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Coco Eberhardt

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Beschreibung

Eine Geschichte über Veränderung, Neuanfang, Lebenskrisen, Erwachsen werden und natürlich Liebe.   "Warum eigentlich nicht?" sagte ich, ohne groß zu überlegen. Und nun saß ich hier im knatternden ICE und dachte bei mir: Was tue ich hier eigentlich?   Bettina ist Anfang dreißig und nach einem Schicksalsschlag ihres Lebens in Berlin schon länger überdrüssig. Da kommt es der Exilschwäbin gerade recht, als ihr Bruder Markus sie fragt, ob sie nicht nach München kommen möchte. Ehe sie sich versieht, sitzt sie im Zug und lässt kurzerhand ihr bisheriges Leben hinter sich. Für ein paar Monate kann sie als Untermieterin in das WG-Zimmer von Patrizia einziehen, die mal wieder ein "Work and Travel" macht und auch sonst einen unkonventionellen Lebensstil pflegt. Kurz nach ihrer Ankunft in München begegnet sie in einem Café dem (Lebens-) Künstler John, der aussieht wie John Lennon, aber eigentlich Tom heißt. Ihre Mitbewohnerin ist die leicht nymphoman veranlagte Finanzbeamtin Mandy, mit der sie sich schnell anfreundet und die ihr dabei hilft, langsam wieder ins Leben zurückzukommen. Außerdem gibt es da noch Christoph, den Unbekannten, mit dem sie sich immer nur nachts auf dem Balkon über den Hinterhof unterhält und den sie ganz sympathisch findet, obwohl sie ihn noch nie richtig gesehen hat. Und was läuft da zwischen Markus und Patrizia, die eigentlich seine Ex-Freundin sein sollte? Mit der Ankunft von Bettina in München ändert sich nicht nur ihr Leben. Ein Blind Date, lebensverändernde Geständnisse und ein Angebot, über das man besser noch mal eine Nacht schlafen sollte, stellen so einiges auf den Kopf.   Dieser Roman ist in sich abgeschlossen.   Weitere Bücher aus dieser Reihe: Ex & Servus - Roman (Teil 2 von Sekt & Lederhose)   Weitere Bücher der Autorin: Tanz im Staudenbeet - Roman Glückszeit auf dem Glaserhof - Roman Langosch zum Frühstück - Roman

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Coco Eberhardt

Sekt & Lederhose

Krisen sind immer auch Chancen. Für alle, die mich da hingebracht haben, dass ich auf mein Herz höre. Und für Mama.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Zugfahrt ins Unbekannte

Unablässig huschte die Landschaft draußen vorbei, wie ein endloser Schweif aus Erdtönen. Seit Stunden schaute ich gedankenverloren aus dem Fenster. Ich las kein Buch. Ich las keine Zeitung. Ich tippte nichts Geschäftiges in meinen Laptop. Ich spielte nicht mit meinem Smartphone. Ich saß nur auf meinem Platz und sah zum Fenster hinaus. Gedanken kamen und gingen. Es war, als würde mein bisheriges Leben vorbeirauschen. Wie lange fuhr ich schon in diesem Zug? Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Ab und zu hielten wir in einem Bahnhof an. Leute gingen und kamen. Was würde wohl auf mich zukommen? Es war für mich eine Fahrt ins Ungewisse. Und vielleicht auch eine Fahrt in ein neues Leben…

Über zwei Jahre war es jetzt her, dass ich nur noch ich war. Alleine! Obwohl ich in Berlin gute Freunde hatte, so fühlte ich mich in letzter Zeit doch so oft einsam. Es fehlte etwas. Er fehlte. Ich merkte, wie sich meine Augen langsam mit Tränen füllten und versuchte auf andere Gedanken zu kommen. Wie lange war es noch mal her, dass mein Bruder mich angerufen hatte? Es kam mir vor wie gestern.

„Hallo Bettina“, hatte er mich durch das Mobilteil meines schnurlosen Telefons begrüßt.

„Hallo Markus! Na, was gibt’s?“

Obwohl wir gut miteinander auskamen, telefonierten wir eher selten miteinander. Jeder hatte sein Leben.

„Hättest du nicht Lust herzukommen?“ fragte er ohne Umschweife.

„Ich? Zu dir?“, ich musste innerlich schmunzeln. „In deine mickrige Studentenbude? Du hast doch selber kaum Platz.“

Er hatte mich noch nie einfach so eingeladen.

„So meinte ich das auch nicht“, antwortete er verlegen und begann es mir zu erklären. „Patrizia geht wieder mal für ein paar Monate weg. Sie hat noch keinen Untermieter für ihr Zimmer gefunden. Da habe ich an dich gedacht. Hättest du nicht Lust? Ein Tapetenwechsel täte dir vielleicht ganz gut. Wir könnten uns dann öfter mal sehen.“

„Warum eigentlich nicht?“ sagte ich, ohne groß zu überlegen.

