KURZ NACH MITTERNACHT - Thomas Muir - E-Book

KURZ NACH MITTERNACHT E-Book

Thomas Muir

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Sie seufzte auf und drängte ihre Tränen zurück. Sie hatte sich so viel von diesem Tag an Bord versprochen - und nun stand sie mitten in einer dieser Nervenkrisen, wie sie sie von früher her bei ihm kannte, nur war sie dieses Mal schlimmer als je zuvor... Sie sah ganz klar. Harold konnte gegen seine Nerven nichts machen, auch nichts gegen seine Abhängigkeit von ihr. Beides war die Folge jener entsetzlichen Schiffsexplosion, die er in Angstträumen immer von neuem erlebte. Erschöpft und vom Schreck wie gelähmt erwachte er dann und brauchte ihre Nähe, um sich zu erholen. Aber oft hatte sie auch das Gefühl, dass er sich nicht genügend Mühe gab, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Auch jetzt hatte sie aus seinem ziemlich zusammenhanglosen Bericht bereits herausgehört, dass Kapitän-Leutnant Shillard nicht eigentlich ungerecht gewesen war... Der Roman KURZ NACH MITTERNACHT des schottischen Schriftstellers und Journalisten Thomas Muir (* 02. Januar 1918; † 8. Oktober 1982) erschien erstmals im Jahr 1948; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1961. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Thomas Muir

 

 

Kurz nach Mitternacht

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 186

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

KURZ NACH MITTERNACHT 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Sie seufzte auf und drängte ihre Tränen zurück. Sie hatte sich so viel von diesem Tag an Bord versprochen - und nun stand sie mitten in einer dieser Nervenkrisen, wie sie sie von früher her bei ihm kannte, nur war sie dieses Mal schlimmer als je zuvor...

Sie sah ganz klar. Harold konnte gegen seine Nerven nichts machen, auch nichts gegen seine Abhängigkeit von ihr. Beides war die Folge jener entsetzlichen Schiffsexplosion, die er in Angstträumen immer von neuem erlebte. Erschöpft und vom Schreck wie gelähmt erwachte er dann und brauchte ihre Nähe, um sich zu erholen. Aber oft hatte sie auch das Gefühl, dass er sich nicht genügend Mühe gab, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Auch jetzt hatte sie aus seinem ziemlich zusammenhanglosen Bericht bereits herausgehört, dass Kapitän-Leutnant Shillard nicht eigentlich ungerecht gewesen war...

 

Der Roman Kurz nach Mitternacht des schottischen Schriftstellers und Journalisten Thomas Muir (* 02. Januar 1918; † 8. Oktober 1982) erschien erstmals im Jahr 1948; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1961.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   KURZ NACH MITTERNACHT

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

»Der Frieden hat auch seine Schattenseiten - und das wäre eine von ihnen«, murmelte Leutnant Crammond nachdenklich, während er an Deck des U-Bootjägers ein paar Schritte auf und ab ging. »Die alte Nighthawk ist fertig - im Brackwasser an einer Boje vertäut, um dort zu verrosten. Der Friedhof der Kriegsmarine!«

Es klang nicht gerade sehr freundlich, einen der lieblichsten Flüsse im Südwesten Englands als Brackwasser zu bezeichnen. Dort aber lag nun eine lange Reihe überzähliger Zerstörer und U-Bootjäger in Paaren mitten im Fluss an Bojen vor Anker. Schon lange hatte man die meisten dieser Schiffe abgeschrieben; sie sahen mit ihren Schornsteinüberzügen und in ihrem dunkelgrauen Schutzanstrich denn auch vernachlässigt und verödet aus. Aber die Nighthawk, auf der Leutnant Roger Crammond als Navigationsoffizier diente, war erst vor einer Woche eingelaufen und hatte noch nicht jenen Zustand erreicht, in dem sie endgültig der Schiffsreserve, Klasse B, zugeteilt werden konnte.

»Schon gut, alter Lotse, werde jetzt nur nicht sentimental«, grinste der Assistenzarzt Parry. »Stell dir nur einmal vor, dass diese verdammten Kästen mit unserer Einkommensteuer in Betrieb gehalten wurden!«

»Wenn einer bloß Arzt ist, versteht er das auch nicht«, erwiderte Crammond anzüglich und steckte sich die Pfeife an. »Ich bin nun über zwei Jahre auf dem alten Kahn, und da kannst du mir einen stillen Seufzer nicht verübeln!«

»Unser Doktor hat ganz recht«, warf ein jüngerer Leutnant ein. Er hatte ein ernstes Gesicht und trug einen schwarzen Spitzbart. »Wenn man dich hört, glaubt man ja .tatsächlich, dir tut es leid, dass der Krieg zu Ende ist.«

Crammond zog die Augenbrauen hoch. In sein hageres, kluges Gesicht trat ein Ausdruck der Trauer.

»Das ist doch eine ziemlich verschrobene Vorstellung, Hinkley«, entgegnete er. »Ich bin genauso froh wie du, dass die Schießerei ihr Ende gefunden hat. Aber betrachtet die Sache doch einmal objektiv. Nehmen wir als Beispiel dieses Schiff: eine technisch hochwertige Arbeit, die ihre halbe Million Pfund gekostet hat. An Bord befindet sich eine Ausrüstung, die sich sehen lassen kann: Peilanlage, Radar, Funk - und dazu kommen noch Offiziere und Mannschaften, die eine gründliche technisch-wissenschaftliche Ausbildung erhalten haben. Das Ganze war auf ein einziges Ziel gerichtet: die Zerstörung von Unterseebooten und das sichere und pünktliche Eintreffen der Geleitzüge. Und nun ist das alles vorbei. U-Boote und japanische Todesflieger gehören bereits so gut wie der Geschichte des Mittelalters an, und deshalb sind wir überzählig.

