Kurze Nächte - Anna Blumbach - E-Book

Kurze Nächte E-Book

Anna Blumbach

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Beschreibung

Eva ist eine gestresste, halb alleinerziehende Mutter und ist schnell überfordert, wenn gleichzeitig die Wäsche gewaschen, ihr Sohn von der Schule abgeholt und eingekauft werden muss. Aber wenn Lasse bei seinem Vater ist, verfällt sie gern wieder ihrer Berliner Neunzigerjahre-Party-Vergangenheit. Am liebsten würde sie mit ihrem Sohn ein ganz 'normales' und geregeltes Leben führen, doch als Architektin findet sie keine Arbeit, die zu ihrem Lebensrhythmus mit Kind passt, und dann sind da auch noch diese Männer. Mit Tom verbindet sie eine alte DJTänzerin-Symbiose. Er ist ein Spieler und Aufschneider und einfach kein alltagstauglicher Typ. Trotzdem versteift er sich auf die Idee, unbedingt eine Frau heiraten zu müssen. Kolja hingegen ist ein echter und auch ernst zu nehmender Künstler und lebt nur für seine Berufung. Dafür bewundert Eva ihn über alle Maßen. Und Wolf ist zwar für sie 'der böse Wolf', aber er kann auch noch viel mehr sein. Hin und her gerissen zwischen diesen drei Männern, zwischen Vergnügungslust und Alltagsfrust, zwischen finanziellen Engpässen und einer Berliner Boheme, wo es von Überlebenskünstlern nur so wimmelt, versucht sie, ihren eigenen Platz zu finden. Eines Tages stolpert sie mit ihrem Sohn über einen Ausweg, ja fast einen Lebenstraum. Bald schon entdeckt Eva ihr wahres Paradies.

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Anna Blumbach

Kurze Nächte

Roman

Einen Kaffee Burger, bitte

Perfekt! Matze steht in der Tür. Als er mich sieht, winkt er mich an der zahlenden Schlange vorbei und ich dackelblicke ehrfürchtig im Vorübergehen zu ihm auf und grinse brav mein glück-liches Danke hoch in seine versteinerte Türstehervisage. (Nur manchmal erwische ich ihn dabei, wie sich ein Mundwinkel nach oben verzieht – für eine Millisekunde nur, aber ich hab ihn schon dabei erwischt!) Nachdem ich meine Klamotten an der rappelvollen Garderobe abgegeben habe, bekomme ich mein Bier über den Tresen in die Hand gedrückt und werde keines Blickes mehr gewürdigt. Ich habe es wie immer freudig strahlend entgegen-genommen, so als wäre es das erste Mal, proste meinem Gönner mit diesem schweren Humpen zu und begebe mich nun zu meinem Treppenabsatz vor die Tanzfläche. Bevor ich mich setze, lächle ich auch noch einmal den Mister DJ unter seinen Kopf-hörern an, er nickt und lächelt zurück. Damit ist sie jetzt beendet: meine geliebte wortlose Willkommensprozedur im Kaffee Burger. Hach, bin ich nicht blingbling? Und so nebenbei auch noch 7,50 Euro gespart! Fast mein Tagessatz zum Leben! Wie lustig, dass die hier den roten Teppich für eine Hartz-IV-Eva ausrollen.

Also setze ich mich auf meinen Treppenabsatz und beglotze stumpf und mein Bierchen süffelnd die um die Tanzfläche her-umstehenden Leute. Wie immer traut sich noch niemand drauf. Ich nehme einmal ganz stark an, dass ich mir für diesen Job, die Tanzfläche in Gang zu bringen, meine VIP-Behandlung hier er-arbeitet habe, oder aber ich gehöre einfach nur schon zum Inventar. Was weiß ich. Cool, dass Rocco heute auflegt, also kann ich dann auch bald meinen inoffiziellen Auftrag in Angriff nehmen. Tanzen! Deshalb bin ich hier. Ich freu mich drauf, mir ordentlich die Kante zu geben, mir das dumme Hirn wegzutanzen und völlig abgeackert ins Bett zu fallen. Das ist der Plan und der war mal wieder einfach und nur genial.

Eine ganze Weile gucke ich mir die Leute um die Tanzfläche herum an. Kein Typ dabei, der mich umhauen könnte. Aber es läuft hier ein Mädchen herum, die hat Starqualitäten … und diese Fee setzt sich jetzt gerade neben mich und fragt nach einer Zigarette, sieht mich ein, zwei Sekunden zu lange an und lächelt. Und wie sie lächelt. Holla, die Waldfee! Wie keck, wie keck.

»Gefällt dir die Musik?«, fragt sie mich.

»Dieses Lied mag ich nicht.«

»Ich auch nicht«, antwortet sie, springt dann aber auf, schnappt sich den moppeligen Typen, den sie mir als Max vorstellt, und zieht ihn und ein paar andere Leute, die sie zu kennen scheint, auf die leere Tanzfläche. Sie schmeißt sich dem Moppel--Max zwar an den Hals, aber diese Show nehme ich ihr nicht ab. Der ist doch gar nicht ihr Typ. Solche Mädchen stehen auf Alphamännchen, aber vielleicht sind sie ja auch Buddelkistenfreunde, was weiß ich denn schon … Ich ergötze mich derweilen an ihrem eng und gut geschnittenen Jeans-Rock, an ihren langen schönen- und verdammt noch einmal nackten Beinen, die in knöchel-hohen Hacken-Stiefeletten stecken. Oben herum spannt eine weiße taillierte Bluse. Hm, die kommt wohl gerade von der Arbeit. Ich bemerke dann auch, dass ihre Homies echte Bürohengste und --stuten abgeben, und erst recht, wie sie jetzt die Tanzenden ganz lustig anfeuern. Urgs – die Arbeitswelt steht da in meiner Spaßzeit neben mir im Burger und gibt sich die After-Work-Party nach einem erfolgreichen Meeting oder einem endlich ergatterten Millio-nen-Auftrag.

Ich wende mich also lieber wieder dieser Fee und ihrem hübsch knackigen Popo zu und natürlich ihren Beinen … und sie tanzt auch ganz gut, finde ich, nur dieser Max da, der sich büro-kollegengeil auf sie stürzt, der passt nicht so gut in dieses Bild vor meiner Nase und als das nächste Lied anfängt, kommt sie doch tatsächlich zu mir gehüpft und fragt, ob sie mich denn jetzt auch zum Tanzen auffordern könnte. Und wie sie kann.

