Leben wie Gandhi - Perry Garfinkel - E-Book
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Leben wie Gandhi E-Book

Perry Garfinkel

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Beschreibung

Mahatma Gandhi hat die Welt verändert – können seine Lehren auch uns helfen, die wir in einer Zeit voller Turbulenzen, Krisen und Umbrüche leben? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, wagt Perry Garfinkel ein einzigartiges Experiment: Er verpflichtet sich für einen Zeitraum von 18 Monaten, streng nach den sechs Prinzipien des Mahatma zu leben: Wahrheit, Gewaltlosigkeit, Vegetarismus, Einfachheit, Glaube und Enthaltsamkeit. Sein Motto dabei ist Gandhis berühmte Aufforderung: »Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.«
Mit viel Humor und Einfühlungsvermögen erzählt Garfinkel von seinen Erfolgen und Misserfolgen bei dem Versuch, sich selbst zu einem besseren Menschen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sein Buch eröffnet eine völlig neue Sicht auf das Leben und Wirken Gandhis und zeigt, warum dessen Lehren heute so wichtig sind wie nie zuvor.

  • Auf den Spuren Gandhis – ein einzigartiger Selbstversuch
  • Die Lehren des Mahatma neu entdeckt: inspirierend und wegleitend in einer Welt des Wandels
  • Ein Leseerlebnis voller Weisheit und Humor – mit einem Vorwort des Dalai Lama

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Seitenzahl: 390

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über dieses Buch

Mahatma Gandhi hat die Welt verändert – können seine Lehren auch uns helfen, die wir in einer Zeit voller Turbulenzen, Krisen und Umbrüche leben? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, wagt Perry Garfinkel ein einzigartiges Experiment: Er verpflichtet sich für einen Zeitraum von 18 Monaten, streng nach den sechs Prinzipien des Mahatma zu leben: Wahrheit, Gewaltlosigkeit, Vegetarismus, Einfachheit, Glaube und Enthaltsamkeit. Sein Motto dabei ist Gandhis berühmte Aufforderung: »Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.« Mit viel Humor und Einfühlungsvermögen erzählt Garfinkel von seinen Erfolgen und Misserfolgen bei dem Versuch, sich selbst zu einem besseren Menschen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sein Buch eröffnet eine völlig neue Sicht auf das Leben und Wirken Gandhis und zeigt, warum dessen Lehren heute so wichtig sind wie nie zuvor.

Über den Autor

Perry Garfinkel ist Journalist, Redakteur, Redner und Autor zahlreicher Bücher. Seit 1986 schreibt er für die New York Times und war unter anderem für National Geographic und die Huffington Post tätig. Er ist passionierter Schlagzeuger und bezeichnet sich selbst als Genießer. Für Leben wie Gandhi begab sich Garfinkel auf eine dreijährige Suche, um herauszufinden, wie sich Gandhis Ideale in einer von beunruhigenden Entwicklungen geprägten Welt bewährt haben. Perry Garfinkel lebt in Berkeley, Kalifornien.

Perry Garfinkel

LEBEN WIE GANDHI

Ein Experiment

Die 6 Prinzipien des Mahatma als Kompass für eine Welt im Wandel

Mit einem Vorwort des 14. Dalai Lama

Aus dem amerikanischen Englisch von Karin Weingart

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel Becoming Gandhi. My Experiment Living the Mahatma’s 6 Moral Truths in Immoral Times im Verlag Sounds True, Inc., Boulder, CO.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2024 by Perry Garfinkel

Vorwort © 2024 His Holiness the Dalai Lama

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024 by Lotos Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte sind vorbehalten.

Redaktion: Jürgen Teipel

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München, nach einer Idee von Jennifer Miles

Covermotiv: © DutchScenery/iStock/Getty Images Plus

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-24915-1V001

www.Integral-Lotos-Ansata.de

Für Sue Mattison

Du hast mir gezeigt, wie wichtig im Angesicht schlimmster Widrigkeiten persönliche Stärke und Hingabe sind. Ich wusste immer, dass du es in dir hattest, liebstes großes Schwesterchen.

INHALT

Vorwort von Seiner Heiligkeit dem 14. Dalai Lama

Einleitung Möge die Reise beginnen

KAPITEL 1 Warum Gandhi? Warum jetzt? Warum ich?

KAPITEL 2 Gandhi in Indien: Wo alles begann – und wo es endete

KAPITEL 3 Wahrheit: Die Antwort auf alle Fragen

KAPITEL 4 Gewaltlosigkeit: Make Love, Not War

KAPITEL 5 Gandhi in England: Die britische Mischung der Kulturen

KAPITEL 6 Einfachheit: In schwierigen Zeiten gar nicht so leicht

KAPITEL 7 Sex und der Sadhu: Enthaltsamkeit – ist so eine Sache

KAPITEL 8 Er war, was er aß: Vegetarisch – oder jedenfalls so gut wie

KAPITEL 9 Gandhi in Südafrika: War der Kampf gegen Diskriminierung vergebens?

KAPITEL 10 Glaubensfragen: Pragmatismus oder wahres Gottvertrauen?

Epilog Die Reise geht weiter

Dank

Literatur

Über den Autor

Ein Tag im Leben Mahatma Gandhis

Mahatma Gandhi war ein Streber. Wie hat er es bloß hingekriegt, so viel zu erledigen? Mit Disziplin, Konzentration, Engagement und dem Wunsch, aus jedem Tag das Beste zu machen – zum Besten anderer. Er hat sich peinlich genau an seinen Tagesplan gehalten. Ich glaube sogar, dass seine Selbstverpflichtung zur Erledigung der selbstgestellten Aufgaben im Laufe der Zeit Teil seiner spirituellen Praxis wurde, seine Sadhana. Die Übersetzung dieses Begriffs aus dem Sanskrit lautet »Verwirklichung«. Sowohl im Hinduismus als auch im Buddhismus steht er für eine innere Übung, mit der man die Vorstellung einer Gottheit heraufbeschwört und deren Essenz in sich aufnimmt.

4:00 Uhr

Wecken. Gandhi pflegte täglich neunzig Minuten vor Sonnenaufgang aufzustehen. Diese Zeitspanne gilt als besonders gut für Meditation, Yoga und andere spirituelle Praktiken geeignet.

4:20 Uhr

Gemeinschaftliches Beten, unter anderem Chanten des Morgenbhajans. Auch begann er zu dieser Zeit zu schreiben oder zu arbeiten oder gönnte sich eine kurze Ruhephase.

7:00 Uhr

Frühstück, gefolgt von einem fünf Kilometer langen Morgengang; Mithilfe in der Küche des Aschrams: Reinigen von Kochutensilien und Latrinen, Gemüseschnippeln, Weizenmahlen und so weiter.

8:30 Uhr

Empfang von Besuchern; Schreiben oder Lesen; Gandhi verfasste sehr viele Briefe – insgesamt mehr als dreißigtausend. Den Montag verbrachte er im Schweigen.

9:30 Uhr

Ölmassage im Sonnenlicht sowie Bad und Rasur. Um Wasser zu sparen, verwendete er möglichst wenig davon. Reinlichkeit war Teil seiner Selbstdisziplin; im Aschram trug er oft einen Besen bei sich und fegte, sobald sich die Gelegenheit bot.

11:00 Uhr

Vegetarisches Mittagessen: frisches Obst und Gemüse; zucker-, salz- und fettarme Kost.

13:00 Uhr

Weitere Korrespondenz, weitere Besucher. Oft standen die Menschen Schlange, um ihn zu treffen und die drängenden Fragen der Zeit mit ihm zu diskutieren.

16:30 Uhr

Handspinnen mit dem Charkha, was für ihn sowohl Meditation als auch ein revolutionärer Akt war, der die Inder ermutigte, auf britische Kleidung aus indischer Baumwolle zu verzichten.

