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Mit 17 Jahren beschließt Laura Pape, ein bisschen abzunehmen, weil sie sich in ihrem Körper nicht wohlfühlt. Doch was als harmlose Diät beginnt, gerät bald außer Kontrolle. Laura rutscht in kürzester Zeit in die Magersucht, hungert sich ins starke Untergewicht. Es ist ihre Mutter, die schließlich die Notbremse zieht und Laura in eine Klinik bringt. Nach einem halben Jahr wird sie wieder entlassen, doch der Kampf gegen die heimtückische Krankheit ist noch lange nicht vorbei: Jeden Tag aufs Neue ringt Laura mit dem Essen, bis ihr bewusst wird, dass sie ihr Leben verpasst, wenn sie die Welt der Magersüchtigen nicht bald hinter sich lässt. In LEBENSHUNGRIG erzählt Laura Pape von ihrer Erkrankung und wie sie den Weg zurück ins Leben gefunden hat. Ergänzt werden ihre persönlichen Aufzeichnungen durch verschiedene Rückblicke von Verwandten und Freunden, die schildern, wie sie Lauras Magersucht erlebt haben.
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Seitenzahl: 265
Veröffentlichungsjahr: 2014
Laura Pape
Für Mama
»Magersüchtig werden? Das könnte ich nicht!«, habe ich früher oft gesagt. Ich habe immer viel zu gern gegessen, um darauf zu verzichten. Aber dann ist es doch passiert. Es fing alles mit einer harmlosen Diät an. Ich dachte mir nichts Schlimmes dabei, wollte einfach nur ein bisschen abnehmen. Eine Diät macht schließlich jeder mal. Aber ich habe den Zeitpunkt verpasst, um wieder damit aufzuhören – und dann steckte ich auch schon mit beiden Beinen in der Magersucht. Es ging alles schnell, so unglaublich schnell. Und plötzlich gab es kein Zurück mehr.
Ich habe dieses Buch geschrieben, um all denen Mut zu machen, die selbst unter einer Essstörung leiden und keinen Ausweg mehr sehen. Kämpft! Es ist nie zu spät, das Leben wieder zuzulassen – und das Leben kann so schön sein!
Außerdem möchte ich allen Angehörigen näherbringen, was es wirklich heißt, magersüchtig zu sein. Es steckt mehr dahinter als nur ein zu niedriges Gewicht. Magersucht ist der Versuch, das eigene Leben unter Kontrolle zu bekommen, das unersättliche Streben nach Perfektion. Es ist ein Kampf gegen den eigenen Körper. Außenstehende sehen das meist nicht. Dabei habe ich festgestellt, dass fast jeder, mit dem man sich über das Thema Essstörungen unterhält, mindestens eine Person kennt, die davon betroffen ist. Es ist in der heutigen Gesellschaft leider keine Seltenheit mehr, dass Menschen unzufrieden mit der eigenen Figur sind und Probleme mit dem Essen haben – im Gegenteil: Laut einer Studie des Berliner Robert-Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland zeigt hier mehr als jedes fünfte Kind zwischen elf und 17 Jahren Symptome einer Essstörung.*
Gerade darum halte ich es für wichtig, auch die Nicht-Betroffenen über diese Krankheit zu informieren. Oft hilft es essgestörten Personen schon weiter, wenn man ihnen das Gefühl gibt, verstanden zu werden, statt ihnen ein »Iss doch einfach mal mehr!« an den Kopf zu werfen.
Ich will euch die Geschichte meiner Magersucht erzählen. Die Geschichte von dem Kampf, den ich gegen mich selbst geführt habe. Davon, wie ich mich in diesem Kampf verlor und ein halbes Jahr in der Psychiatrie verbringen musste. Und ich will euch erzählen, wie ich es am Ende doch noch geschafft habe, mich für das Leben zu entscheiden. Und gegen die Krankheit.
Laura Pape
*– Vgl. Robert Koch-Institut, Berlin, Erste Ergebnisse der KiGGS-Studie, (2006), S. 50.
TEIL 1
JANUAR
Ich bin 17 Jahre alt und finde mich zu dick. Ich hasse meine Oberschenkel, die beim Gehen schwabbeln und sich berühren, wenn ich meine Knie zusammenhalte, meine Fettrollen am Bauch, die im Sitzen über den Hosenbund hängen, und mein rundes Gesicht, das mich eher an einen Vollmond erinnert.
Meine Figur hat mir noch nie sonderlich gut gefallen und ich habe auch schon die eine oder andere Diät deswegen gemacht, aber mit der Zeit hat sich das Nicht-sonderlich-Gefallen zu einem regelrechten Hass entwickelt. Ich hasse mich dafür, dass ich so undiszipliniert bin und keinem Essen widerstehen kann. Hasse mich dafür, dass ich einfach dabei zusehe, wie ich dicker und dicker werde. Inzwischen bringe ich mit meinen 1,71 Metern ein Gewicht von 67 Kilo auf die Waage. Deshalb beschließe ich gemeinsam mit meiner Freundin Shelly, eine Abnehmwette zu starten.
