein könnte. Axel baut und sammelt Raumschiffe aus allen literarischen und filmischen Universen und präsentiert sie an seinem Arbeitsplatz in hoch dekorativen Vitrinen. Eine Kanzlei, in der ich mich auf der Stelle wie zuhause fühlen würde. Thorsten mit plattgedrückter Nase in einem Miniaturraumhafen, wo man ihn am wenigsten erwartet.

Immerhin gelingt es Axel Kruse genauso wenig wie schriftstellernden Physikern, seine Profession zu verbergen. Wenn seine Überlegungen hinsichtlich steuerlicher Absetzbarkeit von Raumfahrzeugen auch eher dezent ausfallen und er uns mit komplexeren Details verschont. Sie werden übrigens im Verlauf der nachfolgenden Handlung noch einem weiteren Steuerberater begegnen, der sich plötzlich gezwungen sieht, Ermittlungen nach einer von der Buchhaltung unbemerkten Raumyacht anzustellen.

Worauf ich jedoch hinaus wollte: Axel Kruse lebt in seiner Fantasie in einem selbst erschaffenen Kosmos, der vor Leben wimmelt, vielfältig und multikulturell erblüht, bedauerlicherweise aber auch unter einem hohen Arschlochdurchsatz leidet. Ganz wie die reale Welt. Ich verstehe seine Darstellung einer aus dem Ruder laufenden terranischen Politik durchaus als deutlichen Seitenhieb auf aktuelle politische Entwicklungen.

Ich hatte mittlerweile das Vergnügen, in Dresden gemeinsam mit Axel zu lesen und ihn bei zwei virtuellen Lesungen begrüßen zu dürfen. Unvergessen wird für mich seine Antwort auf die Frage bleiben, welches virtuelle Bühnenbild er sich für seinen Auftritt beim Vierten Virtuellen Literaturcon wünscht. Ein Raumschiff, eine Raumwerft, einen ausgehöhlten Asteroiden?

Nein.

Die bezaubernde Altstadt von Essen-Kettwig.

Kein Wunsch könnte Axel Kruse besser charakterisieren als der, der er ist. Einer, der in vielen Welten zuhause ist. In Vergangenheit oder Zukunft, im interstellaren Raum oder seiner beschaulichen Geburtsstadt, der er in seinem Roman Zeitmaschinen gehen anders ein Denkmal gesetzt hat.

An dieser Stelle möchte ich mich erdreisten, das nachfolgende Werk auch als Plädoyer für die Kurzgeschichte auszulegen, besteht es doch aus einzelnen Episoden, mal Military Science Fiction, mal Space Opera und mal Weltraum-Krimi.

Axel rollt für uns die zukünftige Entwicklung der Menschheit aus. Beginnend mit der Übernahme des Sprungantriebs vom Volk der Kürben über ein bösartig über die gesamte Galaxie streuendes terranisches Großreich bis zum Ursprungsfunken einer galaktischen Föderation, in der Lebensformen aller Art gleichberechtigt existieren. Das alles schafft er im ersten Teil auf gerade mal 102 Seiten. Ich schrieb das vor einiger Zeit schon an anderer Stelle: Axel Kruse hat sich erfolgreich vom Zwang der Mehrhundertseitigkeit befreit. In einzelnen Kapiteln beleuchtet er verschiedene Schauplätze und Zeitabschnitte seines Kruse-Kosmos, lesbar als Epos oder als Kurzgeschichtensammlung. Konsumierbar in kleinen Portionen oder in einem unterhaltsamen Rutsch.

Axel hat nicht nur die Fähigkeit, sich das alles auszudenken, er vermag uns auch mitzunehmen auf seinen Reisen durch den interstellaren Raum.

Nehmen Sie Platz neben seinem Pilotensitz und begleiten sie ihn jetzt über 102 Lichtjahre und eben so viele Seiten in den spannungsreichen Kosmos des Axel Kruse.

Von Essen-Kettwig bis zum äußersten Spiralarm der Milchstraße.

Thorsten Küper

Erster Teil

Die Kürben

1. Kapitel

In Memoriam Murray Leinster

Über ein halbes Jahr, nach irdischen Maßstäben gerechnet, waren wir nun auf Eridani. So hatten wir den Planeten schlussendlich getauft, auch wenn wir uns nicht wirklich sicher waren. Die Entscheidung, die ich getroffen hatte, war mir nicht leicht gefallen, aber sie war die einzig mögliche, einzig richtige gewesen. Die meisten hatten es eingesehen, die meisten von uns und von ihnen. Oft hatte ich an jenen schicksalshaften Abend zurückgedacht, an dem alles begonnen hatte. Hätten wir damals einen anderen Weg eingeschlagen, ich meine damit Andrea und mich, wir hätten niemals …

¯¯¯

»Fass mich nicht an!«, fauchte sie.

Ich schreckte zurück. Nahm meine Hand von ihrer Schulter.

»Ich wollte doch nur …«, stammelte ich. Sie ließ mich nicht ausreden.

»Du, immer nur du!«, schrie sie. »Wie es mir geht, das interessiert dich einen Scheißdreck! Ich habe dir gesagt, dass es aus ist. Akzeptier das endlich!«

Betreten sah ich zur Seite, in den Wald hinein. Den malerischen Sonnenuntergang über dem See blendete ich aus. Von dem hatte ich mir mehr versprochen, zu viel, viel zu viel, wie sich jetzt herausgestellt hatte.

»Lass uns reden«, schlug ich vor.

»Was willst du noch reden?«, antwortete sie. »Wir passen nicht zueinander, das ist mir hier nach der Landung klar geworden.«

»An Bord …«, begann ich und dachte an die anderthalb Jahre, die hinter uns lagen, die wir mal abgesehen von den ersten Wochen des Kennenlernens zusammen als Paar verbracht hatten.

»An Bord warst du der Kapitän«, sagte sie pikiert. »Da habe ich nicht bemerkt, was für eine Lusche du in Wirklichkeit darstellst. Hier am Boden, wo deine Befehlsgewalt nicht mehr existent ist, zeigst du dein wahres Gesicht. – Das ekelt mich an, verstehst du?« Wie eine Furie war sie herumgefahren, jetzt wischte sie sich ihr langes schwarzes Haar aus dem Gesicht. »Lass es gut sein, David«, meinte sie dann in versöhnlicherem Ton. »Es ist aus, ich empfinde nichts mehr für dich, das muss reichen, verstehst du?«

Ich verstand nicht, schüttelte den Kopf. Aber was blieb mir übrig? Ich setzte zu einer Erwiderung an, wollte unser Haus hier auf dem unberührten Planeten anführen, das wir seit nun nicht ganz vier Wochen bewohnten. Wollte …, da ertönte der Knall. Wir zuckten zusammen.

»Was war das?«, fragte Andrea.

»Keine Ahnung«, sagte ich. »Ein Schuss?«

Dann knallte es wieder, irgendwo rechts von uns im Wald.

»Das sind Schüsse«, sagte ich nun bestimmt und zog meine Handfeuerwaffe aus dem Holster. Andrea folgte meinem Beispiel.

»Die Sicherheit?«, meinte sie.

»Bis wir im Lager sind und die alarmiert haben, ist es vielleicht schon zu spät«, sagte ich. »Komm.« Ich wandte mich nach rechts und drang durch das Unterholz in den Wald ein.

Erneut hallte das Geräusch eines Schusses zu uns, gefolgt von einem lauten Gebrüll.

»Ein Ronon«, entfuhr es Andrea.

»Ein verwundeter Ronon«, vervollständigte ich. Wir wussten beide, was das bedeutete. Mir schossen ernste Zweifel daran durch den Kopf, was wir hier gerade vorhatten. Was konnten denn schon unsere lächerlichen kleinen Handfeuerwaffen gegen einen ausgewachsenen Ronon ausrichten? Andererseits war dort wahrscheinlich ein Mitglied unserer Landegruppe in ernster Gefahr, ein Mitglied meiner Crew. Da konnte ich schlecht klein beigeben und zum befestigten Lager zurückkehren. Mal ganz abgesehen davon, welchen Eindruck ich bei Andrea hinterlassen hätte.

