Küssen ist die beste Verteidigung - Alexandra Görner - E-Book

Küssen ist die beste Verteidigung E-Book

Alexandra Görner

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Beschreibung

Audrey ist bei ihrer Großmutter aufgewachsen. Daher ist sie am Boden zerstört, als diese einen Schlaganfall erleidet. Nur durch ihren ungeliebten, wenn auch lukrativen, Job als Escort Girl kann sie die Pflege bezahlen. Doch dank einer falschen Hausnummer steht Audrey versehentlich bei Anwalt Rob vor der Haustür, der sie prompt für seine neue Haushaltshilfe hält. Die Bezahlung stimmt, und Rob ist zudem noch unheimlich attraktiv, also klärt Audrey das Missverständnis nicht auf. Und während Audrey für Rob Partys organisiert, seine Wohnung auf Vordermann bringt und sie sich immer mehr in Notlügen verstrickt, kommen die beiden sich näher. Das Chaos nimmt seinen Lauf ... Von Alexandra Görner sind bei Forever erschienen: In der London-City-Reihe: Verliebt, verlobt, vielleicht Süße Küsse unterm Mistelzweig Sie dürfen die Nanny jetzt küssen Land, Luft und Liebe Verlieb dich, verlieb dich nicht Halbzeitküsse Heißkalte Winterküsse Küssen ist die beste Verteidigung In der Montana-Kisses-Reihe: Verlieben ausdrücklich erlaubt Küssen ausdrücklich erwünscht Verliebt und Zugeschneit Kein Moment zum Verlieben

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Die AutorinAlexandra Görner ist 32 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in einer kleinen Stadt in Sachsen. Sie arbeitet in einem Zuliefererbetrieb für die Automobilindustrie und schreibt nur in ihrer Freizeit. Die verbringt sie außerdem am liebsten mit ihrer Familie und natürlich mit tollen Büchern.

Das Buch

Audrey ist bei ihrer Großmutter aufgewachsen. Daher ist sie am Boden zerstört, als diese einen Schlaganfall erleidet. Nur durch ihren ungeliebten, wenn auch lukrativen, Job als Escort Girl kann sie die Pflege bezahlen. Doch dank einer falschen Hausnummer steht Audrey versehentlich bei Anwalt Rob vor der Haustür, der sie prompt für seine neue Haushaltshilfe hält. Die Bezahlung stimmt, und Rob ist zudem noch unheimlich attraktiv, also klärt Audrey das Missverständnis nicht auf. Und während Audrey für Rob Partys organisiert, seine Wohnung auf Vordermann bringt und sie sich immer mehr in Notlügen verstrickt, kommen die beiden sich näher. Das Chaos nimmt seinen Lauf ...

Alexandra Görner

Küssen ist die beste Verteidigung

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Juni 2017 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © Getty Images / © Peter Zelei (Stadt), mauritius images / Cultura / © Liam Norris (Pärchen), © FinePic®, München (Blumen) Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95818-172-4  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Kapitel 1

Audrey

Hastig lief ich durch den Hausflur, der eindeutig seine besten Zeiten hinter sich hatte, und stieg die Treppe hinauf, um gleich darauf schwungvoll die Wohnungstür zu dem kleinen Apartment, das ich mit meiner besten Freundin Zoe teilte, aufzustoßen.

Der Fahrstuhl hatte mal wieder den Geist aufgegeben. Das war das dritte Mal in diesem Monat. Ich nahm mir fest vor, endlich ein ernstes Wörtchen mit unserem Vermieter zu sprechen, denn langsam hatte ich die Nase gestrichen voll davon.

Geräuschvoll kickte ich die Tür mit dem Fuß hinter mir zu und balancierte die vollen Einkaufstüten, einen Becher Kaffee to go und meine Handtasche in die Küche. Ich schaffte es tatsächlich, ohne etwas fallen zu lassen. Eine lange Nacht lag hinter mir, und der heutige Tag hatte ebenfalls seinen Tribut gefordert, nun war ich dementsprechend müde.

»Und du kannst wirklich niemand anderen zu diesem Date schicken?«, fragte ich, nachdem ich meine Einkaufstüten auf dem Fußboden abgestellt hatte. Das Handy, das bis eben noch zwischen meiner Schulter und meinem Kinn eingeklemmt war, hielt ich nun in der Hand.

Mein erstes freies Wochenende seit einer gefühlten Ewigkeit stand an, und ich hatte mir viel vorgenommen. Dass ich ausgerechnet heute noch eine Verabredung mit einem Kunden übernehmen sollte, gefiel mir daher überhaupt nicht.

Am anderen Ende der Leitung hörte ich Lorraine leise seufzen.

»Glaub mir bitte, ich bin mir der Tatsache durchaus bewusst, dass freie Wochenenden in letzter Zeit bei dir Mangelware waren.«

»Das ist die Untertreibung des Jahres«, gab ich etwas mürrisch zurück.

Beim Gedanken an eine neue Verabredung wurde mir flau im Magen. Ich wollte das alles nicht mehr. Wenn ich das Geld nicht so dringend brauchen würde, hätte ich längst in der Agentur gekündigt. In letzter Zeit spielte ich immer häufiger mit dem Gedanken, ein Studium zu beginnen und mein Leben völlig neu zu ordnen. Ein Anflug von schlechtem Gewissen beschlich mich, als ich an den morgigen Tag dachte. Ich war mit Grandma zu einem Picknick im Clissold Park verabredet. In Hackney gab es Dutzende Parks, aber der Clissold war nach wie vor ihr Lieblingsplatz. Früher waren wir häufig zusammen dorthin gegangen und saßen für gewöhnlich im Schatten einer uralten Buche oder hatten es uns am Seeufer gemütlich gemacht, Limonade getrunken, Sandwiches gegessen und unsere Füße im kühlen Wasser baumeln lassen.

Traurigkeit stieg in mir auf, und mein Herz zog sich schmerzlich zusammen, während sich ein Kloß in meiner Kehle festsetzte. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, als mir wieder einmal bewusst wurde, dass diese Momente nie mehr so unbeschwert sein würden wie früher. Seit Grandmas Schlaganfall im letzten Jahr hatte sich so vieles verändert. Hoffentlich musste ich ihr nicht absagen. Denn viel zu oft entstand aus einem Date an einem Freitagabend eine neue Verabredung fürs Wochenende.

Bevor ich beim Gedanken an Grandma von Niedergeschlagenheit übermannt wurde, räusperte ich mich schnell und versuchte mich schweren Herzens wieder auf das Gespräch mit Lorraine zu konzentrieren.

»Nein, leider nicht. Die anderen Girls sind entweder ausgebucht oder haben gerade Urlaub. Audrey, ich stecke wirklich in der Klemme. Gäbe es eine andere Möglichkeit, würde ich dich nicht um diesen Gefallen bitten.«

Meine Finger umklammerten den Telefonhörer ein bisschen fester. Mein Widerstand schmolz bei ihren Worten wie das Eis, das ich gerade in das Gefrierfach unseres Kühlschranks stopfte. Es war wirklich eine dumme Idee gewesen, am gefühlt heißesten Tag des Jahres eine Packung Eis vom Supermarkt nach Hause zu transportieren.

Bevor ich etwas auf Lorraines Bitte erwidern konnte, erinnerte sie mich freundlich, aber bestimmt: »Vergiss nicht, dass ich dir auch schon einmal aus der Klemme geholfen habe.«

Das stimmte. Als niemand, natürlich mal abgesehen von Zoe, bereit gewesen war, mir beizustehen, hatte sie mir die Hand gereicht und mir in meiner verzweifelten Lage Hilfe angeboten. Dabei kannten wir uns damals noch gar nicht richtig.

Seufzend warf ich die Tür des Gefrierschranks zu. Ich dachte kurz an Zoe, die jetzt bestimmt schon an irgendeinem Pool lag und sich in der Sonne aalte, während sie einen bunten Cocktail schlürfte. Ich hätte zu gerne mit ihr getauscht.

Ich lehnte mich gegen die braune Arbeitsplatte und schloss einen Moment die Augen. Lorraine etwas abzuschlagen brachte ich einfach nicht über mich. Nicht, nachdem sie so nett zu mir gewesen war.

»Okay, ich übernehme den Job.«

Sie war hörbar erleichtert.

»Audrey, du bist die Beste. Ich schulde dir einen riesen Gefallen.«

Ich lächelte leicht.