Und nun saß ich tatsächlich hier im knatternden ICE und dachte bei mir: Was tue ich hier eigentlich? Bald würde ich ankommen. Ein Zurück gab es nicht mehr. Meine Wohnung in Berlin hatte ich kurzerhand aufgelöst. Ein paar Möbel, an denen ich wirklich hing, ließ ich einlagern. Spontan musste ich an den alten Ohrenbackensessel denken, der noch von meiner Oma stammte. Den Rest hatte ich an Freunde und Bekannte verkauft und verschenkt oder ans Sozialkaufhaus gespendet. Alles, was ich jetzt noch besaß, war in meinen zwei schwarzen Hochglanz-Rollkoffern und meinem in die Jahre gekommen Rucksack, mit dem ich schon viel gemeinsam erlebt hatte.

„In Kürze erreichen wir München Hauptbahnhof“, schallte es durch die Lautsprecher des Zuges.

Unruhe machte sich plötzlich breit. Auch in mir.

 

Herzlich Willkommen

Ich stand vor der Adresse, die mir mein Bruder genannt hatte. Mitten in Schwabing. Es war früher Nachmittag. Der Himmel strahlte blau und wolkenlos. Ein typischer Altbau mit mehreren Etagen erhob sich vor mir. Die Fassade war grau vom Schmutz der Stadt. Etwas ratlos betrachtete ich die riesige hölzerne Tür mit den unzähligen Klingelknöpfen. Wie hieß noch mal die Mitbewohnerin von Patrizia mit Nachnamen? Mandy… Mandy… Wenn ich schon so ein schlechtes Namensgedächtnis hatte, hätte ich ihn mir wenigstens aufschreiben können. Mandy…

In diesem Moment kam eine Frau aus dem Haus und ich schlüpfte schnell an ihr vorbei ins Treppenhaus. Ich meinte mich zu erinnern, dass Markus etwas vom zweiten Stock gesagt hatte. Also eilte ich die Treppen hinauf. Hier schien irgendwie die Zeit stehen geblieben zu sein, hatte ich das Gefühl. Das Treppenhaus war düster, aber nicht dunkel und die steinerne Treppe war schon richtig durchgetreten. Ich nahm zwei Stufen auf einmal.

Im zweiten Stock angekommen, stand ich nun vor drei Türen. Sie wirkten fast schon antik. Leider sah ich an keiner der Türen eine Klingel, geschweige denn ein Namensschild. Zwei der Türen waren auf die Länge der Treppe verteilt. Die dritte befand sich an der Stirnseite. An der mittleren Tür hing ein rotes laminiertes Schild mit dem Text: „Komme gleich wieder!“ Darunter stand ein halb leerer Kasten Bier. Am Türstock klebte noch ein kleiner Aufkleber, auf dem „Mandys kleines Reich“ stand. Auf rosa Hintergrund war eine kleine Prinzessin abgebildet. Ganz falsch konnte ich also nicht sein. Ich klopfte an und wartete. Aber nichts rührte sich. Also setzte ich mich schließlich auf den Boden und begann auf meine neue Mitbewohnerin zu warten.

Die Zeit zog sich wie Gouda in heißen Kässpatzen. Ich wurde langsam ungeduldig. Leicht genervt nahm ich mir schließlich eine Flasche Bier aus dem Kasten vor der Tür. Warten machte durstig! Ich öffnete die Flasche am Geländer. Es zischte herrlich. Schluck für Schluck genoss ich das Bier und sinnierte weiter vor mich hin. Leichte Zweifel stiegen auf einmal in mir auf. War das richtig, was ich hier tat?

Irgendwann war die Flasche leer und ich saß immer noch allein im Treppenhaus auf dem kalten Steinboden. Ich fühlte mich leicht beschwingt. Hopfen und Alkohol entfalteten allmählich ihre Wirkung. Ich wühlte in meinem Rucksack nach meinem Handy. Langsam wurde ich doch ungeduldig. Ich suchte die Arbeitstelefonnummer meines Bruders und wählte sie an.

Es läutete genau zweimal, dann meldete sich eine vertraute Männerstimme: „Steuerkanzlei Haberlach, hier spricht Herr Häberle. Was kann ich für Sie tun?“

Ich musste unwillkürlich schmunzeln. Er klang so erwachsen.

„Hallo Markus. Ich bin´s.“

„Hi, Bettina. Bist du schon da?“

Er schien sich zu freuen.

„Ja, ich warte schon eine halbe Ewigkeit vor Mandys Haustüre. Sie hat mir eine Nachricht hinterlassen, dass sie bald wiederkommt. Aber bisher ist sie nicht aufgetaucht.“

„Steht ein Kasten Bier vor der Tür?“

„Ja, woher weißt du? Hat das was zu bedeuten?“

Obwohl ich ihn nicht sehen konnte, hörte ich ein Lachen aus seiner Stimme.

„Also eins kann ich dir sagen, wenn das rote Schild und das Bier vor der Türe steht, ist Mandy länger weg. Sie findet das total witzig. Und gerade versteh ich zum ersten Mal warum.“

Er lachte nochmals laut. Mir hingegen war gar nicht mehr danach zumute. Ich merkte, wie sich meine hopfige Entspanntheit schlagartig verflüchtigte. Herzlich willkommen in deinem neuen Leben, Bettina! Was hatte ich mir nur dabei gedacht?