17:00 Uhr

Abendessen.

18:00 Uhr

Abendgebete mit gemeinschaftlichem Bhajangesang. Manchmal beteiligte er sich an der Haushaltsarbeit des Aschrams, sprach ein kurzes Gebet oder hielt eine kleine Ansprache zu einem aktuellen Thema.

18:30 Uhr

Abendgang.

21:00 Uhr

Bettruhe.

Vorwort von Seiner Heiligkeit dem 14. Dalai Lama

Schon immer war ich der Überzeugung, dass die beste Möglichkeit, das Vermächtnis großer Staatsmänner der Vergangenheit zu bewahren, in dem Versuch besteht, die Werte lebendig zu halten, für die sie standen, und diese auf unsere gegenwärtige Situation anzuwenden. Deshalb freue ich mich, dass Perry Garfinkel genau das in Bezug auf Mahatma Gandhi tut und in diesem Buch über seine Erfahrungen berichtet.

Im vergangenen Jahrhundert hat Gandhiji gezeigt, wie sich die alte indische Tradition der Gewaltlosigkeit (Ahimsa) praktisch anwenden ließ. Persönlichkeiten wie Martin Luther King, Nelson Mandela und Erzbischof Desmond Tutu bewunderten seine Leistungen und eiferten ihm nach. Die Prinzipien der Gewaltlosigkeit und des Verzichts darauf, Schaden anzurichten, sind nicht nur moralisch einwandfrei, sondern sind auch in der Praxis zweckdienlich.

Auch ich versuche, Gandhijis Botschaft zu beherzigen. Gehört hatte ich schon als kleiner Junge in Tibet von ihm. Als ich dann mehr über sein Leben erfuhr, war ich von seiner Anwendung des Prinzips der Gewaltlosigkeit im Kampf für die Unabhängigkeit Indiens tief beeindruckt – und habe es im Zuge meiner Bemühungen, die elementaren Menschenrechte des tibetischen Volkes wiederherzustellen und seine Freiheit zu bewirken, selbst angewendet.

Bewundert habe ich auch Gandhijis Lebensstil: seine Einfachheit und Disziplin. Obwohl er eine umfassende moderne Bildung und Erziehung genossen hatte und die westliche Art zu leben gut kannte, besann er sich auf sein indisches Erbe und übernahm aus freien Stücken eine einfache, ganzheitliche Lebensführung im Einklang mit den Traditionen seines Heimatlandes. Er widmete sein Leben dem Wohl der einfachen Leute, die überall auf der Welt die Mehrheit der Bevölkerung bilden.

In diesem Buch erkundet Perry Garfinkel sechs von Gandhijis Prinzipien, um herauszufinden, ob sie sich heute noch anwenden lassen – und ob er selbst in der Lage wäre, sein Leben an ihnen auszurichten. Die Gewaltlosigkeit, für die Gandhiji eintrat, war mehr als der Verzicht auf Gewalt. Für ihn war Gewaltlosigkeit eine für das Wohl der Menschheit unerlässliche Art der Lebensführung.

Die Verfeinerung von Gewaltlosigkeit und Mitgefühl ist Teil meiner täglichen Praxis. Sie zahlt sich praktisch aus; denn die Zufriedenheit und innere Ruhe, die sich aus ihr ergeben, sind eine gesunde Grundlage für echte, von Herzen kommende Beziehungen zu anderen Menschen. Diese sind nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil die glückliche und erfolgreiche Zukunft jedes Einzelnen aufs Engste mit der unserer Mitmenschen verknüpft ist.

Auf den folgenden Seiten bietet der Autor seinen Leserinnen und Lesern eine Gelegenheit zu entdecken, auf wievielerlei Art und Weise Gandhiji dazu beitrug, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, und herauszufinden, was wir alle – jeder von uns – aus seinem Beispiel lernen können.

Einleitung Möge die Reise beginnen

Mit dem Lesen dieser Zeilen schließen Sie sich einem lebenslangen Experiment an, das, wie ich hoffe, unser beider Leben – Ihres und meines – nachhaltig verändern wird. Lassen Sie mich zunächst kurz über Grundregeln, Rahmenbedingungen, Zeiträume, Vorbehalte, Ausreden und andere Details sprechen, die für Ihren Weg relevant sind und Ihnen unterwegs weiterhelfen können – um vielleicht nicht Gandhi zu sein, aber um ethisch und moralisch vertretbarer, prinzipienfester, spiritueller, wahrhaftiger zu werden.

Die Idee zu diesem Projekt ist mir vor mehr als einem Jahrzehnt gekommen. Doch dann dauerte es noch zwölf Jahre, bis ich über genügend Selbstvertrauen, Entschiedenheit und, offen gesagt, die finanziellen Mittel verfügte, um zu dieser strapaziösen Reise aufbrechen zu können – innerlich und äußerlich. Sie führte mich, abgesehen von Trips innerhalb meiner Heimat, den Vereinigten Staaten, in drei sehr unterschiedliche Länder: nach England, Indien und Südafrika. Bevor es losging, hätte ich mir nicht vorstellen können, wie sehr mich dieses Experiment verändern, wie viele Kilometer ich dafür abspulen und mit welch interessanten, inspirierenden Menschen es mich bekannt machen würde. Genauso wenig wusste ich zu der Zeit, wie oft ich enttäuscht werden würde, nicht nur von anderen, sondern auch von mir selbst.

Ernst wurde es im Sommer 2019, als ich begann, mich nach kenntnisreichen Menschen umzusehen und sie zu kontaktieren. Da ich mich rühme, ein ausgebuffter Reporter zu sein, der im Nullkommanichts Mail-Adressen und Telefonnummern von so ziemlich jedem in Erfahrung bringen kann, ist mir zumindest dieser Tauchgang, der mit viel Lesen und Googeln einherging, relativ leicht gefallen. Vor allem war er überaus informativ und hat mir viel Spaß gemacht. Vielleicht möchten auch Sie ein wenig recherchieren – über das hinaus, was ich hier schreibe, Ihren eigenen Weg finden, um nach Gandhis sechs Prinzipien zu leben. Für den Mahatma kann ich natürlich nicht sprechen; aber meine volle Unterstützung für ein unkonventionelles und von meinen Erkenntnissen unabhängiges Denken haben Sie.

Ich hatte dieses Projekt von Anfang an mit zwei großen Zielen verbunden: Erstens wollte ich herausfinden, ob man in einem soziokulturellen Klima, in dem moralische Integrität offenbar keine Rolle mehr spielt, überhaupt nach Gandhis ethischen Grundsätzen leben kann. Zweitens wollte ich die Länder bereisen, in denen sich der Mahatma länger aufgehalten hatte, und in Erfahrung bringen, was seither dort geschehen ist. Das heißt, ich suchte nach Antworten auf die Frage: Sind Menschen dort Gandhis Beispiel gefolgt, oder ist die Spur, die er hinterlassen hat, längst verweht – vergessen mit der Zeit und aufgrund der menschlichen Natur? Dass es angesichts des Verfalls ethischer Werte, zunehmender Gewalt und zügelloser Lüge schwer sein würde, das Gegenteil zu beweisen, war mir von vornherein klar. Wir werden, noch während ich dies schreibe, Zeugen des Scheiterns der Gewaltlosigkeit, eines der zentralen Prinzipien Gandhis: Soeben berichtet CNN, dass es dem Gun Violence Archive zufolge in den USA allein in den ersten drei Wochen des Jahres 2023 zu neununddreißig Schießereien mit mehr als sechzig Toten gekommen sei.

