Lana Beck und die tote Stewardess - Talia Moritz - E-Book

Lana Beck und die tote Stewardess E-Book

Talia Moritz

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Beschreibung

Der siebte Fall der niederbayerischen Kommissarin mit iranischen Wurzeln Lana Beck hat dem LKA den Rücken zugekehrt und arbeitet zusammen mit Anton Bauer, den sie während der Reha kennengelernt hat, als Privatermittlerin. Eine alte Schulfreundin bittet sie um Hilfe: Ihrem Mann ist wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung am Arbeitsplatz fristlos gekündigt worden. Auf den ersten Blick scheint der Fall klar; bei näherem Hinsehen offenbaren sich aber Abgründe, die sowohl für Lana als auch die Kollegen im LKA schwer zu ertragen sind. Dieser Fall konfrontiert Lana Beck aber auch mit der Frage nach ihrer eigenen Zukunft: Beruf oder Familie oder doch beides? LKA oder Privatermittlerin? Ein Kind oder …

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 – Rückblick

Kapitel 2 – Alte Freundin

Kapitel 3 – Heikler Auftrag

Kapitel 4 – Sexuelle Belästigung?

Kapitel 5 – Aufschlussreiches Treffen

Kapitel 6 – Erhebliche Zweifel

Kapitel 7 – Erhellende Grilleinladung

Kapitel 8 – Bewegende Fragen

Kapitel 9 – Neue Spur

Kapitel 10 – Brennnesseln

Kapitel 11 – Anton undercover

Kapitel 12 – Mechthilds Geschichte

Kapitel 13 – Leichenfund

Kapitel 14 – Rückkehr ins LKA

Kapitel 15 – Erste Zeugenbefragungen

Kapitel 16 – Verschiedene Spuren

Kapitel 17 – Ärger im Paradies

Kapitel 18 – Besuch aus England

Kapitel 19 – Versöhnung mit Jonas

Kapitel 20 – Erstaunliche Wendung

Kapitel 21 – Abgründe tun sich auf

Kapitel 22 – Reiter hilft

Kapitel 23 – Krav Maga Schule

Kapitel 24 – Dankeschön

Kapitel 25 – Wasserdichte Alibis?

Kapitel 26 – Junge Liebe

Kapitel 27 – Es ist nicht so, wie es scheint

Kapitel 28 – Ben Marquart

Kapitel 29 – Neue Erkenntnisse

Kapitel 30 – Wer lügt?

Kapitel 31 – Überraschung

Danksagung

Lana Beck

und die tote Stewardess

Ein Unterhaltungskrimi

von

Talia Moritz

Impressum

Lana Beck und die tote Stewardess

7. Band der Reihe “Lana Beck”

Texte: © Copyright by Talia Moritz Titelbild: © Copyright by Tina Niedecken

Verfasser/Herausgeber zu erreichen über (ladungsfähige Anschrift): Munich Boutique Advisory, Ennemoserstr. 11,

81927 München

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigungen, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Nicht alles ist so schlimm,

wie es scheint.

Vieles ist noch viel schlimmer.

Michail Genin

Hinweis:

Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und tatsächlichen Ereignissen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

Kapitel 1 – Rückblick

Montag, 21. Juni 2021 – morgens

Ein kleiner Fuß drückt sich fest in mein Gesicht. Ich schiebe ihn sanft weg und drehe mich auf die andere Seite, doch er folgt mir und donnert gegen meinen Hinterkopf. Entnervt stöhne ich auf. Ich will noch etwas schlafen. Beim Blick auf den beleuchteten Wecker neben meinem Bett zucke ich zusammen.

Kian, verdammt, es ist fünf Uhr morgens!

Sanft wird der Fuß von mir weggezogen. Ich bin erleichtert. Jonas ist da und nimmt mir den kleinen Quälgeist ab. Wie er das nur immer macht? Mit Geduld und Hingabe kümmert er sich um mein Kind als wäre es sein eigenes. Ich bewundere ihn dafür. Er scheint auch weniger Schlaf als ich zu brauchen, denn wenn wir uns morgens am Frühstückstisch treffen, schaufelt Kian bereits sauber gewaschen, frisch angezogen und meist gut gelaunt sein Frühstück in sich hinein. Jonas sieht aus, als hätte er mindestens acht Stunden bestens geschlafen.

Ich bin so eine Versagermutter, denn im Gegensatz zum Rest der Familie schaue ich aus, als wäre ein Bus über mich hinweggerollt. Meine Augenringe sind schwarz wie meine Haare und ich sitze da und stopfe das liebevoll zubereitete Müsli wortlos in mich hinein.

„Wann kommst du zurück?“, fragt Jonas mit einem zärtlichen Lächeln und küsst mich auf den Scheitel.

Kian sitzt in seinem Kinderstuhl, beugt sich zu mir vor und patscht mir auf die Hand. Er gibt Laute von sich, die sich wie „wach“ anhören. Mein Sohn redet, aber man kann ihn nicht verstehen. Er wird im August 3 Jahre alt und ich mache mir allmählich Sorgen, weil er nicht spricht. Immerhin kann man erraten, was er sagen möchte.

„Mama ist noch müde“, seufze ich. Dann schaue ich den gut gelaunten Mann am Küchentresen mit schlechtem Gewissen an. „Ich bin mittags zurück. Wann musst du in die Galerie?“

„Ich habe einen Termin um zwei. Bis dahin solltest du bitte wieder da sein. Denkst du bitte dran, dass sich heute Abend eine Nanny für Kian vorstellt?“

„Oh, gut, dass du mich erinnerst.“

Ich weiß, dass wir eine Betreuung für Kian brauchen, weil wir beide arbeiten, aber irgendwie gefällt es mir nicht, eine fremde Person im Haus zu haben. Wir sind im März nach Moosach in ein großes Haus mit einem wunderschönen Garten gezogen. Nicht gerade meine bevorzugte Wohngegend, denn ich liebe die Stadt-Stadt. Nun leben wir in einem Neubaugebiet, das perfekt auf Familien mit Kindern zugeschnitten ist. Das Haus hat im Souterrain eine Einliegerwohnung, ideal für eine dauerhaft bei uns wohnende Hilfe. Wir sind uns noch nicht sicher, ob wir ein Au-pair holen wollen oder eine richtige Nanny.

Nach den aufregenden Ereignissen der letzten Jahre ist endlich Ruhe eingekehrt. Dr. Achenbach, mein Chef beim LKA, hat mir empfohlen, ein Sabbatical zu nehmen, um mir darüber klar zu werden, ob Privatermittler auch wirklich das ist, was ich machen möchte. Schließlich ginge es auch um meinen Beamtenstatus, den ich leichtfertig aufgäbe, sollte ich jetzt kündigen. Ich wäre sowieso nach der Reha noch lange arbeitsunfähig. Danach könnte ich Elternzeit wegen Kian nehmen und das Sabbatical anhängen. Viel Zeit, um darüber nachzudenken, was ich möchte.

Jonas brauchte nach seiner Corona-Infektion lange, bis er wieder auf die Beine kam. Wir waren beide angeschlagen, er mit Post Covid, ich beschäftigt mit den Nachwehen des Komas. Deshalb haben wir nach meiner Reha am Starnberger See einige Wochen bei meinen Eltern in Niederbayern verbracht.

Die beiden haben sich rührend um uns gekümmert. Jonas ging von Tag zu Tag länger an der Donau spazieren, bis er wieder besser bei Atem war. Er fühlte sich schon wieder fit, als ihn die Fatigue erwischte. Das ist ein übler Erschöpfungszustand, der nach einer Corona-Infektion auftreten kann.

Erst seit drei Wochen habe ich das Gefühl, dass er wieder vollständig genesen ist, ein Jahr nach der Infektion! Wirklich übel, dieses Virus.

Inzwischen sind wir alle geimpft, bis auf Momo und Ela. Jonas hat sich vorsichtshalber auch impfen lassen, obwohl er genesen ist. Er konnte keinen Nachweis über seine Corona-Infektion vorlegen, weil es ihn auf Mallorca erwischt hatte. Kein PCR-Test, kein Corona-Nachweis, der in Deutschland akzeptiert wurde, und das, obwohl Jonas auf Mallorca im Krankenhaus war. Der Papierkram war ihm einfach zu kompliziert, deshalb hat er sich impfen lassen.

Mein kleiner Bruder ist jung und gesund und will sich aus Prinzip nicht impfen lassen. Er glaubt, er braucht das nicht, weil seine Abwehrkräfte so gut sind. Leider hält er sich für unsterblich, wie viele junge Leute. Ich hoffe, er überlegt es sich anders, sobald genügend Impfstoff für alle vorhanden ist.

Ich habe die Impfung schon bekommen, weil ich nominell noch beim LKA bin, Jonas, weil er mit mir zusammenlebt. Ich wäre aber auch ohne LKA früher dran gewesen, weil ich diese Vorerkrankung nach meiner Schussverletzung und der langen Zeit im Koma hatte.

Ich fühle mich inzwischen wieder richtig fit. Gehen funktioniert fast normal und auch sonst bin ich gut rehabilitiert. Allerdings habe ich auch viel dafür getan. Trainiert, trainiert, trainiert. Ich war beim Psychologen, um alles zu verarbeiten. Seit über einem Jahr habe ich zweimal die Woche Physiotherapie, um die Fortschritte zu bewahren.

Leider kann ich immer noch nicht auf meinen geliebten Highheels laufen. Ich habe Probleme mit dem Gleichgewichtssinn und wenn ich es ab und zu mal versuche, wird mir schwindelig und ich knicke meist sehr schnell um. Ich werde mich wohl an dieses Leben auf niedrigerem Niveau gewöhnen müssen.

Der Unterschied macht mir zu schaffen, denn ich bin nicht sehr hoch gewachsen und das kann in dieser Welt immer größer werdender Menschen zu Problemen führen. Warum müssen auch die Regale im Supermarkt so hoch sein? Wenn die Sachen nach hinten gerutscht sind, weil die vorderen bereits verkauft wurden, habe ich ein Problem und brauche Hilfe. Das war früher auf hohen Schuhen leichter.

Und was mache ich mit all meinen wundervollen Designerschuhen? Ich bin noch nicht so weit, mich von ihnen zu trennen. Irgendwie hoffe ich noch auf ein Wunder und dann würde ich bereuen, die High-Heels aufgegeben zu haben.

Mein lieber LKA-Kollege und Freund Tobi Reiter hat im Juli letzten Jahres, kurz nach der Aufklärung des Querdenker-Falls, meine beste Freundin und Kians Tante Hannah Nowak geheiratet. Es war ein wunderbares Fest im kleinen Kreis, denn zu dieser Zeit machte die Corona-Pandemie gerade noch eine kleine Pause.

Hannah sah wunderschön aus, ihren Babybauch konnte man nur erahnen. Sie trug ein zauberhaftes, elegantes Hochzeitskleid im Empire-Stil, das den Fokus auf ihre beachtlich angewachsene Oberweite lenkte. Momo und Ela, die als Jazzduo wegen Corona wenig zu tun hatten, spielten für die beiden und Tobi bekam ganz rote Backen vor Aufregung.

Kian konnte zu der Zeit leider noch nicht so gut laufen, dass er Blumen hätte streuen können, also habe ich das übernommen, mit ihm auf dem Arm. Sie waren erst allein im Standesamt, danach haben wir bei ihnen im Garten mit einer offenen Zeremonie, die von einem Freund der beiden durchgeführt wurde, gefeiert. Das war wundervoll romantisch, denn sie haben sich rührende Liebeserklärungen gemacht und wir hatten alle Tränen in den Augen.

Den Brautstrauß hat sie mir einfach so in die Hand geworfen und gesagt:

„Du bist die nächste, es wird Zeit, Süße.“

Ich war verdattert und Jonas hat breit gegrinst. Immerhin hatte er mir gerade einen Antrag gemacht gehabt.

Sogar die LKA-Kollegen haben kurz vorbeigeschaut, der Achenbach, Marlon, Franz und Rudi, nur Delia Beaufort erschien nicht, um zu gratulieren. Die wäre wahrscheinlich selbst gerne an Hannahs Stelle gewesen.

Am späten Nachmittag klingelte es und ich öffnete die Tür, weil sonst keiner in der Nähe war. Da standen doch tatsächlich Reiters inzwischen erwachsene Töchter aus erster Ehe vor der Tür, die seinerzeit mit der Mutter nach Bremen gezogen waren.

„Hi, wir sind die Töchter von Tobias Reiter. Mein Name ist Ada“, sagte die Größere der beiden, die meinem Reiterlein wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Sie trug ihr blondes Haar lang und offen und das Kinn leicht vorgereckt.

„Ich bin Paula“, ergänzte die Kleinere mit dem flotten, dunklen Kurzhaarschnitt, der ihr hervorragend stand. Sie schien die weniger Strenge zu sein und lächelte. „Wir wollten Papa überraschen. Er heiratet doch heute, oder? Wir haben zumindest eine Einladung bekommen.“

Ich war völlig überrumpelt.

„Ähm, ja klar, super. Das ist so schön, dass ihr da seid. Er wird sich so freuen. Das ist wirklich eine Überraschung, er war schon ganz frustriert, dass ihr euch nicht gemeldet habt.“

Ada schnaubte etwas, aber Paula stürmte schon durch die Tür, die ich einladend freigegeben hatte, durchs Haus hinaus in den Garten. Als sie Tobi sah, rief sie laut „Papa“ und stürzte sich in seine Arme.

Der Gesichtsausdruck von Reiter!

Ich musste bei diesem Anblick schallend lachen.

Hannah drehte sich überrascht um und verstand im ersten Moment gar nichts. Ich erklärte es ihr schnell. Sie stand etwas hilflos da und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte.

Ada folgte ihrer kleinen Schwester etwas langsamer.

„Hallo Papa“, sagte sie steif, als sie vor ihm stand. „Wir wollten dir gratulieren und deine neue Frau kennenlernen. Danke für die Einladung.“

Tobi war immer noch völlig verdutzt. Er hatte seine Töchter schon lange nicht mehr gesehen, denn seine Frau hatte viel dafür getan, dass der Kontakt zu ihnen abgebrochen war. Natürlich war es auch Reiters Schuld, denn er hatte irgendwann aufgegeben und nicht die Kraft aufgebracht, sich mit seiner Ex auseinanderzusetzen. Nun war ihm die Freude über das unverhoffte Wiedersehen deutlich anzumerken. Er strahlte übers ganze Gesicht.

Hannah nutzte die Gelegenheit, um zu der Gruppe zu treten.

„Hallo, ich bin Hannah, die Freundin, ähm, nein, die Frau eures Vaters. Herzlich willkommen. Ich freue mich sehr, euch endlich kennenzulernen.“

Ada nickte Hannah coronakonform zu, während Paula ihr spontan um den Hals fiel.

„Herzlichen Glückwunsch, Hannah. Ich darf doch Hannah sagen? Du bist aber noch jung. Und so elegant. Papa, well done.“

Tobi fasste sich allmählich und erwachte aus seiner Erstarrung durch die Überraschung.

„Ada, Paula, Herrschaftszeiten, ihr seid ja richtig erwachsen! Ist das zu fassen? Ich habe euch schon so lange nicht mehr gesehen, der Wahnsinn.“ Er stammelte etwas. „Was ist mit eurer Mutter? Wie geht es ihr? Ist sie auch da?“

Sein nervöser Blick wanderte zur Terrassentür.

„Die ist in Bremen“, rief Paula und schien erleichtert. Ada runzelte missbilligend die Stirn.

„Mama wollte nicht, dass wir kommen. Ich eigentlich auch nicht, aber Paula hat darauf bestanden.“

Reiter machte sich von Paula frei und ging auf Ada zu. Hannah lächelte die jüngere Stieftochter an und nahm sie mit zum Buffet.

„Ada, ich verstehe, dass du verletzt bist. Aber es gibt immer zwei Versionen einer Wahrheit. Willst du dir meine gar nicht anhören?“, fragte Reiter leise.

Ada musterte ihn kritisch. Dann seufzte sie leicht genervt.

„Also gut, du kannst sie mir morgen erzählen. Ich wollte von vorneherein sowieso nicht mit, Hochzeiten sind nicht mein Ding. Paula hat darauf bestanden, dass ich sie begleite. Das habe ich getan. Ich würde dann jetzt gehen, Paula lasse ich da, in Ordnung?“

Sie warf ihrer Schwester am Buffet einen fragenden Blick zu. Paula hatte sich den Teller bereits gut gefüllt.

„Alles cool, Adi, ich komme gut zurecht. Ich will gerne noch etwas bleiben, ich finde es voll schön hier.“

Reiter nickte strahlend.

„Aber klar, Paulalein, sehr, sehr gerne. Ich freue mich.“

„Gut, dann bis morgen.“ Ada stapfte steif davon. Über die Schulter rief sie ihrer Schwester zu. „Mach du einen Termin mit Papa für morgen aus, okay? Wir treffen uns im Hotel. Hast du deinen Schlüssel?“

Paula erschrak einen Moment, stellte den Teller ab und schüttete ihre Handtasche auf dem Rasen aus. Dann wühlte sie etwas, bis sie triumphierend die Hotelkarte herauszog und wie eine Trophäe hochhielt.

„Alles da. Ich kümmere mich. Dir noch viel Spaß.“

„Was macht sie denn jetzt?“, fragte Tobi und half seiner jüngsten Tochter, ihre Sachen wieder einzusammeln.

„Sie trifft sich mit einem ehemaligen Studienfreund, der auch gerade in München ist. Außerdem wollte sie ins Museum, du weißt doch, wie sie ist. Es ist schon toll, dass sie mich überhaupt hierher begleitet und deine Frau begrüßt hat.“

Reiter warf mir einen hilflosen Blick zu. Er hatte keine Ahnung, wie seine Tochter war. Ich nickte ihm aufmunternd zu. Das würde er sicher bald herausfinden.

Paula war ein offenes und kommunikatives Mädchen von 22 Jahren. Sie studierte Kommunikationswissenschaften und wollte in eine Werbeagentur.

„Vielleicht werde ich auch Journalistin“, vertraute sie mir im Laufe des Abends an. „Gerichtsreporterin. Oder ich studiere doch noch Jura wie Ada, wenn mich der Teufel reitet.“

Sie war jung und von Corona gebeutelt. Seit Monaten hatte sie kaum Kontakte zu Gleichaltrigen gehabt und ihre Ausbildung in erster Linie vor dem heimischen Rechner verbracht.

„Adi und ich haben eine WG, da war das mit dem Lockdown nicht ganz so schlimm. Sie ist schon sehr anders als ich, so pedantisch, das nervt. Aber wir lieben uns sehr.“ Sie seufzte. „Mama konnten wir die ganze Zeit nicht sehen, weil sie an Rheuma erkrankt ist und wir sie nicht infizieren wollten. Naja, wir haben viel videogechattet und telefoniert. Aber ich würde so, so gerne mal wieder richtig schön Party machen und mir die Seele aus dem Leib tanzen. Vielleicht haben wir es bald überstanden und diese zweite Welle, von der alle immer reden, kommt gar nicht.“

Ein gravierender Irrtum. Inzwischen ist bereits die dritte Welle über uns hinweggerollt und erst langsam wird alles besser, dank den in Rekordzeit entwickelten Impfstoffen. Das Licht am Ende des Tunnels können wir schon sehen, auch wenn alles gefühlt ewig dauert und die Menschen immer erschöpfter und ungeduldiger werden. Die vierte Welle, wenn es denn eine gibt, wird mit Sicherheit anders werden. Immerhin sind dann schon viele geimpft. Hoffe ich zumindest.

Reiter traf sich nach der Hochzeit mit seinen Töchtern und erklärte ihnen ruhig, warum und wieso in seinen Augen die Beziehung zu ihrer Mutter gescheitert war. Er beschönigte nichts und erklärte ganz offen seine Mitschuld. Allerdings machte er auch deutlich, dass es nicht nur an ihm gelegen habe, dass sie sich so wenig gesehen hätten.

Da Ada ihm nicht glaubte, legte er ihr einige ausgedruckte E-Mails ihrer Mutter vor, in denen sie Tobi mit deutlichen Worten untersagte, sich mit seinen Töchtern zu treffen oder Kontakt zu ihnen aufzunehmen.

Ada hatte, immer noch nicht überzeugt, die Schultern hochgezogen.

„Aber Papa, du hättest ein Umgangsrecht einklagen können.“

Er hatte energisch den Kopf geschüttelt.

„Herrschaftszeiten, Maren ist mit euch von heute auf morgen, ohne mir etwas zu sagen, nach Bremen gezogen. Ich war neu beim LKA und wollte unbedingt Karriere machen. Der Job ist absolut nicht familienkonform. Und ich wollte keine juristische Auseinandersetzung. Ich dachte immer, eure Mutter würde sich mit der Zeit beruhigen, aber das tat sie nicht.“

Er seufzte schwer.

„Sie hasst dich immer noch“, rief Paula munter, als wäre es das Normalste der Welt. „Und sie hat auch nie wieder geheiratet.“

„Das tut mir leid.“

„Sie ist selbst schuld. Ehen scheitern. Warum sucht sie sich einen Polizisten aus? Du hättest trotzdem mehr um uns kämpfen können, das muss ich auch sagen.“

„Und ihr? Ihr habt euch nie gemeldet.“

Ada hatte laut geschnaubt. Das tat sie wohl oft.

„Wir waren Kinder. Es ist eure Aufgabe als Eltern, dass wir keine Partei ergreifen müssen. Mama hat uns von früh bis spät erzählt, was für ein schrecklicher Mensch du bist und wie gemein du warst. Das bekommst du als Kind doch nicht richtig sortiert. Ich bin so indoktriniert, dass es mir schwerfällt, in dir nicht einen Schwerverbrecher zu sehen.“

Es war ein trauriges Gespräch. Reiter hat mir danach alles ganz genau erzählt, denn er wollte Hannah nicht damit belasten. Doch die Tür war aufgestoßen und als die beiden jungen Frauen erfuhren, dass sie noch einmal Schwestern werden, brachen sie in helle Begeisterung aus.

Okay, Paula brach in helle Begeisterung aus, Ada weniger. Die warf ihrem Vater vor, ein alter Sack zu sein, der eher zum Opa als zum Vater taugen würde. Daran hatte mein Reiterlein schwer zu knabbern und es kostete Jonas und mich viel Rotwein und gutes Zureden, um ihm diesen Gedanken wieder auszutreiben.

„Tobi, es kann immer etwas passieren. Darüber sollte man sich keine Gedanken machen, vor allem, wenn das Kind eh schon in den Brunnen gefallen ist.“

„Danke, Lana, du bist eine echte Hilfe“, grummelte er und Jonas trat mir unter dem Tisch gegen das Schienbein.

„Was?“, rief ich entrüstet aus. „Das stimmt doch. Jonas hat morgen einen Unfall und ist tot, dann hat Kian auch keinen Vater mehr. Wenn man es genau nimmt, hat Kian seinen jungen“, ich betonte das Wort deutlich, „Erzeuger schon verloren, bevor er überhaupt geboren war. Also bitte, Tobi.“

Kilian, Kians Vater und Hannahs Bruder, war von einem gesuchten Schwerverbrecher erschossen worden, als ich noch nicht einmal wusste, dass ich schwanger war. Das ist tragisch. Nicht, dass man die Fünfzig überschritten hat. Darüber sollte man sich eher freuen, wenn man mich fragt.

Es gelang mir, ihn wieder auf Spur zu bringen und inzwischen ist auch Ada begeisterte Schwester. Wenn sie mit dem kleinen Artur spielt, wird sie immer ganz weich und liebevoll. Ich denke, es ist gut, dass es ein Bruder und keine Schwester geworden ist.

Hannah entband in einer dramatischen Kaiserschnittgeburt am 10. Dezember. Sie litt an einer Schwangerschaftsvergiftung und das Kind hatte die Nabelschnur um den Hals. Es muss ein ziemliches Gemetzel gewesen sein und Reiter war sehr verzweifelt, weil er wegen Corona nur kurz dabei sein konnte. Eigentlich wollten sie die Klinik so schnell wie möglich wieder verlassen, aber wegen des Kaiserschnitts musste Hannah noch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben. Keiner durfte sie besuchen, auch Reiter nicht, was ihnen sehr schwer fiel. Umso überglücklicher waren sie, als er sie und den kleinen Artur Kilian endlich nach Hause holen konnte.

Im Dezember steckten wir mitten in der zweiten Corona-Welle und die Zahlen stiegen unaufhaltsam. Immer mehr Leute, die man kannte, infizierten sich. Delia Beaufort musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, so schlecht ging es ihr. Sie erholte sich nur langsam wieder und wir dachten schon, sie schafft es nicht. Aber Delia wäre nicht Delia, wenn sie das nicht für ihre Zwecke genutzt hätte. Sie war seitdem nicht mehr arbeiten, haben mir die Kollegen erzählt.

Jonas und ich haben kurz vor der zweiten Welle Anfang September 2020 im kleinen Kreis in Niederbayern geheiratet. Meine Eltern haben sich große Mühe gegeben, um uns eine schöne Hochzeitsfeier in ihrem großen Garten zu ermöglichen.