Mir blieb nichts anderes übrig, als den Helden zu spielen, der ich nicht wirklich war. Wahrscheinlich wusste sie das auch und noch wahrscheinlicher: Ich konnte hier machen, was ich wollte, keine meiner Entscheidungen würde etwas an ihrer gefassten Meinung, was unsere Beziehung anging, ändern. – Schon komisch, mit was für Gedanken ich mich beschäftigte, während wir durch den Wald hasteten.

Wir hatten kaum Zeit, uns zu orientieren, als wir auf die Lichtung traten. Vor uns, in ungefähr zweihundert Meter Entfernung, war der Fluss, der unseren See speiste. Die Lichtung selbst maß in der Länge mindestens einen Kilometer, wobei sich an beiden Seiten der Wald halbmondförmig fast bis an den Fluss heran erstreckte.

Links von uns, nicht ganz hundert Meter weit weg, stand der Ronon in seiner ganzen Pracht. Ein wahrer Koloss. Der Körper brachte gut und gerne an die siebenhundert Kilogramm auf die Waage, die sechs Beine waren zum Sprung angewinkelt. Jetzt sah ich, dass aus seiner Brust Blut spritzte. Dieses leicht ins violette gehende Blut, das für die Fauna dieses Planeten so typisch war. Ich rannte los, auf das Geschehen zu. Wollte ich mit meiner Handfeuerwaffe einen sicheren Schuss abgeben, musste ich näher ran.

Der Ronon schüttelte seinen Kopf, wandte sich uns zu und ließ von seinem Opfer ab. Er musste sich entscheiden, ob wir eine Bedrohung waren, oder er zuerst sein ursprüngliches Ziel verfolgen und sich danach mit uns abgeben sollte.

Sein Ziel, sein Opfer …

Erneut ertönte ein Schuss. Der Ronon wurde getroffen, mitten in die Brust. Der Schütze hatte keine Ahnung, das wurde uns sofort klar, sonst hätte er die Muskelpartien der Beine als Ziel gewählt. Ich blieb stehen, versuchte meinen Atem unter Kontrolle zu bringen und hob die Waffe, zielte und gab zwei Schüsse ab. Ich hatte Glück, einer ging zwar fehl, aber der andere traf die Muskelpartie des linken Vorderbeins. Andrea nahm eines der anderen Beine unter Beschuss.

Der Ronon knickte weg. Zwei seiner Beine waren nicht mehr zu gebrauchen, in das dritte auf unserer Seite schlugen nun unsere Kugeln ein.

Das Fass, anders konnte ich die Gestalt nicht beschreiben, schien verstanden zu haben. Es hob seine Waffe und schoss auf das rechte Vorderbein, der Ronon hatte keine Chance mehr, er würde sich nicht mehr erheben, nicht mehr jagen gehen.

Langsam ging ich auf das immer noch gefährliche Raubtier zu. Es lag jetzt auf der Seite, den Rücken uns zugewandt und schlug mit den beiden unverletzten Beinen wild in die Luft. Dabei brüllte es lauthals.

Gemessenen Schrittes hatte ich es nunmehr erreicht, richtete meine Waffe auf das fast in Griffweite befindliche Ohr des Tieres und gab gezielt fünf Schüsse hintereinander ab. Aus dieser Entfernung konnte ich mein Ziel nicht verfehlen. Die Projektile drangen durch den Gehörgang in das Gehirn des Raubtieres ein und töteten es. Die beiden unverletzten Beine brauchten ihre Zeit, bis sie das mitbekommen hatten, dann erschlaffte die Bewegung und hörte vollständig auf. Der Kadaver zuckte nicht mehr. Ich steckte meine Waffe in das Holster.

Andrea stand seitlich versetzt hinter mir. So hatten wir es gelernt, wir waren durch eine harte Schule gegangen. Nur so hatte sie die Möglichkeit, mir Deckung zu geben, ohne dass ich mich in ihrem Schussfeld befand. Sie zielte auf das Fass.

Ich winkte ihr zu, bedeutete ihr, dass sie ihre Waffe auch einstecken sollte, allein … sie tat es nicht.

Ich ging um den Kopf des toten Monstrums herum, direkt auf das Fass zu. Der Rumpf war gräulich …, nein, an manchen Stellen eher braun. Die Haut wirkte ledrig. Es war gut und gerne sieben Meter hoch. Am oberen Ende wölbte sich der Körper zu einer Art Halbkugel. Um die Körpermitte hatte es mehrere Auswüchse, sechs an der Zahl, die mich an Tentakel erinnerten. Einer dieser Auswüchse hielt einen unverkennbar als Waffe zu identifizierenden Gegenstand, den er jetzt, mit einer fast schon theatralisch zu nennenden Geste, in das Holster steckte, das an seinem Gürtel befestigt war. Gleichzeitig fuhr es seine Beine aus.

Anders konnte ich es nicht nennen. Dieses Fass hatte bislang auf der Erde gestanden, jetzt schob es vier Säulen aus dem unteren Ende des Körpers und hob diesen damit langsam in die Höhe. Es sah so aus, wie ein Kolben, der hydraulisch herausgedrückt wurde. Das Wesen gewann damit noch einmal mindestens einen Meter an Höhe.

Die Schädeldecke, ich hatte mich dazu entschieden die Halbkugel am oberen Ende des Körpers so zu bezeichnen, vibrierte plötzlich. Gleichzeitig ertönten Laute, die ich nicht zu deuten wusste. Das Wesen versuchte zu kommunizieren.

»Steck die Waffe weg«, herrschte ich Andrea an. Jetzt, nachdem das Fass seine Waffe inaktiv am Gürtel trug, folgte sie, wenn auch nur zögerlich, meiner Anweisung.

¯¯¯

Wir machten uns auf den Weg ins Lager und bedeuteten dem Fass mit Gesten, uns zu folgen. Obwohl wir neben den Tentakeln keine weiteren Sinnesorgane wahrnehmen konnten, hatte es uns wohl verstanden und stapfte hinterher.

Die säulenartigen, schweren Beine wirbelten geradezu im Kreis, wenn es sich bewegte. Es hatte sie jetzt voll ausgefahren, rund drei Meter trennten den Körper vom Boden. Das Wesen hatte eine eigenartige Form sich fortzubewegen. Es rotierte mit jedem Schritt, den es machte, um sich selbst, verfolgte dabei aber eine gerade Linie. Mir schien, dass, wenn es denn gewollt hätte, diese Bewegung auch sehr viel schneller vonstattengegangen wäre. Vermutlich hätte es uns mühelos stehen lassen und davon rennen können.

Etwa eine halbe Stunde später erreichten wir unser Lager. Wir standen vor dem Palisadenzaun, den wir um den Landeplatz unseres Schiffes aus roh behauenen Baumstämmen errichtet hatten. Unsere kleine Trutzburg, wie wir sie nannten. Diese Palisaden reichten rings um die Behausungen und damit auch um unser Schiff. Ein Wall mit einer Länge von 1,2 Kilometer und einer Breite von fünfhundert Metern. Davor waren noch oben angespitzte dünnere Stämme schräg in den Boden gerammt um so die angriffslustige Fauna Eridanis davon abzuhalten, unser Lager und unser Schiff zu überrennen. Bislang hatte das ganz gut funktioniert.

