Leben im Teufelskreis - Maria von Welser - E-Book

Leben im Teufelskreis E-Book

Maria von Welser

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Beschreibung

Kinderarmut in Deutschland muss kein Teufelskreis sein – auch wenn sie sehr oft der gesellschaftlichen Realität entspricht. Was läuft falsch in unserem Land – einem der reichsten Länder der Welt? Was wird aus armen Kindern, wenn sie heranwachsende Jugendliche oder junge Eltern werden? Was muss die Politik tun, damit sich die Situation der Kinder in Deutschland verbessert? Was können wir von Nachbarländern wie Frankreich, Schweden, Großbritannien lernen? Maria von Welser widmet sich einem heiklen Thema. An ergreifenden Beispielen zeigt die engagierte Journalistin das wachsende Elend armer Kinder in Deutschland. Mit ihrem aufrüttelnden Buch will sie dazu beitragen, dass Politik und Gesellschaft handeln: damit auch die Schattenkinder eine Perspektive für die Zukunft haben.

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Seitenzahl: 254

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Maria von Welser

Leben im Teufelskreis

Kinderarmut in Deutschland – und keiner sieht hin

© Maria von Welser

E-Book-Ausgabe © 2013 bei Hey Publishing GmbH, München

Originalausgabe © 2009 bei Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Umschlaggestalltung: ZERO Werbeagentur, München

Umschlagabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-942822-46-6

-1-2-3-4-5-

Von Maria von Welser zuletzt bei hey! erschienen:

Zurück zur Zuversicht

www.heypublishing.com

www.facebook.com/heypublishing

www.mariavonwelser.de

Dank für Hilfe und Unterstützung …

So ein Buch schreibt sich nicht von allein. Darum an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön all den Menschen, die mich von der Idee bis zum fertigen Buch tatkräftig und engagiert unterstützt haben:

Einmal der Kollegin und Freundin Uta König, die auch den Film für die ARD »Schattenkinder« im Auftrag des NDR umgesetzt und gedreht hat.

Thomas Montasser, der mir stets mit Rat und Tat zur Seite stand und immer eine Lösung weiß.

Pastor Thies Hagge und Tobias Lucht von der Arche in Hamburg-Jenfeld, die mir Tür und Tor und den Weg zu den Herzen der Kinder geöffnet haben.

Schließlich meinem Mann Klaus, der mich mit Hektolitern an Tee und Kaffee unterstützte, an den richtigen Stellen Fragen stellte und immer als erster Kapitel für Kapitel anhören musste.

Vorwort

Einleitung – Drei Kinder stellvertretend für fast drei Millionen

Kapitel 1 – Sommerferien

Kapitel 2 – Die Mutter

Kapitel 3 – Wochenende und bald Schulanfang

Kapitel 4 – Pastor Ruge und wie alles angefangen hat

Kapitel 5 – Neue Schule, neue Freunde

Interview: Maria von Welser mit der Landesbischöfin Dr. Margot Kässmann

Kapitel 6 – Andrea verzweifelt

Kapitel 7 – Vanessas und Melanies Leben gerät völlig durcheinander

Kapitel 8 – Schafft Jan das alles? Und wie kommen die Kinder mit dem Vater zurecht?

Kapitel 9 – Melanie hat ein Geschenk für Mama. Ist es geklaut?

Kapitel 10 – Kevin will nicht zu den Verlierern gehören

Interview: Maria von Welser mit der Familienministerin Dr. Ursula von der Leyen

Kapitel 11 – Endlich Besuch bei der Mama im Krankenhaus

Kapitel 12 – Auch Vanessa hat ein neues Hobby

Kapitel 13 – Endlich Tanzkurs!

Kapitel 14 – Mit Catarina einkaufen: Vanessa leidet

Kapitel 15 – Noch ein Versuch, sagt das Jugendamt

Interview: Maria von Welser mit dem Soziologen und Familienforscher Prof. Dr. Hans Bertram

Kapitel 16 – Vanessa will auf ihrer Schule bleiben und Melanie wird krank

Kapitel 17 – Es sieht nicht gut aus für die Mädchen

Kapitel 18 – Wie Kevin den Absprung schafft

Kapitel 19 – Das Ende und ein Neuanfang

Kapitel 20 – Ein Jahr danach: Was aus Vanessa, Melanie und Kevin geworden ist

Wie es in anderen Bundesländern aussieht und was wo geschieht

Nachwort – Was muss geschehen? Meine Forderungen an Politik und Gesellschaft

Vorwort

Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt – und verfügt im statistischen Vergleich mit anderen europäischen Staaten über die höchste Anzahl an Kindern, die unter dem Existenzminimum leben. Kinder und Jugendliche bis 14 Jahren, deren Eltern Hartz IV beziehen oder durch andere staatliche Sozialleistungen unterstützt werden müssen, weil das Einkommen für den Lebensunterhalt einer Familie nicht ausreicht.

Das ist eine Schande!