Pater Paul, bei dem ich früher Englischunterricht hatte und mit dem ich mich immer noch sehr gut verstehe, traute uns. Er hatte sich inzwischen von seinen Brüdern in der niederbayerischen Klosterschule „getrennt“ und sein eigenes, weniger strenges Kloster an der Grenze zu Österreich aufgemacht. Er sah darüber hinweg, dass ich evangelisch und Jonas aus der Kirche ausgetreten war. „Hier geht es um Gottes Segen und den gewährt ER allen Menschen“, sagte er zu mir.

Wir waren nur wenige und Paul hatte einen evangelischen Pfarrer, den er kannte, mit in die kleine Schlosskapelle von Schloss Egg geholt, um keinen Ärger zu bekommen. Leider konnte er danach nur kurz bleiben. Bevor er ging, nahm er mich zur Seite.

„Ich freue mich für dich, Lana. Dein Mann scheint gut zu dir zu passen“, raunte er mir zu, dann eilte er mit wehenden Rockschößen davon.

Ich hatte sogar meinen „Say a little Prayer“ Moment, aber wider Erwarten nicht durch Momo, sondern durch Jonas. Ich wusste gar nicht, dass er so wundervoll singen kann.

Wir saßen draußen, mit viel Abstand an einer langen Tafel, Momo und Ela waren da, Jonas’ Eltern, Reiter und Hannah, Anton, mein alter Freund Polizeiobermeister Loisl und seine Frau Marei, ebenfalls Polizistin in Erding, sowie meine gute Freundin Maria mit ihrem jüngeren Mann Tristan und ihrer gemeinsamen Tochter Lea-Mara, die sie aber nur Lea nennen. Außerdem kam als Überraschungsgast mein allerliebster Lieblingsnachbar Raffael zur Hochzeit. Ich war ein bisschen traurig, denn ich hatte mir immer eine große Hochzeit gewünscht. Jonas hat mir versprochen, dass wir ein großes Fest auf Mallorca feiern, sobald es wieder geht und dass ich da dann auch alle Leute einladen kann, die ich einladen möchte, denn seine reichen Eltern würden gerne die Kosten dafür übernehmen. Das haben wir jetzt für nächstes Jahr geplant und darauf freue ich mich schon.

Auf jeden Fall fing Jonas nach den Reden und vor dem Nachtisch plötzlich zu singen an. Er nahm meine Hand und grinste mich beim Singen an. Momo, Ela und alle anderen fielen mit ein, nur Maria kicherte immer wieder albern, weil es sie an ihre eigene Hochzeit erinnerte. Es war traumhaft. Ein zauberhafter Moment, den ich sicher nie vergessen werde.

Während ich noch überlege, wie ich meinen Tag organisiere, küsst mich Jonas sanft auf den Scheitel.

„Wir gehen auf den Spielplatz. Mach du mal ganz in Ruhe und grüß bitte Anton lieb von mir.“

Ich nicke, lächele ihn zärtlich an und werfe meinem Sohn eine Kusshand zu.

Kapitel 2 – Alte Freundin

Montag, 21. Juni 2021 - vormittags

Seit Anfang Mai arbeiten Anton Bauer und ich zusammen am Aufbau einer Privatdetektei. Ich habe ihn letztes Jahr bei einem aufregenden Reha-Aufenthalt kennengelernt, bei dem einer unserer Mitpatienten, ein bekannter Querdenker, zu Tode kam. Anton, der über ein fotografisches Gedächtnis und ein ausgezeichnetes Gehör verfügt, hat auf meinen Rat hin die Corona-Zeit nach der Reha dazu genutzt, sich in Richtung Privatdetektiv fortzubilden und ein Fernstudium begonnen. Er ist fleißig und engagiert bei der Sache.

Als Ende März der Prozess wegen Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung gegen ihn stattfand, weil er den Querdenker Ken Barber getreten und ihn dann liegengelassen hatte, wurde ich ebenfalls befragt. Ich habe dem Richter erklärt, dass Anton in einer Ausnahmesituation war und so etwas bestimmt nicht noch einmal machen würde. Sein Anwalt argumentierte geschickt, schilderte seine Hilfe bei der Aufklärung des Mordes an Ken Barber und dass er ihm selbstverständlich geholfen hätte, wenn nicht in diesem Moment Erasmus Winter dazugekommen wäre. Er musste davon ausgehen, als er das Opfer verließ, dass Erasmus Winter dem verletzten Querdenker helfen würde, deshalb fehle es am Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung. Anton habe sich noch nie etwas zuschulden kommen lassen und sei vom Opfer provoziert worden. Er sei durch die Art und Weise, wie Ken Barber andere Reha-Patienten behandelt habe, aufgebracht gewesen. Deshalb sei das Treten des am Boden liegenden Querdenkers im Affekt geschehen. Anton Bauer sei wegen Burnouts in der Klinik und per se in einem emotionalen Ausnahmezustand gewesen.

Zu seinem Glück hatte die Richterin ein Einsehen. Ich habe bei der Verhandlung geschildert, dass der Beschuldigte gerne zur Polizei gehen würde, diese Geschichte ihm nun jedoch den Weg dorthin verbauen würde. Sie möge das doch bitte bei der Festsetzung der Strafe mit einfließen lassen, vor allem im Hinblick darauf, dass er aufgrund seines absoluten Gehörs ein Gewinn für die Polizei sein könnte. Am Ende erhielt er eine Geldstrafe in Höhe von 10 Tagessätzen à 100 Euro. Er war sehr erleichtert.

„Eigentlich hättest du eine härtere Strafe verdient, das ist dir schon klar?“

Mein strenger Blick durchbohrte ihn und er zuckte erschrocken zusammen. Er hatte sich damals so einiges geleistet.

Er errötete beschämt.

„Ich weiß, Lana, ich weiß, aber jetzt bin ich erst einmal froh, dass ich nun doch Privatdetektiv werden kann. Boah, ich kann es immer noch nicht fassen. Was für ein Glück. Ich könnte die Richterin abknutschen.“

„Bloß nicht, sonst steckt sie dich doch noch in den Bau.“

Tja, und nun haben wir meine alte Wohnung in Neuhausen zu unserem Büro umfunktioniert. Anton macht seine Grundausbildung online, dazu übernehmen wir immer wieder kleine Fälle und ich erkläre ihm, wie man am besten vorgeht. Zwei- oder dreimal haben wir schon den Kollegen beim LKA geholfen.

Marlon Brandner, mit dem ich schon einige Male zusammengearbeitet habe, hat schnell herausgefunden, dass Anton im IT-Bereich sehr fit ist und ihm Informationen aus dem Netz schneller als unsere eigenen Leute beschaffen kann. Außerdem hat er ihn schon dreimal zu Überwachungen mitgenommen, natürlich unentgeltlich als eine Art Praktikum. Davon hat allerdings Marlon mehr profitiert als Anton, der mit seinem hervorragenden Gehör und fotografischen Gedächtnis Dinge ganz anders beobachtet als ein „normaler“ Ermittler. Die beiden haben sich mittlerweile richtig gut angefreundet und ich bin froh, dass ich die Ausbildung nicht allein übernehmen muss. Finanziell ist es etwas kompliziert, ich kann Anton nicht viel bezahlen. Er sagt, das sei kein Problem, denn er übernimmt nebenbei immer wieder IT-Projekte. Der Mann hat fast keine Freizeit, fürchte ich.

Sobald ich im Büro bin, mache ich mir einen schönen Filterkaffee mit dem alten Porzellanfilter meiner Oma. Mit dem Kaffee in der Hand setze ich mich draußen auf meinen kleinen Minibalkon und atme befreit auf. Das Wetter ist traumhaft und ich verspüre keine Lust zu arbeiten.

„Na Lana, mal wieder im alten Kiez?“

Ich zucke zusammen und schaue erschrocken zur Seite. Raffael sitzt neben mir auf seinem Balkon und dreht sich gerade eine Zigarette. Er schaut gut aus. Seine Haare sind wieder länger und hängen lockig bis zur Schulter, seine Figur ist durchtrainiert und seine blaugrauen Augen blitzen mich übermütig an. Ich war so in Gedanken, dass ich ihn gar nicht wahrgenommen habe.

„Hey, Raffi, wie schön. Wir haben uns ewig nicht mehr gesehen.“, jubele ich. „Wie geht’s dir denn?“

„Du blendend. Ich habe endlich wieder eine Rolle ergattert und freue mich so unglaublich, das kannst du dir gar nicht vorstellen.“

Raffael ist Schauspieler und durch die Coronakrise, den Lockdown und die Schließung der Theater hart getroffen.

„Was für eine Rolle ist es denn? Theater oder Film?“

„Serie.“ Er zündet sich die Zigarette an. „Ich spiele einen Sidekick im Sturm.“

„Sturm?“ Ich schaue ihn ratlos an, denn ich verstehe nicht, was er meint.