Fast hundert Menschen, siebenundneunzig um genau zu sein, lebten nun hier. Auf dem innerhalb der Palisade angelegten Friedhof lag Mahada Bokalong, einer unserer führenden Botaniker und das einzige Besatzungsmitglied, das während unserer Reise den Tod gefunden hatte. Blinddarmdurchbruch, ganz profan und aus unerfindlichen Gründen nicht erkannt, bis es für ihn zu spät gewesen war. Da hatten wir an Bord der Murray Leinster die neueste Technik, einen fulminanten Operationssaal und ein Team von wirklich brillanten Ärzten und einer unserer Leute starb an einem Blinddarmdurchbruch und das schon während unseres gut anderthalb Jahre dauernden Fluges. Hier auf Eridani hatten wir ihn dann beerdigt. Auf dem Planeten, den wir mehr durch Zufall als durch unser Zutun entdeckten. Den Planeten, den wir nun für den Konzern in Besitz genommen hatten. Und was stellte eine bessere Inbesitznahme dar als das Anlegen eines Friedhofs?

Das Tor zum Lager war bereits verschlossen gewesen, als wir aufbrachen. Deshalb schlugen wir nun mit dem dazu an einem Seil hängenden Knüppel auf die daneben angebrachte Blechdose. Ein wenig theatralisch, hätten wir doch auch unsere Kommunikatoren nutzen können, aber es schien uns passend.

Wir hatten lange darüber diskutiert, ob nicht eine Meldung über Kom sinnvoller wäre, uns dann aber für die archaische Variante entschieden. Vor allem wohl auch deswegen, weil niemand sicher sein konnte, nicht gegebenenfalls ohne Kommunikator vor der verschlossenen Tür zu stehen, und sich irgendwie bemerkbar machen musste.

Wenig später wurde uns das Tor geöffnet.

Allerdings bewegte sich zuerst nur die Sichtluke im Tor. Das Licht einer Lampe blendete mich.

»Nimm das Ding weg«, knurrte ich.

Der Lichtstrahl wanderte zu Andrea und erfasste dann übergangslos das Fass.

»Was ist das?« Anhand der Stimme konnte ich nun auch mein Gegenüber identifizieren: Helmuth von Sira, der Chef der Sicherheit, hatte sich als Empfangskomitee zum Tor bemüht.

»Lass uns rein, Helmuth«, sagte ich müde, wohl wissend, dass es nicht so einfach sein würde.

»Was ist das?«, wiederholte er seine Frage.

»Das«, fuhr Andrea dazwischen, »ist ein Wesen, das mehr in seinem Schädel hat, als du zwischen deinen Ohren.«

»Helmuth, das ist ein Erstkontakt. Eine Begegnung mit einem denkenden Wesen. Mach endlich das Tor auf.«

Wir standen noch geschlagene fünf Minuten da, diskutierten mit ihm und erreichten schlussendlich, dass er das Tor öffnete. Er bestand jedoch darauf, vorher noch drei weitere Sicherheitsleute herbeizuholen, die, ihre Waffen im Anschlag, das Fass misstrauisch beäugten.

Dem Wesen war nichts anzumerken. Seine Tentakel bewegten sich nach wie vor genauso häufig wie bislang. Die Waffe steckte im Holster, es machte keine Anstrengung, sie zu ziehen.

Eine mehr als merkwürdige Situation. Wir zeigten uns nicht gerade von unserer besten Seite. Helmuth zitierte die Konzernvorschriften und handelte danach. Ein noch so geringes Abweichen kam für ihn nicht in Frage.

Glücklicherweise schien das Fass Verständnis für uns und unsere Handlungen aufzubringen. Vielleicht deswegen, weil wir ihm vorhin geholfen hatten.

Aller Anfang war schwer.

Dass es so schwer werden würde, war mir nicht klar gewesen.

Wir brauchten fast fünf Monate, um eine rudimentäre Verständigung aufzubauen.

Fünf Monate, in denen viel geschah.

Unser Fass hatte Kontakt zu seinen Leuten aufgenommen. Es hatte einen Kommunikator mit beschränkter Reichweite, integriert in seiner Waffe. Es hatte gedauert, bis seine Leute ihn empfangen konnten.

Wie wir später erfuhren, war unser Freund auf einer Erkundungsmission mit seinem Shuttle abgestürzt. Seine Begleiter waren ums Leben gekommen, er hatte sich aufgemacht, um zu Fuß wieder zu ihrem Basislager zu kommen, das sich rund eintausend Kilometer entfernt an der Küste des Ozeans befand. Was er sich davon versprochen hatte und warum er nicht lieber bei dem Wrack des Shuttles geblieben war, erschloss sich mir nicht.

»Seine Leute können hier nicht landen«, sagte Helmuth. »Sie haben keine Antigravtechnik. So viel haben wir mittlerweile verstanden.«

»Das Programm steht?«, fragte ich nach.

Er nickte. »Die Wissenschaftler haben es geschafft, eine Verbindung zwischen seinem Kommunikator und unseren Computern herzustellen. Frag mich nicht, wie sie es gemacht haben, aber es funktioniert.«

»Dann will ich mal«, sagte ich und erhob mich aus meinem Stuhl. Ich hatte durchgesetzt, dass es mir als Kapitän des Schiffes oblag, die ersten Worte mit unserem Freund zu tauschen. Auch wenn es nicht wirklich die ersten waren, die zwischen Menschen und diesen Wesen gewechselt wurden, so sollten es doch zumindest die ersten offiziellen sein.

»Einen Moment noch«, Helmuth hielt mich zurück. »Kein Wort über die Position der Erde!«, sagte er eindrücklich.

»Du hast Sorgen«, entgegnete ich.

»David, ich muss darauf bestehen. Direktive ASTROMINC 5-487-543. Die Position der Erde darf außerirdischen nichtmenschlichen Intelligenzen nicht bekanntgegeben werden.«

»Als ob ich das vorhätte«, sagte ich.

»David es ist schon schlimm genug, dass wir hier auf diesem Planeten in Konkurrenz treten. Stell dir das Problem vor, wenn sie erfahren, wo es überall von uns besiedelte Planeten gibt.«

»Stell dich nicht so an«, sagte ich. »Die Erde ist mehr als ein Jahr Reisezeit entfernt von hier, wenn wir ohne Aufenthalt Sprung für Sprung vornehmen. Der nächste von uns besiedelte Planet fast genauso weit. Was sollten die mit der Information schon anfangen?«

»Das ist alles relativ.«

Ich zuckte zusammen, Andrea hatte – von mir unbemerkt – den Raum betreten.

»Die Erde ist da oben, gerade mal 10,5 Lichtjahre entfernt.«

»Das wissen wir nicht mit Bestimmtheit, außerdem ist es egal weil keine direkte Sprungpunktverbindung existiert«, entgegnete ich.

»Es ist schon recht wahrscheinlich«, meinte sie. »Fast 99% Übereinstimmung der Sternpositionen haben unsere Comps berechnet. Deshalb tauften wir den Planeten auch Eridani, du erinnerst dich?«, fragte sie spöttisch.

Ich nickte. Ja, es bestand eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass einer der Sterne da oben am Himmel tatsächlich die heimische Sonne war, aber was brachte uns das schon? Die Sternsysteme waren mit Sprungketten untereinander verbunden, die regelmäßig im Asteroidengürtel des jeweiligen Systems zu finden waren. Nur durch diese und damit durch für uns willkürlich erscheinende Sprünge konnten wir uns durch die Galaxis bewegen. Das geschah beim besten Willen nicht linear.

Die Sprungpunkte verbanden zwar immer feste stetige Verbindungen, wir waren allerdings bislang nicht dazu in der Lage gewesen zu sagen, wie weit die jeweiligen Sprünge wirklich waren. Fakt war, dass sie niemals in Nachbarsysteme führten. Manche Wissenschaftler nahmen sogar an, dass ein Sprung durchaus die halbe Galaxis durchqueren konnte, während einen der folgende wieder um ein Viertel in eine andere Richtung schickte.

Nun hatten wir, nach anderthalb Jahren Reisezeit, ungezählten Sprüngen und vielen Aufenthalten zwecks Explorationen ein System entdeckt, das mit zumindest 99% Wahrscheinlichkeit in physischer Nähe zu unserem Heimatsystem lag.

»David, du verkennst die Sachlage. Wir haben ein Problem«, meinte Andrea.