Wir berühren uns gar nicht beim Tanzen, schwirren nur lächelnd umeinander herum. Aber unsere Bewegungen harmonieren ganz gut, und ab und zu kommt es auch schon mal zu Körper-kontakt. Bald entsteht eine Typen-Traube um uns herum, einige Sakkoträger wollen auch … Was denn? Einer tanzt sich hinten an sie heran und einer bei mir und versucht, mich zu sich herum-zulocken, bis es uns zu bunt wird und wir Mädchen uns jetzt umarmen – da kommt keiner mehr dazwischen. Unser Balztanz macht jetzt richtig Spaß, mit diesen Lechzern um uns herum, und dann sagt sie mir ins Ohr, dass sie sich ja wohl die beste Tänzerin des Abends geangelt hätte. Ich lächle sie an und drücke sie an mich. Ja genau! Das hast du Süße … danke für deine Süße! Ich fand sie auch schon vorher lecker und könnte mir schon vorstellen, sie zu küssen, und so wie wir jetzt tanzen …

Wir tanzen ziemlich heiß gerade. Ihr Oberschenkel da zwischen meinen beiden, geil, und ab und zu tanzen wir Wange an Wange. Ich greife ihr in den Nacken, in ihr Haar, sie riecht gut, lacht total aufreizend, auffordernd, aber … ich kann spüren, dass sie auch verunsichert ist. Am Ende bin ich doch nicht eindeutig genug. Nicht, dass ich nicht wüsste, was zu tun wäre (ab und an küsse ich schon mal ein Mädchen auf der Tanzfläche), sondern weil ich im Grunde überhaupt keine Lust habe, ihr noch näher zu kommen. Weil ich nämlich keine Lust habe auf die Situation in diesem Laden nach dem Kuss. Der Abend ist doch noch jung und wir würden uns nur immer wieder über den Weg laufen, und dann? Dieses kokette Grinsen und das Umeinander--Herumschwänzeln … das würde mich heute komplett überfordern.

Also gebe ich ihr einen Kuss auf die Wange, verbeuge mich wie ein Kavalier und setze mich auf meinen Platz. Es dauert nicht lange, da sitzt schon wieder jemand neben mir und will mich irgendwann, einfach so, ohne ein Wort gewechselt zu haben, zu einem Drink einladen. Will ich jetzt einen erkauften Smalltalk führen? Noch bin ich nicht besoffen genug, dass ich mir das Glas einfach nehme und den Menschen dann stehen lasse, falls er überhaupt vorgehabt haben sollte, mich zuzutexten. Nicht alle Drink- und Zigarettenspendierer erwarten unbedingt eine Gegenleistung dafür. Eigentlich finde ich ihn gar nicht uninteressant, seine Körperhaltung gefällt mir, was er anhat und auch sein schräger Pony im Gesicht, aber er ist viel zu jung … und wenn ich schon das Mädchen nicht geküsst habe, dann hat er so rein gar keine Chance, auf rein gar nichts … bin einfach keine gute Gesellschaft heute. Echt nicht. Hirn- oder Körperkontakt würden mich nur wieder auf mich selbst zurückwerfen und, verdammt, das wollte ich doch heute nicht. Ich will nur ganz weit weg von mir. Ich lehne dankend ab. Und wie süß er auch noch lächelt und dabei »Na dann später vielleicht« sagt … ach ja … Ich gehe mal draußen frische Luft schnappen.

In der Tür muss ich mir den Weg durch eine Herde Touristen peitschen. Au weia, wenn die alle reingelassen werden, kann man sich da drinnen ja gar nicht mehr bewegen und früher oder später muss ich einem Arschgrapscher wieder ordentlich ans Schienbein treten. Das mache ich jetzt immer so, weil ich festgestellt habe, dass es ein ungemein befriedigendes Gefühl ist, einem Typen, der einem vielleicht sogar mitten beim Tanzen, völlig unaufgefordert und ignorant also, an den Hintern grapscht und dich dann auch noch so von oben herab siegesbewusst angrinst – von wegen: Da stehste doch drauf, Puppe! –, so dermaßen gepfeffert ans Schienbein zu treten, dass man sich an seiner plötzlich ganz anders dämlich verzogenen Fresse ergötzen kann.

Und während ich so an der Wand herumstehe und rauche, mir die Leute hier draußen so ansehe, höre ich ein Mädchen aus ihrem Schwarm Freundinnen heraus im Vorübergehen »Kaffee Burger« sagen und dabei spricht sie das Burger wie bei Burger King. Sie kichern drüber und ich finde es auch ganz lustig. Ja, genau: Einen Kaffee Burger, mit Pommes und Ketchup, bitte.

Während ich mich durch die Menge quetsche, zurück zu meinem Platz, schaue ich mich um, ob ich nicht jemanden kenne, jemanden, zu dem ich mich gern setzen würde, damit ich hier nicht mehr so als Freiwild herumlungern muss. Auf meinem Treppen-absatz dumm herumstehend, warte ich auf einen guten Song.

Plötzlich bedrängeln mich Tom und Guy zur Begrüßung rechts und links und machen sich über mein Gesicht lustig, sagen, dass ich zum Fürchten aussehen würde, und dass mich damit garantiert niemand anquatscht heute Abend. Ich freue mich, dass sie hier sind.

»Wer will denn hier angequatscht werden? Das ist meine Abwehrfresse«, gebe ich obercool zurück. Sie lachen mich aus, tröten im Chor: »Ja, ja!«, und Tom geht Wodka holen. Guy bleibt an der Bar und dort an Bettina oder so hängen. Ich will keinen Wodka. Das Zeug ist mir zu scharf, zu stark und außerdem vertrage ich nichts. Ich will ja auch noch heil nach Hause kommen. So sitzen wir auf meinem Treppenabsatz, Schulter an Schulter, Schenkel an Schenkel, Tom mit seiner berühmten Wodka-Laune, ich mit meiner berühmt-berüchtigten langen Fresse und er fragt mich nach den Gründen dafür. Ich antworte bloß, dass das privat sei.

»So schlimm?«, fragt er schon in einem besorgten Tonfall.

Uff! Ich habe ehrlich keine Lust mit ihm über diesen ganzen Bockmist mit Wolf zu reden und über Mila schon gar nicht und erst recht so was von gar nicht, nach dieser mitleidigen Frage. Ich grinse affektiert, drücke meine Wange an seine und sage ihm ins Ohr: »Ich bin doch schon ein großes Mädchen«, und dann tanze ich mir endlich höllisch die Seele aus dem Leib – Firestarter, -Killing in the Name – bis ich pitschepatsche nass bin.

Ich muss mal pullern und mir Wasser ins Gesicht klatschen. Leider stehen noch drei Mädels vor mir, aber ok, ich warte trotzdem, eine gute Gelegenheit etwas abzukühlen, auch wenn es hier im Durchgang stinkt.

So schlimm?, frage ich mich nun selbst.

Mit Wolf ist jetzt aber wirklich endgültig Schluss. Ich meine für immer! Ich meine auch ohne Chance von wegen: Lass uns doch Freunde bleiben, wie er das so gern hätte. Was dieser Schwachmat unter Freundschaft versteht, werde ich nie kapieren. Der kann mich mal bis zur Steinzeit und wieder zurück. Der hatte es doch tatsächlich fertig gebracht letztes Wochenende … Stopp! Wenn ich nur daran denke, mutieren meine Eingeweide schon wieder zu einem zuckenden, bissigen Alien.