Shelly kenne ich schon seit meiner Kindheit. Unsere Mütter sind gut befreundet und so hatten wir unsere ersten Begegnungen bereits im Grundschulalter. Hin und wieder gab es mal kleine Funkstillen zwischen uns, aber wir haben uns nie ganz aus den Augen verloren. Irgendwann wurde eine Wohnung neben uns frei und Shelly zog mit ihrer Mutter darin ein. Seitdem sind wir Nachbarn und können uns sogar von unseren Küchenfenstern aus sehen.
Wie ich wünscht sich auch Shelly eine schlankere Figur. So sind wir auf die Idee gekommen, einen kleinen Wettbewerb aus unserem Vorhaben zu machen: Wer von uns erreicht als Erste die 59 Kilo? Wer hat die größere Disziplin?
59 Kilo, das ist die Zahl, die wir auf der Waage sehen wollen.
59 Kilo, so viel wiegt eine perfekte Frau.
59 Kilo sind keine 60 mehr.
Für mich steht fest: Ich will auf jeden Fall noch vor Shelly die 59 erreichen! Also lasse ich nach und nach ein bisschen mehr Essen weg. Zuerst verzichte ich auf Süßigkeiten. Das fällt mir am Anfang der Diät noch ziemlich schwer, da es vorher zu meinem Alltag gehört hat, zwischendurch mal was zu naschen. Doch die Wette mit Shelly spornt mich an, sodass ich stark bleibe und den Süßigkeiten widerstehen kann.
*
Nach ein paar Tagen stelle ich fest, dass ich vom Verzicht auf Süßes doch nicht so schnell abnehme, wie ich es gern hätte. Ich überlege mir, wie ich meine Ernährung perfektionieren kann, damit meine Pfunde noch schneller purzeln. Schließlich fallen mir die Eiweißshakes ein, die seit Neuestem in der Fernsehwerbung vermarktet werden. Diese versprechen eine schnelle und erfolgreiche Gewichtsabnahme ohne Heißhungerattacken. Ich gehe also in die Apotheke und kaufe mir eine Packung von diesem Eiweißpulver, obwohl sie ein halbes Vermögen kostet.
Erst ersetze ich nur eine meiner drei Hauptmahlzeiten durch so einen Shake, aber es dauert nicht lange, bis dieses Getränk zu meinem Hauptnahrungsmittel wird. Drei Mal am Tag trinke ich nun ein Glas davon und esse lediglich noch ein bisschen Obst oder Salat zwischendurch. Meinem Magen, der nach Essen schreit, schenke ich einfach keine Beachtung. Soll er doch meckern, dass er Hunger hat! Von mir bekommt er nichts mehr!
Viel Sport mache ich auch. Fast jeden Tag kämpfe ich mich mit meinem Fahrrad durch vollgeschneite Straßen zum Fitnessstudio, um dort Kalorien zu verbrennen. An manchen Tagen, wenn nicht ganz so viel Schnee auf den Straßen liegt, kommt Shelly mit mir mit. Sie hat kein eigenes Fahrrad und leiht sich deshalb immer das von ihrer Mutter.
Im Fitnessstudio trainieren wir dann gemeinsam. Gegeneinander. Wer hält es länger auf dem Laufband aus? Hat Shelly genug Ausdauer, um meine 30 Minuten zu übertreffen?
In meinem Kopf entwickelt sich unsere kleine Wette zu einem lebenswichtigen Wettkampf, den ich unbedingt gewinnen muss. Ich glaube nicht, dass sie für Shelly dieselbe Bedeutung hat wie für mich, aber das spielt auch keine Rolle. Hauptsache, ich gewinne. In der ersten Woche nehme ich vier Kilo ab. Die Woche darauf noch mal zwei. In der vierten Woche erreiche ich endlich die 59 Kilo. Shelly wiegt noch 61 Kilo.
FEBRUAR
In dem Moment, in dem ich mich auf die Waage stelle und sich der Zeiger zum ersten Mal nicht mehr über die 60 hinweg bewegt, fühle ich mich großartig. Ich bin stolz auf mich und überglücklich. Ein richtiges Hochgefühl durchströmt mich. Ich mache ein Foto von der Anzeige der Waage. Für Shelly, als Beweis.
Shelly freut sich für mich und gönnt mir den Erfolg. Doch im Gegensatz zu mir hält sie ihr Gewicht. Ich hingegen nehme wieder zu. Denn noch am selben Tag fange ich an, mich wieder genauso zu ernähren wie vor der Wette. Zu Mittag esse ich eine große Currywurst und Pommes mit Mayonnaise und abends vor dem Fernseher mache ich eine ganze Tüte Chips leer. Ich kann mich vor Heißhungerattacken gar nicht mehr retten und habe einen Fressanfall nach dem anderen. Ich habe das Bedürfnis, all das, was mir an Nahrungsaufnahme in den letzten Wochen gefehlt hat, nun nachzuholen.
