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In Costa Rica sagen die Menschen "Pura Vida" als Ausdruck der Freude und für das Glück. Marina hat seit 20 Jahren eine Angststörung, machte sich aber dennoch alleine auf den Weg und pilgerte auf dem Jakobsweg von Porto nach Santiago de Compostela. 2022 erfüllt sie sich einen weiteren Lebenstraum und bricht erneut alleine auf: Sie reist nach Panama und Costa Rica, in atemberaubende Natur- und Tierwelten, tiefgrünen Dschungel und zu traumhaften Karibikinseln. In den weit entfernten Ländern wird ihre Reise eine Reise zu sich selbst und eine Suche nach dem Glück. Immer wieder steht sie vor den Fragen: Was bedeutet Glück? Und was brauchen wir auf unserem Lebensweg, um wirklich glücklich zu sein?
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Seitenzahl: 243
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Marina Bauer
La Pura Vida
Marina Bauer
Eine Pilgerreise in Mittelamerika
Auf der Suche nach dem Glück
Mein Dank gilt meiner Familie und meinen engsten Freunden, die immer für mich da waren und an mich glaubten.
Dankbar bin ich vor allem meinem guten Freund und Mentor, dem Autor Michael Defrancesco, der felsenfest an mich glaubte, als ich es noch nicht tat. Mein Dank gilt auch Daniela Tannebaum, die einen großen Teil dazu beitrug, dass ich mich aus meiner Komfortzone herauswagte. Als meine Lektorin hat sie mich wundervoll unterstützt und mir geholfen, dass „La Pura Vida“ noch schöner wird.
Nicht zuletzt möchte ich mich beim Echter Verlag für die Chance bedanken, meine Erfahrungen anderen zugänglich zu machen. Ich hoffe, dass sie viele Menschen erreichen, denen ich auf diese Weise Mut und Zuspruch geben kann, sich auf ihre eigene Reise zu begeben.
Der Umwelt zuliebe verzichten wir bei diesem Buch auf Folienverpackung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.
1. Auflage 2023
© 2023 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter.de
Umschlag: Vogelsang Design, Jens Vogelsang, Aachen
Innengestaltung: Crossmediabureau, Gerolzhofen
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
ISBN
978-3-429-05886-9
978-3-429-05277-5 (PDF)
978-3-429-06620-8 (ePub)
Kapitel eins
Pura Vida – Auf der Suche nach dem Glück
Rückblick: Der Jakobsweg – eine lebensverändernde Erfahrung
Perspektivwechsel
Kapitel zwei
Was eine (An-)Reise
Ankunft mit Folgen
Schlaflose Nächte und Tiefpunktstimmung
Hola in Panama
Es sind tatsächlich die kleinen Dinge
Kapitel drei
Aufbruch nach Bocas del Toro
Panamesische Lebensfreude
Eingesperrt im Inselparadies
Ich verstehe nur Spanisch
Kapitel vier
„Oh, wie schön ist Panama“
Lass los und es kommt zu dir zurück
Estrella Beach: Seesterne und Katzenwäsche
Red Frog Beach: Angstmomente und ein Krokodil
Feierstimmung und karibische Lebensfreude
Ein Sprung ins kalte Wasser
Cayos Zapatilla: Träume gehen in Erfüllung
Ankommen und Abschied nehmen
Kapitel fünf
Aufbruch nach Costa Rica
Wiedersehen mit einer Fremden
Ein Gefühl von Freiheit
Grenzübertritt in das karibische Herz
Kapitel sechs
Cahuita – Magie der Karibik
Tropischer Regen und Riesenkakerlaken – ich hatte noch viel zu lernen
Kleine Planänderungen
Nachtwanderung in Costa Rica
Eine kleine Auszeit: Yoga, Strand und Cocktails
Puerto Viejo de Talamanca: Punta Uva
Kapitel sieben
Anreise nach San José
Eine Nacht in San José
San José
Kapitel acht
Aufbruch nach La Fortuna – Dschungelstadt am Fuße des Vulkans
La Fortuna – Stadt des „Glücks“ und der Vulkane
La Fortunas Kulinarik
Heiße Quellen und Heimweh
Rio Fortuna: Ein wilder Ritt
Auf zum Gipfel – ein Abenteuer auf dem Vulkan
Kapitel neun
Monteverde
Seemonster
Natur- und Artenschutz der Regenwälder
Zurück in die Urzeit
Schicksalhafte Fügungen
Sonnenuntergang über Santa Elena
Kapitel zehn
Sámara
Ein Ort der Glückseligkeit
Keine Ruhe im Paradies
Feierstimmung
Wellenreiter
Kapitel elf
Montezuma
Montezumas Rache
Geheimnisumwobene Küstenwanderung
Drei Wasserfälle
Kapitel zwölf
Uvita
Allein im Dschungelregen
Küste der Wale
Die Schlange vom Mangobaum
Kapitel dreizehn
Bahia Drake
Das wahre Costa Rica
Käferplage im Garten Eden
Auf zum Ende der Welt
Corcovado-Nationalpark
Mitten im Nirgendwo
Kapitel vierzehn
Manuel Antonio
Aufbruch mit Wehmut
Nationalpark Manuel Antonio
Lebe deine Träume!