Wir gehören zum alten Eisen. Tatsächlich ist es doch so: die Atombombe hat die ganze Marine überflüssig und nutzlos gemacht!«

»Eine beachtliche rednerische Leistung so bald nach dem Frühstück!« räumte Parry ein. »Aber lass das um Gottes willen den Alten nicht hören, oder er serviert dir eine Atomexplosion, die auch nicht von schlechten Eltern ist.«

»Ja, ich weiß, die Marine ist sein Beruf, sein Leben und sein Glaube«, stimmte Crammond ihm zu. »Er hat mir neulich erst eine Abreibung verpasst, weil ich zu äußern gewagt hatte, es sei bedauerlich, dass wir nicht das eine oder andere von den Amerikanern übernähmen!«

»Das war aber auch eine Herausforderung! Bei dem Alten heißt es doch nur: Erst die Marine, und was die Marine tut, ist wohlgetan! Was er wohl jetzt anfangen wird?«

»Der wetzt tüchtig, um noch befördert zu werden. Würde mich gar nicht wundern, wenn er es noch weit bringt. Schließlich hat er ja auch allerhand Auszeichnungen aufzuweisen. Fünf U-Boote hat er mit Sicherheit erledigt, und weitere zwei gelten als wahrscheinlich.«

»Dabei aber war sehr viel Glück im Spiel!«, warf Leutnant Rankine, der Geschützoffizier, der gerade zu ihnen getreten war, ein. »Ein ganzer Haufen weit besserer Männer hat niemals Anerkennung gefunden. Er versteht es eben, sich immer vorzudrängen, und kennt die richtigen Leute - säuft Gin mit dem Sachbearbeiter und spielt Golf mit dem Admiral. Anders kommt man ja in der Marine auch nicht vorwärts.«

»Ein junger Mensch von fünfundzwanzig Jahren, der sich nichts mehr Vormacht. Vollkommen zynisch!«, murmelte Crammond. »Davon mag ja vieles zutreffen, aber Kapitän-Leutnant Shillard hat seine Auszeichnungen bestimmt verdient. Außerdem ist er durch und durch Marineoffizier. Die Mannschaften verfluchen ihn zwar, denn er ist natürlich ein scharfer Hund. Aber im Kampf gehen sie mit ihm durch dick und dünn - und du hast das nicht anders gemacht...«

»Das ist im Krieg ja ganz schön und gut«, sagte Hinkley und strich sich den Bart, »aber jetzt kommt er damit nicht mehr sehr weit. Mich wundert es überhaupt, dass man ihn nicht schon längst in dunkler Nacht über Bord gehievt hat!«

»Sehr richtig«, stimmte Rankine ihm bei, zuckte mit den Schultern und fügte noch hinzu: »Es ist aber völlig sinnlos, sich deswegen noch zu erhitzen. Je früher wir unseren Filzhut wieder aufsetzen können, desto besser. Die Friedensmarine hängt mir zum Hals raus und... Nanu, was ist denn unserem Cruddle über die Leber gelaufen?«

Ein junger Leutnant war plötzlich aus der Schiebetür der Kapitänskajüte getreten und kam nach einem raschen Blick in die Runde auf sie zu. Die Augen in seinem blassen Gesicht hatten einen unnatürlichen Glanz. Eine Strähne seines dichten Haares war ihm über die Stirn gefallen, was ihm ein seltsam mädchenhaftes Aussehen verlieh.

»Wenn er sich nur einmal sein Haar schneiden lassen wollte«, sagte Crammond. »Kein Wunder, dass er dem Alten zuweilen auf die Nerven geht... Na, Cruddle, was ist denn los?«

»Allerhand!« Leutnant Cruddle atmete heftig. Er warf die Haarsträhne mit einer ungeduldigen Bewegung zurück und suchte mit zitternden Fingern nach Zigaretten. Plötzlich brach es aus ihm hervor: »Dieser Hund! Dieser dreckige Hund! Habe schon immer gewusst, dass er mich auf dein Kieker hatte, aber nun – nun reicht er also einen ungünstigen Bericht über mich ein! Mein Gott, das zahle ich ihm noch einmal heim, und wenn ich selbst dabei draufgehe!«

Einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen. Dann aber rief Crammond aufmunternd: »Nun lass dich doch bloß von einem ungünstigen Bericht nicht so beeindrucken! Eine solche Akte S 206 - Vertraulicher Bericht über Offiziere - wird bei der Admiralität nur abgelegt und vergessen. Hat gar nichts zu bedeuten - höchstens kommt noch eine Beförderung dabei heraus.«

»Das ist es ja gerade!«, stieß Criddle hervor und schnellte seine nur halb gerauchte Zigarette über Bord. »Er weiß ganz genau, dass ich der Marine lieber heute als morgen den Rücken kehre, und so hat er mich für den Dienst in Übersee empfohlen - zur Ausbildung und aus disziplinarischen Gründen, wie er sich ausdrückt. Aber ich gehe nicht ins Ausland! Eher treffen wir uns vorher in der Hölle!«

»Es gibt ja wirklich Schlimmeres«, warf Crammond ein. »Zwei Jahre im Osten - etwas Schöneres kann man sich ja kaum vorstellen. Was verlangst du denn noch? Tausende von anderen würden gern an deiner Stelle sein!«

»Zwei Jahre!« Die Stimme des jungen Offiziers schrillte aufgebracht. In seinem Gesicht arbeitete es. »Ich bin verheiratet. Das ist doch etwas ganz anderes. Ich lasse meine Frau nicht wieder zwei Jahre allein - das halte ich einfach nicht mehr aus!«

»Es ist erstaunlich, was der Mensch alles aushält, wenn es sein muss!«, erwiderte Crammond ungerührt.

»Du hast leicht reden. Männer wie du, die keine Familie und keine Verantwortung für andere haben, die sollten gehen. Für die ist das richtig.«

»Na ja, ich bin wahrscheinlich sowieso dabei! Ich habe mich freiwillig gemeldet.«

»Das ist deine Sache. Aber es besteht doch absolut keine Notwendigkeit, mich zu schicken. Der Alte will mich nur schikanieren. Eben wollte ich ihn um Erlaubnis bitten, heute Abend meine Frau und meinen Jungen an Bord bringen zu dürfen. Schön, sagte er, es würde ihm eine besondere Freude sein - aber dann ging es los: all meine Verfehlungen hat er mir aufgetischt. Hat mir seinen Bericht über mich gezeigt - alles rot unterstrichen -, und dann hat er mir noch verpasst, es sei alles nur zu meinem eigenen Besten! Überhebliches Luder - hat sich eins ins Fäustchen gelacht, weil ich ihm als Vorgesetzten nicht die Antwort geben konnte, die er verdiente. Spielte sich auf, als täte es ihm leid und als ginge es ihm eigentlich gegen den Strich. In dem Augenblick hätte ich ihn tatsächlich erwürgen können...«

»Ich glaube, du siehst die Sache doch nicht ganz richtig«, versuchte Crammond ihn zu besänftigen. »Der Alte ist streng, gewiss, und er hat es nun einmal etwas stark auf Orden und dergleichen abgesehen, aber er ist kein Mensch, der einen persönlichen Groll kennt.«

»Ach, Unsinn!«, entgegnete Cruddle. »Gegen mich hat er immer etwas gehabt. Das verstehst du nicht. Ich sage dir, er glaubt nun, mich erledigt zu haben, aber da irrt er sich gewaltig. Dieses Mal ist er zu weit gegangen.«

Unvermittelt ließ Cruddle die anderen stehen, strich sich wie zuvor das Haar aus der Stirn und eilte das Deck entlang.

»Scheint mir ziemlich durcheinander zu sein!«, meinte Crammond nach einer Weile. »Bei ihm sind es die Nerven. Ist er nicht einmal mit einem Schnellboot in die Luft gegangen?«

»Ja.« Rankine nickte. »Vor der holländischen Küste auf eine Mine gelaufen. War der einzige überlebende... Bestimmt ist es für seine Frau auch nicht leicht, es mit ihm auszuhalten.«

»Kannst du nicht etwas für ihn tun - ich meine, als Arzt?«, fragte Crammond, indem er sich an Parry wandte. »Kannst du ihn nicht untersuchen und für den Dienst in Übersee untauglich schreiben?«

Der Arzt warf seine Zigarette über die Reling und zuckte mit den Schultern.

»Er ist ja schon untersucht und von. einer Kommission als tauglich befunden worden. Da ist kaum noch etwas zu machen. Im Übrigen bin ich nicht einmal der Ansicht, dass es für Cruddle gut wäre. Er hat viel zu jung geheiratet - er ist ja gerade erst zweiundzwanzig geworden. Und seiner Frau ist er völlig verfallen... Ein paar Jahre Dienst in Übersee würden ihn wahrscheinlich etwas festigen.«

»Vielleicht«, meinte Crammond nicht sehr überzeugt, »oder er wird dabei völlig den Verstand verlieren.«

»Wenn die Fotografien von seiner Frau dem Original entsprechen, kann ich ihn verstehen«, bemerkte Hinkley und zupfte an seinem Bart. »Eine solche Frau würde ich auch nicht gern allein lassen.«

»Solange du den Fußsack ums Gesicht trägst, sind deine Aussichten allerdings gering!«, meinte Rankine und fuhr sich wohlgefällig mit der Hand über sein glattes Kinn. »Meine Frau jedenfalls betrachtet einen Bart als ausreichenden Scheidungsgrund.«

»All diese Witze über Bärte haben selbst einen Bart«, erwiderte Hinkley voller Würde. »Überdies stellt die Ansicht deiner Frau durchaus nicht ein allgemeingültiges Urteil dar. Manche Frauen finden einen Bart sogar äußerst erregend.«

»Nun kennen wir endlich die ganze Wahrheit«, rief Rankine. »Ich habe doch immer geahnt, dass es außer Eitelkeit und Faulheit noch einen anderen Grund für dieses Gestrüpp geben müsse. He, Chef!«, rief er George Hancock, den Ersten Ingenieur, an, der an Deck erschienen war und einen Dampfprahm beobachtete, der gerade längsseits zu kommen suchte. »Unser falscher Heiliger hat zugegeben, dass er den Bart trägt, um Frauen zu betören.«

»Das ist immerhin eine Erklärung, wenn auch keine Rechtfertigung«, rief Hancock und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Dampfprahm zu. »Sieht mir so aus, als ob endlich Proviant an Bord kommt. Hoffe nur, dass sie uns auch das Kohlendioxyd für die Kühlanlage geschickt haben. Ich verstehe nicht, wo das Gas hin ist, aber falls ich kein neues zuführen kann, verderben mir ohne weiteres tausend Pfund Fleisch!«

»Machen Sie sich keine Sorgen, es kommt schon«, verkündete Hinkley, froh, das Thema wechseln zu können. »Zwei Gasflaschen liegen oben auf der Luke.«

»Sieht ihnen ganz ähnlich«, brummte Hancock. »Lassen mich drei Tage warten und schicken dann zwei Flaschen anstatt der einen, die ich bestellt hatte. Erstaunlich, wie diese Leute von der Verwaltung arbeiten. Fehlt bloß noch, dass sie nun sagen, sie hätten kein Öl für die Kühlanlage gehabt und schickten stattdessen eine Flasche Gas mehr.«

»Da muss ich Sie leider enttäuschen, denn ich sehe an Deck auch noch ein Ölfass. Scheint mir doch, dass Sie dort ziemlich gut beliefert werden!«

»Haben sich aber Zeit genug gelassen«, gab der Ingenieur mürrisch zurück. »Na ja, eine Flasche Gas in Reserve kann nichts schaden. Wer ist denn heute Offizier vom Dienst? Ich brauche ein Arbeitskommando, um das Zeug an Bord zu schaffen.«

»Das bin ich«, sagte Hinkley. »Und Sie sollen nicht behaupten, dass die seemännische Besatzung nicht alles täte, um Ihnen zu Gefallen zu sein. Dafür sorge ich schon.« Er eilte an Deck entlang und rief einen Maat an: »Horton, schnappen Sie sich ein paar Leute, verholen Sie den Pott da drüben und schaffen Sie die Vorräte an Bord.«

»Und damit hätte auch unser Tagewerk wieder begonnen«, sagte Crammond und klopfte seine Pfeife an der Reling aus. »Der Alte lässt sich heute die Leute zum Rapport kommen. Habe auch zwei dabei. Urlaubsüberschreitung, außerdem Trunkenheit und Rauferei an Land. Ich werde mal versuchen, den Hauptschlag abzufangen.«

»Wer sind denn die Opfer?«, fragte der Arzt.

»Forrest und Skerrit.«

»Zwei alte Verbrecher, was? Kann mir vorstellen, dass er ihnen gefährlich einheizt.«

»Meiner Ansicht nach verdient Forrest es auch nicht anders«, meinte Crammond. »Ich weiß, unser Alter war schon immer hinter ihm her, aber er ist auch eine üble Nummer. Ein gebildeter Mensch, der Offizier hätte werden sollen, aber sich vor jeder Verantwortung drückt und es vorzieht, im Mannschaftsdeck eine ruhige Kugel zu schieben und den Rechtsberater zu spielen. Bei Skerrit liegt die Sache anders. Er gerät oft in die Tinte, ist aber ein tadelloser Seemann. Dieses Mal spielen übrigens häusliche Schwierigkeiten hinein. Seine Frau lebt hier und hat sich während seiner Abwesenheit mit einem Burschen von der Luftwaffe getröstet. Nun hat der gute Skerrit das Schiff unerlaubt verlassen, um dem Kerl eine tüchtige Tracht Prügel zu verpassen. Er ist selbst ziemlich angeschlagen - ich möchte schon wissen, was er aus dem anderen gemacht hat. Wird wohl nicht mehr viel übrig sein.«