Mit Louise, meiner besten Freundin, fahre ich oft zu McDonald’s, wenn wir mal wieder eine Freistunde in der Schule haben. Auch dort kann ich mich mit dem Essen nicht bremsen und selten belasse ich es bei einer einzigen Bestellung. Es schmeckt einfach zu köstlich und weil wir so viel Spaß zusammen haben, denke ich auch gar nicht groß darüber nach, wie viel Nahrung ich dort in kürzester Zeit zu mir nehme. Warum sollte ich mir auch Gedanken darüber machen, wenn ich so glücklich bin? Ich lasse mir den Spaß doch nicht von blöden Kalorien verderben!
Einmal fahren wir nachmittags in die Stadt und probieren alles an Klamotten an, was wir in den Läden so aufgabeln können. In den Umkleidekabinen machen wir dann Fotos von uns: mit Sommerkleidern, hohen Schuhen, eleganten Röcken und Hüten. Später sitzen wir bei Subway und essen mal wieder gemeinsam, während wir uns die Fotos aus den Umkleiden auf meiner Kamera anschauen. Auf den Fotos sehe ich auf einmal, dass ich ganz schön kräftig neben Louise aussehe. Meine Arme sind irgendwie dicker als ihre und auch meine Hüften sind viel breiter. Aber ganz so schlimm finde ich das nicht. Die gute Laune, die mir unser gemeinsamer Tag beschert hat, lasse ich mir durch so ein paar Fotos bestimmt nicht verderben!
*
Es dauert nicht lange, bis ich die acht Kilo, die ich mir so eisern runtergehungert hatte, wieder drauf habe. Ich nehme sogar noch ein Kilo mehr zu, als ich durch die Wette abgenommen hatte, und wiege bereits einen Monat nach meinem Erfolg 68 Kilo.
Ich selbst bekomme gar nicht mit, wie schnell ich wieder zum Moppelchen werde. Erst als ich höre, wie Shellys Mutter zu meiner Mama sagt: »Laura ist aber wieder ganz schön dick geworden«, legt sich bei mir ein Schalter um und ich begreife, dass ich alles, was ich durch die Wette erreicht hatte, bereits wieder verloren habe. Diese Erkenntnis tut weh. Ich muss etwas ändern, beschließe ich, und starte erneut einen Versuch abzunehmen.
Rückblick von Lauras Freundin Shelly
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie motiviert wir damals waren, als wir beschlossen, gemeinsam abzunehmen. Laura und ich haben etwa drei Mal die Woche im Fitnessstudio trainiert. Ich bin gern mit Lau trainieren gegangen, weil sie dieselben Ziele verfolgt hat wie ich. Wir wollten beide abnehmen, gut aussehen, uns in unserem Körper wohlfühlen. Und wir haben uns gegenseitig angespornt: Oft redeten wir darüber, wie viel wir noch abnehmen wollten, wie viel wir am Tag aßen oder bei welchem Gewicht unser Ziel lag. Über einen langen Zeitraum hinweg ging das auch alles gut. Keine von uns beiden trieb es zu weit und es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
Bis wir eines Tages auf die Idee kamen, eine Wette abzuschließen: Wer von uns beiden würde wohl als Erste die Zahl 59 auf der Waage sehen?
Nach Absprache dieser Wette war ich supermotiviert, denn in der Regel kann ich meine Ziele besser erreichen, wenn etwas Druck dahintersteckt. Ich wollte das vereinbarte Gewicht erreichen, und zwar schneller als Laura.
Ich konnte nicht ahnen, dass diese Wette in einer Katastrophe enden würde. Ich habe weniger gegessen, mehr Sport gemacht, aber irgendwie bin ich doch immer wieder rückfällig geworden, was das Essen betrifft – denn ich liebe Süßigkeiten! Und im Endeffekt zeigte mir das doch nur, dass mein Verhalten noch gesund war.
Auch in Bezug auf Laura dachte ich mir nichts bei der Wette. Ich war mir sicher, dass sie ihre Grenzen kennt. Nicht einmal ansatzweise habe ich daran gedacht, dass unsere Wette der Beginn einer solchen Geschichte sein könnte, denn auch Laura hat immer gern gegessen.
Irgendwie war ich sogar der Überzeugung, dass wir es im Endeffekt beide nicht schaffen und irgendwann darüber lachen würden, so eine dämliche Wette abgeschlossen zu haben. Dämlich finde ich die Wette zwar mittlerweile wirklich, darüber lachen kann ich jedoch nicht.
Laura war die Erste, die es von uns beiden schaffte. Als sie daraufhin aber wieder zunahm, schmunzelte ich zunächst, denn ich hatte mir ja schon gedacht, dass wir beide es auf Dauer nicht aushalten würden, weniger zu essen.
MÄRZ
Meine Stiefgroßeltern feiern Goldene Hochzeit und laden uns zum Brunch in ein teures Restaurant ein. Ich nehme mir vor, noch ein letztes Mal das zu machen, was ich am liebsten tue: richtig viel essen. Ein allerletztes Mal.