Endlich bin ich dran mit Pullern. Mir kommt ein ziemlich besoffenes Hosenbund-Speckrollen-Girlie nebst zweier passender Typen aus dem Klo entgegengestolpert, ich stoße sie beiseite. Mir und meiner Mitwarterin entfleuchen fast gleichzeitig ein »Ihhh« und ein »Bäh«, und wir sehen uns angewidert und kopfschüttelnd an. Die Amis grinsen bloß dreckig und stieren mit übergroßen roten Fischaugen zurück. Schnell verscheuche ich meine hässlichen Gedanken an eine Szenerie in diesem Klo, die ich wirklich, wirklich nicht sehen wollen würde. Bluähks! Hoffentlich haben die sich nur etwas reingepfiffen, denn im Klo steht der Boden fast unter Wasser.

Was für eine Haltung beim Pullern, die Hosenbeine über dem Boden festzuhalten und mit dem Arsch bloß nicht das Klo zu berühren. Wie unwürdig! In meinem nächsten Leben bin ich ein Mann … und dann pisse ich meiner bescheuerten Ex Fuck You in den Schnee vor ihr Fenster. Und dann stelle ich mir vor, wie ich das trotz meiner weiblichen Hülle bewerkstelligen könnte und muss richtig losprusten …

Tom sehe ich an der Bar mit Guy und seiner Bettina stehen. Guy ist so ein Arsch, so ein dämlicher Vollidiot, der hat da zuhause im Kibbuz eine richtig tolle Frau sitzen, eine klasse Frau, die ihn auch noch liebt, wieso verstehe ich auch nicht, und dazu noch diesen super süßen kleinen Sohn, und der hat hier in Berlin an der Bar im Burger nichts Besseres zu tun, als diese fast zehn Jahre jüngere Bettina anzubaggern, die zwar zugegeben schon sehr klug und hübsch und das alles ist, aber denkt der wirklich, der kann das hier einfach so und heimlich durchziehen? Gibt es eigentlich noch ein Stück Resthirn über der Gürtellinie? Ich habe echt fertig mit diesen Typen. Ehrlich ey! Ich habe so was von total fertig!

Ich setze mich also an die Bar und gaffe Guy vorwurfsvoll an und er weiß auch ganz genau, was gemeint ist. Da stellt sich Tom vor meine Nase und verwickelt mich in ein Gespräch. Er versucht seinen Freund in Schutz zu nehmen. Ja klar! Tom ist ja auch so einer. Hat da diese süße und junge Freundin, die angeblich von gar nichts weiß, ihn aber auch nicht stresst, und Tom macht also weiter wie gehabt. Drei Kinder von zwei verschiedenen Frauen sollten ihn doch irgendwie zumindest ein wenig wachgerüttelt haben, aber …

Tom zieht mich weg von der Bar, rüber unter den ovalen Spiegel. Ich fummel dort gleich an der Tapete herum, eine geprägte wuschelige Stofftapete ist das. Ich mag sie, weil man so schön mit den Fingerspitzen den Rillen folgen kann, wenn man im Gespräch nicht weiter weiß, oder weil sie mich an alte Zeiten erinnert vielleicht, an eine Zeit, in der ich hier bei Tante Burger ein billiges Essen wie Schnitzel mit Pommes und Champignonsoße bestellt und auf die rot- oder blau-weiß-karierte Tischdecke serviert bekommen habe, oder vielleicht weil ich hier einmal mit einem ganz süßen Typen essen war, von weihnachtlichem Kneipenkitsch umgeben, der als Erster überhaupt die Zeit gemessen hat – die Zeit, die ich zum Pullern brauche. 18 Sekunden! Danach Mixtape und das war’s dann auch. Trotzdem war der endsüß! Stopp! Männer sind Autos!

»Ich liebe Rocco«, quieke ich begeistert, weil gerade etwas von den Chemical Brothers anfängt und lasse mich vom Hocker rutschen, um auf die Tanzfläche zu hüpfen. Aber Tom hält mich am Unterarm fest. Als ich ganz beiläufig in dieser Bewegung versuche, mich aus seinem Griff zu befreien, packt er aber noch fester zu. Da werde ich stutzig und sehe ihn an.

»Echt?«, fragt er und ich kann diesen Gesichtsausdruck dazu überhaupt nicht deuten. Was denn? War doch bloß’n Spruch. War das nicht eindeutig? Also versuche ich einen auf locker zu machen: »Keine Sorge, Tom, du bist doch mein großer Star-DJ. Du bist die Nummer eins!«

»Ach so«, sagt er.

Klang das erleichtert? Hä? Ich bin noch ziemlich verwirrt davon beim Tanzen und kann mich gar nicht wirklich in das Lied hineinbegeben. In der Drehung zu »… pleeeeeease, forgive meeeee …« fällt mir auf, dass Tom mich anstarrt und in diesen zwei, drei Momenten des Blickkontakts in meiner Drehung kommt eine verwirrende Photoneninfo rübergeschwirrt. IIIIII never meeeeeeant to hurt youououou … singe ich stumm. Sein Blick ist dermaßen saugend oder eher raubtierhaft, ja genau, ich fühle mich gerade wie ein Beutetier, dem klar wird, dass es kurz davor steht, gefressen zu werden. Hilfe! Schnell in den Schwarm flüchten. Schnell, schnell rein da in die schützende Menge.

Als ich mich wieder zu ihm setze, machen wir wie gehabt weiter mit unserem Blabla und ich meine, mir das alles nur eingebildet zu haben. Aber nach einer Weile fängt er plötzlich an, hier unter der Zweisamkeit dieses pompösen goldgerahmten Spiegels, dermaßen aufdringlich an mir herumzugraben, dass ich dann doch nicht mehr an meinen Empfangsantennen zweifle und verwirrt hier die Tapete kraule. Trotzdem weiß ich gar nicht, wie ich mich denn jetzt verhalten soll. Zugegeben, es gab da mal ein ziemlich heißes Rumgeknutsche, aber das ist irre lange her. Da ist doch schon längst ganz fettes grünes Gras drübergewachsen.

Mein Verteidigungsgezicke scheint ihn aber nur noch mehr anzustacheln. Er grapscht sich mal beim Reden mein Knie oder patscht auf meinen Schenkel, er drückt seine Schulter an meine oder er brabbelt so nah an meinem Ohr, dass seine Lippen meine Haut berühren. Je mehr ich mich zurückziehe, desto näher rückt er, desto frecher werden seine Fragen, seine Anspielungen und schließlich lässt er mich mit einem süffisanten Lächeln wissen, dass er davon überzeugt sei, wir zwei beiden Hübschen würden sensationell guten Sex miteinander haben. Ich schlucke. Echt? Will der mit mir spielen? Soll ich mitspielen? Lieber noch ein Bier wegkippen.

Ich muss Geld aus meiner Tasche holen und stelle mich in die Garderobenschlange und wie ich so im Türrahmen stehe, geht ein Typ an mir vorbei, guckt mich an, geht drei Schritte rückwärts und steht jetzt vor mir (genau mein Beuteschema – wildes, dunkles Haar, schöne braune Augen, lange Wimpern), er grinst und glotzt mir ins Gesicht, dass ich lachen muss. Er guckt nur doof, sagt aber nichts. Dann kommt sein Gesicht immer näher, ich gehe langsam mit dem Rücken die Wand hoch, aber er folgt meinem Gesicht, ich drehe meinen Kopf zur Seite und aus dem Türrahmen, meinen Oberkörper hinterher, dass ich schon fast umfalle, aber er kommt immer näher und ist offensichtlich darauf aus, mich zu küssen. Süß ist er ja, schon, aber … ich stecke in der Ecke fest, er lehnt einen Arm an die Wand, ich ducke mich drunter weg und bleibe mit dem Rücken zu ihm stehen. »Where do you come from? Are you Russian?«, säuselt er von hinten in mein Ohr. Attention! Franzosenalarm! Urgs, auch das noch. Aber von Franzosen will ich ums Verrecken nichts mehr wissen, lieber nicht. Wie schade, dass er den Mund aufgemacht hat. Ich bin dran an der Garderobe und krame mein Geld aus meiner Tasche, gebe sie wieder ab, ignoriere den da hinter mir, weil … besser ist das.

Am Tresen versuche ich etwas zu bestellen, aber es dauert und dauert … Mit dem Rücken zur Bar steht er plötzlich wieder neben mir und lächelt mich betörend süß mit einem goldenen Eckzahn an. Wie sexy ist das denn? Oh bitte nicht! Warum mache ich bloß immer so einen Quatsch mit? Da nimmt er einfach meine Hand und zieht mich raus auf die Straße, ich will doch eigentlich gar nicht mit, aber er hält mich richtig fest. »I’ll show you something!«, sagt er und ich denke, dass er mich draußen ja wohl loslassen wird, dann kann ich immer noch die Biege machen, aber er bleibt gar nicht stehen auf der Straße, sondern zieht mich auch am Döner-Laden vorbei und zieht mich über die Ampel – ok, da drüben am Kiosk kann ich mir eine neue Schachtel Zigaretten kaufen – also lasse ich mich auch noch über die zweite Ampel ziehen, nur leider ist der Laden schon dicht und jetzt bleibe ich aber mit ihm vor dem Kiosk stehen und will nicht weiter. »Now what?«, frage ich, inzwischen etwas entnervt, und schon habe ich seine Lippen auf meinen und die Ablagefläche im Kreuz. Hm!?

Ich lasse ihn und lasse ihn und küsse dann zurück, aber wie ich ihn so zurückküsse … da fällt mir auf, dass ich ihn schon ganz süß fand, auch diese Nummer mit dem Kussversuch in der Garderobe war ziemlich witzig, auch dass er gar nichts dabei von sich gegeben hatte, dass er sich einfach nimmt, was ihm -gefällt, gefällt mir, und dieser goldene Eckzahn ist ja auch endsexy, ja schon, aber … aber dieser Kuss hier gerade … der gefällt mir nicht. Ich habe doch eigentlich gar keinen Bock drauf, und wenn ich auch noch weiter drüber nachdenke … am Ende habe ich ihn den ganzen Abend über an der Backe … und dann muss ich ihn mir wahrscheinlich auch noch vom Hals quatschen, wenn ich gehe … Nein! Ich drücke ihn weg und gehe wieder zurück ins Burger. Nein, ich stapfe und ich ärgere mich.

Ich bin sauer auf Wolf und sauer auf mich selbst, dass ich dermaßen assig geworden bin, dass ich nichts und niemanden mehr an mich heranlassen kann – verdammte Scheiße! Ich hasse dieses miese Arschloch und meine Unfähigkeit, mein Leben ohne ihn genießen zu können. Ich hasse mich selbst für meine Schwäche.

Da kommt der Küsser hinter mir hergerannt und fragt: »What’s your problem? You’re good looking! You’re cool! Alors?« Ich könnte heulen. Schlucke. Verstecke mich unter meinen Haaren, ich winke ihn weg im Laufen, schiebe mich an der Warteschlange vorbei und an der Bar zwischen zwei Leute. Der soll weggehen und mich in Ruhe lassen, aber seine Frage schwirrt mir weiter im Kopf herum.

An der Bar bestelle ich endlich mein Bier und da drückt sich plötzlich jemand an meinen Rücken, die Arme rechts und links auf den Tresen gestützt, dass ich in ihnen gefangen bin. So! Jetzt bin ich aber richtig stinkesauer und hole schon ordentlich Luft … aber da haucht mir Tom von oben in mein Ohr – verdammt, war der immer schon so groß? –, er haucht also zu mir runter, dass ich ihm einen Wodka mitbestellen soll, er bezahlt, sagt er, klasse, und wieder berühren seine Lippen mein Ohr und seine gut rasierte Wange ruht dann auch noch an meinem Hals dabei, er riecht so lecker und sein Schoß an meinem Hintern, dieser Druck seines Körpers in meinem Rücken, der macht mich völlig wuschig gerade, und ich ertappe mich dabei, wie ich mich gegen ihn lehne, weil es sich scheißenochmal gut anfühlt. Uh-rgs! Ehrlich ey! What the fuck, ist mit mir los heute?

Als ich dann Guy mit Birgit, Bettina (oder wie auch immer diese junge, knackige, smarte Schnepfe heißen mag) am Ende der Bar rumknutschen sehe, weiß ich aber so was von Bescheid. Diese beiden miesen Ratten haben garantiert wieder eine ihrer Konkurrenzwetten am Laufen. Ha! Alles klar! Da habt ihr Milchbubis euch aber geschnitten!

Während Tom und seine Latte sich also hinten an mir reiben – oder was soll das hier gerade werden? –, zische ich mir so viel Bier wie möglich rein, suhle mich in Rachephantasien, denke über eine schöne verbale Ohrfeige nach, kann aber auch nicht umhin, mir plötzlich gewahr zu werden, dass sich mein Körper au contraire verhält … der drückt nämlich seinen Hintern an Toms Schoß und legt den Kopf in den Nacken auf seine Schulter, findet es so oh, là, là da Wange an Wange … Stopp!

Ich drücke ihn mit meinem Hintern von mir, drehe mich um und pflanze mich auf einen Hocker, dass wir uns jetzt fast auf Augen-höhe befinden. Er stützt sich zwar noch mit einem Arm auf dem Tresen ab, aber scheint schon bemerkt zu haben, dass dieses Chichi von eben ein abruptes Ende gefunden hat.

»Was ist eigentlich los mit dir heute?«, will ich endlich wissen.

»Was?«, fragt er, scheint aber doch verstanden zu haben und windet sich noch etwas unter meinem Adlerblick.

»Ich weiß auch nicht …«, stammelt er los, »es ist so komisch heute mit dir … als ich dich vorhin da sitzen gesehen habe … da fing es schon an … da wollte ich irgendwie … ich weiß auch nicht wieso, ich wollte irgendwie gern« – längere Pause –  »… bei dir sein. Und jetzt, jetzt weiß ich auch nicht …« – Pause –  »… hast du eigentlich eine Ahnung, wie gut du riechst?«

»Woher zum Geier weißt du denn, wie ich rieche?«, frage ich ernsthaft entsetzt, weiß es inzwischen allerdings schon, aber ich will davon nichts wissen, weil ich vom Tanzen völlig verschwitzt bin. Ich will schnell weg von diesem Thema. »Hör doch auf mich zu verarschen! Halt jetzt lieber die Klappe, Tom!«

Aber Tom beharrt darauf. »Ich habe einen total guten Geruchssinn«, sagt er total von seiner tollen Fähigkeit überzeugt und dann nimmt er einen tiefen Zug an meinem Hals, bevor ich mich noch rechtzeitig zurückziehen kann. Das hat gekribbelt. Verdammt! Aber mir ist das echt zu viel auf einmal. Ich will nicht, dass er riecht, dass ich stinke, aber was sagt der liebe Tom?

»Es ist einfach der pure Wahnsinn, wie gut du riechst. Wie alt bist du noch mal? 37? 38? Stimmt doch, oder?«

Ich winke angewidert ab.

»Eva, das musst du mir glauben! Das ist ehrlich kein Quatsch. Ich kann das Alter einer Frau riechen.«

»Ha! Ha ha …«, antworte ich. Der hat doch so was von … der hat’ne ausgewachsene Klatsche, aber so was von. Also diesen Spruch finde ich echt … also so richtig scheiße, und dann sagt er wieder: »Aber nach deinem Geruch zu urteilen … also du riechst wie eine …«

Ich will das gar nicht hören, halte mir die Ohren zu und lalaliere vor mich hin. Ich will nicht in seine Geruchstonne gekloppt und von der Alters-Müllabfuhr abgeholt werden. Er grinst mich aber nur total belustigt an und prostet mir wissend zu.

Was habe ich bloß getan, dass Tom hier und heute meint, mir solche Sachen sagen zu müssen?  … Ist meine Abwehrfresse eher eine Beschützerinstinktweckerfresse? … Sehe ich gar nicht zum Fürchten aus, sondern zum In-den-Arm-Nehmen? Oder ist das hier genau seine Masche, mit der er eine Frau nach der anderen flachlegt? Plötzlich fühle ich mich schwach und klein und dumm, so anlehnungsbedürftig und mickrig … Ich bestelle jetzt schnell selbst einen Wodka auf Toms Rechnung und noch einen und nach einer kleinen Weile bin ich wirklich und endlich richtig voll und mein Hirn mutiert zu einer wohlig wabernden Masse.

Ich lache über alles und mache mich lustig über Toms An-näherungsversuche und lalle, dass ich ganz genau wüsste, die beiden hätten da eine Wette am Laufen, er und Guy, und dass er jetzt damit aufhören könne. Aber Tom hört nicht auf, wie schon erwähnt, es macht ihn an … und in meinem Dusel gefällt mir seine Beharrlichkeit und das geht sogar so weit, dass ich ihm irgendwann erlaube – ich weiß nicht, wie wir darauf gekommen sind –, dass er da an der Bar im Burger hockend, unter all den anderen hysterisch abfeierwilligen und fickfreudigen Burgerabschleppern und -abschlepperinnen, dass ich mir also im Einklang mit allem hier, von Tom da an der Bar hockend, einen Arm unter meinen Mantel schieben lasse – wir hatten inzwischen unsere Klamotten geholt, weil wir schon längst gegangen sein wollten – und ich ihm nicht glauben will, dass er mit nur einer Hand meinen BH auf-bekommt. Er bekommt! Ich bin baff und mächtig beeindruckt.

Das ist wohl der Moment – ganz sicher der falsche –, aber in diesem Moment fühle ich mich das erste Mal an diesem Abend von ihm berührt. Nein, nicht, weil er meine nackte Haut da unter aller Augen, aber doch heimlich  … Was? Ich weiß es nicht. Ich bin doch schon stinkbesoffen inzwischen und finde, dieses Unterfangen mitten im Burger, auch dass es ihm gelungen ist … finde ich toll. Supi gemacht, Tom!

Wohl um diese Frage zu klären, torkel ich dann im Morgengrauen mit ihm die Schönhauser hoch gen Heimat. Es ist schön mit ihm jetzt, so vertraut. Wir flirten. Ich spiele die Zicke. Tom mimt den Gigolo.

Zum Abschied will er mich küssen. Ich will nicht, bin doch immer noch im Verteidigungsmodus. Aber um ehrlich zu sein, habe ich auch Angst davor. Ich meine, Angst davor, dass ich mehr davon wollen könnte. Was ja nicht sein darf, weil ich immer noch den blöden Wolf liebe, Trennung Numero neun, elf, vierzehn hin oder her. Ich bin halt wirklich krank im Kopf. Außerdem ist mir das mit Tom viel zu heiß.

Bin einfach zu kaputt zum Spielen. Also will ich nur noch schnell weg da, aber dann drückt er mich an die Glaswand der Tramhaltestelle. Ich komme mir so blöd vor, mich wie ein Fräulein da herauszuwinden, zumal mir ein Kuss von ihm ganz gut tun würde im Moment. Aber die Konsequenzen, die Konsequenzen sind für mich einfach nicht absehbar in meinem Zustand. Er nötigt mich dann doch noch zu einem Kuss. Der sitzt auch schief und ist gar nichts, aber er entlässt mich trotzdem. Und ich … ich denke: Schade! Ich Troll, ich denke: Schade, dass er mich losgelassen hat!,und trolle mich.

Auf dem Heimweg werde ich ein blödes bedrückendes Gefühl nicht los. Mir wird klar, dass Wolf noch nie dermaßen hinter mir her gewesen war. Nie! Und Tom hat mir heute mit seinem -Gebagger nur gezeigt, wie es hätte sein sollen. Ein paar Tränen laufen mir die Wangen herunter. Ist aber gar nichts Besonderes, dieses Geheule immer, wenn ich besoffen bin. Das nehme ich einfach nicht mehr ernst. Morgen ist ein neuer Tag! Morgen fange ich alles wieder von vorne an. Oder ganz anders. Wie auch immer.

Nächstes Wochenende behalte ich Lasse bei mir und dann fahren wir in den Wald und verbringen einen goldigen Herbsttag miteinander, suchen Pilze, bewerfen uns mit Laub, fangen Fische mit dem Kescher und atmen Waldluft, die nach Erde, Laub, Pilzen, Gras und Moos riecht. Wir bekommen rote Bäckchen vom Wind und kalte Finger. Dann entfachen wir ein Feuer am Seeufer und kokeln, bis es schon fast dunkel ist. Nur mein Kind und ich allein.

Alle Typen dieser Erde können mich jetzt aber wirklich mal kreuzweise und diese dummen Besäufnis-Wochenenden, diese ganzen Hirnwegpuste-Abenteuer-für’n-Arsch auch, diese tumbe Zeittotschlage-Scheiße – das alles muss und wird ein Ende haben! Morgen schon!

Aus die Maus

Vor einigen Wochen dachte ich, ich sei übern Berg, als Wolf mich- nach fast zwei Monaten Funkstille aus heiterem Himmel anskypte, um nach seinen Philosophen-Büchern zu fragen. Wir verabredeten uns also zur Klamottenübergabe. Bücher gegen Haargummis und CDs. An einem warmen Spätsommerabend im Park würden wir unter der dunkelroten Buche nett ein Radler zusammen trinken, ich würde schön lächeln dabei und coole Geschichten aus meinem reichhaltigen, aufregenden Leben ohne ihn erzählen. Das war der Plan.

Aber insgeheim hoffte ich, nein, ich betete immer noch, dass ihm plötzlich endlich einfiel, mich in Wirklichkeit ja doch zu lieben, dass er vor mir auf die Knie fallen und mich anbetteln würde, ihm seine Dummheit zu vergeben, mich küsste, umarmte und notgeil fickte, damit dieser Wahnsinn endlich ein gutes Ende nahm. Obwohl ich doch ganz genau wusste, wie es kommen würde. Das hatte ich auch schon eine Million Mal hinter mir. Aber trotzdem ging ich wieder zu diesem Treffen mit ihm, wie immer trotzdem … diese dumme, miese Hoffnung stirbt und stirbt einfach nie – und wenn schon, dann nur mit einem selbst.

Ich fühlte mich also ganz ok und stark und sicher und war fest entschlossen, kein Sterbenswort über dieses ominöse Uns fallen zu lassen. Im Weinbergspark saßen wir dann zwischen all den anderen Abendsonnengenießern, die die letzten warmen Nächte dieses Jahres noch mitnehmen wollten, auf der Wiese unter dieser Buche, deren Blätter schon fast schwarz aussehen.

Nach einer viertel Stunde vielleicht hatte ich dann für mein Empfinden alles ganz gut über die Bühne gebracht. Ich stellte ihm mein halbvolles Radler hin, steckte meine Zigaretten ein, zog meine Jacke über und sah mich schon beschwingten Ganges wieder von dannen über die Wiese schreiten, da fragte er: »Wie jetzt? Und das war’s jetzt, oder was?«

Jawoll! So sollte es sein. Ich hatte Oberwasser. Genau mein Lieber, das war’s jetzt, sagte ich zwar nicht; aber ich setzte dann so gut ich konnte eine reumütige Miene auf, blieb sitzen, kramte in aller Seelenruhe meine Zigaretten wieder hervor, steckte mir eine an, sah ihm ins Gesicht, fragend, mit hochgezogenen Augenbrauen, paffend.

Und dann ging es ab. Er könne gar nicht fassen, was ich hier für eine Show abziehe … Was ich denn eigentlich beweisen -wollte, damit? … Ich solle aufhören, ständig einen auf armes Opfer zu machen … Er sei ja wohl derjenige, der hier ständig verlassen werden würde … »Du hast doch keine Ahnung, was in einem Mann vor sich geht, wenn mit ihm Schluss gemacht wird«, tönte er.

»Ja und dann muss Mann auch unbedingt sofort eine andere Schnalle nageln, oder was? Naturgesetz, oder was?«, trötete ich zurück.

»Schluss ist ja wohl Schluss! Was wirfst du mir denn vor? Dass ich vier Jahre lang dermaßen auf dich und Lasse eingegangen bin, bis ich gar kein eigenes Leben mehr hatte? Und was erzählst du Lasse eigentlich, wo ich stecke? Hast du mich nach Timbuktu auswandern lassen, oder was?«

Dass er Lasse da erwähnte, traf mich schwer, weil mir wirklich langsam die Geschichten ausgingen, warum er seinen besten erwachsenen Freund nicht einladen oder besuchen konnte.

Aber Wolf war noch nicht fertig: »Du wusstest doch überhaupt nicht, was mit mir los war die ganze Zeit. Es hat sich ständig alles nur um dich gedreht, immer nur um dein Leben! Immer icke, icke, icke, du alte Zicke!«

Toller Reim! Ich konnte dazu nur höhnisch grinsen. Raucherpause.

Sein wutentbrannter Ausdruck verflog ganz langsam und wich dann einem sanftmütigen Lächeln. Also hatte er mein Grinsen falsch verstanden, aber egal. War doch eh alles für’n Arsch hier.

Ich nuckelte an meiner Radlerflasche.

»Mensch Eva, ich will … ich möchte doch nur, dass wir uns nicht völlig aus den Augen verlieren. Du und Lasse ihr seid doch … Mann ey, ich hab euch doch lieb. Ihr seid doch meine Wahlfamilie, wir hatten doch auch eine total schöne Zeit miteinander, oder? Die ganzen Ausflüge in die Pampa … und unser Zelturlaub … ehrlich Eva, ich will euch wieder besuchen kommen, ein gutes Essen für uns alle kochen und euch beim Kartenspielen ablaschen. Ihr fehlt mir, Eva! Ich will einfach nicht begreifen müssen, dass diese ganzen Jahre für dich nur der reine Horror gewesen sind. Wir hatten doch auch gute Zeiten, Eva. Oder nicht?«

Ich schluckte, wusste aber auch ganz genau …

»Ach Wolf, das haben wir doch alles schon x-mal durchgekaut. Ich hab die Fresse voll von diesem Loop. Das muss endlich ein Ende haben. Ich will nichts mehr von dir wissen. Ich kann nicht mehr. Ich bin müde und total kaputt davon. Sag mir doch mal, wie ich mich auf einen anderen Mann einlassen soll, wenn du ständig um mich bist und bleibst? Und ich will verdammt noch einmal eines Tages richtig geliebt werden! Nee ey, ich kann und will nicht deine Kumpeline sein. Das ertrage ich nicht. Ich ertrage es nicht, einen Mann geliebt zu haben, der jahrelang nur nicht richtig »Nein« zu mir sagen konnte, um mich nicht zu verletzen, aus Rücksicht – Bluähks, ist mir schlecht. Soll ich mich jetzt auch noch bedanken dafür? Mir wird kotzübel davon. Ehrlich! Ich will nicht mehr darüber nachdenken, warum das alles so gekommen ist. Und deine bloße Existenz macht mich immer wieder nur darauf aufmerksam, dass ich es nicht wert bin, von dir geliebt zu werden. Hast du denn eine Ahnung, wie sich das anfühlt?«

Mir war wirklich schlecht geworden während meines Monologs, denn all diese ätzenden Verlassenheitsgefühle stiegen wieder brühwarm in mir auf. Mit jedem dieser zum x-ten Mal wiederholten Worte hatte ich mich mehr und mehr hineinziehen lassen in diese gottverkackte Endlosschlaufe, die mir schön die Kehle zuschnürte. Eine Weile ging es noch so weiter. Ich heulte dann auch bald unter meinen Haaren, wir wiederholten und wiederholten uns, und ich heulte und heulte …

»Ok, ok, genug jetzt, Eva!«, unterbrach er mich irgendwann entnervt, »du hast wie immer recht. Deine Sprüche kenne ich ja auch alle bis zum Abwinken. Echt Eva, ich finde die Erderwärmung auch ziemlich scheiße. Aber am Wetter kann es bestimmt nicht liegen, dass du hier diese Show abziehst.«

»Was für eine Show denn immer? Nur weil ich jetzt endlich einmal konsequent bin? Klar kommt dir das komisch vor. Logisch!«

»Nein, herzallerliebste Eva, das meine ich nicht«, sagte er mit einem bohrenden Blick, der mir schon etwas Angst einjagte.- »Kurze Zwischenfrage: Warst du schon bei Milena, inzwischen? … Sag mal!«

K. o. Und wie ich so lang gestreckt am Boden daniederlag, trat er hinterher: »Hab ich mir gedacht«, tönte er triumphierend, als ich nur noch völlig entgeistert Grashalme zupfte. »Ich habe nämlich eher den Eindruck, dass du total am Rad drehst gerade. Dass bald die Bombe explodiert, wenn du so weitermachst. Ehrlich gesagt, war ich ganz froh über deine Kontaktsperre. Ich dachte: Soll die olle Terrortrappe doch außer Reichweite hochgehen und dann wird sie schon wieder. Aber ich kenne dich gut genug, um zu wissen … Du bist einfach nicht mehr du selbst, Eva!«

Ich versuchte, mir ein hämisches Grinsen aus dem Gesicht zu quetschen, aber ich fühlte mich total erledigt.

2 : 0 für den bösen, blöden Wolf.

Lasse und Mila aufs Schlachtfeld zu werfen, war fies und entwaffnend. Dem hatte ich nichts, rein gar nichts entgegenzuset-zen. Vielleicht hatte er ja recht. Vielleicht war ich tatsächlich kurz davor zu explodieren und meine ganze vermeintliche Stärke war nichts anderes als stumpfe, dumpfe Verdrängung aller Dinge, die mich aus der Bahn werfen könnten. Verdrängung ist ja tatsächlich keine gute Strategie …

Also wollte ich es jetzt wissen: »Du hast nie gesagt: Eva, ich liebe dich nicht. Vergiss es! Ich will, dass du es sagst. Ich will es aus deinem Mund hören.« Total genervt stöhnte er auf, steckte sich eine Zigarette an, rauchte und rauchte und stierte wütend in die Ferne. Betretene Stille.

»Wenn du es wirklich gut mit mir meinst, dann sagst du es endlich«, schob ich aber trotzdem hinterher.

»Eva, ich liebe dich nicht … Vergiss es …«, leierte er dann kurz und bündig runter, glotzte mich an … und an … und an … – bis ich ihn nicht länger ertragen konnte, seinen aggressiven Blick, so von wegen: Da haste, waste willst. Und? Bist du jetzt glücklich?

Beim Grashalmezupfen fragte ich mich dann selbst: Und Eva? Was nun? Nichts! Nichts rührte sich in mir. Dann stand er ächzend auf, lief eine Weile hin und her, holte tief Luft und wetterte plötzlich auf mich herunter: »Ich bin doch hier der Angearschte! Du hast doch hier den heiligen Krieg ausgerufen. Du drohst hier doch die ganze Zeit, dass wir uns nie mehr wiedersehen, wenn ich nicht nach deiner Pfeife tanze und deine Message ist ganz klar: Lieb mich jetzt verfickt noch einmal richtig, und zwar ganz genauso, wie ich es mir vorstelle, oder verpiss dich bis zur Steinzeit und wieder zurück, du blöder Penner!«

Respekt! Besser hätte ich das auch nicht ausdrücken können. Während seiner großen Rede war auch ihm dann aufgefallen, dass unser Disput hier auf der Wiese rege Anteilnahme fand. Er hatte um sich geblickt, in die Gesichter der Gaffenden, seine Arme in die Luft geworfen und auf seine Schenkel klatschen lassen, seine Hände schob er auf die Knie runter und so stand er breitbeinig vor mir. In diesem Bild fehlte eigentlich nur noch mein Herz, das sich unter seinem Ellenbogen eingequetscht in seinen letzten -Zuckungen befand. Mit einem glasklaren Blick sagte er mir ganz ruhig ins Gesicht: »Sorry, aber da gehen bei mir echt die Schotten runter … Und ich mache auch noch genau das, was du von mir erwartest, ich Idiot …«

»Wenn du wüsstest …«, grinste ich höhnisch zu ihm rauf.

»Du willst mich einfach nicht verstehen, oder?«

»Und wie ich dich verstehe! Leider! Aber was ich verstehe, gefällt mir einfach nicht, mir wird nur schlecht davon.«

»Ja, ich weiß, ich weiß. Wer nicht für dich ist, ist gegen dich …«

»Na, was denn nun? Bush oder Dschihad? Entscheide dich mal!« Wolf richtete sich wieder auf, steckte seine Hände in die Hosentaschen. »Genau das meine ich! Für dich gibt es nur: Entweder. Oder. Schwarz oder Weiß. Aber ich bin ein Fan von Gerhard Richter. Ich steh total auf Grau!«

»Weißt du was, Wolf? Dein tolles Grau ergibt für mich nur dreckige Matschepampe. Ja, verdammt! Klare Ansagen finde ich ganz klasse, spitzenmäßig sogar! Und deine geliebte, wischi-waschi graue Matschepampe macht mich krank! Die hat uns genau hierher gebracht, wo wir jetzt sind.«

»Am liebsten würde ich dich jetzt …«, knurrte er mit blitzenden Augen.

»Was? Was denn?«, keifte ich wutentbrannt zu ihm rauf.

»Würgen!«, sagte Wolf mit vor der Brust verschränkten Armen; ich konnte sehen, wie sich seine Kiefermuskulatur an den Wangenpartien spannte und wieder entspannte, spannte und entspannte … er sah mich dabei an, als würde er es ernst meinen, aber ich hatte keine Angst vor ihm. Meinen Blick hatte er auch verstanden. Dann ließ er sich wieder schlaff auf die Wiese fallen.

»Ganz zärtlich natürlich«, fügte er dann müde hinzu und rieb sich das Gesicht mit seinen Handflächen, holte tief Luft und entließ sie wieder: »Wenn du mich dermaßen in die Ecke drängst, Eva, dann kann ich gar nicht anders …«

Ich unterbrach ihn: »Vier Jahre lang gab es keinen einzigen Moment, in dem ich dir genügend Raum gelassen hätte? Willst du mir erzählen, dass ich dich die ganzen gottverdammten vier Jahre dermaßen in die Ecke gedrängt habe? Willst du mir gerade erzählen, dass ich schuld daran bin, dass du mich nicht richtig lieben konntest …?«

»Richtig lieben«, wiederholte er meine Worte, »genau das ist es. Was ist denn ›richtig lieben‹?«

»Na, wenn du das nicht weißt …«

»Du weißt genau, wie ich das meine«, unterbrach er mich.

»Oh ja, und wie ich das weiß!«

»Das wage ich einmal ganz stark zu bezweifeln.«

Ich wusste ganz genau, dass wir dort wieder komplett aneinander vorbeigeredet hatten, aber wie immer war ich überhaupt nicht in der Lage, dahinterzusteigen, an welcher Stelle die Kommunikation abgebrochen war. Es war zum Verzweifeln, weil ich das dumpfe Gefühl nicht abschütteln konnte, dass wir ja vielleicht doch dasselbe, ja dasselbe meinten, aber beide außerstande waren, eine Sprache zu finden, die der andere zu verstehen im Stande war.

Ich heulte und heulte wieder und weiter und dachte nur noch: Wir sind beide inzwischen dermaßen kaputt davon. Echt krank ist das alles hier. Krank! – hallte es wider in meinem Kopf, als ich mit tränenverwässerter Sicht meinen Krempel in meine Tasche stopfte, hallte, als ich die Jacke überwarf, hallte, als ich ihn in meinem Rücken sitzen ließ. Krank und kaputt!

»Ich bin jetzt zurück aus der Steinzeit, Eva!«, rief er hinter mir her. »Was jetzt? Wie geht’s jetzt weiter, Eva?«

Weiter … weiter … ich wusste nicht mehr weiter. Komplett auseinandergenommen und in alle meine Einzelteile zerlegt, kam dann das letzte bisschen, das von mir noch übrig war, irgendwie den Prenzlberg rauf, bis in mein Bett. Dort ließ ich mich in den Schlaf fallen und wollte daraus nicht mehr erwachen.

Aber ich erwachte und muss jetzt zusehen, wie ich das hier überlebe. Ich habe vier Jahre lang einen Mann geliebt, der mich nicht geliebt hat. Die ganze Zeit über nicht. Wie kann man mit dieser Schmach überleben? Wie überlebt man, wenn man sich dieser seiner unsagbar großen Dämlichkeit bewusst wird? Wie kann man das überleben, wenn man ihn noch immer und trotzdem liebt?

Indem man sich als Kieselstein in diesen Zeitstrom wirft und sich von den Fluten mitreißen und treiben lässt, widerstandslos über den Grund des Flussbetts trudeln lässt, hier und dort zwar anstoßend, aber doch weiter und weiter rollt – rollin’ rollin’ -rollin’ …

Indem man sich einfach den anstehenden Aufgaben hingibt, alles brav erledigt und bloß nicht drüber nachdenkt, überhaupt: nur nicht nachdenkt, sondern funktioniert, wie ein gut geöltes Uhrwerk – tick tack tick tack tick …

Und natürlich … indem sich da ein Kind auf dieser Welt befindet, das einen noch eine ganze Weile braucht.

Alles andere ist Makulatur.

Und da ich nun einmal sehr gut darin bin, Schwarz und Weiß ganz wunderbar unterscheiden zu können, weiß ich jetzt also genau, wo es langgeht. Nämlich vorwärts, ins Helle! Und zwar dermaßen zügig, dass diese dunkle Vergangenheit nur noch meinen Staub zu fressen bekommt. Eat doch my dust, ey!, denke ich in letzter Zeit immer wieder und gebe mir Mühe, wieder auf die Beine zu kommen, denn ich weiß es doch: Wenn es mir gut geht, geht es auch Lasse gut.

Roter Teppich

Wo ist der rote Teppich? Hä? Wo ist das Blitzlicht, wo die Presse, wo die Paparazzi, wenn ich ohne Schlüppel unter einem Hauch von Nichts aus der S-Bahn Landsberger Allee steige, auf meinem glamourösen Weg zur Agentur für Arbeit? Denn dann würde mich diese trostlose sechsspurige Storkower Straße, flankiert von Industriegebietsbaracken und teilweise leerstehenden Plattenbauten, die jedes Mal, wenn ich sie betrete, mit Graupelschnee und Gegenwind von einer unsichtbaren Filmcrew versehen wird, nicht schon unterwegs innerlich auf den Hartz-IV-Frust runterziehen. Stattdessen rauche ich meine Galgenzigarette, stemme mich gegen den Wind, winde mich aus diesen mies piksenden Eisnadeln und brabbel in Gedanken meine Sprüchlein für irgendeinen fremden Feind der Leistungsabteilung vor mich hin, um zu bekommen, was ich für Lasse und mich zum Überleben brauche.

Und verdammte Scheiße, wir brauchen nicht viel! Diese Lektion habe ich in seinen fünf Lebensjahren mit Hartz IV doch schon gelernt – mit nichts auskommen – aber selbst dieses Nichts kürzen die mir immer wieder gern, z.B. wegen der 3-Tage-bei-Papa-4-Tage-bei-Mama-Regelung – dann bin ich ja nicht wirklich alleinerziehend und das Kind diniert seine Gourmetmenüs drei Tage in der Woche ja gar nicht auf Staatskosten bei mir, sondern beim gutbetuchten Herrn-Brotloser-Künstler-Papa. Also: Schwups minus 95 Euro. (Ich kann mich echt erschießen, wenn die damit durchkommen.) Dabei bin ich schon aus meiner Vier-Zimmer-Wohnung mit Garten ausgezogen, wo ich es sogar mit Untermietern versucht hatte.

Und jetzt habe ich eine Wohnung, die 85 Euro teurer ist, als mir zusteht, weil ich in der von denen gesetzten Frist schlichtweg keine Zusage für eine andere, billigere bekommen habe. Außerdem konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass man als Arbeitslose mit einem kleinen Jungen nicht gerade ganz oben steht auf der Bewerberliste. Also egal, wie ich es drehe und wende, wir sollen mit einem Existenzminimum klarkommen, das eindeutig unter dem Existenzminimum liegt, weil alles teurer und teurer wird. Und von 95 Euro, um die es heute gehen wird, können wir zwei Wochen leben, aber wenn die fehlen, fehlt das Geld für zwei Wochen Essen. Sollen wir so lange Löwenzahn im Park sammeln und lecker, lecker Salat draus machen, oder wie?

Und dann ist auch noch bald Weihnachten. War doch klar, dass die einen nicht einmal jetzt in Ruhe lassen können. Also habe ich mir einen schnieken Nebenjob gesucht. Denn neben meiner derzeitigen Hauptbeschäftigung, mir die Agentur für Arbeit schön vom Hals zu halten, betätige ich mich nämlich als Widersprucheinlegerin. Dieser Job gefällt mir besser, weil ich mich diebisch darüber freuen kann, wenn ich gegen alle Bescheide, die ich von denen erhalte, zuerst einmal Widerspruch einlege.

Also auch gegen diesen neuen Bescheid. Wieso denn nicht? Ist doch mein gutes Recht. Steht doch auf allen Anschreiben drauf. Nun könnte man mir vorwerfen, dass ich mit meinem destruk-tiven Gehabe mit dafür verantwortlich bin, dass dieser Laden dermaßen lahmarschig ist und dass ich die ganzen schönen Steuergelder damit verplempere. Joah, mag ja sein, aber wenn ich so die jährlichen Zahlen des Bundes der Steuerzahler über die Verplemperung von einem hundert Milliönchen Euro vernehme, da werde ich das dumpfe Gefühl nicht los, dass ich die vielleicht doch nicht so sehr nerve wie die mich. Was ja eigentlich der Sinn meines Nebenjobs sein sollte. Ich will denen ebensoviel Ärger, Arbeit und Stress bereiten wie sie mir. Das ist mein einziges Plaisir dabei … sinniere ich in der CO2-geschwängerten Wartezone zwischen all den anderen sauerstoffarmen Gesichtern hockend, und werde ein dumpfes Gefühl nicht los: Könnte es denn sein, dass ich doch am kürzeren Hebel sitze? Aber noch ist nicht alles verloren. Immerhin wehre ich mich. Ich bin stolz und wütend und gehe gern wieder nächstes Jahr auf die Arbeitslosendemo am 2. Mai und rufe lauthals mit den anderen siebzig Leutchens – während wir für Stunden die Schönhauser Allee lahmlegen und eine Schlange von »Metro«-Trams, Wannen, Polizei-Motorrädern und entnervten Autofahrern hinter uns herkriecht: »Wir haben Zeit! Und ihr nicht!«