»Dann ist er eben dran«, meinte Rankine. »Und Ryder will darum bitten, vom Dienst in Übersee befreit zu werden, da seine Frau ein Kind erwartet... Übrigens«, fuhr er ziemlich verlegen fort, »meine Frau kommt heute Abend an Bord. Bei uns ist auch etwas Kleines unterwegs. Ist in etwa drei Monaten fällig.«

»Das scheint ja eine richtige Epidemie zu sein«, meinte Crammond und ging ins Kartenhaus.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

»Antreten zum Rapport! Stillgestanden!« Die Stimme des Obermaats Alfred Keene dröhnte durch den ganzen Gang. Kapitän-Leutnant Shillard trat aus seiner Kajüte und folgte dem Ersten Offizier den Gang entlang. Ein halbes Dutzend Matrosen war vor der Wachtmeisterei angetreten. Obermaat Keene befand sich an einem Tisch, auf dem die Straf- und Gesuchsbücher aufgeschlagen lagen. Hinter dem Tisch standen diejenigen Schiffsoffiziere, die möglicherweise während des Rapports benötigt wurden.

»Alles zum Rapport angetreten, Sir!«, meldete der Obermaat. Kapitän-Leutnant Shillard grüßte flüchtig und nahm hinter dem Tisch Platz. Er war ein großer, kräftiger Mann mit einem harten, von Wind und Wetter gebräunten Gesicht und einer Nase und einem Kinn, die Energie verrieten.

»Fangen Sie an«, sagte er kurz.

Obermaat Keene nahm das Gesuchsbuch auf und räusperte sich. »George Ryder, Verwaltungsmaat!«, rief er.

Der erste des halben Dutzends Seeleute machte eine Wendung, trat an den Tisch und salutierte. Er hatte ein teigiges Gesicht und abfallende Schultern. Nervös fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. Der Obermaat beobachtete ihn einen Augenblick kritisch.

»Gesuch um Rapport beim Kommandanten, um aus Familiengründen Befreiung vom Dienst in Übersee zu erbitten.«

»So.« Shillards harte graue Augen bohrten sich prüfend in Ryders Gesicht. »Sie wollen also nicht nach Übersee?«

»Das ist nicht der Grund, Sir«, erwiderte Ryder und vermochte nur mit Mühe das Zucken seiner Lippen zu beherrschen. »Die Sache ist die - meine Frau erwartet ein Kind.«

»Nun, das ist nicht so außergewöhnlich«, entgegnete Shillard. »Im Übrigen bekommt sie es ja - und nicht Sie!« Und an den Ersten Offizier gewendet: »Haben Sie den Fall untersucht?«

Oberleutnant Kenneth Bryce trat vor und salutierte.

»Jawohl, Sir. Wir haben Ordre, Ryder zur Verschiffung ins Sammellager in Marsch zu setzen, und er hat dieses Gesuch auf Grund eines Briefes des Arztes seiner Frau eingereicht. Er will sich der Kommandierung nach Übersee auch nicht entziehen, Sir, sondern möchte lediglich bis zur Geburt seines Kindes zurückgestellt werden.«

Der Kommandant nahm ein Schreiben mit dem Briefkopf eines Dr. J. J. Getty aus einem Ort in den Midlands auf und überflog mit finsterem Gesicht die nicht leicht lesbare Handschrift:

 

Hierdurch wird bescheinigt, dass Elizabeth Ryder... Schwangerschaft... voraussichtlicher Zeitpunkt der Entbindung... Auf Grund ihrer nervösen Veranlagung möchte ich empfehlen, dass ihr Mann bis nach dem Eintreten des Ereignisses in der Nähe stationiert bleibt...

 

»Na, und?« Er legt das Schreiben wieder hin. »Die Sache ist doch völlig in Ordnung. Der Arzt erwähnt nicht einmal irgendwelche Komplikationen.«

»Nein, Sir... Aber sie ist sehr nervös...«

»Meiner Ansicht nach sind die meisten Frauen in diesem Zustand nervös«, unterbrach ihn Shillard und schlug mit dem Handrücken auf den Brief des Arztes. »Tausend andere Matrosen und Frauen befinden sich in genau der gleichen Lage, da können Sie keinen Anspruch auf eine Sonderbehandlung erheben. Sicher ist es schwer - aber Sie und Ihre Frau müssen sich damit abfinden. Gesuch abgelehnt.«

Ryders Hände verkrampften sich zu Fäusten. - »Aber, Sir...«

»Gesuch abgelehnt!« Scharf schnitt die Stimme des Obermaats jedes weitere Wort ab. »Grüßen, wegtreten und ab, marsch, marsch!«

Nur den Bruchteil eines Augenblicks zögerte Ryder, und in seinen Augen flammte etwas wie Widerstand auf. Dann jedoch salutierte er automatisch, wandte sich um und jagte den Gang entlang.

Die nächsten Fälle waren ganz einfach. Es handelte sich lediglich um Beförderungen und Auszeichnungen wegen guter Führung. Obermaat Keene machte seine Notizen und schloss das Gesuchsbuch mit der Miene eines Laienpredigers, der nach dem Gottesdienst die Bibel aus der Hand legt. Dann schlug er ernst das andere Buch auf und rief nach einer Pause, mit der er die Kluft zwischen Gesuchen und Disziplinwidrigkeiten andeuten wollte, scharf: »Arthur Forrest, Matrosen-Obergefreiter!«

Der nächste der beiden noch verbliebenen Matrosen trat vor den Tisch, grüßte und riss sich der Vorschrift entsprechend die Mütze vom Kopf. Dünnes, schwarzes Haar, das sich am Scheitel schon lichtete, kam zum Vorschein. Er hatte ein mageres, eingefallenes Gesicht. Die Stirn war gut geformt, doch wurde dieser Vorzug durch den energischen Mund und die hellen heimtückischen Augen wieder aufgehoben. Um seine Lippen spielte kaum wahrnehmbar die Andeutung eines spöttischen Lächelns.  

»Arthur Forrest, Matrosen-Obergefreiter, hat seinen Urlaub um zwei Stunden fünfunddreißig Minuten überschritten, von dreiundzwanzig Uhr am 17. März bis um ein Uhr fünfunddreißig am 18. März 1946.«

»Wer hat den Fall untersucht?«

»Ich, Sir«, sagte Crammond, trat vor und grüßte. »Ich war Offizier vom Dienst und sah Forrest, wie er an Bord kam. Er schien völlig nüchtern und hatte offenbar gar nicht die Absicht gehabt, zur rechten Zeit zurückzukehren.«

»Gut.« Shillard nahm die Führungsrolle des Matrosen auf und las einen Augenblick. »Haben Sie noch etwas zu sagen, Forrest? Eine Entschuldigung vorzubringen?«

»Nein, Sir.«

»Warum haben Sie Ihren Urlaub überschritten?«

»Ich hatte Freunde besucht und sah keinen Grund, unser Zusammensein so plötzlich abzubrechen.«

Der Kapitän sah ihn scharf an.

»Mit anderen Worten - vorsätzliche Überschreitung des Urlaubs?«

»Ich - nun, ich halte es für lächerlich, erwachsene Männer schon um elf Uhr zurückkehren zu lassen«, antwortete Forrest kühl. »Der Krieg ist vorbei, und man behandelt uns wie Kinder...«

»Ruhe!«, donnerte der Obermaat empört. Er starrte Forrest an und warf, zum Kommandanten gewandt, leise ein: »Sollte zu einer zusätzlichen Bestrafung wegen ungebührlichen Benehmens ausreichen.« Shillard gab keine Antwort, sondern richtete nur einen kalten Blick auf Forrest.

»Sie haben eine sehr schlechte Führung, Forrest«, erwiderte er scharf und schlug die Papiere knallend auf den Tisch. »Ihre dritte Urlaubsüberschreitung innerhalb von zwei Monaten! Sie sind doch immerhin ein gebildeter Mensch - wie ich sehe, sind Sie im Zivilberuf Lehrer. Eigentlich hätten Sie schon längst Offizier sein müssen. Und trotzdem haben Sie zweimal bei der Prüfung versagt.«

»Ich will auch kein Offizier werden, Sir«, entgegnete Forrest mürrisch, und Keene fuhr auf, riss den Mund auf und sah aus, als wollte er ihn gleich an Ort und Stelle in die Luft jagen.

»Und warum nicht?«, fragte Shillard.

Einen Augenblick herrschte Stille. Nur das Summen des Ventilators auf dem Schott neben dem Tisch war zu hören. Forrest blinzelte einen Augenblick nervös und antwortete dann trotzig:

»Ich hasse den Dienst, Sir. Er steht im Widerspruch zu all meinen Grundsätzen, und hier stehe ich nur, weil man mich eingezogen hat. In einigen Wochen werde ich ohnehin entlassen.«

»Ich gebe zu, dass die Marine an Ihnen nichts verliert«, erklärte Shillard gleichgültig. »Aber ich warne Sie, Forrest. Wenn ich mit Ihnen noch den geringsten Ärger habe, leite ich die notwendigen Schritte ein, um Sie noch vor der Zeit aus dem Dienst zu entlassen - und das bedeutet den Verlust des Entlassungsgeldes und aller Vergünstigungen, auf die Sie sonst ein Anrecht hätten. Bitte, überlegen Sie sich das!« Er machte eine bedeutungsvolle Pause und fällte sein Urteil: »Streichung des Wehrsoldes für einen Tag, dreißig Tage Urlaubsentzug und vierzehn Tage auf Nr. 11.«

»Streichung des Wehrsoldes für einen Tag, dreißig Tage Urlaubsentzug und vierzehn Tage auf Nr. 11«, wiederholte der Obermaat. »Mütze auf - kehrt - marsch, marsch!«

Forrest zuckte fast unmerklich mit den Schultern, bevor er gehorchte, und Shillard blickte ihm aufmerksam nach. Obermaat Keene warf die Lippen auf, während er das Strafmaß ins Buch eintrug, und ging dann zum nächsten Fall über.

»Joseph Skerrit, Matrosen-Obergefreiter... Hat a) seinen Urlaub um zwölf Stunden fünfzig Minuten überschritten, nämlich von dreiundzwanzig Uhr am 16. März bis um elf Uhr fünfzig am 17. März 1946; b) gegen Disziplin und Manneszucht verstoßen, indem er sich in betrunkenem Zustand an Land aufgehalten und sich der Festnahme durch eine Marinestreife zu entziehen versucht hat; c) die Nighthawk am 17. März um siebzehn Uhr unerlaubt verlassen, um erst am 18. März um acht Uhr zehn zurückzukommen. Da er sich bereits in offenem Arrest befand, stellt sein Verhalten einen groben Verstoß dar.«

Shillards Gesicht verriet bei der Aufzählung eines immerhin so beachtlichen Tatbestandes nicht das geringste Erstaunen. Er überflog den schriftlichen Bericht des Ersten Offiziers und sagte ruhig: »Stellungnahme des Beschuldigten!«

Skerrit stand schweigend da, die Mütze an den Schenkel gepresst, die Augen auf einen Punkt am Schott über dem Kopf des Kapitäns gerichtet. Er war untersetzt, hatte breite Schultern und grobe, rohe Gesichtszüge, die durch eine gespaltene Lippe und vorstehende schwarze Augen nicht gerade gemildert wurden. Seine linke Wange schmückte noch dazu ein großer Streifen Wundpflaster.

»Sind Sie sich über die Bedeutung dieser Anschuldigung im Klaren?«, fragte Shillard.

»Jawohl, Sir.«

»Ich habe vor mir eine Erklärung liegen, die Sie bei der ersten Vernehmung abgegeben und unterzeichnet haben. Ich lese sie Ihnen nun vor.« Shillard nahm einige auf der Maschine geschriebene Bogen auf und begann:

 

»Ich habe keine Entschuldigung für die Urlaubsüberschreitung vorzubringen, nur dass ich häuslichen Ärger hatte und versuchen musste, ihn irgendwie hinunterzuspülen. Ich hatte ein paar Glas getrunken und war aus freien Stücken wieder unterwegs nach dem Schiff, als die Streife mich aufgriff. Ich wusste, dass ich über die Stränge geschlagen hatte, und ärgerte mich, dass nun auch noch die Streife hineinpfuschte, wodurch die Sache für mich noch schlimmer wurde. Deswegen habe ich mich zur Wehr gesetzt. Ich weiß, ich hätte es nicht tun dürfen, aber in diesem Augenblick war mir alles gleich. Dann musste ich damals in der Nacht wegen des gleichen häuslichen Ärgers unbedingt noch einmal an Land, und obwohl ich mich unter offenem Arrest befand, wagte ich es und ging.

