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Der große Dicke fährt schwitzend vorneweg und hechelt mit der Nase im Wind und die kleine Dünne mit ihrem E-Bike -meist beladen wie ein Packesel- lächelnd hinterher. So beginnt die Erzählung unserer ersten Reisen und gilt gleichermaßen auch für die hier beschriebenen. Über diese -im Jahre 2019 durchgeführten- Reisen möchten wir Ihnen, sehr verehrter Leser, in diesem kleinen Büchlein berichten und hoffen, Sie entführen zu können in unsere Welt, dass dieses Büchlein Sie unterhält, gelegentlich zum Schmunzeln bringt, dass Sie mitleiden und mitstaunen und vielleicht den einen oder anderen Leser sogar motiviert, es uns gleich zu tun.
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Seitenzahl: 369
Veröffentlichungsjahr: 2020
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Zusammenfassung
Schlusswort
Wer uns zwei -ein Ehepaar um die Fünfzig- sieht, dem ist eines sofort klar.
Der große Dicke fährt breit grinsend mit dem E-Bike vorneweg und die kleine Dünne hechelt mit dem Trekkingrad hinterher.
Aber der erste Eindruck täuscht, denn es ist genau umgekehrt.
Der große Dicke fährt schwitzend vorneweg und hechelt mit der Nase im Wind und die kleine Dünne mit ihrem E-Bike -meist beladen wie ein Packesel- lächelnd hinterher.
So beginnt die Erzählung unserer ersten Reisen und gilt gleichermaßen auch für die hier beschriebenen.
An uns und der Art, wie wir die Hürden auf solchen Reisen bewältigen, hat sich nichts geändert und daher lag es auf der Hand, auch den einführenden Teil des Vorwortes nicht zu verändern.
Über diese -im Jahre 2019 durchgeführten- Reisen möchten wir Ihnen, sehr verehrter Leser, in diesem kleinen Büchlein berichten und hoffen, Sie entführen zu können in unsere Welt, dass dieses Büchlein Sie unterhält, gelegentlich zum Schmunzeln bringt, dass Sie mitleiden und mitstaunen und vielleicht den einen oder anderen Leser sogar motiviert, es uns gleich zu tun.
Hollywood, Florida - Phoenix, Arizona
(10.01.- 08.03.2019)
Wir tun es schon wieder.
Ich glaube, wir sind süchtig. Süchtig nach Abenteuern auf dem Fahrrad in dem für uns schönsten und vielseitigsten Land der Welt: den Vereinigten Staaten von Amerika.
Gut sieben Monate, nachdem wir Florida verlassen hatten, sind wir nun wieder da.
Es war halb 8 am Abend, als wir am Flughafen in Miami ankamen. Irgendwie nichts los hier, obwohl Anfang Januar eigentlich Hochsaison wäre.
Ich glaube, die Homeland-Security ist überbesetzt, fast mehr Beamte, als Fluggäste.
Entsprechend kurz war auch die Wartezeit und schwuppdiwupp standen wir mit einem frischen Stempel im Pass am Kofferband.
Die Koffer kamen auch kurze Zeit später angehoppelt und nun brauchten wir nur noch den Leihwagen zu holen und gewannen damit gleichzeitig ein wenig persönliche Unabhängigkeit zurück.
Der flughafeninterne Shuttlezug zu den Autovermietungen verkehrt im Minutentakt und wenige Augenblicke später standen wir als Erste am Schalter, um unseren Minivan abzuholen.
Als wir der Dame dann unsere Unterlagen für den bereits im Voraus gebuchten Wagen vorlegten, klapperte sie eine Zeitlang nervös mit den Wimpern und auf der Tastatur ihres Computers herum, konnte aber beim besten Willen unsere Reservierung nicht finden.
Nanu, was war denn da nur los?
Ein kurzer Blick auf die Papiere führte sogleich zu der Erkenntnis, dass wir beim falschen Vermieter anstanden.
Wie peinlich...ich glaube, ich versank gerade im Boden.
Die Dame jedoch nahm es sportlich und zeigte uns mit einem augenzwinkernden Lächeln die richtige Station.
Dort standen leider rund 12 Personen vor uns, was für ein Pech. Allerdings waren auch hier mehrere Angestellte zugange, sodass es wiederum nur wenige Minuten dauerte, bis wir dann unseren Abholschein in den Händen hielten und in den Wagen steigen durften.
Die erste Nacht auf dem Hoheitsgebiet des blonden Hünen mit der lustigen Frisur und jetzt wohl mächtigstem Mann der Welt, Donald T., verbrachten wir in einem Hotel ganz in der Nähe des Flughafens, das hatten wir extra so eingerichtet, damit wir nicht mitten in der Nacht noch eine Ewigkeit durch Miami und deren Vororte rumfahren mussten. Ausserdem gibt es gerade in Miami zuviele Ecken, an denen man in der Dunkelheit sprichwörtlich nicht tot überm Zaun hängen möchte.
Wie immer bei Reisen in die USA waren wir am nächsten Morgen natürlich wieder die absoluten Frühaufsteher und standen bereits kurz nach 6 Uhr beim Frühstück an.
Erstaunlicherweise waren da aber schon weitere Gäste, unter anderem eine Dame mittleren Alters im Kimono (und mit der Figur eines 200-Liter-Ölfasses) und knallroten Kniestrümpfen. Sie nahm ihren Toast im Stehen ein, und jedesmal, wenn sie sich bückte (was sie auffällig oft tat), gab sie den Blick frei bis in ihr stark bewaldetes Hinterland oder noch weiter. Langsam drängte sich uns der Verdacht auf, dass wir wohl in einem Stundenhotel gelandet waren.
Auch die Blicke der anderen Gäste fanden immer wieder dorthin. Aber offensichtlich war diese Dame in dem Hotel gut bekannt, denn mit den Herrschaften in der Lobby ging sie ausgesprochen freundschaftlich um.
Im Übrigen sind wir natürlich von derartigen Anblicken eher amüsiert, als erschrocken, zumal wir da schon ganz andere Sachen gesehen haben.
Die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika sind halt in den Dingen des täglichen Lebens unglaublich tolerant.
Nach einem nicht ganz so befriedigenden Frühstück packten wir dann unsere Siebensachen und fuhren eine Autostunde Richtung Norden, in den uns inzwischen wie eine zweite Heimat gewordenen Ort Hollywood, Florida. Ein bisschen Bammel nach dem Schockerlebnis im vergangenen Jahr, als uns in Las Vegas beide Räder nebst kompletter Ausrüstung gestohlen wurden, hatten wir schon, je näher wir unserer Storage (dem Lager) kamen, in der unsere beiden Räder und die Ausrüstung seit einem guten halben Jahr auf uns warteten.
Die Spannung stieg, als wir den Aufzug betraten und den Code für unsere Etage eingaben. Naja, zumindest der Fahrstuhl erkannte uns gleich und erzeugte auf dem Display einen digital generierten, freundlichen Willkommensgruß „Good Morning Mr. Dressler“.
