Verlieben ausdrücklich erlaubt - Alexandra Görner - E-Book

Verlieben ausdrücklich erlaubt E-Book

Alexandra Görner

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Beschreibung

Die neue Serie von Alexandra Görner Einen Augenblick, mehr braucht es nicht, um Siennas Leben komplett auf den Kopf zu stellen. Einen Augenblick, in dem sie erkennt, dass ihr Freund sie nicht nur betrügt, sondern sogar verheiratet ist. Hals über Kopf verlässt Sienna die Großstadt und verkriecht sich bei ihren Eltern im ländlichen Montana. Mit 29, ohne Job, Mann oder eigene Wohnung ist es nicht gerade eine triumphale Heimkehr nach Riverside. Doch das Kleinstadtleben hat auch seine Vorteile: Zum Beispiel den gutaussehenden, wenn auch etwas mürrischen, Tischler Riley, der ihr ein Haus günstig vermietet. Zwischen ihnen sprühen eindeutig Funken, aber Riley lässt niemanden an sich heran. Was ist in Rileys Vergangenheit geschehen, dass ihn so verbittert werden ließ? Und ist Sienna diejenige, die ihn aus seinem Schneckenhaus hervorlocken kann? Denn eins ist klar, unter Montanas weitem Himmel ist Verlieben ausdrücklich erlaubt... Von Alexandra Görner sind bei Forever erschienen: In der London-City-Reihe (E-Book): Verliebt, verlobt, vielleicht Süße Küsse unterm Mistelzweig Sie dürfen die Nanny jetzt küssen Land, Luft und Liebe Halbzeitküsse Verlieb dich, verlieb dich nicht Heißkalte Winterküsse In der Montana-Kisses-Reihe: Verlieben ausdrücklich erlaubt Küssen ausdrücklich erwünscht Verliebt und Zugeschneit Küssen ist die beste Verteidigung Kein Moment zum Verlieben Einmal Liebe, kein Zurück

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Die AutorinAlexandra Görner ist 33 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in einer kleinen Stadt in Sachsen. Sie arbeitet in einem Zuliefererbetrieb für die Automobilindustrie und schreibt nur in ihrer Freizeit. Die verbringt sie außerdem am liebsten mit ihrer Familie und natürlich mit tollen Büchern.

Das Buch

Einen Augenblick, mehr braucht es nicht, um Siennas Leben komplett auf den Kopf zu stellen. Einen Augenblick, in dem sie erkennt, dass ihr Freund sie nicht nur betrügt, sondern sogar verheiratet ist. Hals über Kopf verlässt Sienna die Großstadt und verkriecht sich bei ihren Eltern im ländlichen Montana. Mit 29, ohne Job, Mann oder eigene Wohnung ist es nicht gerade eine triumphale Heimkehr nach Riverside. Doch das Kleinstadtleben hat auch seine Vorteile: Zum Beispiel den gutaussehenden, wenn auch etwas mürrischen, Tischler Riley, der ihr ein Haus günstig vermietet. Zwischen ihnen sprühen eindeutig Funken, aber Riley lässt niemanden an sich heran. Was ist in Rileys Vergangenheit geschehen, dass ihn so verbittert werden ließ? Und ist Sienna diejenige, die ihn aus seinem Schneckenhaus hervorlocken kann? Denn eins ist klar, unter Montanas weitem Himmel ist verlieben ausdrücklich erlaubt...

Von Alexandra Görner sind bei Forever erschienen:

In der London-City-Reihe:Verliebt, verlobt, vielleichtSüße Küsse unterm MistelzweigSie dürfen die Nanny jetzt küssenLand, Luft und LiebeHalbzeitküsseVerlieb dich, verlieb dich nichtHeißkalte WinterküsseKüssen ist die beste Verteidgung

Verlieben ausdrücklich erlaubt

Alexandra Görner

Verlieben ausdrücklich erlaubt

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Oktober 2017 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95818-098-7  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Kapitel 1

Prolog

Sienna

Okay, sollte das hier gerade ein schlimmer Traum sein, dann möchte ich jetzt ganz schnell aufwachen. Bitte, kann mich mal jemand kneifen? Schnell machte ich die Augen zu, während mir der Wind um die Nase wehte und meine dunkelblonden Haare wirr um meinen Kopf flogen. Als ich meine Augen wieder öffnete, bot sich mir allerdings immer noch das gleiche verwirrende Bild. Also kein verrückter Tagtraum, sondern harte Realität. Ich hatte keinen Blick mehr für die Schönheit des Ocean Beach, nahm die Menschen nicht wahr, die so wie ich am Stand joggten, in der Sonne faulenzten, mit ihren Hunden spazieren gingen oder andere Aktivitäten betrieben und hatte aufgehört, die Surfer zu beobachten, die ihre spektakulären Stunts zum Besten gaben. Stattdessen war ich wie angewurzelt stehen geblieben und starrte den Mann an, mit dem ich seit Monaten zusammen war. Zumindest hatte ich das bis eben geglaubt. Ich beschattete meine Augen mit der Hand und beobachtete Brandon, der in einiger Entfernung völlig entspannt am Strand entlangschlenderte. Wasser umspülte seine nackten Füße und bespritzte seine Jeans, die er lässig nach oben gekrempelt hatte. Während er lachte, drückte er die Frau, um dessen Schulter er den Arm gelegt hatte, noch ein bisschen näher an sich. Sie strich sich die Haare aus der Stirn und lächelte ebenfalls. Bei dem Anblick, den die beiden boten, riss es mir das Herz aus der Brust. Ich hätte mich lieber verstecken sollen, aber ich konnte mich nicht rühren. Meine Sorge entdeckt zu werden war allerdings grundlos. Brandon hatte nur Augen für die Schönheit, die er im Arm hielt. Ich konnte nicht wegschauen, ich sah ihnen einfach nur zu, war wie gelähmt und völlig unfähig, mich zu bewegen. Die beiden liefen weiter den Strand entlang, redeten, lachten und als sie kurz stehen blieben, um sich zu küssen, wurde mir schlecht. Mein Herz hämmerte wie ein Trommelfeuer in meiner Brust. Mein Magen zog sich unbehaglich zusammen. Wut, Enttäuschung und Eifersucht kochten in meinem Inneren. Brandon hatte mich vom ersten Moment unseres Kennenlernens an belogen. Jedes seiner Worte war nichts als eine Lüge gewesen. Dutzend Fragen wirbelten durch meinen Kopf. Doch die wichtigste: Warum hatte er das getan? Die Geräusche der kreischenden Möwen, die über dem Ocean Beach ihre Kreise zogen, gingen im Donnern der Brandung und im Rauschen des Windes unter. Das Meer brach sich in hohen Wellen am Pier und spritzte die Gischt weit in die Luft. Händchenhaltend entfernten sich die beiden vom Wasser und machten sich, wie ich vermutete, auf den Heimweg. Ich erwachte aus meiner Schockstarre und lief ihnen in gebührendem Abstand nach. Ich musste einfach wissen, was hier gespielt wurde. Waren die beiden ein Paar? Wohl ja, in Anbetracht ihres innigen Kusses. Dieser Gedanke versetzte mir abermals einen tiefen Stich ins Herz. Brandon war niemals mit mir am Strand spazieren gegangen. Wenn ich genauer darüber nachdachte, hatten wir überhaupt nichts zusammen unternommen. Nein, mich hatte er nur in meiner Wohnung getroffen und dann hatten wir es kaum geschafft, das Bett zu verlassen. Jetzt wusste ich auch, wieso er jedes Mal, wenn ich von unserer gemeinsamen Zukunft gesprochen hatte, ein anderes Thema angeschnitten hatte. Ich dachte, er wäre einer der Männer, die eine tiefe Bindungsangst hatten. Doch augenscheinlich wollte er sich nur nicht an mich binden. Die beiden steuerten den Parkplatz an und stiegen schließlich in Brandons schicken Van. Ich rannte zu meinem eigenen Auto, riss die Tür meines dunkelblauen Jetta auf und ließ mich eilig auf den Fahrersitz sinken. Brandon steuerte seinen Wagen vom Parkplatz und fädelte sich in den Verkehr ein. Ich tat es ihm gleich und nahm schließlich mit laut klopfendem Herzen die Verfolgung auf. Auf den Straßen drängten sich die Autos dicht an dicht und wir kamen nur schleppend voran. Auf der Balboa Street blieb ich nah hinter ihm. Doch als wir auf die California Street einbogen, ließ ich mich zurückfallen und hielt vorsichtshalber genügend Abstand. Ich fürchtete mich davor, entdeckt zu werden, und ich hatte auch Angst vor einer Konfrontation. Auf der Clay Street drängte sich ein weiteres Auto, ein schwarzer Geländewagen, zwischen uns und für einen kurzen Augenblick dachte ich, ich würde Brandons Van aus den Augen verlieren. Aber dann bog er auf die Hyde Street ein und augenblicklich waren nur noch zwei Autos zwischen uns. Brandon fuhr langsamer, setzte den Blinker und steuerte sein Auto in die Auffahrt eines hübschen viktorianischen Reihenhauses. Mit klopfendem Herzen fuhr ich weiter, wendete an einer günstigen Stelle und parkte schließlich auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich fühlte mich wie eine Stalkerin, als ich mit fahrigen Fingern den Schlüssel aus dem Schloss zog. Der Motor erstarb und ich blieb unschlüssig im Wagen sitzen, während ich das Haus anstarrte. Es war weiß, hatte einen hübschen kleinen Vorgarten und war von einem glänzenden schwarzen Zaun umgeben. Mir wurde das Herz schwer, als mir klar wurde, dass Brandon längst das hatte, wovon ich träumte, und ich kam mir unglaublich dumm und einfältig vor. Ich richtete den Blick nach vorne, die Straße entlang. Ich konnte das Meer sehen. Alcatraz Island erhob sich aus den glitzernden Fluten der San Francisco Bay. Erneut überkam mich Wut und Enttäuschung über sein rücksichtsloses Verhalten. Und dann schoss mir noch ein weiterer Gedanke durch den Kopf. Brandon hatte nicht nur mich belogen, sondern auch die Frau, mit der er vorhin verliebt am Strand spazieren gegangen war. Wie konnte er dieses Leben hier haben und dennoch nicht damit zufrieden sein? Welche Lügen und Ausreden hatte er wohl erfunden, um bei mir sein zu können? Ich hatte so viele Fragen und gierte nun nach Antworten. Mein Herz schnürte sich vor Angst zusammen, aber schließlich fasste ich mir ein Herz, stieg aus meinem Auto aus und überquerte schnellen Schrittes die Straße. Ohne langsamer zu werden, stieg ich die Stufen zur Eingangstür hinauf und drückte, ohne über mein Handeln und die daraus resultierenden Konsequenzen nachzudenken, auf den Klingelknopf. Ich war einfach unendlich wütend. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und es kam mir vor, als zitterte ich am ganzen Körper, während ich darauf wartete, dass mir endlich die Tür geöffnet wurde. Einen Moment später schwang sie auf und ich starrte in Brandons überraschtes Gesicht. Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen sah er mich an, während flammende Röte von seinem Hals in seine Wangen kroch. Na, das nannte ich mal eine Überraschung!

»Was machst du denn hier?«, stotterte er und ihm war die Panik deutlich anzuhören. Angst stand ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben, als er hastig die Tür so weit wie möglich schloss und damit versuchte, mich vom Inneren des Hauses abzuschirmen. Der Gedanke, ihn auf der Stelle auffliegen zu lassen, war wirklich verlockend. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Mit Sicherheit würde ich jetzt nicht um den heißen Brei herumreden. Daher erwiderte ich knapp: »Wie war euer kleiner Ausflug an den Ocean Beach?«

Brandon wurde blass und mich überkam Genugtuung. Ihn so ängstlich und verzweifelt zu sehen, bereitete mir diebische Freude. Mit meinem Herzschmerz würde ich mich später auseinandersetzen. Dafür blieb mir noch genug Zeit.

»Es ist anders, als du glaubst«, raunte er leise und warf einen flüchtigen Blick über seine Schulter, bevor er sich wieder mir zuwandte. Er war sichtlich nervös. Ich schnaubte verächtlich. Brandon war immer noch bereit zu lügen, um seinen Hals zu retten. Aber noch einmal fiel ich nicht auf sein Gerede herein. Ihn mit dieser anderen Frau zu sehen, hatte mir die Augen geöffnet.

»Bitte, verschon mich mit deinen Ausreden. Ich bin nicht so blöd, wie du denkst. Ist sie deine feste Freundin?«, wollte ich wissen und Brandons Gesicht glühte vor Verlegenheit.

Er zögerte kurz, doch dann gab er tatsächlich zu: »Nein, nicht meine Freundin, sondern meine Frau.« Vor Schreck drehte sich mir der Magen um. Wenn ich gewusst hätte, dass er verheiratet war, dann hätte ich mich nie und nimmer auf eine Beziehung mit ihm eingelassen. Aber zu spät. Ich hatte mich Hals über Kopf in ihn verliebt und er hatte mich getäuscht. Brandon hatte uns beide getäuscht. Ich empfand plötzlich Mitleid mit seiner Frau. Ich konnte mich umdrehen und gehen und ihn für immer aus meinem Leben streichen. Aber seine Frau würde diese Ehe vielleicht nicht so einfach aufgeben können oder wollen. Das Einzige, was mich zu diesem Zeitpunkt noch interessierte, war das Warum.

»Wieso hast du deine Frau betrogen? War ich die Einzige, oder gab es noch andere Frauen?« Die Enttäuschung, die in meiner Stimme mitschwang, war nicht zu überhören.

»Du warst die Einzige«, erwiderte er und blickte mir tief in die Augen. Noch einmal schaute er flüchtig über seine Schulter zurück, dann kam er einen kleinen Schritt näher, bevor er wieder stehen blieb. Er sah mich aus samtbraunen Augen an und ich seufzte leise auf. Es war dieser Blick, in den ich mich bei unserer allerersten Begegnung auf der Stelle verliebt hatte. Wenn ich damals nur gewusst hätte! Langsam befeuchtete er seine Lippen, dann sagte er: »Als ich dich das erste Mal gesehen habe, wusste ich, ich muss dich haben, und ich wollte unbedingt mit dir zusammen sein. Zu Beginn glaubte ich, einmal würde für mich genügen. Aber dann wurde das Zusammensein mit dir wie eine Sucht. Der Kick, aus dem Alltag auszubrechen und etwas Verbotenes zu tun, fühlte sich einfach unglaublich an. Ich konnte nicht genug davon bekommen und von dir auch nicht.« Mit eindringlichen Blicken schaute er mich an. Sogar seine Anspannung und Nervosität schienen verflogen. Dann wagte er tatsächlich hinzuzufügen: »Wir müssen unsere Affäre nicht beenden. Ich will unsere Affäre nicht beenden!«

Ich lachte ungläubig auf. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Ich hatte mich nicht mehr im Griff und mir rutschte angesichts dieses Vorschlags die Hand aus. Ich verpasste Brandon eine schallende Ohrfeige. Er stöhnte überrascht auf und rieb sich mit den Fingern über die schmerzende Wange. Zur gleichen Zeit erschien seine Ehefrau plötzlich in der Tür.

»Was tun Sie denn da?«, keifte sie erschrocken und starrte uns beide verwirrt an, weil sie die Ohrfeige wohl mit angesehen hatte.

»Ich denke, das kann Ihnen Brandon sehr viel besser erklären als ich«, gab ich mit frostiger Stimme zurück. Dann machte ich kehrt und lief eilig die Treppen hinunter. Jetzt würde er seiner Frau mit Sicherheit eine Menge erklären müssen. Ein bitteres Lachen zuckte über mein Gesicht. In Brandons Haut wollte ich jetzt wirklich nicht stecken. Ich hoffte von ganzem Herzen, seine Frau machte ihm gleich ordentlich die Hölle heiß. Doch während ich nach Hause fuhr, kamen mir die Tränen. Ich weinte vor Wut und Enttäuschung. Brandon hatte mich reingelegt und mich nach Strich und Faden benutzt. Energisch wischte ich meine Tränen beiseite. Doch sie verschleierten mir immer wieder aufs Neue den Blick. Ich wusste, Brandon war es nicht wert, aber ich konnte mich einfach nicht wieder beruhigen. Völlig aufgelöst kam ich schließlich in meiner Wohnung an. Ich ließ mich auf die Couch plumpsen und vergrub das Gesicht in den weichen Sofakissen, während mich Stille und Einsamkeit umgaben.

Ich war offenbar eingedöst, denn als ich wieder aufwachte, dämmerte es bereits. Mühsam rappelte ich mich von der Couch auf, trat ans Fenster und schob es nach oben. Die schwüle, stickige Abendluft strömte ins Zimmer. Gedankenversunken sah ich hinaus, beobachtete die Menschen und lauschte dem Straßenlärm. Und plötzlich fühlte ich mich wieder genauso allein wie damals, als ich in San Francisco angekommen war. Auch nach der langen Zeit habe ich keinen Anschluss gefunden und einen richtigen Job habe ich auch nicht bekommen. Stattdessen wechselte ich immer wieder die Arbeitsstelle und im Moment hielt ich mich mit einem Aushilfsjob als Verkäuferin in einer kleinen Modeboutique über Wasser. Manchmal reichte das Geld kaum, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten und die Miete zu zahlen. Das Leben in San Francisco hatte ich mir anders vorgestellt, als ich völlig blauäugig hergekommen war. Das Einzige, was mich zuletzt in dieser Stadt gehalten hat, war meine Verliebtheit zu Brandon gewesen. Und was war mir nach dem heutigen Tag geblieben? Nichts außer einem gebrochenen Herzen, einer Menge zerplatzter Träume, einem schlecht bezahlten Job und tausend lausigen Dollar auf dem Konto.

Eine Woche lang suhlte ich mich in meinem eigenen Elend, gab mich ganz meiner Wut und Enttäuschung hin. Ich lebte vom Pizzaservice und stand nur von der Couch auf, um den Pizzaboten zu öffnen, um zu duschen oder zur Toilette zu gehen. Ich ignorierte Brandons Anrufe. Die ganze Zeit über hatte ich das Gefühl, nie wieder aus dem Loch zu kommen, in das ich seit meiner Trennung mit ihm gefallen war, und doch gelang es mir. Eines Nachmittags stand ich von meiner Couch auf, warf die leeren Pizzaschachteln in den Müll, machte in meiner Wohnung klar Schiff, packte meinen Kram zusammen und bezahlte die letzte fällige Miete. Dann stieg ich in mein altes Auto und kehrte San Francisco für immer den Rücken.

Kapitel 2

Sienna

Die Straße, auf der ich unterwegs war, führte mich durch die endlosen Weiten Montanas. Der Himmel strahlte in seinem schönsten Blau, während sich die Straße durch einen dichten Kiefernwald schlängelte, nur um gleich darauf in eine weite Ebene überzugehen. Der Wind strich in sanften Wellen durch die Weizengrasfelder und wiegte dabei Kornblumen und Lupinen, die in einer wilden Mischung auf der Ebene wuchsen, träge hin und her. Die bunten Blüten leuchteten im hellen Sonnenlicht in berauschenden Farben. In weiter Ferne konnte ich die ersten Ausläufer der Rocky Mountains mit ihren schneebedeckten Gipfeln sehen. Ich fuhr weiter und weiter, während mich mein Weg an satten grünen Weideflächen und einsamen Farmhäusern vorbeiführte. Immer näher kam ich meinem Ziel, und je näher ich kam, desto langsamer fuhr ich. Auf dem Weg nach Hause zu sein, fühlte sich seltsam an. Es war nicht das erste Mal, dass ich nach langer Zeit nach Riverside zurückkehrte, um meine Eltern zu besuchen. Obwohl meine Besuche in der Vergangenheit viel zu selten und viel zu kurz gewesen waren. Und diesmal würde es vielleicht nicht bei einem Besuch bleiben, denn solange ich nicht wusste, wie ich meine Zukunft gestalten wollte, und solange ich keine neue Perspektive für mein Leben hatte, würde ich wohl oder übel vorerst hierbleiben und genau dieser Gedanke versetzte mich in Angst. Denn was hatte Riverside schon zu bieten, außer tödlicher Langeweile? Nur eines wusste ich, mit meiner Vergangenheit musste ich abschließen, um etwas Neues beginnen zu können. Und wo konnte man das besser als in der Einöde Montanas?

Der Kies knirschte unter den Reifen meines Jetta, als ich vor einem Motel, ein paar Autostunden von Riverside entfernt, anhielt. Leise seufzend zog ich den Schlüssel aus dem Zündschloss, Amy MacDonalds Stimme verklang und ich lehnte den Kopf nach hinten und schloss für ein paar Minuten die Augen. Wie konnte sich innerhalb einer Woche mein ganzes Leben auf den Kopf stellen? Ich war glücklich gewesen. Ich hatte Träume und Hoffnungen gehabt, einen Freund, einen Job. Einen schlechten Job, aber immerhin. Jetzt hatte sich alles in Luft aufgelöst. Ich war nur noch eine Versagerin. Zumindest fühlte ich mich gerade so. Schnell wischte ich mir mit dem Handrücken die Tränen ab, die aus meinen geschlossenen Augen über meine Wangen liefen. Ich musste endlich aufhören zu weinen. Brandon musste aus meinem Kopf verschwinden. Ich hatte noch nie einen besonders guten Geschmack gehabt, was Männer betraf. Aber meine Verliebtheit gegenüber Brandon hatte mir das noch einmal von Neuem bewiesen. Ich war wirklich ein hoffnungsloser Fall, was die Liebe anging. Laut seufzend öffnete ich die Augen und schaute durch die schmutzige Windschutzscheibe nach draußen. Ich konnte mich einfach nicht dazu durchringen auszusteigen. Kehrte ich jetzt wirklich in mein altes Leben zurück? Zurück in meine Heimatstadt, aus der ich vor Jahren geflohen war? Alles fühlte sich unwirklich an. Meine Finger trommelten nervös auf das Lenkrad. Als ich an Mom und Dad dachte, plagten mich Schuldgefühle, weil ich sie so selten besucht hatte. Trotzdem waren sie ausgeflippt vor Freude, als ich ihnen von meiner Rückkehr erzählt hatte.

Bevor ich meinen Eltern gegenübertrat, wollte ich aber wenigstens noch einen Tag ungestört sein. Nun ja, vielleicht nicht so ungestört! Ich hatte eingecheckt, die Minibar zur Hälfte geplündert und ein Nickerchen gemacht und jetzt war mir schrecklich langweilig. Also beschloss ich, in die Bar hinunterzugehen.

Es herrschte wenig Betriebsamkeit. Die meisten Tische und Barhocker waren unbesetzt. Ich blieb kurz stehen und schaute mich langsam um. Rustikales Mobiliar, holzvertäfelte Wände und an der Wand hinter der Bar thronte ein ausgestopfter Bärenkopf. Ich steuerte einen freien Barhocker an. Auswahl hatte ich schließlich zur Genüge. Der Barkeeper, ein süßer Kerl mit dunklen, wirren Haaren, lächelte leicht, während er mit einem Tuch Gläser polierte. Schließlich legte er es zur Seite und fragte: »Was darf es denn sein?«

Ich überlegte kurz. Eine besonders große Auswahl an Cocktails konnte ich wohl nicht erwarten.

»Welche Cocktails haben Sie denn im Angebot?«, fragte ich hoffnungsvoll.

Sein Lächeln wurde noch breiter und er schaltete eindeutig in den Flirtmodus um.

»Cosmopolitan, Mai Thai, Sex on the Beach. Sie können alles von mir bekommen.«

Angesichts seiner zweideutigen Worte wurde ich verlegen und bekam mit Sicherheit rote Wangen.

»Dann hätte ich gerne einen Cosmopolitan. Und bereiten Sie den nächsten schon mal vor«, erwiderte ich nun.

Der Barkeeper zwinkerte mir lächelnd zu. »Kommt sofort.«

Ich sah ihm dabei zu, wie er den Cocktail mixte und mich dabei unverwandt anstrahlte. Sein hübsches Lächeln entlockte mir tatsächlich ebenfalls ein leichtes Grinsen. Dann aber fiel mein Blick auf den goldenen Ring an seinem Finger und mein Lächeln erlosch. Er war verheiratet. Schließlich befüllte er das erste Glas und stellte es vor mir ab.

»Cosmopolitan, wie bestellt. Ich bin übrigens Taylor.«

»Sienna«, erwiderte ich knapp und war nicht gerade erfreut über seine Annäherungsversuche. Trotzdem nickte ich dankend, blickte ihn ansonsten aber eher kühl an. Ich würde nicht schon wieder mit einem verheirateten Mann flirten. Völlig egal, wie süß er war. Und zugegeben, Taylor war wirklich sehr süß. Ich nippte an meinem Cocktail und verschluckte mich prompt. Gott, wie peinlich!

»Zu stark?«, fragte Taylor schmunzelnd und lehnte sich näher über den Tresen zu mir.

Ich schüttelte schnell den Kopf und trank provokativ noch einen weiteren Schluck. Sein Lächeln wurde breiter.

»Genau richtig«, erwiderte ich, als ich mein Glas vor mir auf dem Tresen abstellte.

Gerade als er etwas sagen wollte, wurde Taylor von einer Gruppe älterer Männer, die allesamt einen großen Stetson auf ihrem Kopf trugen, herangewunken.

»Die Arbeit ruft. Leider! Aber vielleicht haben wir ja nachher noch Gelegenheit zu plaudern.«

»Lieber nicht«, raunte ich. Aber er hörte es schon nicht mehr, denn er war längst verschwunden, um die Gäste zu bedienen. Ich kümmerte mich nicht weiter um Taylor, sondern wandte stattdessen meine Aufmerksamkeit dem Cocktail zu. Der Alkohol rann durch meine Kehle und ließ meine Beine einige Sekunden später bleischwer werden. Als ich das erste Glas fast ausgetrunken hatte, fühlte ich mich wie in Watte gepackt und hatte sogar meine Probleme für den Moment vollkommen vergessen. Seelig lächelnd trank ich mein erstes Glas schließlich leer und wandte mich dann dem zweiten zu, das Taylor inzwischen vor mir abgestellt hatte. Damit tauchte ich nun vollends in eine heile Welt ein. Plötzlich streifte ein starker Arm meinen Ellenbogen. Ich blickte von meinem Glas auf, geradewegs in die strahlenden Augen eines völlig Fremden. Taylor erschien wie aus dem Nichts wieder hinter dem Tresen und ich beobachtete unauffällig, wie sich Mr Unbekannt ein Bier bestellte. Dann ließ er sich auf dem freien Barhocker neben mir nieder. Ich schaute mich in der Bar um, die mittlerweile gut gefüllt war, und versuchte mich dann wieder auf meinen Cocktail zu konzentrieren, doch mein Blick wanderte immer wieder wie von selbst zu dem Fremden hinüber, der nun lässig neben mir saß. Seine schlanken Finger schlossen sich jetzt um die Flasche, die Taylor gerade eben vor ihm abgestellt hatte. Er trug keinen Ring. Vielleicht lag es an den Cocktails, vielleicht aber auch daran, wie er die Flasche packte, an die vollen Lippen führte und trank, oder nur daran, dass ich mittlerweile leicht beschwipst war. Auf jeden Fall wurde mir bei seinem Anblick heiß. Sehr heiß. Ungeniert starrte ich ihn an. Er war wirklich, wirklich süß. Der Alkohol, den ich mittlerweile intus hatte, ließ mich mutig und selbstbewusst werden.

»Sind Sie allein hier?«, fragte ich und Mr Unbekannt schaute mich an, so, als würde er mich jetzt erst bemerken. An einem anderen Tag wären mir sein Blick und diese Situation mit Sicherheit peinlich gewesen. Aber heute schämte ich mich für nichts.

»Ja, ich hatte heute beruflich in der Gegend zu tun.« Das war alles, was er sagte, dann verfiel er wieder in Schweigen und wandte sich seinem Bier zu. Leise seufzend trank ich nun auch meinen zweiten Cocktail aus und stellte das leere Glas geräuschvoll ab.

»Darf es noch einer sein?«, fragte Taylor und lächelte charmant.

Ich kannte meine Grenze, noch ein Cocktail mehr und ich würde sie mit Sicherheit überschreiten. Aber was machte es schon?

»Ich hätte gerne noch einen Cosmopolitan«, erwiderte ich. Taylor nickte und machte sich sofort an die Arbeit. Während sich Taylor um meinen nächsten Cocktail kümmerte, meldete sich Mr Unbekannt zu Wort: »Meine Minibar ist fast leer. Ich glaube, das Zimmermädchen hat versäumt, sie aufzufüllen. Könnten Sie sich darum kümmern?«

Taylor zuckte kurz mit den Schultern. »Klar, ich gebe es gleich an den Zimmerservice weiter. Dann kümmert sich jemand darum.«

Mr Unbekannt nickte knapp und Taylor stellte derweil augenzwinkernd meinen Cocktail vor mir ab. Abermals gab ich ein »Danke« von mir und zog das Glas zu mir heran. Dann wandte ich mich an Mr Unbekannt und erkannte mich selbst nicht wieder.

»Meine Minibar ist noch halb voll. Sie können mit auf mein Zimmer kommen. Dann zeige ich sie Ihnen.«

Überrascht fuhr Mr Unbekannt zu mir herum und ließ die Flasche, die er gerade an seine Lippen führte, in Zeitlupe sinken. Sein Blick nagelte mich fest. Taylor suchte schmunzelnd das Weite. Er hatte also kapiert. Nicht enden wollende Stille breitete sich zwischen uns aus. Nur mein schneller Herzschlag verdeutlichte mir, dass das hier keine Fantasie war, sondern gerade wirklich passierte. Entweder es würde gleich richtig peinlich für mich werden oder wirklich gut.

»Ist es nur Ihre Minibar, die Sie mir zeigen wollen?«

Er ließ mich keine Sekunde aus den Augen und mir wurde ganz schwindelig. Ich umklammerte mein Glas ein bisschen fester und ging einfach aufs Ganze. Mein Mut war grenzenlos, als ich erwiderte: »Ich könnte Ihnen auch noch andere Dinge zeigen. Wenn Sie mögen …?«

Konnte ich einen Mann wirklich genauso ausnutzen, wie ich ausgenutzt worden war? Eine heiße Nacht und dann auf Nimmerwiedersehen verschwinden? Ich erkannte mich gerade überhaupt nicht wieder. Das war doch nicht ich! Oder vielleicht doch? Ich wusste nicht, ob ich mich vor der neuen Sienna verneigen oder sie fürchten sollte. Vielleicht ein bisschen von beidem.

»Ist das ein Angebot?«, fragte er nach und stellte seine Flasche ebenfalls zurück auf den Tresen.

Ich schindete Zeit und überlegte, dann antwortete ich: »Ich denke schon.«

Mit leicht gerunzelter Stirn schaute er mich an.

»Sprechen Sie wirklich von Sex?«

Herrje, brauchte er eine schriftliche Einladung? Wieder nickte ich, während mir die ganze Situation nun doch ein bisschen peinlich wurde, selbst in meinem umnebelten Zustand. Eingehend musterte er mich, schaute mich an, und da lag dieses Funkeln in seinen Augen, das eindeutig Interesse signalisierte. Mein Herz schlug wie wild in meiner Brust. Er würde nicht ablehnen, da war ich mir sicher. Mein Mund fühlte sich plötzlich ganz trocken an und mir wurde schwindelig. Aber dann verschwand dieses Funkeln plötzlich aus seinem Blick und er schüttelte langsam den Kopf.

»Tut mir leid. Ich schlafe nicht mit betrunkenen Frauen, die ich in einer Bar kennenlerne. Das liegt wirklich nicht an Ihnen. Aber das sind nun mal meine Prinzipien. Nichts für ungut.«

Er nickte mir kurz zu, ließ seine halbvolle Flasche Bier einfach auf dem Tresen stehen und suchte dann schnell das Weite, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihm her. Ich hingegen lief knallrot an. Ich wusste nicht genau, wo dieser Moment auf meiner Peinlichkeitsskala rangierte. Aber eines stand fest, er war ziemlich weit oben. Ich wünschte, unter mir würde sich ein schwarzes Loch auftun, das mich mitsamt diesem Barhocker verschluckte. Leider wurde ich enttäuscht. In wenigen Zügen trank ich meinen Cocktail leer und verließ ebenfalls die Bar. Ohne noch einmal aufzusehen verschwand ich schleunigst in mein Zimmer. Der einzige Gedanke, der mich an diesem Abend tröstete, war der, dass ich ihn nie wiedersehen würde.

Kapitel 3

Riley

»Danke, dass du extra hergekommen bist, um mir zu helfen«, sagte ich, während ich auf der Ladefläche meines Pick-ups stand und meinem Bruder kurz zunickte. Kane stand in der brütenden Sonne und wischte sich mit der behandschuhten Hand den Schweiß von der Stirn. Ich sprang von der Ladefläche des Pick-ups herunter.

»Kein Problem«, gab er murmelnd zurück und griff beherzt zu, um mir dabei zu helfen, ein Sideboard von der Ladefläche zu hieven. Geräuschvoll stellten wir den Schrank schließlich auf dem Boden ab.

»Okay, das war der letzte«, sagte ich und betrachtete meine neuesten Errungenschaften, bevor wir alles in die Werkstatt transportieren würden. Grinsend lehnte Kane an meinem Pick-up und zog die Arbeitshandschuhe aus.

»Kaum zu glauben, dass du es schaffst, aus diesem von Holzwürmern zerfressenen Abfall etwas Erstklassiges zu machen.«

Ich grinste ebenfalls. »Genau, warte erst bis ich die Schränke restauriert habe. Du wirst sie nicht wiedererkennen. Ich mag es einfach, aus Dingen, die andere als Müll betrachten, etwas Schönes zu machen.«

»Ja, und das kannst du wirklich gut. Wie wäre es mit einer Pause?«, schlug Kane vor. »Sonst verglühe ich noch in dieser Hitze.«

»Das Risiko will ich natürlich nicht eingehen. Na los, komm schon. Ich spendiere dir ein Bier.«

Heute war es wirklich heiß und ich konnte eine Abkühlung ebenfalls ganz gut gebrauchen.

Kane nickte lachend. »Hört sich super an. Dann helfe ich dir später sogar noch die Möbel in deine Werkstatt zu tragen.«

»Wow, wirklich gnädig«, gab ich zurück und gemeinsam schlenderten wir die Einfahrt entlang. Ich zog mir die Arbeitshandschuhe aus und stieg als Erster die Stufen zu meiner Veranda hinauf, die bei jedem meiner Schritte leise knarzten. Kane ließ sich auf einen meiner ramponierten braunen Ledersessel sinken, die auf meiner Veranda standen, während ich die Fliegengittertür aufstieß und nach drinnen verschwand, um für jeden von uns ein kaltes Bier zu holen. Einen Augenblick später ließ ich mich neben Kane in einen zweiten Sessel fallen, legte die Füße auf einem abgenutzten Tischchen ab und reichte ihm die offene Flasche. Er nahm sie nickend entgegen und blickte dann in meinen Garten hinaus. Schweigend nahm ich einen Schluck, während ich in Gedanken bei meinem neuen Auftrag war und an den Termin dachte, den ich heute unbedingt noch wahrnehmen musste.

»Was hältst du eigentlich von der alten Hanson Ranch? Ich habe gehört, dass sie immer noch zu haben ist«, fragte Kane plötzlich und ich warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Du meinst Seven Hills? Wie kommst du jetzt darauf?«

Während sich mein Bruder völlig entspannt in seinem Sessel nach hinten lehnte, wuchs meine Neugierde.

»Das Land ist wunderschön, das Haus soll allerdings ziemlich heruntergekommen sein. Aber kein Wunder, es steht schließlich seit Jahren leer«, gab ich zurück. Ich betrachtete Kane. Ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel und ich fragte mich, was mein Bruder im Schilde führte. Kane stellte seine Flasche auf dem Boden neben dem Sessel ab und legte nun ebenfalls die Füße hoch.

»Glaubst du Seven Hills wäre eine gute Investition?«

»Was hast du vor? Spielst du etwa mit dem Gedanken die Ranch zu kaufen? Was sagt Freya dazu?«

Kane schwieg. Daher fragte ich nach: »Du hast hoffentlich mit ihr über deine Pläne gesprochen.« Ich bekam nur ein Kopfschütteln von Kane und ich verdrehte die Augen.

»Oh Mann, Bruder, du musst wirklich noch eine ganze Menge über Beziehungen lernen.«

Kane lachte. »Kannst du dir Freya in Gummistiefeln vorstellen?«

Jetzt musste ich auch lachen. »Wohl kaum. Aber mal ernsthaft, Freya ist deine Verlobte, du solltest diese Dinge lieber mit ihr besprechen.«

Kane wurde augenblicklich ernst. »Freya wünscht sich, dass ich meinen Job auf der Ranch kündige und zu ihr nach Helena ziehe. Aber ich bin einfach kein Stadtmensch. Ich weiß nicht, wie sie sich das vorstellt. Welchen Job sollte ich in der Stadt annehmen? Es gefällt mir, den ganzen Tag draußen zu verbringen, und harte körperliche Arbeit stört mich nicht. Ich liebe das Farmleben. Aber der Gedanke, eine eigene Ranch zu haben, lässt mich einfach nicht mehr los, seitdem ich weiß, dass Seven Hills noch immer zu verkaufen ist.«

Ich atmete geräuschvoll aus. »Ich verstehe dich ja, aber du solltest Freya wirklich in diese Entscheidung einbeziehen.«

»Du klingst wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat«, bemerkte er.

Ich nahm meinem Bruder die Bemerkung nicht übel, denn ich wusste selbst, dass ich manchmal überfürsorglich war. Kane war erwachsen und er wusste selbst, was er tat. Zumindest hoffte ich es. Aber es war schwer, zu begreifen, dass er ohne meine Hilfe sehr gut zurechtkam.

»Ich will einfach nicht, dass du Schwierigkeiten bekommst«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.

Kane schwieg einen Moment. Seine Wangen färbten sich rot und ich wusste sofort, er hatte Mist gebaut.

»Ich denke, dafür ist es zu spät«, gab er murmelnd zurück.

Ich stieß einen leisen Fluch aus. »Hoffentlich machst du jetzt Witze!«

Kane verneinte und ich zweifelte ernsthaft an seinem Urteilsvermögen.

»Du hast Seven Hills doch nicht wirklich gekauft? Ich glaube, jetzt bist du völlig verrückt geworden! Was hast du dir dabei gedacht? Und was willst du mit dieser Farm anfangen? Du hast keine Ahnung, wie man einen Betrieb leitet.«

Kanes Lippen verzogen sich zu einem Strich, als er aufstand und die Hände in den Taschen seiner Jeans vergrub.

»Nur falls du es vergessen hast, ich arbeite seit Jahren auf einer Ranch. Also weiß ich sehr gut, auf was es ankommt.«

Ich schnaubte ärgerlich, denn ich fürchtete ernsthaft, mein kleiner Bruder würde in seinen eigenen Untergang rennen.

»Aber eine Farm zu leiten, ist etwas völlig anderes«, gab ich ungehalten zurück. »Du wirst Mitarbeiter brauchen, Geld, viel Geld. Und was hast du eigentlich genau vor, willst du Viehfarmer werden oder was?«

Kane hatte schon als Kind ständig unüberlegte Dinge getan. Aber mit dieser Aktion hatte er wirklich übertrieben. Ich dachte an Freya. Wenn sie von der Sache Wind bekam, würde sie Kane mit Sicherheit einen Kopf kürzer machen. Kane lehnte sich an mein Verandageländer und verschränkte die Arme vor der Brust, während er mit den Schultern zuckte.

»Ich bin mir noch nicht sicher«, gab er zu und ich erwiderte sofort: »Na, das war ja mal wieder typisch. Wann wirst du je zuerst nachdenken und dann handeln?«

»Jetzt komm mal wieder runter. Ich habe eine Menge Ideen, aber ich bin noch nicht sicher, welche ich umsetze.«

»Na, da bin ich aber mal gespannt.«

»Spar dir deinen Sarkasmus. Ich weiß, was ich tue.«

»Nimm es mir nicht übel, aber so wirkst du nicht gerade.«

Ich atmete tief durch. Schließlich sollte ich Kane lieber unterstützen, anstatt ihm die Hölle heiß zu machen. War das nicht eben noch mein Vorsatz gewesen?

»Also, jetzt erzähl mir schon von deinen großartigen Ideen!«, sagte ich seufzend.

Kane schmunzelte leicht. »Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann.« Seine Augen leuchteten auf, als er mir von seinen Plänen und Träumen erzählte, und je länger er mir davon berichtete, desto mehr begriff ich, dass ich ihn vielleicht lieber bewundern sollte, als ihn für verrückt zu erklären, denn er hatte wenigstens noch Ziele. Als er fertig war, musste ich zugeben, dass seine Ideen besser waren, als ich ihm anfangs zugetraut hatte.

»Abenteuerurlaub hört sich gut an«, gab ich anerkennend zurück.

Kane nickte eifrig. »Ja, du wirst nicht glauben, wieviel Geld die Leute ausgeben, um auf einer Ranch Urlaub zu machen und sogar mit anzupacken, um gleichzeitig zu erfahren, wie die Arbeit läuft.«

Kane strahlte voller Vorfreude und mich packte für einen Moment das schlechte Gewissen, weil ich ihn gerade so derb angefahren hatte. Aber mein Bruder schien das schon wieder vergessen zu haben. Er hatte sich an meine Launen gewöhnt. Wann war ich eigentlich zu einem Pessimisten mutiert? Der Gedanke an Rachel setzte sich in meinem Kopf fest und mir wurde das Herz schwer. Sie zu verlieren hatte mich verändert.

»Vielleicht versuche ich mich auch in der Pferdezucht.«

Die Worte meines Bruders lenkten mich von meinen trüben Gedanken ab und ich kehrte in die Gegenwart zurück.

»An welche Rasse denkst du?«

»American Quarter Horse.«

Ich nickte. »Hört sich gut an. Du solltest trotzdem vorher mit Freya sprechen. Schließlich werdet ihr bald heiraten.«

Kane seufzte und ließ sich wieder auf meinem bequemen Sessel nieder.

»Ich glaube, sie wird total sauer auf mich sein.«

Ich lachte laut auf. »Das hättest du dir wohl eher überlegen sollen«, gab ich neckend zurück und mein Bruder schnitt eine Grimasse.

»Ach komm schon. Steck den Kopf noch nicht in den Sand. Vielleicht findet sie deine Ideen gar nicht so schlecht. Du musst es nur schaffen, sie zu überzeugen. Dürfte dir doch nicht besonders schwerfallen, oder?«

Kane schnaubte. »Okay, wem machen wir hier eigentlich etwas vor? Freya hasst das Landleben. Sie wird völlig ausflippen.«

»Warum hast du dann vorschnell gehandelt? Eine solche Entscheidung sollte man sowieso nicht einfach überstürzen.«

Kane lehnte sich in seinem Sessel zurück, während er kurz mit den Schultern zuckte.

»Ich weiß nicht, ich habe mich einfach in dieses Stückchen Land verliebt und wollte endlich etwas Eigenes besitzen. Etwas tun, wovon ich schon immer geträumt habe. Gerade du solltest das doch am besten wissen. Du hast dir schließlich auch nicht reinreden lassen, sondern hast deine eigene kleine Werkstatt aufgemacht, anstatt im Betrieb von Rachels Eltern zu arbeiten.«

Kane kannte wirklich alle meine Schwachstellen.

»Das stimmt, aber das hat mir Rachels Vater auch immerzu vorgehalten. Allerdings bereue ich diese Entscheidung trotzdem nicht. Na gut, wenn du meine Hilfe brauchst, bekommst du sie. Nur bei deinem klärenden Gespräch mit Freya kann ich dir nicht helfen. Das musst du selbst auf die Reihe bekommen.«

Kane stöhnte theatralisch auf. »Genau das hatte ich befürchtet. Aber mit Freya werde ich schon fertig«, fügte er nun leicht schmunzelnd hinzu und erhob sich jetzt wieder von seinem Platz.

»Wir sollten aufhören zu quatschen, sondern lieber die Möbel und das Holz in deine Werkstatt tragen.«

Ich nickte, stand nun ebenfalls auf und folgte Kane, der bereits die ersten Stufen meiner Veranda hinunterging. Währenddessen warf ich einen schnellen Blick auf meine Armbanduhr.

»Wir müssen uns wirklich beeilen, sonst komme ich zu spät zu meinem Termin mit Maureen Parker.«

Kane blieb stehen und ich holte schnell auf. Sein breites Grinsen verriet mir genau, was er dachte.

»Welche Geschäftsidee hat sie denn jetzt schon wieder?«, wollte er neugierig wissen.

Maureen gehörte die einzige Tankstelle in Riverside. Wenn man die zwei Zapfsäulen denn als solche bezeichnen konnte. An die Tankstelle schloss sich ein Laden an, in dem Maureen zugegeben allerhand nützlichen, aber eben auch eine Menge unnützen Kram verkaufte. Ihre neueste Geschäftsidee, selbstgemachte Marmelade. Ich erzählte Kane von Maureens Idee, daraufhin verstärkte sich sein Grinsen.

Abwehrend hob ich die Hände. »Mich brauchst du gar nicht so anzustarren. Ich fertige für Maureen nur die dafür benötigten Regale und einen kleinen Verkaufstresen.«

»Eine Tankstelle, in der selbstgemachte Marmelade zu haben ist. Das gibt es wirklich nur in einer verschlafenen Kleinstadt wie Riverside«, meinte Kane leicht kopfschüttelnd und fügte hinzu: »Kein Wunder, dass Freya das Kleinstadtleben nicht besonders anziehend findet.«

Jetzt war es an mir zu lachen und ich erwiderte in sarkastischem Tonfall: »Vielleicht hast du Glück und sie findet das Leben auf einer Ranch mitten im Nirgendwo erfüllender.«

»Ja, ja. Du bist wirklich witzig.«

Kane stapfte neben mir her zu meinem Pick-up, neben dem die Möbel, die wir vorhin abgeladen hatten, noch immer standen. Ich streute ein bisschen Salz in seine Wunde, indem ich sagte: »Ich wäre zu gerne dabei, wenn du ihr von Seven Hills erzählst.«

»Du solltest deinen Mund halten, sonst bin ich hier im Nullkommanichts verschwunden und du kannst sehen, wie du deinen Kram allein in deine Werkstatt schaffst«, drohte er.

Ich verkniff mir mein Lachen und hob entschuldigend die Hände. Ich gelobte Besserung und versprach ihm hoch und heilig, mich nicht mehr über dieses Thema lustig zu machen. Kane nickte langsam. Doch an seinem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass er wohl skeptisch blieb.

»Machen wir uns an die Arbeit. Sonst kommst du wirklich noch zu spät zu deinem Termin mit Maureen. Hat sie dir schon erzählt, dass ihre Tochter bald zurückkommt?«, wechselte Kane geschickt das Thema.

Ich schüttelte den Kopf, während ich mir meine Arbeitshandschuhe überstreifte. »Nein, bis jetzt noch nicht.«

»Dann wird sie dir sicherlich gleich ausführlich darüber berichten.«

Missmutig verzog ich die Lippen. Ich hatte keine Lust auf Kleinstadttratsch. Nur aus Neugierde fragte ich meinen Bruder: »Wo war ihre Tochter denn bis jetzt?«

Kane schien kurz nachzudenken. »Wenn ich mich recht erinnere, hat sie etwas von San Francisco erzählt. Sie kommt wohl ganz spontan nach Riverside zurück. Maureen ist richtig aufgeregt.«

Ich nickte kurz angebunden und hatte den Teil unserer Unterhaltung einen kurzen Augenblick später wieder vergessen. Kane zog sich unterdessen ebenfalls die Handschuhe über. Wir beide schnappten uns den ersten Schrank und schleppten ihn in Richtung Werkstatt.

»Da wir gerade von Frauen reden«, sagte Kane schnaufend, »wie sieht eigentlich dein Liebesleben aus?«

»Ist nicht vorhanden«, gab ich ebenfalls keuchend zurück.

»Dann solltest du in Erwägung ziehen, etwas dagegen zu tun. Dann bekommst du auch bessere Laune.«

Auf Kanes Gesicht breitete sich ein kleines verschmitztes Lachen aus, während ich abwehrend den Kopf schüttelte.

»Lass einfach gut sein«, bat ich ihn und seufzte leicht. Sein Lächeln verschwand. Kane klopfte mir entschuldigend auf den Rücken, als wir den Schrank abgestellt hatten.

»Du weißt doch hoffentlich, wie ich es eben gemeint habe.«

Langsam nickte ich. »Schon okay. Lass uns einfach nicht mehr darüber reden.«

Gemeinsam liefen wir nach draußen, um die restlichen Möbel nach innen zu tragen. Ich dachte an den Moment im Motel gestern Abend zurück. Mir kamen die Blondine und ihr verlockendes Angebot in den Sinn. Es war nicht schwer, mir ihren Anblick in Erinnerung zu rufen. Leicht zerwühlte Haare, als hätte sie gerade ein Nickerchen gemacht, vom Alkohol gerötete Wangen, volle rote Lippen. Ein Augenaufschlag, der mir für einen Augenblick schlicht und einfach den Atem geraubt hatte und ein Lächeln, das mich bis in meine Träume verfolgte. Ich hatte das Ja schon auf den Lippen gehabt und es hätte wirklich nicht viel gefehlt und ich hätte es auch ausgesprochen. Doch dann hatte ich an Rachel denken müssen. Und ich hatte doch lieber abgelehnt. Nach Rachel wollte ich mit keiner anderen mehr zusammen sein. Das klang einfach und war doch irgendwie unendlich schwer. Ich atmete tief durch, verdrängte meine verrückten Gedanken. Darüber zu grübeln war doch sinnlos. Ich würde die Frau von gestern Abend nie wiedersehen. Also warum sich darüber den Kopf zerbrechen? Energisch packte ich zu und trug mit Kane die restlichen Möbel in meine Werkstatt.

Als ich später die Tür meiner Werkstatt abschloss und Kanes Wagen nachsah, der gerade aus meiner Einfahrt fuhr, musste ich abermals an den letzten Abend denken. Irgendwie bekam ich die Frau einfach nicht aus meinem Kopf. Es war schwer, es mir einzugestehen, aber das spontane Angebot der Unbekannten hatte mich mehr in Versuchung geführt als gedacht. Ich hätte annehmen sollen, schoss es mir erneut durch den Kopf. Keiner in Riverside hätte von dieser Nacht erfahren und ich wäre nicht zum Mittelpunkt des Dorfklatsches geworden. Aber ich hatte trotzdem abgelehnt. Es war nicht einfach, über seinen eigenen Schatten zu springen. Kane hatte vielleicht doch recht. So banal es auch klang: Das Leben sollte doch weitergehen. Es musste weitergehen. Doch was keiner verstand: Ich war einfach noch nicht bereit Rachel loszulassen. Ein Jahr und fünf Monate war es jetzt her, dass sie gestorben war und ich konnte sie einfach nicht gehen lassen. Das Haus sah aus, als wäre sie nur kurz weggegangen und würde gleich zurückkommen. Rachels Handtasche stand noch in unserem Flur. Ihr Schmuck lag im Badezimmer und in unserem gemeinsamen Kleiderschrank hingen alle ihre Sachen. Nur kam sie nicht zurück. Sie war gegangen, für immer, und hatte mich und ihre Familie allein gelassen. Am Ende war der Krebs stärker gewesen und ich hatte es nicht geschafft, ihre persönlichen Dinge zu entsorgen. Es wäre mir wie Verrat vorgekommen. Und genauso verhielt es sich mit Dates. Ich war einfach noch nicht bereit für etwas Neues. Aber würde ich es denn je sein? Mir schnürte es die Brust zusammen, als ich den Schlüssel aus dem Türschloss meiner Werkstatt zog und zu meinem eigenen Pick-up hinüberging, der noch im Schatten der uralten Eiche, die neben meinem Haus stand, geparkt war. Wann würden diese Gefühle je aufhören? Wann würde ich endlich keine Wut, keinen Schmerz mehr verspüren? Die Zeit sollte alle Wunden heilen. Bei mir war das nicht der Fall. Ganz im Gegenteil, es fühlte sich eher so an, als würde es immer nur schlimmer und schlimmer werden. Manchmal hatte ich das Gefühl, Einsamkeit und Trauer würden mich innerlich auffressen. Ich wollte Rachel zurückhaben, alles Menschenmögliche würde ich dafür tun. Diese Gedanken waren verrückt und völlig sinnlos und doch kamen sie mir immer wieder. Kopfschüttelnd öffnete ich die Tür meines Autos und stieg ein. Wen kümmerten schon meine Gedanken. Die Menschen in Riverside hielten mich sowieso für irre. Manchmal konnte ich es ihnen nicht einmal verdenken. Ich wusste, dass sie über mich sprachen, mich bemitleideten. Das war eigentlich das Schlimmste. Wie lange war es angemessen zu trauern? Ein halbes Jahr? Ein Jahr? Was war richtig, was war falsch? Manchmal hatte ich das Kleinstadtleben satt. Aber weggehen wollte ich auch nicht. Ich hatte unser Haus, meine Werkstatt und so wie es aussah, würde Kane bald ebenfalls in der Nähe von Riverside leben. Dann war wenigstens ein kleiner Teil der Familie wieder zusammen. Gedankenversunken steuerte ich meinen Pick-up aus der Einfahrt und machte mich auf den Weg zu Maureens Gas & Go. Sie würde mich mit ihrem Geplapper schon auf andere Gedanken bringen. Ein kleines Lächeln glitt über mein Gesicht. Vielleicht war das Kleinstadtleben doch nicht so schlecht, dachte ich. Okay, schien so, als würde ich wirklich langsam verrückt werden.

Sienna

Die Abfuhr von Mr Unbekannt hatte mehr geschmerzt als gedacht, und ich war etwas länger im Motel geblieben, um meine Wunden zu lecken. Noch nie hatte ich jemandem ein derartiges Angebot gemacht, und dass er abgelehnt hatte, war verletzend gewesen. Mein Selbstbewusstsein war echt am Boden. Da war ich also, Sienna, die größte Verliererin aller Zeiten. Brandon hatte mich reingelegt und Mr Unbekannt war aus der Bar geflüchtet, als hätte ich die Pest. Was sagte das wohl über mich aus? Ich versuchte meine Blamage so gut es ging zu vergessen, bezahlte meine Hotelrechnung, stieg in meinen Wagen und machte mich schließlich auf den Weg nach Riverside. Als ich jetzt ganz langsam die Hauptstraße, die den Namen eigentlich kaum verdient hatte, entlangfuhr, stellte ich mit Schrecken fest, dass sich hier scheinbar nichts verändert hatte. Doch was hatte ich eigentlich erwartet? Riverside hatte noch nie viel zu bieten gehabt. Eine Schule mit angeschlossenem Sportplatz, die Stadtverwaltung, eine Kirche, in welche die Leute an jedem Sonntag pilgerten, um Pfarrer Wickham beim Predigen zuzuhören. Einen Friseursalon, einen kleinen Lebensmittelladen, ein Kino, das seine besten Zeiten schon Anfang des Jahrhunderts hinter sich hatte, Joes Diner, die Tankstelle und die Werkstatt meiner Eltern und das Steak and Grill House. Tolle Aussichten, mein Herz machte nicht gerade einen Sprung, als ich den Blinker setzte und schließlich an der Tankstelle meiner Mom anhielt. Laut seufzend zog ich den Schlüssel aus dem Schloss. Der Motor erstarb und mein Blick glitt zu dem Flachbau, der sich nahtlos an die Tankstelle anschloss. Es handelte sich um die kleine Werkstatt, die meinem Dad gehörte. Das große Tor stand offen und ich sah, dass ein Auto auf der Hebebühne stand. Dann tauchte der dunkle Haarschopf meines Dads auf und ich verspürte zum ersten Mal an diesem Tag Freude. Es war schön, ihn wiederzusehen. Er war das genaue Gegenteil von meiner Mom. Ruhig, gelassen und er besaß im Umgang mit Menschen das nötige Feingefühl. Das war meiner Mom scheinbar bei ihrer Geburt abhandengekommen. Aber egal, gerade diese Unterschiede machten sie beide so besonders und ich liebte sie über alles. Und jetzt merkte ich erst richtig, wie sehr ich die beiden vermisst hatte. Gerade als ich ausstieg und die Fahrertür zuschlug, kam mein Dad aus seiner Werkstatt über den kleinen Schotterhof gelaufen. Er strahlte über das ganze Gesicht, als er mich erblickte. Sofort breitete er seine starken Arme aus und ich lief zu ihm. Lachend schmiegte ich mich an ihn und hielt ihn fest, ließ mich von ihm drücken. Es fühlte sich gut an, wieder zu Hause zu sein. Nach dieser ausgiebigen Umarmung hielt mein Dad mich auf Armeslänge von sich. Er schaute mich lächelnd an. »Schön, dass du wieder da bist«, sagte er und schwieg dann. Keine Vorwürfe, keine Fragen. Für dieses Schweigen war ich ihm unendlich dankbar. Aber so war er schon immer gewesen. Schon früher hatte ich immer das Gefühl gehabt, er wusste auch ohne zu fragen, was mich bekümmerte, und dass er mich jetzt nicht löcherte und auszuquetschen versuchte, war beruhigend und ich war unheimlich froh darüber.

»Ich finde es auch schön«, gab ich zurück und fragte dann: »Ist Mom drüben im Laden?«

Mein Dad grinste noch ein bisschen breiter, als er nickte. »Ja, ist sie. Komm lass uns zu ihr gehen. Du musst dir unbedingt ihre neueste Geschäftsidee anhören.«

Oh nein, dachte ich und verdrehte die Augen. Das Lächeln auf Dads Gesicht wurde angesichts meiner Geste nur noch breiter. Auf welche verrückte Idee war Mom nun schon wieder gekommen? Meine Mom hatte sich schon in vielem versucht. Eine Zeit lang hatte sie jeden Abend ihre eigenen Seifen kreiert und im Laden verkauft. Das ging so lange gut, bis sie die nächste Idee hatte. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte sie sich dann in der Schmuckherstellung versucht. Sie hatte Ohrringe und Ketten gebastelt und versucht, sie im Laden unter die Leute zu bringen. Was ich allerdings niemals vergessen werde, war das exzessive Stricken gewesen. Wir hatten uns vor selbst gemachten Schals, Mützen, Handschuhen und Socken nicht retten können. Und jetzt hatte sie also etwas Neues gefunden.