Bei meinem Vorhaben war mir von Anfang an bewusst, dass die größte Schwierigkeit darin bestehen würde, mich tagein, tagaus und von morgens bis abends an Gandhis Prinzipien zu halten. Denn dafür würde ich hart an mir arbeiten, mein Denken, meine gesamte Einstellung, ja meine ganze geistige Haltung von Grund auf verändern und mich von alten Gedanken- und Verhaltensmustern trennen müssen.

Dabei waren die Grundregeln des Experiments simpel: Ich wollte mich strikt an die sechs Prinzipien halten, sie den ganzen Tag über befolgen, egal ob beim Abhängen mit Freunden beziehungsweise der Familie, allein in der Wohnung oder draußen in der Welt. Allerdings räumte ich mir gelegentliche »Atempausen« ein: Sollte ich einmal »aus dem Tritt kommen«, würde ich mir schnell verzeihen und gleich wieder auf den Pfad zurückkehren. (Wie Sie bald erfahren werden, kam es dazu durchaus häufiger.) Eines aber wurde mir sehr schnell klar: dass es für mich, nachdem ich mich einmal auf das Experiment eingelassen hatte, kein Zurück mehr gab; egal, wie oft ich zwischendurch vom Weg abkam. Denn ist der Schleier erst mal gelüftet, kann man kaum mehr anders, als die Welt zu sehen, wie sie ist, sich selbst kennenzulernen, wie man ist, und für sich herauszufinden, in welche Richtung man sich entwickeln möchte.

Irgendwann fingen die Leute an, sich zu fragen, wie lange ich das Experiment durchhalten würde, und erkundigten sich, ob oder wann ich dem Vegetarismus abschwören und wieder Fleisch essen würde. Ich hatte das Projekt auf ein Jahr angesetzt. Zu Ende war es aber erst nach achtzehn Monaten, in denen ich mich strikt an alle Prinzipien sowie mit der Zeit an einige gehalten habe, die in Gandhis Repertoire gar nicht auftauchten. Danach habe ich in meinen Bemühungen wieder etwas nachgelassen, muss ich zugeben. Aber wie gesagt: Sobald man einmal weiß, wohin die Kompassnadel zeigt, kann man nicht mehr total vom Weg abkommen. Man findet immer wieder zu seiner wahren Polung zurück.

Wie meine Erkundungsreise orientiert sich auch die Struktur dieses Buches an Gandhis sechs Prinzipien. Wobei in manchen Quellen sogar von bis zu elf Grundsätzen die Rede ist. Ich habe mich auf sechs beschränkt. Sie dürfen mich gern schon jetzt für einen Faulpelz halten.

Wahrheit. Im Alltag verstehen wir darunter, niemanden zu belügen. Doch Gandhi wollte, dass es mehr bedeutet. Er sagte: »Gott ist Wahrheit«, später dann: »Die Wahrheit ist Gott«. Er prägte den Begriff Satyagraha – grob übersetzt: »Das Bestehen auf und Festhalten an der Wahrheit« – und sah darin eine Form des gewaltlosen Widerstands. Ich nehme das so an und konzentriere mich zunächst auf die Wahrheit in Gedanken, Worten und Handlungen – unter besonderer Berücksichtigung der Lügen, die ich mir selbst erzähle. Ich schaue mir an, welche Auffassungen unsere Gesellschaft in puncto Wahrheit vertritt.

Gewaltlosigkeit. Gandhi hat den Gewaltverzicht zwar nicht erfunden, war aber der Erste, der ihn als Strategie im Kampf für gesellschaftliche Gerechtigkeit praktizierte, als Form des friedlichen Protests gegen soziales Unrecht. Sein Motto lautete: »Auge um Auge – und die ganze Welt wird blind sein.« Ich wende das Politische ins Persönliche und schaue mir die psychische Gewalt an, die wir alle ausagieren – in Form von passiv-aggressivem Verhalten, im Straßenverkehr, mit zusammengebissenen Zähnen, dem gesamten Spektrum möglicher Verbalinjurien –, und mit der wir uns letztlich nur selbst schaden. Was übrigens das angeht, bekenne ich mich schuldig: Ich war einmal Gast in der Phil Donahue Show, um dort über das passiv-aggressive Verhalten zu sprechen, das ich meiner Exfrau gegenüber an den Tag gelegt hatte.

Vegetarismus. In der hinduistischen und jainistischen Tradition Indiens, in deren Einflussbereichen Gandhi aufwuchs, ist der Vegetarismus fest verankert. Während seines Jurastudiums in London machte er sich den Fleischverzicht zunehmend zu eigen; nicht nur, um die Bedürfnisse des Körpers zu befriedigen und den eigenen religiösen Überzeugungen zu entsprechen, sondern auch, um die Ausgaben für Lebensmittel zu reduzieren. Zusammen mit Artikeln, die er für Publikationen der Londoner Vegetarian Society verfasste, wurde sein Buch The Moral Basis of Vegetarism zu meinem persönlichen Ernährungsratgeber. Als Kind war ich, wie mein Vater, ein typischer Fleisch-und-Kartoffel-Esser. Vor vielen Jahren fing ich dann an, mich makrobiotisch zu ernähren; zwischendurch habe ich wieder Fleisch gegessen, doch die ayurvedische Kost, auf die ich mich im letzten Herbst eingelassen habe, machte mir klar, dass ich Ordnung in meine Essgewohnheiten bringen musste. Aber gilt das nicht für uns alle?

Einfachheit. Hier ging es Gandhi im Grunde um den Verzicht auf unnötige Ausgaben. Nachdem das eine scharfe Kritik an den zahlreichen Endlos-Shoppern in unseren Einkaufszentren impliziert, lässt sich dieses Prinzip auch auf die unersättliche Natur des Menschen und unseren Irrglauben anwenden, ein Mehr von allem bedeute automatisch größere Zufriedenheit. Gandhis sogenannter Swadeshi-Bewegung lag jedoch auch ein politisches Motiv zugrunde: Dadurch, dass die indische Bevölkerung ihre Kleidung mithilfe von Spinnrädern selbst herstellte, würde sie dem britischen Establishment im Land einen wirtschaftlichen Schlag versetzen. Dass heute bestimmte Marken und Läden aus Protest gegen deren Unternehmenspolitik boykottiert werden, erinnert an Gandhi. Auch die Bewegungen des ethischen Minimalismus und der freiwilligen Einfachheit scheinen direkt aus seinem Prinzip der Einfachheit hervorzugehen. Ich selbst werde meine Einkaufsgewohnheiten kritisch überprüfen und meine Ausgaben einschränken. Gandhi nannte das, »sich auf Null zu reduzieren«.

Glaube. Diesen Grundsatz bezog Gandhi auf keine Religion im Besonderen, sondern allgemein auf jede höhere Macht. Er schrieb: »Mein Glaube ist breit angelegt und widerspricht weder dem der Christen […] noch selbst dem des fanatischsten Muselmanen. Ich weigere mich, einen Mann für seine fanatischen Taten zu schmähen, denn ich versuche, sie von seinem Standpunkt aus zu betrachten.« Genau diese Fähigkeit, Dinge aus der Sicht eines Andersdenkenden zu betrachten, stellt den Glauben der Menschheit auf den Prüfstand. Wie schneiden wir dabei ab? Nicht so gut. Die meisten bewaffneten Auseinandersetzungen auf der Welt sind Religionskriege. Ich stehe vor der Herausforderung, eine gewisse Balance zwischen meiner Praxis des Buddhismus, der Religion ohne Gott, und dem Judentum, das den Monotheismus erfunden hat, zu finden. Ich werde die Grenzen meiner Akzeptanz gegenüber Glaubensrichtungen testen, die nicht meine sind.

Enthaltsamkeit. Gandhi zufolge stellte die sexuelle Abstinenz (Hindi: Brahmacharya) einen spirituellen Weg zur Erlangung von Reinheit dar. Er selbst legte das Gelübde der Keuschheit im Alter von achtunddreißig Jahren ab. Manche bezweifeln, dass er sich strikt an diesen Schwur hielt. Es ist von weiblichen Teenagern die Rede, die er neben sich im Bett schlafen ließ, um seine Selbstbeherrschung zu testen. Keuschheit ist nicht für jede(n) etwas. Wie es bei mir damit aussieht? Das werde ich versuchen herauszubekommen, mich in dieser Hinsicht genau beobachten – und mir ausführliche Notizen dazu machen. Aber bei meinem Glück wird ausgerechnet in dieser Zeit die Frau meiner Träume in mein Leben treten und sich unsterblich in mich verlieben. Was mache ich dann – oder präziser gesagt: mache ich nicht?

Eines wollte ich nie – und will es auch jetzt nicht: dass dieses Buch in die Rubriken »Ratgeber« oder »Selbsthilfe« eingeordnet wird. Ich glaube oder hoffe, dass es Ihnen helfen kann – auch ohne dass ich Ihnen genau sage, wie. Obwohl: Auf meinen Reisen quer über den Globus, durch die Welt meiner Gedanken und schließlich bei der Beschäftigung mit diesem Buchprojekt wurde mir klar, dass es nützlich sein könnte, am Ende jedes Kapitels meine Erkenntnisse kurz zusammenzufassen, ergänzt um den einen oder anderen Tipp für Sie (und nicht zuletzt für mich selbst). Diese Abschnitte stelle ich jeweils unter die Überschrift »Wie Gandhi …«

Nach diesen Hinweisen soll es nun ohne weiteres Tamtam losgehen. Nächster Halt: Becoming the Change.

KAPITEL 1

Warum Gandhi? Warum jetzt? Warum ich?

Religiös nenne ich den, der sich in das Leiden der anderen einfühlen kann.

Mahatma Gandhi

Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.

Lutherbibel, 1. Petrus 5

Ich weine jetzt häufiger, oft unter dem Eindruck der Schwere des Menschseins.

Aber ich lache auch mehr, vielfach unter dem Eindruck der inhärenten Komik des Menschseins.

Ich spüre mehr.

Ich kann mich besser einfühlen.

Die Emotionsforschung definiert Empathie als Fähigkeit, die Empfindungen anderer Menschen zu erspüren. Eine der letzten Notizen, die Gandhi hinterlassen hat, wurde nach seinem Tod 1948 in dem Buch The Last Phase veröffentlicht. Der kurze Text zeigt das Ausmaß der Empathie Gandhis und macht die zentrale Rolle deutlich, die sie in seinem Weltbild spielte: »Ich möchte dir einen Talisman schenken: Versuch es, wenn du in Zweifel gerätst oder dein Selbst dich überfordert, mit dem folgenden Hilfsmittel: Erinnere dich an das Gesicht des hilflosesten Menschen, den du je gesehen hast, und frage dich, ob dein Vorhaben ihm nützlich ist. Bringt es ihm etwas? Gibt es ihm die Kontrolle über sein Leben und Schicksal zurück? […] Dann werden deine Zweifel […] schwinden.«

Zu einem Talisman kann jeder Gegenstand werden, dem religiöse oder magische Kraft zugeschrieben wird und der den Menschen schützen, heilen oder ihm gegebenenfalls schaden soll, für den er gemacht wurde. Das obige Zitat ist als »Gandhis Talisman« bekannt geworden. Es ist ein moralischer Kompass, der uns darauf hinweist, dass wir den Standpunkt unserer Zeitgenossen berücksichtigen müssen, um ethisch vertretbare Entscheidungen treffen und sicherstellen zu können, dass unser Handeln auch anderen zugutekommt.

Ich habe mich zwar schon immer für einen empathischen Menschen gehalten, doch seit ich mich intensiv mit Gandhi beschäftige, achte ich mehr auf die mögliche Wirkung von allem, was ich sage und tue.

Das Wort Empathie fällt heute unweigerlich, sobald von emotionaler Intelligenz und Eigenschaften die Rede ist, die gute von schlechten Führungspersönlichkeiten unterscheiden. Es gibt schon Bücher, die zeigen, dass sich die Orientierung an Gandhis ethischem Kodex geschäftlich positiv auswirken kann, zum Beispiel: Gandhi: The Eternal Management Guru von Pratik Surna oder A Higher Standard of Leadership von Keshavan Nair.

Empathie ist eine Eigenschaft, die ich an anderen bewundere und von der ich hoffte, sie mehr zu verkörpern. In dieser Hinsicht kann ich mein Experiment also schon als kleinen Erfolg verbuchen. Früher war ich oft auf mich bezogen. »Wie werde ich von deinen Gefühlen tangiert?« Jetzt versuche ich die Bedürfnisse der anderen mehr zu berücksichtigen – und gebe mir in eher praktischen Dingen größere Mühe, indem ich zum Beispiel meine Ernährungsgewohnheiten bewusst denen Gandhis annähere. So esse ich jetzt zum Frühstück Haferflocken – ich, der ich es in der Kindheit als Strafe empfunden hatte, wenn sie mir anstelle meiner heiß geliebten Cornflakes, Froot Loops oder sonstigen Zuckerbomben vorgesetzt wurden.

Heute bin ich zwar kein »richtiger« Vegetarier wie Gandhi, immerhin aber Pescetarier. Damit ernähre ich mich schon ein ganzes Stück gesünder. Früher habe ich mich wie mein Vater und dessen Vater und all die anderen Möchtegern-Machos gerühmt, zu besagten Fleisch-und-Kartoffel-Typen zu gehören. (Nebenbei gesagt: Mein Großvater starb an einem Herzinfarkt und mein Vater hatte zwei »Herz-Vorfälle«. Für mich gab es also gute Gründe, meine Ernährung zu verändern, wollte ich noch ein langes, gesundes Leben führen.) Ich faste regelmäßig, manchmal länger, manchmal nur kurz. Unlängst habe ich zusätzlich das Intervallfasten für mich entdeckt und überspringe jetzt hin und wieder mal zwei Mahlzeiten.

Sollten Sie aus diesen relativ profanen, oberflächlichen Veränderungen schließen, ich würde Ihnen lediglich Maßnahmen zur Selbstoptimierung vorschlagen wollen, täuschen Sie sich – obwohl es dazu natürlich kommen wird. Das Ziel besteht darin, sich eine – wenn auch utopische – Welt vorzustellen, in der die Menschen mit größtmöglichem moralischen Zartgefühl und nach höchsten Ansprüchen handeln, denken und sprechen, wie es sich Gandhi für alle erhofft hatte. Und dann bitte ich Sie, Ihr Leben, Ihre Wertvorstellungen, Ihre mentalen und faktischen Gewohnheiten so einzuordnen, wie ich es hier tue, um herauszufinden, inwiefern diese mit dem Utopia vereinbar sind. Zu guter Letzt möchte ich Sie bitten, Ihr Verhalten entsprechend anzupassen. Jedenfalls wenn Sie, wovon ich ausgehe, ernsthaftes Interesse an dem Projekt haben und frei von Gewalt, von Lug und Betrug leben wollen – in einem Umfeld, in dem Vertrauen, Integrität, Mitgefühl und Einfühlungsvermögen erblühen können. Bislang habe ich nicht den Eindruck, dass sich dieser moralbetonten Bewegung schon genügend Menschen angeschlossen haben. Eines muss ich gleich zu Anfang einräumen: In mir gibt es Tendenzen, die mir ein Leben in dieser utopischen Gesellschaft verunmöglichen würden. Deshalb dieses Experiment in Veränderung.

