Kurzgeschichten Band 3 - Helmut Pätz - E-Book

Kurzgeschichten Band 3 E-Book

Helmut Pätz

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Beschreibung

Sammlung von Kurzgeschichten, die ab 1956 in zahlreichen, auch internationalen, Zeitungen und Zeitschriften publiziert wurden

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Inhaltsverzeichnis

Nicht mehr allein

Guter Rat - nicht mal teuer

An einem Freitagmorgen

Baujahr Anno dazumal

Nichts Besonderes

Sie antwortete nicht

Träume gingen in Flammen auf

Das Fahrrad

Der alte Schrank

Die Angst hockt auf der Tribüne

Rache eines Vielgetretenen

Ein stiller Sieger

Es war Vater

Großväter und Enkel

Ein Mensch wie Krawuttke

Nur aus Notwehr

Sie blieb bis zuletzt

Alfred bedankt sich

Bertram beschwert sich

Das geschenkte Lächeln

Vor der letzten Runde

Warten nach Mitternacht

Die Bewerbung

Die Gesellschafterin

Die Heldin

Die letzte Fahrt

Edel Steine - jetzt und einst

Eine höfliche alte Dame

Fremde bunte Welt des Anatole

Geld spielt keine Rolle

Glücklicher Irrtum

Nachts spielten sie Karten

Wer zuletzt lacht

Wie jeden Morgen

Zu Gast bei Monsieur Fernand

Zum letzten Mal

Zwischenlandung

Alexander - der neue Redakteur

Alles beim alten

Der Herr aus dem Fernseher

Der Stein der Weisen

Der Waffenhändler

Die „Herzogin“ und ihr Hund

Eine merkwürdige Begegnung

Immer nur Zaungast

Kathi entscheidet sich

hat ja auch noch Zeit

Auf dein Wohl, Vater

Lebenslauf

Schau in die Regenpfütze

Zwischenspiel an der Ampel

Nur leichte Bewölkung

Begegnung im Warenhaus

Diesmal kam er nicht zu spät

Eine verrückte Idee

Er wollte nicht sein Großvater sein

…einmal Stammgericht

Es machte ihm nicht mehr so viel aus

Fort mit dem Gerümpel

Kuss am Morgen

Letztes Rendezvous

Sie hatten beide grüne Augen

Warten auf den Bus

Abstellgleis

Alberto, der Zauberer

Alter Gauner Mario

Antik

Binnies Haus war es

Der heiße Wind kam von Osten

Die Fischer von Cintaro

Drei Männer würfeln

Erdöl aus der Tiefe Siziliens

Liebe in Cintaro

Mario und der Ruhm

Noch kein Ende abzusehen

Piranhas

Streik in Texas

Unter den feurigen Kreisen der Sonne

Als Napoleon zweimal starb

Bitterer Wein auf Korsika

Eine Rechnung wird beglichen

Kleine Bank am Meer

Fahrt ins Blaue

Fünftausend Dollar

Halvorsen zieht die Uhren auf

Ich schenk‘ sie Ihnen

In Pietros Eisdiele

Kein Interesse für Schmetterlinge

Nicht mehr allein...

Ich sah sie jeden Morgen, wenn ich die Brötchen vom Bäcker holte, und oft auch später, wenn ich von irgendwelchen Besorgungen heimkehrte. Dabei war sie mir anfangs gar nicht aufgefallen, die unscheinbare alte Frau, und ich glaube, es war wohl eigentlich auch ihr Hund, der, sorgsam an der Leine geführt, mein Interesse für sie zuerst wachrief. Obwohl auch an ihm nichts Besonderes war. Ebenso unauffällig wie die Frau, trottete er dicht neben ihr daher. Trotzdem gefiel er mir.

Viele Male war ich den beiden begegnet, und auf plötzlich dann war es, als seien wir alte Bekannte. Wir nickten einander zu und wünschten uns einen guten Tag.

Und dann trafen wir uns eines Tages im nahen Park. Wir wechselten ein paar Worte, sprachen über allerlei Belangloses. Dann setzten wir uns auf eine Bank. Der Hund, der kleine, jetzt von der Leine losgelassen, tobte zwischen den Bäumen umher, um zwischendurch immer wieder zu uns zurückzukehren und, aufgeregt und laut bellend, darauf zu warten, dass einer von uns einen Stock warf, den er dann eifrig mit der Rute wedelnd, uns zu Füßen legte.

"Sie hängen wohl sehr an dem Hund?"

Sie sah mich an, eine ganze Weile, dann nickte sie heftig.

"... oh ja, sehr... aber Sie müssen wissen, das war nicht immer so. Und eigentlich war er auch gar nicht mein Hund. Ich wollte ihn überhaupt nicht haben... damals..." Sie verstummte, aber nun war ich neugierig geworden.

