Leere Fülle Gegenwart - Christian Tröster - E-Book

Leere Fülle Gegenwart E-Book

Christian Tröster

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Beschreibung

Die Frage: 'Wer bin ich?' wurde von christlichen spirituellen Lehrern wie Franz Jalics SJ und Martin Laird OSA ans Ende des kontemplativen Weges gestellt. Es ist zugleich die 'Heilige Frage' aus dem indischen Advaita. Christian Tröster versucht in diesem Buch die Kontemplation mit Elementen der Advaita-Tradition zu verbinden und so Wege zur Erfahrung des allumfassend Einen zu eröffnen.

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Seitenzahl: 92

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Einführung

Spiritualität und Psychologie

Die Hinwendung zum Bewusstsein

Die Praxis

Am Ende anfangen oder: Wer bin ich?

Der Körper oder: Wo ist Innen?

Das Relative und das Absolute

Die Kontemplation und das übrige Leben

Zusammenfassung

Nicht-Praxis

Literatur

Einführung

„Wenn du es verstanden hast, ist es nicht Gott.“

Augustinus

Lange habe ich überlegt, wie wohl der Titel dieses kleine Büchleins lauten sollte. Vielleicht hilft der Verweis auf die erste Idee: „Kontemplation vertiefen.“ So hieß der Arbeitstitel und er benannte zugleich auch den Impuls, dieses Buch überhaupt zu wagen. Mit diesem Titel wäre zunächst gesagt, dass das, was ich vermitteln möchte, nicht als „Einführung in die Meditation“ gedacht ist, es richtet sich an Menschen, die womöglich schon über Erfahrungen mit dem kontemplativen Gebet oder anderen Meditationspraktiken verfügen. Die Idee dazu, vielleicht auch die Notwendigkeit, meine Gedanken schriftlich zu formulieren ergab sich aus meinen Erfahrungen in Kontemplativen Exerzitien, aus der Erfahrung eines gewissen Stillstands auf dem eigenen Weg sowie Erkundungen anderer spiritueller Praktiken. Schließlich fand all das für mich in einer Synthese zusammen. Einige Retreats, die ich selber mit dem Titel „Kontemplation vertiefen“ veranstaltet habe, zeigten mir, dass ich mit dem Gespür für diese Möglichkeit nicht alleine bin. Ich bin vielfach dem Wunsch begegnet, für die Praxis der Kontemplation andere Aspekte zu beleuchten, als es die Kontemplativen Exerzitien tun – und dabei doch die Exerzitien als Bezugspunkt und gemeinsamen Grund zu würdigen.

In diesem Büchlein sollen keine Sach- und Fachinformation erwartet werden, wenngleich ich mich bemühe, einige Aspekte der Kontemplation so zu präzisieren, dass dadurch eine vertiefte Sammlung möglich wird. Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass Sprechen über Kontemplation, über Stille, Bewusstsein und das Selbst, etwas Unabgeschlossenes hat. Es gibt keine letzten Antworten, die wir mit einem „Jetzt ist die Sache klar" quittieren dürften – so eine Formulierung von Karl Rahner.1 Immer wieder hat er deshalb vom „unbegreiflichen Geheimnis Gottes“ gesprochen. Auch in der Kontemplation beziehen wir uns darauf. Und doch müssen wir darüber sprechen. „Die Worte sind lediglich ein Katalysator der wahren Formulierung, die im Leser stattfindet“, las ich einmal zum Werk des von mir verehrten spirituellen Lehrers Jean Klein2. Die Unabgeschlossenheit meiner Gedanken möchte ich im Untertitel mit dem Begriff „Anmerkungen“ kenntlich machen. Das Thema könnte in immer weiteren Facetten beleuchtet werden, und doch würde immer ein Rest an Unbegreiflichem bleiben. Seit Jahrhunderten und in vielen Kulturen haben sich schon klügere Menschen dem angenähert3, besser, gewaltiger und gewagter als ich es je könnte. Ich verneige mich vor ihnen.

Ausgangspunkt meiner Überlegungen sind, wie schon angedeutet, die Kontemplativen Exerzitien, wie sie von Franz Jalics entwickelt wurden. Dazu das Gebet der Sammlung, das Thomas Keating und seine Weggefährten für die Gegenwart formuliert haben. Was ich im Folgenden versuche ist eine Ergänzung oder Anreicherung ihrer Anleitungen durch Mittel, die uns andere Traditionen zur Verfügung gestellt haben. Insbesondere ist dies Advaita Vedanta, die Lehre der Non-Dualität, die auf den indischen Gelehrten Shankara (788-820 n. Chr.) zurückgeht und die von zeitgenössischen Lehrern für die Gegenwart adaptiert wird. Dazu kommen Aspekte des tantrischen Buddhismus. Was diese östlichen Lehren angeht, leben wir in einer gesegneten Zeit. Uns steht heute eine Vielzahl von Quellen aus verschiedenen Weltgegenden und Traditionen zur Verfügung. Schriften, die einst als Geheimlehren deklariert waren und nur wenigen Eingeweihten zugänglich waren. All dieses Wissen ist uns heute zugänglich. Es kann zu einer klärenden Bereicherung des kontemplativen Weges beitragen.