Mit leicht ansteigendem Puls näherten wir uns der Tür zu unserem Lager, Schlüssel rein, doch die Tür ging nicht auf. Verdammt, was war denn da schon wieder los? Achso, die richtige Tür sollte man schon nehmen, Schnuckelhase! Also nochmal auf die Papiere geschaut und tatsächlich, wir hatten nicht 2062, sondern 2063, also einen Gang weiter.
Schnell hingeeilt, das Rolltor aufgeschoben und: alles leer!
Nein, nein das war nur ein Witz – es war noch alles da und unberührt. Unsere Räder scharrten gleich voller Freude mit den Hinterrädern auf dem Boden herum und man merkte auch ihnen an, dass sie bald wieder raus wollten, um auf der Straße etwas zu erleben.
Also befreiten wir sie schnell aus ihrem Gefängnis, beluden die Taschen und packten sie in den Aufzug.
Nichts wie raus mit Euch, ihr treuen Gefährten, raus an die wundervolle Sonne unter tropischem Himmel!
Ich hatte letzte Nacht ziemlich schlecht geschlafen, bin immer wieder voller Schrecken aufgewacht, da ich im Traum glaubte, vor einer leeren Storage zu stehen.
Es war halt ein fürchterlicher Schock, dieses Erlebnis im letzten Jahr, das brauchen wir kein zweites Mal. Weiß nicht, was wir diesmal in einem solchen Fall gemacht hätten.
Doch zum Glück blieben wir von einem solchen zweiten Supergau verschont und konnten befreit das Auto beladen.
Wir fuhren noch ein bisschen durch die Gegend, um zu sehen, was sich alles verändert hat, zu „unserem“ Publix-Supermarkt, dem Aldi und der nicht weit entfernten Race-Trac-Tankstelle. Wer unser erstes Buch gelesen hat, der weiß, was wir dort machten...
Die Stunden vergingen wie im Fluge und bald war es Zeit, das neue Hotel in Hollywood zu beziehen.
Auch hier -wie fast überall in den USA- war es überhaupt kein Problem, die Räder mit aufs Zimmer zu nehmen, selbst wenn sich dieses, wie jetzt in unserem Fall, im 6. Stock befand.
Unsere Fahrräder waren schon mal im Zimmer, nun brauchten nur noch ein paar Kleinigkeiten erledigt und ein paar Besorgungen gemacht zu werden, um unsere Ausrüstung zu komplettieren.
Vorher mussten wir aber noch den Leihwagen zurückbringen. Das ging recht zügig vonstatten, denn bei Fahrzeugrückgaben in den USA nimmt sich kaum einer Zeit, dieses genauer zu inspizieren. Wenn etwas nicht stimmt, bemerkt man das meist erst auf der Kreditkartenabrechnung.
Da die Vermietstation etwa 3km vom Flughafen Fort Lauderdale entfernt lag, mussten wir zuerst mit dem Shuttlebus der Autovermietung dorthin zurückfahren, um dann mit dem Linienbus in unseren Ort zu kommen. Der Fahrer des Airportshuttles raufte sich die Haare, als er hörte, dass wir mit einem Linienbus zurück wollten. Er meinte, 8 von 10 Busfahrern würden betrunken fahren und die anderen zwei so schlecht, dass Unfälle vorprogrammiert sind. Wir sind allerdings schon mehrfach mit dem Bus gefahren in den USA und können das nicht bestätigen. Zumindest war keiner der Busfahrer jemals betrunkener, als wir.
Im Gegensatz zu einem Taxi kostete das Busticket aber auch nur einen Bruchteil, in unserem Falle ganze drei Dollar.
Ein paar Stationen weiter waren wir dann schon wieder zurück in „unserem“ Hollywood, Florida, wo Anne, eine gute Bekannte, zusammen mit ihrem furchteinflößenden 20cm-Hündchen Rocco auf uns wartete. Wir fuhren mit den Fahrrädern zu ihr, damit wir nicht später zu Fuß zum Hotel gehen mussten.
Anne lernten wir etwa fünf Jahre zuvor als Vermieterin einer Ferienwohnung kennen, sie lebt seit 30 Jahren in Florida, kommt aber ursprünglich aus dem französischsprachigen Quebec in Kanada und war ebenfalls recht schnell dem „Sunshine-State“ verfallen.
Wer aus so kalten Regionen wie Kanada oder Deutschland kommt, wo sechs Monate Winter oder zumindest eine halbjährlich von weitestgehend schlechtem Wetter geprägte Zeit vorherrscht, kann das sicher leicht verstehen.
Anne ist eine herzensgute Frau Ende fünfzig und hatte uns zum Essen eingeladen, was meist damit begann, dass man sich paar Dosen Bud, dem - unserer Meinung nach- süffigsten aller amerikanischen Biere, hinter die Binde kippt.
Ihr kleiner Wachhund Rocco wollte derweil andauernd mein Frauchen begatten – keine Ahnung, was in den gefahren war.
Trotzdem war der Abend recht lustig, vor allem, weil Anne nach den ersten drei Bier noch paar große Gläser Wein austrank und dann immer weniger Englisch sprach, dafür aber mehr französisch, was gerade deswegen zu ein paar ausgelassenen Stunden führte.
Auch wir waren nicht mehr so ganz nüchtern, aber es waren ja nur etwa 3km bis zum Hotel und in den USA laufen und fahren so viele kaputte Typen herum, dass wir da nicht weiter auffielen, selbst wenn wir alle Fahrspuren in Schlangenlinien benutzen würden.
Leider gab es nach paar Metern die erste Zwangspause, da mir der Reifen von der Felge gesprungen war – hat man auch nicht alle Tage, so einen sonderbaren Defekt.
Zum Glück hat mein Frauchen an Ihrem Rad einen regelrechten Suchscheinwerfer, so dass die Reparatur in Windeseile erledigt werden konnte.
Es war ein milder Winterabend mit gut 22 Grad und das um 9 Uhr abends. Daheim in Deutschland wurde wohl gerade Schnee geschaufelt.
Am nächsten Tag standen wir ebenfalls wieder früh auf, wir wollten ihn nutzen, um noch die allerletzten Kleinigkeiten zu besorgen und ein wenig am Strand zu liegen – die ersten 30km mit dem Fahrrad auf amerikanischem Boden waren daher schnell abgeradelt, quasi ein kleiner Testlauf mit dem Ergebnis: alles gut.
Natürlich haben wir auch gleich wieder 1,40 Dollar in Münzen gefunden, auf der Straße, während der Fahrt. Ich glaube, ein Fußgänger findet das Zehnfache. Es ist mir nach wie vor unerklärlich, warum die Leute das Kleingeld nicht festhalten können. Vielleicht wollen sie das aber auch gar nicht.
An diesem sonnigen Morgen um 6 Uhr, unserem Starttag zur diesjährigen ersten Tour, gingen wir zum Frühstück und wen wunderts: außer Waffeln, Toast, Müsli und heißem Wasser mit Kaffeegeschmack gab es keine Neuigkeiten zu vermelden.