„Mein“ Sonnenuntergang
Epilog zum Glück
Es gibt nur wenige Länder auf der Welt, für die zwei Wörter ausreichen, um das in ihnen verankerte Lebensgefühl und ihre Seele perfekt zu beschreiben. In Costa Rica sagen die Einheimischen, die auch liebevoll als „Ticos“ bezeichnet werden: „Pura Vida!“ Sie verwenden es zur Begrüßung, zum Abschied, als Ausdruck der Freude oder der Verwunderung. „Pura Vida“ ist aber nicht nur ein Begriff, sondern bezeichnet ein tief verwurzeltes Lebensgefühl. Aus dem Spanischen ins Deutsche übersetzt, bedeutet es „das reine und einfache Leben“. Es zeigt die tiefe Verbundenheit der Menschen zu ihrer einzigartigen Natur- und Tierwelt. „Pura Vida“ ist eine Hymne an das Dasein und eine Bezeichnung für Dankbarkeit. Es steht dafür, das Leben so hinzunehmen, wie es geschieht, ohne sich zu ärgern. „Pura Vida“ bedeutet, vereinfacht gesagt, glücklich zu sein.
Seit jeher streben wir Menschen in jeder Kultur nach dem Glück. Bereits in der Antike philosophierten Gelehrte über diesen Urwunsch, der tief in uns verankert ist. Aristoteles beispielsweise war der Überzeugung, dass Glück unter anderem dadurch entsteht, wenn der Mensch nach dem lebt, was ihn erfüllt und ihm Freude macht. Glück wird demnach als eine innere Einstellung verstanden, die wir aus uns selbst hervorbringen.
Glück fühlt sich für jeden von uns anders an, für jeden Menschen müssen andere Voraussetzungen erfüllt sein. Für manche bedeutet Glück eine spezielle Lebensweise, in einer bestimmten Tätigkeit aufzugehen oder an einem religiös-spirituellen Glauben festzuhalten. Für andere ist diese Empfindung an einen bestimmten Ort, eine Person oder einen Geruch gebunden.
Letztendlich geht es bei dieser Suche jedoch stets um einen gemeinsamen Nenner, der uns seit so vielen Jahrhunderten umhertreibt: Es geht darum, einen Sinn und einen Platz in dieser Welt zu finden, an dem wir uns geborgen fühlen und den wir nach unseren Wünschen und Vorstellungen gestalten können.
Ich erhebe nicht den Anspruch, diesem Diskurs in seiner Vielfalt und Komplexität gerecht zu werden. Es gibt jedoch eines, das ich mit Sicherheit sagen kann: Ich weiß, wie sich Glück anfühlt. Ich weiß, wie schwer es ist, daran festzuhalten. Vor allem aber weiß ich, wie es sich anfühlt, nicht glücklich zu sein.
In meinem Leben fiel es mir eine lange Zeit schwer, Glück zu fühlen, denn seit ich 18 Jahre alt war, lebe ich mit einer Angststörung. Insbesondere in meinen 20er-Jahren durchlebte ich aufgrund meiner Ängste eine dunkle Zeit. Es dauerte lange, bis ich mich jemandem anvertraute und mir Hilfe holte. Infolgedessen geriet ich immer stärker in den Teufelskreislauf der Angst und der Angst vor der Angst, die mich lähmte. Einige Zeit griff ich sogar auf Medikamente zurück und konnte meine Wohnung kaum verlassen.
Erst Jahre später, nachdem ich bereits einen langen Leidensweg hinter mir hatte, begriff ich, dass ich mich meiner Angst stellen musste, um einen Weg aus ihr herauszufinden. Das geschah nicht in großen Sprüngen, sondern in kleinen Schritten, durch die ich mir meine Lebensbereiche durch bestimmte Hilfsmechanismen und harte Arbeit an mir selbst zurückeroberte. Tief in meinem Herzen wusste ich, dass ich einen neuen Weg einschlagen musste.
