Lange Abwesenheit. Die Galizianerin. Malstunde - Brigitte Schwaiger - E-Book

Lange Abwesenheit. Die Galizianerin. Malstunde E-Book

Brigitte Schwaiger

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Beschreibung

Mit "Lange Abwesenheit", "Die Galizianerin" und "Malstunde" sind drei lange vergriffene Titel von Brigitte Schwaiger als Sammelband wieder lieferbar. Jeder der drei Texte ist von zeitloser Aktualität - ein lebendiges Stück deutschsprachiger Literaturgeschichte. Brigitte Schwaigers "Lange Abwesenheit" ist, ähnlich wie ihr Bestseller "Wie kommt das Salz ins Meer", das kollektive Zeugnis einer Generation zwischen Erinnerung, Schweigen und hilfloser Rebellion. Sie schreibt über Nachkriegs-Antisemitismus, uneingestandene Schuld und das schwierige, für ihre Zeit so exemplarische Verhältnis zu ihrem Vater. In "Die Galizianerin" erzählt die fast 60-jährige Jüdin Eva Deutsch, ehemals Chawa Fränkel, Brigitte Schwaiger ihre Lebensgeschichte von Verfolgung und Überleben - von der Autorin mit Rücksicht und einfühlsamer Geduld niedergeschrieben. "Malstunde" ist das außergewöhnliche Zeugnis eines Dialogs zwischen den beiden Ausnahmekünstlern Arnulf Rainer und Brigitte Schwaiger: witzig, aufschlussreich und kurzweilig.

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Seitenzahl: 426

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Brigitte Schwaiger

LANGE ABWESENHEIT DIE GALIZIANERIN MALSTUNDE

Brigitte Schwaiger

LANGE ABWESENHEIT DIE GALIZIANERIN MALSTUNDE

Czernin Verlag, Wien

Gedruckt mit Unterstützung der Kulturabteilung des Landes Oberösterreich

Schwaiger, Brigitte: Lange Abwesenheit - Die Galizianerin - Malstunde / Brigitte Schwaiger Wien: Czernin Verlag 2012 ISBN: 978-3-7076-0356-9

Brigitte Schwaiger, Lange Abwesenheit: erstmals veröffentlicht 1980 im Paul Zsol- nay Verlag; Brigitte Schwaiger, Eva Deutsch, Die Galizianerin: erstmals veröffent- licht 1982 im Paul Zsolnay Verlag; Brigitte Schwaiger, Arnulf Rainer, Malstunde: erstmals veröffentlicht 1980 im Paul Zsolnay Verlag.

© 2012 Czernin Verlags GmbH, Wien Umschlaggestaltung: sensomatic unter Verwendung eines Bildes von Brigitte Schwaiger Übertragen in die Neue Deutsche Rechtschreibung von Günther Renner Produktion: www.nakadake.at ISBN Epub: 978-3-7076-0356-9 ISBN PDF: ISBN Print: 978-3-7076-0252-4

Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe in Print- oder elektronischen Medien

Brigitte Schwaiger

LANGE ABWESENHEIT

Die Stirne meines Vaters, ein Eisfeld, auf dem eine winzige Figur läuft. Das bin ich und laufe und laufe, aber der Kopf dreht sich. So komme ich nicht voran.

Es ist schon dunkel. Vielleicht ist das Tor geschlossen. Dann werde ich über die Mauer klettern. Ich will zu meinem Vater, jetzt. Auch wenn geschlossen ist. Aber das Tor lässt sich leicht öffnen. So finster ist es, dass andere Kinder sich fürchten würden, um diese Zeit durch die Grabreihen zu gehen. Schau, Vater, herauf oder herunter, da bin ich. Ich möchte dir etwas sagen. Mein Auto steht draußen an der Friedhofsmauer. Ich habe es nicht versperrt. So eilig hatte ich es, zu dir zu kommen. Blödsinn, sagt er, du hast doch sicher Geld im Auto, Geld ist Geld! Ich möchte aber nicht schon wieder über Geld mit dir reden. Was haben sie dir denn da hergemeißelt? Ist dir die Schrift recht? Weißt du, wie lange ich als Kind in deiner Ordination saß, nachmittags, wenn du Krankenbesuche machtest, und die Privatrezeptblöcke betrachtete? Ich empfand für alles, was mit deinem Namen bedruckt war, ehrfürchtige Liebe. Ein Vater, der so wichtig war, dass man seinen Namen druckte. Doktor der gesamten Heilkunde. Ich war stolz auf dich. Du warst so wichtig, dass man dich nur selten sehen konnte. Wurdest ständig gebraucht von deinen Kranken. Wenn du heimkamst, warst du müde. Mutter schickte uns in unsere Zimmer. Der Vater hat genug Gesichter gesehen den ganzen Tag! Er braucht Ruhe.