Markus versprach mir zwar sofort nach der Arbeit vorbeizukommen, aber das würde noch mindestens zwei Stunden dauern. Er hatte einen Notfallschlüssel für die Wohnung. Ich sollte in einem nahegelegenen Pub auf ihn warten.

Etwas resigniert verließ ich das Haus und wollte die Zeit, bis mein Bruder auftauchen würde, nutzen, um meine neue Wohnumgebung zu erkunden. Weit kam ich allerdings nicht. Eine unglaubliche Erschöpfung machte sich in mir breit. In unmittelbarer Nähe befand sich ein mit Betonplatten gepflasterter Platz. Ich setzte mich dort auf eine Bank. Hier hatte sich wohl seit den 70er-Jahren nicht viel verändert. Gedankenverloren ließ ich meinen Blick schweifen.

Seit mein Bruder sein Medizinstudium geschmissen hatte, arbeitete er bei einer Steuerkanzlei. Er hatte bereits das Physikum hinter sich, als er meinen Eltern eröffnete, dass er nun eine Lehre zum „Steuerfachangestellten“ beginnen würde. Ein Schock für meinen Vater. Eine Zeit lang herrschte zwischen den beiden Funkstille. Mittlerweile hatte sich ihr Verhältnis wieder verbessert.

Wo war nur dieses Pub? Verdammt!

 

Pub oder Café

Laut meinem Bruder befand sich das Pub am Ende der Straße in unmittelbarer Nähe zu meinem neuen WG-Zimmer. Etwas verpeilt lief ich auf und ab. Schaute links. Schaute rechts. Ich konnte es nirgends finden. In meiner Not sprach ich Passanten an, die jedoch nur abgehetzt oder ahnungslos mit den Schultern zuckten. Mir war zum Heulen.

„Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte mich plötzlich ein älterer Herr.

Er war einen Kopf kleiner als ich, stützte sich auf seinen Stock und hatte einen freundlichen, in sich ruhenden Gesichtsausdruck.

„Ich suche ein Pub. Es muss hier irgendwo sein. Ich bin nicht von hier.“

Er lächelte allwissend und zeigte mit seinem Stock hinter mich. Café Papilotta stand dort in großen, grün leuchtenden Lettern. Es brauchte einige Sekunden, bis ich verstand. Mein Pub war kein Pub, sondern ein Pap wie Papilotta, also eigentlich ein Café.

„Danke“, ich drehte mich um, doch der alte Mann war bereits um die Straßenecke verschwunden.

Ich ging durch eine große Glastür, hinter der dicke, samtige, bordeauxfarbene Vorhänge hingen, die als Windfang dienten. Ein schöner, lichtdurchfluteter Gastraum zeigte sich mir. Im hinteren Teil entdeckte ich ein hölzernes Bodenpodest, das mit einem nostalgischen Geländer eingefasst war und auf dem ein gemütliches, schwarzes Ledersofa stand, aufgepeppt mit bunten Kissen. Instinktiv steuerte ich darauf zu. Schwungvoll ließ ich meinen Rucksack auf den Boden gleiten und setzte mich. Von hier aus konnte man alles überblicken. Eine lange, kultig wirkende Theke mit Barhockern erstreckte sich über die ganze Länge. Im Raum verteilt standen Bistrotische mit Stühlen, die wohl so einige Geschichten erzählen konnten. Aus einem großen raumhohen Fenster konnte ich direkt auf die Straße blicken. Hier würde ich es gut aushalten können, bis Markus endlich von der Arbeit kam.

 

Lennon lebt

Trotz der frühen Nachmittagsstunde herrschte schon reger Trubel im Café. Auch draußen saßen Leute und genossen die ersten wärmenden Sonnenstrahlen, die das Frühjahr zu bieten hatte.

„Dich habe ich hier noch nie gesehen“, eine etwas korpulente Dame mittleren Alters mit maskulin gefärbter Stimme stand vor mir. „Was darf´s denn sein, Schätzchen?“

„Ein Latte und dazu ein Glas Wasser.“

„Kommt sofort, Schätzchen.“

Ich ließ meinen Blick weiter durchs Café schweifen. Die Bedienung war schnell hinter die Theke verschwunden und machte sich an der riesigen italienischen Siebträgermaschine zu schaffen. Die Räume waren hoch. An der apricotfarbenen Wand hing ein großes dunkelblaues Ziffernblatt, das wohl von einer Kirchturmuhr stammte. In goldenen römischen Zahlen waren die Stunden zu sehen. Von der Decke baumelte etwas, das der Kopf einer alten Schaufensterpuppe zu sein schien. Sie hatte langes blondes, verstrubbeltes Haar. Links vom Sofa standen ein schwarzes Klavier und ein veralteter Computerspielautomat. Rechts von mir pendelten unentwegt Leute vorbei, die wohl dem Schild zur Toilette folgten. Kaffee und Wasser standen bereits auf einem kleinen Tablett vor mir auf dem niedrigen Couchtisch.