Hatte ich mir das gerade nur eingebildet oder hatte sie mit ihrer Hand tatsächlich über Helmuths Schulter gestrichen?

Ich sah sie auffordernd an.

»Die Fässer beherrschen die Antigravtechnik nicht«, hub sie an.

Nun, das war mir bekannt, aus diesem Grund konnten sie hier, mitten im Urwald von Eridani, nicht landen, so wie wir es mit unserem Schiff getan hatten.

»Dafür haben sie es nicht nötig, die Sprungpunkte zu benutzen, ja sie wissen nicht einmal, dass es sie gibt. Sie sind dazu in der Lage übergangslos zu springen!« Sie ließ ihre Worte geradezu im Raum stehen.

Helmuth nickte dazu, er wusste es bereits. Nur ich als Kapitän war anscheinend nicht informiert worden.

»Sie wollen die Technologie tauschen, das hat euer Freund schon zu verstehen gegeben«, merkte Helmuth an.

»Die Technologie tauschen«, flüsterte ich völlig überrascht. »Wir könnten mit einem Sprung wieder zu Hause sein«, fügte ich ein wenig dämlich an und sprach damit einen Allgemeinplatz aus.

»Das ist verführerisch, ich weiß«, Andrea machte eine Kunstpause. »Wir können es aber nicht verantworten, dass sie uns folgen. Wir können die Position der Erde nicht so einfach preisgeben.«

»Wer sagt denn, dass sie uns folgen, dass sie überhaupt ein Interesse daran haben zu wissen, wo unser Heimatsystem liegt?«, entgegnete ich.

»Du bist ein unverbesserlicher Gutmensch«, fuhr sie mich an.

»Selbst die Pflanzen auf Terra führen einen unerbittlichen Krieg gegeneinander, nehmen sich gegenseitig das Licht und die Nährstoffe weg, das ist der Natur so vorgegeben, liegt in den Genen. Sie müssen einfach wissen, wo wir sitzen, wir sind Konkurrenten!« Helmuth kam sich ganz groß vor mit seiner Argumentation.

»Wer sagt denn, dass es auch in ihren Genen so ist?«, wagte ich gegenzuhalten.

»Du liest einfach zu viele von deinen Science Fiction Romanen«, schleuderte mir Andrea entgegen. Das klang fast hasserfüllt, waren wir schon so weit? »Ist es nicht auch damals auf deinem Mist gewachsen, das Schiff nach diesem uralten, vergessenen Schriftsteller zu benennen?«

Sollte ich jetzt antworten, dass ihr im Gegenzug vielleicht auch mal ein Buch guttun würde? Ich unterließ es, gab klein bei, um es nicht zu einem offenen verbalen Konflikt kommen zu lassen. Aber sie hatte mich auf eine Idee gebracht.

»Wir brauchen diese Technologie«, stellte ich fest.

Beide nickten.

»Sie wollen unsere.«

Dieselbe zustimmende Geste folgte.

»Habt ihr mit ihnen über eure Vorbehalte gesprochen?«

Sie sahen mich entgeistert an. Auf die Idee schienen sie nicht gekommen zu sein.

¯¯¯

Abends gelang mir dann doch noch ein Gespräch mit Andrea unter vier Augen.

»Wir werden bald wieder zu Hause sein«, stieg ich in die Aussprache ein.

»Wie willst du es denn schaffen, ihnen den Antrieb abzuluchsen?«, fragte sie.

»Indem ich ihnen gebe, was sie haben wollen«, entgegnete ich.

»Und wie …«

Ich unterbrach sie. »Andrea, meinst du nicht, wir sollten uns noch einmal eine Chance geben? Es ist doch nichts vorgefallen, ich meine …«, sie sah mich mit diesem mitleidigen Blick an.

»David«, begann sie. »Mach es uns doch nicht so schwer. Du bist kein schlechter Typ, aber eben auch nicht mehr mein Alphamännchen. Das ist genetisch bedingt, nach einer gewissen Zeit sind wir Frauen einfach genetisch gezwungen, uns anderweitig umzusehen. Um Inzucht unter den Nachkommen zu vermeiden, verstehst du? Ihr Männer seid andererseits genetisch programmiert möglichst viele Nachkommen mit verschiedenen Frauen zu zeugen. Du bist mittlerweile wie ein Bruder für mich, verstehst du?«

»Wir haben keine Kinder«, hielt ich ihr entgegen. »Außerdem ist die menschliche Population mittlerweile groß genug, um es auszuhalten, dass Männer und Frauen nicht ständig neue Partnerschaften eingehen.«

»Das sagt dir deine Ratio, deine Gene sagen etwas anderes«, war das Einzige, was sie dazu meinte.

»Du und Helmuth?«, fragte ich.

»Vielleicht«, antwortete sie.

»Du gibst uns keine Chance mehr?«

Sie kam zu mir, strich mir mit den Fingern durch das Haar. »Du bist wie ein Bruder für mich, reicht das als Antwort?«, fragte sie. »Um wieder mein Alpha-Männchen zu werden, musst du dich schon anstrengen.«

Wollte ich das überhaupt noch? Was würde sie sagen, wenn ich die Lösung für unser Problem mit den Fässern hatte? Es würde nicht einfach werden, und Hilfe konnte ich dabei kaum von Seiten der Anderen erwarten.

¯¯¯

So blieb es an mir hängen.

Es kostete einiges an Überwindung, sowohl auf unserer als auch auf ihrer Seite. Wie es schien, hatten Helmuth und Andrea durchaus recht gehabt mit ihrer Befürchtung. Die Fässer interessierten sich durchaus für die Lage unserer Sterne, wie sie sich ausdrückten. Andererseits verstanden sie, dass wir damit nicht rausrücken wollten.

Es kostete auch Zeit, verdammt viel Zeit. Wir mussten unser Schiff umrüsten, die Voraussetzungen dafür schaffen, ihre Technologie einzubauen, sie mussten ihr Schiff vorbereiten, wir auch.

Diese Vorbereitungen waren das Schlimmste, was ich meinen Leuten verkaufen musste. Bei Andrea war ich vollends unten durch, sie hielt es mit der Doktrin des Konzerns, vertreten vom Sicherheitschef. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, wir hätten uns mit Gewalt von den Fässern genommen, was wir auch so bekommen konnten. Glücklicherweise sahen die meisten von uns das aber so wie ich.

Wir rissen alles, aber auch alles aus der Murray Leinster heraus, was auch nur den kleinsten Hinweis auf das Sol-System geben konnte. Wir löschten die Computer, überschrieben die Festplatten, immer wieder. Wir versuchten selber, die ursprünglich gelöschten Daten wieder herzustellen. Nur da, wo wir sicher waren, dass das unmöglich geworden war, gaben wir uns zufrieden. Zu guter Letzt rissen wir alle Sensorenbänke heraus, die es uns ermöglichten Scans durchzuführen, wir machten selbst vor den optischen Sensoren keinen Halt.

Sie machten dasselbe. Es würde nicht einfach werden, mit diesen Schiffen zu navigieren. Aber nur so konnten wir uns vertrauen.

Dann kam der Tag des Abschieds.

Ich schüttelte unserem Fass zum Abschied den Tentakel mit meiner Hand, dann stiegen wir in das Schiff der Fässer und sie in das unsere.

Der eine Sprung, der uns direkt nach Hause brachte, war nun möglich geworden. Ich brachte die Technologie mit, die wir brauchten und gleichzeitig die Gewissheit, dass es da draußen anderes intelligentes Leben gab. Wo? Keine Ahnung, das war der Preis für unsere Sicherheit.

2. Kapitel

Stella

»Hier bist du also, hatte ich mir es doch gedacht.«

Ich fuhr herum, sie hatte mich aus den Gedanken gerissen.

»Darf ich nicht hier sein?«, fragte ich zurück.

Sie zuckte mit den Achseln. »Teuer genug war das Zimmer ja«, meinte sie dann abfällig. »Nutzen müssen wir es also. Ich kann trotzdem nicht verstehen, warum du dich hier aufhältst.«

»Mach doch die Tür zu, das Licht stört und außerdem kostet es Energie die Verbindung aufrechtzuerhalten, wo du doch so auf die Kosten bedacht bist.«

Sie knallte die Tür zu und schaltete, nur um mich zu ärgern, das Licht an.

Sofort wirbelte der Karasa herum, schlug mit der großen Schwanzflosse und verschwand, tauchte einfach ab.

Wütend fuhr ich zu meiner Frau herum. »Das hast du extra gemacht!«, schrie ich sie an.

»Wenn ich noch nicht mal in meinem Zimmer Licht anschalten darf …«, entgegnete sie.

»Das ist genauso gut mein Zimmer«, gab ich zurück.

»Wer bringt denn das Geld nach Hause?«, fragte sie schnippisch.

Jetzt hatte sie mich da, wo sie mich haben wollte. Was sollte ich darauf antworten? Seit anderthalb Jahren war ich nun arbeitslos, meine Reserven waren längst im gemeinsamen Haushalt aufgebraucht worden. Jetzt lebten wir von ihrem Geld, und wenn man es ganz genau nahm, hatte sie tatsächlich das Zimmer bezahlt.

Ich hatte es ausgesucht, ihr so lange damit in den Ohren gelegen, bis sie zugestimmt und es gekauft hatte.

Ich hätte es vorher wissen müssen. Es wäre besser gewesen, wenn wir es nicht gekauft hätten. Es war wohl von ihrer Seite aus der Versuch gewesen, unsere Beziehung zu kitten, was, wie jetzt wieder zum Vorschein kam, nicht wirklich gelungen war.

»In Ordnung«, sagte ich. »Wie viel Verlust machen wir, wenn wir es wieder verkaufen?«

Sie starrte mich an, starrte dann an mir vorbei und versuchte in Stellas Ozean, der direkt hinter der Scheibe begann, etwas auszumachen, auf das sie ihren Blick fixieren konnte. Was ihr schlechterdings misslang, da durch das beleuchtete Zimmer nur eine dunkle Wand hinter der Scheibe auszumachen war.

»Du willst dich trennen?«, fragte sie dann unvermittelt.

»Weiß ich nicht«, antwortete ich. »Was meinst du denn?«

Das brachte das Fass vollends zum Überlaufen. Ich hätte diplomatischer sein sollen. Aber ich wusste es wirklich nicht, wusste nicht, was ich wollte.

»Ah, der Herr ist auch noch zu feige, eine Entscheidung zu treffen. Das soll ich also auf meine Kappe nehmen, ja? Damit du hinterher sagen kannst: Du hast es so gewollt! – Ich …« Sie wurde durch das plötzlich verlöschende Licht in ihrem Redefluss gestoppt.

»Was hast du gemacht?«, fuhr sie mich an.

»Ich? Nichts«, antwortete ich, fühlte mich aber verpflichtet mich noch weiter zu rechtfertigen. »Ich habe der KI keinen Befehl gegeben, und der manuelle Schalter ist da hinten neben der Tür.« Ich deutete zum Eingang, durch den sie vorhin gekommen war.

»Lucy«, sagte sie, »Licht an.«

Wir warteten beide eine geschlagene Ewigkeit, bis uns klar wurde, dass keine Reaktion erfolgte.

»Lucy«, rief ich. »Statusbericht.«

»Die ist abgestürzt«, war der Kommentar meiner Frau.

Mittlerweile hatten sich meine Augen wieder an das Halbdunkel gewöhnt. Das wenige Licht, das aus dem Ozean zu uns hereindrang, tauchte das Zimmer in ein märchenhaftes Dämmerlicht. Draußen vor der Scheibe konnte ich einen Schatten ausmachen, einen großen Schatten.

»Der Karasa …«, stammelte ich.

»Hast du keine anderen Sorgen?«, fuhr sie mich an. »Der Fisch interessiert doch jetzt wirklich nicht.«

Mir lag auf der Zunge, sie darauf hinzuweisen, dass es keine Fische in Stellas Ozean gab, aber ich gab dem Impuls nicht nach. Was hätte es auch gebracht? Und außerdem …

»Der ist viel zu nah«, flüsterte ich. »Der ist ja schon fast an der Scheibe.«

»Der kann nicht an die Scheibe, der Energievorhang …«, sie biss sich auf die Lippe, jetzt sah sie es auch.

Ich sprang aus dem Sessel hoch. »Die Energie ist ausgefallen. Nicht nur das Licht und die KI. Wir müssen …« Entsetzt blickte ich zur Scheibe. Der Karasa schlug mit seiner großen Schwanzflosse und traf seitlich, zu unserem Glück nur seitlich.

Panikerfüllt sah ich den Riss in dem eigentlich druckfesten Material, der sich langsam aber stetig vom Aufschlagpunkt in zwei Richtungen ausdehnte.

Ich rannte zur Tür und riss sie auf. Meine Frau stand wie paralysiert noch immer an Ort und Stelle.

Vor mir war Fels, nackter Fels. Kein Durchgang zum Flur unserer Wohnung. Keine Möglichkeit unsere eineinhalb Zimmerwohnung auf Terra zu erreichen, geschweige denn die drei anderen Zimmer auf den Kolonialwelten, die wir uns mittlerweile geleistet hatten.

Ich wirbelte herum. »Die Sprungpunktverbindung ist auch kollabiert«, schrie ich sie an.

»Wir müssen hier raus!«, sie hatte sich gefasst, hatte sich von der Scheibe abgewandt und sah den Riss nicht mehr, der soeben sowohl Boden als auch Decke erreicht hatte. »Der Notausgang, schnell.«

Sie hatte recht. Wir mussten hier raus. Der Notausgang, etwas anderes blieb uns nicht übrig. Ich wollte schon Lucy den Befehl geben, die Leiter herunterzulassen, dann fiel mir ein, dass unsere KI nicht mehr vorhanden war.

Technik, fluchte ich in Gedanken. Dann öffnete ich die Klappe an der rückwärtigen Wand, ergriff die Handkurbel und drehte sie, was das Zeug hielt. Die Leiter senkte sich langsam in der Mitte des Zimmers herab.

Es kam mir unendlich lange vor, bis das untere Ende den Boden erreichte.

Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass am oberen Ende der Scheibe, exakt da, wo sie in den Rahmen überging, Wasser eindrang. Ein kleiner Wasserfall spritzte ungefähr dreißig Zentimeter weit in das Zimmer herein. Dabei war der Strahl nicht dick, nicht einmal fingerbreit, aber alleine in der kurzen Zeit, in der ich ihn beobachtete, nahm er sichtbar an Intensität zu.

»Los, rauf«, schrie ich meine Frau an.

Sie schüttelte den Kopf. »Du zuerst«, meinte sie. »Wer weiß, ob ich die Luke oben überhaupt öffnen kann.«

Ohne auch nur noch ein Wort in Richtung meiner doch immer auf Emanzipation wert legenden Frau zu verschwenden, ergriff ich die Leitersprossen und begann damit, die rund fünfzig Meter zu erklimmen, die uns vom Ausgang trennten.

Unter mir hörte ich, wie Manon mir folgte.

Der Schacht war eng und dunkel. Auch hier war das Licht ausgefallen, selbst die Notstromversorgung hatte versagt. – Nun, wäre sie noch vorhanden gewesen, dann hätte sie auch das Zimmer mit Energie versorgt. Was erwartete ich also hier?

Unvermittelt stieß ich mit dem Kopf gegen die Decke. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich das obere Ende der Leiter erreicht hatte.

Fast hätte ich aufgrund des Schmerzes, der nun in meinem Schädel tobte, den Halt verloren. Krampfhaft hielt ich mich fest.

Manon hatte mich erreicht. »Bist du oben?«, fragte sie. Ohne auf eine Antwort zu warten, fügte sie noch an: »Mach schnell, das Wasser kommt.«

Jetzt vernahm ich auch das Gurgeln. Wie weit war es bereits gestiegen? Dass das Zimmer mittlerweile überflutet sein musste, ja die Wassersäule sich bereits im Schacht nach oben drückte, war mir soeben klar geworden.

Irrationale Gedanken schwirrten durch meinen Kopf. Was würde geschehen, wenn just in diesem Augenblick die Energie wieder vorhanden wäre?

Wir hatten die Tür zum Flur offen stehen lassen. Würde sich das Wasser in unsere Wohnung ergießen? Über Lichtjahre hinweg, durch den Sprungpunkt transportiert?

Ich schüttelte meinen Kopf, um wieder eine klare Birne zu bekommen. Ich hatte vordringlichere Probleme.

Mit meiner Hand tastete ich die Decke über mir ab. Da waren Schalter. Blind drückte ich darauf herum. Aber was hatte ich erwartet? Es erfolgte keine Reaktion. Jetzt fühlte ich ein Rad, ein großes Rad. Es nahm fast den gesamten Durchmesser des Schachts ein. Das musste es sein! Ich begann, es zu drehen.

Der Anfang war schwer, dann ging es immer leichter, ich wirbelte es herum. Ein Luftzug bestätigte mich in meinem Vorgehen, die Luke begann sich zu öffnen.

Meine Füße wurden nass, ich merkte wie sich Manon an meinen Beinen vorbei ein paar Sprossen nach oben zog. Das Wasser hatte uns erreicht.

Die Luke klappte zur Seite weg. Sonnenschein blendete meine Augen. Ich kletterte den letzten Meter nach oben und warf mich geradezu aus dem Schacht heraus. Manon folgte.

Wir müssen ein jämmerliches Bild abgegeben haben. Nebeneinander liegend, unter uns nackter Fels, über uns eine brütend heiße Sonne, deren Licht etwas zu orange war. Vor uns, gerade mal fünf Meter entfernt, das Meer, dessen Wellen gegen die kleine Steilkante schlugen.

Irgendwann stand ich auf, ging zum Schacht und blickte hinein.

Das Wasser stand etwa einen Meter unterhalb im Schacht. Kommunizierende Röhren, klar. Es konnte nicht höher steigen als der Meeresspiegel. Wir hätten uns mit dem letzten Meter Zeit lassen können.

Manon war mittlerweile ebenfalls aufgestanden. Sie war völlig durchnässt. Mir hatte das Wasser lediglich bis zu den Knien gestanden.

»Wie konnte das passieren?«, fragte sie und durchbrach damit die Stille, die uns hier umgab.

»Keine Ahnung. Totaler Energieverlust. Alle redundanten Sicherheitssysteme sind gleichzeitig ausgefallen. Dürfte nicht geschehen.«

»Scheiße, und das bei dem Preis«, entfuhr es ihr. »Wir müssen reklamieren!«

Ich sah sie an, meinte sie das jetzt ernst? Dann bemerkte ich dieses Aufleuchten in ihren Augen. Sie lachte lauthals los und ich stimmte ein.

»Was machen wir jetzt?«, fragte sie dann.

Ich sah mich um. Vor uns war das Meer, eine endlose Weite. Nach rechts und links erstreckte sich das Felsplateau. Ich drehte mich um. In ungefähr einhundert Meter Entfernung erblickte ich eine grüne Wand. Ein Wald, der sich soweit das Auge reichte in beide Richtungen hinzog .

»Es muss Nachbarn geben«, meinte ich. »Wir sind nicht die einzigen gewesen, die sich hier ein Zimmer gekauft haben. Dort können wir wieder zurück nach Hause.«

»Welche Richtung?«, fragte meine Frau.

Beide Seiten schienen gleich. Ich konnte nichts erkennen. Krampfhaft versuchte ich mich an den Prospekt zu erinnern. Unser Zimmer hatte die Option beinhaltet auf der Oberfläche anzubauen und einen parkähnlichen Garten zu errichten. Dafür war eine Fläche von …? Ich wusste es nicht mehr. Auf jeden Fall war eine größere Fläche zur Erschließung reserviert worden.

Wenn etwas auf diesen Kolonialplaneten vorhanden war, dann war es Platz.

Der nächste Nachbar konnte demnach durchaus ein paar Kilometer entfernt sein.

Es waren mehr als ein paar Kilometer. Wir trotteten etwa drei Stunden parallel zum Meer dahin, bis wir auf ein anderes Anwesen stießen. Die Leute hatten mehr Geld als wir investiert. An der Oberfläche erstreckte sich ein Bungalow, eingerahmt von einem kleinen Garten. Im Meer war ein Badebereich eingezäunt und neben dem Haus konnten wir einen Kinderspielplatz ausmachen. Zumindest interpretierten wir das so, genauer würden wir es erst wissen, wenn wir den letzten Kilometer, der uns noch von dem Haus trennte, hinter uns gebracht hatten.

Ich setzte mich nieder, auf den Fels. Langsam massierte ich meine Füße. Ich war die ganze Zeit in Socken gelaufen. Das hatte glücklicherweise bei dem Untergrund nicht zu Verletzungen geführt, angenehm war es trotzdem nicht gewesen.

Manon folgte meinem Beispiel. Sie hatte schon zu Beginn unseres Marsches ihre Stiefeletten ausgezogen und in den Händen getragen. Völlig durchnässt, wie sie waren, hätte sie sich nur Blasen gelaufen.

»Schneien wir da einfach rein, sagen Hallo und bitten darum, durch ihre Wohnung nach Hause gehen zu dürfen?«, fragte sie.

»Wir werden uns schon von etwas weiter weg bemerkbar machen müssen«, sagte ich. »Du vergisst das Energiefeld, das um die Anwesen herum geschaltet ist, um unliebsame Eindringlinge abzuschrecken. Hoffentlich ist jemand in diesem Teil des Anwesens, der unser Rufen hört, sonst stehen wir hier lange herum.«

Wir machten uns auf, auch noch den letzten Kilometer zu überwinden. Ständig erwartete ich, auf die Energiebarriere zu stoßen. Erwartete, dass ich zuerst sanft, dann stärker und schließlich mit kleineren Stromstößen daran gehindert werden würde, weiter zu gehen. Nichts dergleichen geschah. Beunruhigt sah ich zu Manon hinüber, als wir durch den kleinen Garten gingen und schlussendlich vor der Eingangstür des Hauses standen. Meine Frau reagierte nicht, für sie schien die nicht vorhandene Barriere nicht wichtig zu sein.

Eine Glastür versperrte uns den Weg. Ich klopfte dagegen, eine Klingel- oder Rufanlage gab es nicht. Wäre ja auch unlogisch, wenn es sie gegeben hätte. Wer sollte sie denn erreichen können, um sie zu bedienen? Schließlich wäre da noch die Barriere gewesen …

Ich klopfte heftiger und begann zu rufen.

Dann regte sich etwas im Haus. Ich hörte eine Kinderstimme. Sie rief etwas Unverständliches. Schritte näherten sich, eine Silhouette war durch das Glas wahrzunehmen. Die Tür öffnete sich.

Vor uns stand eine Frau, sie blickte uns erwartungsvoll an.

Unter anderen Umständen wäre ich sicherlich von ihr gefangen genommen gewesen. Sie war groß, sicher so an die 1,80 Meter. Dabei schlank, mit den richtigen Rundungen an den richtigen Stellen. Ihre schwarzen Haare fielen ihr gelockt in Stirn und Nacken. Sie trug ein recht knappes Shirt nebst kurzem Rock.

Manon sah sofort zu mir herüber. Sie hatte diesen Blick drauf, der sofort verhieß: Mach jetzt bloß keinen Fehler, sieh ihr nur ins Gesicht, nirgendwo anders hin, aber auch das nicht zu lange.

Als ob das in unserer Situation irgendeine Bedeutung gehabt hätte.