Birer lebt. Drei Jahre, sagtest du, als ich dir vor fünf oder sechs Jahren von seiner Krankheit erzählte.

Als ich Birer kennen lernte, hoffte ich, er würde dich überleben. Birer war für mich da, wenn ich Fragen hatte. Wann hättest du dir Zeit genommen, mit mir zu reden? Als ich begriff, dass du sterben würdest, nahm ich es dir übel, dass du einfach fortgingst, ohne jemals für mich vorhanden gewesen zu sein.

Mach ein bisschen auf. Sag etwas. Sag etwas mit deiner Stimme. Sag vielleicht:

Oh, du bist hier? Das freut mich aber, dass du gekommen bist! Sag etwas in dem liebevollen Ton, den du für mich hattest, wenn du in Gegenwart eines Patienten in deiner Ordination mit mir telefoniertest. Wenn die Patienten dich hören konnten und sehen konnten, warst du ganz anders zu allen deinen Töchtern. Sag etwas. Lass mich nicht so dastehen.

Wenn es etwas gibt, schweb heran! Leg deine Hände auf meine Hüften, wie ich das nie haben wollte, wenn du nichts anderes kannst. Ein Friedhofsmörder könnte mich erwürgen und zerstückeln. Diese Gefahr gehe ich für dich ein. Siehst du, was für Macht du hast? Und wie überlegen du mir jetzt schon wieder bist. Aber ich glaube nicht, dass du dich hast aufnehmen lassen in die große Gemeinschaft der Heiligen. Du sitzt irgendwo allein und verfluchst Mutter, weil sie dir nicht die Wärmflasche bringt. Du willst nicht zusammen mit den gewöhnlichen Toten rund um den Herrgott sitzen. Wenn es einen Herrgott gibt, sagtest du einmal, dann soll er die Krankheiten abschaffen! Der Herrgott sollte dir lieber eine Wärmflasche geben, Kamillentee und Schafwollsocken. Und eine Zeitung. Aber hab Geduld, wir kommen ja nach. Großmutter ist schon recht alt. Und wir sind auch sterblich. Dann bringen wir dir Zigaretten und lassen uns wieder von dir erzählen, wie du geritten bist am norwegischen Eismeer, was für dicke Lachse du gefischt hast, und wir bewundern dich. Und wenn Mutter und die Schwestern schlafen gegangen sind, bleibe ich in der Küche sitzen und frage dich, ob du dich erinnerst an das weiße Kleid, wie ich im weißen Kleid zu dir gekommen bin, wie du das sagtest von der kleinen Geliebten, wie eine kleine Geliebte, wie eine heimliche Geliebte, und du antwortest: Ja, ja. Dann gehst auch du schlafen, und ich sitze allein in der Küche, trinke den Bierrest aus deinem Glas, werfe deine Zigarettenstummel weg, schaue nach, von wem die Ansichtskarten sind, die an der Holzleiste hinter deinem Essplatz stecken. Patienten, die auf ihren Urlaubsreisen an dich dachten, Sportfliegerfreunde, Kriegskameraden, lauter Menschen, die einen besseren Weg zu dir wussten als ich. Meine Briefe hast du nie beantwortet. Wer war ich denn. Nur eine von den vier Töchtern, die dir das Leben vergällten. Gute Nacht, sage ich. Gute Nacht, sagst du in dem Ton, der zugleich ein lautes Seufzen ist, ein Vorwurf von dir an dich selbst, uns gezeugt zu haben. Du tatest mir oft leid, wenn ich uns so anschaute. Aber auch wir haben uns dich und Mutter nicht ausgesucht. Ich hasse mich selbst, wie ich jetzt kerzengerade stehe vor einem Fleck Erde, unter dem du wahrscheinlich kerzengerade liegst. Jeder an seinem vorläufigen Platz. Ein rechter Winkel zwischen dir und mir. Ich bin gekommen, um Andacht zu halten. Aber du sagst nichts, und ich spüre nur mein Lebendigsein. Papa, lieber. Wir haben ein Papier bedrucken lassen mit deinem Namen und deinem Bild. Sympathisch bist du da, blickst ernst und pflichtbewusst. Der gute Arzt. Ich trage dich in meiner Handtasche herum. So ein Vater, den man auseinanderfalten und herzeigen kann. Ich bin enttäuscht, wenn ich dich herzeige und die Leute, die dich nicht gekannt haben, schweigen. Ich möchte, dass sie dich bewundern, wie du es verdienst. Ich möchte, dass die, die dich gekannt und verehrt haben, dich hassen, wie du es verdienst. Ich möchte weinen können um dich. Wenn ich dich hergezeigt habe, falte ich dich zusammen und stecke dich wieder ein. Es hilft mir niemand, dich zu betrauern. Soll ich das Mutter ausrichten, wegen der Wärmflasche? Wenn sonst noch etwas ist, schreib es auf, leg den Zettel heraus, wir holen ihn dann jeden Tag.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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