Gerade, als ich den ersten Schluck meines Latte macchiato genoss, kam ein Mann ins Café, der mich irgendwie sofort faszinierte. Ich wusste zuerst nicht, warum. Aber dann wurde es mir bewusst. Er sah aus wie John Lennon. Nicht wie der frühe Lennon, eher wie John und Yoko, nur ohne Yoko. Verblüffend! Ich wusste nicht, was es war. Die runde Brille? Die langen Haare? Seine etwas shabby wirkender Kleidungsstil? Die Tatsache, dass er barfuß war? Oder einfach das Gesamtpaket?

In meinem Kopfkino feierte ich bereits eine Lennon-lebt-Party. Lennon war das Idol meiner Teenie-Tage, obwohl er bereits vor meiner Geburt gestorben war. Während Gleichaltrige bei Konzerten von Take That scharenweise in Ohnmacht gefallen waren, saß ich mit Papas Beatles-LP´s vor dem Plattenspieler. Damals hörte niemand mehr Platte. CDs waren angesagt. Meine Vernunft meldete sich kurzzeitig wieder zurück. Der Typ konnte nicht John Lennon sein. Ich schätzte ihn auf mein Alter.

Plötzlich fixierte er mich und kam zielstrebig auf mich zu. Mir wurde etwas unbehaglich zu Mute. Hatte ich ihn zu lange angestarrt? Ich fühlte mich ertappt.

„Darf ich dazu“, er zeigte auf den freien Sofaplatz neben mir.

„Klar“, ich lächelte zu ihm hoch und hoffte, dass er keine Gedanken lesen konnte.

Kaum, dass er neben mir saß, fuchtelte er wild mit den Händen in Richtung Bedienung und schrie: „Hilde! Hiiiiiiiiilde!“

Die Frau, die mich vorhin bedient hatte, fühlte sich angesprochen und kam zügig zu unserem Tisch. Mit ihrer dunkel klingenden Stimme fragte sie: „Was darf´s sein, John?“

„John?“, rutschte es mir raus.

Ich musste schlucken und schaute ungläubig meinen Sofanachbarn an.

„Ja, John. Hi“, er drehte sich grinsend zu mir.

Ich stellte keine weiteren Fragen. Vorsicht mit dem bayerischen Bier! Noch bevor Johns Espresso serviert wurde, hatte er mir seine halbe Biografie erzählt. Er war Künstler. Ein paar der Bilder, die ebenfalls im Café an der Wand hingen, waren von ihm. Er redete ohne Punkt und Komma und begann mir jedes der Bilder zu erklären. Was es darstellte. Wie es entstanden war. Was für Farben und Materialien er verwendet hatte. Und die Lebensphase, in der es gemalt wurde. Ich brauchte nicht viel zu sagen, nur ab und zu ein „Ah“ oder „Mhm“. Es war irgendwie eine skurrile Situation, in der ich mich da plötzlich befand. Aber ich fühlte mich wenigstens nicht mehr so verloren.

 

Ein Stück Heimkommen

Ich weiß nicht, wie lange John seinen Monolog gehalten hatte, aber endlich war es so weit. Markus kam durch den Windfang ins Café. Sein Blick schweifte kurz in alle Richtungen, bis er mich entdeckte und schnurstracks mit einem freudigen Lächeln auf mich zukam. Seine Umarmung tat gut. Es war wie ein Stück Heimkommen. Wir hatten uns ewig nicht gesehen. Wie lange war es her? Als es mir einfiel, versuchte ich den Gedanken sofort wieder zu vergessen.

„Schön, dass du endlich da bist“, begrüßte ich ihn und meinte es auch so.

Er trug ein weißes Hemd und eine schicke Anzugweste zu einer dunkelblauen Jeans und ledernen Budapester Schuhen, was ihm einerseits Seriosität verlieh, andererseits aber auch Lässigkeit ausstrahlte. Seine nussbraunen Haare trug er ein bisschen länger als früher. Seine Frisur erweckte den Anschein von Morgens-keine-Zeit-fürs-Styling und glich auf den zweiten Blick aber doch einem strukturierten Chaos. Er kam mir irgendwie erwachsener vor.

„Wie ich sehe, hast du schon Bekanntschaft mit Tom gemacht“, sagte er zu mir und zeigte auf John.

„Tom?!“, ich war kurz irritiert.

„In Künstlerkreisen auch John genannt“, schob Markus nach und grinste spitzbübisch.

Er klopfte John auf die Schulter.

„Das ist meine Schwester“, stellte er mich ihm nun offiziell vor.

„Herzlich willkommen in München. Ich lasse euch dann mal alleine und ziehe weiter“, murmelte er schließlich vor sich hin und ging an einen der anderen Tische, an dem zwei aufgedonnerte Mädchen saßen, die höchstens Anfang zwanzig waren und mit denen er sofort ins Gespräch kam.

Ich zahlte und begab mich endlich mit Markus zu meinem neuen Domizil. Leichte Aufregung machte sich in mir breit.

 

Altbau mit Balkon

Meine neues zu Hause war nur wenige Schritte vom Pap entfernt. Wieder stand ich vor der hölzernen Tür mit den unzähligen Klingelschildern. Markus zog aus seiner Hosentasche einen Schlüsselbund hervor und sperrte routiniert auf. Ohne Eile gingen wir die steinernen Treppenstufen hinauf, bis ich wieder im 2. Stock mit den drei Türen stand.

„So, dein neues Reich“, sagte er knapp und öffnete mit einem antiken Schlüssel die erste Türe, die mit einem Knattern aufsprang.

Ich stand direkt in meinem neuen Zimmer. Es hatte eine für Altbau typisch hohe Decke, die mit Stuck verziert war und von anderen Zeiten zu erzählen schien. Links in der Ecke stand ein gemütlich wirkendes Futonbett, auf dem eine Patchworkdecke lag. Direkt daneben befanden sich eine große Balkontür und ein breites Fenster, die zwar das Zimmer schön mit Licht fluteten, aber jedem Energieberater die Nackenhaare aufstellen würden. Unter dem Fenster stand ein schöner eichenhölzerner Schreibtisch. Rechts befand sich eine weitere Türe, die geschlossen war. Mein Blick fiel auf den japanischen Paravent, der mitten im Raum aufgestellt war. Als ich dahinter schaute, entdeckte ich einen IKEA-Schrank und einen Cocktailsessel, der wohl noch ein Original aus den 50ern war. Auf dem Boden lagen wahllos ein paar Klamotten herum, die wohl Patrizia gehörten. Die Wände trugen ein Retrowalzmuster mit peppig modernen Farben und waren gespickt mit Fotos und Bildern. Der Bodenbelag bestand aus einem alten Holzdielenboden, an dem wohl seit Jahrzehnten nichts verändert worden war. Das Zimmer war ein Stilmix aus allen Epochen und Nationen bis in die Neuzeit, wirkte jedoch insgesamt harmonisch. Obwohl mich viele Dinge in diesem Raum daran erinnerten, dass ich hier nur vorübergehend zur Untermiete wohnen sollte, fühlte ich mich sofort heimisch. Ich hatte sogar einen kleinen Balkon mit Blick auf den Hinterhof und einem Sammelsurium an Grünpflanzen, die auf Pflege von mir warteten.

„Und jetzt noch der Rest der Wohnung“, sagte Markus schließlich, nachdem wir schon eine ganze Weile im Zimmer waren und über alle möglichen Dinge geplaudert hatten.

Er lotste mich zurück ins Treppenhaus und sperrte mein neues Zimmer wieder gewissenhaft zu. Ein fremder Mann quetschte sich, ohne etwas zu sagen, an uns vorbei und stieg die Treppen hoch ins nächste Stockwerk. Wir gingen direkt zur etwas kleineren Tür an der Stirnseite. Mein Bruder zückte wieder seinen Schlüsselbund und steckte einen weiteren antiken Schlüssel ins Türschloss. Irgendwie verwirrte mich das alles. Was machte er denn da?

Auf einmal waren wir direkt in einer Küche mit einer kleinen blauen Küchenzeile im Landhausstil. In der Mitte des Raumes stand ein quadratischer Holztisch mit vier Stühlen. Jeder Stuhl sah anders aus. Was mein Zimmer an großzügiger Raumhöhe zu bieten hatte, wurde an diesem Raum wohl gespart. Ich streckte meine Arme aus und konnte die Decke berühren. Durch ein kleines Fenster kam spärlich Tageslicht herein. Eine seltsame klapprige Falttüre trennte die Wohnküche vom Badezimmer. Es machte den Eindruck, als wäre das Bad früher eine Loggia gewesen. In der linken Ecke befand sich ein Kabuff, in dem sich, abgetrennt vom Rest das Klo befand. Eine Badewanne sah ich nicht, nur eine Dusche mit riesigem Warmwasserboiler und einem in die Jahre gekommenen Duschvorhang. Der Boden war aus weiß gesprenkeltem PVC. Es sah alles sehr provisorisch aus und hatte einen Touch von Studentenbude. Ich fragte mich unweigerlich, ob es hier wohl einen Putzplan gab. Es machte nicht gerade den Anschein. Aber eigentlich störten mich all die Macken gar nicht. Sie gaben mir viel mehr wieder das Gefühl, lebendig zu sein. Einfach mitten drin im Chaos, das sich Leben nannte.

In der Küche befand sich noch eine zweite Tür.

„Mandy!“, rief Markus laut und klopfte dort.

„Ich dachte sie ist nicht da“, meinte ich irritiert.

„Ist nur zur Sicherheit“, er zwinkerte mir zu und drückte die Türschnalle.

Ein hoher Raum, abgestimmt in Pastellblau und Weiß, öffnete sich mir. In der Mitte stand ein großes modernes Bett, das romantisch verspielt mit einem Himmel ausgestattet war. Auch hier stand ein Schreibtisch am Fenster, in modernem weißem Design. Vom Bett und vom weißen Sofa aus konnte man auf den kleinen Flachbildfernseher sehen. Ein weißer Schrank. Ein weißes Bücherregal mit allerhand Krimskrams. Aber kein Balkon. Und zwei weitere Türen. Mein guter Orientierungssinn sagte mir, die Türe links war vermutlich die, vor der die Bierkiste stand. Und die Tür geradeaus führte wohl wieder zurück in mein neues Zimmer.

Bingo! So war es tatsächlich. Ich stand wieder in meinem Zimmer und wurde mir plötzlich bewusst, dass der Weg zu Küche und Bad entweder durch das öffentliche Treppenhaus oder durch das Zimmer von Mandy führen würde.

„Und wenn ich nachts aufs Klo muss?“, fragte ich Markus entgeistert.

„Keine Panik! Mandy ist da ganz unkompliziert. Du kannst gern durch ihr Zimmer gehen, außer es ist abgesperrt. Macht sie aber meistens nur, wenn sie Männerbesuch hat“, grinste er.

„Hat sie einen Freund?“

„Nein, aber langweilig ist es bei ihr trotzdem nie“, grinste er immer noch.

Themawechsel! Keine Details!

Unmittelbar nachdem Markus gegangen war, ließ ich mich total erschöpft, aber glücklich in mein neues Futonbett fallen.

 

Balkongeflüster

Ich schlug die Augen auf. Wo war ich? Wie spät war es?

Ein Blick auf den Wecker mit den digitalen Lettern, der neben meinem Bett stand, zeigte mir an, dass es kurz nach zehn war. Abends. Ich war auf einmal hellwach und total hibbelig. Ein Gefühl von Aufregung breitete sich in meinem Magen aus und schien sich von dort auf meinen ganzen Körper zu verteilen. Ich wusste nicht, ob ich dieses Gefühl positiv oder negativ werten sollte.

Kurz nachdem mein Bruder gegangen war, musste ich eingedöst sein. Und nun war ich ausgeschlafen und von dieser inneren Unruhe gepackt. Ich stand auf, öffnete die Balkontür und lehnte mich entspannt über das Geländer. Es war Nacht. Ich atmete tief ein und schloss dabei meine Augen. Obwohl ich mitten in der Stadt war, roch die Luft süßlich frisch nach Frühling. Ich atmete langsam aus, öffnete meine Augen wieder und spürte eine leichte Gänsehaut auf den Unterarmen, was mir nicht unangenehm war. Unter mir lag der schwach beleuchtete Innenhof. In manchen Wohnungen konnte man noch Licht entdecken oder das Flackern des Fernsehers.

Morgen wollte ich mich nach einem Job umsehen. Darüber, wie ich meine Miete zahlen sollte, musste ich mir Gott sei Dank vorerst keine Gedanken machen. Für Münchener Verhältnisse wohnte ich hier relativ günstig. Außerdem hatte ich noch ein paar Rücklagen, auf die ich notfalls zurückgreifen konnte.

„Hallo?!“, ertönte plötzlich eine Stimme aus der Dunkelheit.

Mein Gedankenfluss wurde jäh unterbrochen. War ich gemeint? Ich schaute mich suchend um. Aber in der Nacht konnte ich nichts und niemanden erkennen.

„Guten Abend“, kam es noch einmal und ich konnte nicht so recht sagen, woher.

Es klang nach einer tiefen Männerstimme, die irgendwie etwas Beruhigendes an sich hatte. Irritiert schaute ich mich nach allen Seiten um. Erst jetzt erkannte ich die kleine orangefarbene Glut einer Zigarette auf dem Balkon gegenüber.

„Hallo“, antwortete ich zurück.

„Bist du Patrizias neue Untermieterin?“, begann die Männerstimme zu fragen und ich wusste nun, dass tatsächlich ich gemeint war.

Im Dunklen konnte ich nur Konturen einer Gestalt erkennen.

„Ja“, antwortete ich knapp.

„Aus welchem Land kommst du?“

„Ich verstehe nicht so ganz“, antwortete ich etwas irritiert.

„Oh, du bist von hier? Sorry. Eigentlich vermietet Patrizia doch immer an Auslandsstudenten und so. Ich finde es immer sehr spannend zu erraten, wo sie herkommen.“

„Darfst trotzdem raten“, meinte ich und ein leichtes Lächeln huschte mir über die Lippen.

„Hm. Schwierig. Du hast noch nicht so viel erzählt, dass ich erraten könnte, aus welcher Ecke du kommst.“

„Hm.“

Obwohl ich meinen unbekannten Gesprächspartner überhaupt nicht kannte, war da sofort eine Vertrautheit zwischen uns. Und ehe ich es selbst so recht begriffen hatte, sprudelte es auf einmal nur so aus mir heraus. Ich erzählte ihm, dass ich Anfang 30 war und als mein Bruder mich vor wenigen Wochen gefragt hatte, ob ich nicht mal nach München kommen wolle, spontan ja gesagt hatte. Dass ich hier auf eine Chance hoffte, mich zu verändern und vielleicht auch weiterzukommen. Ich erzählte ihm sogar davon, dass ich damals mit knapp 20 Jahren, sehr zum Leidwesen meiner Eltern, meinen Job als Kirchenmalerin gekündigt, kurzerhand meine Koffer gepackt und Hals über Kopf nach Berlin gezogen war, um dort schließlich in einer Bar als Bedienung zu arbeiten.