Im Juni 2021 fasste ich den Entschluss, mich meinen Ängsten zu stellen, und begab mich allein auf eine Pilgerreise auf den portugiesischen Jakobsweg von Porto nach Santiago de Compostela. Diese für mich bahnbrechende und lebensverändernde Erfahrung, die ich in der Begegnung mit meiner Angst erlebte, aber auch die Geschichten, die ich unterwegs mit anderen Menschen teilen durfte, beschreibe ich in meinem Buch „Muschel, Meer und Mut: Mit einer Angststörung auf dem Jakobsweg (Echter Verlag, 2022).
Die meisten, die sich auf den Jakobsweg begeben, tun dies mit einem ganz persönlichen Motiv. Oftmals ist es ein privater Umstand oder eine Suche nach einem Sinn, der so viele Pilgerinnen und Pilger auf diesen religiös-geschichtlichen Weg ruft.
Wie so viele Menschen vor mir fühlte ich nach meiner Wanderschaft ein positives, lebensbejahendes Gefühl in mir aufblühen, denn durch diese Erfahrung hatte ich eine neue Perspektive gewonnen, wie ich mit meiner Angst umgehen konnte. Vor allem lehrten mich meine Erlebnisse auf dem Camino, dass es möglich ist, mir ein Leben zu kreieren, das nicht von meiner Angststörung dominiert wird.
Mit dieser Sichtweise keimten jedoch neue Fragen in mir auf, andere Fragen als die, die ich mir all die Jahre zuvor gestellt hatte. Und diese drangen noch tiefer zu meinen Wurzeln, denn schließlich hatte ich mich eine lange Zeit in meinem Leben ausschließlich über meine Ängste definiert. So lange waren sie ein Teil von mir. Welcher Mensch war ich ohne sie – und vor allem, welcher Mensch wollte ich sein? Ich wollte nicht nur mutig und stark sein, ich wollte wieder fühlen, wie es ist, glücklich zu sein. Ich wollte meinen Wünschen und Träumen folgen und mich auf die Suche nach meinem Glück begeben – auf eine noch intensivere Reise zu mir selbst.
Wie so oft schon in diesem Herbst verbrachte ich einen regnerischen Tag im Homeoffice und blickte aus meinem Fenster, auf dem die Regentropfen einen rhythmischen Klang von sich gaben. Gedankenverloren schaute ich dem Spiel des Wassers zu.
Als ich mich wieder dem Bildschirm meines Computers zuwandte, fand ich dort das Bildmotiv vor, das sich automatisch einstellte, wenn der Computer in den Ruhemodus übergegangen war. Der Hintergrund veränderte sich täglich, und nun schaute ich auf den Strand eines weit entfernten Landes. „Costa Rica“ las ich und nahm meine Gedanken mit an diese traumhafte Kulisse. Ich schwamm in meiner Vorstellung in dem warmen Meer und spürte die Sonnenstrahlen auf meiner Haut.
Ich konnte noch nicht greifen, was mich in diesem Augenblick so traurig werden ließ, denn in dem Gefühl, das mich überkam, spürte ich gleichfalls eine Sehnsucht nach diesem mir unbekannten Ort. Ich spürte, wie meine Wohnung um mich herum immer kleiner wurde und gleichsam eine unbändige Sehnsucht in mir aufkeimen. Ich wollte wieder raus in die Welt, die für mich so lang unerreichbar erschienen war, und mein neu gewonnenes Lebensgefühl weitervertiefen. Der Wunsch wuchs, mich auf die Reise in ein weit entferntes Land zu begeben, das sich nicht nur kulturell grundlegend von meinem unterschied, sondern ein echtes Abenteuer bot. Sollte ich nun doch noch zu einer Backpackerin werden?
Mein Interesse war geweckt und ich betrachtete die Weltkarte, um mich von diesem neuen Gefühl treiben zu lassen. Wo lag denn überhaupt Costa Rica und was machte es so besonders? Ich ließ meinen Blick weitergleiten und betrachtete die Nachbarländer. „Oh, wie schön ist Panama“ kam mir in den Sinn. Ich erinnerte mich an die Geschichte aus meinen Kindheitstagen, in welcher der kleine Bär und der kleine Tiger in der Nähe ihres Hauses eine Kiste mit dem Aufdruck „Panama“ finden. Die Kiste ist mit Bananen gefüllt, weshalb sie einen süß-aromatischen Duft verströmt. Dieser Duft bringt die beiden ins Träumen und sie beschließen, ihr beschauliches und gemütliches Leben hinter sich zu lassen, um das exotische Land aufzusuchen, das so gut nach Bananen riecht und in dem alles besser zu sein scheint.
Ich konnte nicht anders und begann, das Internet nach Informationen zu den beiden Ländern zu durchsuchen, und stolperte nach kurzer Recherche über einen Satz, der mein Herz höherschlagen ließ: Die Menschen dort gehören zu den glücklichsten der Welt. Meine Magengegend zog sich spürbar zusammen. Ich bekam eine Gänsehaut, denn ich fühlte, dass ich die Reiseziele für mein Vorhaben gefunden hatte.
Der Jakobsweg hatte mich gelehrt: Erst wenn ich außerhalb meiner eigenen Komfortzone war, konnte ich meine eigene Sicht hinterfragen und lernen, eine andere Perspektive einzunehmen. Ich wusste, dass dies ein schwerer Schritt war, aber ich war bereit, dem Ruf meines eigenen Glücks zu folgen – und wo sollte ich mein Glück besser finden als in Panama und Costa Rica, wo Glücklichsein als ein Sinn des Daseins gelebt und zelebriert wurde?
Die Motoren des Flugzeugs starteten und ich wurde durch die zunehmende Geschwindigkeit leicht in den Sitz gedrückt. Die Beschleunigung stand im Widerspruch zu den Gefühlen, die ich hinter mir ließ, denn mir ging das alles etwas zu schnell. Aber es war zu spät. Ich war auf dem Weg nach Panama City.
Die vergangenen Wochen wanderten durch meine Gedanken: Der Papierkram bezüglich Versicherungen, Reservierungen, Buchungen und sämtliche andere zu solch einer Reise dazugehörigen Vorbereitungen und Planungen hatten mich fast wahnsinnig gemacht. Außerdem gab es da noch meine Angststörung und die damit verbundene Unsicherheit, die sich zu einer explosiven Aufregung mischten. Sie fühlte sich ein klein wenig an wie Schmetterlinge im Bauch.
Das Flugzeug hob vom Boden ab und glitt höher und höher. Ich blickte auf die Häuser, die in Windeseile zu kleinen Mosaiksteinen wurden und schließlich mit der Landschaft verschmolzen. Ich blickte hinab auf Flussläufe und Wälder. Fast wäre ich nicht in dieses Flugzeug gestiegen, und nun katapultierte es mich in ein Abenteuer. Ich rauschte im Turbogang in die Höhe und hatte gleichzeitig Angst zu fallen.
Mein „altes“ Leben wurde mit jedem Höhenunterschied kleiner, und vor mir lag das große Ungewisse. Würde ich stark sein? Würde ich die Reise genießen können? Würde ich das Glück finden, das ich mir so sehnlich wünschte – wie auch immer es aussehen mochte? Was wäre, wenn sich all dies als riesiger Fehler entpuppte?
Was aber wäre, wenn ich mich fallen ließe? Wenn ich weiter in mich vertraute, so wie ich es auf dem Jakobsweg gelernt hatte? Was wäre, wenn es ein größerer Fehler gewesen wäre, es nicht zu tun? Mich überkam das gleiche Gefühl, wie ich es beim Camino empfunden hatte, und ich wusste, dass es kein Zurück mehr gab.
Mein Herz schlug bis zum Hals und ich spürte, wie sich eine Träne an meiner Wange ihren Weg bannte. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich – wie so oft – auf meinen Atem.
Mein Sitznachbar riss mich aus meinen Gedanken. Nur zu gern ließ ich mich auf das Gespräch ein, denn es lenkte mich ab. Für eine Weile konnte ich vergessen, wie es mir ging und dass wir mit Verspätung gestartet waren – was nicht ganz unwesentlich für meinen Anschlussflug war. Denn ich musste in Punta Cana in der Dominikanischen Republik umsteigen und von dort weiter nach Panama City fliegen. Aber irgendwie würde das schon hinhauen.
Ich versuchte, positiv zu bleiben. Für alle anderen Gedanken wurde ich allmählich sowieso zu müde. Die vergangene Nacht hatte ich den Umständen entsprechend mehr schlecht als recht geschlafen. Und ändern konnte ich auch nichts mehr.
Dabei ahnte ich noch nicht, dass ich schon bei meiner Ankunft in Panama City an meine Grenzen stoßen würde und welcher Albtraum eines jeden Reisenden dort auf mich warten sollte. Noch konnte ich nicht wissen, dass das Unheil bereits beim Einchecken seinen Lauf genommen hatte.
Vor wenigen Stunden stand ich aufgeregt in der Warteschlange zum Check-in-Schalter am Flughafen und freute mich darauf, endlich meinen großen Rucksack loszuwerden. Ich hatte ihn in eine Schutzhülle gepackt und schob das sperrige und schwere Gepäckstück nun vor mir her. Doch genau dieses „Ding“ sollte ich bald schmerzlich vermissen.
Endlich war ich an der Reihe. Hinter dem Schalter der Fluglinie begrüßte mich ein junger Mann, der nicht besonders routiniert wirkte und offensichtlich noch geschult wurde. Das merkte ich daran, dass er mich nach Kapstadt schicken wollte.
„Kapstadt?! Nein, nein! Ich fliege nach Panama City!“ Ich war verunsichert, versuchte aber, mich nicht beirren zu lassen. Ich überprüfte das ausgestellte Ticket: „PTY – Panama City“. Das stimmte.
„Es wird schon gut gehen!“, redete ich mir selbst zu.
Nach über zehn Stunden Flugzeit kam ich endlich in Punta Cana an. Als ich die Treppe des Flugzeugs nach unten auf das Rollfeld ging, stand ich vor einer tropischen Wand aus Hitze und Schwüle, die ich zuvor noch nie erlebt hatte. Der Schweiß lief mir den Rücken hinunter, was aber vor allem daran lag, dass ich nervös war. Wo musste ich hin? Zum Glück sammelten sich weitere Reisende um mich, die ebenfalls nach Panama City weiterfliegen wollten. Ein Mitarbeiter des Flughafens rief uns zu, dass wir warten sollten. Der Anschlussflug nach Panama City sei bereits beim Boarding und wir würden abgeholt und auf direktem Weg zum Gate gebracht.
„Man, das ist eine knappe Nummer“, dachte ich mir. Aber tatsächlich kam ein Bus, der uns über das Rollfeld zu einem Hintereingang fuhr. Ein Mitarbeiter entsicherte eine Tür, und los ging es im schnellen Schritt durch die hintersten Wege des Flughafens zum Terminal.
Das Einchecken war umständlich. Ich kam mir wie eine Schwerverbrecherin vor, die sich einem Verhör unterziehen musste. Ich wurde nach meinem Job in Deutschland gefragt und sollte meinen Impfausweis, das Weiterreiseticket aus Panama sowie mein Rückreiseticket aus Costa Rica vorzeigen. Das Personal, das Spanisch und nur schlechtes Englisch sprach, wirkte hektisch, was meine eigene Unruhe noch verstärkte. Ich kramte in meinem Rucksack nach den Dokumenten, um nach einer gefühlten Ewigkeit endlich durchgewunken zu werden, während alle anderen bereits im Flugzeug waren.
Erschöpft ließ ich mich auf meinem Sitzplatz nieder. Auf diesem zweiten Teil meiner Reise fühlte ich mich das erste Mal fremd. Viele Einheimische nutzten die Strecke, und auch die Kommunikation mit dem Flugzeugpersonal wurde durch die Sprachbarrieren schwieriger. Das Flugzeug war bis auf den letzten Platz belegt, und die Menschen erschienen mir etwas miesepetrig. Vermutlich war ich nur müde und überfordert. Wenn ich Panama City erreichte, würde ich über zwanzig Stunden unterwegs sein. Hinzu kam, dass ich kaum etwas gegessen hatte. Mein Magen war flau, schmerzte und verschloss sich für jede Art von Nahrung. Ich spürte, wie die Bauchschmerzen mir mehr und mehr zu schaffen machten. Ein paar Stunden musste ich noch durchhalten.
Nach dem dreistündigen Flug kam ich – mit rumorendem Magen – in der Dunkelheit Panama Citys an und fühlte mich wie in eine weiße Nebelwolke eingehüllt. Alles lief ab wie im Film, nur war ich die Hauptakteurin und versuchte krampfhaft, die Konzentration aufrechtzuerhalten. Ich hielt mich an die anderen Reisenden, deren Gesichter ich mir gemerkt hatte, und eilte neben ihnen zur Gepäckausgabe. Ich wollte nur noch ankommen!
„Hoffentlich ist unser Gepäck da. Das wäre jetzt ein Albtraum“, sagte eine Frau im Laufschritt neben mir. „Klar, das wird da sein“, entgegnete ich. Darüber hatte ich mir bisher gar keine Gedanken gemacht. Aber nun arbeitete mein Kopf, soweit er dies konnte. „Ohne Gepäck!? Ja, das wäre eine Katastrophe!“ Ich schüttelte mich, um die Gedanken zu vertreiben und wach zu bleiben.
Der Weg zum Laufband der Gepäckausgabe erschien endlos. Und als ich dort ankam, zeigte der Bildschirm bereits „Closed“ an, die Ausgabe war abgeschlossen. Zwanzig Minuten später konnte ich meinen Backpack mit der knallgrünen Schutzhülle noch immer nicht entdecken. War er vielleicht irgendwo anders abgelegt worden? Ich umrundete das Laufband mehrmals und sah in jede Ecke. Mir wurde schlecht. Ich spürte, wie mein Herz trotz der Erschöpfung schneller schlug und sich meine Augen mit Tränen füllten. Das konnte nicht wahr sein!
Aber das war es leider. Mein Gepäck blieb unauffindbar. Die junge Frau, die ich auf dem Weg hierher noch beruhigt hatte, tröstete nun mich. „Komm, wir gehen zum Schalter. Ich begleite dich und lasse dich nicht allein.“ Ich war gerührt von ihrer Geste und Hilfe.
Aufgewühlt erzählte ich dem Menschen hinter dem Schalter, dass mein Gepäck nicht in Panama City angekommen war, und war froh, mich auf Englisch verständigen zu können.
„Kein Problem, ich helfe Ihnen. Können Sie mir bitte Ihre Gepäcknummer zeigen?“
„Gepäcknummer? Gepäcknummer!“ Ich kramte und suchte, aber die Nummer, die normalerweise beim Einchecken auf die Bordkarte geklebt wurde, war nicht da. Ich konnte es nicht glauben, aber der junge, unerfahrene Mensch am Check-in-Schalter hatte mir keine Gepäcknummer gegeben. Vor lauter Aufregung hatte ich nicht darauf geachtet. Nun stand ich vor einem Dilemma. Wie sollte man meinen Rucksack ohne diese Nummer finden?
Panik kam in mir auf. Der hilfsbereite Mensch hinter dem Schalter aber schaute in seinen Computer und sagte schließlich: „Ich habe herausgefunden, dass Ihr Gepäck noch in Punta Cana ist. Wir werden es morgen zu Ihrer Unterkunft liefern.“ Ich verstand zwar nicht, wie ihm das ohne Gepäcknummer gelungen war, aber ich fühlte mich beruhigt, zumindest ein wenig.
Eine andere Sache aber war nun die Gewissheit. Ich würde die erste Nacht nach der anstrengenden Reise ohne meine Sachen verbringen, ohne meinen Schlafanzug und ohne meine Zahnbürste.
Mir blieb jedoch nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Mein Taxifahrer wartete auf mich, da ich den Transfer zur Unterkunft bereits vor meiner Abreise gebucht hatte. Angespannt, müde und nervös ging ich durch die Schiebetür, die aus dem Flughafen hinausführte, in die warme Abendluft Panamas.
Die Fahrt zum Hostel nahm ich kaum wahr und war erleichtert, als ich endlich vor der mit Eisengittern gesicherten Unterkunft stand, wo ich herzlich von meiner Gastgeberin begrüßt wurde. Mein Zimmer war winzig und roch moderig, was vermutlich der hohen Luftfeuchtigkeit geschuldet war. In dem Raum befanden sich lediglich ein kleines Bett und eine Holzkommode. Durch das Fenster, das ebenfalls mit Gitterstäben gesichert war, schimmerte das Licht aus dem Innenhof, wo sich einige der anderen Gäste lautstark unterhielten. Ohne Ohropax würde ich nicht weit kommen. Die hatte ich glücklicherweise in meinem Handgepäck verstaut.
Ich stellte meinen kleinen Rucksack auf den Boden und sackte auf das Bett. Ich musste mit Katzenwäsche schlafen gehen.
Ich inspizierte meine Schlafmöglichkeit, was ich besser nicht so genau getan hätte. Über mein Kopfkissen zogen sich dunkle Flecken. Mein leichter Hüttenschlafsack, der genau für solche Situationen gedacht war und mir als eine Art Schutzhülle dienen sollte, war natürlich im Backpack.
Mir kamen die Tränen. Wie sollte ich auf diese Weise mein Glück finden!? In dem Moment war ich jedenfalls todunglücklich.
Ich schaute unters Bett, um sicherzugehen, dass sich keine Krabbeltierchen dort versteckten. Ich hatte ja keine Ahnung, was mich in diesen Ländern erwarten würde. Vorab hatte ich einiges über Spinnen und Schlangen gelesen. Wenigstens war der Raum frei von Insekten – naja, bis auf die Stechmücken. Mein Antimückenspray war im Backpack. Großartig! Hingegen war das Gel, das man auf die juckenden Stiche auftragen konnte, im Handgepäck. „Welche Ironie“, kam es mir. Aber zum Lachen war mir nicht zumute.
Ich zog mein verschwitztes T-Shirt aus und legte mich in meiner Jogginghose und mit Sport-BH ins Bett. Ich war zu müde und erschöpft, um nachzudenken, traurig zu sein oder mich allein zu fühlen. Ich wollte nur schlafen.
Als ich wieder erwachte, verriet ein Blick auf die Uhr: Es waren gerade einmal zwei Stunden vergangen. Es war vier Uhr morgens. Der Jetlag hatte mich fest in seinem Griff. Die weitere Nacht wälzte ich mich unruhig im Bett umher. Die Klimaanlage über mir brummte und stieß kühle Luft auf meinen Körper. Ein bedrückendes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit, und ich ahnte, dass der nächste Tag kein leichter würde.
„Hoooollllaaaa! Hoolllaaaa!“, krächzte es und ich drehte mich im Bett um. „Ja, was? Hallo? Was ist los?“ Es war gerade einmal 5:30 Uhr und ich fühlte mich wie gerädert. Wieder ertönte ein krächzendes „Hooolllaaa“. Ich zog meine Ohropax heraus, um besser hören zu können. Da erkannte ich, warum mir dieser Klang so merkwürdig vorkam. Es war der Hauspapagei, der direkt neben meinem Fenster in seinem Gehege umherflatterte.
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Mein Gepäck kam mir in den Sinn, und ich fühlte mich elend. Ich wachte in einem fremden Land auf, mutterseelenallein. In meinem Zimmer war es um diese Zeit bereits so schwül wie in einem Tropenhaus. Und Hunger hatte ich! Kein Wunder, denn mit acht Stunden Zeitunterschied zu Deutschland, die ich vorrechnen musste, war die Mittagszeit meiner biologischen inneren Uhr nach weit überschritten.
Nach einem leckeren Frühstück mit Bananen und Spiegelei ging es mir etwas besser, körperlich zumindest. Emotional war ich am Tiefpunkt, und das schon am frühen Morgen. Plötzlich überkam mich große Angst. Ich. War. Allein. In. Panama. – Ohne Gepäck! Wahrscheinlich trugen die Müdigkeit und der Jetlag ihr Übriges dazu bei, dass ich mich miserabel fühlte.
Die Inhaberin des Hostels bemerkte meine traurige Stimmung und bot an, die Airline für mich zu kontaktieren, da ich ja kein Spanisch sprach. Noch setzte ich all meine Hoffnung darauf, dass mein Gepäck heute nachgeliefert würde, so wie es mir der nette Mensch am Schalter versichert hatte. Diese Zuversicht aber schwand nach dem Telefonat. Mein Gepäck war nicht gefunden worden. Wie auch ohne eine Gepäcknummer, die zugeordnet werden konnte? Ich sollte der Fluggesellschaft eine E-Mail senden und meinen Rucksack genau beschreiben. Mehr konnte ich nicht tun.
Jetzt musste ich bitterlich weinen. Warum musste ausgerechnet mir das passieren? Wie sollte ich ohne meine Sachen zwei Monate allein durch Mittelamerika reisen? Ich hatte für diese Reise all meinen Mut zusammengenommen. Das war so unfair! Ich fühlte mich hoffnungslos und dachte daran aufzugeben – und das am ersten Tag. Erschöpfung breitete sich in mir aus, und gleichzeitig kroch eine ausufernde Panik in mir empor und durchlief meine Gliedmaßen, wie ich sie seit Langem nicht mehr gefühlt hatte.
Ich musste ruhig bleiben, was mir sehr schwerfiel. War das meine Härteprüfung? Ich telefonierte mit meiner Familie und Freundinnen, die mir gut zusprachen. Die Tränen flossen in Strömen, und ich versuchte, meine Angst anwesend sein zu lassen und mich auf meine Atmung zu konzentrieren.
Ich sammelte mich und dachte über eine Lösung nach. Morgen würde ich nach Bocas del Toro weiterfliegen, ein Inselparadies vor der Karibikküste Panamas. Auf der Isla Colón wartete meine Gastfamilie auf mich, die mich in der Zeit beherbergte, während ich die nächsten Wochen eine Sprachschule besuchte. Dort hatte ich ein „Zuhause“, eine Basis, von der aus ich alles Weitere regeln konnte. Ich musste durchhalten, durfte mich nicht in meine negativen Gedanken hineinsteigern. Was waren die nächsten Schritte, die ich bewerkstelligen konnte? Was war nicht zu ändern und was konnte ich tun? Ich musste aktiv werden und aus meiner Angst herausfinden.
Ich beschloss, das Einzige zu tun, das möglich war, nämlich, einkaufen zu gehen. Schließlich benötigte ich dringend eine Zahnbürste, Sonnencreme, Shampoo und Mückenschutz sowie frische Kleidung, ein paar T-Shirts und Unterwäsche. Ich ließ mir von der Hostelmutter die Richtung zeigen, denn in der Nähe gab es eine Straße mit Einkaufsmöglichkeiten, in der ich alles finden konnte.
Halbwegs zufrieden mit meiner Ausbeute kam ich zu meiner Unterkunft zurück. Als ich die Einkäufe auf meinem Bett sortierte, stellte ich fest, dass ich nun vor einem anderen Dilemma stand. Mein Rucksack war zu klein für die neuen Sachen. Folglich machte ich mich erneut auf den Weg, um mir eine Tragetasche zu besorgen. In meiner Kopflosigkeit griff ich zur nächstbesten und bemerkte erst später den Aufdruck darauf: „Enjoy the little things“ – „Genieße die kleinen Dinge“.
Mein Kopf war benebelt. Ich saß im Innenhof des Hostels und aß lustlos ein Stück Wassermelone, die ich mir im Supermarkt gekauft hatte. Dennoch bemerkte ich, wie mich ein älterer Mann beobachtete. Er war braun gebrannt und in seinem rundlichen Gesicht zeichneten sich tiefe Falten ab. Er stellte sich als Nathan aus Oregon vor. „Hast du Lust, etwas essen zu gehen?“, fragte er mich nach ein paar Minuten.
Ich gab mir einen Ruck. Vielleicht lenkte mich das ab. Ich konnte ohnehin nichts machen, außer zu warten.
Wir gingen in ein lokales Restaurant, auch Soda genannt, das nur ein paar Meter von der Unterkunft entfernt lag. Nathan erzählte mir von seinem Autounfall und wie er seit vielen Jahren die Welt bereiste. Ich hatte einen so traurigen Eindruck gemacht, deshalb hatte er mich angesprochen.
Ich berichtete ihm von meiner Misere, woraufhin er mich fragte: „Was glaubst du, warum ausgerechnet dir das passiert ist?“
Ich schaute ihn mit großen Augen an. Glaubte er an solche Fügungen? Dass uns stets das passiert, das für uns bestimmt ist und dann einen Sinn ergibt? Seit meiner Wanderung auf dem Jakobsweg war ich für den Gedanken offener.
Nathan gab mir ein gutes Gefühl. Ich fühlte mich verstanden und etwas besser. Ich dachte kurz nach und antwortete schließlich: „Weißt du, ich denke, ich bin jemand, der die Kontrolle behalten möchte. Wenn etwas fehlt, dann habe ich es in der Tasche. Ich sollte lernen, mich weniger von Dingen abhängig zu machen.“
Tatsächlich fühlte ich mich sicherer, wenn ich alles bei mir trug, das ich gebrauchen könnte. Insbesondere durch meine Angststörung drehte sich in meinem Leben vieles um Kontrolle und die Angst vor dem Kontrollverlust im Fall einer Panikattacke. Im Laufe der Jahre hatte ich diesen Wunsch nach Kontrolle auf viele andere Lebensbereiche übertragen, um mir Sicherheit zu geben.
Hatte ich seit meiner Erfahrung auf dem Jakobsweg in puncto Gepäck dazugelernt? Ich hatte viel zu viele Sachen dabeigehabt, die ich hunderte von Kilometern hatte tragen müssen – und zwischendrin sogar einige nach Hause geschickt. Hatte ich nicht dort schon gelernt, dass Glück nicht von materiellen Dingen abhängig war? Vielleicht passierte mir das gerade deswegen. Ich hatte die Lektion wohl noch nicht verinnerlicht und musste weiterlernen loszulassen, um mein Glück zu finden. Warum musste das nur immer so hart sein!?
Nathan schaute mich mitfühlend an und sprach mir gut zu. „Weißt du, ich bin schon viel auf dieser Welt unterwegs gewesen. Alles wird gut, versprochen! Du wirst merken, dass du nicht viel brauchst und es immer Möglichkeiten und Lösungen gibt. Bitte genieße diese Reise, denn es gibt einen Grund, warum du hier bist.“
Ich war überwältigt davon, dass mir wieder einmal wie aus dem Nichts jemand geschickt wurde, der mir half und genau die richtigen Worte fand – als könnte er direkt in mein Herz sehen.
„Ich lade dich heute ein, Marina“, verkündete Nathan, als wir mit dem Essen fertig waren. „Es gibt gute Menschen und es passieren gute Dinge!“
Tatsächlich überkam mich nach seinen Worten ein unglaubliches Gefühl. „Nein, ich werde nicht aufgeben. Jetzt erst recht!“, platzte es aus mir heraus. Es sind die kleinen Momente, die ich genießen musste, und die zählten – und dafür brauchte ich keinen Backpack. Das war wohl das Erste, das ich auf meiner Reise lernen musste.
Glückslektion Nummer 1:
Es sind die kleinen Dinge, auf die es ankommt, die Begegnungen mit besonderen Menschen, auch wenn sie noch so kurz sind.