Ach nein, die Äpfel hätte ich fast vergessen. Frisch poliert, aber kaum essbar, da unglaublich hart und mit einer fürchterlich zähen Schale, wie aus Gummi. Ich hoffte nur, dass es nicht Dekoäpfel waren, an denen wir uns fast die Zähne ausbissen.
Danach packten wir mit einer gewissen Routine unsere Siebensachen zusammen (ich hatte wie immer nur zwei Sachen, meine Frauchen dafür fünf), überprüften noch mal die Pferdchen und los gings.
Beim ersten „Generali“ (Dollar General, ein kleiner Discounter), machten wir kurz Halt, um unseren Proviant noch mit ein paar zusätzlichen Konserven aufzustocken, denn bald sollte es durch die Everglades gehen, da gibt es auf rund 160km keinerlei Einkaufsmöglichkeiten.
Wir verließen Hollywood, Florida in südwestlicher Richtung und hatten natürlich gleich wieder mächtigen Gegenwind, so dass wir die erste Rast recht bald und im Windschatten eines Walmarts einlegten und uns dort auch gleich mit frischem Brot eindeckten.
Das Wetter meinte es ansonsten gut mit uns, die Temperatur lag bei etwa 27 Grad. Wegen des Windes gefühlt leider weit darunter, aber mit Sicherheit kein Vergleich zu dem, was um diese Jahreszeit in Deutschland angesagt ist.
Kurze Zeit später kamen wir an die letzte große Kreuzung, an der die Fahrbahnen links nach Miami Beach, gerade weiter nach Key West und rechts nach Alligatorhausen bzw., wie es in der Landessprache heißt, den Everglades und später dann Naples und Fort Myers führten.
Wir waren zwar einerseits froh, dem Stadtverkehr endlich entrinnen zu dürfen – das ewige Auf und Ab an den Ampeln zerrte gleichermaßen an Nerven und Knien – doch andererseits stieg das mulmige Gefühl im Magen stetig, angesichts der Geschichten, die über dieses Teilstück erzählt wurden. Da sollen die Alligatoren in Scharen hinter der Leitplanke lauern und sich gegenseitig die Zähne spitz feilen, manche verkleiden sich sogar als Sheriff oder Rancher. Ein Bekannter erzählte uns einmal die Story, dass vor ein paar Jahren einer sogar mal einen Bauarbeiter gefressen hatte und dann mit Helm auf der Kreuzung stand, um den Verkehr zu regeln. Natürlich waren das nur wieder kleine Witzchen, aber zu spaßen ist mit dieser Tierart sicher nicht. Die mehrjährigen Exemplare erreichen oft eine Körperlänge weit jenseits der 5 Meter, wobei sie eigentlich ihr ganzes Leben nie aufhören, zu wachsen. Also ungefähr so wie ich.
Ab der Kreuzung wurde die Straße gerade neu asphaltiert und bei jedem Bauarbeiter schauten wir lieber zweimal hin, bevor wir an ihm vorbeifuhren.
Auf jeden Fall war der Radweg wieder so breit wie am Münchner Flughafen eine Landebahn, aber trotzdem schaffte es mein Frauchen mit unglaublicher Treffsicherheit, in voller Fahrt in mein Hinterrad zu krachen, als ich kurz mal stehenblieb. Offensichtlich schaute auch sie jedem Bauarbeiter beim Vorbeifahren tief in die Augen – ich hoffte nur, aus dem gleichen Grund wie ich.
Doch auch diesmal war nichts passiert – das Glück blieb uns hold und außerdem winkte schon unser Hotel mit wehenden Flaggen.
65 Kilometer am ersten Tag sind vollkommen ausreichend, man musste sich ja erst mal an alles gewöhnen, die schwülwarme Luft, die schweren Räder und das lange Sitzen.
Unser Hotel war auch gleichzeitig ein Casino – das Miccosukee Resort, nah am Rande der Everglades.
Es wurde 1999 unter Zuhilfenahme von 45 Millionen Dollar errichtet und ausschließlich von Angehörigen des Miccosukee/Seminole-Stammes betrieben, die im Übrigen sehr große Teile Südfloridas beherrschen und auf dem Gelände des Hard Rock Casinos in Hollywood, Florida gerade ein neues, 150m hohes, Hotel in Gitarrenform errichten für schlappe 1,5 Milliarden Dollar. Da sage mal einer, den Indianern ginge es schlecht.
Die Fleißigen leben in gutem Wohlstand – nur einige wenige führen ein Bettlerdasein.
Am Eingang zur Lobby stand eine Statue mit einem dunkelhäutigen, etwas seltsam dreinblickenden, Indianerjungen. Wir wussten nicht um dessen Bedeutung und waren leicht irritiert, als wir die Räder ins Hotel reinschoben, doch der nette Herr an der Rezeption lächelte nur milde.
Wir hatten ein Zimmer im 5. Stockwerk und einen wundervollen Ausblick Richtung Miami. Das Zimmer war geräumig und sauber und wir machten es uns sogleich auf dem Bett bequem mit einem Tässchen Kaffee und einem Krimi auf Spanisch, vom dem wir kein einziges Wort verstanden.
Auch diesmal waren wir wieder um 6 Uhr morgens wach, seltsamerweise war es noch fast dunkel draußen und nach unserem Empfinden auch etwas zu kühl, um gleich loszuradeln, drum machten wir uns erstmal einen schönen heißen Kaffee. In den USA gehört es ja schon fast zum guten Ton, dass ein Hotel- oder Motelzimmer mit Kaffeemaschine, Kühlschrank und Mikrowelle ausgestattet ist.
Zwar mussten wir heute auf ein Hotel-Frühstück verzichten, doch wir hatten ja vorgesorgt und genügend Brot, Wurst und Käse dabei.
Die Wasservorräte füllten wir an der angrenzenden Tankstelle auf – es gab zwar überall in Hotels oder Supermärkten Wasserspender, aber das schmeckte immer irgendwie stark nach Chlor und war derart kalt, dass es oft nur in Form von Eiskügelchen aus dem Hahn purzelte. Das war eher etwas für Notfälle.
Von Anbeginn an kam uns ein ziemlich kühler Wind entgegen, so dass die Reisegeschwindigkeit im Schnitt nur bei 17km/h lag. Der Wind wurde im Laufe des Tages noch stärker und auf dieser völlig ebenen Strecke waren wir ihm ziemlich schutzlos ausgeliefert. Mein Frauchen konnte dem mit ihrem persönlichen Rückenwind zwar etwas entgegenwirken, aber die Auskühlung des Oberkörpers war damit auch nicht zu verhindern.
