Lava und Wellen: Tod auf dem Vulkan - Sabine Strick - E-Book
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Lava und Wellen: Tod auf dem Vulkan E-Book

Sabine Strick

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  • Herausgeber: Piper ebooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Ein spannender Krimi um einen Mord auf La Réunion: Lucien Mahés erster Fall! Kurz vor dem Ausbruch des Piton de la Fournaise auf La Réunion wird nahe des Kraters die Leiche des Vulkanologen Xavier Lefèvre entdeckt. Seine Witwe Melissa beauftragt den ehemaligen Pariser Kriminalkommissar Lucien Mahé mit privaten Nachforschungen, denn der örtliche Kommissar Pascal Talon ist mit ihrer Familie verfeindet und würde ihr nur zu gerne den Mord in die Schuhe schieben.  Im Zuge der Ermittlungen, bei denen Lucien immer wieder mit Talon aneinander gerät, findet er heraus, dass etliche Leute ein Motiv für den Mord haben könnten. Und zweifelt sogar an Melissas Unschuld, während er gleichzeitig unerwünschte Gefühle für sie entwickelt. Dann trifft seine Tochter überraschend auf der Insel ein und wird zu Luciens Leidwesen in die Ermittlungen hineingezogen...

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Inhalt

Cover & Impressum

PROLOG

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Als Lucien erwachte, fiel gedämpftes Tageslicht durch die zugezogenen Vorhänge des Schlafzimmers. Sein Schädel schmerzte. Schlaftrunken wollte er sich umdrehen, als er noch einmal die Türklingel hörte, die ihn vermutlich auch geweckt hatte.

Lucien zog knurrend die dünne Bettdecke über die Ohren und vergrub das Gesicht in den Kissen. Aber nun wurde auch noch gegen die Tür gehämmert. Mit einem Seufzer warf er die Decke von sich und erhob sich. Als er zur Schlafzimmertür gehen wollte, spürte er einen scharfen Schmerz unter der Fußsohle und fluchte. Sein Blick fiel auf den zerbrochenen Spiegel und die Scherben des Whiskytumblers. Er griff nach seinen Jeans, die auf dem Boden lagen, schlüpfte hinein und schlurfte über den gefliesten Boden Richtung Eingangstür.

»Ich komm ja schon!«, schrie er, als das Klopfen andauerte, und riss die Tür auf. Vor ihm stand eine schlanke, brünette Frau, deren dunkle Augen ihm erwartungsvoll entgegensahen.

»Sie wünschen?«, fragte er missgelaunt.

»Lucien! Gott sei Dank bist du noch da.«

Er starrte sie an. Schulterlange schwarze Haare, samtige milchkaffeebraune Haut, liebliche kreolische Gesichtszüge. Wie durch ein Wunder löste sich ihr Name aus dem Nebel von Whisky, Tiefschlaf und Vergessen. »Melissa?«

»Ja, natürlich«, sagte sie ungeduldig. »Bitte, kann ich reinkommen?«

Er gab die Tür frei. »Woher weißt du …«, begann er und rieb sich die verquollenen Augen.

»Ich habe im Ort gehört, dass du wieder hier bist und im Haus deiner Mutter wohnst.« Sie reckte sich, um ihm die Wangen zu küssen.

»In welchem Ort? Wo lebst du jetzt?«

»In Trois-Mares. Ich habe deine Schwester dort letztens beim Zahnarzt getroffen, schon vor einigen Wochen, und sie hat es mir erzählt.«

»Du hast noch Kontakt zu Christine?« Er erinnerte sich daran, dass die beiden Mädchen auf der Oberschule befreundet gewesen waren.

»Nur wenn ich sie mal zufällig treffe. Richtig befreundet sind wir schon lange nicht mehr, wir haben uns nach der Schule auseinandergelebt. Und mit ihren drei Kindern hat sie jetzt einfach zu viel zu tun und ein ganz anderes Leben. Aber da sie im Nachbarort wohnt, laufen wir uns ab und zu über den Weg und quatschen dann ein bisschen. Ich habe sie oft gefragt, wie es dir geht und Grüße bestellt. Hat sie sie dir nicht ausgerichtet?«

»Kann mich nicht erinnern.« Lucien gähnte.

Melissa war im Wohnzimmer stehen geblieben. »Du humpelst ja.«

»Hab mir gerade eine Glasscherbe eingetreten, als ich vom Bett zur Tür wollte.«

»Oh Gott, tut mir leid. Komm mit ins Bad, ich werde dich verarzten.«

»Das schaffe ich gerade noch allein«, brummelte er. »Ich wollte mich sowieso ein wenig frisch machen, bevor ich Damenbesuch empfange. Setz dich, und gib mir zehn Minuten.«

»Sorry, dass ich so reinplatze.« Ihr Blick wanderte über seinen durchtrainierten Oberkörper. Lucien erinnerte sich plötzlich daran, dass sie als Teenager für ihn geschwärmt hatte.

»Schon okay. Es ist wohl sowieso Zeit fürs Aufstehen. Wie spät ist es?«

»Gleich elf. Hast du etwa noch geschlafen?« Ihr Blick fiel auf die fast leere Whiskyflasche, die auf dem Tisch stand.

»Ich war letzte Nacht am Piton.«

Er wunderte sich über ihr gequältes Aufstöhnen, beschloss aber, es zu ignorieren.

Im Bad setzte er sich auf den Badewannenrand und inspizierte den kleinen Schnitt in seiner Fußsohle, der zum Glück nicht sehr tief zu sein schien. Er desinfizierte die Wunde und klebte ein Pflaster darauf. Dann beugte er sich über das Waschbecken und klatschte kaltes Wasser in sein Gesicht. Mit den feuchten Fingern fuhr er sich durch das glatte, stufig geschnittene Haar und putzte sich schließlich die Zähne. Aber der unangenehme pelzige Geschmack auf der Zunge blieb.

Als er ins Schlafzimmer ging, um ein frisches T-Shirt aus dem Schrank zu holen, traf er dort Melissa an, die prüfend den kaputten Spiegel und die Scherben betrachtete.

»Ich bin hergekommen, weil ich deine Hilfe brauche, aber es sieht so aus, als könntest du sie ebenfalls gebrauchen«, stellte sie nachdenklich fest.

»Das kehre ich nachher zusammen, wenn du weg bist, und bring den Spiegel zum Glaser.« Er schlüpfte in ein schwarzes T-Shirt.

»Das meinte ich nicht.«

»Was hat meine Schwester noch erzählt?«, fragte er misstrauisch.

»Nicht viel, nur dass du dir eine Auszeit nimmst von deinem Leben in Paris.«

»So was in der Art. Komm, lass uns ins Wohnzimmer gehen.«

»Hast du dich von deiner Frau getrennt?«, wollte sie wissen, als sie auf der Couch Platz nahm.

»Das könnte man so nennen.« Er ließ sich in den Sessel ihr gegenüber fallen.

»Und wie geht es deinen Kindern? Die müssen ja inzwischen Teenager sein oder fast erwachsen.«

»Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen Melissa?«, lenkte er ab.

»Vor ungefähr zehn Jahren bei der Beerdigung deines Vaters.«

»Richtig.« Ein Schatten huschte über sein Gesicht, als sie die Beerdigung seines Vaters erwähnte.

Luciens Vater stammte aus der Bretagne. Mit Anfang dreißig war er geschäftlich nach La Réunion gereist, hatte sich in die Insel und die schöne Kreolin Ségolène verliebt und war für immer geblieben.

»Warst du danach noch mal hier?«

»Ja, ich habe vor sechs Jahren mit meiner Familie auf Réunion Urlaub gemacht und die Familie besucht.«

Sein Blick heftete sich auf ihre vollen Lippen, und er erinnerte sich, dass da ein Kuss gewesen war, kurz bevor er mit zwanzig seine Heimatinsel verlassen hatte, um auf dem Festland eine Ausbildung an der Polizeiakademie zu machen. Melissa und er hatten dieselbe Schule besucht, und ihre Eltern waren befreundet gewesen. Er kannte sie, seit er ein Teenager gewesen war, hatte sich aber nie übermäßig für sie interessiert. Für ihn war sie stets nur die kleine Melissa gewesen und der Kuss eine Laune auf einer Party.

»Aber reden wir von dir«, sagte er. »Wie geht es dir?« Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie elend aussah. Ihre Augen waren gerötet und leicht geschwollen, als habe sie vor Kurzem viel geweint.

»Ich habe vor acht Jahren geheiratet, den Leiter des Vulkanobservatoriums.«

»Kenne ich den? Wie heißt er?«

»Xavier Lefèvre. Ich denke nicht, dass du ihn kennst. Er stammt aus Lyon und lebt erst seit zehn Jahren hier.«

»Und wofür brauchst du jetzt meine Hilfe?«

Melissa drehte nervös den Riemen ihrer modischen Lederhandtasche zwischen den Fingern. »Mein Mann wurde vor zwei Tagen ermordet. Seine Leiche wurde gestern Vormittag auf dem Piton de la Fournaise gefunden, also wenige Stunden vor dem Ausbruch.«

»Origineller Plan, um eine Leiche zu beseitigen«, stellte Lucien beinahe respektvoll fest.

Melissa zuckte zusammen und presste die Lippen aufeinander.

»Entschuldige«, sagte er rasch. »Nach zwanzig Jahren bei der Kripo bin ich etwas abgebrüht.«

»Schon gut. Es ist ja, wie du sagst. Das hätte der perfekte Mord sein können. Aber offensichtlich ist der Plan des Mörders nicht aufgegangen. Vulkane halten sich nicht an Terminpläne.« Ihre Stimme kiekste, und sie klammerte ihre zitternden Hände um die Tasche.

Lucien schluckte. »Mein Beileid«, sagte er hölzern.

Nach so vielen Jahren als Überbringer von Todesnachrichten war es für ihn etwas Alltägliches, und er hatte bereits vor langer Zeit gelernt, sich gegen Mitleidsgefühle abzuschotten. Zumal sich die, die am lautesten weinten, am Ende oft als Täter herausstellten. Aber hier handelte es sich um seine Jugendfreundin Melissa. Er riss sich zusammen.

»Das muss schrecklich für dich sein. Tut mir sehr leid, Melissa.«

»Danke.« Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.

»Willst du was trinken?«, lenkte Lucien hastig ab und wies mit dem Kinn auf die Whiskyflasche.

»Hast du auch Pastis?«

»Glaube schon.« Er ging zur Hausbar, fand eine Flasche Ricard und schenkte davon in zwei Gläser ein. Er setzte sich neben sie, verdünnte den Pastis mit Wasser aus der Karaffe, die auf dem Tisch stand, und drückte ihr ein Glas in die Hand. »Und wie kann ich dir helfen?«

»Christine hat erzählt, dass du bei der Mordkommission bist.«

Lucien atmete tief durch. »Nicht mehr. Ich habe vor zwei Monaten den Dienst bei der Polizei quittiert.«

»Was? Wieso das denn?«

Er ignorierte die Frage. »Ich bin sicher, der zuständige Kommissar hier wird den Mord an deinem Mann aufklären, mach dir keine Sorgen«, sagte er hastig.

»Das ist es ja gerade. Ich habe Angst, dass er versuchen wird, mir den Mord in die Schuhe zu schieben.«

»Warum?«

»Ich kenne ihn, und er hasst meine Familie.«

»Wie sieht es bei dir aus mit Alibi und Motiv?«, fragte er sachlich.

»Ich war nachmittags und abends allein zu Hause. Und ich bin Alleinerbin von Xaviers Vermögen – mal abgesehen vom Pflichtanteil für seinen Sohn.«

Lucien wiegte den Kopf hin und her. »Dann sieht es erst mal nicht gut für dich aus«, bestätigte er.

»Deswegen brauche ich ja deine Hilfe! Ich möchte dich beauftragen, private Ermittlungen anzustellen, um den Mörder zu finden.«

»Das geht nicht«, lehnte er ab.

»Bitte, Lucien! Ich würde dich gut dafür bezahlen. Wovon lebst du jetzt überhaupt?«

Er antwortete nicht darauf. »Melissa, ich habe keine Dienstwaffe mehr. Und Mörder können manchmal verdammt ungemütlich werden, wenn man ihnen auf die Pelle rückt.«

»Xavier hat eine Pistole, die kann ich dir geben.«

»Das wäre illegal. Außerdem gibt mir die hiesige Kripo garantiert keine Einsicht in ihren Ermittlungsstand oder in pathologische Befunde. Privatermittler, die sich einmischen wollen, sind bei der Polizei im Allgemeinen ziemlich unbeliebt.«

»Aber du bist einer von hier, du kennst bestimmt noch viele Leute.«

»Das nützt nicht viel. Du weißt sicher, dass die örtliche Kriminalpolizei von der Gendarmerie gestellt wird und die Mitarbeiter alle paar Jahre ausgetauscht werden? Ich kenne da keinen Menschen.«

»Du hast aber sozusagen den Heimvorteil! Dir werden die Leute, die du befragst, mehr anvertrauen als jemandem, der vom Mutterland kommt und erst kurz auf der Insel ist.«

»Ach, Melissa – ich fühle mich einfach nicht in Form für so was. Es gibt Gründe, warum ich alles hinter mir gelassen habe.«

»Dann erkläre sie mir! Sag mir, warum du lieber Spiegel und Gläser zerschmetterst, als mir zu helfen.« Sie fuchtelte anklagend mit den Händen vor seinem Gesicht herum. »Was ist los mit dir, und was hast du mit dem Lucien gemacht, den ich mal gekannt habe? Und wieso hast du deinen Job bei der Kripo geschmissen?«

Wieder antwortete er nicht. »Die Tatsache, dass du noch nicht in U-Haft bist, beweist, dass sie dich nicht so ohne Weiteres festnehmen können.«

»Die konnten wegen des Vulkanausbruchs noch nicht richtig mit den Ermittlungen anfangen, habe ich gehört. Sie brauchen alle verfügbaren Leute zum Sichern der Umgebung.«

»Es wird auch wenig Zweck haben, dass die Spurensicherung noch mal den Tatort besichtigt«, bemerkte Lucien trocken. Er fuhr sich unruhig durch die Haare. Sie hatte recht mit ihrem Vorwurf. Sie brauchte seine Hilfe, er war dazu möglicherweise sogar in der Lage, aber aus Bequemlichkeit zog er es vor, sich weiterhin seinem Selbstmitleid hinzugeben. Hatte er sich nicht noch letzte Nacht vorgenommen, dies zu ändern?

Er seufzte. »Gut, erzähl mir alles, was du weißt. Ich werde versuchen, dir zu helfen. Versprechen kann ich aber nichts.«

»Ich danke dir!« Sie umarmte ihn und brach in Tränen aus.

»Ist ja gut.« Er streichelte beruhigend ihren Rücken und presste die Lippen zusammen. Flüchtig dachte er daran, dass er genau diese Situation nach dem Tod seines Sohnes nicht mehr ertragen hatte – weinende Angehörige nach dem Mord an einem Familienmitglied oder Ehepartner. Der Tod von Elias hatte seinen Schutzpanzer aufgebrochen, den er in all den Jahren errichtet hatte.

»Erzähl mir alles, was du weißt«, wiederholte er nach einigen Minuten mit brüchiger Stimme und räusperte sich.

Melissa richtete sich auf, kramte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch und putzte sich die Nase. »Xavier ist in der vorletzten Nacht nicht nach Hause gekommen und hat auch nicht angerufen, da bin ich natürlich sehr unruhig geworden. Zumal ich wusste, dass der Piton kurz davor war, auszubrechen und er manchmal in letzter Minute noch raufgeht, um Messungen durchzuführen. Bei seinem Handy sprang immer die Mailbox an, aber er hat nicht zurückgerufen. Also habe ich gestern früh im Observatorium angerufen. Es war nicht einfach, jemanden dazu zu bewegen, auf dem Piton nachsehen zu gehen – Xavier selbst hatte Anweisung gegeben, dass niemand mehr hinaufsollte. Als ich angedroht habe, dass ich selbst hinaufwandern würde, um nachzusehen, hat sein Stellvertreter schließlich einen Rettungshubschrauber alarmiert, und die haben ihn auf halber Strecke zum Hauptkrater gefunden.« Sie schluchzte auf.

»Ist ein Unfall oder natürlicher Tod ausgeschlossen? Was war die Todesursache?«

»Er hatte eine schwere Kopfverletzung, sagte der Kommissar. Ein natürlicher Tod scheidet also aus.«

»Ich bin kein Experte, aber soviel ich weiß, husten Vulkane kurz vor dem Ausbruch auch mal große Steine aus, oder? Vielleicht wurde er davon getroffen.«

»Der Kommissar hat Andeutungen gemacht, er könne erschlagen worden sein. Absichtlich.« Sie wischte sich die Tränen von der Wange.

Lucien dachte nach. »Der Rechtsmediziner wird herausfinden können, womit er erschlagen wurde und ob es vielleicht ein glühender Stein war, der entsprechende Verbrennungen hinterlassen hat. Gibt es schon einen Bericht?«

»Keine Ahnung. Die Polizei war gestern Mittag bei mir, um mich über Xaviers Tod zu informieren und sich zu erkundigen, wo ich vorgestern Nachmittag und Abend war. Und dann sagte der Kommissar, sie würden sich melden und ich solle mich zur Verfügung halten. Er war ziemlich komisch zu mir, so, als würde er schon Maß für die Handschellen nehmen.«

»Wie heißt dieser Kommissar?«

»Pascal Talon.«

»Warum hast du gesagt, er hasst deine Familie?«

»Seine Frau hat eine Affäre mit meinem Bruder«, erklärte sie lakonisch.

»Mit welchem?«

»Mit Denis. Laurent ist inzwischen verheiratet und hat drei Kinder.«

»Ja, richtig, das habe ich gehört.«

»Denis hat auch drei Kinder, aber von drei verschiedenen Frauen, und mit keiner lebt er mehr zusammen und war auch mit keiner verheiratet. Er ist ein richtiger Hallodri.«

Lucien konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er an den jungen Burschen mit dem verschmitzten Lächeln und dem Schalk in den dunklen Augen dachte. Inzwischen musste er auch bereits achtunddreißig sein.

»Und du denkst, der Kommissar würde es ihm gern dadurch heimzahlen, dass er seine Schwester in den Knast bringt?«

»Ja, das scheint so ein rachsüchtiger Typ zu sein.«

»Warum gehst du eigentlich davon aus, dass es Mord war?«, wollte Lucien etwas irritiert wissen. »Wenn man auf einem in Kürze ausbrechenden Vulkan herumklettert, sind Unfälle bestimmt viel wahrscheinlicher als Mord. Melissa, gibt es da etwas, das ich wissen sollte?« Er bohrte seinen Blick in ihren.

»Wenn ich ihn umgebracht hätte, säße ich jetzt nicht bei dir, sondern bei einem Anwalt, oder?«, erwiderte sie gekränkt. »Ich habe meinen Mann geliebt.«

»Schon gut, ich glaube dir ja. Hatte dein Mann Feinde?«

»Ist mir nicht bekannt.«

»Wie alt war er?«

»Einundfünfzig.«

»Also elf Jahre älter als du.«

»Ist das ein Mordmotiv?«, fragte sie gereizt.

»Nein, das war rein private Neugier.« Lucien lächelte. »Du hast von Vermögen gesprochen …«

»Nun ja, wir sind nicht reich, aber schon wohlhabend, denke ich.«

»Verdient man so gut als Vulkanologe?«

»Er hat als Leiter des Observatoriums ein recht gutes Gehalt gehabt, aber vor allem hat er von seinen verstorbenen Eltern einiges geerbt.«

»Du hast einen Sohn erwähnt …«

»Ja. Yannick. Er ist dreiundzwanzig.«

»Und verstanden die sich gut?«

»Manchmal ja, aber sie haben auch oft gestritten. Sie sind beide stur und auch manchmal Hitzköpfe.«

»Wo lebt er?«

»In Saint-Pierre.«

Lucien runzelte die Stirn. »Du hast vorhin erwähnt, dass Xavier aus Lyon stammt und erst seit zehn Jahren hier lebt. Sein Sohn ist also in Frankreich aufgewachsen – auf dem Festland, meine ich. Ist er seinem Vater hierher gefolgt?«

»Er studiert Vulkanologie, und Xavier hat dafür gesorgt, dass er hier einen Studienplatz bekommen hat. Was gibt es Praktischeres, als ein Studienobjekt vor der Haustür zu haben? Noch dazu ein so aktives, das alle paar Monate ausbricht.«

»Das ist in der Tat praktisch. Was ist mit dem Wagen deines Mannes? Wo ist der?«

»Der wurde auf einem Parkplatz nahe dem Nebenkrater gefunden, der ausgebrochen ist. Die Polizei hat ihn für Untersuchungen mitgenommen.«

»Ich werde mich ein wenig bei euch umsehen müssen, Melissa.«

»Selbstverständlich.«

»Dann werden wir uns mal an die Arbeit machen.« Lucien wollte sich erheben, doch sie griff nach seinen Händen und hielt ihn zurück.

»Warte! Bitte sag mir, was mit dir geschehen ist.«

»Nichts! Ich hatte einfach nur mein Leben satt, habe meine Heimat vermisst und wollte eine Auszeit nehmen.«

»Das nehme ich dir nicht ab. Deine Schwester klang auch so komisch … bist du von der Polizei gefeuert worden?«

»Nein.« Er schüttelte den Kopf und wollte ihr seine Hände entziehen. Aber unter ihrem bittenden, teilnahmsvollen Blick überwand er sich schließlich. »Vor knapp einem halben Jahr war ich mit meinem Sohn im Auto unterwegs«, begann er mit belegter Stimme. »Wir haben eine kleine Sonntagsspritztour unter Männern gemacht. Auf dem Rückweg war es dunkel. Ich habe die Landstraße genommen, weil sie für die Autobahn Stau angesagt hatten. Elias und ich hatten einen tollen Tag und haben herumgealbert. Und plötzlich war da dieser Lkw in der Mitte der Straße, der direkt auf uns zugerast kam. Ich musste ausweichen. Instinktiv bin ich nach rechts ausgewichen, weil ich natürlich rechts gefahren bin und es der kürzere Weg war. Aber ich habe mich verschätzt …« Er stockte und presste die Fingerspitzen vor die gerunzelte Stirn. »Auf einmal krachten wir in einen Baum. Elias ist in meinen Armen gestorben, bevor der Rettungswagen eintraf.« Er schluchzte trocken auf und legte die Hand vor die Augen. »Ich werde mir das nie verzeihen.«

»Das ist ja furchtbar«, sagte Melissa schockiert und zog ihn in die Arme. Er lehnte für einen Moment seinen Kopf an ihren. »Es tut mir so leid, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Was war mit diesem Lkw?«

»Der Fahrer war wohl übermüdet und ist für einige Sekunden eingenickt und von der Fahrbahn abgekommen.«

»Aber dann war es seine Schuld.«

»Offiziell schon, aber ich fühle mich trotzdem schuldig.«

»Warum?«

»Wenn ich nicht mit Elias herumgealbert hätte, hätte ich den Laster etwas früher gesehen. Und ich hätte zur anderen Seite ausweichen sollen.«

»Aber dann wärst du in die Gegenfahrbahn gekommen, das wäre doch auch höchst riskant gewesen.«

»Auf dieser Seite standen keine Bäume, ich hätte in die Wiese fahren können. Aber es ging so schnell, und ich habe es in der Dunkelheit nicht gut genug überblickt. Und überhaupt, warum habe ich nicht die Autobahn genommen? Das bisschen Stau … eine Stunde später zu Hause, aber mein Sohn würde noch leben. Er war erst fünfzehn.« In ohnmächtiger Wut hieb er gegen die Rückenlehne der Couch.

»Und du? Warst du verletzt?«

»Nur leicht. Eine Woche Krankenhaus, dann war ich wieder okay. Körperlich jedenfalls.« Er räusperte sich.

»Deswegen bist du weggegangen aus Paris? Um vor den Erinnerungen zu fliehen?«

»Ja. Für meine ohnehin angeknackste Ehe war es das Aus. Und meinen Job habe ich nicht mehr ertragen. Eigentlich hat er mir schon lange gestunken, und das Leben in Paris auch. Vielleicht war es eine Kurzschlussreaktion, einfach zu kündigen, statt mich krankschreiben oder beurlauben zu lassen, aber es hat sich richtig angefühlt. Ich wollte einen richtigen Neuanfang. Ich hatte das Bedürfnis, zu den Wurzeln zurückzukehren und auf La Réunion Kraft zu tanken. Aber bis jetzt scheint das noch nicht geklappt zu haben, obwohl ich schon sechs Wochen hier bin. Das meinte ich, als ich dir sagte, ich fühle mich nicht in Form, um wegen deines Mannes zu ermitteln.«

»So was dauert.« Sie drückte seine Hand. »Vielleicht wird es dir auch guttun, wieder eine Aufgabe zu haben.«

»Ja, kann sein. Was mir erst mal guttun würde, ist ein Kaffee.« Lucien lechzte nach Koffein, um einen klareren Kopf zu bekommen. Den würde er brauchen. »Willst du auch einen?«