Ihr Mann hätte den Hund eines Tages von einer Geschäftsreise mitgebracht, erzählte sie dann. Er hatte gleich sein Herz an das Tier gehängt. Sie nicht! Warum auch - sie hatte doch ihren Mann und den Haushalt. Das war ihr genug. Ein Hund, pah, das war doch nur etwas für Müßiggänger. Ihr Mann hatte nur den Arm um sie gelegt und gelacht. Aber den Hund gab er nicht wieder weg. Nun, trotzdem waren sie glücklich miteinander... bis zu dem Tag, an dem sie ihr den Mann nach Hause brachten. Das Herz hatte nicht mehr wollen. Er hatte sich nicht quälen müssen, aber für sie gab es keinen Trost. Kinder hatten sie nicht. Was also sollte sie noch auf dieser Welt? Nein, sie mochte einfach nicht mehr, und so hatte sie dagelegen, viele Wochen lang. Nächte ohne Schlaf, in denen der Schmerz sie immer wieder überwältigte.

Eines Tages aber hatte es an der Tür gekratzt und gejault. Der Hund! Bekannte, die ihn zu sich genommen hatten, brachten ihn nun wieder zurück. Sie könnten ihn auch nicht länger bei sich haben. Sie verstand das zunächst überhaupt nicht, aber bald begriff sie, warum die anderen es getan hatten. Und tatsächlich hatte sie sich aufgerafft aus dem Abgrund der Verzweiflung. Da war auf einmal wieder ein Geschöpf, das man ihr anvertraut hatte, das sie nicht im Stich lassen durfte. Da war wieder jemand, der sie brauchte, für den sie sorgen musste, der ständig an ihrer Seite war, Tag für Tag, und der in der Nacht durch seinen leisen, schnaufenden Atem verriet, dass man nicht mehr allein war. Da war jemand, der wieder eine gewisse Unruhe und Lebhaftigkeit in die stillen Räume brachte, der einem, selbst nach kürzester Abwesenheit, mit blanken Augen und überschäumender Freude empfing. Ja, und von da an hatte sie wieder angefangen zu leben. Trauer und Leid rückten allmählich von ihr ab, und das Leben rings um sie her war auf einmal wieder da...

Ich blieb auf der Bank sitzen und sah ihnen nach, wie sie sich davontrollten, die alte Frau und ihr Hund, der plötzlich über eines der Blumenbeete jagte, einem tief fliegenden, verspäteten Vogel hinterher. Ich dachte an all die Tiere, die großen und kleinen, und an die vielen Geschichten, die man sich immer wieder von ihnen erzählt. Und auch dieser kleine Vierbeiner, grau und etwas krummbeinig, der allein durch die Tatsache seines unscheinbaren Daseins einem Menschen ins Leben zurückhalf, - war er nicht auch einer von ihnen?

Irene Pätz

Guter Rat – und nicht mal teuer

Eines Tages setzte Mrs. Harvey ihren altmodischen Hut auf, wartete zwanzig Minuten auf den Bus und fuhr ins Rathaus. Wenig später nur saß sie dem für das Telefonwesen zuständigen Sachbearbeiter, einem kleinen Männchen hinter einem riesigen Schreibtisch, gegenüber.

"... ich bin Mrs. Harvey, Sir... so geht das nicht weiter..." Ihre Augen funkelten. "... das mit dem Telefon..."

Das Männlein nahm die Brille ab. "Was ist mit dem Telefon?"

"... jedesmal, wenn ich jemanden anrufe oder wenn ich angerufen werde, kratzt, schnarrt und schrillt es in der Leitung, als säße der Teufel selber darin, und plötzlich ist dann die Verbindung ganz unterbrochen..."

Ihr Gegenüber nahm eine Karteikarte aus dem Kasten. "Mrs. Harvey, Mrs. Harvey, ja, hier haben wir es schon... aber es war doch jemand bei Ihnen, um den Schaden zu beheben, jedenfalls ist das hier vermerkt."

"Ja, gewiss, es war einer bei mir, aber das war vor zehn Jahren. Er hatte sich alles damals angesehen. Am Telefon lag es nicht, hat er gesagt - es lag an der Zuleitung, draußen auf der Straße. Das Kabel war wohl nicht in Ordnung. Aber das konnte er nicht ändern. Es liegt zu tief. Aber ich sollte jedesmal, wenn ich telefonieren wolle, einen Kessel kochendes Wasser in einen Spalt zwischen zwei ganz bestimmte Pflastersteine gießen. Dann ginge es schon - hat er gesagt."

"Na, und?" "... es ging tatsächlich, Sir, seit zehn Jahren nun schon."