»Endlich«, sagte sie.

Mehr brauchte ich nicht, um zu verstehen.

»Sie haben auch keine Energie?«, fasste ich zur Sicherheit nach.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich dachte …«

»Wir sind Nachbarn«, sagte Manon.

»Sie haben auch Probleme mit der Energie?«, sagte sie dann. Die Information war erst jetzt zu ihr durchgedrungen. »Aber wenn wir alle keine Energie mehr haben …« Sie ließ den Satz unvollendet, genau hier lag das Problem.

»Kommen Sie erst einmal herein«, meinte sie dann und trat einen Schritt zur Seite.

Ich ging an ihr vorbei, Manon folgte mir auf dem Fuße. Unsere Gastgeberin warf noch einen verstörten Blick zum Waldrand, dann schloss sie die Tür.

Wir waren im Flur stehen geblieben, wussten nicht so recht, wo wir hingehen sollten. »Geradeaus, durch die Glastür, dahinter ist unser Wohnzimmer«, sagte die Gastgeberin.

Uns erwartete ein mindestens einhundert Quadratmeter großer Raum, der sich entlang der kompletten, dem Meer zugewandten Hausseite erstreckte. Am äußersten rechten Ende befand sich eine Theke mit Hockern davor, dahinter eine Küchenzeile. Ansonsten war der Raum mit diversen gemütlichen Sitzecken möbliert. An den Wänden im Hausinneren zogen sich Regale, vollgestellt mit gedruckten Büchern, hin.

Der Ausblick auf das Meer war malerisch, einen schöneren Platz für solch ein Haus konnte ich mir schwerlich vorstellen. Unter anderen Umständen hätte ich unseren Nachbarn gerne einen Besuch abgestattet.

»Nehmen Sie doch Platz«, sagte unsere Gastgeberin. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

Wir sagten nicht nein. Kurze Zeit später schütteten wir das kalte Wasser in uns hinein, das sie aus dem Kühlschrank geholt hatte. Noch war dort genügend Restkälte vorhanden, so dass wir keinen Unterschied zu normal gekühlten Getränken bemerken konnten.

»Bei Ihnen ist demnach auch die Energie ausgefallen, und da haben Sie sich nur deshalb auf den gefährlichen Weg gemacht?«, fragte die Frau, nachdem wir unser Bedürfnis nach Wasser einigermaßen gestillt hatten.

»Es war ungleich dramatischer«, begann Manon, dann erzählte sie, was uns widerfahren war.

Mit schreckgeweiteten Augen verfolgte unsere Gastgeberin Manons Ausführungen. Danach saßen wir eine Zeit lang nur stumm da und starrten uns an.

»Manon«, sagte meine Frau dann und streckte ihre Hand aus.

»Chaifa«, war die Antwort.

»Ardem«, sagte ich. Dann schüttelten wir uns die Hände.

»Wollt ihr was essen? Ich habe Brot und Aufschnitt, warm machen können wir ja nichts«, fügte Chaifa entschuldigend hinzu.

»Gerne«, erwiderte ich. Hungrig war ich wirklich. Dann nahm ich noch ein Glas Wasser. Ich hatte viel geschwitzt bei unserem Marsch hierher.

»Ich denke, es macht wenig Sinn noch weiter die Küste entlang zu marschieren. Alle Häuser hier werden wohl vor demselben Problem stehen«, meinte Manon.

»Das muss ein Ausfall der zentralen Energieversorgung sein«, mischte ich mich ein. »Wenn selbst die Abschirmung vor unserem Unterwasserfenster versagt hat, dann kann es nichts anderes sein.«

»Haben Sie …, hast du dein Handbuch hier?«, fragte Manon.

Chaifa sah sie zuerst verständnislos an, dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Das Handbuch, klar. Ich wollte es eigentlich schon lange entsorgen, aber mein Mann meinte, wir müssten es aufheben, weil die Gesellschaft so vehement darauf bestanden hat.« Sie sprang auf, ging zur Küche, bückte sich und kramte in einem der unteren Schränke.

»Hier!« Sie hielt triumphierend die Mappe hoch, so als ob damit jetzt alle Probleme beseitigt worden seien.

Wir blätterten in dem Handbuch herum. Die Notfallnummern konnten wir ja mangels Netz vergessen. Chaifa hatte schon vor Stunden ausprobiert, den Service zu erreichen. Das Netz war einfach nicht da und ohne Netz nutzte das bisschen Strom im Akku des Koms auch nichts.

»Fünf Häuser, mehr sind hier an dem Küstenabschnitt gar nicht installiert worden«, sagte Manon enttäuscht. »Eins ist noch in der anderen Richtung, die Küste rauf, von unserem Zimmer aus gesehen. Die anderen beiden befinden sich noch weiter in der Richtung, die wir gelaufen sind. – Vielleicht sind da ja auch Leute, vielleicht haben die eine Möglichkeit gefunden …«, sie sprach nicht weiter. Was für eine Möglichkeit sollten die anderen gefunden haben? Ohne Energie?

»Mama, ich hab Angst!«

Ich hatte den kleinen Jungen nicht bemerkt, bis er quasi vor uns im Zimmer stand. Er musste sich leise hereingeschlichen haben.

»Du musst keine Angst haben«, versuchte Chaifa ihn zu beruhigen. »Bald ist wieder alles in Ordnung.«

»Aber die Viecher da draußen«, sagte er und sah verstört zur Eingangstür.

»Viecher?«, entfuhr es mir.

Er nickte heftig. »Da draußen.« Er deutete zur Tür.

»Was für Viecher?«, fragte nun auch Manon.

»Unsere Energieabschirmung draußen funktioniert nicht mehr. Da können sie jetzt bis ans Haus heran.«

Wie um Chaifas Worte zu unterstützen ließ ein Schlag gegen die Außenwand das ganze Haus erzittern. Dann splitterte Glas.

»Das kam aus dem Schlafzimmer.« Chaifa sprang auf, eilte in den Flur. Wir folgten ihr. Sie riss eine vom Flur abgehende Tür auf und starrte in das Zimmer hinein. Das bodentiefe Fenster war zersplittert. Draußen, direkt vor dem Haus, vollführten zwei schwarzweiß gestreifte Fleischberge eine Art Tanz auf.

Oder kämpften sie gegeneinander?

Nein, ich entschied mich, dass es wohl eher ein Balzritual war, das diese überdimensionierten Würmer mit Beinen vollführten. Interesse an uns oder dem Haus schienen sie gar nicht zu haben. Problematisch war nur, dass ihnen das Haus im Weg stand.

Erneut schlug einer der großen Leiber gegen die Hauswand. Der ganze Baukörper ächzte. Für eine solche Belastung war er nicht ausgelegt.

»Ich hab Angst, Mama.«

»Wir müssen hier raus, das Haus hält das nicht lange aus«, sagte ich. Das Haus war nicht massiv gebaut, die Wände waren mit Fertigbauteilen errichtet worden. Rechts vom Fenster erahnte ich einen ersten Riss in der Wand.

»Ist außer dir und deinem Sohn noch jemand im Haus?«, fragte Manon.

»Papa ist in seinem Arbeitszimmer«, schrie der Junge.

»Mein Mann ist auf Terra, sein Arbeitszimmer ist dort«, erklärte Chaifa. »Wir sind hier allein.«

»Dann raus hier, durch’s Wohnzimmer«, meinte ich.

Wir eilten zurück, dann standen wir seitlich versetzt zum Haus und beobachteten die Viecher, wie der Junge sie genannt hatte, bei ihrem Balztanz. Immer wieder schlugen die Körper der beiden gegen das Haus. Die Vorderwand samt Eingangstür war bereits eingedrückt, das Dach hing schief. Es würde nicht mehr lange dauern, bis das Haus einstürzte. Ein, zwei Schläge noch, höchstens.