Insofern rächte es sich mal wieder ziemlich schnell, dass wir einerseits keine warme Kleidung dabei hatten und sich andererseits das Trainingsniveau seit der letzten Tour nicht unbedingt verbessert hatte. Wir sind halt zwei Genussmenschen und heißen solche Dinge wie Nüsschen, Eis und Schokolade oder ein paar Bierchen schon ab und an willkommen in unserem Zuhause. Mein Frauchen hat in dieser Hinsicht allerdings absolut keine Probleme (mein Gott, was bin ich manchmal neidisch auf ihr Gewicht), doch bei mir ist es für gewöhnlich so, dass ich zum Feierabend zwei Bierchen trinke und die Waage am nächsten Morgen 8kg mehr anzeigt.
Bei einem kleinen Indianermuseum, das auf offener Strecke plötzlich erschien, gab es einen Souvenirstand, der auch Cola und paar Knabbereien im Angebot hatte. In der Hoffnung, das würde mir Kraft gegen den Wind geben, futterte ich eine Tüte Erdnüsse in kürzester Zeit und spülte das Ganze mit reichlich Cola Light runter. Mein Frauchen wollte mal wieder nichts.
Zurück auf der Straße war gleich zu spüren, dass der Wind noch eine Schippe draufgelegt hatte und sein Fauchen klang in unseren Ohren irgendwie gehässig.
Die Anstrengung war ungewohnt und so stark, dass ich mich der Nüsschen und Cola recht bald hinter der Leitplanke entledigte. Naja, die Alligatoren wollten bestimmt auch mal was zum Knabbern.
Mit ungefähr 60km hatten wir noch nicht mal die Hälfte der heutigen Etappe geschafft, drum bat ich mein Frauchen, ein Stück vorauszufahren, damit ich mich in ihrem Windschatten ein wenig ausruhen konnte. Das klappte jedoch nur so leidlich, denn von einer Frau mit 50kg kann man nicht erwarten, dass sie einen Windschatten erzeugt, wie eine Zimmertür. Dennoch half es ungemein und ich war bald wieder in der Lage, vorauszufahren. Der Wind blies zwar unverändert, aber es war inzwischen Mittagszeit und die Temperatur auf etwas über 20 Grad gestiegen.
Rechts neben der Straße gab es die ganze Zeit eine Art Kanal, auf den ersten Blick schien dieser und der Dschungel dahinter unberührt, doch bei genauerem Hinsehen war schnell klar, was da so alles kreuchte und fleuchte. Mein Frauchen zählt gelegentlich, wenn die Strecke selbst nicht wesentlich mehr zu bieten hat, als eine Handvoll Langeweile, gern irgendwelche Gegenstände am Straßenrand. Diesmal waren es allerdings keine Gegenstände, sondern 52 Alligatoren auf 5 Kilometern.
Sie lagen an den Ufern dieses kanalähnlichen Grabens, der sich zusammen mit unserer Straße die Schneise durch den Sumpf teilte und genossen die angenehmen Sonnenstrahlen. Die meisten waren so 3-4m lang, aber ab und zu sah man auch beachtlichere Exemplare von 5 oder 6 Metern Länge (das waren dann die mit dem Bauarbeiter im Bauch).
Haben Sie gewusst, dass deren Weibchen 50-80 Eier legen pro Geburt und die Alligatoren mangels natürlicher Feinde mühelos 70 oder 80 Jahre alt werden? Ich selbst denke, dass die von solchen Tieren ausgehenden Gefahren aus kommerziellen Gründen verharmlost oder gar komplett verschwiegen werden. Schlecht fürs Geschäft, wenn bekannt würde, dass in den Everglades jährlich 130 Menschen von Alligatoren attackiert werden oder noch mehr im Mississippi Delta. Da fällt mir doch gleich eine Strafe ein für Mörder, Kinderschänder oder Vergewaltiger: einmal zu Fuß quer durch die Everglades und die Strafe wird halbiert (zum Beispiel von 2x lebenslänglich auf einmal lebenslänglich). Würde sich auch vortrefflich eignen, um sich der Art von Politikern zu entledigen, die nur Bockmist verzapfen, die das Volk permanent für dumm verkaufen und die sich einen Slogan in Schwurbelsprech um den Hals hängen, der übersetzt nichts anderes heißt als:
„Willkommen liebe Mörder“ (meinen tiefen Dank an Heinz-Rudolf Kunze für dieses Werk). Natürlich müsste in Deutschland davor niemand Angst haben, stimmts? Und mal Hand aufs Herz: möchten Sie als Alligator einem 78-jährigen Knochensack von der SPD in die Wade beißen?
Die tierischen Exemplare hier am Straßenrand waren jedoch allesamt gut erzogen und rührten sich keinen Millimeter. Sind wahrscheinlich auch in keiner Partei.
Nur ab und zu hüpfte ein Fisch aus dem Wasser, der wohl gerade Russisch Roulette mit sich selber spielte.
Diese Anblicke änderten sich lange Zeit nicht, die Straße führte unverändert, beidseitig eingesäumt von blickdichten Mangroven, schnurgeradeaus, nur gelegentlich unterbrochen von kleinen geschotterten Buchten, in denen die Indianer für die läppische Kleinigkeit von 80 Dollar netto ziemlich aufdringlich anboten, halbstündige Airbootfahrten zu unternehmen (die dann in Wirklichkeit nur 18 Minuten lang sind), womit sich das Einkommen der „armen“ Indianer dann schlagartig auf das eines Wallstreet Profis multipliziert.
Einmal winkte eine Dame aus deren Kassenhäuschen und gab uns zu verstehen, dass Radfahren hier viel zu gefährlich sei und wir besser umkehren sollten. Was natürlich ziemlicher Blödsinn war, denn wir hatten inzwischen zwei Drittel der heutigen Strecke absolviert. Doch das konnte die gute Frau natürlich nicht wissen. Lang mögest Du leben und danke für Deinen Rat! Kurze Zeit später kamen wir am kleinsten Post-Office der USA (vielleicht sogar der Welt?) vorbei, das mit etwa einem Quadratmeter Grundfläche wohl auch nicht größer benötigt wurde, denn wer in dieser Einsamkeit schreibt hier wohl noch einen Brief?
Selbst die Alligatoren sind inzwischen auf Smartphones mit Krokoapp, Dschungelgesichtsbuch und Gezwitscherprogramm umgestiegen.
Ob an den angeschriebenen Öffnungszeiten von wochentäglich 8-10 Uhr wirklich jemand in dieser Sardinendose sitzt, konnten wir nicht herausfinden, denn es war inzwischen Nachmittag.
Die Tankstelle, die bei Kilometer 100 an uns vorbeirauschen sollte, war zwar da, aber hatte kein sonderlich überzeugendes Angebot und so mussten wir uns anstatt einer Gallone kühler Milch mit einer Handvoll kleiner Becher voll pappsüßer Kaffeesahne begnügen. Die Pause tat gut, obwohl wir ohnehin jede halbe Stunde kurz anhielten und ein wenig umherhüpften. Langsam begann es dann auch zu dämmern und es wurde merklich kühler und der Wind war wieder sehr stramm. Und endlich, nach 122km Strecke und knapp 7h Fahrzeit, kam unser Hotel in Sicht. Kollektives Aufatmen war angesagt und nichts wie rein in die beheizte Lobby. Doch der Herr am Empfang konnte beim besten Willen unsere Buchung nicht finden, obwohl ich ihm diese auf dem Handy zeigte. Keine Ahnung, was da schiefgelaufen war.