„Sorry, Sturm der Liebe, ist eine Serie in der ARD, läuft...“ Ich unterbreche ihn.

„Oh, jetzt weiß ich, was du meinst, das ist großartig. Das habe ich immer nachmittags geschaut, als ich bewegungsunfähig in der Gegend herumlag.“

Er errötet leicht.

„Ich wollte nie eine Fernsehserie machen, aber mal ehrlich – irgendwann muss man auch Geld verdienen. Und da bin ich für ein oder zwei Jahre beschäftigt und habe ein festes Einkommen. Danach sind wir dieses Virus hoffentlich los und ich kann zurück ins Theater.“

„Ich freu mich echt für dich, das ist so super. Wo wird das denn gedreht?“

„Das meiste in der Bavaria Filmstadt, also gleich um die Ecke. Perfekt für mich.“

Ich lächele ihn an. Er drückt die Zigarette halb fertig geraucht im Aschenbecher aus, steht auf und nickt mir zu.

„Ciao Lana, hau rein. Ich muss los. Wir sehen uns.“

Das Verhältnis zwischen Raffael und mir ist schwierig geworden. Wir mögen uns, bemühen uns aber um Abstand. Er hat sich fürchterliche Vorwürfe gemacht, dass er mich nicht daran gehindert hat, zu einem Einsatz zu fahren, zu dem ich nicht hätte fahren sollen. Während er mir Kian abgenommen hat, bin ich angeschossen worden und lag danach im Koma. Das hat er sich bis heute nicht verziehen, auch wenn ich ihm immer wieder versichere, dass alles gut ist und es definitiv nicht seine Schuld ist sondern meine.

Trotzdem nervt es mich, dass er immer so kurz angebunden ist und mir offensichtlich aus dem Weg geht. Ich vermisse unsere Freundschaft, wir hatten früher so ein gutes Verhältnis.

Traurig lasse ich den Kopf hängen, als sich der Schlüssel im Schloss dreht und Anton hereinkommt. Er wirft seinen Rucksack neben seinen Schreibtisch – wir haben meine alten Möbel in das neue Haus verfrachtet und dafür zwei Schreibtische mit Computern, die sich gegenüber stehen, in der Mitte des Raumes aufgestellt. Außerdem stehen an den Wänden Aktenschränke, in denen wir unsere Unterlagen unterbringen können. Wir haben sogar einen Safe, in dem wir brisante Dokumente einschließen können.

Die Hausmeisterin Frau Stadler, eine Tratschn vor dem Herrn und sonst nicht sehr kooperativ, ist gnädig und gestattet uns diese Nutzung. Ich habe ihr erklärt, dass es nur für den Anfang ist, dass wir die Wohnung als Büro nutzen. Nachdem sie mitbekommen hatte, was mir Schreckliches passiert ist, wollte sie keine Spielverderberin sein.

„Na“, sagt Anton und grinst mich mit seinen perfekten, weißen Zähnen an. Er könnte echt Werbung für Zahnpasta machen. Das war dann aber auch schon alles Hübsche an dem Mann. Seine strähnigen Haare wäscht er inzwischen etwas öfter, weil ich ihn immer schimpfe, aber er weigert sich, sie abzuschneiden. Oben sind sie schon sehr dünn und unten hängen sie zipfelig auf die Schultern, weil er nicht zum Frisör geht. Seine Augen blitzen mich an. Er hat einfach fast immer gute Laune, unfassbar.

„Lass mich bloß in Ruhe, ich hatte eine anstrengende Nacht“, maule ich und nehme den letzten Schluck Kaffee. Seufzend stehe ich auf. „Geh mal zum Frisör, Anton, echt. So kann ich dich nicht mitnehmen.“

Er grinst unbekümmert und zieht sich einen Haargummi vom Handgelenk über die Hand, um sich die Haare straff aus dem Gesicht zu halten. Ich muss lachen.

„Rosa Haargummi? Ernsthaft?“

Er zuckt mit den Schultern.

„Come on, den habe ich auf der Straße gefunden, der funktioniert noch einwandfrei.“

„Du machst mich fertig. So kannst du doch nicht rumlaufen!“

„Sagt wer nochmal? Das habe ich in keiner Vorschrift gelesen.“

„Argh. Das sage ich und ich bilde dich aus. Wenn du die Haare eh aus dem Gesicht hast, dann kannst du sie doch auch abschneiden?“

„Nein. Aber du kannst mir einen deiner zahlreichen schwarzen Haargummis geben. Ich tausche den rosa dafür.“

Meine Haare sind allmählich nachgewachsen. Im Koma haben sie mir meine hüftlangen Haare bis zur Schulter abgeschnitten, weil das für das Pflegepersonal einfacher war. Das war das Schlimmste, als ich wach wurde und mich wieder erinnern konnte. Ich weiß, dass ich eigentlich ganz andere Probleme hatte, immerhin war ich gelähmt und saß im Rollstuhl, aber das mit den Haaren hat mir am meisten zugesetzt.

Ich muss lachen und ziehe nun meinerseits einen Haargummi aus der Jeanstasche.

„Hier, nimm, Geschenk des Hauses.“

In diesem Moment klingelt das Telefon.

„Detektei Beck, grüß Gott“, meldet sich Anton geschäftsmäßig und klemmt sich den Hörer mit der Schulter ein, um die Haargummis zu wechseln. „Ah, ja, die ist da, einen kleinen Moment, ich verbinde.“

Er hält mir den Hörer hin.

„Eine Frau Glück ist am Apparat.“

Ich stutze. „Sabine Glück?“ Er nickt und setzt seine schwarze Nerd-Brille, die er beim Hereinkommen abgesetzt hat, wieder auf.

„Servus Bine, hier ist Lana. Mei, sag mal, von dir hab ich schon ewig nix mehr gehört. Wie geht’s dir so?“

Sabine Glück war mit mir auf dem Gymnasium in Niederbayern. Wir waren damals sogar befreundet, haben uns dann aber aus den Augen verloren, weil sie Stewardess wurde. Sie war immer unterwegs und hat es fast nie zu den Klassentreffen geschafft. Irgendwann habe ich gehört, dass sie einen Kollegen geheiratet und mit Ach und Krach und viel Hilfe eine Tochter bekommen hat. Was halt so getratscht wird beim Klassentreffen.

„Hallo Lana. Ich wollte mich schon ewig mal bei dir melden, aber du weißt ja, wie das so ist. Immer ist irgendetwas.“

„Da sagst du was. Woher hast du denn die Nummer?“

„Aus dem Internet. Ich war auf der Suche nach einem Privatermittler und bin über deinen Namen gestolpert. Bist du gar nicht mehr beim LKA?“

„Doch. Also nein, im Moment nicht. Ich wollte mal etwas Neues ausprobieren, weißt du. Etwas, wo man Familie und Beruf besser in Einklang bringen kann.“

„Oh ja, das kenne ich. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass du eine Familie hast?“

„Ja, ich bin verheiratet und habe einen Sohn, er ist fast drei Jahre alt. Süß, aber anstrengend.“

Sie lacht verständnisvoll.

„Oh mein Gott, in dem Alter sind sie zum Niederknien, aber sowas von anstrengend. Das wird erstmal nicht besser, sorry. Meine Tochter Emma ist mit elf bereits ein schreckliches Pubertier.“

„Da hoffe ich ehrlich gesagt, dass es bei Jungs nicht so schlimm wird. Aber was kann ich denn für dich tun, Bine?“

„Ich würde gerne einen Besprechungstermin ausmachen. Ich bin bereits zweimal geimpft.“

So macht man heute persönliche Termine aus. Schon merkwürdig.

„Das können wir gerne machen. Sollen wir uns vielleicht im Café Neuhausen treffen, das ist hier gleich um die Ecke und das Wetter ist so schön, da könnten wir uns in den Garten setzen.“

Ich will verhindern, dass sie sieht, wie privat wir hier untergebracht sind. Das wirkt nicht sehr professionell.

„Oh, das Café Neuhausen, da war ich früher öfter mal. Ja klar, sehr gerne. Geht es heute noch?“

„Sollen wir uns zum Lunch treffen, so gegen halb eins“, mir fällt ein, dass Jonas ab 14 Uhr weg ist, „ähm, vielleicht besser um 12 Uhr.“

„Ja gute Idee, dann bis gleich. Danke Lana.“

„Bis nachher, Bine.“

Ich lege nachdenklich auf. Was sie wohl von uns will?

