Last Trip Advisor - Dorothea Rohde - E-Book

Last Trip Advisor E-Book

Dorothea Rohde

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Beschreibung

Last Trip Advisor ist eine Ermutigung, sich auf leichte und unterhaltsame Weise mit Themen zu befassen, die uns alle betreffen, vor denen die meisten von uns aber zurückschrecken. Sie wühlen traurige Erinnerungen und schwierige Gefühle auf. Daher plädiere ich für Microdosing. Wenn wir uns den Themen Sterben, Bestatten und Trauern vorsichtig nähern, sind sie nicht so überfordernd. Wir fühlen uns nach und nach freier im Umgang mit den Themen und auch mit Betroffenen, ohne dabei abstumpfen zu müssen. Und der Tod lehrt uns viel über ein gutes Leben. Dafür ist es nie zu früh!

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Seitenzahl: 88

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Prolog | Meine Toten

Kapitel 1 | Angst vor dem Tod

Kapitel 2 | Sterbebegleitung

Kapitel 3 | Sterben

Kapitel 4 | Trauern

Kapitel 5 | Bestatten

Prolog | Meine Toten

Meine Mutter: 1. Juli 1922 – 23. Februar 1966

Beim ersten Mal habe ich gar nicht richtig verstanden, was Tod bedeutet, nur, dass ich weinen wollte, weil alle es taten. Ich war dreieinhalb Jahre alt, und Mami war weg. Was ich aber wusste: Mein Job war nun unbedingt, meinen Vater zu beschützen und ihm viel Freude zu machen, weil er so doll traurig war. Zur Beerdigung wurde ich nicht mitgenommen, aber mein Vater und ich fuhren oft zusammen mit dem Fahrrad zum Friedhof. Ich lief freudig zum Brunnen, aus dem ich Wasser in eine Gießkanne schöpfte, und war stolz, die Blumen gießen zu dürfen. Danach standen wir, wie es sich gehörte, andächtig vor dem Grab, bevor wir zurückfuhren. Einmal im Jahr gingen wir alle zusammen zum Friedhof, und wir drei Kinder durften jährlich reihum das Gesteck aussuchen, das dann über den Winter das Grab zierte. Es war immer eine besondere Ehre.

Sicher hat mich diese Zeit geprägt und für eine sehr enge Bindung zu meinem Vater gesorgt. Sicher wurde ich auf diese Weise auch parentifiziert. Denn ohne es zu merken, wurden meine Brüder und ich verantwortlich dafür, dass mein Vater, wenn schon nicht glücklich, dann aber wenigstens zufrieden war. Die Tatsache, dass einige Kleider meiner Mutter umgeschneidert und mir angezogen wurden, hat aus meiner heutigen Perspektive sicher auch zu einer Rollenverwirrung beigetragen.

Ich kann mich nicht erinnern, dass mich andere Erwachsene auf den Tod meiner Mutter ansprachen. Auch nicht im Kindergarten, in den ich aufgrund der Krankheit meiner Mutter schon sehr früh ging. Aber auf dem Spielplatz unter den anderen Kindern war es Thema. Ich erinnere mich an die Frage, ob mein Vater geweint hätte, als meine Mutter starb. „Na klar, hat er geweint“, gab ich zur Antwort. „Mein Vater würde nie weinen!“ kam prompt zurück. Heute denke ich: Warte ab, bis deine Mutter stirbt, dann weint der auch.

Als mein Vater drei Jahre später wieder heiratete, war es wieder der Spielplatz, auf dem ich von meinen Spielkameraden lernte: „Ich würde nie auf eine andere Mutter, als auf meine richtige Mutter hören!“ Klar, und ich würde am liebsten auf überhaupt niemanden hören müssen, ist aber leider nun mal so mit sechs Jahren.

Ich habe keine Ahnung, wie es gewesen wäre, wenn ich in dieser Zeit (wir sprechen von der Mitte der 1960er Jahre) jemanden gehabt hätte, der sich mit Trauer und Trauma bei Kindern auskennt. Es hätte mir vielleicht einige Unsicherheit und ein paar Panikattacken in meinem späteren Leben erspart. Aber niemandem ist ein Vorwurf zu machen. Wir haben uns alle miteinander durchgewurschtelt, wie es zu jener Zeit eben üblich war.

Das Grab meiner Mutter besuchte ich 50 Jahre lang. Als ich es auflösen ließ, veränderte sich meine Beziehung zu meiner so jung verstorbenen Mutter auf überraschende Weise. Sie war weniger die Tote im Grab, zu der ich ging, sondern kam mehr als Mensch und Frau in mein Bewusstsein, die ein Leben vor der Krankheit gelebt hatte. Als jemand, die eine Persönlichkeit hatte, abseits ihres tragischen Schicksals, das bis dahin meinen Blick auf sie geprägt hatte.

Meine Oma: 20. September 1896 – 14. Januar 1978

Das Sterben meiner Oma sah ich wohl kommen. Sie lag bei uns zuhause in ihrem Zimmer in ihrem Bett, war verwirrt und kaum noch die Omi, die mich immer beschützt hat, die immer voller Liebe für mich da war, der ich ein ums andere Mal gesagt hatte, sie dürfe niemals sterben, das müsse sie mir versprechen. Weil ich mir ein Leben ohne Omi und ihre schützende, weiche Hand nicht vorstellen konnte. Nachdem sie gestorben war, saß ich im Hippie-Zimmer meines Bruders und starrte in eine Kerze. Ich sah einen Heiligenschein um die Kerze, ich sah eine Aura, ich sah die Seele meiner Omi, und ich war ein bisschen beunruhigt, ob das eine Halluzination sein könnte, und zugleich beruhigt, dass sie sich mir noch einmal zeigte.

An die anschließende Trauer habe ich keine Erinnerung, weil ich heftig mit Komplikationen einer schwer verlaufenden Pubertät rang. Alles war Kampf. Schule – Versagen, Eltern – Enge, Jungs und Mädchen – Moralapostel, Freiheit – nichts dürfen, Drogen – Verbote, Lifestyle – Unverständnis. Ich habe unter diesen Umständen einfach nicht gewusst, wie ich trauern soll. Gefühle zu zeigen war in dieser Zeit keine gute Idee.

Oma war die einzige Person auf der Welt, die nichts bewertete, geschweige denn abwertete. Sie nähte in einer spießigen Welt fröhlich bunte Flicken auf unsere heiß geliebten, auseinanderfallenden Jeans und Jacken und fand den (Haschisch-) Dealer meines Bruders einen genauso netten jungen Mann, wie den Postboten und meinen langhaarigen Freund mit dem eingeflochtenen Knochen im Haar. Wie kann man ohne so jemanden leben oder auch nur überleben? Es ist bis heute unklar, wie mir das gelungen ist.

Holli: 20. Oktober 1961 – 11. Juni 1982

Beim nächsten Mal war es ein stechender, ungläubiger Schmerz. Die Nachricht, dass mein Freund Holli bei einem Unfall an einem Genickbruch gestorben war, traf mich mit voller Wucht. Ich meinte zu wissen: Diesen Schmerz kann ich nicht aushalten. Dann wurde es schlimmer. Und dann noch schlimmer.

Er starb kurz vor den Sommerferien, und ich ging die letzten Tage nicht mehr in die Schule. Zur Beerdigung kamen neben der Familie die Freundinnen und Freunde unserer Clique, von denen niemand auf meine Schule ging. Die Sommerferien verbrachte ich bei meinem ältesten Bruder in Berlin. Nach den Ferien kam ich in meine Klasse, und niemand verlor ein Wort. Ich war nicht sicher, ob überhaupt jemand wusste, dass Holli gestorben war. Aber wir wohnten nicht in einer anonymen Großstadt, sondern in Bad Schwartau. Und da wusste es jeder! Und ich vermute, dass meine Eltern in der Schule Bescheid gesagt hatten. Aber warum sagte denn niemand etwas? Weder die Lehrer:innen, noch die Mitschüler:innen. Hatten sie sich abgesprochen, nichts zu sagen? Hatte das jeder und jede für sich entschieden? Das verunsicherte mich sehr. Es sprach mich auch niemand auf meine schwarze Kleidung an, die ich vom Tag des Todes an für etwa ein Jahr trug. Nur einer der Lehrer gestand mir irgendwann seine Liebe und meinte, ich hätte so eine Reife, weil ich mit 20 Jahren schon so was Schweres erlebt hätte. Kotz! Eine unpassendere Beileidsbekundung konnte und kann ich mir kaum vorstellen.

Seit sich am 11. Juni 2022 Hollis Tod zum 40sten Mal jährte, weiß ich, dass der Tod dieser ersten großen Liebe meinem Leben tatsächlich mehr Tiefe, Gelassenheit und Dankbarkeit für jeden gelebten Moment gegeben hat.

Mein Vater: 2. Oktober 1926 – 12. Dezember 1999

Viele Jahre später starb mein Vater. Ich lebte gerade in England und rief ihn jeden Sonntag an. Nach einem unserer üblichen, liebevollen Telefonate musste ich sehr weinen, ohne zu wissen warum. Ein paar Tage später verstand ich es. Es war unser letztes Gespräch gewesen. Und dann flog ich nach Hause und sah ihn noch einmal. Er war sehr plötzlich zuhause gestorben, und meine (Stief-) Mutter hatte ihn glücklicherweise nicht gleich von einem Bestattungsunternehmen abholen lassen. Er war sogar noch die darauffolgende Nacht zuhause, und mein damaliger Mann wusch ihn und hielt mit meinem ältesten Bruder über Nacht die Totenwache. Meine Mutter suchte einen schönen Anzug heraus, in dem mein Vater bestattet werden sollte. Als die Bestatter kamen, hatte ich das dringende Bedürfnis, ihnen zu sagen, dass sie ganz vorsichtig mit meinem Vater umgehen und ihn besonders liebevoll ankleiden sollen. Die Vorstellung quälte mich, dass sie routiniert und unsanft mit meinem Vater sein könnten. Ich habe nicht gewagt, etwas zu sagen. Hätten sie es albern gefunden, weil Vati ja eh tot war? Hätten sie sich in ihrer Berufsehre gekränkt gefühlt, weil ich ihnen unterstellte, dass sie mit dem Verstorbenen nicht gut umgehen könnten?

Heute weiß ich, dass mein Bedürfnis nicht unangemessen war, nicht seltsam, dass ich es hätte sagen dürfen. Dass sein toter Körper keine leere Hülle war, sondern immer noch der Mensch, den ich liebte. Heute weiß ich, dass es Bestatter:innen gibt, die darüber sprechen, wie sie vorgehen, die sogar eine Einladung aussprechen, beim Waschen und Ankleiden dabei zu sein oder es selbst vorzunehmen.

Zurück in England weinte ich viel um meinen Vater, weil ich ihn so vermisste. Diese Zeit hat mir geholfen, ja gutgetan, weil meine Trauer an erster Stelle stand, Beachtung fand und ich sie ausleben konnte. Als wir dann einige Monate später wieder in Deutschland waren, war es meine Mutter, die meinen Trost, meine Zuwendung brauchte, die an erster Stelle stand. Sie hatte ihren geliebten Mann verloren, mit dem sie bis zum letzten Moment eine glückliche Ehe geführt hatte. Meine Trauer trat in den Hintergrund. Sie fragte mich nicht nach meinen Gefühlen, weil ihre so überwältigend und bestimmend waren. Ich geriet in der Trauerhierarchie auf einen hinteren Platz. Das war verständlich und sicher ganz und gar angemessen. Dennoch bin ich dankbar für diese erste Zeit, in der ich ganz für mich trauern konnte, ohne gleichzeitig selbst trösten zu müssen.

Jutta: 4. August 1962 – 12. Dezember 2019

Auf den Tag genau 20 Jahre nach meinem Vater starb meine Freundin Jutta. Dieses Datum fühlte sich an wie eine schöne Geste, als wollte sie zeigen, wie tief ihre Verbundenheit zu meiner Familie war. Ich war vorbereitet auf ihren Tod, denn sie starb an Krebs. Von Anfang an war Jutta offen mit der Krankheit umgegangen und informierte mich und ihre Freund:innen über Behandlungen und Einschränkungen, mit denen sie zu leben hatte. Ich ging ins Krankenhaus, als sie operiert wurde, wir telefonierten, so oft es ging, und sahen uns nur gelegentlich, weil sie in Berlin wohnte, ich in Hamburg. Immer mal versuchte ich mit ihr über ihre Gefühle zu sprechen, über ihre Hoffnungen oder Ängste. „Sollen wir mal über den rosa Elefanten im Raum reden?“ Nein, sie wollte das nicht, dann würde sie nur noch weinen und nicht mehr aufhören. Nach einem der letzten Besuche bei ihr, bei dem wir zusammen spazieren gegangen waren, fühlte ich mich erstarrt und verzweifelt darüber, dass wir uns trotz unserer sehr alten Verbindung nicht einmal mehr in den Arm nehmen konnten und vielleicht gemeinsam weinen, dass wir nur über Belangloses sprechen mussten, damit der Schmerz für sie nicht unerträglich würde. Ich fragte sie, ob sie denn mit ihrem Freund reden könne. Der sei nicht so fürs Sprechen, schon gar nicht über so was, sagte sie. Es war ihr Sterben, es war ihr Leid, ihr Weg, und wer war ich, ihren Umgang mit dem Sterben mitgestalten zu wollen. Es stand mir nicht zu, dass sie um meinetwillen mit mir redete und weinte