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Wer sich auf einen inneren Weg der Persönlichkeitsentfaltung und spirituellen Vertiefung macht, dem können überraschende Einsichten geschehen, aber auch Schwierigkeiten und verblüffende Lösungen von gefühlten Hindernissen begegnen. Barbara Lemke stellt authentische, zutiefst berührende Erfahrungen von Menschen vor, die in ihrer Sehnsucht nach seelischer Reifung sowohl durch psychologische Arbeit als auch durch spirituelle Erfahrungen geklärt und beglückt wurden. Stillemeditationen und andere einfühlsame Übungen zur Klärung von Lebensthemen ermutigen, sich auf diesen Weg einzulassen. Lyrische Meditationstexte und zarte Zeichnungen laden ein, sich in die Weite der Seele zu wagen und diese Erfahrungen in der täglichen Lebensgestaltung wirken zu lassen.
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Willigis Jäger in Dankbarkeit gewidmet,
der im rechten Augenblick
mir die richtige Frage stellte.
Der Therapeut der Zukunft – ein Mystiker?
Vorwort
Danksagung
Angerufen sein.
Christians Liebesgeschichte
Mit viel unterdrückter persönlicher Liebe können wir „böse“ werden.
Furcht vor der eigenen Innenwelt
Eifersucht
Regeneration
Ehrlichkeit
Für fünf Minuten unter die Wasseroberfläche des Tagesbewusstseins tauchen.
Die Trübung in der Vaterbeziehung.
Ein subjektiver Weg
Schattenarbeit
Tränen
Idealisierung der spirituellen Lehrer
Gedanken während der Meditation
Der Leib als Medium der Ich Erkenntnis.
Der Kampf mit sich selbst
Schuldgefühle
Ungeduld
Eine gute Begegnung
Nachwort
Weiterführende Literatur
Diese Frage von Norbert Mayer („Transpersonale Psychologie und Psychotherapie“, 1/2004) mag noch eine Vision sein. Aber Psychotherapie und Mystik nähern sich einander. Mehr und mehr Therapeuten suchen selbst Erfahrungen im transpersonalen Bewusstsein. Die transpersonale Psychologie versucht diesen transpersonalen Bewusstseinsraum zu erschließen und zu deuten. Psychosomatische Kliniken leiten ihre Patienten zur Tiefenmeditation an. Die Psychologie steht der Mystik heute näher als der Theologie. Der Aufbruch der Mystik geschieht außerhalb der Kirchen. Die Erkenntnis eines C. G. Jung, dass kein Patient wirklich geheilt ist, wenn er seinen Bezug zur Transzendenz nicht wieder gewinnt, bewahrheitet sich in dieser Hinsicht. Für C. G. Jung war dieser Erfahrungsbereich im Gegensatz zu Freud eine Selbstverständlichkeit. Umso mehr freut es mich, wenn Psychotherapeuten, die lange den Weg des Zen oder der Kontemplation mit mir gegangen sind, ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet in ihre Arbeit einbauen. Das Buch von Barbara Lemke zeigt die Früchte.
Willigis Jäger
Dieses Buch stellt Beispiele aus der psychologischen Praxis dar, an denen der Leser, die Leserin nachvollziehen kann, wie individuelle Erfahrungen zu einem spirituell, religiösen Weg führen und ihn vertiefen.
„Wir brauchen zuerst Erfahrung und erst in zweiter Linie Texte, Tempel und Kirchen. Gott wird nicht auf diesem oder jenem Berg angebetet, sagt Jesus, sondern im Geist und in der Wahrheit. Gott will erkannt, nicht verehrt werden“. (Willigis Jäger „In jedem Jetzt ist Ewigkeit“ Kösel 2003 ) .
Die Erlebnisse in dem Kapitel „Angerufen sein, Seinsfühlungen für den spirituellen Weg“ sind mir von meinen Klienten mitgeteilt worden, einige sind mir selbst widerfahren. Für die Methode des therapeutischen Zeichnens habe ich wesentliche Anregungen von Maria Hippius Gräfin Dürckheim bekommen. Der östliche Weg das Zeichnen mit dem Pinsel „Sumi.e“, das auch Karlfried Graf Dürckheim praktiziert hat, war mir ein Vorbild für das Atemgeführte Zeichnen aus der Mitte mit Zeichenkohle.
Wie die Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche in einen seelischen Reifeprozess mündet, wird am Beispiel des Studenten „Christian“ dargestellt. Er kommt in meine Praxis mit Beziehungsproblemen, die ihn belasten und mit der Sehnsucht, seine geistige Mitte zu finden.
In diesem Buch kann der Leser, die Leserin teilhaben an der Klärung problematischer Erfahrungen, die ihren Ursprung zwar in der Kindheit hatten jedoch in das erwachsene Beziehungsleben hinein wirken. Es werden Entwicklungsschritte nachvollziehbar, die der Klient „Christian“ und die Klientin „Karla“ unter psychologischer und spiritueller Begleitung durchleben. Die dargestellten Übungen machen deutlich, was die Eigenleistung der Klienten auf dem Weg der Klärung bedeuten kann. Der Unterschied zwischen den beiden Klienten ist der, dass Christian seinen inneren Weg mit mir beginnt, Karla jedoch schon seit vielen Jahren auf ihrem Weg ist. Sie holt sich immer dann Unterstützung von außen, wenn Themen aus ihrer seelischen Tiefe auftauchen, für deren Integration sie mit einem erfahrenen Gegenüber sprechen möchte. Karla hat die Arbeit, mit der Christian gerade beginnt, schon geleistet und diese Erfahrung macht einen Teil ihrer seelischen Reife aus. Selbstverständlich wird auch sie immer wieder von problematischen Gefühlen berührt wie sie Christian thematisiert.
Bei ihr, das kann man an den Träumen sehen die wir miteinander besprechen, reichen die Themen in eine andere Tiefe. Christian hat anfänglich noch gar keine Träume eingebracht. Er hat zu dieser Ebene seines Bewusstseins noch keinen Zugang gefunden. Das ist durchaus in Ordnung. Jedoch ist er schon „seinsfühlig“, ahnungsvoll gegenüber einer anderen, einer transzendenten Dimension. So kann die Begleitung bei ihm von Anfang an schon in einem spirituellen Rahmen stattfinden.
Welche Themen zu welcher Zeit auf dem inneren Weg bewusst werden ist individuell verschieden, weshalb auch keine Gesetzmäßigkeit aus der Abfolge der Darstellung abgeleitet, geschweige denn eine Vollständigkeit in den Beispielen gesehen werden kann.
Tatsächlich ist es so, dass wir nicht wissen können, woran unsere Seele heute gerade „Anstoß“ nehmen wird und wie stark uns dies beschäftigt.
Christian und Karla bleiben eingebunden in ihren persönlichen Alltag, den wir hier nicht weiter darstellen. Gleichzeitig sind ihre ständigen Alltagsbegegnungen die beste Überprüfung ob sie Fortschritte auf dem Weg der Klärung und der Reifung machen.
„Ein Weg, der nicht in den Alltag führt, ist ein Irrweg“ sagt Willigis Jäger. Dies gilt sowohl für die psychologische als auch für die spirituelle Arbeit.
Der Leser, die Leserin werden entdecken, dass sie sich von dem einen Thema persönlich mehr angesprochen fühlen als von einem anderen. Sie sind eingeladen, sich darin ernst zu nehmen und die eine oder andere Übung selbst auch durchzuführen. Dadurch werden sie nicht nur Christian und Karla noch besser verstehen. Sie werden die Darstellungen aus diesem Buch in sich selbst lebendig werden lassen. Immer wieder zeigt es sich, dass in einem seelischen Problem, in einer scheinbar dunklen Geschichte, etwas ganz wertvolles verborgen ist und erlöst werden will. Es ist wie im Märchen: Die kostbarsten Schätze werden von einer hässlichen, abweisenden Kröte bewacht. Sie prüft sozusagen die Kandidaten, wie schnell sie sich von Widerständen, von unangenehmen Gefühlen, von Schmerzen, von Peinlichkeiten etc. abweisen lassen, oder ob der innere Weg trotz Hindernissen mit entschiedener Ernsthaftigkeit gegangen wird.
Ein Anliegen dieses Buches ist es darzustellen, wie sich Authentizität, Lebendigkeit und Heilung durch bewusste Hinwendung besonders zu kritischen Lebenserfahrungen entwickelt. Alle Darstellungen zeigen, wie das personale Ich immer wieder loslassen und sich öffnen kann für eine heile, spirituelle Dimension, sobald es in seinen Bedürfnissen erkannt und befriedet ist.
Ein weiteres Anliegen ist es mir, Sie einzuladen ihren ureigenen Weg zu erkennen, zu würdigen und ihn mit wacher Bewusstheit zu gehen.
Es fing alles damit an, dass Willigis Jäger, der auch mein Zen Meister ist, einen Aufruf startete: „In der letzten Zeit erhielt ich eine ganze Reihe guter Gedichte aus Euren Reihen, die unseren spirituellen Weg und unsere Erfahrungen auf diesem Weg beschreiben. Sollte jemand noch Gedichte oder Texte geschrieben haben oder schreiben, schickt sie bitte.“
Wie wunderbar, dachte ich, alles einmal zu formulieren. Und es fing gleich in mir an zu fließen. Ich brauchte nur aufzuschreiben und gezeichnet wollte es auch noch werden. Dann entstanden bald mehr als 30 Verse und zusammen mit den Zeichnungen wurde das schon eine ganz eigene Sache. Jedoch, ich wurde gefragt: wie kommt man da hin, wie ist der Weg so durchlässig zu werden, dass ich meine Mitte finde und die Welt und meine Mitmenschen aus dieser Perspektive wahrnehme? Der Lektor, Winfried Nonhoff sagte: „Ihre Kurzgedichte erfreuen das Herz“ da jedoch der Köselverlag eine Ratgeber-, Übungs- und Sachbuchprogrammatik pflege würde sich der Verlag interessieren, wenn die Lyrik in einen Übungszusammenhang gestellt wäre. Da sie tatsächlich aus einem solchen Zusammenhang entstanden ist, fiel es mir leicht, Beispiele für Selbstklärungen aufzuschreiben an deren Ende aufgrund der Erfahrung einer neuen Lebensqualität mitunter ein Gedicht verfasst wurde.
Auch können sich die Menschen einen Eindruck von der inneren Arbeit verschaffen, die mich häufig fragen, was denn eigentlich so in einer psychologisch-spirituellen Praxis passiert.
Hier danke ich nun den vielen Klienten für ihre Offenheit und für die gemeinsame Bemühung um den Weg. Ich danke dafür, dass ich einige Beispiele aus unserer Arbeit exemplarisch darstellen durfte.
Mein Dank für die Verwirklichung dieses Projektes gilt ganz besonders meinem Mann, Jürgen, der mir unbeirrt den Rücken gestärkt hat. Mein Dank geht an die Freundin Innana, vor deren kritischem Auge und Verstand ich großen Respekt habe und die mich herzlich ermutigt hat. Dank geht an meinen Bruder Eckart, und seinen wertvollen Hinweisen als ganz Außenstehender. Dank geht an Marianne, die viele Entwürfe gelesen hat und mir wertvolle Rückmeldungen gab. Meinem Schwager Ralf, den Patensöhnen Benjamin und Jan möchte ich danken, die, wann immer ich sie brauchte unverzüglich mir ihren technischen Beistand am Computer gaben.
Meine aktuelle Erfahrung mit dem Schreiben ist, dass manches, was ich nun aufgeschrieben habe, wieder klärend auf mich und meine Arbeit mit Menschen zurück wirkt. Dafür bin ich dankbar. Auch stärken mich selbst in der inneren Sammlung einzelne eigene Lyriktexte. Ich erfahre sie als ein Geschenk der Mitte. So hoffe ich, dass die Leserin und der Leser sich angesprochen fühlen, spirituelle und psychologische Inspiration bekommen, mit der einen und anderen Übung Einsichten gewinnen, sich selbst und andere tiefer zu verstehen und den eigenen Weg zur Mitte vertrauensvoll und mutig praktizieren.
In meine Praxis kommen Menschen, die sowohl eine spirituellen Weg praktizieren, meist den Zen oder Kontemplationsweg, oder den Yoga Weg, den Sufi Weg, und die auf ihrem Weg erfahren haben, dass sich psychische Themen so in den Vordergrund drängen, dass sie psychologisch bearbeitet werden wollen. Es kommen auch Menschen, die einen spirituellen Weg suchen, weil sie eine religiöse Erfahrung gemacht haben und dieser folgen möchten jedoch noch nicht wissen wie.
Sie wissen, dass ich eine langjährige Erfahrung habe Menschen in ihrem seelischen Reifeprozess zu begleiten, und dass ich ebenfalls eine langjährige Meditationserfahrung auf dem Zen Weg und dem Weg der östlichen Kampfkunst des japanischen Bogenschießens, Kyudo, habe.
Auch während einer psychologischen Klärung geschieht es Klienten, dass sie eine Erfahrungen machen, in denen sie eine spirituelle Dimension berührt und die nun einen zur Transzendenz führenden Weg suchen. Sie erinnern auch Erfahrungen aus der Kindheit, sie haben Erfahrungen mit Drogen gemacht, die ihr Weltbild erschütterten oder es sind seelische Berührungen, die gerade gestern geschehen sind durch die sie sich in besonderer Weise angesprochen fühlen.
Es ist, als ob wir plötzlich mitten im alltäglichen Tun von dem Wehen des Windes, oder von dem Rauschen der Blätter oder von dem Schwatzen der Straßenspatzen unverhofft in unserem tieferen Sein angerührt werden. Wir horchen auf. Für einen Augenblick sind es nicht mehr die gewohnten Alltagsgeräusche und Alltagsempfindungen, sondern .......... da geschieht plötzlich eine Öffnung in die grenzenlose Weite der Seele.
Soeben lag
Ein trauernder Schatten
Auf meiner Seele.
Da weht mir
Unverhofft
Linderung zu
Von dem flüsternden Wind
In den Blättern
Des Baumes dort.
Ach,
welche sanfte Tröstung.
Es gibt wunderbare spirituelle Bücher, die uns das Ziel vor Augen führen, um was es uns gehen sollte auf dem inneren Weg. Mit unserem Intellekt verstehen wir ihre Inhalte und sie tragen uns mitunter weit über die Ebene hinaus, die für uns schon Wirklichkeit geworden ist.
Wenn wir jedoch ganz persönlich mit unserem Weg beginnen, so erleben wir uns „klein, klein“. Der echte Weg fängt immer dort an, wo wir tatsächlich mit uns jetzt stehen und nicht dort wo wir glauben schon sein zu müssen aufgrund z.B. unseres angelesenen oder intuitiven Wissens. Diese Einsichten halten uns am Boden unserer subjektiven Wirklichkeit, die erst einmal für uns selbst die reale ist.
Die Begleitung des Studenten, ich habe ihn Christian genannt, von der ich im Folgenden einige Beispiele dokumentieren werde, liegt schon eine Zeit zurück. Inzwischen ist er über viele Jahre der Begleitung mit meditativen Übungen und der psychologischen Klärung seiner Beziehungsthemen auf seinem Weg.
Ich werde berichten, welche hinführenden Übungen ich ihm angeboten habe, von welchen Erfahrungen er mir berichtet hat und wie wir uns den psychischen Blockaden näherten, die ihm auf seinem Weg begegnet sind. Meine Arbeit mit Klienten verstehe ich einerseits als psychologische Erwachsenenbildung, andererseits als Unterstützung die seelische Struktur schrittweise zu klären, um auch auf dem spirituellen Weg Fortschritte machen zu können. Ich werde die Themen aufnehmen, von denen ich annehme, dass sie von allgemein gültigem Charakter sind und sie durch eigene Erfahrungen und denen der Klientin Karla ergänzen.
Wie sich die psychologische Arbeit zum spirituellen Weg verhält, möchte ich an der chassidischen Geschichte „Geh aus Deinem Land“ zeigen, wie sie Martin Buber aufgeschrieben hat:
Rabbi Sussja lehrte: „Gott sprach zu Abraham: Geh du aus deinem Land, aus deinem Geburtsort, aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde. Das bedeutet: Gott spricht zum Menschen: Zuvorderst geh aus deinem Land – aus der Trübung, die du selber dir angetan hast. Sodann aus deinem Geburtsort – aus der Trübung, die deine Mutter dir angetan hat. Danach aus deinem Vaterhaus – aus der Trübung, die dein Vater dir angetan hat. Nun erst vermagst du in das Land zu gehen, das ich dir zeigen werde.“ (Die Erzählungen der Chassidim,S.385 Manesse Bibliothek)
Dieses „aus dem Land gehen“ ist nicht nur zeitlich linear zu verstehen. Es ist auch sozusagen „vertikal“ zu verwirklichen, nämlich aus gesammeltem stillen Nachspüren sich zum wesenhaften hin auszuloten, jetzt in diesem Moment sich selbst zu befragen: „Um was geht es jetzt eigentlich, ...wem gehorche ich eben jetzt .... wessen Meinung ist das hier ....“
Unter einem „spirituellen Weg“ verstehe ich eine auf religiöse Erfahrung ausgerichtete Lebensgestaltung, die jedoch nicht an eine etablierte Religion gebunden sein muss. Der Weg führt in den Bereich der Mystik, die sich auf die Erfahrbarkeit der numinosen, der heiligen Lebensqualität im Diesseits, im Alltäglichen ausrichtet.
Spiritualität meint die geistige/geistliche Dimension des Menschen. Der Begriff „Spiritus“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Atem, Lebenshauch, Seele, Geist“.
Wer einen spirituellen Weg gehen will, hat häufig eine religiöse Sehnsucht, oder er wird von einer Ahnung gedrängt, zu erfahren, was hinter den vordergründigen Dingen die Welt und das persönliche Sein im tiefsten Wesen, in ihrem Geheimnis ausmacht. Manche Menschen nennen es einfach auch „Gottsuche“, wobei sie intuitiv ahnen, dass eine „Gotteserfahrung“ eine Ganzheitserfahrung in diesem „diesseitigen“ Leben möglich ist.
Es kann sein, dass wir für die spirituelle, geistliche Dimension von Kindesbeinen an offen geblieben sind. Es kann auch sein, dass wir sie mit unserem kindlichen Bewusstsein schon einmal erfahren haben, sie dann jedoch wieder vergaßen. Es kann sein, dass wir mit Spiritualität überhaupt nichts im Sinn hatten, und sie uns dennoch unverhofft berührt. Häufig geschieht dies im Zusammenhang mit Lebenskrisen. Dann kann es geschehen, dass wir in dieser Dimension etwas erkennen, das zutiefst unserem seelischen Bedürfnis und unserer Suche nach Lebenssinn und Lebensqualität entspricht.
Aber die Erfahrung einer transzendenten Dimension, die wir schon in der frühen Kindheit gemacht haben schreiben wir oft einfach nur unserem kindlichen Bewusstsein zu. Oder uns fehlen die Kategorien, die Gespräche mit Wissenden und die Erfahrungen anderer, um voll und ganz zu würdigen, was uns da widerfahren ist.
Ein Beispiel einer Frau, die den Krieg als Kind erlebt hatte:
Wir wurden im Winter 1944 von Ostbrandenburg nach Berlin evakuiert. Wir, das waren unsere Mutter – eine 30jährige Frau mit 4 kleinen Kindern, der Jüngste eineinhalb Jahre alt und die Oma aus Ostpreußen.
Wir wurden in eine Wohnung einquartiert, in der ich noch die Familienseele der Menschen spürte, die diese Räume unfreiwillig verlassen hatten. Die Wohnung war fast völlig leer. Ich hatte das Gefühl, als 4jährige, in diesen Räumen ganz vorsichtig und behutsam sein zu müssen, weil da noch irgendwie die anderen Menschen wohnten. Mich entzückten die Gardinenknoten aus Porzellan, da ich Püppchen in ihnen sah. Die Evakuierung war insofern Unfug, als wir in die Bombardierung der Stadt hinein kamen. Die Bedrohung um uns herum verursachte, dass die Erwachsenen sich um uns Kinder außerordentlich liebevoll kümmerten und sich wahrscheinlich ständig bemühten, die eigene Angst zu beherrschen. Die Erwachsenen wurden für mich in dieser Haltung zu ehrwürdigen, heiligen Lieblichkeiten. Ich selbst empfand keine Angst. Im Gegenteil. Ich nahm eine lichte Schutzglocke, einer Käseglocke vergleichbar, über uns wahr. Diese vermittelte mir ein unerschütterliches Sicherheitsgefühl. Ich weiß heute, dass man diese kindliche Wahrnehmung rein psychologisch als „Urvertrauen“ deuten kann. Aufgrund späterer Wahrnehmungen, die dieser Qualität ähnelten, interpretiere ich diese jedoch auch als Aspekte der spirituellen Dimension des Urvertrauens.
Auch durch die Begegnung mit gereiften Menschen können uns Qualitäten anrühren, die uns zutiefst ansprechen und auf einen spirituellen Weg hinweisen. „Ein Mensch, der seine Mitte gefunden hat, ist Zeuge des Unendlichen“, sagt Dürckheim.
Diese Zeugenschaft ist auch Thema einer Chassidischen Geschichte von der Martin Buber erzählt:
Die Gemeindeglieder eines eher unbedeutenden Rabbiners wundern sich über den Besuch des berühmten Rabbi Löb. Der erklärt seinen Besuch so: „Die Schrift auslegen kann ich selber, das habe ich studiert. Ich bin jedoch gekommen um zu sehen, wie der Rabbi seine Schuhbändel schnürt.“
Auch hier und heute fällt es mitunter auf, wenn wir einem Menschen begegnen, der in seiner Mitte ist.
Ein Klient erzählt: