Zeittrips gehen anders - Axel Kruse - E-Book

Zeittrips gehen anders E-Book

Axel Kruse

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Beschreibung

Das Abenteuer aus "Zeitreisen gehen anders" geht weiter Andy und Cat sind nach wie vor auf der Suche nach Antworten auf die Fragen nach der Herkunft der Amulette, die die Zeitreisen ermöglichen und warum die Zeitreisen häufig nicht so verlaufen, wie geplant. Über Azincourt im Oktober 1415 geht es nach Plymouth in das Jahr 1588, bis es in Burg Lüttelnau in Kettwig im Jahr 1648 zum Showdown kommt. Aus dem Geleitwort von Phillip P. Peterson: "Manchmal schwirrt einem der Kopf, wenn man darüber nachdenkt, welche Möglichkeiten uns Zeitreisen bieten würden. Es ist manchmal kompliziert, anspruchsvoll und anstrengend, darüber nachzudenken. Aber Axel Kruse zeigt uns, dass es auch enorm spannend und unterhaltsam sein kann."

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Inhalt

Geleitwort zu Zeittrips gehen anders

1. Kapitel Kettwig an der Ruhr, Juni 1995

2. Kapitel Azincourt, Oktober 1415

3. Kapitel Kettwig an der Ruhr, Juli 1995

4. Kapitel Plymouth, Juli 1588

Intermezzo 30000 vor Christus

5. Kapitel Lüttelnau, Sommer 1648

6. Kapitel 30000 vor Christus

Weitere Atlantis-Titel

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Mai 2022 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Lothar Bauer Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-835-9 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-845-8 Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de
Für meine Mutter, Doris Kruse, geb. von Gehlen

Geleitwort zu Zeittrips gehen anders

Zeitmaschinen gehen anders … Ich denke, dass im Titel dieses Buches sehr viel Wahrheit steckt.

Warum? Weil niemand weiß, welche Auswirkungen Zeitreisen auf unser Universum haben, und ich mir sicher bin, dass sich alle Prognosen darüber letzten Endes als falsch herausstellen.

Dass Zeitreisen möglich sind, wissen wir inzwischen. Zumindest in die Zukunft. Wir alle reisen unfreiwillig in jedem Augenblick unserer Existenz in die Zukunft. Warum das so ist, kann uns selbst die moderne Physik nicht sagen. Diese Unwissenheit ist für manche Wissenschaftler so unerträglich, dass sie die Zeit selbst für eine menschliche Illusion halten.

Einstein hat uns gezeigt, dass Reisen in die Zukunft möglich sind. Wir müssen uns nur in eine Rakete setzen und fast mit Lichtgeschwindigkeit durch das All fliegen, um quasi den Zeitraffermodus in die Zukunft einzuschalten, bis wir unseren alt gewordenen Zwilling auf der Erde wiedersehen.

Reisen in die Vergangenheit zu bewerkstelligen, ist ungleich komplizierter, aber theoretisch nicht unmöglich. Es braucht allerdings dazu einige exotische kosmische Phänomene wie Wurmlöcher oder kosmische Strings. Sollte unser Universum rotieren, wären ebenfalls »geschlossene zeitgleiche Kurven« möglich, wie Relativitätsphysiker eine Begegnung mit sich selbst bezeichnen. Andere Wissenschaftler kriegen bei solchen Gedanken das nackte Grauen und widmen ihre Karriere dem Nachweis, dass Zeitreisen durch irgendeinen kosmischen Mechanismus – oder sogar von Gott – in unserem Universum verboten sind.

Aber was ist, wenn sich Zeitreisen in Vergangenheit und Zukunft als möglich herausstellen?

Wie so oft ist es die Fantasie von Filmemachern, die uns mit den wildesten Spekulationen beliefert. Es drohen Zeitbeben wie bei dem Film Millennium, die Vernichtung des Universums in Zurück in die Zukunft, Katastrophentouristen aus der Zukunft wie bei Timescape oder Zwerge, die wie bei Time Bandits auf Raubzug durch die menschliche Geschichte gehen.

Die Literatur liefert uns – im Gegensatz zu den Blockbustern – eine etwas ernsthaftere und in die Tiefe gehende Auseinandersetzung mit der Philosophie des Zeitreisens und den verrückten Möglichkeiten, die sich bieten würden. Bei Heinlein war es ein intersexueller Mann, der sich mit seinem jüngeren, femininen Selbst zusammentut, um sich selber zu zeugen, bei David Gerrold war es ein Junge, der Partys mit unzähligen Versionen seiner selbst aus Vergangenheit und Zukunft feiert.

Dieser Roman von Axel Kruse, den Sie gerade in der Hand halten, bietet uns weitere, faszinierende Möglichkeiten der Zeitreise, inklusive der Erforschung von Parallelwelten, in denen die geschichtlichen Abläufe völlig anders verlaufen sind.

Ja, manchmal schwirrt einem der Kopf, wenn man darüber nachdenkt, welche Möglichkeiten uns Zeitreisen bieten würden. Es ist manchmal kompliziert, anspruchsvoll und anstrengend, darüber nachzudenken. Aber Axel Kruse zeigt uns, dass es auch enorm spannend und unterhaltsam sein kann.

Im September 2021

Phillip P. Peterson

1. Kapitel Kettwig an der Ruhr, Juni 1995

Sex.

Sex kann unterschiedlich ablaufen: einseitig, rücksichtslos, gleichgültig, hingebungsvoll, leidenschaftlich …

Wir fielen geradezu übereinander her. Es war, als ob wir ausgehungert gewesen wären. Waren wir ja auch.

Irgendwann lag Cat auf mir und strich mit ihrer Hand über meinen Kopf. »Warum hast du so lange gewartet, um mich abzuholen, Andy?«

Rudolph hob den Kopf. Er hatte gemerkt, dass wir jetzt wohl dazu bereit wären, auch ihm etwas Aufmerksamkeit zu gewähren.

Wo sollte ich anfangen? Es gab so viel zu erzählen.

»Ich bin so schnell gekommen, wie es mir möglich war«, begann ich. »Es war der zweite Rettungsversuch, Cat.«

»Der zweite?«

Ich nickte. Auch wenn sie diese Bewegung wohl nur schwach sehen konnte, spüren musste sie sie.

»Was war mit dem ersten?«

»Da hat es noch länger gedauert. Die Amulette funktionieren nicht so wie erwartet. Du warst mehrere Jahre in Alexandria …«

»Jahre?«, hauchte sie.

Ich erzählte ihr das, was ich in der Zwischenzeit erlebt hatte. Als ich an der Stelle ihres Todes in Mexiko anlangte, versteifte sich ihr Körper.

»Lüttelnau, wegen dieser Burgruine bin ich überhaupt nur in Kettwig angelangt.«

»Ich weiß, du hattest mir damals nach den Ereignissen im Chinarestaurant davon berichtet«, sagte ich.

»Und weiter?«, fragte sie.

Ich berichtete von dem Sprung in ihre Zeit, von meiner Idee, sie dort zu finden, lange bevor sie auch nur den ersten Zeitsprung absolvierte. Von meiner Enttäuschung, als ich sie dort in den Armen eines anderen Mannes fand, der ihrem Mörder aus Mexiko wie aus dem Gesicht geschnitten war.

»Er hieß auch Lüttelnau?«, fasste sie nach.

»Ja«, sagte ich. »Es war derselbe Mann. Ich weiß, das kann nicht sein, aber meinem Empfinden nach war er es.«

»In meiner Zeit gab es ihn nicht«, sagte sie bestimmt.

»Das glaube ich dir ohne Weiteres«, war meine Antwort. Davon hätte sie mir bestimmt erzählt, war sie doch aufgrund der Verschwörungstheorie eines Historikers damals extra nach Kettwig gekommen. Diese Namensidentität hätte sie mir nicht verschwiegen.

Catriona hörte still zu, während ich von unserem Flug durch den Sprungpunkt und in der Folge durch etliche weitere berichtete. Irgendwann langte ich dann wieder in der ausgehenden Eiszeit bei unseren Freunden an.

»Die anderen waren da? Sie haben unsere Basis übernommen?« Catriona hauchte das mehr aus, als dass sie es sagte.

»Es wird riskant bis unmöglich sein, dort wieder hinzuspringen. Wir müssen uns etwas anderes überlegen.«

»Danach hast du mich in Alexandria abgeholt?«, fragte sie.

»Ja«, bestätigte ich. »Dieses Mal habe ich versucht, die Zeitspanne nicht so lang werden zu lassen. – War es schlimm?«

»Angenehm war es nicht gerade«, antwortete sie ausweichend.

Ich ließ ihr Zeit.

»Ich musste mit ihm schlafen, Andreas«, sagte sie dann. »Ich habe mich nicht gewehrt, das hätte zu nichts geführt.«

Ich strich mit meiner Hand über ihren Rücken und umarmte sie fest. Was hätte ich in dieser Situation auch sagen können?

»Nicht oft«, flüsterte sie, »er hatte einen etwas größeren Harem.«

Ich küsste sie auf die Stirn. Sie hob den Kopf und erwiderte den Kuss.

»Noch einmal, Andy?«, fragte sie.

Später schliefen wir ein. Sie wälzte sich oft herum, einmal schrie sie im Schlaf.

Der Morgen fand mich mit Rudolph alleine im Bett. Er hatte sich an meinen Rücken geschmiegt und hob den Kopf, als ich aufstand. Im Flur hörte ich das Wasser rauschen, Catriona stand unter der Dusche.

Ich ging ins Wohnzimmer, das Licht eines sich abzeichnenden schönen Tages leuchtete auf die an der Wand hängenden Amulette. Ich starrte nach draußen auf die Straße. Das Haus lag am Hang, meine Wohnung befand sich im Erdgeschoss, sie hatte nur vorn und an den Seiten Fenster. Gegenüber dem Haus, direkt dort, wo die Straßenbegrenzung endete, war der jenseitige Hang des kleinen Tales. Viel Licht hatte ich nie in meiner Wohnung. Da hatte es mein Vermieter schon besser, er bewohnte mit seiner Familie die oberen Etagen.

Arme schlangen sich um meinen Bauch. »Ich habe mir ein T-Shirt von dir genommen«, sagte Catriona. »Deine Unterhose passt mehr schlecht als recht«, fügte sie noch an.

»Ich fahre nachher rüber nach Kettwig und kaufe dir Klamotten.«

»Fahren? Dein Auto steht in Bergen aan Zee!«

»Ich nehme das Fahrrad«, sagte ich. Das mit dem Auto hatte ich nicht bedacht, aber das Rad war ja auch noch da, hinten im Schuppen.

»Du müffelst«, sagte sie und ließ mich los. »Ich mache Frühstück.« Mit diesen Worten verschwand sie in Richtung Küche.

Ich gönnte mir ein ausgiebiges Duschbad.

