Langosch zum Frühstück - Coco Eberhardt - E-Book
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Coco Eberhardt

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Beschreibung

Eine romantische Lebens- und Liebesgeschichte über Loslassen, tiefe Gefühle und natürlich Liebe.   Der Mittdreißiger Julian lebt zusammen mit seinem pubertierenden Sohn Leo und seinem besten Freund Eddy in einer Altstadtwohnung im schwäbischen Provinzstädtchen Weißenhorn. Sein Leben hat er sich mittlerweile ganz gut in seiner selbsterschaffenen Komfortzone eingerichtet. Doch dann kommt der Tag, der alles ändert…   Seine Ex-Freundin Isi erklärt ihm, dass sie schwanger ist. Als würde das Julian emotional nicht schon völlig aus der Bahn werfen, erklärt ihm auch noch seine beste Freundin Eni, dass sie mit ihrem Foodtruck ohne Zeit- und Rückfahrplan nach Berlin fahren möchte, um ihr Langosch zu verkaufen. Für sie hat Julian schon länger Gefühle, doch das Schicksal hat es nie zugelassen, dass daraus mehr geworden ist, weswegen die beiden mittlerweile in einer Friendzone-Endlosschleife festhängen. Was bleibt Julian da anderes übrig, als sich mal wieder Trost zu suchen, bei der ihm eigentlich viel zu jungen Textilkünstlerin Nina. Doch auch hier hat das Schicksal bereits längst seine Weichen gestellt. Zu allem Überfluss nervt ihn auch noch seine italienischstämmige Mutter, die neuerdings auf Instagram als Homefarmerin unterwegs ist, dass es für ihn höchste Zeit sei, sein Junggesellenleben zu beenden und sich endlich eine Frau zum Heiraten zu suchen.   Julian muss endlich in Aktion kommen und erkennen, was ihm wirklich wichtig ist. Doch hoffentlich ist es dafür nicht schon viel zu spät…   Dieser Roman ist in sich abgeschlossen.   Weitere Bücher der Autorin: Tanz im Staudenbeet - Roman Glückszeit auf dem Glaserhof - Roman Sekt und Lederhose - Roman Ex und Servus - Roman

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Coco Eberhardt

Langosch zum Frühstück

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Ein Tag, der alles ändert

Manchmal ändert ein Tag alles. Isi hatte sich für heute angekündigt, was sie sonst nie machte. Ich wirbelte durch die große Wohn-Ess-Küche meiner Wohnung, die mitten in der Altstadt von Weißenhorn lag, einem kleinen Städtchen im schwäbischen Teil Bayerns, hart an der Grenze zu Baden-Württemberg. Das alte Parkett knarzte unter meinen Schritten, während ich Teller und Kaffeetassen auf den kleinen Esstisch stellte. Was sie wohl von mir wollte? Am Telefon hatte sie sich so anders angehört als sonst. Irgendwie förmlich, fast schon verkrampft. So kannte ich sie gar nicht. Und ich kannte sie schon ziemlich lange. Einundzwanzig Jahre, um genau zu sein. Die Kaffeemaschine dampfte leise röchelnd vor sich hin.

Ich konnte mich noch genau an den Tag erinnern, als wir uns das erste Mal begegnet waren. Es war ein heißer Tag im August. Erbarmungslos stach die Sonne vom Himmel. Wenige Tage vorher hatte ich meinen 13. Geburtstag gefeiert, den ich allerdings in keiner guten Erinnerung hatte. Es war auf gewisse Art ein Wendepunkt in meinem damals noch jungen Leben. Mama und Papa würden sich scheiden lassen, was bedeutete, dass Mama und ich aus dem großen Haus in Ulm am Michelsberg, in dem wir bisher gewohnt hatten, ausziehen mussten, weil Papa dort künftig mit Sisi wohnen würde. Sisi war seine Assistentin und zu meinem großen Bedauern schon seit geraumer Zeit etwas mehr als nur das. Sie war damals gerade Mitte 20 und hatte die Midlife-Crisis meines Vaters gut für sich zu nutzen gewusst. Eine schlechte Partie war Peter noch nie, weder optisch noch materiell. Man konnte ihm wahrlich viel vorwerfen, aber trotz der Trennung hatte er gut für meine Mutter und mich gesorgt und uns diese Altstadtwohnung gekauft, in der ich noch heute lebte. Der Umzug damals war trotzdem schrecklich für mich. Es war komisch, dass mein Vater nun nicht mehr bei uns wohnte. Ich fühlte die Spannungen zwischen meinen Eltern und war irgendwie darin gefangen, ohne dass ich etwas dagegen hättet tun können. Außerdem lebte ich plötzlich in einer völlig neuen Umgebung mit völlig anderen Menschen. Alles, was mir bis dahin Sicherheit gegeben hatte, war auf einmal weggebrochen.

Wir hatten den ganzen Tag Möbel und Kartons in die neue Wohnung geschleift. Und da stand sie plötzlich vor mir im Treppenhaus unseres neuen Zuhauses. Isi Winter. Ihr langes blondes Haar hatte sie damals noch zu zwei Zöpfen gebunden und ihr Lächeln hatte mich vom ersten Augenblick an verzaubert, trotz der festen Zahnspange. Sie wohnte im gleichen Haus, nur im Erdgeschoss.

„Ich bin Isi“, meinte sie tough zu mir, während ich ihr vor Verlegenheit kaum in die Augen schauen konnte.

Zur Begrüßung streckte sie mir ihre Hand entgegen, die ich instinktiv annahm.

„Ich bin Julian. Wir ziehen in die Wohnung im ersten Stock“, hatte ich schüchtern geantwortet.

Damals konnte ich noch nicht erahnen, dass dies eine Begegnung war, die meinen ganzen Lebensgang verändern würde.

Seit diesem Tag war viel Zeit vergangen. Und nicht nur das... Ein Hauch von Wehmut machte sich unerwartet in mir breit. Doch noch ehe er sich in mir ausbreiten konnte, riss mich das Klingeln an der Haustür aus meinen Gedanken. Ohne an der Gegensprechanlage zu fragen, wer draußen war, betätigte ich den Türöffner. Ich hörte sie schon die knarrende Holztreppe hinaufsteigen, während ich am oberen Treppenabsatz auf sie wartete.

„Hallo Julian. Schön, dich mal wieder zu sehen.“

Sie nahm mich kurz in den Arm und ich roch ihren Duft, der mir so vertraut war und doch mittlerweile so fremd.

„Komm rein“, bat ich sie und wie selbstverständlich ging sie an mir vorbei in die Wohn-Ess-Küche.

Mit einer Handbewegung bot ich ihr an, sich an den gedeckten Tisch zu setzen. Ich hatte extra Miniplunder beim Bäcker besorgt.

„Kaffee?“, fragte ich eigentlich nur rhetorisch, doch sie verneinte überraschend.

„Wasser wäre mir lieber.“

Ich stellte die Kaffeekanne zurück auf die Wärmeplatte und holte stattdessen eine Flasche Wasser und ein Glas. Irgendetwas war heute anders. Aber was?

Ich setzte mich ihr gegenüber und sie blickte mich mit ernster Miene an, was mich irgendwie verunsicherte.

„Wie geht´s dir?“, wollte sie schließlich wissen und ich fragte mich, was das sollte.

Mit Small Talk hatten wir uns noch nie groß aufgehalten.

„Gut“, ließ ich mich knapp darauf ein.

Auf einmal legte sie ihre Hände auf die meinen, was mich nun völlig irritierte.

„Julian, ich muss dir was sagen.“

Stille.

„Ich bin schwanger.“

Für eine Millisekunde hatte ich das Gefühl ein Déjà-vu zu erleben. Doch dann ratterte es in meinem Gehirn und ich begann langsam zu verstehen, was sie mir damit sagen wollte.

„Aber doch nicht von diesem Antonio.“

Kaum, dass ich diesen im Affekt ausgesprochenen Satz beendet hatte, merkte ich schon, wie ihre Laune umschlug und sich auf ihrer Stirn diese kleinen Fältchen bildeten, die ich nur zu gut bei ihr kannte und die mir sagten, dass das wohl nicht die Reaktion gewesen war, die sie sich von mir erhofft hatte.

„Von wem denn sonst?“, konterte sie leicht gereizt.

Ja, von wem denn sonst? Diese Frage war berechtigt. Immerhin lief das mit diesem Portugiesen schon mindestens zehn Jahre. Er war ein bisschen älter als ich und ein wahrer Schönling, der Cristiano Ronaldo durchaus Konkurrenz hätte machen können. So richtig warm geworden war ich mit ihm nie. Aber das konnte man mir wohl auch nicht verübeln.

„Sorry, das war nicht so gemeint. Schön für euch. Ich wünsche euch viel Glück“, entschuldigte ich mich kleinlaut bei ihr.

„Danke. Ich weiß, dass das nicht einfach ist für dich. Mich verwirrt es auch. Ich will nur, dass du das weißt.“

Sie war aufgestanden und im Begriff zu gehen. Ihr Wasserglas war noch halb voll. Ich begleitete sie zur Wohnungstür und nahm sie nochmals wortlos in den Arm. Eine Träne lief ihr dabei über die Wange, die sie sich mit dem Handrücken wegwischte.

„Das sind die Hormone“, entschuldigte sie sich kurz dafür. „Und bitte erzähl es noch nicht groß weiter, auch nicht Leo. Ich möchte es ihm gerne selber sagen.“

Ich nickte stumm und sah ihr schließlich nach, wie sie die Treppen hinunter ging.

 

Wesentlich komplizierter

„Eddy!“

Ich hatte zwar versprochen, es nicht groß weiterzuerzählen, aber ich musste trotzdem dringend mit jemandem darüber reden. Ohne anzuklopfen stürmte ich in das Zimmer meines Mitbewohners, der allerdings nicht da war. Verdammt!

Eddy war nicht nur mein Mitbewohner, sondern auch mein bester Freund seit der Schulzeit. Ich hatte ihn ebenfalls in diesem für mich so prägenden Sommer, kurz nach meinem 13. Geburtstag kennengelernt, genauer gesagt an meinem ersten Schultag am Gymnasium. Während ich neu in der Klasse war, weil ich mit meiner Mutter in die schwäbische Provinz gezogen war, war Eddy neu in der Klasse, weil er das Schuljahr wiederholen musste. Er befand sich damals in einer absoluten Null-Bock-Phase, wie er immer wieder entschuldigend beteuert hatte. Davon konnte man heutzutage allerdings nichts mehr spüren. Mit Mitte 30 war er nun in leitender Position bei einem Pharmakonzern tätig. Über seine Arbeit redete er nie viel, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass er dort mit seiner charismatischen, aber dennoch bestimmten Art genauso viel Feinde hatte wie Freunde.

Auf jeden Fall waren wir damals mehr oder weniger unfreiwillig Sitznachbarn geworden. Das Schicksal hatte es wohl vorherbestimmt, dass daraus eine lange Freundschaft und nicht zuletzt auch eine Wohngemeinschaft geworden war. Mit Eddy hatte ich es ganz gut erwischt.