Natürlich bekamen wir dennoch ein Zimmer und natürlich (ganz klar) zu fast dem doppelten Preis, als dem, was ich gebucht und vorausbezahlt hatte.
Aber egal, wir wollten nur noch rein ins Zimmer, heiß duschen und dann ab ins Bett. Unseren Rädern ging es so wie uns, sie waren auch bisschen angeschlagen, mein Frauchen hatte vom Seitenständer eine Hohlschraube verloren und der Ersatzakku ließ sich nicht mehr einschalten. Da werd ich morgen früh wohl was basteln müssen.
Gute Nacht...
Als wir an diesem klaren Morgen aus dem Fenster unseres Motels schauten, glaubten wir unseren Augen nicht zu trauen, denn es hatte geschneit.
Nein, natürlich nicht, auch das war nur wieder ein Witzchen von mir, denn im Süden Floridas schneit es für gewöhnlich nur sehr selten, so aller 80-100 Jahre einmal. Zum Glück lag der letzte Schneefall in dieser Region erst 52 Jahre zurück, sodass diesbezüglich noch keine Gefahr drohte. Dennoch:
es schien sehr kalt zu sein und nachdem ich kurz die Nase aus der Tür gesteckt hatte, erweckte das in mir schlagartig den sehnlichen Wunsch, sofort wieder unter die Bettdecke zu schlüpfen.
Doch es half nichts, unser Plan war gesteckt und die nächsten drei Übernachtungen schon gebucht.
Das Fahrrad meines Frauchens war auch schnell repariert, die zweite Schraube am Seitenständer war ja noch da, die fehlende wurde durch zwei Kabelbinder und etwas Bindedraht ersetzt. Und auch dem Akku machten wir Beine, ein kurzer Reset, ein liebevoller Klaps aufs Gehäuse und schon war wieder alles im Lot. Vielleicht war er ja auch nur ein wenig eingeschnappt – ich kann es ihm nicht verdenken, nach 7 Monaten in einer Lagerhalle.
Der Frühstücksraum in dieser Motelanlage glich vom Aufbau zwar eher einer Kirche und auch das ganze Drumherum war wie eine Missionsstation aufgebaut, aber er war total gemütlich eingerichtet. Das Essen selbst war so lala, aber wir hatten schon schlechteres.
Die heutige Etappe war ja nicht ganz so lang, daher packten wir unsere Sachen in aller Ruhe und zogen an, was wir dabeihatten. Das Thermometer an der Eingangstür zum Motel zeigte 44 Grad Fahrenheit an, das waren etwa 7 Grad Celsius (das habe ich meinem Frauchen aber verschwiegen, ich hoffe, sie verzeiht mir).
Die ersten 5km hatten wir sogar Rückenwind vom Feinsten, man musste gar nicht viel treten und rollte mehr oder weniger mit 25km/h Richtung Naples. Leider machte die Straße bald darauf einen scharfen Knick nach Norden und schon war es vorbei mit der Herrlichkeit, der Wind machte eine Kehrtwendung und kam nun wieder von vorn.
Etwa 25km weiter begann wieder richtige Zivilisation, die Anzahl der Alligatoren, denen wir begegneten, sank im gleichen Verhältnis, wie die der Menschen stieg. Naples liegt am Golf von Mexiko, ist eine beschauliche Kleinstadt mit etwa 22.000 Einwohnern und hat absolut nichts mit der Hektik von Miami zu tun. Hier leben viele Pensionäre und genießen den Ruhestand. Ein Bekannter hat mal in einem Anflug von schwarzem Humor gesagt: „Naples ist das Wartezimmer Gottes“. Aber auf jeden Fall ist Naples ideal zum Radfahren, wenngleich man bisschen mehr aufpassen musste, denn die Autofahrer jenseits der 80 sind auch in Naples nicht besser, als anderswo.
Viele der Häuser wurden auf Stelzen gebaut, in den Flüsschen, die wir überquerten, tummelten sich Schildkröten und hier und da gab es schattenreiche Alleen aus Zypressen und Palmen.
Der Bonita Beach ist einer der schönsten Strände im Südwesten von Florida und reihenweise mit Villen gespickt, eine pompöser, als die andere.
Und bis man es sich vor lauter Schauen versah, waren es nur noch 20km bis zu unserer nächsten Unterkunft in Fort Myers, dem Flamingo Inn. Ein paar Katzenbuckelbrücken und schon waren wir da – die Routine hatte sich wieder eingestellt, auch mein Magen machte keine Mätzchen mehr und ich glaube fest, dass entgegen der Meinung der Schulmedizin -zumindest unsere- Muskeln doch ein Gedächtnis haben.
Selbst die 15 Stufen, die ich mein Fahrrad ins Zimmer hochtragen musste, machten mir nichts aus, was allerdings bei dem Rad meines Frauchens ganz anders war, das schafften wir beladen nicht mal zu zweit. (ich habe die Räder und das Gepäck später mal gewogen: meins hatte 13kg leer und 46kg beladen, das E-Bike meines Frauchens 28kg leer und 61kg beladen). Ohne Taschen ging es dann doch und schon war der zweite Tag gelaufen.
Die heiß ersehnte Gallone Milch gönnten wir uns dann von der gegenüberliegenden Tanke. 75Km waren wir unterwegs bei ziemlich genau 4h Fahrtzeit.
Oh mein Gott, was waren wir froh, als diese Nacht endlich vorbei war. Nebenan schlief ein Bär. Wir haben ihn zwar nie zu Gesicht bekommen, aber aufgrund der Lautstärke muss es ein ziemlich großer, vielleicht sogar ein Grizzly, gewesen sein.
Wir hatten zwar paar Mal gegen die Wand geklopft, aber das schien Meister Petz nicht wirklich zu interessieren.
Zum Glück kam der Tag langsam zum Vorschein und wir gönnten uns ein schönes Tässchen Kaffee.
Komischerweise war es jetzt auch ganz leise im Motel – vielleicht hatte der Bär inzwischen das Weite gesucht.
Also schnell die Räder wieder runtergetragen und raus auf die Piste. Die Sonne schien, aber es wehte ein leichter, kühler Wind schräg aus Nordwest, so dass mein linkes Auge gleich zu tränen begann.
Nein, mein Frauchen, ich bin nicht traurig, es ist nur der Wind...
Nach einer halben Stunde Fahrt machten wir eine kurze Rast bei einem Supermarkt, vor dem uns eine Frau ansprach und erzählte, dass sie aus Minnesota käme und dort auch ein E-Bike hätte und ob mein Frauchen mit dem ihren zufrieden wäre. Und ob sie das war! Mein tolles Radl hat sie keines Blickes gewürdigt, diese Ignoranze.