Der Duft von frischem Kaffee strömte in meine Nase, als ich durch den Flur zum Schlafzimmer schritt, um mich anzuziehen. Kaffee? Seit wann hatte ich denn Kaffee im Haus? Ich war Teetrinker, Darjeeling 2nd Flush oder Earl Grey, aber doch keinen Kaffee!

Cat saß, ein Bein untergeschlagen, auf einem Stuhl am Küchentisch. Sie sah hinreißend aus in meinem T-Shirt. Ich nahm ihr gegenüber Platz.

»Croissants, Marmelade, Eier: Bedien dich«, sagte sie.

Ihre Brüste malten sich unter dem Stoff ab. Waren die größer als vorher? Ich konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen.

»Croissants? Ich habe keine Croissants im Vorrat«, sagte ich.

»Nun, sie sind da«, meinte sie. »Der Kaffee auch. Nimm es hin, Andy. Es ist nicht exakt deine Zeit, aber es kommt nahe dran oder etwa nicht?«

Da musste ich ihr beipflichten. Das hier war meine Wohnung, alle Einrichtungsgegenstände waren vorhanden, der Schlüssel hatte unter dem Blumentopf gelegen, da, wo er sollte. Meine Kleidung passte. Es war mein Zuhause. Was machten da ein paar Croissants und Kaffee statt Tee aus?

»Der Hund muss raus«, sagte ich dann. Ich wollte nicht, dass er auf dieselben Verhaltensweisen zurückgriff, die er damals in der Raumstation und an Bord des Raumschiffes an den Tag legen musste.

Ich ging mit ihm vor die Tür. Rudolph genoss es, sich unter dem Stacheldrahtzaun, der den Hang auf der dem Haus gegenüberliegenden Seite der Straße abtrennte, durchzuwinden und über die Wiese zu rennen. Schafe befanden sich an diesem Morgen nicht auf dem Hang, glücklicherweise.

»Was machen wir weiter?«, fragte Catriona, nachdem wir wieder im Haus waren. Sie hatte mittlerweile zu Ende gefrühstückt.

Ich zuckte die Achseln und schlang mein Croissant herunter, dann räumten wir das Geschirr in die Spülmaschine.

»Zwei Wochen müssen wir wohl oder übel hier verbringen, danach … keine Ahnung.«

»Wir müssen diesen Wahnsinn beenden, Andy. Wir müssen in meine Zeitlinie und verhindern, dass die anderen überhaupt in der Zeit springen können.«

»Das ist nicht so einfach, wie du weißt«, entgegnete ich. »Kausalität ist nicht immer gegeben. Zeitreisen gehen anders«, erinnerte ich sie.

»Fahr erst mal rüber nach Kettwig und hol mir Klamotten, dann sehen wir weiter«, meinte sie. »Womit zahlst du?«

Das war tatsächlich ein Problem. Mein Portemonnaie mit komplettem Inhalt war mir abhandengekommen. »Ich fahre zuerst zur Bank und hole Geld am Schalter ab. Die kennen mich da, ich glaube nicht, dass ich mich ausweisen muss.«

Ich schnappte mir meine Schuhe, gab ihr noch einen Kuss und gab Rudolph zu verstehen, dass er bleiben musste. »Es riecht ein wenig muffig, findest du nicht auch?«, fragte ich.

»Vielleicht der Müll?«, meinte sie.

Ich griff die Mülltüte aus dem Eimer und nahm sie mit nach draußen zur Tonne. Als ich wieder vor dem Haus stand, genoss ich den Sonnenschein. Mein erster Schritt wollte mich zur Garage lenken, dann schalt ich mich einen Idioten. Mein Auto stand in Nordholland, in der Garage würde ich nichts finden.

Das Fahrrad aus dem Schuppen zu holen, aufzusteigen und die leicht abschüssige Straße hinunterzufahren, war von wunderbaren Gefühlen begleitet. Es gab nichts Schöneres, als an einem wundervollen Frühlingstag mit dem Rad zu fahren.

Der Weg wurde etwas steiler, ich gewann Fahrt. Nachdem ich die Unterführung unter der S-Bahn-Linie durchquert hatte, folgte ich der Heiligenhauser Straße, die mich nach wenigen Hundert Metern auf die Ringstraße lotste, eine von Kettwigs Hauptverkehrsadern. Der Weg über die Brücke versorgte mich mit dem wunderbaren Panorama, das Kettwigs Altstadt bot.

Ich entschied mich dazu, genau den Weg zu nehmen, den ich auch damals in meiner Kindheit genommen hatte. Damals, als ich Catriona zum ersten Mal begegnet war.

Auch wenn es ein mulmiges Gefühl war, als ich an dem Haus vorbeikam, an dem seinerzeit der Mann auf mich gewartet hatte. Der Mann, der mein anderes Ich beim zweiten Mal ermordet hatte.

Diesmal stand niemand hier.

Überhaupt waren kaum Menschen unterwegs. Auch die Straßen waren bemerkenswert leer gewesen, lediglich ab und an war ich von einem Auto überholt worden. Hoffentlich haben wir heute keinen Samstag oder Sonntag, schoss mir der Gedanke durch den Kopf. Dann wäre die Bank geschlossen, und ob mir die Geschäfte nur auf meine Nase hin etwas verkaufen würden, wagte ich zu bezweifeln.

Das Rad trug ich die Kirchtreppe hoch, umrundete oben die Kirche und fuhr, entgegen der erlaubten Fahrtrichtung, die Hauptstraße entlang, bog dann links ab und stand vor der Commerzbank.

Die Bank hatte geöffnet. Heute war ein Werktag. Ich ging direkt an den Schalter. Den Mann, der dort stand, kannte ich tatsächlich. Nicht dass ich mich an seinen Namen erinnerte, aber er stand immer da. Und, was viel wichtiger war, er kannte mich.

»Monsieur Kabisch, bonjour!«, begrüßte er mich.

»Guten Morgen!«, entgegnete ich erfreut ob der Ansprache.

Das irritierte mein Gegenüber offensichtlich. Er beugte sich zu mir herüber, senkte seine Stimme, so als ob er fürchtete, dass jemand ihn hören könnte. Übertrieben, es war niemand außer uns im Raum.

»Sie sollten sisch vorsehen, Monsieur, es sind nischt alle so eingestellt wie ich.«

Jetzt war es an mir, verwirrt zu sein. Was wollte er mir sagen?

»Comment puis-je vous servir?«, sagte er dann.

Ich verstand nur Bahnhof. Auf der Schule hatte ich zwar einige Jahre Französisch gehabt, aber das, was hängen geblieben war, reichte gerade mal dazu zu erkennen, dass jemand mit mir Französisch sprach. Ich wünschte mir, ich hätte das Übersetzungsgerät nicht aus den Ohren genommen. Die Dinger lagen zu Hause auf meinem Wohnzimmertisch. Da lagen sie gut.

»Je ne parle pas francais«, erwiderte ich.

Der Mann zuckte geradezu zurück, ich hatte offensichtlich etwas falsch gemacht. Etwas richtig falsch gemacht.

»So weit gehe isch nischt mit Ihnen«, radebrechte er. Der Akzent war echt, das war kein Getue.

»Ich möchte Geld abheben«, sagte ich. Mir wurde das hier zu bunt. Sollte er doch machen, was er wollte. Ich brauchte Geld, und das schnell.

»Combien?«, fragte er.

Vermutlich wollte er wissen, wie viel ich abheben wollte.

»Fünfhundert«, sagte ich.

Er zog doch tatsächlich die Augenbraue hoch, drehte sich dann jedoch um, nahm eine Auszahlungsquittung aus einem Fach und füllte diese aus. Dann nahm er ein Bündel Scheine aus der Kasse und zählte diese vor mir ab. Lauter Zehner. Scheine, die ich in dieser Form noch nie gesehen hatte. Sie waren rot in der Grundfarbe und trugen als Bild eine jugendlich anmutende Frau in Ritterrüstung.

»Dix, vingt, trente, quarante …« Es dauerte eine Zeit, bis er fertig war. Dann legte er mir die Quittung vor. »Votre signature, Monsieur«, sagte er.

Ich schrieb meinen Namen, ergriff das Geld und verließ fluchtartig den Schalterraum. Was war das denn gewesen?

Draußen stieg ich wieder auf mein Rad und fuhr langsam die Hauptstraße entlang. Wo sollte ich jetzt einkaufen? Darüber hatte ich mir nicht wirklich den Kopf zerbrochen. Wo in Kettwig gab es Bekleidungsgeschäfte? Ich kaufte meine Sachen in der Regel in der Essener Innenstadt ein. War einfacher, weil ich dort arbeitete.

Ich bremste abrupt ab, ich stand direkt unter dem Schild, das die Hauptstraße in Richtung Kirche als Einbahnstraße auswies. Rue à sens unique, stand da auf dem ansonsten genauso gestalteten Schild, wie ich es in Erinnerung hatte.

Ich beschloss, bei meinen Einkäufen den Mund zu halten.

Galerie Lafayette, das stand auf einem riesigen Schild, das an dem ehemaligen Karstadt-Gebäude hing, gute zweihundert Meter von meinem Standort entfernt. Eigentlich hätte sich dort nun ein Rewe-Markt befinden müssen. Letztendlich war es mir gleich. Dort würde ich sicherlich fündig werden, was Kleidung für Catriona anging.

Das Kaufhaus machte einen erbärmlichen Eindruck. Regale voller Ware, noch in Kartons verpackt, davor jeweils ein Anschauungsexemplar.

Ich klaubte das Nötigste zusammen: Unterwäsche, Socken, T-Shirts, Büstenhalter, Sandalen und eine Jeans. Ich hatte vor, mit Catriona wieder herzukommen, dann konnte sie sich selber weiter eindecken.

Überall war französische Beschriftung zu finden, nirgends ein Wort in deutscher Sprache.

An der Kasse staunte ich Bauklötze. Die Kassiererin bongte manuell die Preise in die Registrierkasse. Kein Scanner, kein EC-Karten-Lesegerät. Einhundertsiebenundzwanzig Komma fünfundvierzig las ich auf der Kassenanzeige.

Ich zählte still die Scheine ab und legte das Geld vor mir hin. Die Kassiererin gab mir eine Handvoll Münzen heraus.

Die Ware verpackte sie mir in eine braune Papiertüte, mit der ich dann schleunigst das Etablissement, wie ich es im Stillen nannte, verließ. Nachdem ich die Tüte auf dem Gepäckträger verstaut hatte, machte ich mich über die Ruhrstraße wieder auf den Weg zurück. Ich war froh, als ich die Brücke überquerte und nicht mehr Gefahr lief, irgendwie aufzufallen.

Nachdem ich in die Laupendahler Siedlung eingebogen war, stieg ich doch lieber vom Rad ab. Die Steigung war mir zu steil. Nach hundert Metern wurde es wieder einigermaßen eben, so konnte ich erneut fahren. Vor meiner Wohnung angelangt, hörte ich das Bellen von Rudolph. Er musste mein Erscheinen bereits bemerkt haben.

Das Rad stellte ich vor der Tür ab, schloss auf, trat in den Flur und sah mich direkt Catriona gegenüber, die mit einer der Desintegrationspistolen auf mich zielte.

»Tritt zur Seite!«, fuhr sie mich an. »Steht da noch jemand hinter dir?«

Ich schüttelte den Kopf und tat ihr den Gefallen. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass ich alleine war, senkte sie die Waffe.

»Stell das Rad weg. Weg von der Straße. Und bring den Hund dazu, dass er still ist.«

Ich stellte die Papiertüte ab und ging wieder hinaus. Um das Rad in den Schuppen zu stellen, brauchte ich nicht lange. Catriona würde ihre Gründe haben, so zu handeln, dachte ich mir. Besorgt sah ich mich draußen um, konnte jedoch nichts Auffälliges erkennen.

»Was ist denn los?«, fragte ich sie, als ich wieder im Haus war.

»Der Geruch ist nicht weggegangen, nachdem du den Müll rausgebracht hattest. Er kommt von oben«, sagte sie und deutete dabei mit ihrem Kopf gen Decke. »Ich bin raufgegangen, die Treppe hoch zu deinem Vermieter. Die Tür oben ist durch Desintegratorbeschuss beschädigt worden. Dein Vermieter und seine Familie, Andy … Sie sind alle tot. Die liegen da oben und fangen bereits an zu verwesen. – Aber das ist nicht das Schlimmste, Andy.« Sie holte kurz Luft.

»Rudolph wollte raus, ich habe ihn vor die Tür gelassen. Da er nicht wieder zurückkam, musste ich hinterher, trotz meiner unzureichenden Kleidung. Er schnüffelte an der Garage rum und … ich glaube, ich zeige es dir besser selbst.«

Sie zog mich hinter sich her, nach draußen an die Seite des Hauses, an der die Garage stand. Dort angelangt, öffnete sie das Garagentor. Ich staunte Bauklötze, da stand mein Auto. Wieso befand es sich hier und nicht im Norden Hollands?

Der zweite Blick offenbarte mir, dass es nie wieder fahren würde. Desintegratorbeschuss hatte den Motorblock geradezu zersiebt.

Erst der dritte Blick zeigte mir die beiden Personen, die im Wagen saßen. Beide offensichtlich tot. Die Schüsse aus den Desintegrationswaffen hatten die Einschusslöcher kauterisiert. Auch wenn bei den Schädeln wesentliche Teile fehlten, konnte ich unschwer Catrionas und meine eigene Leiche erkennen. Beide in einem Zustand, der von Verwesung nicht weit entfernt war.

Cat zog mich weg, riss das Garagentor wieder herunter und schob mich ins Haus.

»Wir müssen hier weg, Andy«, sagte sie nur.

Völlig fertig sackte ich auf der Couch zusammen. Das ergab doch alles keinen Sinn!

»Die Kleidung, passt sie dir?«, fragte ich. Das war ein Versuch, zur Normalität zurückzukehren.

Cat verstand ihn auch so. Sie ergriff die Tüte und ging ins Schlafzimmer. Wenig später kam sie zurück. »Die Hose zwickt ein wenig, der Rest ist schon in Ordnung. Die Sandalen gehen ja bei diesem Wetter, aber ich brauche feste Schuhe.« In T-Shirt und enger Hose sah sie fantastisch aus.

»Klar, aber die probierst du besser selber an. Cat, da ist noch was.«

Sie sah mich auffordernd an.

»Kannst du Französisch?«, fragte ich.

»Ein wenig«, antwortete sie.

»Hier ist Französisch die offizielle Sprache. Deutsch scheint nicht nur verpönt, sondern vielleicht sogar verboten zu sein.« Ich rief mir den Bankangestellten wieder in Erinnerung. »Die Leute können noch Deutsch sprechen, aber sie scheinen es nur im Geheimen, wahrscheinlich nur im Kreise der Familie zu tun. Im öffentlichen Raum …« Ich erzählte ihr, was ich in der Bank erlebt hatte.

Sie stand auf und ging zu den Regalen, die, mit Büchern vollgestopft, die Wände meines Wohnzimmers zierten. Mit den Fingern fuhr sie über die Buchrücken. »Offensichtlich«, meinte sie dann. »Alles Titel in französischer Sprache.«

»Was?«, entfuhr es mir. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, mein Hab und Gut genauestens zu kontrollieren, als wir gestern hier anlangten. Eine Kontrolle meinerseits ergab jedoch auch kein anderes Ergebnis. Diese Bücher, die da standen, waren zwar die meinigen, lesen würde ich sie jedoch nicht können, nicht bei meinen Französischkenntnissen.

Sie hielt mir die Ohrstöpsel hin. »Wenn du die drin hast, verstehst du, was gesagt wird.«

»Warum übersetzen die nur auf Deutsch?«, fragte ich die Frage, die mir damals so auf den Nägeln gebrannt hatte, als Ukbele einen der Übersetzer gut hätte gebrauchen können.

»Willst du eine andere Sprache?«, fragte sie etwas irritiert zurück.

»Nein, du hast mich falsch verstanden. Ich meinte, ob auch in andere Sprachen übersetzt werden kann oder ob nur ins Deutsche übersetzt wird, weil in deiner Zeit auch eine Diktatur bis in den kleinsten Winkel hinein alles vorschreibt, auch die Sprache.«

»Das war nicht meine Zeit, in der du ASTROMINC besucht hast. Genauso wenig, wie das hier jetzt deine Ursprungszeit ist. Du kannst einstellen, in welche Sprache übersetzt werden soll. Wäre ja auch blöd, wenn das nur in eine Richtung ginge.« Sie drückte mit der Spitze eines Fingernagels auf eine bestimmte Stelle, sofort poppte ein Hologramm auf. »Hier kannst du das einstellen«, sagte sie.

Hätte ich das gewusst, hätte Ukbele es wesentlich einfacher haben können.

»Ich belasse es bei Deutsch, ja?« Sie drückte mir die Geräte in die Hand, ich verstaute sie in meinen Ohren.

»Ich hätte misstrauisch werden sollen, Croissants hatte ich nie im Vorrat«, murmelte ich vor mich hin.

»Wir müssen hier weg, Andy. Die Toten werden nicht unbemerkt bleiben. Es ist schon merkwürdig, dass sie noch nicht gefunden wurden. In dem Zustand, in dem sich die Leichen befinden, sind sie nicht erst seit gestern tot. Warum werden die Kinder nicht in der Schule vermisst, warum meldet sich kein Arbeitgeber?«

»Vielleicht sind gerade Schulferien«, schlug ich vor.

»Kann alles sein«, lenkte Catriona ein. »Trotzdem kommt mal jemand vorbei, und sei es der Briefträger, der sich ob des nicht geleerten Kastens wundert.«

»Ich hatte gehofft, dass wir die zwei Wochen in Ruhe hier verbringen könnten.«

»Wie viel Geld hast du?«

Ich griff in meine Hosentasche und zog das Bündel Scheine hervor. »Noch erstaunlich viel, obwohl ich die ganzen Sachen gekauft habe.« Ich erinnerte mich an die hochgezogene Augenbraue des Kassierers in der Bank. »Vermutlich habe ich, an Kaufkraft gemessen, eine ganze Menge abgehoben.«

»Zwei Wochen«, sinnierte sie. »Wir sollten im Haus suchen, oben bei deinem Vermieter auch. Jeder Pfennig, den wir finden, kann uns helfen.«

»Sou«, warf ich ein. »Du willst die Leichen fleddern?«

»Keine schlechte Idee. Vor allem unsere.«

»Du meinst das ernst?«

Sie nickte. »Die Amulette sind zerschossen, aber … wer weiß schon, was wir finden?«

»Wir, ich meine … die beiden da draußen in der Garage, die waren nicht stationär. Das sind wir, Cat.«

»Wir sollten vielleicht verhindern, wieder in deine Zeit zu springen. Man hat uns hier aufgelauert, wahrscheinlich beim Einparken kalt erwischt.«

»Jetzt, wo wir es wissen«, ich überlegte, »können wir es überhaupt verhindern? Ich meine die Kausalität …«

»Zeitreisen gehen anders, Andy. Diese Kausalität, auf die du dich andauernd berufen willst, die gibt es so nicht.«

»Manchmal schon«, wandte ich ein. »Ein geschichtliches Ereignis, das verändert wird, führt zu einer anderen Zukunft. So etwas in der Art muss auch hier geschehen sein.«

»Wir haben zwei Möglichkeiten, Andreas. Wir könnten wahllos in der Zeit hin und her springen oder aber uns um die geschichtlichen Abweichungen kümmern, um die gewünschte Zeitlinie so wiederherzustellen.«

»Welche ist denn die gewünschte?«, fragte ich.

Sie sah mich betreten an. »Du möchtest zurück? Wie dein Freund Ukbele?«

»Und du möchtest in deine Zeit.«

»Ich möchte, dass dieser Irrsinn aufhört. Dazu muss ich zurück in meine Zeit und verhindern, dass diese Menschen durch den Sprungpunkt kommen und die Zeit durch ihre Sprünge durcheinanderbringen. Das verträgt sich nicht mit deinen Vorstellungen, nicht wahr?« Sie sah mich betreten an.

»Cat, irgendetwas stimmt da nicht. Mit deiner Vorstellung, meine ich. Ich habe zweimal deine Zeit erlebt. Es war eindeutig die deine, aber es gab Abweichungen, durchaus auch gravierende. Was macht dich so sicher, dass, wenn du tatsächlich exakt deine Zeit wiederherstellst, du verhindern kannst, dass weitere Manipulationen geschehen? Du sagst doch selber immer, dass diese Kausalitäten nicht wirklich greifen.«

»Es ist meine einzige Hoffnung«, entgegnete sie.

»Lass uns erst mal von hier verschwinden. Wer von uns fleddert die Leichen im Wagen und wer sieht sich oben um?«

Es war mehr als unangenehm, an den beiden Leichen im Wagen quasi eine Leibesvisitation durchzuführen. Es stank bereits bestialisch, ich musste mich überwinden, mich nicht zu übergeben. Meine Suche war insofern ergiebig, als ich in einer Innentasche meiner Jacke mein Portemonnaie fand. Cat hatte nichts bei sich. Die Amulette, die die beiden Leichen um den Hals trugen, waren zerstört. Desintegrationsstrahlen waren direkt durch sie hindurchgegangen. Waffen oder sonstige Ausrüstungsgegenstände waren nicht vorhanden.

Ich kippte den Inhalt des Portemonnaies auf dem Wohnzimmertisch aus, als Catriona wieder die Wohnung betrat. Sie hatte Geldscheine in der Hand, die sie ebenfalls auf den Tisch legte.

»Das ist anderes Geld«, sagte sie nach einem kurzen Blick auf den Inhalt meiner Börse.

»Offensichtlich«, gab ich zu. »Es sind allerdings auch keine Euroscheine und auch nicht deine D-Mark. Taler«, sinnierte ich. »Da steht doch tatsächlich Taler auf den Scheinen drauf.«

»Einhundertachtzig Francs«, sagte Cat, nachdem sie die Scheine aus der Wohnung meines Vermieters gezählt hatte. »Zusammen mit dem, was du noch übrig hast, sollte es für zwei Wochen Hotel irgendwo reichen.« Dann sah sie zu Rudolph hinüber. »Hotel scheidet wohl eher aus, Ferienwohnung oder so ist besser.«

Ich montierte einen Korb auf dem Gepäckträger meines Fahrrades und bereitete Rudolph dort auf einer Decke ein Lager. Er ließ es sich erstaunlicherweise gefallen, hineingelegt zu werden. Catriona nahm ein Rad aus dem Vorrat meines Vermieters. Auf ihren Gepäckträger schnallten wir eine Reisetasche, in die wir das Nötigste gepackt hatten.

»Wir sollten irgendwohin, wo du noch nie gewesen bist«, sagte Catriona.

Sie wollte nicht erneut ein solches Debakel erleben wie damals in Holland, das war klar.

»Cat, die wussten damals nur davon, dass wir dorthin geflüchtet waren, weil ich es ihren Vorfahren erzählt habe. Da ist tatsächlich eine Logikkette gewesen. Die hat sich uns lediglich nicht erschlossen, weil wir bestimmte Ereignisse noch nicht erlebt hatten.«

Sie versuchte mir gedanklich zu folgen, aber ich sah, wie schwer es ihr fiel. Kein Wunder, sie war ja auch nicht dabei gewesen, sie hatte sich die ganze Zeit in Alexandria aufgehalten. Dabei war für sie schlussendlich wesentlich weniger Zeit vergangen als für mich.

»Du meinst, wir könnten demnach gefahrlos nach Holland?«

Ich lachte. »Nicht mit den Rädern hier, das ist mir zu weit.«

»Lass uns zuerst nach Kettwig rüber. Ich will mir lieber feste Schuhe kaufen, besser ist besser.«

Der Tag war wie zum Radfahren gemacht. Ein wunderschöner Frühlingsduft lag in der Luft. Die Sonne schien, die Temperaturen waren mild. Wären nicht die verstörenden französischen Straßennamen gewesen, die mir jetzt ab und an auffielen, ich hätte mich hier heimisch fühlen können.

Das Panorama der Kettwiger Altstadt, von der Brücke über die Ruhr aus gesehen, entschädigte mich für viel. Wenn sich da nicht immer noch der Anblick unserer eigenen Leichen in meinem Auto vor mein inneres Auge geschoben hätte, hätte ich diese Fahrt mit dem Rad genießen können.

Als wir die Ruhrstraße, die erstaunlicherweise ihren Namen nicht geändert hatte, an ihrem rechten Ausläufer verließen, standen wir praktisch direkt vor dem französischen Kaufhaus, in dem ich vorhin bereits eingekauft hatte.

»Ich denke, du bleibst mit dem Hund besser draußen«, meinte Catriona, schwang sich vom Rad und stellte es ab. Dann verschwand sie im Gebäude.

Rudolph war erstaunlich ruhig geblieben. Auch wenn er keinerlei Erfahrung damit haben konnte, auf einem Fahrrad transportiert zu werden, verhielt er sich völlig konform. Ich drehte mich etwas zu ihm um und kraulte ihn. Er ließ es sich gefallen. Zu spät fiel mir ein, dass ich so wohl kaum selber vom Rad absteigen konnte, er würde aus dem Korb fallen. Da wäre es besser gewesen, Cat hätte ihn herausgehoben. Nun ja, dafür war es zu spät. Außerdem besaß ich keine Leine für den Hund, von einem Halsband oder gar einem Geschirr ganz zu schweigen. Es hätte nur Komplikationen gegeben, wenn ich ihn hier hätte laufen lassen.

Cat brauchte nicht lange. Sie hatte tatsächlich nur ein Paar feste Schuhe gekauft, die sie jetzt in die Reisetasche stopfte. Danach schwang sie sich wieder auf ihr Rad und sah mich an, dabei schüttelte sie leise den Kopf und fragte mich auf Französisch: »Wo lang jetzt?«

Durch die Übersetzungsgeräte verstand ich sie sofort, war aber trotzdem irritiert, warum sie diese Sprache gewählt hatte.

»Willst du bei deinen Eltern vorbei?«, fragte sie.

»Oui«, antwortete ich, schlagfertig, wie ich meinte. Jetzt verstand ich, warum sie nicht Deutsch sprach. Eine Gruppe Jugendlicher war aus Richtung der Altstadt, die hinter meinem Rücken lag, aufgetaucht und zog langsam an uns vorüber. Einige Fetzen ihres Gesprächs, natürlich auf Französisch, fing ich auf.

Ich trat in die Pedalen und gab Cat wortlos zu verstehen, mir zu folgen. Nachdem wir durch die Corneliusstraße gefahren und in die Brederbachstraße abgebogen waren, stoppte ich und drehte mich zu ihr um.

»Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, wenn wir zu meinen Eltern fahren.« Ich hatte es mir überlegt. Was sollte ich ihnen erzählen? Zumal bestand ja durchaus die Möglichkeit, dass sie sich mit mir auf Französisch würden unterhalten wollen.

»Die Frage vorhin war auch nicht wirklich ernst gemeint«, sagte sie. Auf Französisch! Sie hielt sich tatsächlich daran.

Ich blickte mich um. Rechter Hand lag der Friedhof, links stand die gewohnte Häuserzeile. Wir waren nicht weit von dem Gebäude der Realschule entfernt. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, der uns hätte hören können. Lediglich weit hinten, zwischen den Gräbern, kniete eine Frau und pflanzte irgendetwas.

Aber sie hatte ja recht. Wenn wir nicht auffallen wollten, sollten wir uns anpassen. Blöd, dass mein Französisch so stark eingerostet war. Verständlich machen konnte ich mich nicht in der Sprache.

»Wohin dann?«, fragte ich meine Begleiterin.

Sie zuckte die Achseln. »Raus aus Kettwig«, sagte sie dann. »Aber bitte einen möglichst ebenen Weg, das Rad hier hat nur drei Gänge.«

»Dann nehmen wir den Leinpfad nach Mülheim«, entschied ich, drehte mein Rad und fuhr die Brederbachstraße wieder zurück. Catriona folgte mir wortlos.

Ich ließ es mir nicht nehmen, an meiner alten Schule vorbeizufahren. Auch wenn das Theodor-Heuss-Gymnasium hier nach einem mir Unbekannten Lycée Charles VI benannt war, entsprach das Gebäude exakt dem, in dem mir neun Jahre lang amtlich attestiert worden war, dass ich nichts konnte, in keinem Fach.

Kurze Zeit später waren wir an der Ruhr und fuhren den alten Leinpfad entlang.

»Rudolph wird unruhig«, rief Catriona mir von hinten zu.

Ich bremste ab, sie nahm den Hund aus dem Korb und setzte ihn zu Boden.

»Pause?«, fragte ich.

Sie nickte.

Wir legten die Räder ins Gras und setzten uns daneben auf den Boden.

»Wie war sie so?«, fragte Catriona unvermittelt.

Ich sah sie verständnislos an. Was meinte sie?

»Diese Nur, von der du mir so viel erzählt hast«, erläuterte sie ihre Frage.

»Da war nichts zwischen uns«, sagte ich. »Bist du eifersüchtig?«

Cat schüttelte den Kopf. »Dir muss etwas an ihr gelegen haben, so wie du von ihr erzählt hast.«

»Sie war eine tolle Frau«, gab ich zu, »aber sie war auch wesentlich älter als ich.«

»Du stehst doch auf ältere Frauen«, neckte sie mich.

»Das liegt an frühkindlicher Prägung«, gab ich zurück. Tatsächlich war mir Cat während meiner Kindheit und Jugend nie aus dem Kopf gegangen. Die Frau, die mich damals in der Kettwiger Altstadt gerettet hatte, die sich mit mir im Chinarestaurant verabredet hatte. Ein Date, das so weit für mich in der Zukunft lag, dass ich den Zeitraum als Kind kaum erfassen konnte.

»Meinst du, sie hat die richtige Wahl getroffen, indem sie in dieser Zeit geblieben ist?«

»Ich denke nicht«, gab ich zurück. »Zumal diese Zeit ja jetzt schon nicht mehr existent sein kann. Diese Gegenwart hier kann nicht in einer solchen Zukunft münden.«

»Irgendetwas stimmt da nicht, Andy. Wieso konntest du mich holen? Wieso war die Zeit in Alexandria nach wie vor existent? Das ist zu viel für meinen Kopf.«

»Zeitreisen gehen anders, das ist dein Spruch«, erinnerte ich sie. »Kausalitäten sind manchmal vorhanden, manchmal nicht. Ich verstehe das auch nicht, aber irgendwie hoffe ich, dass sie da draußen nach wie vor irgendwo ihr Leben lebt. Genauso wie Ukbele auch.«

»Meinst du, dass die bloße Anwesenheit eines nicht stationären Zeitreisenden da irgendetwas auslöst? Zumindest so lange, bis derjenige erneut gesprungen ist?«

»Keine Ahnung. Möglich wäre es schon. Aber das sind alles Spekulationen, die zu nichts führen.«

Rudolph kam von seinem Ausflug zurück und stieß mich mit der Nase an, dann lief er ein Stück den Leinpfad entlang, stoppte und blickte auffordernd zu uns.

»Dein Hund will weiter«, sagte Cat.

Wir stiegen auf die Räder und fuhren langsam, sodass Rudolph problemlos nebenherlaufen konnte, weiter in Richtung Mülheim.

Die Autobahnbrücke verschandelte das Ruhrtal genauso wie zu meiner Zeit. An dem Pfeiler, den wir in gemächlichem Tempo passierten, war eine Hinweistafel angebracht, die auf Französisch Auskunft über das Bauwerk gab.

Ils quittent l’Empire français, das konnte selbst ich übersetzen, als ich es auf der Hinweistafel las, die wir kurz darauf passierten.

Ich bremste ab und sah mich um. Links von uns war der Fluss, rechts zogen sich Felder sanft ansteigend die Ruhrhöhe hinauf. Etwa fünfhundert Meter von uns entfernt konnte ich die Straße ausmachen, die von Kettwig nach Mülheim führte.

Die Straße, die an dieser Stelle nicht so aussah, wie ich sie in Erinnerung hatte.

Auch wenn ich es nicht genau ausmachen konnte, sah das da hinten aus wie ein Schlagbaum.

»Ich glaube, wir passieren die grüne Grenze zwischen dem Französischen Reich und etwas anderem«, sagte ich.