Das Männlein legte behutsam die Karteikarte beiseite. "... aber bedenken Sie die hohe Gasrechnung," fuhr sie fort, "für das viele heiße Wasser, die mir neben den hohen Telefongebühren entsteht, besonders, wo das Gas wieder um so viel teurer geworden ist... und dann die Unannehmlichkeiten, vor allem sonntags, wenn ich in Derby anrufe, um mir die letzten Rennergebnisse durchgeben zu lassen. Ich sage dann immer, sie möchten einen Augenblick warten, die da in Derby, bis ich das kochende Wasser in das Loch zwischen die beiden Pflastersteine gegossen habe. Aber bis heute scheinen die das noch nicht begriffen zu haben, denn wenn ich wieder im Hause bin, hat man am anderen Ende den Hörer schon wieder aufgelegt... es muss etwas geschehen, Sir, unbedingt."

Das Männchen nahm seine Brille ab, sah sie an, eine ganze Weile, und nickte dann. "Sie haben Recht, Madam, da muss etwas geschehen. Ich werde darüber nachdenken. Kommen Sie bitte in einer Woche wieder..."

Eine Woche später saß Mrs. Harvey wieder vor dem riesigen Schreibtisch und sah erwartungsvoll das kleine Männchen an, das lächelnd ihre Karteikarte in der Hand hielt.

"Ich hab's, Madam," sagte es frohlockend und hob triumphierend den Finger in die Luft. Eine bedeutungsvolle Pause entstand. Mäuschenstill war es im Raum, und sie sahen sich an, Mrs. Harvey und das kleine Männlein. Nur eine Fliege summte um die Lampe - dann ein Räuspern:

"... also, hören Sie, Madam... heißes oder gar kochendes Wasser ist völlig unnötig... kaltes Wasser tut es auch."

Und abschließend, mit großer Würde, knallte er den Deckel des Karteikastens zu.

Helmut Pätz

An einem Freitagmorgen

Es war Freitag, und es regnete. Sie hasste Freitage, und sie mochte keinen Regen.

Sie stampfte mit dem Fuß auf, und man sah sie erstaunt an. Aber sie achtete nicht darauf. Sie stand inmitten der Passanten, die darauf warteten, dass die Ampel die Überquerung frei gab. Dies schien nicht ihr Tag zu sein; nichts wollte ihr gelingen an diesem Morgen, nicht einmal die tägliche Hausarbeit. Darum hatte sie kurzentschlossen den Mantel übergeworfen und war hinausgeeilt, um sich ihren Unmut in den Straßen abzulaufen. Aber es half alles nichts. Alles und jedes ärgerte sie, die Autos, denen sie wegen der vielen Regenpfützen ständig ausweichen musste, die Passanten mit den sperrigen Regenschirmen und auch die Ampeln an den Kreuzungen, die sie ständig am Weitergehen hinderten.

Es war zum Verzweifeln!

Schon gestern hatte es damit angefangen, als Heinz nach Hause kam. Sie sah es ihm sofort an. Wie ungerecht verteilt war doch das Glück! Immer traf es nur die anderen. Konnte es nicht einmal eine Ausnahme machen, ein einziges Mal nur? Wieder war es nichts geworden mit der erwarteten Beförderung und der damit verbundenen Gehaltserhöhung. Und dabei hatten sie doch dieses Mal so fest damit gerechnet. Also würde nichts aus der neuen größeren Wohnung werden, die sie sich in diesem Jahr erhofft hatte, nichts aus dem eleganten Hosenanzug aus der kleinen Boutique an der Ecke, nichts aus dem Videorecorder... nichts, nichts, überhaupt nichts! Sie hätte losheulen mögen, hier, auf der Stelle.

Da legte sich zaghaft eine Hand auf ihren Arm. "Ach, bitte, würden Sie mich mit über die Straße nehmen?..."

Aufgeschreckt sah sie in das Gesicht einer Frau, nur wenig älter als sie selbst, ein Gesicht, in dem die Augen ausdruckslos in einer unbestimmte Ferne suchten. Und dann sah sie in ihrer Hand den Stock mit der weißen Farbe, wie er tastend den Kantstein absuchte.

Sie war gemeint, ausgerechnet sie. Es standen doch so viele Leute um sie herum... Einen Augenblick lang war sie betroffen, aber dann hakte sie kurzentschlossen den Arm der Frau bei sich ein. Irgendwie überkam sie ein unerwartetes Gefühl der Beschämung und alles, was sie eben noch so bedrückt hatte, fiel von ihr ab.

Und wie von Zauberhand gelenkt, schalteten die Ampeln plötzlich auf Grün. Die Autos fuhren wieder an, aber jetzt schienen sie vorsichtig die Pfützen zu umfahren, und jemand am Steuer lächelte ihr sogar zu, als sie mit der Blinden am Arm den Fahrdamm betrat. Der heftige Regen schien ein wenig nachzulassen, und irgendwo zwischen den grauen Wolkenfetzen schimmerte ein Stückchen azurblauer Himmel durch. Während sie über den regenfeuchten Asphalt schritten, fand sie plötzlich, dass nicht das wichtig war, was sie eben noch dafür gehalten hatte und dass das Beste, was einem das Leben geben kann, mit Geld nicht zu erkaufen ist. Sie fand sogar, dass es schön war, die schillernden Regenpfützen sehen zu können und in sie hineintreten zu können, absichtlich, aus purem Übermut, wenn man wollte...