Anton schaut mich erwartungsvoll an.

„Und? Neuer Auftrag?“

„Vielleicht, ich weiß es noch nicht. Eine alte Schulfreundin will was ermittelt haben. Du hältst bitte die Stellung, während ich mich mit ihr treffe.“

„Sollte ich nicht mitkommen?“

„Vielleicht nicht gleich beim ersten Treffen, okay?“

Er nickt verständnisvoll.

„Ja, das verstehe ich, sie ist sicher offener, wenn du allein mit ihr sprichst. Soll ich sie mal durchleuchten, damit du vorbereitet bist?“

„Ja, gute Idee, mach das mal. Sabine Glück, früher Bauernfreund, eine Tochter, Emma, 11 Jahre alt.“

Anton macht sich sofort an die Arbeit. Ich surfe auch ein bisschen. Auf den ersten Blick ist nicht viel von ihr zu finden, sie ist weder bei Facebook noch Instagram. Auch sonst hält sie sich bedeckt. Weil mir etwas langweilig ist – wir haben im Moment nicht so viel zu tun – surfe ich meine ehemaligen Klassenkameraden ab und finde viel Spaßiges.

Anton räuspert sich.

„Come on, das ist hart“, seufzt er.

Ich horche auf.

„Was ist los?“

„Ihr Mann, Fred Glück, ist Purser, also Chefsteward. Man hat ihm wegen sexueller Belästigung fristlos gekündigt, ich habe hier eine Kopie der Klageschrift. Das hört sich nicht sehr gut an, was die Damen da berichten.“

Ich springe auf und schaue ihm über die Schulter.

„Alter, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass nur rechtmäßig beschaffte Dokumente zulässig sind. Du sollst dich nicht in Ämter hacken, verdammt nochmal. Das ist verboten“, schimpfe ich, dann lese ich.

Anton ist ein echter IT-Nerd. Ich glaube, dass er sich in jedes beliebige Netzwerk hacken kann. Die Grenze zwischen legal und illegal ist ihm egal, da habe ich noch viel Aufklärungsarbeit vor mir. Eigentlich dürfte ich das jetzt nicht lesen, aber ich bin neugierig.

Eine Branka Petrovic beschuldigt den Mann meiner Schulfreundin, sie auf einem Trip sexuell belästigt zu haben. Er sei während des Fluges immer besonders eng an ihr vorbeigegangen, hätte ihren Hintern und ihre Brust gestreift und sie dann im Hotelzimmer aufgesucht. Er habe ihr in Aussicht gestellt, eine gute Beurteilung zu erhalten, wenn sie ihm gefällig sei. Das habe sie strikt abgelehnt und daraufhin hätte er ihr eine schlechte Bewertung geschrieben. So weit, so gut. Da könnte man immer noch sagen, da versucht sich eine wegen einer schlechten Bewertung zu rächen. Aber es sind noch zwei weitere Kolleginnen, die sich ähnlich äußern. Eine hat er telefonisch kontaktiert, was sie sehr irritiert habe, da sie ihm ihre Nummer nicht gegeben hätte. Er habe ihr Komplimente gemacht, die sie unpassend fand.

Ich stolpere darüber. Ist es schon so weit? Ein Mann macht einer Frau Komplimente und die fühlt sich davon belästigt?

Die Dritte im Bunde behauptet, er habe sie im Flugzeug unsittlich berührt und es wie zufällig aussehen lassen. Als sie sich bei ihm beschwerte, habe er ihr gedroht, ihren Check, also die Beurteilung ihrer Performance im Flugzeug, negativ ausfallen zu lassen.

Sabines Mann hat erklärt, dass nichts davon wahr sei, er Branka Petrovic eine schlechte Bewertung gegeben habe, weil sie zu spät kam, unvorbereitet und unverschämt zu den Gästen war. Er würde sie nicht mal mit einer Beißzange anfassen, schließlich sei er glücklich verheiratet und Vater einer Tochter. Die Komplimente an die zweite Frau, eine Janina Bürger, täten ihm leid, wären aber einfach nur nett gemeint gewesen. Ihre Nummer hätte er von einer Kollegin gehabt. Man würde oft Handynummern austauschen, um sich beim Layover, also der Übernachtung, zu verabreden oder zu treffen. An Hedi Olpert, die Dritte im Bunde, die ihn der sexuellen Belästigung beschuldigt, könne er sich überhaupt nicht erinnern. In einem Flugzeug sei es nun einmal eng und man müsse ab und zu einen Kollegen berühren, wenn man im Gang aneinander vorbeigeht. Er bestreite nachdrücklich, dass er mit einem schlechten Check gedroht habe, er nehme seinen Job ernst und würde die Mitarbeiter so beurteilen, wie sie arbeiteten, ohne Ansehen von Geschlecht, Aussehen oder sexueller Ausrichtung. Wieso sich alle drei auf einmal beschwert hätten, sei ihm völlig schleierhaft, da die geschilderten Vorfälle zeitlich weit auseinanderlägen.

Ich schaue Anton an.

„Na sauber. Das wird lustig. Ich kann mir vorstellen, was sie von uns wissen will. Du kannst die drei Ladies schon mal etwas genauer anschauen, okay? Ich mach mich auf den Weg und lass mir von Bine ihre Sicht der Dinge erzählen.“

„Aber keinen Ton über die Klageschrift. Du weißt von nichts.“

Ich schüttele den Kopf.

„Du hältst mich auch für bescheuert, oder? Das ist hochkriminell, was du da tust, mein Freund. Das geht gar nicht und bitte lasse es in Zukunft.“ Ich werfe ihm einen sehr ernsten Blick zu. Er muss endlich verstehen, dass er sich nicht überall reinhacken darf, auch wenn es für unsere Ermittlungen wirklich hilfreich ist, das muss ich zugeben. „Ich melde mich danach telefonisch, ich muss direkt von da los nach Hause.“

Er tippt schon auf seiner Tastatur und ist im Tunnel. Wenn einer etwas herausfindet, dann Anton.

Kapitel 3 – Heikler Auftrag

Montag, 21. Juni 2021 – mittags

Ich muss zweimal hinschauen, um Bine zu erkennen. Sie schaut sehr unglücklich aus und versteckt ihre sonst strahlend blauen Augen hinter einer schwarzen Sonnenbrille. Ich kenne diesen Zug um den rot geschminkten Mund, dieses Frustrierte, Traurige, wenn nichts so läuft wie es sollte. Ansonsten ist sie typisch stewardessenchic. Elegante dunkle Jeans, weiße Bluse, hippe Kette und einen dünnen, dunkelblauen Strickmantel, falls es kühler wird. Ich riskiere einen Blick, ein Designerteil, wahrscheinlich günstig in Indien oder auf einem ihrer Flüge ergattert. Das ist der Vorteil, wenn man als Stewardess arbeitet, stelle ich mir vor, dass man überall günstig einkaufen kann. Ihre Füße stecken in blütenweißen Turnschuhen. Sie ist minimal fülliger als früher, aber immer noch eine attraktive Frau, nach der sich die Männer umdrehen. Sie trägt ihre langen blonden Haare zu einem eleganten, gekonnt legeren Chignon gewunden.

Wir umarmen uns.

„Du schaust nicht glücklich aus“, konstatiere ich und sie sagt im selben Moment.

„Du siehst aber müde aus.“

Wir müssen lachen. Die Bedienung kommt, wir bestellen. Sobald wir unsere Getränke haben – für mich Johannisbeerschorle, für sie ein Radler – beuge ich mich vertraulich vor.

„Jetzt spuck es aus, Bine. Ich bin neugierig. Was ist los?“

Sie schaut sich vorsichtig um, aber es ist noch sehr ruhig und wir sitzen fast allein im Garten. Dann nimmt sie die Sonnenbrille ab und schaut mich fest mit verweinten Augen an.

„Es geht um meinen Mann Fred. Er ist, er hat, jemand hat, also, er hat natürlich nicht“, stottert sie.

„Was ist mit Fred?“, frage ich.

Sie fasst sich, nimmt einen Schluck Radler und holt tief Luft.

„Drei Kolleginnen, die er schlecht bewertet hat, haben ihn in die Pfanne gehauen und wegen sexueller Belästigung beim Arbeitgeber angezeigt. Daraufhin haben sie ihm fristlos gekündigt.“

„Was? Warum?“

Sie schaut mich verwirrt an.

„Was, warum?“

„Warum hat man ihn fristlos entlassen? Waren die Beweise so eindeutig? Hatte dein Mann vorher schon Abmahnungen kassiert?“

Sie schüttelt ratlos den Kopf.

„Ich weiß es nicht. Es gibt keine Beweise, nur Aussage gegen Aussage. Aber drei gegen einen, das scheint auszureichen. Und nein, keine Abmahnungen, zumindest keine, von denen ich wüsste.“

„Glaubst du deinem Mann?“

Sie nickt eifrig.

„Unbedingt. Er ist ein Charmeur, macht den Mädels Komplimente, ist sehr hilfsbereit. Ganz alte Schule halt, du weißt ja, dass er einige Jahre älter ist als ich. Er wurde letztes Jahr fünfzig, das ist einfach eine völlig andere Generation. Vielleicht ist er etwas zu touchy für die heutigen Frauen, das möchte ich nicht ausschließen. Aber mit etwas Menschenkenntnis muss man doch merken, dass das rein liebevoll gemeint ist, ohne jede sexuelle Konnotation.“

„Tja, aber gleich drei Frauen, die ihn der sexuellen Belästigung bezichtigen? Und alle auf einmal? Kann es nicht sein, dass er vielleicht doch übergriffig wurde? Ihr hattet Streit, dann hat er sich ein Ventil gesucht. Gutaussehende Frauen, die locker und lustig sind, können einen frustrierten Mann mit Sicherheit in Versuchung führen. Vielleicht hat er etwas falsch verstanden? Allerdings steht auch im Raum, wenn ich dich richtig verstanden habe, dass er seine Macht als Vorgesetzter ausgenutzt haben soll, indem er ihnen negative Bewertungen gegeben hat. Kannst du das wirklich ausschließen?“

Ich schaue sie ernst an. Nach allem, was ich gelesen und gehört habe, halte ich ihn für schuldig. Die armen Frauen. Und die eigene Ehefrau ist blind für die Wahrheit, weil sie es nicht wahrhaben will.

Bine nickt ernst und knetet den Rand ihres Blusenärmels.

„Ich bin mir sicher! Fred hat in den letzten Jahren jegliches sexuelles Interesse verloren, war dafür sogar beim Arzt in Behandlung.“

„Das hat er dir gesagt? Hast du Arztberichte gesehen?“

„Mann, Lana, was soll denn das? Du redest, als sei er schuldig. Musst du nicht erstmal von der Unschuldsvermutung ausgehen?“

„Tut mir leid, Bine, aber ich muss dich auch unangenehme Dinge fragen. Je mehr ich weiß, umso eher finde ich einen Hebel, wo ich mit meinen Ermittlungen ansetzen kann. Würde dein Fred mit mir sprechen? Und würde er seinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden?“

Sie zuckt mit den Schultern und errötet leicht.

„Ehrlich gesagt weiß er nichts von meiner Aktion. Ich würde ihn lieber erst später einweihen, er denkt sonst, ich misstraue ihm.“

„Misstraust du ihm denn?“

Sie schaut mich offen an.

„Lana, drei Frauen bezichtigen meinen Mann der sexuellen Belästigung. Er hat mich seit zwei Jahren nicht mehr angerührt. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Kennt man einen Menschen so gut, dass man sich wirklich sicher sein kann?“

Ich nicke verständnisvoll und lege ihr die Hand auf den Unterarm.

„Erzähl mir von den drei Frauen.“

„Ich kenne sie nicht. Wegen Emma fliege ich nur Teilzeit, wenige Trips im Monat, und da sind sie mir nicht untergekommen. Allerdings hat die Petrovic einen, sagen wir, speziellen Ruf. Sie gilt in Kollegenkreisen als männermordender Vamp, hat ständig wechselnde Affären und ist sehr ehrgeizig, nach oben zu kommen.“

Ich unterbreche sie.

„Wie heißt die Frau? Und was weißt du von ihr?“

„Ich weiß nur, dass sie Branka Petrovic heißt und dass die Kollegen über sie sagen, dass sie mit dem Michi Huber, einem Teamleiter hier in München, eine Affäre habe, obwohl sie in London verheiratet ist.“

„Und Fred? Ist der auch ein Teamleiter?“

„Nein, der ist ein PII, also ein Purser, der in erster Linie Langstrecke fliegt.“

„Aha. Und diese Branka Petrovic arbeitet im Team von Michi Huber und hat eine Affäre mit ihm?“

„Nein, sie ist bei Anna Cobra, einer anderen Teamleiterin.“

„Aha. Was weißt du sonst noch von ihr?“

„Du, wirklich fast nichts. Sie ist nicht sehr zuverlässig, habe ich gehört. Eine Kollegin hat sich mal beschwert, dass sie aus dem Standby nach Lagos musste, weil die Petrovic sich einfach krankgemeldet hat. Lagos ist bei einigen nicht sehr beliebt, musst du wissen.“

Ich mache mir Notizen.

„Und die anderen beiden?“

„Von Hedi Olpert habe ich noch nie gehört. Janina Bürger kenne ich, mit der bin ich mal geflogen. Eigentlich eine nette Kollegin und in meiner Erinnerung auch nicht zimperlich, was Avancen von Piloten anbelangt, die hat sie immer sehr souverän abtropfen lassen. Da hat sie auch nie einen angezeigt. Sehr hübsche, attraktive Frau. Fred hat ihr Komplimente gemacht, um sie aufzubauen, weil sie frustriert war, hat er mir erzählt. Aber ehrlich, Lana, mehr weiß ich nicht. Man hat einen Umlauf zusammen, versteht sich gut und sieht sich danach Jahre nicht mehr.“

„Was ist ein Umlauf?“

„Wenn du zum Beispiel von München nach Dubai, von da aus weiter nach Singapur und über Dubai wieder zurückfliegst, ist das ein Umlauf von 7 Tagen mit 4 Legs und 6 Layovern. Als Leg wird eine Wegstrecke zwischen Start und Landung bezeichnet, als Layover die Übernachtung im Hotel unterwegs. Es gibt auch fünf Tage Umläufe mit jeweils fünf Legs pro Tag, da fliegst du dann von München nach Barcelona und zurück, nach Berlin und zurück und dann weiter nach Düsseldorf. Dort gehst du ins Hotel und am nächsten Tag saust du von Düsseldorf nach Paris und zurück, nach Hamburg und zurück und nach Wien. Irgendwann weißt du nicht mehr, wo du bist.“

Sie lacht bitter.

„Und wer entscheidet, was für einen Umlauf du bekommst?“

„Die Umläufe hängen von dem Flugzeugmuster ab, auf das du geschult bist. Wenn du Boeing 737 und 747 fliegst, dann fliegst du die Ziele an, die das Flugzeug als Umlauf zu bieten hat.“ Sie überlegt einen Moment nachdenklich und nimmt einen Schluck ihres Radlers. „Weißt du, eine Flugbegleiterin ist nicht nur eine ‚Saftschubse’. In erster Linie sind wir für die Sicherheit an Bord zuständig. Wir haben ständig Sicherheitstrainings und bekommen beim Briefing Sicherheitsfragen vom Purser gestellt, um zu beweisen, dass wir auf dem Laufenden sind.“

Ich schaue sie nun leicht verzweifelt an.

„Briefing?“

Nun muss sie laut lachen.

„Verdammt, man merkt das selbst gar nicht mehr, wie speziell diese Sprache ist. Also Briefing ist das Treffen vor dem Umlauf. Dort erklärt der Purser oder die Purserette, also der Kabinenchef, die Besonderheiten der verschiedenen Legs, soweit bekannt, und fragt Sicherheitsaspekte ab. Damit verschafft er sich einen Überblick über den Kenntnisstand seiner Crew.“ Sie stockt einen Moment. „Sorry, das mit dem Gendern krieg ich noch nicht so gut hin.“

Ich muss lachen.

„Kein Problem für mich. Ich verstehe auch so, was du meinst.“

Ich werfe einen vorsichtigen Blick auf meine neue Designer-Armbanduhr, die mir Jonas geschenkt hat, damit ich ihn nicht so oft versetze. Teures Teil, eigentlich nicht mein Stil, aber durch die zeitlose Eleganz passt sie zu allem. Verdammt, so spät schon. Ich muss los.

„Gut Bine, dann weiß ich Bescheid. Ich schaue mir die Ladies und den Fall an, wenn du magst. Allerdings muss ich schon Geld verlangen, denn wir haben gerade erst mit unserer Detektei angefangen. Wie ist das denn bei dir mit der Kohle – schwierig?“

Sie senkt beschämt den Kopf.

„Ähm, also, das ist im Moment etwas knapp, weißt du. Fred hat auf einen Schlag alles verloren. Wir haben zwar noch Rücklagen, aber die sind auch irgendwann verbraucht. Wenn du herausfindest, dass er unschuldig ist und wir das vor dem Arbeitsgericht beweisen können, dann kann ich dir auf jeden Fall mehr bezahlen.“

„Okay, dann machen wir es so. Du zahlst mir meine Auslagen und bei Erfolg auch mein Honorar. Hier“, ich schiebe ihr unsere Preisliste über den Tisch, „schau dir das in Ruhe an und sag dann Bescheid, ob du das möchtest.“

Sie überfliegt die verschiedenen Posten, dann nickt sie.

„Ja bitte, Lana. Ich vertraue dir. Wenn jemand die Wahrheit herausfindet, dann du. Ich finde eine Lösung, wie du dein Geld bekommst, zur Not leihe ich es von meinen Eltern. Du kannst dich auf mich verlassen. Ich bezahle auch das Mittagessen, betrachte dich als eingeladen.“

Ich stehe auf, greife nach meiner Tasche und lächele ihr zu.

„Danke. Mach dir keine Sorgen, Bine. Ich finde heraus, was da los ist.“

Kapitel 4 – Sexuelle Belästigung?

Donnerstag, 24. Juni 2021 - vormittags

Wir haben eine Kinderfrau! Die nette Dame, die sich am Montagabend vorgestellt hat, ist es gleich geworden. Sie ist elegant und liebevoll, hat eine Ausbildung als Säuglingsschwester und gerade ihren Mann verlassen. Er hat ihr gemeinsames Vermögen verspekuliert, jetzt sind sie bankrott, nachdem sie zuvor sehr, sehr reich waren. Ich finde es gut, dass sie schon über fünfzig ist, dadurch muss man nicht befürchten, dass sie noch eigene Kinder bekommt und einen wieder verlässt. Wir waren uns alle sofort sympathisch und vor allem Kian war hellauf begeistert von ihr, als sie am Dienstag zum Probearbeiten da war. Sie ist teuer, aber Jonas sagt, das sei es ihm wert. Er möchte, dass Kian so gut wie möglich betreut wird.

Wir hätten ihn auch gerne in die Krippe gegeben, damit er mit anderen Kindern spielen kann, aber unsere Versuche in diese Richtung waren nicht von Erfolg gekrönt. Es gab einfach keinen freien Platz, obwohl unsere Regierung groß verkündet hatte, dass jeder, der das wolle, einen Platz bekommen würde. Als wir uns mit einer armen Alleinerziehenden um den letzten Platz in der Kita Sonnenschein streiten sollten, haben wir abgewinkt. Sie braucht ihn so viel dringender als wir.

Wenn es gut mit Mechthild von Straten läuft, ist angedacht, dass auch Artur und Lea, die Kinder meiner Freundinnen Hannah und Maria, die Vor- oder Nachmittage bei uns verbringen. Die anderen Familien würden sich dann auch an den Kosten beteiligen.

Mechthild fängt am 1. Juli an, das ist nicht mehr lange. Und das Beste ist – sie zieht in die Einliegerwohnung! Weil sie gerade erst ihren Mann verlassen hat, weiß sie eh noch nicht, wohin. Wir haben ihr angeboten, dass sie sich sofort in der Wohnung einrichten kann und deshalb ist sie jetzt schon da und macht es sich gemütlich. Sie ist sehr unaufdringlich, wirklich angenehm. Selbstverständlich habe ich sie von Anton und Reiter überprüfen lassen, alles tipp topp, nur ihr Mann steht im Ruf, ein Pleitier und Betrüger mit einem Haufen Schulden zu sein. Ich glaube ihr, dass sie nichts von seinen Geschäften wusste.

Seit drei Tagen recherchieren Anton und ich, was in der Causa Glück vorgefallen ist. Naja, okay, ich gebe es zu, Anton recherchiert. Er checkt sämtliche Social-Media-Aktivitäten der drei Flugbegleiterinnen und durchleuchtet sie. Ich kann da im Moment nicht so viel machen, was mir Freiraum gibt, mich um andere Dinge zu kümmern. So eine Firmengründung ist mit allerlei Papierkram verbunden, deshalb wird mir nicht langweilig.

Um elf Uhr streckt er sich und seufzt.

„Ich wäre so weit. Willst du hören, was ich im Fall Glück rausgefunden habe? Allerdings sage ich dir gleich, das sind keine legal beschafften Informationen. Die Fluggesellschaft hat ihre Daten nicht sehr gut gesichert. Denen könnten wir mal ein Sicherheitsupdate anbieten.“

Ich verdrehe die Augen.

„Mann, Anton. Wie oft muss ich dir das noch sagen? Aber gut, wenn du nun schon mal nachgeschaut hast.“

Froh, meine Buchhaltung beiseitelegen zu können, nicke ich ihm auffordernd zu.

„Schieß los.“

„Also, wie du weißt, habe ich mich voll auf die drei Ladies konzentriert. Wenn ich das richtig sehe, ist die Hauptanklägerin die Petrovic. Sie hat in einem internen Netzwerk der Fluggesellschaft danach gefragt, ob sich sonst noch jemand von Fred Glück belästigt fühlen würde. Die ist nicht doof und wusste genau, dass man ihr allein keinen Glauben schenken würde und dann Aussage gegen Aussage stünde. Die Hedi Olpert ist eine Freundin der Petrovic, eine eher unscheinbare, unauffällige Person, die sich im Dunstkreis der Petrovic wichtiger vorkommt. Ich habe Bilder gesehen, die sie bei Instagram gepostet hat, Bilder von sich und Branka Petrovic, am Pool, im Sonnenuntergang, beim Essen. Allerdings keine privaten Reisen, sondern dienstliche Flüge, bei denen sie gemeinsam unterwegs waren. Die Olpert stalkt die Petrovic, wenn du mich fragst. Ich habe jede Menge Requests gefunden, in denen sie darum bittet, mit ihrer Freundin gemeinsam fliegen zu dürfen.“

„Was sind Requests?“

„FlugbegleiterInnen, wie das heute heißt, können sich bestimmte Umläufe oder freie Tage wünschen, um etwas Planbarkeit zu erreichen. Je länger man bei der Fluggesellschaft arbeitet, umso höher ist die Chance, seinen Request auch erfüllt zu bekommen. Die Olpert ist etliche Jahre länger dabei als die Petrovic, weil sie schon sehr früh angefangen hat, deshalb bekommt sie fast alles, was sie möchte. Ich bin mir nicht sicher, ob die Petrovic nicht die Olpert ausnutzt, um an die besseren Umläufe zu kommen.“

„Also würde die Olpert für ihr großes Vorbild alles tun?“

„Ich schätze schon.“

„Was ist so toll an der Petrovic?“

Anton grinst anzüglich und dreht seinen Bildschirm zu mir um. Mehrere Bilder einer sehr attraktiven Dreißigjährigen, elegant, teuer angezogen, perfekt geschminkt, egal in welcher Situation.

„Okay“, sage ich ratlos, „sie schaut gut aus, aber ist das nicht ein Einstellungskriterium?“

„Naja, heute nicht mehr so. Aber unsere Branka hier ist schon ein ganz besonderes Kaliber. Die lässt sich nichts gefallen, macht was sie will und bekommt nie eine disziplinarische Strafe. Irgendwas ist da komisch, ich habe nur noch nicht herausgefunden, was.“

„Und die Dritte im Bunde?“

„Janina Bürger, 24 Jahre alt, aus prekären Verhältnissen. Sehr hübsche junge Frau. Sie versucht, es allen rechtzumachen, glaube ich. Ihre Mutter ist mit 16 Jahren vergewaltigt worden, es gab damals eine Anzeige, die dann jedoch wieder zurückgezogen wurde. Das Vergewaltigungsopfer hat ein Kind bekommen und später den Beschuldigten geheiratet. Das ist so krass. Come on, warum tut jemand sowas und heiratet seinen Vergewaltiger? Okay, das waren noch andere Zeiten, aber trotzdem. Der Vater von Janina Bürger steht im Verdacht, seine Frau bis heute immer wieder zu schlagen. Der Typ hat ein Problem mit seiner Impulskontrolle. Die beiden sind aktenkundig, es gab ständig Anzeigen von Nachbarn, aber die Mutter hat immer gesagt, sie sei gestürzt oder gegen eine Tür gelaufen. Ich glaube, Janina schämt sich für ihre Familie. Vielleicht hat sie auch Schuldgefühle, weil ihre Mutter wegen ihr und dem Gerede der Leute diesen schrecklichen Menschen geheiratet hat. Und sie hasst offensichtlich Männer, denn sie postet viel Verachtendes.

---ENDE DER LESEPROBE---