Aber zumindest wünschte sie uns alles Gute und eine sichere Fahrt. Wir ihr natürlich auch.
Weiter ging es entlang des Estero Beaches, wo das Meer zwar wegen der Dünen nicht zu sehen war, aber irgendwie spürte man seine Nähe, was möglicherweise auch nur an der salzhaltigen Luft lag, die uns von links vorn um die Nase wehte. Es war schön, aber sehr touristisch und die vielen kleinen Shops verkauften alle das gleiche Strandzubehör zu unterschiedlichen, aber völlig überhöhten, Preisen und jeder hatte eine Tiki-Bar, an der allerdings keiner saß.
Ein Stückchen weiter nördlich passierten wir das kleine Örtchen McGregor mit seiner malerischen Allee, einem tollen Radweg zu beiden Seiten und einer großen Bibliothek, vor der Tische und Stühle standen. Die großen schattenspendenden Bäume halfen auch, etwas dem Wind zu entrinnen und ein Denkmal mit einem Brunnen in der Mitte rundete das Bild ab. Wir genossen die Sonne und legten eine weitere kleine Rast ein.
Nach diesem Örtchen wurde es wieder etwas ländlicher, wir wechselten auf die US41, wo ein großes Schild stand, das uns davor warnte, dass weiter vorn Gefängnisinsassen die Straßengräben reinigen und man aufpassen solle. Die Sträflinge, allesamt komplett in Orange eingekleidet, schauten ein wenig grimmig und keiner grüßte.
Das war insofern ungewöhnlich, als dass uns eigentlich so ziemlich jeder grüßte, an dem wir sonst vorbeifuhren. Vielleicht hatten sie keine Lust auf diese Arbeit, wobei ich glaube, dass dies allemal besser ist, als im Gefängnis zu bleiben.
Weiter ging es und wieder dem Wind entgegen.
Nach dem Mittag, die Sonne kam nun schon eine ganze Weile aus Südwesten, fiel mir auf, dass der linke Arm und das linke Bein schon einen ordentlichen Sonnenbrand hatte, das spürte man bei dem kühlenden Wind gar nicht. Auch wenn es Januar war, werden wir wohl ein Sonnenspray kaufen müssen.
Kurze Zeit später, nach 70km, waren wir schon am Ziel, dem Knights Inn Motel. Nicht weit entfernt gab es einen Aldi mit ein paar deutschen Spezialitäten, u.a. Vollkornbrot, den besuchten wir zu Fuß, denn das weiße, weiche, amerikanische Toastbrot wuchs uns schön langsam aus den Ohren raus.
Die Nacht war ruhig, es gab weder Bären, noch eine klirrende Kälte. Als wir am Morgen zum Frühstück gingen, mussten wir allerdings feststellen, dass sich weder Stühle, noch Tische im Frühstücksraum befanden.
Eigentlich hätten wir uns das denken können, denn für gewöhnlich sind Motelbesitzer mit Turban auf dem Kopf immer für eine Überraschung gut. Ich hatte mir die ganze Zeit schon gedacht, dass irgendetwas an diesem Motel nicht stimmt. Es würde damit quasi völlig aus der Reihe tanzen. Aber nein, jetzt kam die Erkenntnis:
der beturbante Besitzer hatte sich, wohl mit indischem Schalk im Nacken, seine Pointe bis zum nächsten Morgen aufgehoben. Wir gratulierten zu diesem geistreichen Entschluss. Aber uns konnte man mit so etwas nicht mehr ärgern, da könnten wir ganz andere Geschichten erzählen. Ein sehr gängiger Trick dieser Turbanträger war für gewöhnlich, dass in der Fernbedienung, die im Zimmer liegt, keine Batterien sind. Wenn man dann abends den Fernseher einschalten will, geht erstmal nichts. Und in der Lobby hängt ein Schild, auf dem steht, die Rezeption sei erst am kommenden Morgen ab 7 Uhr wieder geöffnet.
Was also tun, wenn der Fernseher keine Knöpfe hat, zum Bedienen? Richtig: in den nächsten Supermarkt gehen oder zur nächsten Tanke und Batterien kaufen. Das Dumme ist nur, dass es solche Leute gibt wie mein Frauchen und mich, denn wir nehmen die Batterien am nächsten Morgen wieder mit. Also Pech gehabt, Mr.
Mumbai, nun musst Dir Deine eigenen Batterien kaufen.
Im Übrigen haben wir das auf dem Fenstersims ausgestellte Frühstückszeug nicht angerührt. Denn aus der Kaffeekanne hingen lange graue Haare und die kleinen Zimtschnecken, die es als 12er Pack beim Dollar-Tree (für einen Dollar) gibt, waren derart zerdrückt und verklebt – die waren bestimmt älter als der Böhmerwald.
Irgendwann, wenn diese Turbanheinis mich mal richtig ärgern, kaufe ich ein dickes Rindersteak und nagle es an die Wand. Aber noch war alles im grünen Bereich und außerdem sind wir, das hatte bei unserer Tour auf dem Elberadweg mal eine Zimmervermieterin zu uns gesagt, als wir nach einer üblen Regenfahrt, von oben bis unten voller Dreck und mit quietschnassen Schuhen ins Haus stiefelten, Kummer gewohnt.
Zumindest aber schien die Sonne und halb 8 morgens hatte es schon 15 Grad. Die angekündigte Kaltfront solle wohl in 2-3 Tagen vorbei sein, das hatte der amerikanische Kachelmann prophezeit. Also zurück ins Zimmer, den Wasserkocher angeworfen und einen Kaffee gekocht aus unserem eigenen Proviant. Um 10 Uhr standen dann die gesattelten Pferdchen vor der Tür und wir daneben, voller Tatendrang und guter Dinge.
Gleich in der Nähe des Motels saß ein Mann auf dem Boden und fütterte Vögel. Es waren wohl zwei Dutzend, krähenähnlich und mit glänzendschwarzem Gefieder. Er warf ihnen Krümel zu, die Vögel umkreisten ihn und pickten die Krümel auf. Der Mann selbst war in zerlumpter Kleidung, er hatte wohl für sich selbst nicht viel, aber ein großes Herz für die Tiere. Erinnerte mich ein bisschen an die Szene mit den Tauben im Film „Kevin allein in New York“. Schön anzusehen, aber trotzdem traurig. Wir werden die Welt leider nicht ändern und schon gar nicht retten können, daher haben wir uns zumindest dafür entschieden, sie zu bereisen und darüber zu berichten.
Weiter führte unsere Route auf der US41, immer weiter Richtung Norden. In Punta Gorda, kurz vor der 3km langen Brücke über den Peace River, kam uns eine große Gruppe Radfahrer entgegen. Sie grüßten und winkten und wünschten uns eine gute Tour. In Florida sieht man nicht unbedingt so viele Radler auf einmal, aber das war wohl ein Rad Club, der einen Ausflug machte.
