La Catherine - Franziska Löpfe - E-Book

La Catherine E-Book

Franziska Löpfe

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Beschreibung

Die aus der Ich-Perspektive erzählte Geschichte handelt von einer jungen Frau, die 1970 aus dem Walliser Bergdorf Fiesch nach Genf auswandert. In einer ersten Lehre lernt sie kopieren, berechnen und Kaffee kochen. Nach einem Ferienaufenthalt in Finnland entdeckt sie ihr Interesse für Architektur und findet anschliessend eine andere Lehrstelle in einem Architekturbüro in Genf. Das soziale Leben der jungen Frau vom Dorf ändert sich in der anonymen Grossstadt radikal. Sie wird mit anderen Lebensformen konfrontiert, lernt die Liebe kennen und sucht ihren eigenen Weg. Die wilden siebziger Jahre in der Schweiz und wie sie eine junge Frau erlebte, die vom Land in die Grossstadt kam, werden mit Distanz und Leichtfüssigkeit auf beeindruckende Art erzählt. La Catherine ist der erste Roman von Franziska Löpfe.

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Seitenzahl: 122

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Franziska Löpfe

La Catherine

verlag die brotsuppe

Franziska Löpfe

LaCatherine

Roman

verlag die brotsuppe

für Vera, Emilie und Esther

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Die Autorin

1

Frühjahr 1970

Das Gebimmel des Signals verstummt, der kleine rote Zug mit den drei Wagen kommt quietschend zum Stehen. Ich schaue mich um. Vor mir, etwas unterhalb, liegt mein Dorf mit seiner alles überragenden Kirche, hinter mir braungebrannte kleinere Häuser und Ställe. Sie kauern am steilen Hang, wie böse Geister starren sie auf mich und meinen Koffer aus geflochtenem Bast, der von zwei Lederriemen zusammengehalten wird. Ich packe ihn am Holzgriff, hieve ihn die zwei Stufen hoch auf die Plattform, steige hinterher und verstaue ihn im Gepäcknetz. Dann setze ich mich in Fahrtrichtung hin, betrachte die anderen Passagiere, die ich alle kenne wie sie mich. Es sind Arbeiterbauern, die in die Düngemittelfabrik Lonza fahren, um zusätzliches Geld zu verdienen. Zwanzig Jahre früher ging noch niemand in eine Fabrik arbeiten, alle Lebensmittel und einen grossen Teil der Gebrauchsgüter stellten meine Vorfahren selber her, Getreide, Milch und Fleisch, Gemüse, Obst, Wolle, Hanf und Leinen für die Kleider, Leder für die Schuhe. Bloss Salz und Eisenwaren mussten sie kaufen oder tauschen. Heute brauchen wir Geld. Wir sind modern geworden.

Als der Zug zu ruckeln beginnt, schaue ich zurück, sehe eine Gruppe Kinder mit Taschentüchern winken. Mein jüngerer Bruder Arnold und vier meiner kleinen Schwestern stehen auf dem Kirchplatz vor unserem Elternhaus, das vom Pfarrhaus fast verdeckt wird. In diesem Haus wurden wir alle geboren. Schnell stehe ich auf, ziehe das Fenster herunter, so weit wie möglich, winke zurück. Arnold will bald nachkommen, doch die kleinen Schwestern werden ganz auf sich gestellt sein. Ich werde sie vermissen, doch die Erleichterung überwiegt. Ich werde mich nicht mehr um sie zu kümmern brauchen. Der Fahrtwind trocknet meine Tränen, bevor sie über die Wangen rollen können. Als das Haus hinter der nächsten Kurve verschwindet, setze ich mich wieder hin. Von nun an schaue ich nur noch nach vorn. Ich bin sicher, dass sich der Vorhang beim Küchenfenster nicht bewegt hat.

Meine Mutter will mir nicht Adieu sagen. Sie lässt mich ohne Segen ziehen. Sie will nicht einmal heimlich sehen, wie ich wegfahre. Vater hat irgendwann nachgegeben, den Vertrag für das Haushaltslehrjahr in Genf unterschrieben. Nun beim Abschied steckt er mir eine Zwanzigernote zu, viel Geld, für mich und für ihn, sagt, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen, »à Dieu«.

Mir ist nicht nach Versöhnung. Ich habe seine andere Prophezeiung im Ohr: Du wirst wie alle anderen rauschgiftsüchtig oder schwanger aus Genf zurückkommen. Das ist ein Fluch.

Mein grosser Bruder ist mir böse. Er bleibt. Er soll die Landwirtschaft übernehmen. Immerhin darf er an die Bauernschule. Im Dorf sind sie der Meinung, ich ginge in die Stadt, weil mir ihre Gesellschaft zu wenig sei. Stimmt. Ich wolle halt keinen Hiesigen heiraten, habe sowieso nur Kino und Tanzen im Sinn. Stimmt. Aber bin ich eine Schlampe, wenn ich eigenes Geld verdienen will, etwas lernen, vorwärtskommen, Spass haben? Ich käme bestimmt mit einem Lackaffen aus der Stadt zurück, sagen sie. Stimmt nicht. Mein Bruder schämt sich meinetwegen, verleumdet mich. Auch seinetwegen meidet mich die Dorfjugend. Seit feststeht, dass ich wirklich gehe.

Besonders schlimm, bei allen Kämpfen, hatten sich meine beiden älteren Schwestern benommen. Unter Tränen hatten sie mich gebeten, dem Familienfrieden zuliebe dort zu bleiben und nachzugeben. Wäre es nach ihnen gegangen, hätte ich auf Mutter hören sollen. Heuchlerinnen, alle beide, denn eigentlich kam es ihnen gerade recht, dass Mutter damit drohte, nicht mehr meine Mutter sein zu wollen, wenn ich wegginge, um bei fremden Leuten zu dienen. Ich bin ihre älteste Tochter und ihr die liebste. Meine Auseinandersetzungen mit dem Vater hatten Ringkämpfen geglichen, die Schwestern hatten gespannt zugeschaut, schadenfreudig, wenn ich im Sägemehl lag, und anfeuernd, wenn ich gut parierte. Wirklich geholfen haben sie mir nie.

Ich bin fast auf den Tag genau sechzehn Jahre alt und will nie wieder zurückkommen.

Ich hoffe, in Genf Menschen zu finden, solche wie unsere früheren Nachbarn aus der Stadt, die wegen des Kraftwerks ins Tal gekommen waren und schon wieder weg sind. Ich will einen Beruf lernen, Geld verdienen und mir die vielen schönen Dinge kaufen, die ich bei ihnen gesehen habe.

In vier Stunden werde ich in Genf ankommen und von meiner Lehrmeisterin abgeholt werden. So ist es ausgemacht. Schaue ich aus dem Fenster, ziehen bekannte Dörfer und Weiler an mir vorbei, die vertraute Landschaft, ein letztes Mal. Bequem ist es, so zu reisen, statt mit schweren Lasten unterwegs zu sein, mit den Geschwistern und den Tieren und einer Strickarbeit dabei.

Ich bin müde, muss bald umsteigen. Vom Bahnsteig der Furka-Oberalp-Bahn in Brig eile ich über den mächtigen Platz zum Bahnhof der Schweizerischen Bundesbahnen, frage einen Schaffner nach dem richtigen Gleis. Der Schnellzug nach Genf steht bereit. In einem leeren Viererabteil lasse ich mich erschöpft auf den Sitz fallen und schlafe sofort ein.

2

Ein luftiger Berg aus Seifenschaum wuchert vor meinen Augen über den Rand des Chromstahlbeckens. Ein Knistern ist zu hören, einzelne Blasen platzen. Ich bin fasziniert. Kann so ein Schaumberg die ganze Küche ausfüllen, in Madames Salon dringen, in Monsieurs Studierzimmer? Diese Vorstellung bringt mich zum Lachen.

»Nicht zu viel, es soll nur leicht schäumen«, hatte mich Madame in der fremden Sprache angewiesen. Ich verstehe fast alles, was sie mir mit schnellen Worten sagt, mit Gesten vormacht. Aber heute will ich viel, viel Schaum haben. Ich spritze mehr Spülmittel ins Becken, drehe den Hahn wieder auf. Der Schaum türmt sich. Ich schnappe danach, werfe Fetzen davon in die Luft, fühle mich wie damals, als die Nachbarskinder aus der Stadt mit uns Seifenblasen geteilt hatten. Sie hatten von ihrer Mutter so viel flüssige Seife für ihre Blechröhrchen erhalten, wie sie nur wollten. Schön waren sie gewesen, diese schwebenden, im Sonnenlicht glänzenden Seifenblasen. Wir hatten versucht sie zu fassen, was uns manchmal gelang. Doch in unseren Händen waren sie sofort zerplatzt, unermüdlich prüften wir immer und immer wieder, ob sie nicht ein einziges Mal ganz bleiben könnten. Doch war es nicht gerade das Platzen der Glitzerkugeln gewesen, das uns Kinder trotz der kleinen Enttäuschung immer wieder vor Lust hatte aufjauchzen lassen?

Ich bin nun die Bonne hier und muss vieles tun, was mir ein wenig lächerlich vorkommt. Noch keine einzige richtige Arbeit gab es zu verrichten. Nie sind wir draussen. Sie haben ja keine Tiere in der Stadt. Nichts, was ich von der Mutter gelernt habe, gilt hier. Beim ersten Mal Abwaschen, an meinem Reisetag, stand ich vor einem Geschirrberg aus Tellern und Tellerchen, Schalen und Schälchen, diversem Besteck und verschiedenen Gläsern. Ich suchte vergeblich nach dem Kessel mit dem Schweinefutter. Die Essensreste, auch Brotreste, kippt Madame von den Tellern und Schüsseln in den Kehricht und spült das Geschirr kalt ab. Alles weg, durch den Ausguss. Danach füllt sie ein Chromstahlbecken mit handwarmem Schaumwasser, ins andere daneben kommt kochend heisses Wasser.

»Gläser, Besteck, Teller und Schüsseln musst du in dieser Reihenfolge, das ist wichtig, im warmen Wasser mit Spülmittel waschen, dann mit heissem Wasser nachspülen. Die Pfannen kommen zuletzt. Stell alles auf das Gitter, so kann das Wasser abtropfen. Madeleine wird dir helfen, bis du es alleine kannst, sie wird mit dir abtrocknen und die Sachen im Geschirrschrank verstauen.«

Madeleine, ihre zwölfjährige Tochter, ist dann tatsächlich zu mir in die Küche gekommen und hat mit einem weissen, gebügelten Geschirrtuch, so eines hat bei uns nur der Pfarrer für den Messbecher, die Gläser und das Silberbesteck glänzend gerieben. Mit einem anderen Tuch, einem rotweiss karierten, hat sie die Teller und die Schüsseln abgetrocknet. Die Pfannen waren von ihr mit einem sauberen Lappen behandelt worden und im Küchenschrank verschwunden. Alles Übrige, und das war viel, hatte sie auf einen Servierboy gelegt und mit knatternden Rädern ins Esszimmer gerollt. Ich hatte verwundert zugeschaut. Im Schrank, aus Nussbaumholz, gibt es drei mit Samt ausgeschlagene Schubladen, in denen das Tafelsilber aufbewahrt wird. Madeleine hatte mir alles erklärt, ruhig und langsam und voller Stolz. Ich hatte sie besser verstanden als Madame. Sie sei die Älteste und gehe seit kurzem aufs Gymnasium, hatte sie erzählt. Darum hätte sie bald keine Zeit mehr für diese Arbeiten. Die schönen Teller hätte ihnen die Grossmutter gekauft.

Noch heute, zwei Monate später, habe ich grossen Respekt vor all diesen Dingen und wage es nicht, sie so anzufassen, wie ich zu Hause Dinge anfasse. Nicht auszudenken, dass ich einen der edlen Teller, auf deren Unterseite Alt-Strassburg steht, fallen liesse.

Niemand ist da. Ich lasse ganze Lawinen von Schaum über die Beckenränder fliessen. Ich hätte gern Gesellschaft. Meine kleinen Schwestern wären begeistert. Ich forme aus Schaum eine Krone, bin die Schneekönigin oder gar die Mutter Gottes. Im Badezimmerspiegel schaue ich zu, wie die Krone zusammenfällt und schmilzt.

3

Das Kochen übernimmt meist Madame. Monsieur hat so seine Gewohnheiten.

Bei Tisch sitzen wir zu sechst, oben Monsieur, zu seiner Linken Madame, gegenüber auf der Bank Madeleine, die Tochter, und André, der ältere Sohn. Unten, nahe bei der Tür zur Küche, sitze ich. Zwischen mir und Madame ums Eck ist Manuels Platz. Er ist der Jüngste, erst fünf Jahre alt. Ich kümmere mich um ihn, helfe ihm beim Schneiden von Fleisch oder Spaghetti, wenn Madame grad nicht auf ihn achtet, weil sie mit Monsieur oder ihren Grossen spricht. Oder ich blase auf seine Speisen, um sie zu kühlen, wenn sie noch zu heiss sind. Im Übrigen mache ich mich dünn, esse wenig und möglichst lautlos. Ich höre wie Madame ihre Kinder zurechtweist. Sie sollen nicht schmatzen, nicht mit offenem Mund kauen, die Ellbogen vom Tisch nehmen, Speisen nicht mit den Fingern berühren, nur reden, wenn sie gefragt werden, bitte und danke sagen und auf keinen Fall einen Satz mit ich will beginnen. All das ist mir neu und es schüchtert mich ein. Lieber würde ich in der Küche essen, aber die Küche ist zu klein. Sie ist so winzig klein, dass kein Tisch oder Stuhl darin Platz findet, und sie hat keine Fenster. Immer brennt das Deckenlicht. Dafür hat es einen elektrischen Herd, bei dem ich bloss an den Knöpfen zu drehen brauche, damit er heiss wird. Leider fällt es mir schwer, mir zu merken, an welchen Knöpfen ich drehen muss. Darum prüfe ich mit der Hand, welche Platte heiss geworden ist. Kein Holz knistert im Ofen und niemand singt. Ich mache hie und da Wasser heiss für Tee oder Kaffee, wärme Milch oder abends etwas Kleines für die Kinder, wenn Monsieur und Madame ausgehen. Viel Zeit verbringe ich täglich mit dem Abwasch und dem Putzen. Alles muss glänzen und gut riechen. Auch Madame riecht immer frisch und das Badezimmer ist voller Dosen und Döschen und Flacons mit Zerstäubern.

Unsere Küche zu Hause ist auch nicht besonders hell, doch eine grosse Familie und ihre Besucher finden darin Platz. Wenn der Kamin bei schlechtem Wetter nicht gut zieht, ist sie verraucht. Es riecht nach Essen, nach Erde, nach Menschen und Tieren. Manchmal spaziert ein Huhn herum und die Katzen fressen geräuschvoll aus ihrem Futternapf in der Ecke. Wir dürfen so sitzen und essen, wie wir wollen. Widerreden, vor allem dem Vater, ist verboten, aber laut lachen und erzählen nicht. Ich vermisse unsere Küche und das Leben darin. Dass wir Mädchen Vater und Brüder bedienen müssen, ist zwar ärgerlich. Doch wenn alle etwas im Teller haben, essen wir zusammen und ruhen uns aus, hungrig von der Arbeit auf den Feldern und im Stall. Es wird nichts weggeworfen. Aus den Resten bereitet Mutter Suppen zu und die Abfälle samt dem Spülwasser bekommen die Schweine.

Bei Sarasins hier in Genf wird wenig geredet bei Tisch. Monsieur liest Zeitung, schon vor und auch nach dem Essen, und wünscht, dabei nicht gestört zu werden. Er liest »Le Temps« und die »Neue Zürcher Zeitung«, die dreimal täglich erscheint.

»Pssst, Vater braucht Mittagsruhe.«

Punkt halb eins hört man vom Wohnzimmer her zwei tiefe und einen hohen Ton. Dann erhebt sich Monsieur und stellt das Radio an. Die Tischrunde verfällt in noch tieferes Schweigen. Eine monotone Stimme verliest die Nachrichten.

Dabei betrachte ich meine Genfer Familie. Madeleine, im Stillen nenne ich sie Lena, mag ich gern, ausser wenn Freundinnen zu Besuch sind und ihre Eltern ausser Haus. Dann verziehen sich die Mädchen ins Wohnzimmer, schliessen die Tür ab, kichern, essen Biskuits und Schokolade, obwohl Madame das nicht erlaubt. Sie drehen an Vaters Radioknöpfen und hören laute Musik, Radio Sottens. Sie verrücken die Sessel und tanzen herum. Ich weiss dann nicht, wie ich mich verhalten soll. Am liebsten würde ich mitmachen, aber das darf ich nicht. Ich trage Verantwortung und erinnere Lena an Madames Regeln. Sie lacht mich aus. Einmal hat sie mir ins Ohr gezischt, ich solle mich nicht so aufspielen, ich sei nicht ihre Mutter. Lena hat Courage. Sie macht, was sie will und schert sich einen Deut um die Verbote ihrer Eltern. Ich denke an meine Schwester, wie sie von der Sekundarschule gewiesen worden war, weil sie im Nachbarhaus mit anderen Jugendlichen Musik gehört und getanzt hatte. Der Kaplan hatte davon Wind bekommen und die Jugendlichen ertappt. Niemand, auch nicht der Vater und der Lehrer, hatte gegen ihren Ausschluss etwas unternehmen können.

Also Madeleine, die Gymnasiastin, weil mein Vater findet, eine gewisse Bildung sei heutzutage auch für Frauen wichtig, höre ich lateinische und deutsche Vokabeln lernen. Wie seltsam das klingt, mehr nach Kirche als nach Bildung. Darum beneide ich sie nicht. Im Haushalt muss sie nichts mehr helfen. Ich bin jetzt da und mache morgens sogar ihr Bett. Nach strikten Regeln klemme ich das Unterleintuch unter die Matratze, sodass es straff und faltenlos daliegt. Beim Oberleintuch ist wichtig, dass der Hohlsaum und die gestickte Borte oben zu liegen kommen und dass die schöne Seite davon über die hellbraune, kuschelige Kamelhaardecke gefaltet werden kann. Beim Kopfkissen, unter das ich Lenas Babydoll stecke, muss ich häufig den Anzug durch einen frischen, makellos weissen ersetzen. Wenn Madame ausser Haus ist, gehe ich zu Lenas Kleiderschrank und zähle die aufeinander geschichteten Pullover und Leibchen. Sie sind wunderschön und fein zum Anfassen und es gibt sie in allen Farben. Ich streiche mit der Hand über die Reihen der aufgehängten Blusen und Röcke.

Wenn die Radiostimme den Wetterbericht liest, spitze ich die Ohren. Ob sie wohl fertig heuen können zu Hause und ob der Schneefall bis auf tausend Meter den Alpaufzug verzögert? Gibt es dieses Jahr genug Kartoffeln, wenn das Frühjahr schon so kalt und verregnet gewesen war?