Joseph Skerrit, Matrosen-Obergefreiter.«

 

Dann verlas der Kapitän die Aussagen der verschiedenen Zeugen - des Unteroffiziers von der Streife, des Offiziers vom Dienst und des Ersten Offiziers. Danach legte er die Papiere aus der Hand und sah Skerrit ins Gesicht.

»Haben Sie der Erklärung, die ich gerade verlesen habe, noch etwas hinzuzufügen?«

»Nein, Sir.«-

»Könnten Sie Aufschluss über den häuslichen Ärger geben, der Sie zu Ihrem seltsamen Verhalten veranlasst hat?«

Skerrit trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und schluckte.

Er warf einen Blick auf Crammond und sah dann wieder den Kapitän an.

»Es nützt ja doch nichts, Sir«, erwiderte er rau. »Ich hätte es nicht tun sollen und muss mich wohl mit dem abfinden, was ich verdient habe.«

»Entschuldigen Sie, Sir«, mischte sich nun Crammond ein. »Skerrit hat großes Pech gehabt, und bis zu einem gewissen Grad ist sein Verhalten verständlich. Er hat mir die ganze Sache erzählt. Er ist hier in Tormouth zu Hause, und ein anderer hat seiner Frau den Hof gemacht.«

»Wenn es nur das gewesen wäre, hätte ich gar nichts gesagt«, brach es nun aus Skerrit hervor, der das Stirnrunzeln des Obermaats völlig übersah, »aber so ein niederträchtiger, falscher Hund - hat nichts weiter im Sinn gehabt, als meine Ehe zu zerstören. Hätte ich den Kerl nur neulich Nacht erschlagen!«

Nach und nach kam nun eine ziemlich alltägliche, üble Geschichte ans Licht. Skerrits Frau war ein hübsches Ding, aber offenbar recht flatterhaft. Während seiner Abwesenheit ging sie tanzen - er hatte auch nichts dagegen, solange sie sich dabei an alte Bekannte hielt. Aber dann hatte sie auf einer Tanzerei einen jungen Unteroffizier der Luftwaffe kennengelernt - ein glattes, schmarotzendes Reptil, wie Skerrit sagte. Dieser Mann führte sie nun aus, warf Geld für sie hinaus und verdrehte ihr völlig den Kopf.

Die ganze Sache kam heraus, als Skerrit am 16. März unerwartet auf Urlaub kam. Seine Reaktion war für ihn charakteristisch, denn er war auf und davon gegangen und hatte sich fast bis zur Bewusstlosigkeit betrunken. Dadurch hatte er seinen Urlaub um zwölf Stunden überschritten, was ihn in die Hände der Streifeführte, die ihn an Bord brachte. Mit seinem Rivalen aber hatte er noch nicht abgerechnet. Er wusste, dass dieser nachts wieder seine Frau aufsuchen würde, und obwohl er unter offenem Arrest war, gelang es ihm, an Land zu kommen. Dort trat er dem Burschen gegenüber und verabfolgte ihm die schlimmste Tracht Prügel seines Lebens.

»Jawohl, Sir«, schloss er mit boshafter Befriedigung seinen Bericht, »der spielt mir nun lange nicht mehr den schönen Mann auf Tanzvergnügungen und bei verheirateten Frauen, denn davon ist im Augenblick nichts mehr übrig... Er hat mir ja auch ein paar verpasst«, gab er mürrisch zu, »aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was er von mir hat einstecken müssen!«

Shillard lauschte, ohne den Ausdruck seines Gesichts zu ändern, dem Bericht und nahm dann Skerrits Führungsrolle auf.

»Bei Ihnen ist der Haken der, Skerrit, dass Sie viel zu viel für eine Rauferei übrig haben«, sagte er streng. »Sie haben bereits drei Strafen wegen Schlägereien und Trunkenheit hinter sich. Ihre häuslichen. Sorgen sind bedauerlich, aber keine Entschuldigung für Ihr Verhalten. Ich werde diesen Fall sehr streng beurteilen. Überschreitung des Urlaubs um zwölf Stunden und Widerstand gegenüber der Streife ist für sich allein schon schlimm genug; aber das Durchbrennen vom Schiff, während Sie sich unter offenem Arrest befanden, ist ein gröblicher Verstoß gegen die Grundlagen der Disziplin. Der Mann bleibt vorläufig in Haft.«

»In Haft. Mütze auf - kehrt - marsch, marsch!«

Skerrit gehorchte und entfernte sich mit schnellem Schritt. Er hatte nichts anderes erwartet. Er wusste auch, was es bedeutete, vorläufig in Haft zu sein. Er sollte durch Verlesung des Urteils vor versammelter Mannschaft bestraft werden, und das bedeutete wiederum, dass dabei nur ein längerer strenger Arrest in Frage kam.

»Armer Teufel«, meinte Shillard und sah ihm einen Augenblick nach. Er wandte sich an Crammond. »Setzen Sie ein Protokoll und ein Urteil auf und senden Sie es heute Nachmittag zur Genehmigung an den Flottillenchef. Wollen mal sehen. Skerrit hat keine Auszeichnungen für gute Führung - schade... Wir geben ihm also einundzwanzig Tage Arrest und legen bei allen künftigen Urlaubsgesuchen einen wesentlich schärferen Maßstab an. Das kühlt ihm vielleicht das Blut ein wenig.«

»Jawohl, Sir.«

Nachdem der Kommandant gegangen war, zog Crammond sich mit einem Urteilsformular in seine Kabine zurück. Er schlug sich noch immer mit gewissen juristischen Spitzfindigkeiten und den traditionellen Wendungen der Marinesprache herum, als er durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen wurde und der Obermaat mit einem Blatt Papier erschien.

»Ein Gesuch, Sir, vom Obergefreiten Skerrit«, sagte Keene.

Crammond warf einen Blick auf das Blatt:

 

...und bittet den Kapitän durch den Abteilungsoffizier und den Ersten Offizier um Landurlaub für heute Abend.

 

»Mein Gott, will er denn seinem Rivalen noch eine Tracht Prügel verabfolgen?«, rief Crammond und lächelte. »Na gut, bringen Sie ihn her.« Crammond legte ein Blatt Löschpapier auf das Urteilsformular und wandte sich auf seinem Stuhl um.

In Skerrits groben Gesichtszügen lag ein verbissener Ausdruck der Verzweiflung, wie er nun vor ihm in der Kabine stand und seine Mütze, zerdrückte...