Auf der Hochzeit verdrücke ich zwei oder drei Brötchen mit Butter und Käse, einen Teller voll Erdbeeren, leckere Eiscreme und ein großes Stück Kuchen. Dann ist Schluss, ein für alle Mal. Nach dem Brunch esse ich den ganzen Tag nichts mehr.
Es muss dringend mehr Kontrolle in mein Leben, das steht fest.
Zu Hause zeichne ich ein großes Diagramm in meinen Block, in das ich von nun an jeden Morgen mein Gewicht eintragen will. Auf der Gewichtsachse notiere ich zusätzlich den Body-Mass-Index, den ich mit dem jeweiligen Gewicht habe.
Den ersten Punkt mache ich bei 68 Kilo, so viel wiege ich. Bei 62 male ich eine grüne Linie über das ganze Blatt. Da will ich hin! Wenn ich das schaffe, bin ich erst mal zufrieden. Auf der Seite dahinter fertige ich eine Tabelle an, die zu meinem neuen Esstagebuch werden soll. Von nun an will ich alles, was ich tagsüber esse, mit Kalorienangaben notieren.
*
Dieses Mal geht alles noch viel schneller. Meine Gedanken kreisen mehr und mehr um das Thema Abnehmen und ich kann es kaum erwarten, meine neue Traumfigur zu erlangen. Von einem auf den anderen Tag wechsle ich wieder vom Fressen zum Hungern. Ich rede mir ein, keine Zeit mehr zu haben, um die Sache langsam anzugehen. Ich will Erfolge sehen, und zwar schnell!
Die Eiweißshakes haben mein Vertrauen verloren, nachdem die letzte Diät gescheitert ist, also muss ich mir neue Methoden überlegen, die mir zum Erfolg verhelfen. Zum ersten Mal untersuche ich die Nährwerttabellen auf den Verpackungen der Lebensmittel genauer, für die ich mich früher nie interessiert habe. Dadurch entwickle ich langsam ein Gefühl dafür, welches Essen gut und welches eher schlecht für die Figur ist. Süßigkeiten kann ich ja sowieso schon mal von meiner Einkaufsliste streichen. Getränke mit Kalorien sind auch gefährlich, stelle ich bei meinen Untersuchungen der Kalorienangaben fest: Ein Glas Orangensaft hat schon so viele Kalorien wie eine Scheibe Brot! Säfte sind von nun an also auch tabu. Obst und Gemüse hingegen kann ich ohne schlechtes Gewissen essen, das hat alles nicht viele Kalorien und kaum Fett. Auch Knäckebrot und Reiswaffeln eignen sich super zum Abnehmen. Davon wird man einigermaßen satt, obwohl man kaum etwas zu sich nimmt.
Für die nächsten zwei Wochen nehme ich mir vor, an keinem Tag über 800 Kalorien zu kommen. Damit ich auch ganz sicher sein kann, wie viele Kalorien ich zu mir nehme, wiege ich alle Lebensmittel ab und berechne anhand der 100-Gramm-Kalorienangabe auf dem jeweiligen Produkt den Kaloriengehalt der Portion.
Ich wiege unbeschmierte Toastscheiben ab, da ich den Angaben auf der Verpackung nicht traue. Nachdem ich den Toast mit einer dünnen Schicht Diät-Marmelade bestrichen habe, wiege ich ihn erneut und errechne anhand der Gewichtsdifferenz die Kalorien der Marmeladenportion.
Auch bei Bananen und Äpfeln wiege ich vor dem Essen die ganze Frucht und danach die übrig gebliebene Schale beziehungsweise das Kerngehäuse, um mir über das Gewicht der tatsächlich verzehrten Menge ganz sicher sein zu können.
An einem Tag frühstücke ich zum Beispiel vier Scheiben Knäckebrot (100 Kalorien) mit Marmelade (40 Kalorien), zu Mittag gibt es eine Instantsuppe (45 Kalorien), zum Abendbrot noch mal drei Scheiben Knäckebrot (75 Kalorien) mit je zwei dünnen Putenbrustscheiben (45 Kalorien), natürlich ohne Butter, und zwischendurch noch zwei Äpfel (140 Kalorien). Macht zusammen 445 Kalorien. Ich bleibe also weit unter den 800 Kalorien, die ich mir als Obergrenze gesetzt habe. Von den 2.000 Kalorien, die mir als Frau am Tag eigentlich zustehen, nehme ich nicht einmal ein Viertel zu mir.
Zusätzlich mache ich viel Sport. Mindestens drei Mal in der Woche gehe ich ins Fitnessstudio oder joggen, wenn ich es einrichten kann, noch öfter. Mit dieser Methode schaffe ich es, in weniger als zwei Wochen wieder sechs Kilo abzunehmen. Ich wiege 62 Kilo und habe die grüne Linie auf meinem Gewichtsdiagramm erreicht. Doch ich bin alles andere als zufrieden damit und stecke noch voller Motivation, meine Diät fortzuführen, schließlich habe ich bei Shellys und meiner Wette ein noch viel niedrigeres Gewicht erreicht. Ich zeichne also ein Stück tiefer noch eine zweite Linie in mein Gewichtsdiagramm. Die 60 soll es jetzt sein. Mit 60 Kilo sehe ich bestimmt schön schlank aus. Auf mein neues Gewicht freue ich mich jetzt schon.
Rückblick von Lauras Freundin Shelly
Eines Tages, als wir mal wieder verabredet waren, wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, was unsere Wette, die uns so unbedenklich vorgekommen war, angerichtet hatte. Nicht an Lauras Körper, sondern in ihrem Kopf.
Sie erzählte mir freudestrahlend, dass sie jetzt eine sogenannte Model-Diät mache, bei der sie am Tag nur 200 Gramm Magerquark und ein Ei zu sich nehme. Das hielt ich nicht mehr für normal.
Ich spürte, wie sie sich für ihren Traumkörper abquälte, wie viel sie aufgab, nur um dünn zu sein. Ich kann die Gedanken nicht beschreiben, die mir durch den Kopf gingen, als ich die Worte »Model« und »Magerquark« aus ihrem Mund hörte. Von diesem Zeitpunkt an war mir klar, dass sich was ändern musste. Aber keiner, dem ich von meinen Bedenken erzählte, glaubte mir – denn ihr Gewicht war ja noch normal.
Dass diese Krankheit meist im Kopf beginnt, wollte damals noch niemand wahrhaben. Laura nahm immer mehr ab und veränderte sich, nicht nur körperlich. Sie war plötzlich nicht mehr die fröhliche Lau, die ich seit zehn Jahren kannte, mit der ich Quatsch machen konnte bis zum Umfallen.
Es begann ein großer Kampf, mit dem keiner gerechnet hatte, nicht bei Laura, die sonst immer ein so glücklicher Mensch gewesen war.
ANFANG APRIL
Im Internet stoße ich auf die Regenbogendiät. Bei dieser Diät darf man eine Woche lang jeden Tag nur Obst und Gemüse einer bestimmten Farbe und in vorgeschriebener Menge essen. Die Regeln der Diät sind streng, aber sie versprechen Erfolg, und genau das will ich, also führe ich sie durch.
Am Montag teile ich mir einen einzigen Apfel für Frühstück und Mittagessen ein, zum Abendbrot esse ich eine Gurke. Dienstag gibt es zwei Bananen und einen halben Maiskolben. Am Mittwoch darf ich gar nichts essen und der Donnerstag hält eine Orange und eine Karotte für mich bereit. Wie die anderen Tage dieser Diät aussehen, kann man sich nun ungefähr vorstellen. Insgesamt nehme ich während der ganzen Woche keine 600 Kalorien zu mir, und das während der Schulzeit, in der ich immer besonders starken Hunger verspüre. Doch ich denke an den Satz, den Kate Moss einst gesagt hat: »Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt.« Diesen Satz rufe ich mir zur Motivation immer wieder ins Gedächtnis, bis ich ihn bald selbst glaube.
Bei meiner Diät darf natürlich auch das Sportprogramm nicht fehlen, und so nutze ich jede Gelegenheit, um mich in Bewegung zu halten. Normale Verabredungen mit Freunden sind nicht mehr möglich, denn vom Rumsitzen und Essen wird man ja fett.
Jenny, eine sehr gute Freundin von mir, kann sich zu meinem Glück ziemlich für sportliche Aktivitäten begeistern, darum nutze ich unsere Treffen, um gemeinsam mit ihr Kalorien abzutrainieren.
In der Woche, in der ich die Regenbogendiät mache, legen wir eine weite Strecke mit unseren Inlinern zurück. Beim Skaten erzähle ich ihr von der Diät, die ich gerade mache.
»Ist das dein Ernst?«, fragt sie mich erschrocken.
»Ja. Warum denn nicht? So nehme ich endlich mal ein bisschen ab, und das Ganze geht ja auch nur eine Woche.«
Mein Entschluss steht fest: Ich werde diese Diät bis zum Ende durchhalten und mich von niemandem davon abbringen lassen!
»Aber ist das nicht wahnsinnig gefährlich, so wenig zu essen?« Jenny schaut mich ganz entsetzt an. »Du kannst dich doch dann gar nicht mehr richtig auf die Schule konzentrieren!«
»Ach, das bekomme ich schon hin«, versuche ich, die Bedenken meiner besorgten Freundin zu zerstreuen.
Es ist anstrengend, ständig gegen alle anreden zu müssen, die nicht verstehen wollen, dass ich unbedingt ein paar Kilo verlieren muss. Dabei ist es doch offensichtlich!
»Ich finde das nicht gut, Lauri …«
Ich weiche Jennys Blick aus, mir fehlen die Worte. Es hat überhaupt keinen Sinn, irgendjemandem zu erklären, warum ich so dringend abnehmen will. Verdammt! Warum sieht es denn keiner? Überall ist Fett: auf meinen Hüften, an meinen Beinen – sogar meine Arme sind überdimensional!
Als wir unsere Inlinertour beendet haben, gehe ich noch mit zu Jenny nach Hause. In einer halben Stunde will ihr Freund Tim vorbeikommen und während wir auf ihn warten, darf ich mir immer wieder Jennys Bitten anhören, ich möge doch mit dem Hungern aufhören.
Ich spiele die Situation herunter. So schlimm sei es ja alles gar nicht. Sie habe da wohl was falsch verstanden. Natürlich äße ich noch jeden Abend gemeinsam mit meinen Eltern zu Abend, denn eine richtige Mahlzeit am Tag sei wichtig für mich. Meine Lügen sind so gut, ich glaube sie mir fast schon selbst.
Die Türklingel läutet und Tim gesellt sich zu uns.
»Ich habe einen Bärenhunger!«, sagt er. »Was haltet ihr von Burger King?«
Begeisterung. Nur bei mir nicht. Aber ich halte den Mund.
Zehn Minuten später sitzen wir dann also tatsächlich in dem Fast-Food-Restaurant. Der fettige Geruch, der im Raum hängt, widert mich fürchterlich an. Jenny und Tim stellen sich an der Schlange an, während ich mich schon mal hinsetze und einen Tisch für uns freihalte.
»Willst du denn gar nichts?«, fragt mich Tim, als er mit seinem Tablett neben mir Platz nimmt.
»Nein, ich habe irgendwie gar keinen Hunger.«
»Das glaube ich dir nicht! Guck mal, auf so leckere Pommes kann doch niemand freiwillig verzichten!« Er fuchtelt mir mit einer wabbeligen Pommes vor der Nase rum.
»Du darfst gern welche von mir abhaben, bedien dich!«, lädt er mich zum Mitessen ein.
Doch ich bleibe stark. Nicht eine einzige Pommes wandert an diesem Tag über meine Lippen.
Am Ende der Woche hat mir die Regenbogendiät einen Gewichtsverlust von 3,5 Kilo eingebracht. Als ich das Ergebnis auf der Waage sehe, spüre ich erneut ein unglaubliches Hochgefühl: 58,5 Kilo wiege ich jetzt, weniger als nach Shellys und meiner Wette! Abnehmen macht Spaß, denke ich, und nehme mir vor, noch ein kleines bisschen mehr Gewicht zu verlieren.
*
Die Osterferien beginnen und ich habe Lust, in meiner freien Zeit mal wieder ein gutes Buch zu lesen. Eins über Magersucht soll es sein, denn nichts interessiert mich mehr als dieses Thema. So ein Buch wird mich sicher noch mehr dazu anregen, abzunehmen, und vielleicht entdecke ich darin ja auch noch ein paar ganz hilfreiche Tipps, wie man seine Pfunde am schnellsten loswird. Ich habe schon mal ein Buch von einer Freundin gelesen, in dem es ebenfalls um Magersucht ging, aber das ist ewig her und damals interessierte mich das Thema auch nur beiläufig. Mit meiner neuen Lektüre setze ich mich in den Garten und beginne zu lesen. Die Frühlingssonne ist schon kräftiger geworden und wärmt meinen ganzen Körper. Von der Geschichte bin ich so gefesselt, dass ich alles andere um mich herum vergesse. Die magersüchtige Protagonistin beeindruckt mich, und ich spüre den Wunsch, genauso diszipliniert zu sein wie sie. Die Schattenseiten der Krankheit, die in dem Buch erwähnt werden, lassen mich kalt.
Gleich am nächsten Tag sortiere ich alle Süßigkeiten aus, die sich in meinem Schrank angesammelt haben. Oma Herti gibt mir jedes Mal, wenn ich bei ihr zu Besuch bin, Schokolade, Kekse oder Weingummis mit. In den letzten Wochen habe ich ihre Geschenke allerdings nicht mehr angerührt und direkt im Schrank verstaut.
Ich schenke die Süßigkeiten meiner Mutter, die sich darüber freut. Und auch ich freue mich, weil ich diese fiesen Dickmacher endlich los bin.
Mein nächster Weg führt in den Supermarkt. Minutenlang schleiche ich um die Regale herum und schaue mir die Nährwerttabellen von allen Lebensmitteln an, die gut für meine Diät sein könnten. Doch ich stelle schnell fest: Da gibt es nicht mehr viel für mich. An diesem Tag verlasse ich den Supermarkt deswegen nur mit einer Packung Magerquark. Der hat 69 Kalorien auf 100 Gramm, das ist in Ordnung und sollte für die Mittagsmahlzeiten der nächsten Tage reichen.
*
Mama und mein Stiefvater Michi, der auch bei uns wohnt, wissen, dass ich eine Diät mache, um mein Gewicht etwas zu reduzieren. Dass meine Diät aber so ins Extreme ausgeartet ist, davon haben sie bisher nichts mitbekommen. Jetzt, wo ich zum Mittag nur noch Magerquark zu mir nehme, beginnen sie allerdings zu ahnen, dass da etwas schiefläuft.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein, immer nur diesen Magerquark zu Mittag zu essen!«, muss ich mir von meinem Stiefvater anhören, und gleich im nächsten Moment: »Übertreib es bitte nicht, Laura. Du hast doch jetzt schon mehr als genug abgenommen!«, von meiner Mutter.
Auch Oma Herti, die mich eigentlich nur zwei Mal in der Woche sieht, bemerkt mein verändertes Essverhalten. In der Vergangenheit habe ich sie immer gern besucht. Bei ihr gibt es das köstlichste Essen und jedes Mal darf ich davon so viel essen, wie ich will. Oma Herti hat nie zu mir gesagt: »Jetzt hast du aber genug gegessen. Wenn du so weitermachst, wirst du noch dick.«
In meinen Freistunden habe ich sie deswegen häufig besucht und jedes Mal locker fünf Toastbrote mit Butter und dicken Salamischeiben oder fettigem Käse weggefuttert – einfach so, zwischen Frühstück und Mittagessen. Da fällt es meiner Oma jetzt nicht sehr schwer, den Unterschied festzustellen, als ich ihr Angebot zum Toastbrotessen zwischendurch auf einmal dankend ablehne.
Als ich eines Tages gerade nach Hause komme, bekomme ich zufällig ein Telefonat zwischen meiner Mutter und Oma Herti mit. »… Ja, das ist wirklich nicht gesund. Wenn sie so weitermacht, dann gibt es bald Ärger«, höre ich meine Mutter sagen.
Ich bin erschrocken, dass sich alle so schnell Sorgen um mich machen. Ich bin doch gerade mal seit ein paar Wochen auf Diät und noch nicht mal richtig dünn. Von nun an, beschließe ich, werde ich niemanden mehr in mein Vorhaben einweihen und einfach heimlich weiter abnehmen.
*
Ich ernähre mich immer noch so kalorienarm wie möglich, doch an meinem Gewicht ändert sich kaum was. Ich halte mich seit den letzten Tagen bei 59,5 Kilo auf, weil ich sofort nach der Regenbogendiät wieder ein Kilo zugenommen habe. Dabei will ich noch viel weiter runter. Ich richte also einmal in der Woche einen sogenannten Refeed Day ein: Das ist ein Tag, an dem man seine Kalorienzufuhr während einer Diät kurzfristig verdoppelt, um den Stoffwechsel wieder auf Trab zu bringen. Dadurch soll verhindert werden, dass sich der Körper an die niedrige Energiezufuhr anpasst und den täglichen Grundumsatz an Kalorien senkt. Man nimmt also danach wieder schneller ab.
Obwohl es mir schwerfällt, wieder mehr zu essen, schaffe ich an diesem Tag um die 1.000 Kalorien, und siehe da: Mein Körper ist in den nächsten Tagen tatsächlich wieder in der Lage, Gewicht zu verlieren.
Noch in der ersten Osterferienwoche zeigt mir die Waage wieder 59 Kilo an. Ein großes Triumphgefühl breitet sich in mir aus. Dass es mit meiner Gewichtsabnahme doch weiter vorangeht, beflügelt mich geradezu. Ich hatte zwar nie vor, weniger als 59 Kilo zu wiegen, aber es läuft gerade alles so gut und warum sollte ich mich wieder dem Essen hingeben, wenn ich doch gerade so motiviert bin, nichts zu essen? Ein paar Kilo weniger würden mir auch nicht schaden. Man kann ja nie wissen, wann der nächste Fressanfall kommt, und dann ist es doch gut, wenn man schon mal vorgesorgt hat.
*
Im Laufe der Ferien bemerke ich langsam die ersten Warnsignale meines Körpers. Obwohl die Tage zunehmend wärmer und sonniger werden, ist mir ständig kalt. Ich kann mich mitten in die Sonne legen, mir Jacken über meine Frühlingsoutfits ziehen oder heißen Tee trinken, aber die Kälte in mir will einfach nicht weichen. Jeden Abend fülle ich mir eine Wärmflasche mit kochendem Wasser auf, damit ich vor lauter Frösteln überhaupt einschlafen kann. Mein Körper hat keine Kraft mehr, um sich selbst aufzuwärmen. Er braucht die Energie für andere, lebenswichtige Funktionen.
Auch aufzustehen, ohne dass mir danach schwindlig wird, ist nicht mehr möglich. Wenn ich längere Zeit auf einem Stuhl sitze und danach wieder aufstehen will, muss ich mich erst mal an ihm festhalten und warten, bis die Schwärze vor meinen Augen wieder verschwindet. Ich komme mir dabei jedes Mal so vor wie eine alte Frau. Und auch meine Nächte werden immer kürzer. Eine Nacht, in der ich durchschlafe, gibt es nicht mehr. Jede Nacht aufs Neue sucht mich der Hunger heim.
Ich esse tagsüber immer weniger und werde mit der Zeit ziemlich erfinderisch, was die Wahl meiner Lebensmittel betrifft. An einem Tag teile ich mir ein einziges Glas Baby-Grießbrei (136 Kalorien) so ein, dass es für Frühstück und Abendbrot reicht, zu Mittag esse ich zwei Teller Möhrensuppe (108 Kalorien). Am nächsten reduziere ich meine Nahrung erneut und nehme über den Tag verteilt nur noch ein Glas Babybrei aus pürierten Früchten (110 Kalorien) zu mir. Danach liege ich stundenlang wach und will dem Hunger nicht nachgeben. Ich kann vor lauter Hunger aber auch nicht mehr einschlafen, und so schleichen sich Nacht für Nacht quälende Gedanken in meinen Kopf.
Wie werde ich den nächsten Tag rumkriegen, ohne etwas zu essen? Wie soll ich die kommenden Wochen meistern, ohne wieder zuzunehmen? Was antworte ich, wenn mich jemand fragt, weshalb ich nur noch so wenig esse?
Die Tage verbringe ich damit, mich mit meiner letzten Kraft zu bewegen, um noch mehr Kalorien zu verbrennen. Es gibt kaum einen Tag, an dem ich mich nicht aufs Fahrrad schwinge, durch den Wald jogge oder einen Kurs im Fitnessstudio besuche.
Rückblick von Lauras Mutter
Eigentlich hätte ich Laura gar nicht mehr zum Sport lassen dürfen. Sie ging kraftlos und auf klapprigen Beinen noch fast jeden Tag joggen oder fuhr mit dem Rad durch zentimeterhohen Schnee ins Fitnessstudio. Aber ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nicht, wie schwach meine Tochter schon war und wie häufig ihr schwarz vor Augen wurde.
ENDE APRIL
In der zweiten Woche der Osterferien liegt ein einwöchiger Urlaub auf der Baleareninsel Mallorca vor mir. Zusammen mit meiner Mutter, meinem Stiefvater Michi und der jüngeren meiner zwei Stiefschwestern, Maddi, fliege ich über die Ostertage dorthin. Aileen, meine ältere Stiefschwester, kommt zum ersten Mal nicht mit uns mit, weil sie mit einer Freundin zusammen Urlaub macht.
Meine eineinhalb Eltern haben ein Hotel mit All-inclusive-Verpflegung gebucht, was ein riesengroßer Albtraum für mich ist. Ich habe eine riesige Angst davor, im Urlaub die Kontrolle über das Essen zu verlieren. Während der ohnehin schon schlaflosen Nächte in meinem Bett zerbreche ich mir jetzt also auch noch den Kopf darüber, wie ich den anstehenden Urlaub überstehen soll, ohne die verlorenen Kilos wieder zuzunehmen.
Bin ich schon so stark, dass ich dem verführerischen Büfett widerstehen kann? Und was, wenn nicht? Wie viel würde ich wohl in dieser einen Woche zunehmen? Und wie lange würde es danach dauern, das alles wieder runterzubekommen?
Ich überlege jetzt schon, was es bei so einem Büfett alles geben könnte, und recherchiere von allem, was mir einfällt, die Kalorien- und Fettangaben im Internet. Die Angaben schreibe ich auf eine Liste, um auch im Urlaub die Kontrolle über meine Kalorienaufnahme zu behalten.
Am Tag vor der Abreise werde ich auf einmal von einem Gefühl der Resignation überfallen. Egal, denke ich. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich im Urlaub sowieso wieder zunehmen werde, also kann ich doch auch gleich wieder mit dem Essen beginnen. Ich fange damit an, dass ich die Cornflakes-Packung, die ich noch im Schrank finde, leer esse. Am selben Tag bin ich auch noch auf den Geburtstag von Louise zum Kuchenessen eingeladen. Was soll’s, rede ich mir ein, jetzt ist sowieso alles egal. Ich habe ja schon längst wieder aufgegeben. Und so esse ich an diesem Tag noch vier Stück Kuchen und gehe am Abend mit schmerzendem Magen und schlechtem Gewissen schlafen.
*
Im Urlaub kommt dann doch alles anders als erwartet. Den ersten Tag nehme ich mir noch vor, wie ein normaler Mensch zu essen und mich über das Büfett zu freuen. Doch nach dem Abendbrot plagen mich erneut schlimme Magenschmerzen. Ich bin einfach nicht mehr an so viel Nahrung gewöhnt. Was für andere normal ist, verursacht bei mir Krämpfe im Bauch. Darum führe ich meine Diät ab dem zweiten Tag auf Mallorca fort. Ich habe ja nichts zu verlieren außer Kilos, und das ist ein Gewinn für mich.
Ich gehe von nun an Morgen für Morgen zu der Ecke des Büffets, die mit diätetischen Lebensmitteln eingedeckt ist, und hole mir eine Schale Vollkornflakes zum Frühstück. Die haben fast kein Fett, ich befinde mich also auf der sicheren Seite. Ich esse sie natürlich trocken. Cornflakes und Milch zusammen, nein, das geht nicht, das ist zu viel. Das würde ja alle Maßstäbe sprengen!