Die US41 war stellenweise mehrspurig wie eine Autobahn und heute waren wohl besonders viele unterwegs. Naja, es war Freitag und das Wochenende bald da, jeder muss noch was einkaufen (in Amerika gibt es ja von Montag bis Donnerstag nichts zu kaufen– hahaha) und Mittagszeit, da hatten wohl eh schon viele Feierabend. Wir quälten uns also gemeinsam mit dieser Blechlawine von Ampel zu Ampel – wann erfindet denn endlich mal jemand die Grünphase für Radfahrer?
Auf jeden Fall waren wir nicht langsamer als die Autofahrer und so traf man fast an jeder Ampel bekannte Gesichter. Einmal wurden wir von einer beifahrenden Dame Ende 60 angesprochen, die mit einem Bierchen in der Hand auf uns einredete.
Einen lallenden, rülpsenden Amerikaner, womöglich noch aus Louisiana oder Mississippi, verstehe ich einfach nicht, tut mir leid. Mein Frauchen tat sich da, warum auch immer, etwas leichter. Als der Wagen dann mit dieser Dame davonbrauste, rief sie noch „Drei und Auf Wiedersehen“ - ich habe keine, Ahnung, was das bedeuten sollte.
An einem neu errichteten Publix-Supermarkt verbrachten wir unsere Mittagspause, dort waren Tische mit Sonnenschirmen aufgebaut und bequeme Bänke, auf denen es man sich gemütlich machen konnte.
Kurze Zeit später waren wir auch schon wieder am Ziel - in Florida gibt es halt nicht ganz so viele Highlights, die den Tag ausfüllen, da lebt man von Momenten und Augenblicken.
Knapp 70km waren es heute, das Virage Hotel in Osprey unweit von Sarasota war unsere Unterkunft, diesmal nicht von einem Inder geführt.
Das Zimmer war riesig, ich glaube, wir hätten ohne weiteres darin mit dem Rad fahren können, ohne irgendwo anzustoßen. Wenn das Frühstück morgen auch so gut ausfällt, wie das Zimmer, sind wir richtig happy. Mal schauen...
Die Nacht war angenehm ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Zum Frühstück wurden wir durch das angrenzende Bentley Hotel geleitet, der Frühstücksraum gehörte praktisch zu beiden Hotels. Schon von weitem konnte man den Geruch von gebratenem Schinken, Rühr- und Spiegeleiern und vielem mehr wahrnehmen. Das Essen war vorzüglich, nur unsere Mägen viel zu klein – ich hätte gern noch eine Weile so weiter gegessen.
Vor allem aus dem Grund, weil wir beide wussten, dass es so etwas so schnell nicht wieder geben würde. Wir haben später nachgelesen, dass diese Hotels normalerweise ein Vielfaches des Preises kosten, den wir bezahlt hatten. Unsere Reservierung war wohl als Lückenfüller gedacht oder schlichtweg ein Fehler unserer Buchungsplattform. Gewundert hatte mich das bereits am Abend zuvor beim Einchecken, denn die Damen und Herren am Empfang waren extrem gut gekleidet und musterten uns ein wenig abfällig, was sonst in den USA fast nie passiert, zumindest nicht in den Etablissements, in denen wir sonst verkehren. Aber sei's drum, es war wunderbar und amüsant, leicht verschwitzt, unrasiert und mit Radlhosen zwischen Rolls Royce- und Bentley-fahrenden Greisen, die sich für ihre viel zu jungen Frauen zum Affen machten, beim Frühstück zu sitzen, um ein Würstchen nach dem anderen mit den Fingern zu verdrücken, während die Herrschaften mit Stoffservietten auf der Karohose krampfhaft versuchten, mit den infolge ihrer Parkinsonerkrankung zittrigen Gliedern das Besteck festzuhalten. Ja, da hilft das Geld dann auch nicht mehr. Wir stopften uns die Jackentaschen voll mit Äpfeln, Bananen, Müslipackungen und vielem mehr und verließen den wundervollen Frühstücksort, der aber auch irgendwie ein Ort des Grauens war. So piekfeine Hotels sind nun mal nicht unser Ding. Punkt.
Im Zimmer schalteten wir noch mal den Fernseher ein, weil wir mitbekommen hatten, dass Sturm „Harper“ im Anmarsch sei und wir wissen wollten, ob das auch uns betrifft. Doch so wie es aussah, sollten wir verschont bleiben.
Wir hatten ja eh nicht mal 60km heute, drum durften wir auch bisschen bummeln.
Manch einer wird sich jetzt vielleicht denken, warum fahren die nur so kurze Strecken, es geht doch auch ganz anders. Aber wir fahren ja kein Rennen und je länger die Strecke in der Summe ist, umso kürzer sind die Etappen, soweit möglich und soweit das Zeitbudget es zulässt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es bei Touren mit mehreren tausend Kilometern zu kraftraubend ist, gleich zu Beginn die langen Strecken „runterzureissen“. Ausserdem sind wir ja, wie ich weiter vorn schon bemerkte, eher die Genießer – wobei für einen wie mich, der immer gegen seine Pfunde kämpft, auch das Wort Hangabtriebskraft eine nicht zu unterschätzende, wenn nicht sogar entscheidende, Rolle spielt.
Gleich nach unserer Abfahrt wehte ein laues Lüftchen und zwar von hinten. Immer wenn wir sehr kurze Strecken haben, kommt der Wind von hinten. Und bei langen Strecken natürlich andersrum. Es ist zum Mäuse melken. Da kein Radweg vorhanden war, fuhren wir auf dem Gehweg – hier in Amerika macht in dieser Beziehung eh fast jeder, was er will.
Gelegentlich fuhren die Radfahrer trotz beidseitigem Radweg entlang einer Bundesstraße entgegen der Fahrbahn – egal, denn schließlich ist man ja nur „paar“ Meilen unterwegs. Dass aber zwischen den Fahrbahnen und dem Radweg oft nur eine weiße Linie auf den Asphalt gepinselt wurde, schienen viele zu vergessen. Verrückte Typen in einer verrückten Welt.
Irgendwann dämmerte es dann auch uns – denn der Gehweg auf unserer Seite war fürchterlich, ausserdem haben Gehwege die unangenehme Angewohnheit, sich bei Einfahrten abzusenken, wodurch bei eng aneinander liegenden Grundstücken unweigerlich das Gefühl entsteht, man fährt Achterbahn. Zu unserem Glück war dann auch noch ein Stau und das hatte seinen Grund. Weiter vorn war ein Oldtimer-Museum mit einem kleinen Fest und einer Ausstellung. Eine ganze Reihe von Besitzern hatte ihre Wagen auf Hochglanz poliert, teilweise waren sie ausgepriesen zum Verkauf. Der Moderator, ein Mann um die 80 mit weißem Pferdeschwanz, hielt ein riesiges Mikrofon in Form eines Staubwedels in seiner Hand und erzählte voller Leidenschaft einige Details über die Wagen und das angrenzende Museum, das wir auch gleich besuchten, denn es war kostenlos. Zu sehen gab es hauptsächlich Fahrzeuge aus den 70ern bis Anfang der 80er, also nicht unbedingt die klassischen Oldtimer. Nur vorn, in erster Reihe, waren ein paar aus den 1940er Jahren. Die Ansprache des weißen Pferdeschwanzes dauerte 20 Minuten und zum Schluss spielten sie noch die Nationalhymne von Amerika. Alle standen da mit der Hand auf dem Herz, nur wir standen ein bisschen dumm rum, was uns aber keiner übelnahm.
Weiter ging die Fahrt. Nach Passieren der letzten Häuser gab es auch wieder einen Radweg - wir hielten noch kurz an einem Supermarkt, doch der war zu. Innen komplett leer, die Regale zusammengeschlagen, nur von außen sah er aus, als würde gleich geöffnet. Sogar die Neonreklame war noch an, unglaublich. Nach dem üppigen Frühstück in unserem Nobelschuppen wollten wir eigentlich den Rest des Tages nur Obst essen – da sind wir mal gespannt, ob das klappt.
Es war nicht mehr weit bis zum Ziel, kaum 10 Kilometer. Der Radweg war wieder weg, die wissen auch nicht, was sie wollen. Mal da und mal weg, ein Graus. Eine Brücke noch und dann durfte es nicht mehr weit sein. Ich schaute immer nach einem roten Dach, denn wir hatten das „Red Roof Inn“ gebucht, also das Hotel, das immer ein rotes Dach hat. Ich fuhr und fuhr und schaute und nix kam. Wollte gerade nach hinten fragen, obs Frauchen was gesehen hat, aber die war weg. Oh fix...gar nicht gemerkt vor lauter Schauen. Hab dann auch mal gehalten und gesehen, dass ganz hinten am Horizont ein kleiner schwarzer Punkt mit Fahrradhelm rumhüpfte und eifrig mit den Armen wedelte. Also schnell umgedreht und siehe da, mein Frauchen hatte doch tatsächlich das Red Roof Inn entdeckt und stand genau davor. Meine Extraschleife von zwei Kilometern hab ich dann eleganterweise unter Zusatz-Training verbucht - hatte ja nach dem Megafrühstück schließlich mehr als genügend Kalorien zu verbrennen.
Als Strafe fürs Zuweitfahren gestern folgte am heutigen Morgen mal wieder ein Frühstück, das keines war. Obwohl wir nicht allzu spät dran waren (war ja außerdem Sonntag), gab es keinen Kaffee und keine Cornflakes mehr. Nur Toast oben ohne, also mit nichts drauf. Die alte Frau hinter dem Tresen mit der riesigen Brille schaute aus, als würde sie kein Wort Englisch verstehen. Eigentlich schaute sie so aus, als würde sie überhaupt kein Wort verstehen, aber nicht, weil sie taub war, sondern weil sie so war, wie sie war. Wenn Sie wissen, was ich meine...
Wir versuchten erst gar nicht, ihr zu erklären, dass bereits morgens halb 8 nix mehr da ist, was man auch nur ansatzweise Frühstück nennen könnte und schlichen uns davon. Schließlich hatten wir noch drei gute Bananen und einen Apfel aus dem Nobelhotel. Reicht als Frühstück allemal.
Heute Morgen war es wieder bisschen kälter – der amerikanische Kachelmann, der wird uns doch nicht angelogen haben? Der Fahrradtacho zeigte 9,7 Grad und das kurz vor halb 11 vormittags.
Nicht der Brüller. Die nicht allzu hohe Temperatur, wie ich es jetzt mal vorsichtig ausdrücken möchte, war aber bei weitem das kleinere Problem. Der Wind war das, was uns am meisten störte. Aber nicht primär wegen des höheren Kraftaufwandes, sondern vielmehr wegen sich möglicherweise anbahnenden Erkältungen. Wir waren schlichtweg nicht darauf vorbereitet. Ich hatte zwar lange Zeit damit verbracht, zu recherchieren, wie das Wetter in den letzten Jahren auf dieser Route war und da hatte es zur Mittagszeit nirgendwo unter 20 Grad - wir hatten auf diese Statistik vertraut und keine dicken Kleidungsstücke mitgenommen.
Doch was solls, nach einer Kältewelle kommt immer eine Hitzewelle, das hofften wir auf jeden Fall.
Die Gegend wurde jetzt etwas ländlicher, wir kamen an großen Viehweiden und Feldern vorbei, die Kühe lagen auf den Wiesen und kauten lustlos vor sich hin. Mein Frauchen pfiff ihnen ein paarmal zu, die jüngeren von ihnen kannten das wohl noch nicht und liefen aufgeregt davon.
Die ersten 13km waren wieder ohne Radweg, es gab nur einen 30cm breiten Seitenstreifen. Ganz ungewohnt für eine Landstraße in den USA, so etwas kannten wir höchstens mal aus den Ortschaften. Zum Glück waren so gut wie keine Autos unterwegs, die Leute saßen bestimmt in der Kirche und beteten für schöneres Wetter. Da der Wind mal wieder die Backen aufblies und stramm von vorn kam, durfte mein persönlicher Windschatten führen. Wir kamen trotzdem nicht sehr schnell voran, Höchstgeschwindigkeit 15km/h. Und das war schon anstrengend genug.
Nach fast eineinhalb Stunden Fahrt und nicht mal 25km machten wir die erste Pause im Stehen.
Schnell eine Banane gegessen und weiter, denn es begann inzwischen leicht zu regnen. Zum Glück nur leicht, doch es waren immer noch 40km bis zum Ziel und das reicht, um ordentlich durchzuweichen. Nach dem Alafia River, der zwar nur 25 Meilen lang, aber an dieser Stelle auf der US41, an der wir ihn überquerten, fast 1 Meile breit ist, kam uns ein extrem übler Gestank entgegen. Ringsum Müllberge, soweit das Auge reichte, eine Gestankskomposition aus verbrannten Autoreifen, Fäkalien und Verwesung – ich glaube, ganz Tampa, dem wir uns nun näherten, entledigte sich an dieser Stelle seiner überdrüssigen Abfälle. Und Tampa ist groß, fast 400.000 Einwohner, da kommt einiges zusammen.
Doch auch das war irgendwann vorbei, denn zum Glück besteht Tampa nicht nur aus Müllbergen, das wäre schlimm. Als wir in den Ort selbst hineinrollten, kamen derart starke Windböen von der Seite, dass es mein Frauchen fast von der Straße gefegt hätte. Sie konnte gerade noch zurückrudern...uff...das hätte übel enden können.
Also nix wie zurück auf den Gehweg und schön langsam. Der Schreck war schon aufregend genug.
So, nun noch den Palm River queren, 7km geradeaus und dann sind wir da. Diese letzten 7km allerdings waren mörderisch und dauerten eine geschlagene halbe Stunde, weil der Regen