Doch jetzt, wo ich ihn dringend brauchte, war er nicht da. Ich überlegte, mit wem ich noch über diese Sache reden konnte. Schors vielleicht? Nein, das war eine blöde Idee. Er war schließlich Isis Vater. Ich mochte ihn recht gern. Laut sagen würde ich es zwar nicht, aber seit der Scheidung meiner Eltern war er eine Art Ersatzvater für mich geworden. Zusammen mit seiner Frau wohnte er immer noch im Erdgeschoss des großzügigen Altstadthauses mit der hellblauen Fassade, in das ich damals mit meiner Mutter in die Wohnung darüber gezogen war und in der ich, im Gegensatz zu Isi, bis heute noch lebte. Da Schors in diesem Fall als Seelentröster nicht infrage kam, konnte ich nun entweder noch zu Nina oder zu Eni gehen.

Ohne groß zu überlegen, schwang ich mich auf mein Fahrrad, das mittlerweile eher einem schlechtgepflegten Museumsstück entsprach als einem modernen Fortbewegungsmittel. Aber es funktionierte noch. Mit quietschenden Pedalen radelte ich durch den Stadtpark mit seinen ausladend großen Linden, Richtung Kreisverkehr.

Die kleine Kfz-Werkstatt, die früher auch eine Tankstelle gewesen war, lag direkt an der Ulmer Straße und man sah ihr an, dass sie ihre besten Zeiten lange hinter sich gelassen hatte. Löwenzahnpflanzen hatten bereits an vielen Stellen die rissige Teerdecke durchbrochen. Ich lehnte mein Fahrrad gegen eine gekachelte Außenmauer und lief zur gläsernen Eingangstür, die wie immer unverschlossen war und mit dem Tante-Emma-Laden-Gebimmel der verrosteten Türglocke meinen Besuch ankündigte. Der kleine Verkaufsraum mit der Panoramascheibe im 50er-Jahre-Stil diente schon lange nicht mehr seinem eigentlichen Zweck.

„Eni“, rief ich in den Raum, der mit lauter Kisten und Werkzeug vollgestellt war.

„Ich bin in der Werkstatt“, hörte ich ihre vertraute Stimme aus dem angrenzenden Gebäudeteil.

Zielstrebig kämpfte ich mich durch das Chaos zu ihr.

„Hey, Julian. Ich wollte heute eh noch bei dir vorbei kommen“, begrüßte sie mich mit einem breiten Lächeln.

Sie trug eine blaue Latzhose und hatte ein buntes Band in ihre kurzen, dunklen Locken gebunden. In der linken Hand hielt sie einen Schlagschrauber, den sie schließlich auf einem Metallkasten abstellte. Wie so oft, hatte sie von der Arbeit hier ein paar schwarze Schlieren im Gesicht. Freudig kam sie auf mich zu, umarmte mich und gab mir einen Kuss auf die Backe. Dabei musste sie auf die Zehenspitzen stehen, denn sie war ziemlich genau einen Kopf kleiner als ich. Mit ihren nach Öl riechenden Händen strubbelte sie mir durch mein schwarzes Haar, was mich nicht weiter störte.

„Alles klar? Du wirkst irgendwie ein bisschen angespannt“, durchschaute sie mich sofort.

Sie kannte mich einfach zu gut. Wenn man unsere Vertrautheit so sah, hätte man uns fast für ein Paar halten können. In Wahrheit war das Ganze allerdings wesentlich komplizierter.

 

Bella Italia

Zehn Jahre zuvor

 

Ich war genau 24, als ich meine erste Reise machen durfte. Um genau zu sein, meine erste Busreise als Busfahrer.

Schon Jahre zuvor hatte ich meinem Vater eröffnet, dass ich eines Tages Busfahrer werden wollte, womit ich mir allerdings prompt seinen Widerspruch einhandelte. Ich dürfte damals nicht älter als 16 gewesen sein. Manchmal wusste ich nicht so recht, ob er mich nicht verstehen wollte oder es einfach nur nicht konnte. Er hatte für mich bereits einen anderen beruflichen Werdegang im Sinn. Ich war bis dahin sein einziger Sohn und hatte gefälligst in seine Fußstapfen zu treten, um irgendwann seine Unternehmensnachfolge anzutreten, weswegen ein Maschinenbaustudium die einzige Option war, die er für meine Zukunft sah. Damals war für uns beide noch nicht absehbar, dass das Leben ganz eigene Pläne für uns bereithielt. Immer wieder diskutierte ich mit ihm über meinen großen Wunsch. Anfangs dachte er noch, es sei eine Phase, die irgendwann vorüber gehen würde. Doch meine Hartnäckigkeit zahlte sich irgendwann aus. Ich durfte schließlich den Busführerschein machen, allerdings nur unter der Bedingung, dass ich Maschinenbau studieren würde. Ich glaube, ich hätte meinem Vater fast alles versprochen, um mir diesen Traum erfüllen zu können. Die Fahrprüfung war neben all meinen anderen Verpflichtungen eine echte Herausforderung. Doch mein eiserner Wille ließ mich nicht im Stich und ich schaffte sie mit Bravour.

Und nun war es also endlich so weit. Ich durfte meine erste Busreise fahren, zumindest einen Tag lang. Es war ein Samstag und ich würde zusammen mit Umberto, einem bereits erfahrenen Kollegen, Urlauber an die Adria transportieren und die der Vorwoche wieder zurückbringen. Es war kein Job, um den man sich riss, doch für mich war es in diesem Augenblick das Höchste der Gefühle. Ein lang gehegter Traum, der endlich in Erfüllung ging.

Mitten in der Nacht ging die Fahrt los. An Müdigkeit war nicht zu denken. Eine gewisse Aufregung hatte sich in mir breitgemacht. Eine, die mir Kraft und Mut gab und damit die Angst vor dem Neuen unterdrückte. Ich wusste, dass ich große Verantwortung trug, trotzdem überwog die Freude auf das, was vor mir lag.

Die ersten Gäste stiegen bereits zu. Ich half Umberto, die Gepäckstücke platzsparend im Bauch es Reisebusses zu verstauen. Für meinen Kollegen schien es Routine zu sein. Jeder Handgriff saß. Eine Zigarette klemmte ihm zwischen den Lippen. Wir waren gerade dabei, die letzten drei Koffer zu verladen, als sich plötzlich von hinten eine mir bis dahin unbekannte Frauenstimme bemerkbar machte.

„Hey, Jungs.“

Umberto und ich drehten uns nahezu gleichzeitig um.

„Ich bin Eni.“

„Enikö Jäger? Die Reiseleiterin?“, fragte mein Kollege sicherheitshalber nach.

Sie nickte grinsend und eine ihrer Locken hing ihr dabei verwegen ins Gesicht.

„Wie gesagt, Eni genügt“, meinte sie frech zu ihm.

Mit ihren braunen Augen musterte sie mich von oben bis unten.

„Das gilt auch für dich.“

Ein wortloses Nicken war alles, was ich zustande brachte.

Kurze Zeit später saßen wir alle im Bus, bereit zur Abfahrt nach Bella Italia. Es war noch stockfinster. Ich hatte die erste Schicht. Bedächtig lenkte ich das Vehikel vom Parkplatz auf die Straße. Umberto hatte sich bereits in seine Koje im hinteren Teil des Busses zurückgezogen, um noch etwas zu schlafen, während ich nach und nach die restlichen Gäste an den verschiedenen Haltestellen einsammelte. Über den Rückspiegel spitzelte ich immer wieder zu Eni. Sie wies den Busreisenden ihren Platz zu und hatte mittlerweile in der kleinen Kochnische des modernen Reisebusses begonnen, das Frühstück vorzubereiten, das zu den Inklusivleistungen dieser Fahrt gehörte. Irgendetwas an ihr hatte mich vom ersten Moment an fasziniert. Doch eigentlich sollte ich solche Gefühle gar nicht haben.

Mit einem Coffee-to-go-Becher standen wir schließlich an einer Raststätte in Österreich. Die rot hinterleuchteten Berge lagen vor uns und kündigten langsam den Morgen an.