»Wir müssen zur Energiezentrale«, sagte ich. »Das ist unsere einzige Chance. Dort sind die Techniker, dort können wir am ehesten Hilfe erwarten.« Ich wedelte mit dem Handbuch herum, das ich geistesgegenwärtig mitgenommen hatte.

»Wo ist die?«, fragte Manon.

»Ungefähr dreißig Kilometer entfernt. Da lang.« Ich deutete auf die grüne Wand des Waldes, die sich an den Sandstrand anschloss.

»Da durch? So?« Manon blickte an uns herunter. Sie hatte ihre Schuhe wieder angezogen, sie waren mittlerweile getrocknet. Ich lief barfuß, an Chaifas Füßen befanden sich Flip Flops und ihr Sohn trug Sandalen.

Das Haus ächzte, dann stürzte es mit einem lauten Krach in sich zusammen. Die schwarzweiß gestreiften Viecher kümmerte das wenig, sie fuhren mit ihrem Balztanz unbeirrt fort.

Chaifa ergriff die Hand ihres Sohnes und marschierte einfach los. Wir trotteten ihnen nach. Um den Viechern nicht allzu nahe zu kommen, schlugen wir einen Bogen und gingen am Waldrand ein Stück zurück, bis wir den Pfad erreichten, über den ursprünglich einmal die Baumaterialien hierhergeschafft worden waren. Er war mittlerweile zu mehr als der Hälfte zugewachsen, aber immer noch deutlich zu erkennen.

Gab es so einen Pfad auch bei unserem Zimmer? Vermutlich, wir hatten lediglich nicht daran gedacht, danach Ausschau zu halten. Außerdem hatten wir unser Handbuch nicht gehabt, in dem der Weg verzeichnet gewesen sein musste.

Rechts und links von uns wölbten sich grüne Wände empor um sich über unseren Köpfen fast zu schließen. Wir hasteten in einer Art von Halbdunkel den Pfad entlang. Nur ab und an öffnete sich eine Lichtung über unseren Köpfen. Passierten wir diese, waren wir regelrecht geblendet von dem Sonnenlicht.

Barfuß zu laufen forderte mir viel ab. Meine Fußsohlen schmerzten mittlerweile kolossal. Zweimal hatte ich mir bisher einen Dorn in die Haut gerammt, beide Male in den rechten Fuß. Ich hatte die Fremdkörper zwar wieder entfernt, die Einstichstellen schmerzten trotzdem bei jedem Schritt.

Fast übergangslos kam die Nacht. Wir bemerkten das zuerst nicht, erst als das Halbdunkel einer fast totalen Finsternis wich, machten wir Rast. Wir ließen uns einfach auf dem Pfad nieder.

»Wie lange noch, Mama?«, quengelte der Junge. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Auch ich war am Ende meiner Kräfte, sowohl physisch als auch psychisch.

»Es wird nicht mehr lange dauern, Sebastian«, sagte Chaifa mit beruhigender Stimme. »Schlaf ein wenig.«

»Die Viecher haben unser Haus kaputt gemacht. Wie soll Papa uns jetzt holen kommen?«

»Wir gehen zu Papa, versprochen.« Chaifa strich ihrem Sohn die Haare aus dem Gesicht und zog ihn an sich. Es dauerte nicht lange, dann war er tatsächlich eingeschlafen.

Ich hatte mich mit dem Rücken an einen etwas dickeren Baumstamm gelehnt, der direkt am Rand des Pfads stand. Einschlafen konnte ich nicht. Um uns herum schien die komplette Fauna Stellas erwacht zu sein. Jedenfalls glaubte ich das den ständigen Rufen und Lauten entnehmen zu können, die auf mein Gehör eindrangen.

Irgendwann musste ich dann doch eingenickt sein, denn ich schreckte abrupt hoch. Was war das? Es war kein Geräusch mehr zu hören, absolut nichts. Um uns herum war totale Stille.

Nicht ganz, ich glaubte ein unterschwelliges Rauschen zu vernehmen, ähnlich einem nur wenig aufgedrehten Wasserhahn. Was konnte das sein? Ich versuchte etwas zu erkennen, angesichts der Schwärze der Nacht ein unmögliches Unterfangen.

»Was ist das?«, flüsterte Manon.

Auch Chaifa war wach, der Junge schlief noch immer. »Da ist was auf dem Pfad«, sagte sie und deutete zurück, in die Richtung, aus der wir gekommen waren.

Jetzt sah ich es auch. Ein Tier, nicht groß. Etwas größer als eine gewöhnliche Feldmaus. Erinnerte mich tatsächlich auch ein wenig an die irdischen Nager, aber die Ähnlichkeit war wohl mehr oberflächlich.

»Wir sollten kein Risiko eingehen«, meinte Manon und erhob sich langsam.

Ich ergriff den Jungen, legte ihn mir über die Schulter. »Papa?«, flüsterte der Kleine, dann schlief er wieder ein.

Langsam gingen wir, uns immer wieder umdrehend, den Pfad weiter. Hundert Meter von unserem ursprünglichen Lagerplatz entfernt war das Gewölbe über uns ein wenig lichter. Die Sterne und auch Stellas Planet waren am Firmament auszumachen. Der Gasriese, um den Stella sich als Mond drehte, beschien unseren Pfad an dieser Stelle.

Der Nager war uns gefolgt, hatte den Abstand auf ungefähr zehn Meter verkürzt. Er stand da, mitten auf dem Pfad, schnüffelte und hielt seine Schnauze immer wieder in unterschiedliche Richtungen. Dann setzte er sich in Bewegung, erst langsam, dann immer schneller. Das Vieh rannte auf uns zu, fixierte mich, sprang den letzten Meter und landete auf meinem linken Fuß. Ein jäher Schmerz ließ mich aufschreien. Ich zappelte mit dem Fuß, trat damit aus. Das Vieh hatte sich in meinem großen Zeh verbissen und ließ sich nicht abschütteln.

Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie Manon sich einen ihrer Schuhe auszog. Sinn und Zweck dieses Manövers erschlossen sich mir nicht. Ich hatte mit Schmerzen zu kämpfen und damit, Sebastian nicht loszulassen.

»Halt still!«, schrie mich Manon an.

Verblüfft hielt ich inne und sah, wie sie mit ihrer Stiefelette nach dem Nager schlug. Einer der Schläge traf zwar den Spann meines Fußes, die anderen lagen aber zielgenau. Das Vieh ließ von mir ab, schüttelte sich kurz und rannte dann seitwärts in den Wald hinein.

»Verdammt.« Ich setzte den Jungen ab, der, wieder wach, zu seiner Mutter eilte.

Ich besah mir die Wunde. Sie blutete stark. Manon reichte mir wortlos einen ihrer Socken, den ich als provisorischen Verband nutzte.

»Wir sollten hier weg. Was machen wir, wenn das Vieh wieder kommt?« Chaifa hatte recht. Wir machten uns auf, folgten dem Pfad weiter.

So trotteten wir etwa eine halbe Stunde dahin, bis uns ein umgestürzter Baum den Weg versperrte. Der Stammumfang war immens, mehrere Meter über uns ragten seitlich dicke Äste heraus. Unter dem Stamm hindurch konnten wir nicht. Da waren Äste kreuz und quer zerbrochen, bildeten eine Art Wand, durch die es kein Durchkommen gab.

»Außen herum?«, fragte ich.

Beide Frauen schüttelten ihren Kopf. »Lieber oben drüber. Das müsste sich doch erklettern lassen.«

Manon setzte bereits ihren Fuß auf einen der Äste und stemmte sich hoch. Wenig später saß sie in ungefähr zwei Meter Höhe. »Alles klar, kein Problem. Auf der anderen Seite können wir gut wieder runtersteigen. Gib mir den Jungen.«

Ich hob Sebastian hoch, wuchtete ihn über meinen Kopf und fühlte, wie sie ihn ergriff und nach oben zog.

Dann fing der Junge an zu schreien.

So laut, wie ich noch nie ein Kind hatte schreien hören.