»Ich muss ganz einfach heute Abend an Land, um meine Frau zu sehen«, sagte er rau. Seine geschwollenen Lippen bebten. »Dieser verfluchte Hund - ich bitte um Entschuldigung, Sir, aber anders kann ich ihn nicht bezeichnen -, er hat sich bei ihr beklagt und ihr was vorgeheult wegen der Prügel, die er von mir bekommen hat, und sie hat nun Mitleid mit ihm und nimmt sich seiner an! Ist das noch zu glauben, Sir? Sie hat mir geschworen, sie sei mit ihm fertig, und nur weil er bekommen hat, was er verdiente, zerfließt sie wieder vor Mitleid und findet nicht genug Ausdrücke für mich, wie gemein und verroht ich bin... Das ist einfach alles nicht mehr zu verstehen, Sir!«

Skerrit fuhr sich mit der Hand durch sein Haar und schüttelte völlig verwirrt den Kopf.

»Aber warum wollen Sie denn wieder an Land?«, fragte Crammond. »Mir scheint, es ist nicht ganz der richtige Weg, wenn Sie diesen Burschen immer nur verprügeln. Vielleicht schlagen Sie ihn dieses Mal tot, und das wäre doch für alle Betroffenen ziemlich unangenehm.«

»Gegen den würde ich meine Hand nicht mehr erheben, Sir«, erklärte Skerrit voller Überzeugung. »Ich habe ihn in einem anständigen Kampf besiegt, und er ist auch nicht einen Schlag mehr wert... Aber ich muss meine Frau sehen und mit ihr alles ins reine bringen. Sie verstehen - ich liebe sie.« Er brachte dieses Wort offenbar nur mit Mühe hervor. »Ich erwarte ja, dass mir der Kommandant einen längeren Arrest gibt, und da muss ich sie noch einmal sehen und alles in Ordnung bringen. Sie hat mir heute Morgen durch einen meiner Kameraden eine Nachricht geschickt, um mir zu sagen, dass sie mich hasst und dass sie mich niemals wiedersehen will... Ich weiß, wenn ich nur mit ihr reden könnte, würde ich sie schon wieder herumkriegen, und alles wäre wie früher.« Seine raue Stimme hatte nun einen flehenden Ton. »Ich kann ganz einfach nicht in den Bunker, solange ich sie nicht gesehen habe!«

»Ich kann mir Ihre Gefühle sehr gut vorstellen, Skerrit«, antwortete Crammond nachdenklich, »und ich werde beim Kommandanten tun, was Ich kann. Aber ich bezweifle, dass er Ihr Gesuch genehmigen wird.« Seine Zweifel bestätigten sich auch durchaus, als er einige Zeit später den Fall zusammen mit den sorgfältig ausgefüllten Papieren dem Kapitän in dessen Kajüte vorlegte. Shillard lehnte es nicht nur ab, das Gesuch zu genehmigen, sondern er gab auch seiner Ansicht Ausdruck, Crammond sei wohl nicht ganz bei Trost, es ihm überhaupt vorzulegen.

»Das ist eine verfluchte Unverschämtheit, und ich habe nicht übel Lust, ihn allein deswegen noch einzusperren!«, brüllte er, schwang sich in seinem Stuhl herum und starrte Crammond an. »Dieses Gesuch ist völlig unbegründet und ungehörig. Ich dachte, Sie hätten mehr Verstand, als mir meine Zeit mit diesem Gewäsch zu stehlen. In seiner gegenwärtigen Stimmung stellt dieser Mann eine Gefahr dar, und er verlässt mir nicht das Schiff, bis er unter Bewachung an Land in den Arrest geführt wird.«

»Darf ich dagegen einwenden, Sir«, erwiderte Crammond ruhig, »dass der arme Bursche sich wegen seiner Frau ernsthaft Sorgen macht und

»Nein. Er hat sich durch seine eigene Dummheit in diese Lage gebracht, und was er sich da eingebrockt hat, muss er als Teil der Strafe hinnehmen. Das ist mein letztes Wort in dieser Sache... Sie machen immer den Fehler, Crammond«, fuhr er in etwas gemäßigterem Ton fort, »diese Fragen vom Standpunkt der Mannschaften aus zu betrachten und nicht von dem eines Offiziers!«

»Ich glaube, das ist doch nicht ganz richtig, Sir«, entgegnete Crammond ohne jede Erregung. »Ich habe sechs Monate im Mannschaftsdeck verbracht und möchte eher sagen, dass ich mich bemühe, beide Standpunkte zu begreifen.«

»Kommt ganz auf das gleiche heraus«, erwiderte Shillard schroff. »Es gibt nur einen Standpunkt - und der lautet: Was ist im Interesse des Dienstes am besten? Ein Schiff muss von der Kommandobrücke und nicht vom Mannschaftsdeck her geführt werden!« Er wandte sich heftig wieder seinem Schreibtisch zu, womit er andeutete, dass die Diskussion für ihn beendet war.

»Jawohl, Sir!« Crammond nahm den Rüffel gleichmütig entgegen und zog sich zurück. Dann grinste er. Der Kapitän verstand es wirklich, einem Menschen alle Illusionen über sich selbst zu nehmen.

Skerrit hörte sich mit finsterem Gesicht die Antwort des Kapitäns an und spielte wieder mit seiner Mütze.

»Einen anderen Weg gibt es wohl nicht, Sir?«, fragte er schließlich.

»Ich fürchte, nein«, erwiderte Crammond. »Es tut mir sehr leid. Sie können nur noch Ihrer Frau schreiben. Sagen Sie ihr, Sie hätten doch um ihretwillen mit dem Mann gekämpft, auch Sie seien ein wenig angeschlagen - und Sie liebten sie und so weiter. Lassen Sie einen Kameraden das Schreiben an Land bringen; er kann ja auch noch ein gutes Wort einlegen. Wahrscheinlich werden Sie allein damit die ganze Sache in Ordnung bringen.«

»Sehr wohl, Sir. Ich danke Ihnen, Sir.«

»Und noch eins, Skerrit«, fügte Crammond hinzu, als sich der Matrose zur Tür wandte. »Versuchen Sie nicht noch einmal, heute Abend von Bord zu kommen! Wenn Sie das tun, reiten Sie sich nur noch tiefer hinein. Verstanden? Denken Sie daran! Ich habe Sie gewarnt!«

 

 

 

 

  Drittes Kapitel

 

 

»Sie können machen, was sie wollen, Wyn - ich gehe nicht! Es ist doch völlig sinnlos, mich zu schicken, solange es noch genügend Unverheiratete gibt, die begeistert die Gelegenheit wahrnehmen würden, nach Übersee zu kommen. Ich lasse mir die persönliche Gehässigkeit eines Kommandanten, mag es sein, wer will, nicht gefallen.«

Gegen die Koje in seiner Kabine gelehnt stand Cruddle seiner Frau gegenüber, die neben seinem Schreibtisch auf einem Stuhl saß. Er war weiß im Gesicht und zitterte - ein Zustand, der ihr leider nur zu gut bekannt war.-

»Unmenschlich ist er!«, fuhr er atemlos fort. »Wenn du heute früh sein Gesicht gesehen hättest, würdest du verstehen, was ich meine. Er hat nun einmal etwas gegen mich...«

»Ach, Harold, lass die Sache doch gehen!«, warf seine Frau ziemlich hilflos ein. Sie streckte eine Hand aus und legte sie auf die seinen, die voller Unruhe waren. »Vielleicht geschieht es ja auch gar nicht. Und wenn, sehe ich dich lieber jetzt gehen als während des Krieges. Aber es ist doch möglich, dass man gar nicht beachtet, was in seinem Bericht steht. In etwa sechs Monaten bist du doch zur Entlassung dran.« Cruddle lachte bitter auf. Er hatte keine Lust, sich damit vertrösten zu lassen.

»Das hilft mir gar nichts, wenn sie mich nach dem Osten verfrachten!«, sagte er düster. »Nichts leichter, als mich für unabkömmlich zu erklären, wenn es den anderen gerade so in den Kram passt! Und ich wette, Shillard rechnet damit... Aber dir scheint das ja gleichgültig zu sein!«

Wyn Cruddles dunkle Augen füllten sich mit Tränen. Es war immer schwer, ihren so leicht erregbaren Mann zur Vernunft zu bringen, und noch schwerer, wenn er ihr Vorwürfe machte. Sie war zwar noch jünger als er, doch kam sie sich ihm gegenüber oft um Jahre älter vor. Sie hatte sich auch schon damit abgefunden, dass sie in der Familie diejenige sein musste, die die Ruhe bewahrte und stark blieb. Sie musste also nicht nur das Kind aufziehen, das im Augenblick still auf der Koje des Vaters lag, sondern auch Cruddle selbst bedurfte der Führung und des Zuspruchs. Sie liebte ihn, aber sie wusste, dass er sie zwar liebte, ihr jedoch niemals eine Stütze sein würde.

Sie seufzte auf und drängte ihre Tränen zurück. Sie hatte sich so viel von diesem Tag an Bord versprochen - und nun stand sie mitten in einer dieser Nervenkrisen, wie sie sie von früher her bei ihm kannte, nur war sie dieses Mal schlimmer als je zuvor...

Sie sah ganz klar. Harold konnte gegen seine Nerven nichts machen, auch nichts gegen seine Abhängigkeit von ihr. Beides war die Folge jener entsetzlichen Schiffsexplosion, die er in Angstträumen immer von neuem erlebte. Erschöpft und vom Schreck wie gelähmt erwachte er dann und brauchte ihre Nähe, um sich zu erholen. Aber oft hatte sie auch das Gefühl, dass er sich nicht genügend Mühe gab, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Auch jetzt hatte sie aus seinem ziemlich zusammenhanglosen Bericht bereits herausgehört, dass Kapitän-Leutnant Shillard nicht eigentlich ungerecht gewesen war.

»Ach, Liebling«, sagte sie und breitete die Arme aus.

Cruddle umarmte sie mit einem seltsam erstickten Laut. Er küsste sie so leidenschaftlich und verzweifelt, als müssten sie sich schon im nächsten Augenblick für immer voneinander trennen.

»Ich mache die Sache für dich immer nur noch schlimmer«, flüsterte er. »Aber ich kann mir nicht helfen, es ist nur, weil ich dich so wahnsinnig liebe! Du verstehst doch, wie mir zumute ist und warum ich dielt nicht verlassen kann - du verstehst es doch...? Sag, du verstehst es!«

Wyn küsste ihn und fuhr ihm besänftigend durch sein dichtes schwarzes Haar.

»Natürlich verstehe ich es!«, antwortete sie ebenfalls flüsternd »Du wirst mich ja auch nicht zu verlassen brauchen. Aber falls es sein muss - so warte ich eben, bis du wiederkommst!«

Sie hörte, wie er heftig atmete. Aber in diesem Augenblick erhob sich ein leises Jammern von der Koje, auf der der drei Monate alte John lag. Wyn gab ihrem Mann noch rasch einen Kuss und wandte sich dann dem Kleinen zu, um ihn zu besänftigen.

»Es ist seine Zeit«, erklärte sie nur. »Sie mal nach - dort in der Tasche habe ich eine Thermosflasche und noch eine Flasche, und darunter liegen auch Lätzchen. Ich habe die Sachen, da ich an Bord kam, gut versteckt.«

Sie lachte auf, und Cruddles Gesicht entspannte sich ein wenig. Ef brachte sogar ein nervöses Lächeln zustande. Nach seiner Frau galt seine ganze Liebe dem Kleinen, der nun auf ihrem Schoß strampelte. Der Säugling, dessen Gesichtszüge natürlich noch in keiner Weise ausgeprägt waren, hatte Wyns Augen, und Wyn selbst hätte nun, wie sie ihn betreute, ein gutes Titelbild für eine Mütterzeitschrift abgegeben.

»Wie schön du bist!«, sagte er, als schließlich das Kind seine Nahrung erhalten hatte und er es auf den Knien hielt, während sie ihr dunkles Haar vor dem Spiegel der Kabine kämmte.

Wieder küsste ihn Wyn. Sie fühlte sich nun erleichtert und sogar stolz, dass er sich so schnell zusammengerissen hatte.

»Ich hoffe, wir machen dir keine Schande«, sagte sie, als er die Tür öffnete.

Cruddle behielt den Säugling auf dem Arm, bis er ihr geholfen hatte, die steile Eisentreppe hinunterzusteigen. Dann gab er ihn zurück, öffnete die Tür und führte sie in die Messe. Sie sah nur noch Offiziere und Tabaksqualm vor sich.

Crammond löste sich aus der Gruppe am Kamin und kam ihnen mit freundlichem Lächeln entgegen.

»Guten Tag, Mrs. Cruddle. Das ist also unser Jüngster? - Na ja, ich möchte ihn nicht dadurch beleidigen, dass ich behaupte, er sei ganz der Vater!« Prüfend betrachtete er das Kind: »Aber Ihre Augen hat er, meiner Meinung nach.«

»Nun, das ist immerhin ein Kompliment!«, sagte Cruddle und zündete sich eine Zigarette an.