„Alles klar bei dir? Du bist so ruhig“, meinte Eni zu mir.

Umberto hatte sich, nachdem er seine Zigarette bei uns geraucht hatte, bereits Richtung Toilette begeben, sodass wir nun alleine dastanden.

„Ja. Klar. Alles klar“, waren meine wenig geistreichen Worte, die ich mit verlegenem Lächeln hervorgebracht hatte.

Frech grinste sie mich an und bevor ich protestieren konnte, strubbelte sie mir mit ihrer Hand durch mein Haar, was sie bis heute immer noch gerne machte.

Die genau terminierte Rast war schließlich vorbei und die Reise ging weiter Richtung Brenner. Eine ganze Weile war es im Bus noch ruhig gewesen. Die meisten hatten geschlafen oder es zumindest versucht. Doch langsam regte sich etwas. Die Fenstergardinen wurden zurückgeschoben und immer mehr Tageslicht flutete den Bus.

Die enge italienische Autobahn forderte meine volle Konzentration. Es war bereits früher Vormittag, als ich es endlich entdeckte: Das Meer. Ein erhebendes Gefühl durchfuhr mich.

Nach und nach lieferten wir die Buspassagiere bei ihren Hotels ab. Danach stand eine halbe Stunde Pause auf dem Programm, bevor wir die Rückreisenden einsammeln würden. Ich lenkte den Bus auf einen Parkplatz, der seine besten Zeiten längst hinter sich hatte. Es gab keinen Zentimeter Schatten und die Sonne brannte bereits zu dieser frühen Uhrzeit gnadenlos auf die Teerfläche.

„Gehen wir kurz zum Strand?“

Eni stand plötzlich vor mir. Strand? So was hatte ich jetzt eigentlich gar nicht auf dem Schirm gehabt. Ich wusste noch nicht mal genau, wie man von hier aus zum Strand kam. Trotzdem nickte ich zustimmend und folgte ihr schließlich wenige Minuten später durch die engen, verwinkelten Gassen des Badeorts.

In einer rustikalen Espressobar saßen ein paar ältere Männer. Die Tür war offen und man hörte sie lautstark und temperamentvoll diskutieren. Wortfetzen drangen an mein Ohr. Stur lief ich weiter hinter ihr her.

Nach den letzten Häusern kam ein langer Steg, der hinab in eine Bucht führte. Mit Holzbrettern war versucht worden, den Weg zum Strand bequem begehbar zu machen. Doch das Salzwasser hatte dem Holz bereits seine Patina aufgedrückt. Ein Geländer aus dicken Tauen war dafür da, dass niemand vom Weg abkam. Aber wer wollte auch schon abseits laufen. In diesem Bewuchs aus Büschen und Gräsern fühlte sich mit Sicherheit der ein oder andere Skorpion recht wohl.

Endlich waren wir da. Die Wellen rauschten unablässig an den Strand und beruhigten mich auf angenehme Weise. Barfuß folgte ich Eni zum Meer, welches sanft meine Füße umspülte. Am Horizont sah ich ein Fischerboot. Ein angenehm warmer Wind wehte mir ins Gesicht. Dieses Stückchen Strand war beinahe menschenleer, lediglich ein Jogger lief an der Promenade entlang. Ein kleines Paradies.

„Dein Kleid“, warnte ich Eni noch, doch da hatte sie sich schon in den warmen Sand fallen lassen.

„Herrlich. Oder?“, meinte sie glücklich zu mir.

Ich stimmte ihr zu und setzte mich neben sie. Der Sand klebte wie eine Panade um meine nassen Füße. Ich atmete tief ein, spürte die wärmende Sonne angenehm auf meiner Haut und lauschte andächtig dem Meeresrauschen. Ein Moment völliger Harmonie erfasste mich. Und als ich Eni heimlich beobachtete, war da auf einmal dieses Kribbeln in meinem Bauch, das da eigentlich gar nicht hätte sein dürfen, denn ich war bereits gebunden.

 

Loslassen

„Lust auf ein Bierchen? Hol uns doch zwei Flaschen aus dem Kühlschrank“, meinte Eni zu mir.

Diese Idee fand meine volle Zustimmung. Hopfen beruhigte. Das konnte in meiner Situation nicht schaden. Und so ging ich noch mal zurück in den ehemaligen Verkaufsraum, wo ein Kühlschrank mit Glastür und groß aufgedrucktem Coca-Cola-Schriftzug stand, der wohl noch aus der Zeit stammte, als man sich hier mit überteuerten Erfrischungsgetränken für das Vorglühen eindecken hatte können, bevor es weiter in die Dorf-Disco ging. Ich holte zwei Flaschen Oxx heraus und brachte sie zu Eni, die sie gekonnt mit einem herumliegenden Meterstab von ihren Kronkorken befreite.

„Prösterchen, Großer.“

Klirrend schlugen unsere beiden Flaschen zusammen.

„Prost“, erwiderte ich und nahm einen kräftigen Schluck von meinem Bier.

„Und, was ist jetzt mit dir los?“, wollte sie schließlich wissen.

Ich brummte und suchte dabei nach den richtigen Worten.

„Isi war heute bei mir“, fing ich langsam an zu erzählen.

„Und das ist etwas Besonderes?“

Eni hatte sich mittlerweile auf einen alten Kasten gesetzt und ließ die Beine baumeln. Ihre Bierflasche stand neben ihr.

„Irgendwie schon.“

Gequält blickte ich in ihre dunkelbraunen Augen, die gebannt darauf warteten, dass ich weitersprach.

„Sie ist schwanger“, gestand ich ihr kleinlaut nach einer kurzen Pause.

Eni klatschte voller Begeisterung in die Hände und grinste dabei.

„Applaus. Applaus. Das wurde auch langsam Zeit, dass sich da mal etwas tut. Wie lange ist sie denn schon mit diesem Pedro zusammen?“

„Antonio“, berichtigte ich sie mit mürrischem Unterton.

„Na, dann halt Antonio.“

„Lange. Zu lange“, murrte ich weiter.

„Was ist denn dein Problem dabei? Das mit euch ist doch schon lange her.“

„Irgendwie ist das doch jetzt komisch. Ich mein, was bin ich denn dann zu ihrem Kind?“

„Onkel Julian.“

Ihr Grinsen reichte über beiden Ohren. Ich mochte ihre unbekümmerte Art. Mit ihr sah die Welt einfach ein klein bisschen einfacher aus.

„Ach, Julian. Du stehst dir manchmal selbst im Weg. Lass die alten Kamellen endlich los.“

„Was meinst du damit? Ich hab doch schon längst alles losgelassen.“

Seufzend schüttelte Eni den Kopf.

„Und Isi wird auf gewisse Weise immer ein Teil meines Lebens sein“, versuchte ich mich zu rechtfertigen.

Eni hüpfte von ihrem Kasten, kam zu mir und nahm mich wortlos in den Arm. Ich mochte den Geruch ihrer Haare.

„Ja, das wird sie auch bleiben, Großer. Trotzdem bringt es nichts, in der Vergangenheit zu leben.“

Ich antwortete nicht darauf und genoss es einfach in ihrer Nähe zu sein. Sie gab mir das Gefühl, dass alles irgendwie gut werden würde. Doch in diesem Moment wusste ich noch nicht, dass die Fortpflanzungsneuigkeiten von Isi mit Antonio mein kleinstes emotionales Problem sein würden.

 

Gompiger Donnerstag

19 Jahre früher 

 

An dem Tag, als wir in diese Altstadtwohnung in Weißenhorn gezogen waren, hatte sich für mich alles geändert. Isi und Eddy waren ab diesem Zeitpunkt meine besten Freunde. Isi war für mich die Schwester, die ich nie hatte. Ich war fast öfter bei den Winters unten als in unserer eigenen Wohnung. Das lag wohl auch daran, dass ich in Schors, Isis Vater, eine Art männliches Vorbild sah, was mir mein Vater seit der Scheidung von meiner Mutter irgendwie nicht mehr so ganz geben konnte.

Schors war ein kerniger Typ. Er arbeitete im städtischen Bauhof und war oft zu Hause. Wie genau das bei ihm mit den Arbeitszeiten funktionierte, war mir bis heute ein Rätsel. Nebenher war er noch Jäger und passionierter 66-Karten-Spieler. Sein üppiger, aber gepflegter Vollbart war bis heute sein Markenzeichen. Er hatte eine lockere Art und war so ganz anders als Isis Mutter Henriette, die sechs Tage die Woche in der Apotheke beim unteren Tor arbeitete, die seit dritter Generation in Familienbesitz geführt wurde. Nämlich der von Henriettes Familie. Ich war nicht böse, dass sie so viel arbeiten musste. So richtig warm geworden waren wir beide nie miteinander. Stattdessen war die Zeit mit Schors umso schöner. Ab und zu nahm er uns in aller Frühe mit auf den Ansitz, lehrte uns das Kartenspielen und einmal durfte ich sogar auf dem Schneeräumfahrzeug mitfahren. Isi und ich waren wie Geschwister. Doch diese innige Beziehung, die wir hatten, war insbesondere Isis Mutter ein kleiner Dorn im Auge.

„War der Junge heute schon wieder den ganzen Tag bei uns?“, meinte sie leicht schnippisch zu Schors.

Ich lümmelte zusammen mit Isi nebenan im Wohnzimmer auf dem antikwirkenden Sofa und schaute mir mit ihr einen Videofilm an, den wir uns zuvor aus der Videothek ausgeliehen hatten. Die Wände in diesem Haus waren hellhörig und hatten buchstäblich Ohren, sodass mir diese Worte von Henriette nicht entgangen waren.

„Der isch doch wohl do“, meinte Schors mit schwäbischer Gelassenheit.

„Du musst schon aufpassen, dass da nichts passiert, Schors“, ermahnte Henriette ihren Mann und ich fragte mich, was sie damit eigentlich meinte.

Ihre Worte brachte ich damals noch nicht mit dem Kribbeln in meinem Bauch in Zusammenhang, das sich immer auf angenehme Weise einstellte, wenn ich in Isis Nähe war. Doch dann kam diese eine Nacht, die alles ändern sollte.

Es war die Nacht zwischen Gompiger Donnerstag und Rußigem Freitag. Die ganze Altstadt verwandelte sich jedes Jahr, genau in diesem Zeitfenster, in eine große Partyzone. Es war Straßenfasching in Weißenhorn.

Eddy prahlte bereits seit Wochen damit, dass er in einem der Feierzelte hinter der Bar stehen würde. Wie er zu diesem Job gekommen war, war mir rätselhaft. Er war schließlich erst 16. Doch dieser Umstand weckte umso mehr Isis und mein Interesse. Wir wollten in diesem Jahr auch Teil dieses bunten Treibens werden, das da quasi vor unserer Haustür stattfand und wo jeder, der irgendwie konnte, dabei sein musste. Doch weder ihre Eltern noch meine Mutter gaben grünes Licht. In ihren Augen waren wir noch zu jung dafür. Isi und ich waren da allerdings ganz anderer Meinung. Für uns war klar, wir mussten da hin. Egal wie.

Wie wir es schließlich geschafft hatten, uns unbemerkt aus dem Haus zu schleichen, konnte ich heute nicht mehr so genau sagen. Doch wir hatten es hinbekommen. Isi hatte aus dem Faschingskostümfundus ihrer Eltern zwei rosa Hasenkostüme entwendet, die wir uns in einer kleinen Seitengasse umständlich über unsere Kleidung zogen.