Den Grund, warum ich das gemacht hatte, erzählte ich ihm allerdings nicht. Der hieß Alex und war neun Jahre älter als ich. Ich war so verliebt in ihn gewesen, dass ich ihm wohl überall hin gefolgt wäre. Und so eben auch nach Berlin. Es war eine schöne, unbeschwerte Zeit gewesen. Wir waren glücklich und genossen den Puls der Großstadt. Einige Jahre zumindest… Plötzlich wurde ich wehmütig und versuchte den Gedanken schnell wegzuschieben.

„Ich bin übrigens Christoph“, unterbrach er die kurzzeitige Stille, die plötzlich zwischen uns schwebte.

Hatte er gespürt, dass mich ein Hauch von Melancholie gefangen hatte? Ohne dass ich ihn dazu aufgefordert hätte, begann er nun auch von sich zu erzählen. Er war zwei Jahre älter als ich und arbeitete als Schreiner. Wenn er Zeit dazu hatte, schnitzte er. Seine Stimme war mir unglaublich sympathisch und hatte etwas Beruhigendes. Wie er wohl aussah? Ich kniff die Augen zusammen und versuchte etwas zu sehen. Ich hoffte, dass er sich noch eine Zigarette anzündete, um vielleicht im Schein des Feuerzeugs etwas erkennen zu können. Aber den Gefallen tat er mir nicht.

„Gute Nacht“, verabschiedete er sich schließlich von mir. „Was man übrigens in der ersten Nacht in einem neuen Bett träumt, geht in Erfüllung.“

Und auf einmal war er verschwunden.

Auch ich merkte, dass es höchste Zeit zum Schlafen war. Müdigkeit fuhr in meine Knochen. Als ich wenig später in meinem neuen Bett lag, grübelte ich weiter drüber nach, wie der Typ vom Balkon wohl aussah. Ich malte mir sämtliche Szenarien aus, bis ich schließlich eingeschlafen war.

 

Nur geträumt

Es war früh am Morgen, als ich erwachte. Zu früh. Weiterschlafen konnte ich allerdings auch nicht mehr. Zum Glück musste ich nicht arbeiten.

Was man in der ersten Nacht in einem neuen Bett träumt, geht in Erfüllung. Christophs letzter Satz von gestern Nacht kam mir wieder in den Sinn. Ich lag da, starrte gequält an die Decke und versuchte mich zu erinnern, was ich geträumt hatte. Aber so sehr ich mich auch anstrengte, da war nichts. Meine Augen verfolgten das Stuckmuster über mir. Eine Weile grübelte ich noch vor mich hin. Doch es half nichts. Langsam rollte ich mich aus dem Futonbett.

Ich ging zur Tür, die durch Mandys Zimmer zur Küche und ins Bad führte und klopfe vorsichtig an. Keine Reaktion. Ich schnallte am Türgriff. Zugesperrt. Mist! Vorsichtig streckte ich meinen Kopf ins Treppenhaus. Keiner zu sehen. Schnell huschte ich zur Türe am Ende des Korridors und flüchtete mich vor neugierigen Blicken ins Esszimmer.

Auf dem hölzernen Küchentisch stand eine benutzte Kaffeetasse, die dort gestern noch nicht gestanden hatte. War Mandy heute Nacht zurückgekommen? Ich hatte nichts mitbekommen. Aber es schien, als wäre sie schon wieder weg.

Ich öffnete den Kühlschrank. Mein Magen knurrte. Im Seitenfach steckte ein Flasche Sekt. Im Gemüsefach lagen ein angebrochener Wodka und eine Stange Lauch, die ihre besten Tage schon hinter sich hatte. Ansonsten hatte der Kühlschrank noch viel ungenutzte weiße Fläche zu bieten.

„Genau das Richtige“, murmelte ich griesgrämig vor mich hin.

Wenig später versuchte ich meine miese Stimmung mit einer schönen warmen Dusche wegzuspülen. In begrenztem Maße funktionierte das auch. Das Wasser ließ mich ein bisschen frischer wirken. Ich fasste neuen Mut und beschloss erst mal auf ein Frühstück ins Pap zu gehen. Vielleicht lag dort ja ein Wochenanzeiger mit Job-Angeboten herum. Irgendwie war alles so komisch. Neu und fremd. Ich fühlte mich noch nicht ganz angekommen und leicht verunsichert in allem. Irgendwie surreal. Eine wichtige Tagesaufgabe hatte ich mir aber für heute gesteckt: Kühlschrank dringend auffüllen!

 

Künstlerische Pause

Im Café hielt sich die Anzahl der Gäste noch in Grenzen. Hilde, die Bedienung, der das Pap auch gehörte, stand etwas gelangweilt hinter der Theke und starrte geistesabwesend an die Decke. Da erblickte ich John. Er saß wieder auf dem schwarzen Ledersofa.

„Morgen“, begrüßte ich ihn mit einem leichten Grinsen und war froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen.

„Morgen“, grüßte er freundlich zurück.

„Ist bei dir noch ein Plätzchen frei?“

„Selbstverständlich.“

„Bist du auch zum Frühstücken hier?“, fragte ich, um ein bisschen Small Talk zu betreiben.

„Nein, nein“, antwortete er energisch und nach einer kurzen Pause meinte er. „Ich arbeite.“

Aha, dachte ich etwas irritiert bei mir. Das einzige Arbeitsmittel, das ich im Moment vor John auf dem Tisch sah, war eine Tasse Kaffee. Und ich fragte mich, wie wohl eine Beschreibung des Berufsbildes eines Künstlers aussah: Sitzt arbeitend vor einer Tasse.

Bei dem Gedanken musste ich schmunzeln. Als hätte John meine Gedanken erraten, begann er nach einer theatralischen Pause von sich aus zu erzählen.

„Ein Künstler arbeitet eigentlich immer.“

Künstlerische Pause.

„Ich sauge die Impressionen der Menschen auf, die hierherkommen und wieder gehen.“

Künstlerische Pause.

„Ich lasse mich vom Leben inspirieren.“

Künstlerische Pause.

„Was wäre ein Künstler ohne Inspiration?“

„Was darf´s sein, Schätzchen?“, unterbrach Hildes markante Stimme Johns Vortrag über die Arbeit eines Künstlers.

„Eine Tasse Milchkaffee und den kleinen Frühstücksteller“, orderte ich.

Ja, und schließlich saßen wir da. Auf dem Sofa. Ich mit einer Tasse Kaffee in der Hand, beim Frühstücken. John mit einer Tasse Kaffee in der Hand, beim Arbeiten. Genussvoll biss ich in meinen Wurstsemmel und ließ meinen Gedanken freien Lauf, ohne an etwas Konkretes zu denken.

„Meinst du, Hilde…“, wollte ich John dezent fragen.

Doch er unterbrach mich sofort und legte mit etwas gedämpfter Stimme los: „Ich weiß, was du meinst. Ja, Hilde hieß früher Carsten.“

Er schaute mich mit großen Augen an.

„Aber für uns ist Hilde einfach Hilde, dass das klar ist.“

„Klar. Aber eigentlich wollte ich wissen, ob du meinst, dass Hilde vielleicht einen Job für mich hätte“, ich grinste ihn an und er grinste etwas verlegen zurück.

„Ich frag sie mal.“

John sprang von der Couch auf und schlenderte gemütlich zu Hilde an den Tresen. Ich sah nur, dass die beiden redeten, hörte aber nicht, was. John fuchtelte ein bisschen mit den Händen. Nach einer geschätzten Minute zwinkerte er mir zu und hob seinen rechten Daumen nach oben. Und so kam es, dass ich den Punkt Jobsuche auf meiner Agenda bereits vor dem Einkaufen erledigt hatte. Yippie. Gut, es war jetzt zwar keine große berufliche Veränderung zu bisher, aber es war zumindest mal ein Anfang und ein Grund, morgens aufzustehen.

 

Mandy

Ich kniete gerade auf dem Fußboden vor dem Kühlschrank und befüllte ihn mit den gekauften Lebensmitteln, als die Tür, die in Mandys Zimmer führte, aufging. Eine große schlanke Frau mit braunen langen Locken stand plötzlich vor mir. Sie trug ein lässiges graublaues Kleid, das ziemlich viel Dekolleté und Bein zeigte. Aber es stand ihr.

„Du musst Bettina sein. Mandy. Hi, grüß dich“, begrüßte sie mich freudestrahlend und in akzentfreiem Hochdeutsch.

Ich stand auf und wollte ihr gerade meine Hand zur Begrüßung entgegenstrecken, doch ehe ich mich versah, hatte mich meine neue Mitbewohnerin an sich gedrückt und in den Arm genommen. Es war schön, so herzlich empfangen zu werden. Ich hätte Mandy auf mein Alter geschätzt. Irgendwie roch ich nun ein bisschen nach ihrem Parfüm. Nicht unangenehm oder aufdringlich, aber fremd.

„Supi! Endlich jemand, der den Kühlschrank füttert“, sagte sie lächelnd, setzte sich mit Schwung auf die Arbeitsfläche der Küche und begann munter draufloszureden.

Sie machte einen unkomplizierten Eindruck auf mich.

„Meistens esse ich schon in der Kantine warm. Darum kommt der alte Kühlschrank immer zu kurz“, sie lächelte wieder, als sie das sagte.

„Was arbeitest du denn?“, wollte ich wissen.

„Betriebsprüferin beim Finanzamt.“

„Beim Finanzamt?“, fragte ich verwundert.

„Jep“, bestätigte sie knapp.