Gerne wird von Vertretern des Familienministeriums betont, dass diese Zahlen zurückgehen. Reicht das aus? Das sogenannte Bildungspaket mit 700 Millionen Euro ist beispielsweise bis heute nur zur Hälfte abgerufen. Die Anträge sind oft zu kompliziert, die Hürden für viele Menschen zu hoch.

Die internationale Kinderrechtsorganisation UNICEF fordert, dass Kindern Verfassungsrechte eingeräumt werden. Alle Staaten der Welt – mit  Ausnahme der USA, dem Südsudan und Somalia – sind mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention von 1990 die Verpflichtung eingegangen, Kinder zu schützen und ihren Anspruch auf Bildung, passende Kleidung und eine ausreichende und ausgewogene Ernährung zu sichern.

Dennoch leiden und sterben jedes Jahr weltweit Millionen Kinder an Unterernährung oder Vernachlässigung. Und nicht nur in Krisengebieten und Entwicklungsländern, sondern auch in den sogenannten Wohlstandsnationen – wie Deutschland.

Warum?

Weil sie beispielsweise als Pflegekinder bei drogensüchtigen Pflegeeltern landen und an Methadon geraten. Kinder wie Jessica, Lara Mia und Chantal. Weil Jugendämter angesichts der Vielzahl von Fällen der Fürsorge oftmals nicht ausreichend nachkommen können. Weil Kinder missbraucht werden, in den meisten Fällen im familiären Umfeld. Weil sie frieren, hungern und keinen Zugang zu Bildung und sozialen Kontakten haben – Bildung und Freizeit kosten Geld. Geld, das arme Familien fürs Überleben brauchen.

Wenn Kinder Verfassungsrechte hätten, müsste so etwas nicht passieren. Dann gäbe es Kläger und Richter, die diese Rechte verteidigen und den Kindern den Respekt zukommen lassen, den sie verdienen.

Dieses Buch handelt von drei Kindern im Norden Hamburgs, die ich ein Jahr lang begleiten durfte. Geschrieben habe ich ihre Geschichte 2008 –  das Thema hat aber bis heute (leider) nicht an Relevanz verloren. Im Gegenteil. Es sind immer noch zu viele. Das ist und bleibt eine Schande.

Einleitung – Drei Kinder stellvertretend für fast drei Millionen

Ein Jahr mit Vanessa, Melanie und Kevin. Drei Kinder in einer großen deutschen Stadt, stellvertretend für alle, die in diesem Land von Hartz IV leben. Ich habe die Kinder ein Jahr begleitet. In der Schule, auf dem Weg nach Hause, im Tanzkurs und vor allem im BOOT, einem Mittagstisch für Kinder, die zu Hause kein warmes Essen bekommen. Ich habe ihre Namen verändert, sie so beschrieben, dass sie nicht wiedererkannt werden können. Aber alles, was diese drei Kinder in dieser Geschichte erleben, ist tatsächlich passiert. Die drei sind keine Einzelschicksale. Nein – über drei Millionen Kindern geht es wie ihnen. Drei Millionen von rund 10,5 Millionen Kindern unter 14 Jahren in Deutschland.

Das hat wenig damit zu tun, dass die Welt von einer Wirtschaftskrise ohnegleichen geschüttelt wird. Nein, die Zahl der Kinder, die von Hartz IV lebt, steigt an, seit 2005 die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe eingeführt wurde. Schon damals warnte der Deutsche Kinderschutzbund vor einem Ansteigen der Kinderarmut. Zu Recht. Seitdem ist jedes sechste Kind in diesem Land von Sozialleistungen abhängig.

Ihnen stehen rund 200 Euro monatlich zu. Ein allein lebender Mensch erhält laut Tabelle 856 Euro monatlich, eine Familie mit zwei Kindern bekommt 1798 Euro. Aber weder der Single noch das Elternpaar sind der Normalfall, wenn ich hier in diesem Buch über Kinderarmut schreibe: Die meisten dieser Kinder wachsen bei Alleinerziehenden auf.

Davon sind es zu 95 Prozent die Mütter, die mit ihren Kindern in dieser Situation allein gelassen werden. Dazu steigt die Zahl der so genannten »Aufstocker«-Menschen, die mit ihrem meist halbtags verdienten Lohn ihren Lebensunterhalt nicht mehr finanzieren können. Also auch wieder überwiegend Frauen. Wenn der Kinderzuschlag von aktuell 140 Euro nur um zehn oder 20 Euro steigen würde, dann könnten 700.000 Aufstocker-Familien aus dem Hartz II-Bezug geholt werden, rechnet der Kinderschutzbund vor.

Kinderarmut ist ein Skandal! Aber wer regt sich wirklich auf? Wer tut etwas dagegen – wirkungsvoll und nachhaltig? Es sind ein paar Bücher erschienen in den letzten beiden Jahren, auch einige wenige Dokumentarfilme in ARD und ZDF gesendet worden, auch wissenschaftliche Untersuchungen gibt es – aber geändert hat sich nichts. Dabei ist alles bekannt, nachlesbar, aber wohl nicht nachzuvollziehen. Oder nicht nachzufühlen?

Schotten wir uns alle ab, wollen wir nicht wahrhaben, dass es Kinderarmut hier in unserem reichen Land und nicht nur in den so genannten Ländern der Dritten Welt gibt? Egal welche Regierung an der Macht ist, schwarz-rot oder rot-grün – dem Thema »steigende Kinderarmut« hat sich seit 2004 noch keiner ernsthaft zugewandt. Die Frauen-, Jugend- und Familienministerin Ursula von der Leyen ist sich der Dramatik bewusst. Immerhin. Doch auch sie gesteht mir in diesem Buch:

»Ich glaube, ein tiefes Gefühl der Ohnmacht und der Hilflosigkeit lässt viele verstummen.«

2009, zehn Monate nach dem Beginn der Weltwirtschaftskrise, wird in Deutschland gewählt. Da geht es um die zum Jahresende auf fünf Millionen geschätzten Arbeitslosen, sie streiten um den Gesundheitsfonds, um den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan oder die Milliarden-Rettungsschirme für Banken. Einige Politiker äußern sich provokant über den Missbrauch der Gelder für Hartz IV-Empfänger. Ein Aufschrei beim Thema Kinderarmut? Fehlanzeige.

Dabei haben mal wieder in Deutschland Richter die Entscheidungen von Politikern gerade gerückt: Was braucht ein Kind?

Wie viel Geld benötigt eine in finanzielle Not geratene Familie tatsächlich? Das Urteil des Bundessozialgerichtes vom Januar 2009 zu den umstrittenen Hartz IV-Regelsätzen macht mehr als 1,5 Millionen Kindern in Deutschland Hoffnung. Das Gericht sieht vor allem einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes als gegeben an. Dass Kinder nur 60 Prozent des Regelsatzes von Erwachsenen bekommen sei »nicht ausreichend begründet«. Jetzt ist noch das Verfassungsgericht gefragt und wird wohl die Regelsätze für Kinder neu berechnen müssen.

Dabei riskieren wir in Deutschland nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft unseres Staates, wenn wir uns nicht um die Chancen aller Kinder in diesem Land intensiv bemühen.

Erstaunlicherweise scheint es viele Menschen hier nicht wirklich zu berühren, wenn sie von Kinderarmut hören. Offensichtlich können sie sich das nicht vorstellen. Aber wenn schon das Mitgefühl fehlt, dann sollten wir unseren Verstand und unser ökonomisches Denken einschalten. Denn es geht um existenzielle Fragen: Welches Land kann es sich wirklich leisten, rund drei Millionen Kinder als benachteiligte Randgruppe aufwachsen zu lassen? Inzwischen gibt es Familien, die in der dritten Generation von Sozialgeld leben und dabei immer mehr verelenden. Auf der anderen Seite sehen Politiker tatenlos zu, jammern, wir bekämen zu wenige Kinder, wir würden vergreisen und eines Tages könnten die noch vorhandenen wenigen Kinder die Renten für die ältere Generation nicht mehr erwirtschaften. Adieu Generationenvertrag.

Die traurige Wahrheit aber lautet: Menschen ohne Arbeit und in Armut geben stets aufs Neue ihre Armut weiter. Sie scheint erblich, wenn auch nur im übertragenen Sinn: Ein Teufelskreis, den es dringend zu durchbrechen gilt.

Denn wir brauchen jeden jungen Menschen. Gut ausgebildet und engagiert. Wir werden es uns nicht leisten können, eine wachsende Schar Hartz IV-Empfänger zu ernähren. Wer das erkannt hat, muss handeln, kann nicht die Augen weiter verschließen und so tun, als ginge das alles den Staat nichts an.

Wir wissen es alle: Die Zahl der Geburten ist in den vergangenen 40 Jahren dramatisch gesunken. Sie hat sich beinahe halbiert. Die Zahl der Schulabgänger sinkt seit 2007 jährlich um rund 200.000 Kinder. Auf der anderen Seite fehlen Jahr für Jahr mehr Fachkräfte. Zum ersten Mal konnten 2008 die freien Ausbildungsplätze in der Wirtschaft nicht besetzt werden. Ausgebildete junge Menschen werden also zu einem kostbaren Gut. Wir müssen sie fördern und alles tun, damit sie eine Chance und eine Zukunft in diesem Land haben. Statt fehlender Empathie dann eben Rationalität.

Bei der Recherche zu diesem Buch ist mir etwas Erstaunliches aufgefallen, was ich so nicht erwartet hatte: Die meisten der Kinder, die mir im vergangenen Jahr begegnet sind, sind mutig und voller Zuversicht. Sie sind stark, möchten sich wehren und ihre Lebenssituation verbessern. Wer wie ich von außen kommt und bei den kostenlosen Mittagstischen in einer deutschen Großstadt am Rande zusieht, wundert sich. Selbstbewusst und fröhlich kommen hier die meisten der täglich bis zu 100 Kinder an, die fast alle nicht gefrühstückt haben und jetzt heißhungrig zum Mittagessen anstehen.

Dabei sind sie zugleich Weltmeister im Verbergen ihrer privaten Lebenssituation. Schützen ihre Eltern, ihre Väter und Mütter wo es nur geht. Jugendämter sind erst mal Feinde. Die Mitarbeiter müssen sich ganz schön bemühen, wollen sie das Vertrauen dieser Kinder gewinnen. Was aber dringend erforderlich ist – sonst können sie nicht wirklich helfen. Denn gerade diese Helfer stehen sofort am Pranger, wenn ein Kind verhungert aufgefunden wird, wenn vermeintlich wieder mal die Gesellschaft versagt hat. Hier fehlen eindeutig noch weitere Netzwerke, die im Vertrauen mit den Kindern frühzeitig – als Frühwarnsystem – schwierige und gefährliche Situationen für die Kinder erkennen und so größere Dramen verhindern.

Wenn dieses Buch von drei Kindern berichtet, die von Sozialgeld leben, dann geht es dabei vordergründig nicht um Hunger. Sicher auch darum – weil die meisten kein Frühstück bekommen, kein Geld haben, um für die Pause etwas zu kaufen. Es geht auch um die Gesundheit dieser Kinder. Fachärzte berichten, dass sich allein am Gesundheitszustand der Kinder der Grad der Armut exakt messen lässt. Je weniger Geld eine Familie zur Verfügung hat, umso häufiger leiden die Kinder an Asthma oder Neurodermitis. Sie sind meist zu dick, sie hören, sehen und sprechen schlechter oder nässen ein. Eine weitere alarmierende Zahl belegt, dass 13,8 Prozent aller armen Kinder in ihrer geistigen Entwicklung beeinträchtigt sind. In den vermögenderen Schichten der Gesellschaft sind es 0,8 Prozent. Eltern, die keine Arbeit haben und von Sozialgeld leben, bringen ihre Kinder weniger häufig zum Arzt. Auch weil sie die zehn Euro Praxisgebühr nicht haben oder weil sie in der eigenen Verzweiflung so gefangen sind, dass sie die Krankheiten und Nöte ihrer Kinder übersehen.

Und keiner schreit auf in diesem Land? Fünf Milliarden Euro gibt der Staat jährlich für »Hilfen zur Erziehung« aus. Das Geld geht an Kinderheime, Pflegefamilien und Beratungsdienste. Aber wenn wir uns mehr um Kinder aus ärmeren Familien kümmern würden, könnten von diesem Geld ohne große Probleme mehr Kindertagesstätten und Ganztagsschulen gebaut werden. Denn drei Viertel aller Kinder, die vom Jugendamt dauerhaft in Pflegefamilien untergebracht werden, kommen aus Familien, die vom Sozialamt unterstützt werden. Die Hälfte aller Kinder in Pflegefamilien wurde vorher von einem Elternteil allein betreut. Noch einmal: zu 95 Prozent sind es die Mütter. Es kommt aber noch dicker: Eltern, die von Hartz IV leben, haben keinen Anspruch auf Ganztagsbetreuung in einem Kindergarten oder Hort. Die Begründung haben sich Bürokraten fernab jeglicher Lebenswirklichkeit ausgedacht: die Eltern seien ja zu Hause und nicht berufstätig. Aber gerade diese Kinder aus »bildungsferneren« Schichten brauchen die fördernde Ganztagsbetreuung dringender denn alle anderen.

Wir alle, jeder von uns, kann etwas tun. Und wenn es nur einmal in der Woche ist, dass man bei einer »Tafel« hilft, Lebensmittel zu verteilen. Oder einen Tag im Monat in einem Kinderzentrum mit den Kindern malt oder bastelt. Ich habe im Kinderzentrum BOOT mittags sehr oft Frauen getroffen, die mit den fremden Kindern erst zu Mittag essen und ihnen dann nachmittags in den Lernzimmern bei den Hausaufgaben helfen. Ihre eigenen Kinder sind aus dem Haus, sie wollten etwas »Sinnvolles« tun, und sind glücklich und zufrieden diesen Kindern zu einer besseren Schulnote zu verhelfen.

Schulnoten, Schule, Bildung: Das sind ohnehin die Schlüsselworte, wenn man diesen Kindern eine Zukunft ermöglich will.

Die niedersächsische Bischöfin Margot Käßmann fordert darum auch vehement im Gespräch mit mir für dieses Buch: »Lehr- und Lernmittelfreiheit muss eine Grundbedingung in unserem Land sein.«

Dazu bedarf es im ganzen Land der Ganztagskindergärten, kostenlos, mit Mittagessen für die, die es sich nicht leisten können. Alle Kinder sollten verpflichtend in solche Kindergärten gehen müssen. Die so genannte »Herdprämie« für Eltern, die ihre Kinder zu Hause behalten, ist eine Sackgasse.

Dann brauchen wir flächendeckend im ganzen Land endlich Ganztagsschulen, in denen den Kindern nicht nur Mathematik und Deutsch beigebracht wird, sondern wo sie soziale Kompetenz lernen, unterstützt werden von der Gruppe und von engagierten Lehrern. Die sich wiederum nicht überfordert fühlen, weil die Klassen zu groß sind.

Das BOOT, in dem ich die drei Kinder Vanessa, Melanie und Kevin gefunden habe, ist bunt. Nicht nur die Hauswände außen und innen – die Kinder sind bunt. Ihre Eltern kommen aus der ganzen Welt, von Afghanistan bis Simbabwe, aus den kurdischen Teilen der Türkei bis aus dem Irak. Im BOOT scheint es, sind die deutschstämmigen Kinder in der Minderzahl. Was sich hier aber im Kleinen abbildet, macht im Großen das ganze Bild: Die Mehrzahl der Kinder, die unter der Armutsgrenze leben, hat einen Migrationshintergrund. Nun reden zwar Politiker landauf landab über die dringend nötige Integration der Ausländer. Jedoch geschieht wenig. Dabei sollte es uns ein elementares Anliegen sein, die Integration der Schwachen in unsere Gesellschaft zu ermöglichen. Gerade jetzt und gerade dann, wenn eine Weltwirtschaftskrise jeden einzelnen Haushalt erreicht. Gerade dann müssen wir zusammenstehen. Helfen, egal, ob es deutsche oder ausländische Kinder sind. Dieses Land braucht alle. Und alle haben das Recht auf eine Chance. Die UN-Charta für die Rechte der Kinder formulierte das bereits 1989 im »Übereinkommen über die Rechte des Kindes« ganz präzise. Kinder werden darin nicht als Unmündige angesehen, vielmehr haben sie ein Recht darauf, ernst genommen und respektiert zu werden. Erstmals in einem völkerrechtlichen Vertrag sind damals für Kinder politische Bürgerrechte, kulturelle, wirtschaftliche und soziale Rechte zusammengeführt worden.

An dieser Stelle aber auch ein Appell an die Väter: Es kann doch nicht sein, dass rund 500.000 getrennt lebende Väter die gesetzlich vorgeschriebenen Zahlungen an ihre Kinder und an ihre frühere Frau einfach nicht erfüllen.

Die einen hören auf zu arbeiten, lassen sich vom Sozialamt ernähren. Die anderen ziehen heim ins Hotel Mama und rechnen sich ihr Einkommen vor den Gerichten so klein, dass es den Selbstbehalt von 1.000 Euro nicht überschreitet. Wieder andere setzen sich ins Ausland ab. Der Steuerzahler begleicht die Rechnung: 900 Millionen Euro zahlt der Staat Jahr für Jahr an verlassene Kinder und ihre Mütter. So wundert es nicht, wenn in Deutschland alleinerziehende Mütter die ersten sind, die vom sozialen Abstieg und späterer Altersarmut bedroht sind.

Dieses Buch werden weder die Eltern noch die Kinder lesen, die von Hartz IV leben. Es richtet sich vielmehr an alle, die nicht unter der Armutsgrenze leben. Es will informieren mit den Geschichten von Vanessa, Melanie und Kevin. Es will aber auch Zahlen und Fakten an die Hand derer liefern, die etwas tun können. Das ist jeder von uns, die wir einen Job haben, ein regelmäßiges Einkommen, einen Freundeskreis besitzen, der uns trägt, und die wir einmal, zweimal im Jahr in Urlaub fahren. Jeder von uns kann helfen. Und wenn es nur mit einer Spende für einen Mittagstisch in der eigenen Stadt, in der kleinen Gemeinde ist. Denn diese Mittagstische können nur durch Spenden täglich den Kindern ein Frühstück und ein Mittagessen bieten. Da hilft kein Staat, manchmal die Kirche.

Denken Sie einmal darüber nach, ob in Ihrer Nähe nicht eine Kleiderkammer ist. Packen Sie alles zusammen, was Ihre Kinder oder Enkelkinder ein Jahr lang nicht getragen haben – die Not ist größer, als man das im Wohlstand so glaubt.

Wenn Sie sich nach der Lektüre dieses Buches ein wenig schämen, dass es in unserem Land so viele Kinder in Armut gibt, dann bin ich zufrieden. Denn wer sich schämt, hat ein Gewissen. Denn Kinderarmut ist eine Schande – und darüber hinaus ganz sicher der soziale Sprengstoff von morgen. Schauen wir nach Großbritannien oder nach Skandinavien, wo Kinderarmut durch politische Aktionen signifikant gesenkt wurde. In Schweden zum Beispiel auf 2,4 Prozent. Das müssten wir doch auch schaffen können – oder?

Hamburg, im September 2009, Maria von Welser

Kapitel 1 – Sommerferien

Sie hasst Ferien. Kickt wütend mit der rechten Fußspitze einen Stein auf die Straße. Vanessa trödelt seit 10 Uhr morgens durch den Stadtteil Bergfeld. Außerdem ist sie hungrig. Gegessen hat sie noch nichts. Wieder einmal ist das Frühstück ausgefallen. Weil Mama schon um halb acht Uhr weg musste zum Putzen. Melanie, ihre kleinere Schwester, darf heute bei der Oma sein. Die kann immer nur eine der beiden hüten. Heute ist nicht Vanessas Tag.

So was von doof.

Dabei zeigt sich die Stadt gerade an diesem Vormittag von ihrer schönsten Seite: Über den blauen Himmel ziehen leichte, hauchzarte Wolken. Es weht ein frischer Wind durch die Straßen. Überall riecht es nach Sommer. Vanessa mag gar nicht daran denken, wo ihre Freundinnen zurzeit überall herumschwirren. Zwei sind ganz bestimmt auf Sylt. Deren Eltern haben dort Häuser. Ihre beste Freundin ist auf Ibiza. Nächstes Jahr, so hat ihr Catarina in die Hand versprochen, darf sie mit. Vanessas erste große Reise! Ob der Traum wahr wird?

Aber wie soll sie das Flugticket bezahlen? Wenn schon jeder Klassenausflug ein finanzielles Drama ist? Lieber nicht dran denken, noch nicht, vor allem heute nicht … Heute ist heute. Und heute ist im BOOT Kinderparty. In der Kirche. Darauf freut sie sich. Wenn sie Glück hat, ist ihr Los heute keine Niete, sondern ein Gewinn. Vanessa findet, dass sie endlich dran ist.

Aber noch macht das BOOT nicht auf. Erst um 13 Uhr. Dann gibt es Essen. Umsonst. Kaufen könnte sie sich keine warme Mahlzeit. Gerade mal zwei Euro hat sie noch in ihrem kleinen roten Geldbeutel. »Zur Sicherheit«, hat ihr die Mama gesagt. Nur: welche Sicherheit? Was kann sie damit anfangen? Sie könnte aus dem Telefonhäuschen ihre Mama anrufen – allerdings müsste ihr jemand helfen, die Tasten zu drücken. Dafür ist sie noch zu klein. Trotz ihrer zehn Jahre.

Schon zehn! Vanessa fühlt sich ziemlich erwachsen. Auch weil sie vieles ganz allein schaffen muss. Viel zu Hause erlebt hat. Die Eltern geschieden, seit sechs Jahren schon. Vanessa war damals gerade vier und hat alles mitbekommen. Die Mutter, die ohne Unterstützung des Vaters von Hartz IV leben muss und nebenbei ein wenig dazuverdient durch Putzen. Vanessa ist Mamas »Große« und damit auch immer verantwortlich für die kleine Melanie. Sie kann schon ein wenig kochen, putzen sowieso und die Wohnung halbwegs aufräumen. Das muss alles sein, damit sie Platz hat für die Schularbeiten.

Aber jetzt sind ja Ferien. Und der Alltag ist ganz anders. Am Bergfelder Damm ist heute um 12 Uhr richtig tote Hose. Nix los. Gerade mal ein paar Autos, die vorbeifahren. Auf der Fußgängerbrücke, die die Hochhäuser mit dem Einkaufszentrum verbindet, lässt sich auch keine Menschenseele blicken. Nur vor der Dönerkneipe sitzen vier ältere Männer auf weiß-grauen Plastikstühlen, vor sich Tee im Glas. Kein Bier, das fällt Vanessa auf.

Sie holt tief Luft. Was soll sie noch bis 13 Uhr anfangen? Sie schlendert durch die kleine Straße, die hinführt zur Friedenskirche. Hier findet bald die Kinderparty statt. Da drin saß Vanessa auch mit ihrer Schwester und ihrer Mama, als der Pastor den Gottesdienst für Bianca abgehalten hat. Das war das kleine Mädchen, das sie nie gesehen hat, das aber in ihrer Nähe, gleich um die Ecke in einem der Hochhäuser gewohnt haben soll und verhungert ist. Damals hat ihre Mutter sie und Melanie ganz fest in die Arme genommen und an sich gedrückt. Vanessa spürte die Angst, die Trauer, die Hoffnungslosigkeit ihrer Mama – nie wird sie das vergessen.

Kevin kommt ihr auf dem Bürgersteig entgegen. Er ist drei Jahre älter als Vanessa. Sie findet ihn eigentlich ganz nett. Seine Haut ist ziemlich dunkel, die Haare lustig gekräuselt. Er lacht sie gerne an. Aber nur, wenn keiner seiner Freunde in der Nähe ist. Wie heute.

»Na, willst Du auch zur Kinderparty?«, fragt Kevin. Vanessa nickt: »Logisch, mal schaun, ob ich heute was gewinne …«

Sie geht neben ihm auf das Haupthaus vom BOOT zu. Da warten schon ein paar andere Kinder. Sie kicken sich eine Cola-Dose zu. Ein beliebter Zeitvertreib. Zwei Mädchen sitzen auf der kleinen Mauer und lesen gemeinsam ein Comic-Heft. Vanessa knurrt jetzt richtig der Magen. Was es wohl heute gibt? Gestern hatten sie Kartoffelbrei und kleine Fleischknödel, dazu grünen Salat und danach Obst. Das könnte sie heute auch wieder essen. Vanessa mag fast alles, was auf den Teller kommt. Hauptsache, sie wird satt. Mäkelig sein? Das käme ihr nicht in den Sinn. Das hat sie sich schon längst zu Hause abgewöhnt.

Normalerweise kommen hierhin jeden Mittag um diese Zeit 80 bis 100 Mädchen und Jungen zwischen vier und 14 Jahren. Von Montag bis Freitag, vor allem in der Schulzeit. Jetzt in den Ferien sind es 20, 30 Kinder. Das BOOT bietet allen ein warmes Mittagessen. Dazu gibt es Sprudelwasser, Saft oder Milch. Alles umsonst, auch das Obst und der Joghurt, die kleinen Zwischenmahlzeiten am Nachmittag. Nach dem Essen erledigen die Kinder ihre Hausaufgaben. Dabei werden sie betreut. Einige Frauen aus der Stadt helfen sogar dabei und geben den Schülern Nachhilfe, die allein mit dem Lernstoff nicht klarkommen und zusätzliche Förderung brauchen.

Nach der Lernzeit locken Spielzimmer, Computerraum und draußen, wenn es nicht regnet, der tolle neue Spielplatz mit viel Sand. Das BOOT ist einfach insgesamt ein geeigneter Ort für alle Kinder, deren Eltern mittags nicht kochen, die nicht zu Hause sind, weil sie arbeiten müssen oder sich auch sonst nicht richtig kümmern können oder wollen.

Vanessa denkt über all das nicht viel nach. Sie ist froh, dass sie nach der Schule weiß, wohin sie gehen kann. Zusammen mit ihrer Schwester. Aber um 18 Uhr schließt das BOOT. Im Winter, wenn es um diese Zeit schon dunkel ist, bringt Sozialarbeiter Ulli alle Kinder, die nicht in der direkten Nachbarschaft wohnen, mit dem hauseigenen Bus bis vor die Haustür. Aber egal ob Sommer oder Winter: Bevor sie nach Hause geht, muss Vanessa immer anrufen. »Zur Sicherheit«, ob ihre Mama auch wirklich da ist. So ganz glaubt sie diese Begründung nicht. Aber sie liebt ihre Mama heiß und innig. Würde ihr am liebsten die ganzen Sorgen nehmen. Die sie auch wegen ihr und Melanie hat.

Jetzt aber ist Ferienzeit. Vanessa geht zu den beiden Mädchen, die auf der Mauer hocken. Guckt ihnen über die Schulter. Aber das Comicheft, das die beiden gerade lesen, langweilt sie. Sie liest lieber von ihrem Schwarm Eragon in »Die Weisheit des Feuers«. Oft auch noch abends unter der Bettdecke, mit der Taschenlampe, die ihr Papa letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hat. Mama weiß nichts davon, und Vanessa hält sie auch immer gut versteckt unter ihren Pullovern im Regal.

Endlich 13 Uhr! Achim öffnet die große Glastür mit dem blau gestrichenen Stahlrahmen und auch das Gittertor zum Garten und zum neuen Spielplatz. Die Ferienkinder drücken ins Haus. Drängeln sich am Tresen mit der Essensausgabe. Heute haben Maritta und Peter Küchendienst. Sie stehen hinter dem Tresen und fangen sofort an, die Teller aufzufüllen. Peter wird später die CD's bei der Kinderparty auflegen. Vanessa mag den freundlichen Hausmeister, der im BOOT Ordnung schafft, vieles repariert und bei der Essensausgabe immer ganz besonders große Portionen verteilt. Auch heute. Spaghetti und Tomatensauce, sowieso eines von Vanessas Lieblingsgerichten. Wird ja heute vielleicht doch noch alles gut, denkt das Mädchen und wickelt sich die langen Nudeln um die Gabel, wie sie es von Mama gelernt hat. »So machen es auch die Italiener«, hat die ihren Töchtern erklärt. »Spaghetti darf man nicht klein schneiden.«

Im Flur des Kinderhauses hängt eine weiße Plastikuhr von Ikea. Vanessa sieht sehnsüchtig hin. Die Kinderparty geht erst um 16 Uhr los. Hausmeister Peter schreibt noch für ein anderes Kind Einladungen zum Kindergeburtstag bei McDonald's. Vanessa bekommt keine, das weiß sie schon vorher. Denn Tessa ist nicht ihre Freundin, geht in eine ganz andere Schule. Macht nichts, denkt sich das Mädchen … zu meinem Geburtstag lade ich sie auch nicht ein. Obwohl es ihr einen Stich gibt, dass sie nicht bei Tessas Feier dabei sein darf. Oh je – Kindergeburtstag. Noch so ein unerfreuliches Thema. Zu Hause feiern geht nicht. Sagt Mama, und ehrlich, Vanessa würde sich auch schämen für ihr Zuhause mit den zusammengewürfelten Möbeln. Alles Sachen, die andere Leute nicht mehr gebrauchen konnten und nicht mehr schön fanden. Aber vielleicht könnte sie wie Tessa zur Kinderparty bei McDonald's einladen? Das wäre einfach Spitze. Oder bei ihrer Oma feiern? Das wäre auch nicht schlecht. Die lässt sich vielleicht dazu überreden. Denn Oma hat einen Garten in Marienbüttel im Norden der Stadt, da könnte sie mit ihren Freundinnen toll Verstecken und Schwarzer Mann spielen. Aber Vanessa hat im Winter Geburtstag, am 2. Februar – und da war es noch nie was mit draußen spielen.

Mit der Serviette wischt sie sich den Tomatensaucenmund ab. Neben der Treppe im BOOT steht ein stählerner Wasserbrunnen. Sie füllt sich ihren blauen Plastikbecher, trinkt schnell leer und füllt noch mal nach. Die Tomatensauce hat sie durstig gemacht. Dabei schaut sich Vanessa die Bilder an, die die anderen Kinder hier gemalt haben: »Bonjour … welcome … akuaba« – diese drei Worte stehen auf einem Plakat. Auf dem Bild daneben marschiert eine richtige Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern an der Hand auf die Friedenskirche zu. Und das dritte, knallbunte Gemälde zeigt eine lachende Maske, wie sie zum Karneval in den Geschäften verkauft wird. Alle Bilder machen gute Laune.

Bis 16 Uhr trollt sich Vanessa auf den neuen Spielplatz und schaukelt in den Himmel. Immer höher, heute traut sie sich. Wenn das Wetter grau ist und regnerisch, hat sie keine so große Lust dazu. Beim Träumen auf der Schaukel vergeht die Zeit. Die Jungen balgen sich in dem meterhohen Sand, drei Mädchen schicken sich gegenseitig SMS auf ihre Handys. Sie beneidet die Mädchen. Denn Vanessa weiß, dass sie ihre Prepaid-Karte gut hüten muss, damit das Guthaben lange hält. Aber ihrer Schwester Melanie würde sie jetzt auch gerne eine SMS senden. Wissen will sie unbedingt, was die gerade bei Oma so alles macht.

Vor der Kirchentür stehen schon 15 Minuten vorher die Kinder Schlange. Die Kinderparty, die jeden Donnerstag steigt, ist vor allem in den Ferien ein Hit. Sie ist das Highlight in der sonst eher langweiligen schulfreien Zeit. Vanessa drängelt sich hinter Kevin. Der ist groß und breit und stark. Der boxt sie beide rein. Das weiß sie. In der Kirche ist es angenehm kühl im Vergleich zu der drückenden Hitze draußen. DJ-Peter hängt noch im Altarraum Luftballons auf, Girlanden schmücken schon die Wände. Wie jeden Donnerstag. Die geben sich hier richtig Mühe, denkt Vanessa und freut sich. Mitten im Kirchenraum schwebt ein hölzernes Schiff. Das hängt aber immer da, passt als Deko aber auch perfekt zur Kinderparty.

Jetzt geht es gleich los. Der Kirchenvorstand macht die Eingangstür zu. Etwa 30 Mädchen und Jungen sind gekommen. Sabine, die Sozialpädagogin, ruft die Namen aller Kinder für die Verlosung auf – juhu! Vanessa ist dabei. Jetzt muss sie nur noch Glück haben und bei den vielen Spielen erfolgreich sein. Sie hat vorher schon geguckt, was es diesmal zu gewinnen gibt: Fußbälle, Schreibblöcke, Puzzles. Na ja …

Peter stellt die Musik ganz laut. Es sind Texte, die Vanessa alle kennt inzwischen, die Melodien auch: »Gott hat Dich in sein Herz geschlossen, von Deinem Kopf bis zu den Flossen …«

Gleich kommt das erste Wettspiel. Die Betreuer wählen von beiden Seiten aus den Kirchenbänken die Kinder aus, die dabei mitmachen dürfen. Die Finger schnellen in die Höhe. Aufgeregte Kinder-Stimmen: »Ich, ich, bitte ich.« Aber Sabine, die Sozialpädagogin, winkt ab, energisch:

»Wenn der Kuchen spricht, sind die Krümel leise«, donnert sie in den Kirchenraum.

Das hilft. Für zwei Minuten … Sabine hat ein Headset am Kopf. Alle sollen sie gut hören können. »Auch heute gilt: Alle Handys aus.«

Alle Kinder haben nämlich ein solches Telefonteil in den Taschen ihrer Jacken oder Hosen oder im Rucksack. So klein sie auch sind – Handys gehören beinahe zur Grundausstattung eines jeden BOOT-Kindes. So wenig Geld zu Hause auch da ist für das tägliche Leben – für ein Mobiltelefon reicht es. Vanessa schaltet ihres auch ab. Geht einfach. Denn ihre Mama hat ihr auf die einzelnen Tasten die wichtigsten Nummern gespeichert: Die von Mama, Papa, Oma und auch die von Melanie, ihrer kleinen Schwester. »Zur Sicherheit«, sagt Mama. Das sagt sie oft und gern zu ihren Töchtern.