Über meine Motivation diese Texte zu verfassen, möchte ich zu Beginn ein paar Worte verlieren. Das kontemplative Gebet hat in den letzten zwanzig Jahren in der westlichen Welt viel Interesse erfahren. Im deutschsprachigen Raum ist dies mit den Kontemplativen Exerzitien und mit dem Namen Franz Jalics SJ verbunden. Man findet mittlerweile zahlreiche und gut besuchte Kurse, die den Titel „Kontemplative Exerzitien“ tragen. Die von Franz Jalics entwickelte Didaktik des sogenannten „Grieser Wegs“ hat sich als tragfähig und kommunizierbar erwiesen. Sie führt die Meditierenden in genau definierten Schritten zu immer tieferer Sammlung. Im Einzelnen sind dies: Die Wahrnehmung der Natur, die Wahrnehmung des Atems und der Handinnenflächen. Es folgen Gebetsworte wie Ja und Maria, die innerlich gesprochen werden. Am Ende wird der Name Jesus Christus mit dem Aus- und Einatmen nach Art eines Mantras ununterbrochen innerlich wiederholt – das sogenannte Jesusgebet, das eine lange Tradition in der christlich-orthodoxen Mystik hat.

In ihrer sorgfältigen Didaktik liegt der außerordentliche Verdienst der Kontemplativen Exerzitien. Sie haben strukturelle Ähnlichkeiten mit der sogenannten Achtsamkeits- oder Vipassana-Meditation aus dem buddhistischen Bereich. Die Exerzitien wirken nicht nur in die seelische Tiefe, sondern auch in die Breite. Sie sind ein Segen für die Teilnehmer, aber vielleicht auch für die christlichen Kirchen. Parallel zur Verbreitung des kontemplativen Gebets in Europa haben in den USA Lehrer wie Thomas Keating OCSO und Cynthia Bourgeault, dazu auch der Franziskanerpater Richard Rohr, wertvolle Arbeit für eine theologische Fundierung der Kontemplation geleistet. Ihre Schriften und mehr noch die Praxis haben ein spürbares Gegengewicht zu überkommenen Formen christlicher Verkündigung sowie zur Selbstbeschäftigung kirchlicher Institutionen geschaffen. Ganz sicher hat das kontemplative Gebet auch tiefere Sehnsüchte vieler Menschen angesprochen, Sehnsüchte, die über die Aktivitäten gemeindlichen Christentums hinausgehen und die authentisches Suchen sind nach dem Geheimnis, das wir Gott nennen. Tatsächlich machen die Teilnehmer kontemplativer Retreats immer wieder tiefe spirituelle und heilsame Erfahrungen, die zu Wandlung, zu Versöhnung, mehr Liebe und innerem Frieden führen.

Nach meiner Beobachtung bleiben die Kontemplativen Exerzitien jedoch, wenn sie nicht von sehr erfahrenen Lehrern angeleitet werden, oft unter den Möglichkeiten, die in ihnen angelegt sind. Gemeint ist eine Art Verschulung, ein System der Vermittlung, das leicht zu reproduzieren ist, das zugleich aber auf einem gewissen Niveau stehen bleibt. Was in den Exerzitien-Ansprachen beim ersten, zweiten oder dritten Kurs bewegend und berührend ist, erschöpft sich bei weiterer Wiederholung. Selbstverständlich haben die Zeiten der Stille ihre eigene Kraft. Doch auch wer zum siebten oder zehnten Mal an den Exerzitien teilnimmt, und das sind nicht wenige Teilnehmer, durchläuft heute nach dem Grieser Exerzitienprogramm immer wieder die gleichen Schritte wie jene, die zum ersten Mal dabei sind. Das wäre wichtig und zwingend hört man da, leider ohne weitere Begründung. Das Gute an dieser Vorgehensweise ist, dass sie gewiss nicht schadet. Doch führt sie nicht notwendigerweise in die Tiefe, die von ihrem Begründer noch vermittelt werden konnte. Die nüchterne Wahrheit ist: Auch Exerzitien können zur Routine werden. Es werden Impulse zu den immer gleichen Themen angeboten. Hinzu kommen verpflichtende Begleitgespräche, die freundlich und positiv sind, aber oft keine weitere Wegweisung enthalten, sobald die schwereren psychologischen Themen abgearbeitet sind. Die Themen ab den sechsten Exerzitien, ich spitze bewusst zu, heißen „zu viele Gedanken während der Meditationszeit“ und „allgemeine Unruhe“ – same procedure as every year. Und nun?

An dieser Stelle öffnet sich eine Falltür, die der Kontemplation selber inhärent ist, nämlich das Diktum: „Du sollst nichts erreichen“. Franz Jalics hat diesen Punkt immer wieder betont. Doch verlieren sich die Hilfestellungen vieler seiner Nachfolger im Ungefähren, mit Hinweisen auf Gnade, die schon alles richten werde, oder auch nicht. Die schlichte Anweisung dazu heißt: Mach einfach immer weiter. Gewiss, die ausgedehnten Zeiten der Stille tun das ihre, um die Zeit auch der zwanzigsten Exerzitien zu einer positiven und immer wieder gesuchten Erfahrung zu machen. Gewiss, Geduld und die Fähigkeit zum Ausharren sind unabdingbar für die Kontemplation und Vertrauen auf die Gnade kann auch nicht schaden. Doch die vage Didaktik des „wir wiederholen immer das Gleiche“ ist nach meiner Auffassung keine ausreichende Antwort auf das Dilemma des Nicht-Erreichensollens. Erschwerend kommt hinzu, dass sie, wie so vieles im Leben, weder ganz falsch noch ganz richtig ist. Was ist Erreichenwollen an dem Wunsch, überhaupt Exerzitien zu besuchen und was davon ist echte Sehnsucht und genuines Gespür dafür, dass da irgendein Mehr hinter der psychologischen Ebene liegt?

Nun ist es nicht so, dass Franz Jalics dafür keine Antworten gehabt hätte. Sie verstecken sich auf den hinteren Seiten seines Exerzitienbuches. Sie verstecken sich auch auf den letzten Seiten seines Spätwerks „Die Geistliche Begleitung im Evangelium“. Eingedrungen in die Exerzitien seiner Nachfolger sind diese Anmerkungen nicht wirklich. Schon zu Lebzeiten von Franz Jalics waren in dem von ihm geleiteten Haus Gries immer wieder Versuche unternommen worden, erfahreneren Teilnehmern ein anderes Angebot zu machen, als den Neulingen. Doch aus Gründen, die mir nicht bekannt sind, wurden diese Ansätze nicht weiterverfolgt.

Meine Anmerkungen sollen einen Versuch darstellen, jenen, die schon mehrfach und sogar vielfach an kontemplativen Retreats teilgenommen haben, eine weitere Tür zu öffnen. Von Thomas Merton möchte ich an dieser Stelle das Bonmot entleihen, das er seiner „Christlichen Kontemplation“ vorangestellt hatte: „Wir hoffen aufrichtig“, so schreibt er, dass dieses Buch „keine Zeile enthält, die für die christliche Tradition neu wäre.“4 Eine Aussage, der ich mich für die vorliegenden Texte anschließe. Nein, es ist nicht neu, was ich darlegen möchte. Es ist altbekannt und in vielerlei Variationen schon formuliert worden – seit Jahrtausenden, um es deutlich zu sagen, und nicht nur in der christlichen Tradition. Warum aber soll man etwas Altbekanntes wiederholen? Weil ich hoffe, dass es nicht reine Wiederholung, sondern eine Neuformulierung ist, die zu Klärung im zeitgenössischen kontemplativen Kontext beiträgt. Was ich anstrebe, ist eine Präzisierung von Hinweisen, aus dem Wissen heraus, dass jede Generation eigene Zugänge finden muss. Zugänge zu dem Geheimnis, das wir Gott nennen, zum All-Einen, zum Absoluten, wie auch immer man es bezeichnen will.

Das hier formulierte, der Leser wird es schon ahnen, ist Frucht und Ausdruck meines eigenen Weges, der mich aus der Kontemplation heraus zu anderen Lehrern, zu anderen Traditionen geführt hat. Was war der Grund für meinen Reisen zu Lehrern wie Rupert Spira, Mooji, Salvadore Poe und in der Literatur immer wieder zu Jean Klein? Es war das Gefühl auch nach den zehnten oder fünfzehnten Kontemplativen Exerzitien etwas Entscheidendes nicht gesagt zu bekommen und nicht voranzukommen auf einem Weg, auf dem einem stets gesagt wird, dass genau dieser Wunsch zur Seite gelegt werden solle. Ich verstand irgendwann nicht mehr, wohin ich mich ausrichten sollte, wenn man sagte, ich solle „wieder in die Ausrichtung kommen“. Und vor allem verstand ich nicht, wo die Grenze zwischen Psychologie und Spiritualität sein sollte. Die kontemplativen Exerzitien haben eine starke Kraft, was psychologische Themen angeht. Viele Teilnehmer werden auf diesem Gebiet reich beschenkt, sie erfahren Klärung zuvor verborgener Konflikte und Ängste, auch ich durfte diese Erfahrung machen. Und doch hatte ich das Gefühl, dass die Psychologie nicht die Ebene ist, um die es in der Kontemplation gehen sollte. Schließlich reden wir hier von Gebet, nicht von Psychotherapie. Entsprechend soll es in den folgenden Texten eher um die Gebiete jenseits der Psychologie gehen.

1 Karl Rahner, Wagnis des Christen, S. 30

2 Jean Klein, Nichts als Gegenwart, S. 9

3 Z.B. Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, S. 1 - S.448

4 Thomas Merton, Christliche Kontemplation, S. 21

Über das Verhältnis von Spiritualität und Psychologie

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