Eine der letzten Lektionen, die mir die Betrachtung der Welt und meiner selbst aus Gandhis Perspektive heraus vermittelt haben, sollte die Empathie sein, das Einfühlungsvermögen. Nicht, dass ich Gandhi hätte sein wollen. Denn was Disziplin und seinen Idealismus anging, war dieser Mann schon beinahe unmenschlich perfekt – kein Vergleich mit mir. Meine Recherchen zeigten mir aber auch, dass er weder ein Heiliger war noch die Inkarnation eines Gottes oder so. Letzten Endes nicht einmal ein Mahatma, eine »große Seele«, wie die Übersetzung des Ehrentitels lautet, den Mohandas Gandhi von dem Dichter Rabindranath Tagore bekam.

Gandhi faszinierte mich auf beinahe schon zu vielen Ebenen. Wegen ihrer Breite und Tiefe empfand ich die Interessen dieses Mannes als einschüchternd. An der Spitze wie vieler Bewegungen er stand, ist den meisten gar nicht bewusst. Am bekanntesten aber ist er natürlich als gewaltfreier Kämpfer für die Unabhängigkeit Indiens von der britischen Kolonialherrschaft. Dieses Ziel konnte 1947 als erreicht betrachtet werden. Ein Jahr später fiel er dem Mordanschlag eines fanatischen rechtsradikalen Hindu zum Opfer.

Gandhi war nur einen Meter siebenundsechzig groß und wog kaum mehr als fünfzig Kilogramm. Einen langen Schatten warf er trotzdem: als Wegbereiter verschiedener gesellschaftlicher und kultureller Trends wie zum Beispiel: Verringerung des ökologischen Fußabdrucks beziehungsweise Minimalismus oder freiwillige Selbstbeschränkung; Vegetarismus und Tierrechte; Bevorzugung von handwerklich hergestellten Produkten; Bildungsinitiativen und so weiter. Mindestens zwanzig führende Politiker und Politikerinnen und Intellektuelle aus der ganzen Welt gaben an, entscheidend von Gandhi inspiriert worden zu sein.

Er erneuerte, motivierte, lenkte, mobilisierte, legte großen Wert auf ein moralisches Leben und gab anderen Energie. Viele Millionen Menschen nicht nur in Indien, sondern überall wurden von ihm inspiriert. In seiner Heimat tragen Hunderte, wenn nicht Tausende von Straßen und Plätzen seinen Namen. Das gilt auch für Straßen, Alleen und Boulevards in etwa dreißig anderen Ländern. Vergessen wir auch nicht, dass er eine wahre Schreib-Maschine war, ein produktiver Autor, dessen Bücher, Zeitungsartikel, Abhandlungen und Briefe hundert Bände füllen. Genauso eifrig las er auch.

Mich haben seine Errungenschaften genauso fasziniert wie alles, was er nicht hatte. Er besaß keinen anderen offiziellen Titel als den eines Rechtsanwaltes. Er wurde nie in ein politisches Amt gewählt, hatte sich niemals um eines beworben. Zeit seines Lebens gehörte er keiner Regierung an. War nie beim Militär. Hatte nie einen bezahlten Vollzeitjob. Genauso wenig wie ein nennenswertes Vermögen. Seine gesamten Besitztümer waren – nicht der Rede wert. Zu einem spirituellen Führer ist er nie geweiht worden. Und doch ziert sein Gesicht alle indischen Geldscheine. Keiner anderen indischen Führungspersönlichkeit vor oder nach ihm ist diese Ehre je zuteilgeworden. Trotz der vielen »Hatte« und »War-Nies« gehört er zu den wenigen Männern, die als »Vater der Nation« in die Geschichte eingingen.

Wie extrem unwahrscheinlich es war, dass jemand wie ich auch nur im Entferntesten werden könnte wie Gandhi, wurde mir klar, als ich von einer Abstimmung mit dem Titel »Der größte Inder« erfuhr, die 2012 von der Zeitschrift Outlook in Zusammenarbeit mit CNN-IBN und dem History Channel durchgeführt worden war. Die Jury hatte Gandhi von vornherein als Kandidat ausgeschlossen, weil dem Vater der Nation in puncto Führungsstärke, Einfluss und Leistung sowieso niemand gleichkäme, wie es hieß. Meine Chance, mich dem Mahatma wenigstens auf Sichtweite anzunähern, lag weit unter Null.

Ich wollte einfach (einfach?) wissen, ob ein normaler Mensch in der ersten Hälfte des einundzwanzigsten Jahrhunderts sechs der Prinzipien befolgen kann, auf denen Gandhis Strategie beruhte. Was mich zu dieser Frage bewogen hatte? Mein Eindruck, dass die Gesellschaft und ich uns von moralischen Grundsätzen immer weiter entfernten. Dass ich mir damit eine schwere Aufgabe gestellt hatte, war mir bewusst. Doch wie sich herausstellte, wurde sie weit härter, als ich es mir je hätte ausmalen können.

Ursprünglich sollte der Titel dieses Buches Being Gandhi (Gandhi sein) lauten. Da sich mein Vorhaben aber als dermaßen schwierig herausstellte, blieb mir nichts übrig, als mir einzugestehen, dass ich es höchstens würde anstreben können, mich dem, wofür Gandhi steht, Stück für Stück ein bisschen mehr anzunähern. Solange ich versuchte, im Zustand des Wie-Gandhi-Werdens zu verbleiben, dachte ich mir, würde alles, was ich den Tag über tun, denken und sagen mochte, den Anforderungen genügen. Dabei impliziert die Verbform des »Werdens« einen fortwährenden Prozess des Suchens, und das gefällt mir. Bob Dylan scheint das nicht anders zu sehen. In No Direction Home, Martin Scorseses Dokumentation über ihn, sagte der Musiker und Nobelpreisträger: »Künstler müssen aufpassen, dass sie nie in eine Situation geraten, in der sie denken, sie seien irgendwo ›angekommen‹. Du musst dir immer klarmachen, dass du ständig in einem Zustand des Werdens bist. Solange dem so ist, bist du noch einigermaßen im grünen Bereich.«

Und was für Dylan gut genug war, dürfte auch für mich gut genug sein. Was mich an das Sederabend-Lied (»Dayenu«) des traditionellen jüdischen Pessachfests erinnert, wenn der Chor nach jeder Preisung einer der vielen Wohltaten Gottes »Es hätte (uns) genügt« singt.

Wie bei einem Schwimmbecken mit unsichtbarer Wasserkante gibt es auch hier im Grunde kein Ende, nur ewige Einsichten und hoffentlich auch Selbsterkenntnis.

Für seine Anhänger eine Art Ziel- oder Identifikationsfigur zu sein, schien Gandhi übrigens nicht behagt zu haben. Das zeigte sich, als er die Begriffe »Gandhismus«, »Gandhianer« und »gandhisch« ansprach, die viele seiner Follower, wie man heute sagen würde, benutzten. 1936 sagte er auf einer Versammlung der Gandhi Seva Sangh: »So etwas wie ›Gandhismus‹ gibt es nicht und ich möchte bestimmt keine Sekte hinterlassen. Ich nehme nicht für mich in Anspruch, irgendwelche neuen Grundsätze aufgestellt oder eine neue Lehre begründet zu haben. Ich habe nur auf meine eigene Art und Weise versucht, die ewigen Wahrheiten im Alltag und auf unsere Probleme anzuwenden. Die Meinungen, die ich mir gebildet und die Schlussfolgerungen, zu denen ich gekommen bin, sind nicht endgültig. Morgen könnten sie schon wieder anders aussehen. Neues kann die Welt nicht von mir lernen. Wahrheit und Gewaltlosigkeit sind so alt wie die Berge.«

Kurz gesagt: Gandhi zu sein würde sich letztlich als unmöglich herausstellen; der Versuch aber, wie er zu werden, wäre der Mühen wert – und würde mich zeitlebens beschäftigen. Wie sieht das bei Ihnen aus?

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Auf die Idee zu diesem Experiment bin ich 2007 gekommen, als Barack Obama seine US-Präsidentschaftskandidatur bekannt gab. Da bewarb sich nun der erste Mensch dunkler Hautfarbe um dieses Amt. In seinem Wahlslogan erklang die berühmte Aufforderung »Be the change you want to see in the world« (Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen möchtest), die fälschlich Gandhi zugeschrieben wurde.

Obama hat diese Aufforderung umformuliert: »Solange wir auf andere Menschen oder bessere Zeiten hoffen, kommt es nie zu Veränderungen. Wir selbst sind die, auf die wir warten. Wir sind die Veränderung, die wir erreichen wollen.«

Als ich las, dass Obama nach eigener Aussage mehr von Gandhi beeinflusst worden ist als von Martin Luther King, dachte ich, dass das viele überraschen würde, vor allem junge Schwarze Amerikaner, die noch nie von dem schmächtigen kleinen Inder mit der John-Lennon-Brille gehört haben.

In seinem hochgelobten Buch Ein verheißenes Land schreibt Barack Obama:

»[...] hatte Gandhi mein Denken tief beeinflusst. Als junger Mann hatte ich seine Schriften studiert und festgestellt, dass er einigen meiner tiefsten Instinkte Ausdruck verlieh. Sein Begriff des Satyagraha, also die Hingabe an die Wahrheit, und die Macht des gewaltlosen Widerstands, die das Gewissen rühren; sein Beharren auf unsere gemeinsame Menschlichkeit und die grundsätzliche Einheit aller Religionen sowie sein Glaube an die Verpflichtung jeder Gesellschaft, durch ihre politischen, ökonomischen und sozialen Übereinkommen anzuerkennen, dass alle Menschen den gleichen Wert und die gleiche Würde besaßen – jede dieser Ideen fand in mir Widerhall. Gandhis Taten hatten mich noch stärker bewegt als seine Worte; er hatte seine Überzeugungen auf die Probe gestellt, indem er sein Leben riskierte, ins Gefängnis ging und sich ganz dem Kampf seines Volkes verschrieb. Sein gewaltloser Kampf für die Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien, der 1915 begonnen und mehr als dreißig Jahre angedauert hatte, hatte nicht nur zur Überwindung eines Imperiums und der Befreiung eines großen Teils des Subkontinents beigetragen, er hatte einen moralischen Stromstoß ausgelöst, der um den gesamten Globus gewandert war. Er wurde ein Leuchtfeuer für andere enteignete und marginalisierte Gruppen – einschließlich schwarzer Amerikaner im Jim-Crow-Süden –, die für ihre Freiheit stritten.«*

Trotz der Aufmerksamkeit, die Obama auf Gandhi gelenkt hatte, fragte ich mich, wie viele Millionen Menschen den indischen Anführer nur aus dem mehrfach oscarprämierten Richard-Attenborough-Film Gandhi kannten. (Auf meinen Reisen nach Indien, Großbritannien und Südafrika fiel mir überraschenderweise auf, dass viele meiner Gegenüber ihr gesamtes Wissen über den Mahatma diesem Film verdankten.)

Da mir niemand anders eingefallen war, der mich in den letzten hundert Jahren in ähnlicher Weise mit der Vision eines moralischen Kompasses beeindruckt hätte, wandte ich mich Mr. Gandhi zu.

Eine Persönlichkeit hätte es außer ihm schon noch gegeben; eine lebende Ikone moralischer Makellosigkeit, die ich in höchstem Maße wertschätze (und mit mir so ziemlich jeder andere Mensch auf Erden) und der ich Jahre zuvor sogar einmal begegnet war: Seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama aus Tibet. Im Auftrag des National Geographic Magazine hatte ich ihn in seinem Büro in McLeod Ganj interviewt, dem Sitz der tibetischen Exilregierung. Diese Begegnung war das unvergesslichste Erlebnis meines Lebens als Journalist – und fühlendem Wesen. Manchmal ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass auch er sich noch an unser Treffen erinnern könnte – nach circa zwanzig Jahren.

Mitten in einem Interview, das ich zuvor auf einer Rundreise durch Tibet mit dem Neffen Seiner Heiligkeit geführt hatte, war ich in einem seltenen Anfall von Brillanz auf die Idee gekommen, ihn zu bitten, mir ein paar Worte für seinen Onkel auf Band zu sprechen, die ich Seiner Heiligkeit einige Wochen später vorspielen konnte. Die Botschaft lautete: »Onkel, wir hoffen tagtäglich und beten darum, dass du bald in deine Heimat zurückkehren kannst.« Ein ebenso rührender wie aussichtsloser Wunsch. Als ich Seiner Heiligkeit das Band sechs Wochen später vorspielte, wusste der (damalige) Chef der tibetischen Exilregierung besser als jeder andere, dass für ihn keine Hoffnung auf eine Rückkehr nach Tibet bestand. Seine Miene verdunkelte sich in Traurigkeit, als er die Botschaft seines Neffen vernahm. Ich spürte, wie ihn dessen Worte bewegten – und fühlte mit ihm. Das folgende Interview verlief anders als gedacht, weit vertrauter und persönlicher, als ich es mir je hätte träumen lassen.

Ausgehend von dem Gedanken, dass er sich an unsere Begegnung erinnern könnte, hätte ich auf der Suche nach einem lebendigen moralischen Kompass von beispielhaftem Charakter auch beschließen können, dem heute Siebenundachtzigjährigen zu folgen.

Aber dann habe ich es mir anders überlegt und darauf verzichtet, ihn ins Zentrum meines Experiments zu stellen. Erstens, weil so viele wichtige Menschen nach der Robe eines derart viel beschäftigten Mannes greifen – einfach nur, um ein bisschen von seinem Karma abzubekommen –, dass er für meine Wenigkeit kaum hätte Zeit erübrigen können. Mehr aber noch, weil ihm seine spätere Größe quasi in die Wiege gelegt worden war – aufgrund eines altbewährten Auswahlprozesses der Reinkarnation. In dessen Verlauf wurde Tenzin Gyatso, ein zweijähriger Junge aus dem unbedeutenden Dorf Takster auf dem tibetischen Hochplateau im heutigen China, herausgelöst und zu einer Persönlichkeit erhoben, die überall in der Welt höchsten Respekt genießt, unabhängig von jeder religiösen Orientierung. Mit einer solchen erhabenen Gestalt kann man sich als gewöhnlicher Sterblicher beim besten Willen nicht identifizieren.

Mohandas Gandhi dagegen legte als junger Student kaum ein Anzeichen späterer Größe an den Tag, und auch noch als junger Anwalt nicht. Er hatte menschliche Schwächen. Mitunter war er umstritten. Nicht alle liebten ihn. Kurz gesagt: Er war zugänglich, man konnte sich mit ihm identifizieren. Ich jedenfalls kann es.

Dass der Dalai Lama höchsten Respekt für den Mahatma empfindet, geht aus zahlreichen Interviews mit und Schriften von ihm hervor. Zum Beispiel aus folgendem Artikel, den er im August 2021 für die Leser und Leserinnen des in Indien erscheinenden englischsprachigen Nachrichtenmagazins India Today schrieb:

»Mahatma Gandhi symbolisiert für mich sowohl Ahimsa, Gewaltlosigkeit – als auch Karuna, Mitgefühl. Heutzutage setze ich mich hauptsächlich für die Förderung dieser beiden Prinzipien ein. Und ich bin der Überzeugung, dass Indien als einziges Land über das Potenzial verfügt, sein altes Wissen mit neuen Bildungsinhalten zu verknüpfen. Was Ahimsa und Karuna betrifft, war Gandhiji ein großes Vorbild für mich, und ich betrachte ihn als meinen Lehrer. Für mich bleibt er der ideale Politiker: ein Mensch, der dem Altruismus alle persönlichen Erwägungen unterordnete und nie den Respekt vor den großen spirituellen Traditionen verlor. In einer Welt, in der immer noch gemobbt und getötet wird, brauchen wir Mitgefühl und Gewaltfreiheit dringender denn je. Mir ist es außerordentlich wichtig, diese Ideale mit den bedeutendsten Erkenntnissen der modernen Wissenschaften zu verbinden.«

Und was für Seine Heiligkeit gut genug war, dürfte auch für mich gut genug sein.

Wie schon gesagt: Es war Barack Obama, der mir Gandhi wieder ins Bewusstsein gerufen hatte. (Da ich mich seit 2004 beruflich oft in Indien aufhielt, hatte ich sein Bild natürlich immer wieder vor Augen – fremd blieb er mir trotzdem lange.) Dass ich aber einiges an meinem Leben ändern musste, wurde mir erst klar, als ich so richtig am Boden war; von der Psyche her. Also in einem Moment, der alles andere als »gandhisch« war. Ich hielt mich beruflich in Kolumbien auf, genauer gesagt, in der herrlichen, ebenso historischen wie hedonistischen Küstenstadt Cartagena. Als ich eines Abends auf der Suche nach einem Abenteuer durch die Altstadt flanierte, lernte ich in einer Bar eine Frau kennen, die dreißig Jahre jünger war als ich. Stundenlang tanzten wir miteinander und machten immer nur kurz Pause, um einen Tequila mit Bier runterzuspülen. Beim Salsa machte sie Sachen mit den Hüften, die ich nicht für menschenmöglich gehalten hätte, perfekt auf die Musik abgestimmte weiche, sinnlich-anzügliche Bewegungen, die direkt in meine Seele vordrangen.

Schweißüberströmt stolperten wir in mein Hotel, stellten die Klimaanlage an, zogen uns aus und gingen gemeinsam unter die Dusche. Auch im kalten Strahl der Brause vollbrachten die Hüften der jungen Frau noch wunderbare Dinge. Danach erinnere ich mich nur noch, auf ein Bettlaken aus kühler ägyptischer Baumwolle geglitten und eingeschlafen zu sein, bevor mein Kopf das Kissen erreicht hatte. In dieser herrlich dekadenten Nacht war kein Junggesellenwunsch unerfüllt geblieben. Und doch fühlte ich mich am nächsten Morgen leer, traurig und unzufrieden. Der Schmerz, den ich empfand, bohrte sich bis tief in meine Seele hinein.

Allen Dingen zum Trotz, für die ich hätte dankbar sein können und sollen, wollte ich mehr und hatte auch, wie ich fand, mehr verdient. In dem Verlangen, das ich empfand, war ich unersättlich. Ich hatte mich in das verwandelt, was Buddhisten einen »hungrigen Geist« bezeichnen. Dabei geht es um die unstillbare Gier nach etwas im Außen, was sich nie erreichen und nicht einmal benennen lässt.

Wie so oft, wenn man denkt, am Boden zu sein, stellt sich heraus, dass sich darunter noch eine tieferliegende Ebene befindet. Das ist dann der Moment, in dem der Kopf übernimmt. Meiner führte mich in einer Abwärtsspirale direkt in die Tiefe, in das bodenlose Höllenreich aus Selbstzweifeln, Selbsthass und gefühlter Nutzlosigkeit, in dem ich nicht mehr von den Fehlern ablenken konnte, die ich im Leben gemacht hatte – oder von den Niederlagen, die ich hatte einstecken müssen. Eine Lawine aus Gedanken und Fragen, auf die ich keine Antwort wusste, stürzte auf mich ein. Wer bin ich? Woraus besteht meine Aufgabe hier auf der Welt? Wen hatte ich alles an der Nase herumgeführt, um es bis hierher zu schaffen? Wie viele Leute hatte ich mit meiner Unsicherheit unabsichtlich verletzt? Wie oft hatte ich aus Selbstherrlichkeit stur auf meiner Meinung bestanden? Wann würde ich für all das die Quittung bekommen? Wie oft habe nur ich selbst meinem Glück im Weg gestanden?

Der unbeirrbare, gnadenlose Blick in den Spiegel geht mit großem Schmerz einher. Mit selbst auferlegten Qualen, die das Leiden zwar lindern können – aber nur, wenn man die Schwelle erreicht hat und bereit ist, sich zu verändern. In jener Nacht in Cartagena war ich an meinem Limit angelangt und konnte nur auf Besserung hoffen.

Dehydriert, mit abklingendem Kopfweh und aufkommenden Schmerzen in der Hüftgegend (warum tragen nicht mehr Salsatänzerinnen Verletzungen davon, so wie sie sich auf der Tanzfläche bewegen?) zog ich bei einem starken kolumbianischen Kaffee Bilanz. Sollte ich nur kleine, oberflächliche Veränderungen vornehmen wollen, wäre ich auf dem Holzweg, wurde mir klar. Er war gekommen: der Tag meiner Entscheidung – an dem ich mir vornahm, mich mithilfe von Gandhis Prinzipien rundum zu erneuern.

Mein erster Gedanke war, dass sich die »große Seele« und ich kaum mehr voneinander unterscheiden könnten. Allein seinen Grundprinzipien entsprechend zu leben, wäre eine Sisyphusarbeit. Ganz zu schweigen von dem Versuch, ihm in meinem Verhalten gleichzukommen.

Echt? Was wollte ich mir da vornehmen? Meinen ganzen Lebensstil aufzugeben? Mich von all meinen Genüssen und Süchten verabschieden, von meinem ungezügelten Materialismus, von Gewaltgedanken, meinem egoistischen und schlicht gemeinen Verhalten? War ich bereit, sieben Tage die Woche die Wahrheit zu sagen, all die kleinen Notlügen und großen Unaufrichtigkeiten aufzugeben? Auch die Selbsttäuschungen, die Geschichten von meiner Wertlosigkeit und Inkompetenz, die ich mir schon lange einrede und die durch die schiere Häufigkeit ihrer Wiederholung zu trauriger Realität werden? Ich sollte das Fleischessen aufgeben? Den SEX? Mein gesamtes Leben, wie ich es bis jetzt geführt hatte?

Würde ich in der Lage sein, meine Ichbezogenheit so entschieden abzulegen wie der Mahatma? Oder mich von meiner Alltagswirklichkeit zu distanzieren? Mich zwar nicht wie Gandhi aus den Ketten zu befreien, die Indien an die Kolonialmacht des britischen Weltreichs banden, aber doch von den Dingen, von denen ich denke, dass sie mich zu dem gemacht hatten, der ich war?

Würde überhaupt jemand, der ein so sattes und volles Leben führte, wie es in der ersten Hälfte des einundzwanzigsten Jahrhunderts möglich war, sich an die Prinzipien halten können, die Gandhi sowohl in seinen Schriften darlegte als auch im Leben befolgte? Und warum sollte man das überhaupt tun – gegen den starken Strom unmoralischen Verhaltens anschwimmen zu wollen? Welches Ergebnis könnte im besten Fall dabei herauskommen?

Was mich anging: Das letzte Buch von mir war zwölf Jahre zuvor erschienen. Finanziell hatte ich mich seither auf einer Achterbahnfahrt befunden – von bescheidenem Wohlstand zu bitterer Armut und zurück. Eine Zeit lang war ich praktisch obdachlos, übernachtete im Auto oder bei Freunden auf dem Sofa. Zwischendurch kam ich wiederholt wochenlang im Betreuten Wohnen bei meiner Mutter in New Jersey unter. Manchmal war dann auch wieder ein Fünfsternehotel für mich gebucht – bis ich schließlich im kalifornischen Berkeley eine bescheidene Wohnung fand und darin zur Ruhe kam. Nachdem ich lange Jahre das Glück hatte, kerngesund zu sein, wurde bei mir eines Tages eine Autoimmunerkrankung diagnostiziert – deren Name ich erst nach Wochen fehlerfrei aussprechen konnte.