»Darauf komme ich zurück.«

»Nur zu. Übrigens brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Der Kunde bucht dich wirklich nur für heute. Den Rest des Wochenendes hast du natürlich zu deiner freien Verfügung.«

»Schön, das zu hören«, gab ich erleichtert zurück. Dann fiel mein Ausflug mit Grandma wenigstens nicht ins Wasser.

Ich lauschte den Worten meiner Chefin und schlug gleichzeitig mein Notizbuch auf, um die Adresse zu notieren, die Lorraine mir diktierte.

Mit den Gedanken voll und ganz bei meinem neuen Date, ließ ich mich auf den Fahrersitz des silbergrauen Mercedes Cabriolet gleiten. Was in dem engen grauen Bleistiftrock einfacher aussah, als es in Wirklichkeit war. Ich schlug die Tür hinter mir zu, setzte meine Sonnenbrille auf und startete den Wagen. Bevor ich mich in den dichten Verkehr einfädelte, tippte ich die Adresse ins Navi, dann setzte ich rückwärts aus der Einfahrt auf die Hauptstraße.

Es war immer noch heiß, doch der Fahrtwind kühlte angenehm meinen Nacken und spielte mit meinen braunen Haarsträhnen. Privat würde ich mein hart verdientes Geld niemals in eine Protzkiste wie diese investieren. Aber der Wagen gehörte der Agentur und war nur einer der Vorzüge, die ich genießen durfte, seitdem ich für Lorraine arbeitete.

Trotz des Straßenverkehrs schaffte ich es pünktlich nach Knightsbridge, einem angesagten Londoner Nobelviertel, und parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Mit leicht zitternden Fingern zog ich den Schlüssel aus dem Zündschloss. Während ich die schicken Häuser mit den großen Vorgärten und den meterhohen Zäunen betrachtete, bemühte ich mich, ruhig und gelassen zu bleiben, doch das war einfach unmöglich. Ich war nervös. Auch nach mehreren Dates war es mir noch nicht gelungen, diese innere Unruhe und Aufregung abzustellen.

»Kein Grund, sich verrückt zu machen. Ich bin professionell«, flüsterte ich meinem Spiegelbild zu und checkte währenddessen noch einmal mein Make‑up. Professionell! Ja, klar! Der Witz des Tages!

Ich lehnte mich zurück, atmete tief durch und sah schließlich zu dem prächtigen weißen Reihenhaus mit dem gepflegten Garten hinüber. Perfekt geschnittene Buchsbaumsträucher säumten den Treppenaufgang des Hauses, und soweit ich sehen konnte, war auch dieses Anwesen von einem mannshohen schwarzen Zaun eingefasst. Mehrere Kameras erhoben sich neben dem Eingang.

Wer mich wohl hinter der Tür erwartete? Mein Herz klopfte heftig, als ich mir endlich einen Ruck gab, die Fahrertür öffnete und ausstieg, obwohl ich am liebsten kehrtgemacht hätte und nach Hause gefahren wäre. Ich schlug die Tür hinter mir zu, und augenblicklich vermisste ich den Fahrtwind und die kühle Luft der Klimaanlage. Die Hitze war erdrückend.

Mit langen Schritten überquerte ich die Straße, stieg die Treppen nach oben und drückte Sekunden später auf den Klingelknopf. Meine Nervosität steigerte sich noch ein bisschen mehr, und ein Knoten aus Anspannung, Aufregung und einer gehörigen Portion Widerwillen bildete sich in meinem Magen.

Es wäre eine Lüge, zu behaupten, dass ich nie ein Date genoss. Hin und wieder fand ich es sogar ganz nett. Doch in letzter Zeit fiel mir der Job immer schwerer. Die Männer, mit denen ich ausging, waren ausnahmslos vermögend, sonst könnten sie die Preise von Lorraines Agentur nicht zahlen. Doch Reichtum war noch lange keine Garantie für guten Geschmack und gutes Benehmen, geschweige denn für gutes Aussehen. Sosehr ich mich auch bemühte, ich schaffte es einfach nicht, den Job so locker zu sehen wie Zoe.

»Nur noch so lange, bis Grandma versorgt ist, bis die Umbauarbeiten an ihrem Haus endlich abgeschlossen sind und ich einen guten Job gefunden habe, um unser Leben zu finanzieren«, flüsterte ich. Damit sprach ich mir Mut zu und versuchte gleichzeitig mich zu beruhigen. Ich atmete noch einmal tief durch. Doch die gemischten Gefühle blieben. Das Warten schien sich zu einer Ewigkeit auszudehnen.

Angespannt trat ich von einem Fuß auf den anderen, während ich die massive Eingangstür, deren dunkles Holz einen beeindruckenden Kontrast zu den strahlend weißen Wänden bot, anstarrte. Es war heiß, und ich hoffte sehnsüchtig, dass endlich jemand öffnete, weil letztendlich alles besser war, als noch länger in der prallen Sonne zu stehen. Gerade, als ich meine Hand ausstrecken wollte, um noch einmal auf den Klingelknopf zu drücken, wurde die Tür aufgerissen.

Ich zuckte zusammen und wich vor Überraschung einen kleinen Schritt zurück, als mir ein junger Typ in einem teuer aussehenden dunkelblauen Anzug öffnete und ich gleichzeitig in ein paar strahlend blaue Augen blickte, die mich sofort an kristallklare Seen erinnerten. Er sah angespannt aus, darüber konnte auch seine Attraktivität nicht hinwegtäuschen. Eine Hand lag auf der Klinke, die andere hielt sein Smartphone. Seine Haare waren so weizenblond wie die Felder von Cornwall, wenn sie an einem warmen Sommertag in der Sonne leuchteten.

Mein Herz klopfte ein paar Takte schneller, und ich fächelte mir mit der Hand Luft zu. Anstatt einer höflichen Begrüßung, konnte ich ihn nur anstarren. Es war selten, dass ich einen Mann traf, dessen Anblick mir den Atem raubte. Ehrlich gesagt, war mir das noch nie passiert.

Er scannte mich eingehend. Ließ seinen Blick langsam über meinen Körper gleiten und kehrte dann mit hochgezogenen Augenbrauen zu meinem Gesicht zurück. Unter seiner Musterung wurde mir noch heißer, und meine Wangen begannen verräterisch zu glühen.

Eigentlich sollte ich daran gewöhnt sein, dass Männer mich abcheckten wie Ware und mich wie etwas Käufliches behandelten. Denn genau das war ich im Moment, und augenblicklich fühlte ich mich wieder unwohl. Wie meistens bei diesen Dates. Wie dumm von mir, zu hoffen, dieses Mal könnte es vielleicht anders sein. Bei jeder Verabredung sagte ich mir, dass es das letzte Mal war, dass Grandma und ich auch ohne das Geld klarkommen. Aber es gab immer ein nächstes und übernächstes Date. Also wem etwas vormachen?

Ich wollte endlich etwas sagen, doch mit einer schnellen Handbewegung bedeutete er, mir still zu sein, und ich klappte meinen Mund umgehend wieder zu. Er hingegen sprach weiter ungeniert ins Handy. Seine Gesichtszüge wirkten angespannt, und auf seiner Stirn hatten sich Sorgenfalten eingegraben. Neugierig fragte ich mich, was seinen Unmut verursacht hatte, und für einen Moment vergaß ich tatsächlich die unerträgliche Hitze. Stattdessen wanderte mein Blick von seinen blauen Augen über seine gerade Nase zu seinem Mund. Er hatte schöne und sinnliche Lippen, und ich kam nicht umhin, mich zu fragen, wie er später reagieren würde, wenn ich ihn küsste. Während ich ihn noch immer versonnen betrachtete, stellte ich mir vor, wie er sich langsam unter meinen Berührungen entspannte. Ich würde ihn küssen, in Anbetracht meines Jobs bestand daran wohl kein Zweifel. Es sei denn natürlich, er ließe mich jetzt noch länger in der Sonne brutzeln, denn langsam lief ich ernstlich Gefahr, direkt vor seinen Augen zusammenzubrechen. Im nächsten Moment winkte er mich mit einer schnellen Handbewegung herein und bewahrte mich doch noch davor, an einem Hitzschlag zu sterben.

Ganz Gentleman ließ er mich vorgehen. Während er sein Telefongespräch beendete, blieb ich im Eingangsbereich seines Stadthauses stehen und sah mich neugierig um. Gleichzeitig wunderte ich mich über den seltsamen, altmodischen Einrichtungsstil, denn der wollte so gar nicht zu einem Mann von geschätzten Mitte dreißig passen.

Äußerlich wirkte das Haus hell und freundlich, drinnen jedoch herrschte eher eine bedrückende, fast schon beklemmende Atmosphäre. Dunkle schwere Vorhänge ließen nur spärlich Licht herein. Ich ging ein paar Schritte vorwärts und warf neugierig einen Blick ins benachbarte Zimmer, das das Wohnzimmer sein könnte. Allerdings war es schwer zu sagen, weil viele der Möbel mit großen weißen Laken abgedeckt waren. Hier warf die Sonne diffuses Licht ins Zimmer, und Staubpartikel tanzten in der Luft. Ein mulmiges Gefühl beschlich mich, und ich zuckte unvermittelt zusammen, als plötzlich die Haustür ins Schloss fiel.

Mit klopfendem Herzen wirbelte ich herum und sah gerade noch, wie der Typ das Handy auf das antike Beistelltischchen neben der Eingangstür legte.

Er atmete kurz tief durch und lockerte im gleichen Moment die Krawatte, dann öffnete er die ersten beiden Knöpfe seines blütenweißen Oberhemdes, als würde ihn beides einschnüren und jeglicher Luft berauben. Irgendwie verständlich bei der Hitze. Obwohl es im Haus zum Glück verhältnismäßig kühl war.

Ich schluckte schwer, als sein intensiver Blick erneut auf mir ruhte, und wurde zunehmend unruhiger. Nervös strich ich mir die Haare zurück und versuchte mich wieder zu fangen. Ich war voll bekleidet und fühlte mich unter seinen Blicken doch gänzlich nackt. Nur mit Mühe und Not konnte ich mich beherrschen, meine Arme schützend vor meinem Körper zu verschränken. Die Situation war vollkommen surreal, der erste flüchtige Eindruck des Hauses, den man im besten Fall als geheimnisvoll, im schlimmsten Fall als gruselig bezeichnen konnte, tat sein Übriges. Sein intensiver Blick und sein Schweigen machten mich schrecklich nervös. Ich fürchtete ernsthaft, mein Herz könnte stehenbleiben. Eine geheimnisvolle und unnahbare Ausstrahlung schien von ihm auszugehen. Gleichzeitig wirkte er aber auch auf eine verwirrende Art anziehend und sinnlich. Auf jeden Fall hinterließ er den starken Eindruck, als wäre er ein Mann, der es gewohnt war, zu bekommen, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Ein Mann, der stets den Ton angab, dem niemand etwas abschlug. Einer, der wusste, wo es langging, und dabei hatte er noch nichts gesagt. Allein sein Auftreten bewirkte diesen Eindruck.

Aber es war nicht nur diese Selbstsicherheit, die von ihm ausging, ich erkannte auch eine Verletzlichkeit in seinen Augen, die mich auf eine seltsame Weise berührte, und zum allerersten Mal bekam ich bei einem Date mit einem Kunden tatsächlich weiche Knie. Mein Puls raste, und verräterische Röte kroch über meinen Hals in meine Wagen.

Ein erschöpfter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Gern hätte ich ihn nach dem Grund gefragt. Aber das ging mich natürlich nichts an, diese Frage stand mir nicht zu. Ich war nur hier, um seine Bedürfnisse zu befriedigen.

Er strich sich die blonden Haare zurück, und endlich entspannten sich seine Gesichtszüge. Augenblicklich wurde mir etwas leichter ums Herz. Denn von einem Moment auf den nächsten wirkte er nur noch halb so unnahbar wie noch vor ein paar Minuten. Seine Lippen formten sich zu einem kleinen Lächeln, und dieser Anblick ließ mein Herz flattern. Der Knoten in meinem Magen löste sich auf, und ich entspannte mich tatsächlich ein bisschen.

Er lächelte verwegen, als er langsam näher kam und ohne Umschweife sagte: »Sie können sich nicht vorstellen, wie dringend ich Sie brauche.«

Seine Stimme ging mir durch Mark und Bein, und ich hielt ungewollt die Luft an. Denn ich glaubte, eine ganz gute Ahnung davon zu haben, wie nötig er es momentan hatte. Ich sollte etwas Geistreiches erwidern oder mich wenigstens endlich vorstellen. Doch von seinen direkten Worten völlig überrumpelt, brachte ich keine Silbe über meine Lippen.

Stattdessen wurde mir bei seinem ersten Satz klar, dass dieses Date wohl von Anfang an anders verlief, als ich es erwartet hatte. Normalerweise begann eine Verabredung mit einem Restaurantbesuch oder etwas Ähnlichem. Es folgte eine nette Unterhaltung. Man kam sich näher. Sex gehörte nicht zwangsläufig dazu. Aber sich etwas vorzumachen wäre töricht. Der Abend, oder besser gesagt die Nacht endete meist mit zerwühlten Laken. Er hingegen kam schnell zur Sache. Mir drängte sich die Frage auf, weshalb er für Sex bezahlen musste. An seinem Aussehen lag es jedenfalls nicht. Denn das schien nahezu perfekt.

Er war groß und breitschultrig, und er hätte auch problemlos für das Cover einer Hochglanzzeitschrift posieren können. Sein dunkelblauer Maßanzug saß wie angegossen, doch ich war mir ziemlich sicher, dass ihm Jeans und Shirt mindestens genauso gut standen. Sein Anblick jagte ein Kribbeln durch meinen Körper. So verrückt es auch klang und all meiner Abneigung gegen den Job zum Trotz, hatte ich momentan noch nicht einmal etwas dagegen, dass er gleich zur Sache kommen wollte. In der Vergangenheit hatte ich schon schlimmere Dates gehabt. Zumindest glaubte ich das, bis er weitersprach.

»Am besten bringen wir es schnell hinter uns. Ich habe noch eine wichtige Verabredung.«

Seine Worte trafen mich wirklich hart und wirkten wie eine eiskalte Dusche. Männer behandelten mich manchmal mies, doch so etwas hatte noch keiner gesagt. Kein Mann hatte mich je so deutlich spüren lassen, aus welchem Grund er mich buchte. Mein Herz zog sich zusammen, und das flaue Gefühl kehrte augenblicklich zurück. Einen Vorteil hatte es trotzdem. Je schneller wir hier fertig waren, desto eher konnte ich mein freies Wochenende genießen, und diese Verabredung vergessen. Also schluckte ich meinen Ärger hinunter. Denn eine der Regeln im Escort Service lautete: Er bezahlte, also war er der Boss.

Daher nickte ich und fragte mich insgeheim, warum der Blödmann mich buchte, wenn er doch gar keine Zeit für mich hatte.

»Wollen Sie unser Treffen verschieben, wenn es gerade ungünstig ist?«, bot ich ihm an.

Noch während ich sprach, schüttelte er den Kopf. Abermals strich er sich durch die strahlend blonden Haare und lächelte zu meiner größten Überraschung entschuldigend. Der Mann verwirrte mich. Erst gab er sich unnahbar, dann sagte er diese hundsgemeinen Dinge, und jetzt schien er plötzlich wieder nett zu sein.

»Sorry, der Termin kam ganz kurzfristig dazwischen. Beim nächsten Mal würde ich mir gerne mehr Zeit für Sie nehmen.«

Er hatte tatsächlich vor, mich noch einmal zu buchen? Jetzt war ich verwirrt.

»Sie sind der Boss«, stammelte ich verlegen. Egal, wie sehr ich mich anstrengte, so schlagfertig und professionell wie Zoe würde ich niemals werden.

Als er die Krawatte abnahm und beiseitelegte, fragte ich mich, wie es jetzt weitergehen würde. Sollte ich ihn gleich hier in seinem Flur küssen? Oder wollte er lieber woanders hingehen? In sein Schlafzimmer vielleicht? Verlegen trat ich von einem Fuß auf den anderen.

Er musterte mich, und seine Mimik verriet mir, dass er wohl ebenfalls überlegte, wie es jetzt weitergehen sollte.

Tatsächlich lächelte er jetzt etwas verlegen.

»Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte er plötzlich. »Ich mache das hier zum ersten Mal. Verzeihen Sie mir, dass ich mich so ungeschickt anstelle und mit der Tür ins Haus gefallen bin. Normalerweise kann ich mich diplomatischer ausdrücken.«

Sein Geständnis verwirrte und berührte mich gleichermaßen. Und ich konnte nicht verhindern, dass mich ein verrücktes Glücksgefühl überkam, als seine Entschuldigung in mein Bewusstsein drang.

»Das ist schon in Ordnung«, beruhigte ich ihn, während meine Gefühle Achterbahn fuhren.

Bevor sich erneut unangenehme Stille zwischen uns ausbreiten konnte, schlug ich vor: »Nicht, dass ich Ihren Flur nicht mögen würde, aber wir können gerne woanders hingehen.«

Meine Worte entlockten ihm ein breites Lachen.

»Bemühen Sie sich nicht. Die Einrichtung des Hauses ist katastrophal. Alles umzugestalten wird eine Menge Arbeit machen.«

Ich nickte. Damit hatte er sicherlich recht. Dass er die Einrichtung ebenfalls furchtbar fand, war irgendwie beruhigend.

»Am besten gehen wir ins Wohnzimmer. Auf der Couch ist es bestimmt gemütlicher, als hier herumzustehen.«

Dann wurde es jetzt also ernst!

Ich folgte ihm. Verstohlen blickte ich mich um, als wir den Raum betraten, in den ich vorhin einen kurzen Blick geworfen hatte. Mit meiner Vermutung, dies könnte das Wohnzimmer sein, hatte ich also richtiggelegen.

Ich sah ihm dabei zu, wie er schnell eines der weißen Laken lüftete und eine dunkelgrüne Samtcouch zum Vorschein kam. Er ließ das Laken fallen, und seine Lippen verzogen sich missmutig.

»Ich dachte wirklich, in diesem Haus kann mich nichts mehr überraschen. Aber Fehlanzeige.«

Er richtete seine Aufmerksamkeit auf mich.

»Sagen Sie die Wahrheit, haben Sie schon einmal eine hässlichere Couch als diese hier gesehen?«

Ich konnte mir ein Lächeln kaum verkneifen. Obwohl ich es natürlich versuchte.

»Schon gut, lachen Sie ruhig. Das ist gesund.«

Also kam ich tatsächlich meinem ersten Impuls nach und grinste von einem Ohr zum anderen. Gleichzeitig ließ ich mich auf das grüne Samtmonster fallen.

»Sorgen Sie sich nicht, ich habe schon Schlimmeres gesehen.«

»Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, entgegnete er und lächelte verschmitzt.

Langsam glitt er neben mich auf die Couch und wurde dann plötzlich ernst.

»Die Zeit drängt«, sagte er leise und taxierte mich wieder mit diesen intensiven Blicken, »wir sollten jetzt vielleicht anfangen.«

Ich atmete tief durch.

»Ja, gut, einverstanden«, gab ich atemlos zurück und fürchtete gleich einen Herzstillstand zu bekommen.

»Wie gesagt, ich mache das zum ersten Mal, ob Sie es glauben oder nicht, aber bis jetzt hatte ich es noch nicht nötig, dafür zu bezahlen.«

Beim ersten Eindruck hätte ich niemals gedacht, wie schüchtern er war. Aber das gefiel mir irgendwie. Es stand in starkem Kontrast zu seiner selbstbewussten Erscheinung und machte ihn nur noch attraktiver. Und weil ich endlich begriff, dass er wohl mindestens genauso unsicher, nervös und aufgeregt war, wie ich mich gerade fühlte, sah ich es als meine Pflicht an, die Führung zu übernehmen.

Vorsichtig rückte ich ein bisschen näher zu ihm heran und streckte die Hand aus, um sein Knie zu berühren. Wie gebannt starrte er auf meine Finger, die ganz langsam an seinem Oberschenkel hinaufglitten. Dann trafen sich unsere Blicke, und ich hörte ihn leise seufzen. Sein Brustkorb hob und senkte sich in schnellen Atemzügen, unterdessen waren seine Augen vor Überraschung geweitet.

Während ich noch mit dem Gedanken spielte, ihn zu küssen, sprang er unerwartet auf. Für ein paar kurze Augenblicke lief er unruhig im Wohnzimmer auf und ab, bevor er zum Fenster stürzte und es versuchte hochzuschieben. Aber das Ding klemmte. Er ruckelte daran und warf mir einen kurzen Blick zu.

»Ist Ihnen heiß?«, fragte er verwirrt. »Mir ist ganz plötzlich verdammt heiß!«

Lächelnd beobachtete ich ihn und begann mich langsam über seine Unsicherheit zu amüsieren. Er schob und drückte, und als sich das Fenster endlich bewegte, atmete er geräuschvoll auf.

»Schon besser«, hörte ich ihn leise murmeln, als er tief die hereinströmende Luft einsog.

Ich blieb verblüfft auf der Couch sitzen. Dass er schnell zur Sache kommen wollte, schien er mittlerweile vergessen zu haben. Seine Schüchternheit machte ihm wohl gerade einen Strich durch die Rechnung. Daher beschloss ich, von nun an ihn das Tempo bestimmen zu lassen, deshalb blieb ich einfach hier sitzen und wartete fast schon gespannt darauf, wie es zwischen uns weitergehen würde.

Er machte einen ratlosen Eindruck, als er zu mir zurückkam, und blieb unsicher vor der Couch stehen. Sein intensiver Blick huschte erneut über meinen Körper, und mir wurde augenblicklich heiß.

»Sind Sie sicher, dass Sie in diesem Outfit arbeiten können?«, fragte er fast schon vorsichtig.

Seine Frage brachte mich erneut zum Schmunzeln. Langsam bekam ich Oberwasser. Denn angesichts seiner Unerfahrenheit hatte ich fast schon ein bisschen Mitleid mit ihm. Ich konnte mich ziemlich gut in ihn hineinversetzen. Sonst war ich immer diejenige, die unsicher war. Ich wollte es ihm ein bisschen leichter machen, daher wagte ich einen neuen Vorstoß.

Ich schlug die Beine übereinander, die in den schwarzen High Heels besonders lang wirkten und lächelte ihn lasziv an, während ich mir langsam durch die Haare fuhr. Fast schon hypnotisch folgten seine Augen jeder meiner Bewegungen. Die sexuell aufgeladene Spannung im Raum war nicht zu leugnen. Mittlerweile schaffte er es sogar, dass ich mich in seiner Gegenwart unglaublich wohl fühlte. Während er weiter unsicher und verwirrt wirkte, schlüpfte ich immer besser in die Rolle des aufreizenden Escort Girls.

Seine Lippen öffneten sich, und er schien jedes meiner Worte einzusaugen.

»Machen Sie sich über mein Outfit keine Sorgen«, flüsterte ich mit heißer Stimme. »Bis jetzt hat sich noch kein Kunde beschwert. Ich erledige meinen Job immer bis zum Schluss. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Aber natürlich kann ich auch jederzeit etwas anderes anziehen. Ganz wie Sie es wünschen.«

Er lief rot an, als er gleich darauf leicht den Kopf schüttelte.

»Nein«, sagte er hastig. »So hatte ich es nicht gemeint. Ihr Outfit ist klasse. Ich wollte nur nicht, dass Sie sich bei der Arbeit irgendwie eingeengt fühlen«, stammelte er, und seine Ohren glühten vor Verlegenheit.

Seine Besorgnis freute mich. Ich mochte Männer, die nicht nur an sich selbst dachten. Anders als zu Anfang erwartet, schien er eines dieser seltenen Exemplare zu sein. Schade, dass wir uns nicht woanders begegnet waren.

»Setzen Sie sich doch einfach wieder zu mir«, bat ich mit sanfter Stimme.

Er beobachtete mich einen Moment, doch dann ließ er sich neben mich auf die Couch fallen. Wenn auch etwas zögerlich.

»Sagen Sie mir einfach, was ich für Sie tun kann«, forderte ich ihn diplomatisch auf.

Erneut strich er sich in einer unsicheren Geste die Haare zurück. Er räusperte sich und schien einen Moment über eine passende Antwort nachzudenken. Dann sagte er mit fester Stimme: »Nun ja, ich habe schon einige Erwartungen an Sie.«

Das konnte ich mir vorstellen, nun war ich gespannt, welche. Inständig hoffte ich, dass er keine perversen Phantasien hegte. Allerdings sah er wirklich nicht aus wie ein Typ mit einer seltsamen Veranlagung. Aber man konnte schließlich nie wissen.

»Mein größtes Anliegen ist wirklich, dass Sie sich gut um Franklyn kümmern«, sagte er geradeheraus.

Mir wurde heiß, und mein Herzschlag beschleunigte sich. Franklyn? Lorraine hatte am Telefon nichts von einem weiteren Kunden gesagt. Augenblicklich begannen Alarmglocken in meinem Kopf zu schrillen, und meine Kehle fühlte sich plötzlich ganz trocken an. Mein Instinkt ließ mich ein Stück zurückweichen. Er hingegen schien von meinen Ängsten gar nichts mitzubekommen. Mittlerweile völlig gelassen, sprach er weiter.

»Aber Sie brauchen keine Angst vor ihm zu haben. Er beißt Sie schon nicht. Auch wenn er mit seiner Größe vielleicht ein bisschen furchteinflößend wirken könnte.«

Mein verwirrter Blick zuckte zu seinem Schoß und dann zurück zu seinem Gesicht. Ich musterte ihn angestrengt und fragte mich, ob das vielleicht Wortspielerei sein könnte? Meinte er mit Franklyn etwa sein bestes Stück? Ich kannte Männer, die ihrem Penis einen Namen gaben. Aber etwas wie Franklyn hatte ich wirklich noch nie gehört!

Ich atmete kurz tief durch und versuchte locker zu bleiben. Der Gedanke an Zoe schoss mir durch den Kopf, und ich fragte mich, wie sie sich in solch einer Situation verhalten würde. Wahrscheinlich würde sie einfach versuchen total cool zu bleiben. Und das versuchte ich jetzt auch.

»Keine Sorge, so leicht macht mir nichts Angst.«

Der Gefühlssturm in meinem Inneren strafte meine Worte Lügen. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Aber meine Antwort schien ihm zu gefallen, denn er lächelte.

»Gut, dann hören wir auf, um den heißen Brei herum zu reden. Am besten ich zeige Ihnen Franklyn einfach.«

Unweigerlich hielt ich die Luft an, als er sich von der Couch erhob und sich vor mir zu seiner vollen und ziemlich beeindruckenden Körpergröße aufrichtete.

Ich legte den Kopf in den Nacken, um zu ihm aufzusehen. Mein Brustkorb hob und senkte sich unter schweren Atemzügen. Diese Situation war vollkommen verrückt, ich konnte mich nicht entscheiden, sollte ich mich vor Lachen auf dem Boden kugeln oder lieber schreiend aus seinem Haus laufen? Ich war hin- und hergerissen.

»Eins noch«, sagte er plötzlich und tippte sich leicht an die Stirn, als wäre ihm gerade etwas eingefallen.

»Was denn?«, fragte ich krächzend.

»Ich weiß, meine Bitte kommt vielleicht etwas überraschend. Aber ich habe Ihnen ja vorhin von meinem Geschäftstermin erzählt, und ich habe es schon etwas eilig. Würden Sie mir, natürlich erst nachdem wir hier fertig sind,  schnell noch eine Kleinigkeit zu essen machen? Ich befürchte, ich könnte sonst in den nächsten Stunden verhungern.«

Mit großen Augen blickte ich ihn an. Wollte er mich auf den Arm nehmen?

»Ich soll Ihnen etwas kochen?«, fragte ich stammelnd und war völlig baff.

»Nein, nein«, wiegelte er schnell ab. »Heute muss es wirklich nichts Aufregendes sein, mit einem Sandwich wäre ich voll und ganz zufrieden. Sie können natürlich auch etwas essen.«

Heute? Ich überlegte kurz, während ich ihn noch einmal eingehend musterte. Er schien seine Bitte durchaus ernst zu meinen. Vielleicht sehnte er sich nicht nur nach körperlicher Nähe, sondern auch nach alltäglicher Zweisamkeit? Na ja, es würde mich ja nicht umbringen, ihm danach noch einen Toast zu machen. Also willigte ich ein.

»Das bekomme ich hin. Kein Problem.«

Er strahlte mich glücklich an.

»Super. Wirklich nett von Ihnen. Also gut, dann wird es Zeit, dass Sie Franklyn kennenlernen. Erschrecken Sie nicht, wenn Sie ihn gleich zu Gesicht bekommen.«

Ich rang mir ein Lächeln ab und schaffte es zu nicken. Mein Blick glitt nach unten zu seinem Hosenschlitz. Wie angewurzelt blieb ich auf seiner Couch hocken und starrte ihn an, obwohl meine innere Stimme brüllte: »Lauf weg!«

Ich wartete darauf, dass er seine Anzughose runterließ. Männer übertrieben ja wirklich gerne, was die Größe anging. Doch anstatt sich auszuziehen, schickte er sich an, den Raum zu verlassen.

»Bin gleich wieder da«, versprach er und ging tatsächlich hinaus.

Vor Erleichterung machte mein Herz einen Satz. Doch gleich darauf verspannte ich mich wieder. War es wirklich ein gutes Zeichen, dass er gerade jetzt das Zimmer verließ? Wer wusste denn schon, was mich erwartete, wenn er zurückkam? Schnell stand ich von der Couch auf, schnappte mir meine Tasche und steuerte schleunigst die Tür an. Es war wohl doch besser zu verduften. Lorraine würde meine Entscheidung, das Date vorzeitig abzubrechen, sicher verstehen, wenn ich ihr von dem Typen erzählte. Dann hörte ich plötzlich Schritte, er kam bereits wieder. Ängstlich überlegte ich, was ich jetzt tun sollte, und beschloss dummerweise, zurück ins Wohnzimmer zu schleichen. Mit Sicherheit wäre es besser gewesen, die Flucht zu ergreifen.

»Da bin ich«, hörte ich ihn gut gelaunt hinter mir rufen, und ich wirbelte fast im selben Augenblick zu ihm herum.

Ein Aufschrei entwich meinem Mund, zeitgleich sprang ich auf das erstbeste Möbelstück, ein großer Esstisch aus Mahagoniholz. Später fragte ich mich, wie ich das in dem engen Rock hinbekommen hatte.

Überrascht stellte ich fest, dass er noch voll bekleidet war. Doch der Schreck saß trotzdem tief, denn neben ihm stand eine Dogge. Eine wirklich große Dogge.

Ich drückte die Hand auf mein wild pochendes Herz, doch ich zitterte wie Espenlaub, und mein Atem ging unkontrolliert.

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er mich an.

»So hat noch niemand reagiert, der Franklyn gesehen hat.«

»Franklyn ist Ihr Hund?«, fragte ich unwirsch und fand ganz langsam in meine normale Stimmlage zurück.

Er machte einen verwirrten Eindruck.

»Natürlich ist Franklyn mein Hund. Was haben Sie denn gedacht, von wem ich rede?«

»Nicht so wichtig«, stotterte ich und bekam vor Verlegenheit rote Ohren.

Die Dogge ließ sich völlig unbeeindruckt neben sein Herrchen auf den Boden sinken. Legte den Kopf auf die Pfoten und döste vor sich hin.

»Ehrlich gesagt, überrascht mich Ihr Verhalten. Zumal mir am Telefon von Seiten Ihrer Agentur versichert wurde, dass Sie keine Probleme mit Hunden haben. Ganz im Gegenteil, die Arbeit mit den Tieren würde Ihnen großen Spaß machen.«

Ich rang mir abermals ein Lächeln ab und setzte den Mord an Lorraine ganz oben auf meine To‑do-Liste.

»Das wurde Ihnen also gesagt!«, gab ich ausweichend zurück und versuchte mehr in Erfahrung zu bringen.

»Was hat man Ihnen denn noch über mich erzählt?«

Doch anstatt zu antworten, tat er meine Frage mit einer schnellen Handbewegung ab.

»Hören Sie, es tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe. Aber ich muss leider feststellen, dass wir wohl nicht zusammenpassen.«

Er kam auf mich zu, streckte die Hand aus, um mir hinunterzuhelfen. Nach kurzem Zögern ergriff ich sie und kletterte mit seiner Hilfe vom Esstisch.

Bevor ich etwas erwidern konnte, fragte er: »Können Sie mir vielleicht eine Ihrer Kolleginnen oder Kollegen empfehlen, die keine Probleme mit Haustieren haben?«

Unvermittelt ließ ich seine Hand los. Was stimmte denn hier nicht?

»Sie haben nichts dagegen, einen Mann zu buchen?«, fragte ich verwirrt.

Er zuckte lässig mit den Schultern.

»Mann, Frau, das ist mir gleich. Hauptsache, der Job wird zu meiner vollen Zufriedenheit erledigt. Ich hatte große Hoffnungen in Sie gesetzt. Also wirklich schade, dass aus uns beiden arbeitstechnisch nichts werden kann.«

Verblüfft sah ich ihn an. Bedeutete das, er stand auch auf Männer? Bis jetzt hatte er gar keinen schwulen Eindruck auf mich gemacht. Aber diesbezüglich konnte man sich natürlich irren.

Ich war wie vor den Kopf gestoßen.

Er warf einen schnellen Blick auf die Uhr.

»Die Zeit läuft mir davon. So nett die Plauderei mit Ihnen auch ist, aber ich kann nicht zu spät zu meinem Termin kommen. Vergessen Sie das Sandwich, und gehen Sie jetzt lieber. Ich melde mich dann persönlich bei Clean and Cleaner. Die Agentur kann mir sicher jemand anderen empfehlen. Trotzdem danke für Ihr Kommen.«

Er schubste mich leicht vorwärts. Zuerst verstand ich nicht. Doch ganz langsam drangen seine Worte in meine verwirrten Gedanken.

»Clean and Cleaner?«, wiederholte ich verwirrt.

Ich war stehen geblieben und er zwangsläufig auch.

Er musterte mich sichtlich irritiert. Dann sprach er ganz langsam, so als würde er mit einer Verrückten reden, die er nicht unnötig reizen wollte.

»Ja, Clean and Cleaner. Die Agentur, für die Sie arbeiten und die Sie geschickt hat, um bei mir als Haushälterin anzufangen.«

Er blickte mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, und eine steile Falte bildete sich auf seiner glatten Stirn.

»Sind Sie high? Also mit Drogen will ich nichts zu tun haben!«, sagte er streng.

Das musste er gerade sagen! Schließlich benahm er sich äußerst seltsam. War das ein Rollenspiel? Sollte ich die scharfe Haushälterin mimen, und hatte Lorraine nur vergessen, es zu erwähnen?

»Hören Sie, Mr Hastings, da muss ein Missverständnis vorliegen!«

»Hastings? Ich heiße Masters, Rob Masters. Habe ich etwa in dem Chaos vergessen, mich vorzustellen? Wenn ja, dann tut mir das sehr leid. Zuerst dieses Telefongespräch, und jetzt sitzt mir mein Termin im Nacken. Normalerweise habe ich bessere Manieren.«

Nicht nur er hatte in dem ganzen Durcheinander vergessen, sich vorzustellen.

Ich atmete hörbar ein.

»Dann suchen Sie wirklich eine Haushälterin?«

»Ja, natürlich. Darüber sprechen wir doch die ganze Zeit! Was stimmt denn nicht mit Ihnen?«

»Gar nichts«, erwiderte ich schnell, als mir endlich ein Licht aufging. Beim Notieren der Anschrift war mir wohl ein Fehler unterlaufen. Name, Adresse, nichts stimmte. Ich hatte Lorraine einfach nicht zugehört, als sie mein freies Wochenende mit einem Termin belegt hatte.

Ganz sanft legte er jetzt die Hand auf meinen unteren Rücken und schob mich vorwärts immer weiter Richtung Tür.

»Wie gesagt, ich hätte Sie wirklich gerne eingestellt. Aber da Sie eine Abneigung gegenüber Hunden haben, kommen Sie für den Job leider nicht in Frage. Denn die Pflege von Franklyn würde ein Großteil Ihrer Aufgabe sein.«

Bevor er die Tür öffnen konnte, blieb ich wieder stehen, drehte mich zu ihm und sah ihm ins Gesicht.

»Was müsste ich noch für Sie tun?«

Er blickte mich erneut leicht verwirrt an.

»Das, was Sie immer für Ihre Kunden tun. Es wäre wohl kaum Ihr erster Job!«

Ich nickte leicht.

»Natürlich nicht. Aber sicher haben Sie spezielle Wünsche.«

Sein Blick verdunkelte sich für einen kurzen Moment, huschte über meinen Körper, und plötzlich war ich mir der Nähe zu ihm mehr als bewusst.

Seine Stimme klang rau, als er wieder zu sprechen begann.

»Zugegeben, da würde mir einiges einfallen.«

Die Zeit schien stillzustehen, während wir uns anschauten. Es fühlte sich an, als würde ich unter seinem intensiven Blick verbrennen. Ich dachte, er würde noch mehr sagen, stattdessen räusperte er sich und trat einen Schritt zurück. Hörbar atmete er aus.

»Ich habe das Haus erst vor kurzem gekauft. Wie Sie sehen, herrscht hier noch das reinste Chaos. Vorerst habe ich bei meinem besten Kumpel Unterschlupf gefunden. Aber sein Apartment wird langsam etwas klein für Franklyn, ihn und mich. Ich muss im Haus klar Schiff machen, damit ich endlich hier wohnen kann.«

Er deutete auf die Umzugskisten, die noch hier und da gestapelt waren und die ich vorher noch gar nicht zur Kenntnis genommen hatte.

»Sie suchen also jemanden, der Ihre Sachen auspackt?«, schlussfolgerte ich.

Rob nickte.

»Ja, dafür und für die alltäglich anfallenden Hausarbeiten. Sie müssten für mich putzen, waschen, bügeln, hin und wieder eine Kleinigkeit kochen und sich hauptsächlich um Franklyn kümmern, wenn ich in der Kanzlei bin. Aber so wie die Dinge liegen, kommen Sie für den Job leider nicht in Frage.« Nach einer kurzen Pause fügte Rob hinzu: »Und ich muss jetzt wirklich los.«

Ich spürte erneut seine starke Hand auf meinem Rücken. Er wollte mich loswerden. Seine Finger umschlossen die Klinke, und er öffnete die Tür. Hitze schlug uns entgegen, und noch bevor ich über meine Worte richtig nachdenken konnte, sprach ich sie auch schon aus.

»Ich habe gar nichts gegen Hunde. Ganz im Gegenteil. Ich mag sie sehr.«

Das war geflunkert. Aber nur ein bisschen. Im Grunde hatte ich wirklich nichts dagegen, mich um einen Vierbeiner zu kümmern. Nur vor seiner Dogge hatte ich gehörig Respekt. Auch wenn Franklyn nach dem ersten Schreck einen ganz harmlosen ersten Eindruck hinterlassen hatte.

Rob hielt inne und blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Bedeutet das, Sie wollen den Job doch annehmen?« Seine Stimme klang hoffnungsvoll.

Bevor ich etwas erwidern konnte, warf er ein: »Über Ihr Gehalt brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich werde Sie gut bezahlen. Die Zeitverschwendung, nach einer anderen Haushälterin zu suchen, würde ich mir sehr gerne ersparen.«

Mein Herz klopfte schneller, als er mir die wöchentliche Summe nannte, die er für meine Dienste ausgeben wollte. Es war etwas weniger, als ich als Escort Girl verdiente. Aber es wäre zu verschmerzen. Die Umbauarbeiten in Grandmas Haus könnten nach wie vor erledigt werden. Und noch ein positiver Aspekt brachte der Job bei Rob mit sich: keine weiteren Dates mit fremden Männern.

Lorraine kam mir in den Sinn. Und ich fragte mich, was ich ihr erzählen sollte? Sie würde sicher total sauer sein, weil ich Mr Hastings versetzt hatte. Wahrscheinlich flog ich sowieso hochkant aus ihrer Agentur.

»Nehmen Sie den Job jetzt an?«, hakte Rob nach.

1 Jahr zuvor

»Grandma, bist du da?«, rief ich von der Veranda ihres roten Klinkerhäuschens und versuchte durch die halbgeschlossenen Gardinen ins Innere des Hauses zu spähen. Aber ich konnte nichts sehen. Langsam wurde ich nervös, denn ich hatte bereits zwei Mal geläutet. Hektisch durchwühlte ich meine Handtasche auf der Suche nach dem Zweitschlüssel. Als ich ihn endlich in den Händen hielt, atmete ich erleichtert auf und schob den Schlüssel mit fahrigen Fingern ins Schloss.

»Ich bin es, Audrey. Wo steckst du denn?«, rief ich erneut und schloss die Tür hinter mir.

Angestrengt lauschte ich in die Stille des Hauses hinein. Hatte Grandma unsere Verabredung etwa vergessen? Sie war doch sonst immer so zuverlässig. Ein mulmiges Gefühl beschlich mich, als ich in die obere Etage eilte.

Ich rief erneut ihren Namen, und wieder bekam ich keine Antwort. Mit klopfendem Herzen öffnete ich die Tür ihres Schlafzimmers, und im gleichen Moment wurde mein schlimmster Alptraum Wirklichkeit.

Grandma lag leblos neben ihrem Bett. Sie trug noch ihr Nachthemd. Schreiend stürzte ich zu ihr und rief hysterisch ihren Namen. Ich schaffte es gerade noch, vom Telefon im Schlafzimmer den Notruf zu wählen und alle wichtigen Fakten herunterzurattern, bevor mir der Hörer aus der Hand fiel. Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Zu völliger Hilflosigkeit verdammt, kniete ich neben ihr, hielt ihre Hand und stammelte wirres Zeug, unterbrochen von heftigen Schluchzern, während meine Tränen nur so aus mir herausströmten. Das Warten auf den Rettungswagen war die reinste Hölle und kam mir vor wie eine Ewigkeit.

Danach war alles irgendwie verschwommen. Sanitäter und Notarzt drängten mich zurück, doch ich ließ Grandmas Hände nur widerstrebend los. Durch einen Tränenschleier sah ich zu, wie sie versorgt wurde und dann auf einer Trage nach unten geschafft und mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren wurde.

Später saß ich in einem Krankenhausflur auf einem harten Plastikstuhl und starrte benommen auf die Uhr, die am Ende des Ganges über einer großen Schwingtür zum Operationssaal hing. Die Minuten verrannen, während hinter den Türen Ärzte um Grandmas Leben kämpften.

Als sich die Schwingtüren endlich öffneten, erhob ich mich wie in Trance und stand auf wackeligen Beinen da. Als ich den Worten des Arztes lauschte, löste sich meine Welt in Nichts auf. Später konnte ich mich nicht an alles erinnern, was er gesagt hatte. Es waren nur Gesprächsfetzen in meinem Kopf hängengeblieben. Die erschreckende Diagnose Schlaganfall, die der Arzt mit ausdrucksloser Stimme stellte. Beängstigende Worte, wie Bewegungsunfähigkeit, Sprachverlust, Rollstuhl, Pflegeheim hingen im Raum und ließen mich schwindeln. Und auch die Tage danach erlebte ich wie in einem Vakuum.

***

»Glaubst du, dass du das allein schaffst?«, fragte Zoe, die neben mir auf einer Parkbank saß, direkt gegenüber der Bank of London.

Ich nickte.

»Denke schon«, gab ich zurück und war mir nicht sicher, ob das der Wahrheit entsprach.

Zoe legte den Arm um mich und drückte mich fest.

»Alles wird gut. Du wirst das Geld schon bekommen!«

Ich hatte einen Kloß im Magen vor lauter Aufregung.

Ich hoffte es so sehr. Wir brauchten das Geld, um Grandmas Haus behindertengerecht umzurüsten. Sie in ein Pflegeheim zu geben zog ich auch auf Anraten der Ärzte nicht auch nur eine Sekunde in Erwägung. Grandma gehörte in ihr Zuhause, und damit sie dort auch bleiben konnte, war ich bereit, alles zu tun. Wenn es sein musste, verschuldete ich mich für den Rest meines Lebens.

Unendlich dankbar für Zoes Unterstützung drückte ich ihre Hand und stand auf.

»Wartest du hier auf mich?«, fragte ich, als ich mich nach wenigen Schritten noch einmal nach Zoe umsah.

Sie nickte sofort.

»Natürlich. Ich bin hier, wenn du mit dem genehmigten Kreditantrag wiederkommst. Versprochen!«

Ich lächelte erleichtert und machte mich endlich auf den Weg.

Und wieder war ich zum Warten verdammt, als ich ungeduldig im Büro des Bankangestellten Platz nahm.

Ich starrte die Tür an, versuchte durch bloße Willenskraft, den Bankberater erscheinen zu lassen, und tatsächlich tauchte er wenig später auf, setzte sich mir gegenüber hinter den Schreibtisch, faltete die Hände und sah mich mit mitleidigem Blick an.

Mir wurde flau im Magen. Ich wusste genau, was seine Mimik bedeutete. Minuten später sprach er aus, was ich im Moment am meisten fürchtete.

»Ms Bartlett, es tut mir schrecklich leid, aber nach eingehender Beratung sind wir als Geldgeber leider zu dem Entschluss gekommen, Ihnen den Kredit zu verwehren.«

Ich hielt den Atem an und hatte das Gefühl, mein Herz bliebe stehen. Das konnte doch nicht sein Ernst sein!

»Da muss eine Verwechslung vorliegen«, stammelte ich und klammerte mich an den letzten Funken Hoffnung. »Ich habe Ihnen doch erklärt, wofür wir das Geld brauchen.«

Was zum Teufel war daran nicht zu verstehen gewesen?

Der Bankangestellte seufzte leise auf. Vermutlich stahl ich ihm mit meinem Gerede wertvolle Zeit.

»Doch, das habe ich verstanden. Aber die Antwort lautet trotzdem Nein.«

Ich war mir nicht zu schade zu betteln.

»Sobald ich einen besseren Job habe, zahle ich alles zurück.«

»Und genau das ist das Problem. Im Moment haben Sie leider keine zuverlässige Arbeitsstelle. Ich möchte Ihnen nicht zu nahetreten, aber die Arbeit als Kellnerin in einer Bar reicht uns als Referenz leider nicht aus. Wir sehen die Rückzahlung des Geldes einfach nicht gewährleistet. Weder Ihre Großmutter noch Sie können die notwendigen Sicherheiten vorweisen, die für die Erfüllung des Kreditvertrages unabdingbar sind.«

Tränen der Wut und der Enttäuschung stiegen in mir auf, als ich begriff, dass ich ihn nicht umstimmen konnte. Am liebsten hätte ich gebrüllt, meinem Ärger und meiner Verzweiflung Luft gemacht, aber noch nicht einmal dazu hatte ich die Kraft. Wie sollte es jetzt weitergehen?

Schließlich erhob ich mich langsam von meinem Stuhl, drehte mich um und steuerte ohne Verabschiedung die geschlossene Tür an.

»Versuchen Sie es gerne bei einem anderen Kreditinstitut«, rief er mir nach, doch dann fügte er hinzu: »Leider befürchte ich, dass Sie auch dort kein Glück haben werden. Tut mir leid, dass wir Ihnen nicht helfen können.«

Ich schaute nicht mehr zurück, sondern stürzte eilig nach draußen.

Als mich Zoe erblickte, sprang sie auf und hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund. Selbst aus der Entfernung musste sie mir angesehen haben, dass ich keinen Erfolg gehabt hatte. Mir kamen die Tränen, und ich versuchte gar nicht sie zurückzuhalten.

Ich blieb vor Zoe stehen, die mich sofort umarmte und festhielt. Ohne Scheu ließ ich meinen Tränen mitten auf dem Bürgersteig freien Lauf, es scherte mich nicht im Geringsten, was vorbeieilende Passanten über mich dachten.

»Alles wird gut. Wir finden eine Lösung«, flüsterte Zoe ganz nah an meinem Ohr und streichelte besänftigend meinen Rücken, während ich von Weinkrämpfen geschüttelt wurde.

Nein, werden wir nicht, hätte ich am liebsten geantwortet. Aber ich war so fertig, ich brachte keinen Ton heraus.

Zwei Tage später ging es mir noch nicht besser, und es war auch keine Lösung meines Problems in Sicht. Im Moment war Grandma noch im Krankenhaus. Aber bald würde sie entlassen werden, es war also Eile geboten. Ein leises Klopfen an meiner Zimmertür ließ mich aufschrecken. Gleich darauf wurde sie zögerlich geöffnet.

»Kann ich reinkommen?«, fragte Zoe und steckte den Kopf zur Tür herein.

»Klar.«

Zoe kam näher, setzte sich schließlich zu mir aufs Bett und verschränkte die Beine im Schneidersitz.

Gemeinsam lehnten wir am Kopfende und sagten kein Wort.

Zoe war die Erste, die unser Schweigen brach.

»Ich habe mir Gedanken gemacht, und vielleicht habe ich eine Idee, woher du das Geld bekommen könntest.«

Überrascht sah ich sie an.

»Welche?«, fragte ich und schöpfte zum ersten Mal seit Tagen ein wenig Hoffnung.

Gedankenversunken zupfte ich an den Fransen der Kuscheldecke, die auf meinem Bett lag.

»Ich glaube nicht, dass ich das kann«, sagte ich beklommen, nachdem ich mir Zoes Vorschlag angehört hatte.

Sie zuckte mit den Schultern.

»Ich wünschte, ich könnte dir einfach das Geld geben. Aber leider reichen meine Ersparnisse dafür nicht aus. Der Job als Escort Girl ist nicht so schlecht, wie du vielleicht glaubst, und er bringt vor allem richtig gut was ein.«

Ich zögerte, doch dann sagte ich geradeheraus, was ich dachte, auch auf die Gefahr hin, Zoes Gefühle zu verletzen, obwohl das natürlich das Letzte war, was ich wollte.

»Was kann an einem Job gut sein, in dem ich für Geld mit fremden Männern schlafen muss?«

»Sex gehört nicht immer dazu.«

Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute ich Zoe an. Konnte das wirklich wahr sein?

»Ja klar! Und mit wie vielen Typen gehst du einfach nur aus, um nett zu plaudern?«

Ich war skeptisch. Welcher Mann war schon gewillt, ein kleines Vermögen für eine harmlose Unterhaltung auszugeben?

Zoe schaute mich ernst an. Scheinbar überlegte sie, welche brisanten Geheimnisse sie mir anvertrauen konnte. Denn über ihren Job als Escort Girl erzählte sie sonst nie besonders viel, obwohl ich hin und wieder tatsächlich neugierig gewesen war.

»Das kommt tatsächlich vor. Du weißt, dass ich nur deshalb ganz selten davon erzähle, weil Lorraine sehr viel Wert auf Verschwiegenheit legt. Aber es gibt tatsächlich Männer, die sich einfach nur nett unterhalten wollen. Wie weit du nach einem gemeinsamen Abend gehst, hängt ganz von dir ab. Es ist deine Entscheidung.«

Alles in mir sträubte sich, zuzustimmen. Ich wollte es nicht tun. Aber noch weniger wollte ich Grandma in einem Pflegeheim besuchen. Dafür musste ich aber unbedingt ihr Haus umbauen. Darüber hinaus würde ich gerne eine Vollzeitpflegekraft einstellen, und wir brauchten auch einen guten Physiotherapeuten.

»Erzähl mir noch mehr Positives über deinen Job«, bat ich Zoe. »Dann fällt mir die Entscheidung hoffentlich leichter.«

»Sei bitte nicht böse auf mich, aber ich habe Lorraine ein Foto von dir gezeigt und ihr auch von deiner Grandma erzählt. Sie hat angeboten, dir eine größere Summe vorzuschießen, wenn du bei ihr in der Agentur einsteigst. Natürlich stünde dir auch ein monatliches Budget für Kleidung und Kosmetiktermine zur Verfügung. Und du darfst so einen schicken Firmenwagen fahren wie ich. Lorraine ist Geschäftsfrau durch und durch, aber sie hat auch ein echt weiches Herz, deshalb hat sie angeboten, dir zu helfen.«

Ich schaute Zoe an und konnte nicht verhindern, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Zoe zog mich an sich und drückte mich fest.

»Wenn du Interesse daran hast, würde sich Lorraine gerne persönlich mit dir unterhalten, und Audrey, eines musst du noch wissen. Wenn es dir zu viel wird, hast du immer die Möglichkeit, wieder zu kündigen.«

Ich ließ Zoe los und wischte mir die Tränen ab. So wie es momentan schien, war das die einzige Möglichkeit, legal schnell an eine große Summe Geld zu kommen.

»Ruf Lorraine an«, sagte ich mit spröder Stimme. »Ich mache es!«

Mein Herz klopfte zum Zerspringen, als ich daran dachte, was nun auf mich zukommen würde. Doch für Grandma würde ich alles tun. Genauso, wie sie für mich schon immer alles möglich gemacht hatte. Wäre sie nicht bereit gewesen, nach dem plötzlichen Unfalltod meiner Eltern die Vormundschaft für mich zu übernehmen, wäre ich wohl im Kleinkindalter bereits ins Heim und später vielleicht in eine Pflegefamilie gekommen. Grandma hatte mich gerettet, und ich fühlte mich, als könnte ich jetzt sie retten, denn ich wusste nur zu gut, dass sie den Gedanken, auf Pflege angewiesen zu sein, nur schwer ertragen konnte. Vor ihrem Schlaganfall war sie so vital gewesen. Ihre 74 Jahre hatte man ihr weder angesehen noch angemerkt. Ab jetzt möglicherweise für immer auf ganztägige Betreuung angewiesen zu sein traf sie hart genug. Ich würde sie nicht abschieben, egal, was ich dafür in Kauf nehmen musste. Dafür liebte ich sie viel zu sehr. Grandma war meine Familie und neben Zoe der einzige sichere Halt und die einzige Konstante, auf die ich mich immer verlassen konnte.

»Eins musst du mir aber hoch und heilig versprechen«, bat ich Zoe und blickte ihr fest in die Augen.

»Das wäre?«

»Du darfst Grandma niemals erzählen, woher der plötzliche Geldsegen kommt. Das musst du für dich behalten, und zwar unter allen Umständen.«

Zoe zögerte kurz.

»Wenn du es verlangst, rede ich natürlich mit keiner Menschenseele darüber. Aber was willst du ihr erzählen?«

»Mach dir darüber keine Sorgen. Wenn es so weit ist, überlege ich mir etwas.«

Zoe zögerte kurz, dann fragte sie: »Glaubst du, deine Großmutter wäre enttäuscht von dir?«

Ich schüttelte den Kopf. Denn eines wusste ich mit hundertprozentiger Sicherheit, Grandma liebte mich so sehr, sie wäre niemals von mir enttäuscht, egal, was ich tat.

»Sie würde sich nur Vorwürfe machen, weil ich es ihr zuliebe tue. Es ist besser, sie weiß nichts davon. Glaub mir.«

Zoe nickte.

»Hab’s kapiert. Ich werde es für mich behalten. Versprochen!«

»Danke«, flüsterte ich und war bereit, mich dieser neuen Herausforderung in meinem Leben zu stellen, auch wenn ich Angst davor hatte.

Heute

Robs Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

»Wollen Sie den Job jetzt?«, hakte er noch einmal nach und schien langsam die Geduld zu verlieren.

»Ja, ich will ihn«, antwortete ich entschlossen und war über meine Antwort selbst überrascht. Wie es schien, hatte ich spontan entschieden, dass es Zeit für einen Richtungswechsel war.

Ein verschmitztes Lächeln ließ sein Gesicht erstrahlen und berührte mein Herz, als er mir die Hand entgegenstreckte.

»Dann freue ich mich auf unsere zukünftige Zusammenarbeit.«

Seine Augen funkelten geheimnisvoll, als er sich noch einmal korrekt vorstellte.

»Ich bin Rob Masters. Verraten Sie mir jetzt auch endlich Ihren Namen?«

Ich lächelte ebenfalls, als ich seine Hand ergriff. Er hatte einen angenehmen kräftigen Händedruck.

»Audrey Bartlett.«

»Audrey«, wiederholte er und schaute mich eindringlich an. Die Art, wie er meinen Namen aussprach, ließ mich augenblicklich dahinschmelzen und jagte wohlige Schauer über meine Haut.

»Ein wirklich schöner Name. Er passt sehr gut zu Ihnen.«

Ich verstärkte mein Lächeln, und meine Wangen färbten sich rot.

»Meine Mutter war ein Fan von Audrey Hepburn«, klärte ich Rob auf.

Rob nickte mir zu, und als Franklyn sanft gegen sein Hosenbein stieß, beugte er sich zu seinem Hund hinab, um ihn liebevoll hinter den Ohren zu kraulen.

»Bin bald wieder da, mein Großer«, hörte ich ihn leise murmeln.

Franklyn genoss die Streicheleinheiten sichtlich und tapste dann zurück zu seiner Hundedecke, drehte sich einmal um die eigene Achse und legte sich geräuschvoll hin. Mit dem Kopf auf den Pfoten, begann er zu dösen.

Rob betrachtete ihn nachdenklich. Der sorgenvolle Ausdruck war in sein Gesicht zurückgekehrt.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte ich vorsichtig.

Rob wandte mir wieder seine Aufmerksamkeit zu. Dann fragte er: »Wussten Sie, dass Doggen nur eine Lebenserwartung von sechs bis acht Jahren haben?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Nein, das wusste ich nicht.«

»Franklyn ist jetzt sieben, und man merkt ihm sein Alter merklich an. Er ist längst nicht mehr so aktiv wie früher. Bei unseren Spaziergängen schafft er nur noch die halben Strecken. Ich tue alles, um ihn bei bester Gesundheit zu halten, aber ich mache mir auch nichts vor. Früher oder später wird er sterben.«