"Vielen Dank", hörte sie da die leise Stimme der Frau neben sich. "Ich danke Ihnen vielmals. "

"Nein, ich danke Ihnen", sagte sie schließlich. Aber das hörte die Frau schon nicht mehr, als sie, mit dem Stock tastend, wieder zwischen den Menschen untergetaucht war.

Es regnete immer noch. Aber es störte sie nicht mehr.

Irene Pätz

Baujahr Anno dazumal

An der Kreuzung musste er halten. Die Ampel zeigte "Rot" und gab den Querverkehr frei. Links ging es zum Autofriedhof und nach rechts in die Lackiererei. Heute würde er nach links fahren, - die letzte Fahrt in diesem Wagen. Wirklich, man hatte seit langem nichts Ähnliches mehr gesehen wie sein Gefährt. Kein Wunder - Baujahr Anno dazumal! Vor Jahren schon hatte man in der Werkstatt gegrinst, wenn er damit vorgefahren kam. Jetzt hatte er es einfach satt, weiterhin mitleidiges Aufsehen zu erregen mit diesem alten Vehikel.

Er sah sich noch einmal um. Das Auge wanderte über die Innendecke, die dunkel war und rissig, über das Armaturenbrett mit den zersprungenen Gläsern, über Uhr und Tachometer. Einen Öldruckmesser hatte er schon lange nicht mehr. Wozu auch? Das hatte man sowieso in den Fingerspitzen. Diese uralten Modelle waren weit aus robuster als die supermodernen Schlitten.

Ein, zwei Scheine würden sie vielleicht noch zahlen, dachte er, einen gewissen Altertumswert hat das Auto eventuell noch. Aber gleich darauf kamen Zweifel auf. Was hatte ein Freund erst kürzlich gesagt? "Mensch, sei froh, wenn Du nicht noch draufzahlen mußt! "

Sein Blick wanderte weiter. Über die Blumenvase, die rechts neben der Windschutz- scheibe hing. Das Glas war trübe vom verdunsteten Wasser, und der Sprung darin war noch deutlich zu erkennen. Ullas Schuld war es gewesen, damals, als sie sich mit Heinz gebalgt hatte. Immer hatten sie sich gestritten, die Kinder, als sie noch klein waren. Eine glückliche Zeit war das gewesen, damals...

Eigentlich hatte der Motor bis auf den heutigen Tag noch keine richtigen Mucken gehabt. Der gute, alte Motor! Er allein war bestimmt noch immer sein Geld wert.

Schade, dachte er, und lehnte sich zurück. Die Rücklehne knarrte wie eh und je, und ihm war, als hörte er hinter sich wieder die endlosen, doch niemals ernst gemeinten Zänkereien der Kinder, und fast hatte er das Gefühl, die Hand seiner Frau auf seinem Arm zu spüren und ihr glückliches Lachen zu hören, wenn sie hinausfuhren in ihren unbeschwerten Sonntag.

So etwas vergisst man einfach nicht.

Da hörte er plötzlich das ungeduldige Hupen hinter sich, neben sich. Die Ampel war auf "Grün" umgesprungen. Nur er allein stand noch mit seinem alten Wagen an der Straßenecke. Einige der umstehenden Fußgänger lachten. Über ihn? Über das Auto?

Auf einmal fühlte er eine ungeheure Erleichterung. Sollten sie doch lachen, wenn es ihnen Spaß machte. Alle. Er selbst hatte sich entschieden in diesen wenigen Minuten, die wie ein halbes Leben an ihm vorbei geglitten waren, und er fuhr an, leicht und behutsam.

Ja, sollen sie doch alle lachen, dachte er mit grimmiger Freude und bog ab, nach rechts, in die Lackiererei. Helmut Pätz

Nichts Besonderes

Nur wenige Schritte vor mir gingen sie. Wir hatten zufällig denselben Weg, wie es sich manchmal so ergibt.

Es war nichts Besonderes an ihnen. Im Gegenteil. Alles an ihnen war eigentlich unauffällig, ja schlicht, fast ärmlich. Er trug die große Einkaufstasche und sein Schritt passte sich fürsorglich der trippelnden Gangart seiner Gefährtin an. Auch an ihr war alles Vergangenheit, von den ausgetretenen Schuhen bis zu den schütteren Haaren, die sorgfältig zu einem festen Knoten gedreht waren.

Nein, es war wirklich nichts Besonderes an ihnen. Und doch blieb hin und wieder ein Passant stehen. Sogar junge Leute sahen ihnen verstohlen nach. Denn die beiden Alten, - sie gingen Hand in Hand. Ob sie die verkehrsreiche Straße überquerten oder längere Zeit vor einer Schaufensterauslage verweilten, nie lösten sich auch nur für einen einzigen Augenblick ihre Hände voneinander. Ganz fest hielten sie sich, diese Hände, und sie blieben miteinander verbunden, ganz gleich, ob ihre Besitzer in ein lebhaftes Gespräch vertieft waren oder in bedächtigem Schauen verharrten.

Und während ich so hinter ihnen herging, fiel mir auf einmal mein Besuch von gestern abend ein: Sie, eine ehemalige Schulfreundin, anspruchsvoll und ehrgeizig schon immer, er, erfolgreicher Leiter eines namhaften Unternehmens. Sie hatten alles erreicht, was man sich vorstellen kann. Aber in ihren Blicken, da war so etwas Ruheloses gewesen, etwas Gehetztes, und in den nervösen Bewegungen ihrer Hände lag dennoch so viel resignierte Müdigkeit, dass es einen fast schmerzte. Die wenigen Worte, die sie aneinander richteten, waren voller versteckter Vorwürfe, gespickt mit bissigen Randbemerkungen. Als sie schließlich gegangen waren, blieb eine fast feindselige Leere hinter ihnen zurück.

Daran mußte ich denken, als ich den beiden Alten folgte, länger als ich es eigentlich wollte.

Nein, es gab weiter wirklich nichts Besonderes zu berichten von den beiden. Aber dieses Händepaar, fand ich, dass da so fest miteinander verbunden war, es bedeutete mehr, viel mehr als aller äußerer Reichtum, den das Leben zu verschenken hat...

Irene Pätz

Sie antwortete nicht

Er legte den Hörer auf. Das monotone Rufzeichen peinigte sein Ohr. Sie hatte sich nicht gemeldet. Mindestens fünfmal hatte er es vergeblich versucht.

Berger, sein Kollege hatte zu ihm herübergeschaut, flüchtig nur, aber mit besorgter Miene.

Unruhe peinigte ihn. Was war los? Wo war sie?

Es war nicht mehr die alte Vertrautheit zwischen ihnen gewesen, schon lange nicht mehr. Sie wussten es beide. Dennoch war es nicht ihre Art, die Wohnung einfach so zu verlassen für längere Zeit. Nein, sie ging nicht weg, ohne es ihm vorher zu sagen. Früher nicht - und auch jetzt nicht. Sie wusste genau die Zeit, zu der er anrief, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Damals, als es ihr gesundheitlich nicht gutging, hatte er regelmäßig angerufen. Und dabei war es geblieben.

So ein Telefon kann eine Pein sein, dachte er, und in diesem Augenblick hasste er es geradezu.

Automatisch nahm er ein Bündel Geschäftspapiere und legte es in den Aktenkorb. Er würde sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren können.

Erneut griff er zum Hörer, legte aber gleich wieder auf.

"Geh nach Haus", sagte Berger, "... geh lieber nach Haus... gleich..." Er sah ihn an. Sie verstanden sich ohne Worte.

"Ja..." sagte er und griff zum Mantel.

Der Weg war nicht weit. Mit dem Wagen war er in fünf Minuten zu Haus. Jetzt erdrückte ihn die Angst fast. Bestimmt war ihr etwas zugestoßen, hatte sie ihn anrufen wollen, lag vielleicht hilflos neben dem Telefon.

Er dachte an ihr verändertes Wesen, den unzufriedenen Blick, den ungeduldigfordernden Ton ihrer Stimme in der letzten Zeit. Und dann sah er sie vor sich, wie sie früher war. Noch einmal durchlebte er in sekundenschnellem Gedankengang die vielen Jahre, die gemeinsamen, erfüllten, - und dann allmählich die Leere, diese unaussprechlich große Leere.

Seine Ahnung verdichtete sich zur Gewissheit, als er, in der Nähe seiner Wohnung angelangt, die aufheulende Sirene eines sich schnell entfernenden Unfallwagens hörte.

"... ich wusste es", schoss es ihm durch den Kopf. Und dann hörte er wieder die Stimme des Freundes, den er kürzlich getroffen hatte: '... der Mann hatte keine Ahnung gehabt, weißt du. Seine Frau... als er nach Haus kam, lag sie da, die leere Tablettenröhre neben sich... es sind die Jahre, sagt man...' -

Die letzten Stufen flog er fast empor, und keuchend rang er nach Luft, als die Wohnungstür aufging und seine Frau ihn überrascht ansah,

"... du... um diese Zeit?"

Er ging an ihr vorbei und ließ sich auf einen Stuhl fallen.

"... denk dir, die alte Frau Behrens, die über uns wohnt", fuhr sie aufgeregt fort, "... ich hörte einen Fall, bin gleich nach oben und hab' alles weitere in die Wege geleitet... sie hat ja sonst niemanden... gerade eben hat man sie weggebracht ins Krankenhaus."

Sie trat neben ihn, und da war auf einmal wieder die alt vertraute Wärme in ihrer Stimme. "Hast du inzwischen mal angerufen?" Er konnte nicht antworten. Er fühlte nur eine einzige ungeheure Erleichterung. Und als er, immer noch wortlos, aufstand und den Arm um sie legte, sagte sie leise, und es klang ein aufkeimendes Stückchen Glück darin mit:

"... du hast dir doch nicht etwa Sorgen um mich gemacht?"

Irene Pätz

Träume gingen in Flammen auf

Er war beunruhigt. Etwas Fremdes, Ungewohntes hatte ihn geweckt. Behutsam bog er einen Ast beiseite und spähte nach unten. Aber es blieb alles still. Aufatmend ließ er den Ast zurückschnellen und streckte das Bein wieder aus. Da war wohl doch nichts. Natürlich hatte er nicht richtig geschlafen. Er schlief eigentlich nie richtig. Auch nachts nicht.

"Josef, du träumst..."

Wie oft hatte die Mutter das gesagt. Ihre sonst so fröhliche Stimme klang dann jedes Mal besorgt, fast traurig.""... du träumst ja schon wieder... du träumst bei Tag und Nacht. Du bist schon ein richtiger Traumtänzer." Die Mutter, die durfte das sagen. Sie hatte ein Recht darauf. Sie liebte ihn, und er liebte sie.

Die Schwestern und Brüder, die sagten es auch. "... ha, der träumt..." Anfangs hatte er aufbegehrt, als sie sich - wenig liebevoll - an die Stirn tippten. "... der spinnt mal wieder." Dann hatte er sie schweigend gewähren lassen, obgleich er der Größte und Stärkste von ihnen war. Als sie es dann alle sagten, auch die Leute unten im Dorf, da hörte er schon gar nicht mehr hin.

"Josef, der Träumer…"

Nein, er ließ es sich nicht nehmen, sein Leben in seiner kleinen Welt, die er sich selbst erschaffen hatte. Er erlaubte es keinem, darin einzudringen, nicht dem Lehrer, der so manches Mal fassungslos in seine Hefte sah, deren Seiten leergeblieben oder nur mit sonderbaren Schriftzeichen oder Zeichnungen bedeckt waren, die niemand deuten oder enträtseln konnte. Nicht einmal der alte, gütige Herr Pfarrer, obgleich dieser der wunderlichen Gedankenwelt des Jungen am nächsten zu kommen verstand.

Er aber war glücklich und zufrieden. Er brauchte sie nicht, die anderen alle. Der liebevolle Blick der Mutter, ihre streichelnde Hand an seinem Haarschopf, das war ihm genug. Er brauchte nur noch seine kleine Welt der Träume.

Dennoch war ihm bewusst, dass es nicht recht war, aus dem Haus geschlichen zu sein, wo die Mutter doch nicht daheim war und ihm eingeschärft hatte, aufzupassen auf die kleineren Geschwister. Was machte es schon aus, wenn er hier in seinem Lieblings-

baum hockte, die dämmrige, schweigende Einsamkeit um sich herum, das Rauschen des Windes, das Zwitschern der Vögel, und die Gedanken freiließ in unbekannte Fernen und träumte... träumte...

Aber plötzlich dann war es wieder da, das Fremde, Beunruhigende...

So deutlich, so fordernd war es jetzt, dass er mit einem Satz aus dem Geäst sprang. Als er auf das Haus zurannte, sah er schon dicken grauen Qualm aus dem Dachfenster dringen.

Auf einmal war er hellwach.

Beißender Rauch versperrte ihm die Sicht, aber mit traumwandlerischer Sicherheit lief er die Treppe hinauf, riss die Türen auf, hinter denen das angstvolle Wimmern der Kleinen zu hören war, und trug sie keuchend, auf jeden Arm eines, nach unten. Er sah die zusammengelaufenen Leute unten im Hof stehen, ein Mann wollte ihn zurückhalten, aber er riss sich los und eilte wieder nach oben. Mit schmerzenden Lungen, den Größeren an der Hand, tastete er in einer knisternden, beißende Hölle nach dem Gitterbett des Kleinsten. Er umschlang das warme, schlaftrunkene Bündel, suchte die Treppe und dachte noch: "... jetzt bin ich in der Hölle...", dann glitt er hinab in den schrecklichen Abgrund, der sich vor ihm auftat, kam wieder zu sich und stolperte hinaus in den Hof. Der Größere riss sich schreiend los, rannte davon, er selbst aber wurde von helfenden Händen aufgefangen, und das wimmernde Bündel in seinem Arm ihm entrissen.

Vom Dorf her schrillten die Sirenen, und das Klingeln des Feuerlöschwagens kam näher. Undeutlich nur sah er aus brennenden, verquollenen Augen die Gestalt, die auf ihn zukam, ihn heftig und schweigend umarmte.

"... sie sind alle da, Mutter, ich hab sie alle rausgeholt."

Und als sich die Arme noch fester um ihn schlossen, wusste er, dass er die Welt seiner Träume verlassen hatte, endgültig und für immer. Und für einen Augenblick lang empfand er einen unsagbaren Schmerz...

Irene Pätz

Das Fahrrad

Nicht mehr sehr ansehnlich, aber doch sauber, lehnte es unter dem Zigarettenautomaten an der Ecke. Sein Besitzer war in das Tabakgeschäft gegangen, und niemand beachtete es, bis es plötzlich auf seine Weise die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf sich zog. Die Lenkstange bewegte sich wie von Geisterhand, und klirrend legte es sich quer über den Gehweg. Ein beleibter Herr konnte noch im letzten Augenblick beiseite springen. Sein gerötetes Gesicht drückte jähen Unwillen aus.

Die Menschen an der Bushaltestelle drehten sich um. Das Fahrrad aber lag da, ohne jede Bewegung jetzt, und sie wandten sich wieder ab.

Der Inhaber des Tabakladens trat auf die Straße, unter dem Arm einen Packen Zigarettenschachteln, um den Automaten damit aufzufüllen. Er sah das Fahrrad, warf einen Blick in die Runde und schüttelte mißbilligend den Kopf. Dann machte er einen langen Schritt darüber hinweg und packte die Zigaretten in den Automaten, während der Besitzer des Fahrrades anscheinend ahnungslos in seinem Laden verweilte. Bevor er wieder hineinging, machte sein Blick abermals vorwurfsvoll die Runde.

Ein Mann kam gemächlich näher. Er trug einen Rucksack über seiner grauen Jacke, und man sah seinem wettergebräunten Gesicht an, dass er ein schweres Tagewerk hinter sich hatte. Er wollte sich zu den Wartenden stellen, sah dann aber das Fahrrad, um das jeder vorbeikommende Passant einen großen Bogen machte. Ohne Hast ging er darauf zu, hob es auf und stellte es wieder an die Wand unter dem Zigarettenautomaten, als ahnte er, dass es dort hingehörte. Dann gesellte er sich zu den Leuten, die auf den Bus warteten.

Der Besitzer des Fahrrades kam aus dem Laden, brach eine frische Tabakpackung auf und stopfte sich die Pfeife. Dann schwang er sich auf sein Rad und fuhr davon.

Der Bus kam vorgefahren, und die Leute — in ihrer Mitte der Mann mit dem Rucksack - stiegen ein. Verstohlen sahen sie einander an und dann den Mann mit dem Rucksack, und betreten spürten sie eine Welle gegenseitigen Unbehagens und Schuldgefühls...

Helmut Pätz

Der alte Schrank

Er stand im Schatten neben dem Fenster. Niemand beachtete ihn.

"Wir könnten ihn auf den Boden stellen", sagte Andreas' Frau eines Tages.

Ihr Mann hatte sich gerade in seine Zeitungslektüre vertieft, und es dauerte eine Weile, bis er begriff. "Es ist ein altes Erbstück", gab er zu bedenken, "echtes Mahagoni... das Glas in den Türen kostbarer Schliff... seit Generationen in der Familie."

Seine Frau nickte, ebenso bedächtig. "Und tagtäglich stolpere ich über die weitausladenden Löwenfüße. Dabei schaut ihn kein Mensch mehr an. Wir sollten uns wirklich einen neuen anschaffen."

Andreas ließ die Zeitung sinken. Seinerzeit noch war der Schrank ein kostbares Stück gewesen. Heutzutage aber liebte man klare, schlichte Formen. Zudem war Andreas ein toleranter Mensch und wollte sich den Argumenten seiner Frau nicht verschließen. "Wenn du meinst..." nickte er und nahm seine Lektüre wieder auf.

Am darauffolgenden Sonntag wuchtete er mit zwei hilfsbereiten Nachbarn das schwere Stück Möbel auf den Abstellboden. "Ein hartes Stück Arbeit", sagte der eine von ihnen und wischte sich den Schweiß von der Stirn, "aber ich kann verstehen, dass Sie das altmodische Ding nicht mehr in der Wohnung haben wollen."

Der neue Schrank wurde also angeschafft, der alte verstaubte auf dem Boden.

"Ich finde", sagte Andreas' Frau, "er nimmt zu viel Platz weg da oben. Wir sollten ihn weggeben."

Als Andreas den Dachboden betrat, blieb er wie gebannt stehen.

Durch das schräge Fenster fiel ein Bündel goldflimmernder Sonnenstrahlen. Es fiel genau auf den alten Schrank, und es war das erste Mal in seinem Leben, dass Andreas ihn so sah. Er nahm einen Lappen, wischte den Staub von dem dunklen Holz, trat zurück und betrachtete prüfend sein Werk. Dann lächelte er und rief seine Frau, die nach einiger Zeit heftig atmend hochkam, verwundert, was es über diesen alten Schrank noch zu debattieren gab.

"Nun?" strahlte er sie an.

"Nun?" fragte sie zurück.

Ach, wie langsam begreifen doch die Frauen! Er riss die Schranktüren auf, warf das Werkzeug, die alten Schuhe und die Zeitungen auf den Fußboden, nahm eine halbzerbrochene Kristallvase, staubte sie ab und stellte sie in den leeren Schrank. Behutsam schloss er die Türen wieder, hinter deren Scheiben das geschliffene Glas in allen Farben schillerte. "Nun?" fragte er ein zweites Mal. Und jetzt begriff auch seine Frau.

"Du meinst doch nicht...?" fragte sie zögernd.

Andreas nickte strahlend. "Doch, ich meine. Er ist das schönste Möbelstück, das wir jemals hatten. Aber er muss im Licht stehen, erst dann kommt seine wahre Pracht zur Geltung."

Auch Andreas' Frau war tolerant, und am nächsten Sonntag trug er mit zwei Nachbarn, - dieses Mal hatte er vorsorglich zwei andere gebeten, - den Schrank wieder nach unten.

"Ein hartes Stück Arbeit", sagte der eine, "aber ich kann verstehen, dass Sie das kostbare Stück nicht auf dem Boden verkommen lassen wollen..."

Andreas hatte den Sessel so gestellt, dass er beim Zeitungslesen hin und wieder einen Blick auf den Schrank werfen konnte, der in strahlendem Glanz und blankem Holz den Schein der Nachmittagssonne wiedergab. Auch seine Frau hatte ihren Lieblingsplatz gewechselt.

Der neue Schrank stand jetzt an der dunklen Wand neben dem Fenster. Er wurde kaum beachtet, und beide - Mann und Frau - hatten die stille Ahnung, dass vielleicht auch er eines Tages den Weg auf den Boden machen würde. Aber bisher hatten sie noch nicht darüber gesprochen…

Helmut Pätz

Die Angst hockt auf der Tribüne

So hatte er sie noch nie gesehen - wie sie dasaß, vornübergebeugt, die Hände vor die Lippen gepresst, bis das Weiße der Knöchel hervortrat, als wollte sie einen Schrei unterdrücken.

Er stand hinter ihr zwischen den leeren Zuschauerbänken. Er sah ihren schmalen Rücken, und nur die schnelle Bewegung ihres Kopfes ließ erkennen, dass sie die vorbeirasenden Wagen verfolgte. Sie konnte nicht wissen, dass er hier war, weil er seinen Wagen Morris überlassen hatte.

"Laß Morris für dich fahren", hatte Steiner gesagt, "er ist jung, muß Erfahrungen sammeln... ist ja nur eine Trainingsrunde..." Dann hatte er ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter gegeben. ""Geh auf die Tribüne... zu Vera. "

Das Naheliegendste wäre wohl gewesen, sich neben sie zu setzen, den Arm um sie zu legen und etwas zu tun, was ihnen in all den Jahren nicht vergönnt gewesen war, - einmal gemeinsam einem Rennen zuzusehen. Immer hatte sie allein unter all den vielen Menschen hier gesessen, während er dort unten in gleißender Sonne, bei strömenden Regen oder eisigem Wind über den grauen Asphalt jagte.

Aber irgend etwas in seinem Innern bewog ihn, sich hier, unbemerkt von ihr, drei Bankreihen hinter sie zu setzen, sie zu beobachten und zu versuchen einzudringen in ihr Fühlen und Denken, während sie gebannt dem Kampf mit der Zeit und der Geschwindigkeit zusah.

Er zündete sich eine Zigarette an.

"... er muß noch Erfahrungen sammeln. Er ist ja noch jung..."

Jung! Bedeutete das, dass Steiner ihn für zu alt hielt? Hatte er denn schon einmal versagt in all seinen Rennen? War er nicht immer der Liebling des Publikums gewesen - einer der derjenigen, die die Massen anzogen? Gewiss, die Entscheidung würde erst morgen fallen vor der gewohnten Menschenkulisse. Aber er war das erste Mal, dass er sein Training nicht fuhr, weil...

Er streckte die Hand aus. Seine Hände, sehnig und sonnengebräunt, hielten ruhig, fast unbeweglich, die Zigarette. Sie zitterten nicht... oder doch? Wenn ja, dann waren es allein Steiners Worte, die ihn verunsichert hatten. Steiner hatte ihn an den entscheidenden Markstein im Leben eines jeden Rennfahrers erinnert.

"Zu alt."

Unten jagten die Silberpfeile einander. Er starrte ins Leere. Was bedeutete ihm schon ein Rennen, wenn er nicht dabei war? Er brauchte sie, dieses vorbeihuschende,