Ob ich also bereit war, die Veränderung zu sein? Darauf können Sie wetten. Jeder Wandel konnte nur besser sein als in meiner Wahrnehmung das Leben, das ich bis zu diesem Zeitpunkt geführt hatte. Ich musste die Löschtaste drücken, mich resetten und dann neu starten. Mich selbst neu erfinden. Kurz vor dem Eintritt in eine weitere Dekade meiner Spritztour auf unserem hochgelobten Planeten wollte ich unter Beweis stellen, dass ich mich ändern konnte, dass ich in der Lage war, unproduktive Tendenzen in mir zurückzudrängen und meines verfallenden Körpers Herr zu werden. Seien wir doch mal ehrlich: Wer von uns hätte darauf keine Lust?

Veränderung. Was für ein einfaches, präzises Wort. Aber wäre es doch nur genauso einfach, schlechte Angewohnheiten in gute zu verwandeln, aus destruktiven Gedanken positive zu machen, Selbstsabotage in Selbsterkenntnis zu verwandeln.

Doch all diese kleinen persönlichen Herausforderungen sind nichts im Vergleich zu dem, was unser schöner Planet erleidet und was unsere Gesellschaft aushalten muss – die ganzen Krisen, die die Welt in ihren Grundfesten erschüttern. Die Gewalt – der Terrorismus – grassiert. Massenschießereien sind Normalität. Staatliche und wirtschaftliche Korruption an der Tagesordnung. Statt ihren Aufgaben redlich gerecht zu werden und Gesetze zu erlassen, die den Menschen helfen könnten, ziehen es Politiker vor, ihren Kumpanen lukrative Verträge und Posten zuzuschieben. Rassismus bleibt ein großer ekliger Schmutzfleck auf der Weste der Menschheit. Frauen und Angehörige der LGBTQ-Community müssen sich ständig gegen Versuche der Entmündigung und Entrechtung zur Wehr setzen. Der scheinbar grenzenlose Konsumwahn galoppiert und wird höchstens durch sinkende Reallöhne in gewisse Schranken gewiesen – schlimmstenfalls auch durch Firmeninsolvenzen. Der Umweltschutz wird zunehmend vernachlässigt oder ignoriert. Die psychische Gesundheit der Menschen bietet immer mehr Anlass zu Besorgnis, die Selbstmordraten steigen. Um die körperliche Verfassung ist es nicht viel besser bestellt: Fettleibigkeit, Diabetes und Herzerkrankungen sind auf dem Vormarsch.

Was – wahrscheinlich gerade aus ebendiesen Gründen – hinzukommt: Moralische Grundsätze versinken zunehmend in Bedeutungslosigkeit, wie sozialwissenschaftliche Studien ergeben haben. Oder lesen Sie nur mal die Schlagzeilen des Tages: Wir Menschen lügen, betrügen, haben Affären – und machen Gangster, die das System austricksen, zu Helden oder zählen Leute zur Prominenz, nur weil sie prominent sind.

Aber das wissen Sie natürlich alles selbst. Warum bin gerade ich der Richtige, diesen Versuch zu unternehmen? Gute Frage! Ich stand schon unter Beschuss, bevor ich mich auf das Abenteuer dieser Publikation eingelassen habe. Viele indische Verleger hatten mich auf dem Kieker. Da sie einige meiner früheren Arbeiten kannten, fürchteten sie wohl, ich könnte mich über Gandhi lustig machen wollen – was ihre Leser nicht toleriert oder goutiert hätten. Denn Gandhi, wurde mir schnell klar, war sakrosankt. Humor zu seinen Lasten gänzlich ausgeschlossen.

Ein indischer Freund von mir, der in Neu-Delhi eine Marketing- und Kommunikationsagentur betreibt, gut vernetzt ist und alle möglichen faszinierenden Leute kennt, begann mich irgendwann »Gandhi Light« zu nennen. Wogegen ich nichts sagen konnte. Eine in Indien geborene Autorin, die seit ihrem Studium in den USA lebt und mit der ich ebenfalls befreundet bin, fragte sich, woher ein weißer jüdischer Amerikaner den Mut nahm, ein Buch über Gandhi zu schreiben. Wie oft ich denn überhaupt in Indien gewesen sei, wollte sie wissen. Aus ihrer Entgegnung auf meine Antwort ging hervor, dass sie es für kulturelle Aneignung hielt, wenn ein Weißer versuchte, »wie Gandhi« zu sein.

Hatte sie damit womöglich recht? Ich nahm mir ihre Argumente zu Herzen und erklärte schließlich respektvoll und bescheiden, dass es in meinem Buch nicht um Gandhi geht. Es ist die Innenschau eines weißen Hetero-Mannes, von dem ich hoffe, dass er sich immer noch weiterentwickeln kann. Als viel gereister Journalist, Elternteil und Großvater betrachte ich es als meine Verantwortung, der einen Gruppe von Menschen das Wissen und die Traditionen einer anderen zu vermitteln. Weil ich glaube, dass wir uns auf diese Weise als Weltgemeinschaft weiterentwickeln können.

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»Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen möchtest.« Ich starre immer noch auf diesen Satz – als ob er ein geheimes Spezialelixier enthält, das mich, sobald ich es vollständig aufgenommen habe, auf wundersame Weise transformiert. Ich muss den Satz nur richtig aufdröseln und die Hinweise entschlüsseln, die meiner Metamorphose auf die Sprünge helfen werden. In den USA gibt es zahllose Organisationen, Firmen und Gruppen, die diese Aufforderung oder Teile von ihr zum Bestandteil ihres Namens oder als Werbeslogan nutzen. Hier nur einige wenige Beispiele:

Be the Change, eine von Frauen mit dunklerer Hautfarbe gegründete und betriebene Consulting-Firma in OaklandBe the Change Foundation, eine Nonprofit-Organisation in Santa Clara, die sich zum Ziel gesetzt hat, »junge Menschen dabei zu unterstützen, ihr Potenzial voll auszuschöpfen«Be the Change lautet ein Slogan, den die US-amerikanische Fußballnationalmannschaft der Männer nach dem Tod von George Floyd aufgegriffen hat, um die Black-Lives-Matter-Bewegung zu unterstützenBe the Change heißt ein gemeinnütziges Kollektiv »positiv eingestellter, bewusst lebender Künstlerinnen und Künstler«Milaan – Be the Change lautet der eingetragene Name der Milaan Foundation, einer karitativen Organisation mit Sitz in Neu-Delhi, die auf eine »inklusive, auf Gleichberechtigung beruhende Welt« hinarbeitet, »in der jedes Mädchen die Kenntnisse, Fähigkeiten und das soziale Umfeld hat, die es ihr ermöglichen, ihre Träume zu verwirklichen und ihr gesamtes Potenzial auszuschöpfen«Let’s all be part of the change, der neue Nike-Slogan, der den alten – Just do it – ablösteLet’s be the Change heißt eine gemeinnützige Organisation im indischen Bangalore, deren Ziel es ist, »durch die Zusammenarbeit von Bürgern und Regierung eine sauberere, gesündere und nachhaltigere Gesellschaft« aufzubauenBe the Change nennt sich eine Tarot-Kartenlegerin, die auf YouTube fünfunddreißigtausend Abonnenten und Abonnentinnen hat

Auf meine Frage, was sie denn über Gandhi wisse und warum sie diesen Slogan gewählt hatte, antwortete mir Jess Young, besagte Tarot-Kartenlegerin, mit den Worten: