Lehrberufe im Wandel der Zeit (E-Book) - Manfred Pfiffner - E-Book

Lehrberufe im Wandel der Zeit (E-Book) E-Book

Manfred Pfiffner

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Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Die Berufswelt befindet sich aufgrund digitaler und gesellschaftlicher Entwicklungen im Umbruch und Berufsfachleute sehen sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Besonders gefragte Kompetenzen sind die 4K – kritisches Denken und Problemlösen, Kommunikation, Kooperation sowie Kreativität und Innovation. Studierende des 4K-Studiengangs für Berufsschulehrpersonen der Pädagogischen Hochschule Zürich haben in Gruppenarbeiten zehn EFZ-Berufe unter die Lupe genommen. Sie beschreiben deren Entwicklung über die Jahre, den Status quo und die Herausforderungen der Zukunft.

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Manfred Pfiffner / Saskia Sterel / Stephanie Weiss

Lehrberufe im Wandel der Zeit

Herausforderungen gestern, heute und morgen

 

ISBN Print: 978-3-0355-2013-2

ISBN E-Book: 978-3-0355-2014-9

 

Beiträge von Silvan Gehrig, Jaime Oberle, Mario Sabbatella, Bernhard Herger, Markus Graf, Fabian Mangold, Petra Auer, Véronique Frauenfelder, Corinne Scheeder, Nadine Berger, Raphaël Langenstein, Kristina Potočnik, Adamo Pesenti, Lars Meyer, Susanne Aus der Au, Alexandra Honegger, Anne König, Kathrin Koch, Angela Lando, Martina Smoljo, Christian Theiler, Anatta Brändli, Gaudenz Wüthrich, Raphael Alt, Andrea Lipari, Marianne Sigrist, Markus Marti, Michael Stadelmann, Marc Auf der Maur und Fabio Lenzlinger

 

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 hep Verlag AG, Bern

 

hep-verlag.ch

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung – Lehrberufe im Wandel der Zeit

2. Informatiker/Informatikerin EFZ

2.1 Alles andere als ein Job für Nerds

2.2 Der Beruf Informatiker/Informatikerin EFZ

2.2.1 Rückblick

2.2.2 Zukunft

2.2.3 Ausbildung

3. Automobil-Mechatroniker/Automobil-Mechatronikerin EFZ

3.1 Eine Leidenschaft für Brummis

3.2 Der Beruf Automobil-Mechatroniker/Automobil-Mechatronikerin EFZ

3.2.1 Rückblick

3.2.2 Zukunft

3.2.3 Ausbildung

4. Landwirt/Landwirtin EFZ

4.1 Es braucht technisches Verständnis und Tierliebe

4.2 Der Beruf Landwirt/Landwirtin EFZ

4.2.1 Rückblick

4.2.2 Zukunft

4.2.3 Ausbildung

5. Lebensmitteltechnologe/ Lebensmitteltechnologin EFZ

5.1 Blätterteigrolle, Brot und Co.

5.2 Der Beruf Lebensmitteltechnologe/Lebensmitteltechnologin EFZ

5.2.1 Rückblick

5.2.2 Zukunft

5.2.3 Ausbildung

6. Maurer/Maurerin EFZ

6.1 Eine Grundausbildung, die viele Türen öffnet

6.2 Der Beruf Maurer/Maurerin EFZ

Maurerhandwerk im Wandel

6.2.1 Rückblick

6.2.2 Zukunft

6.2.3 Ausbildung

7. Fachmann/Fachfrau Gesundheit EFZ (FaGe) – Pflegefachmann/Pflegefachfrau HF

7.1 Der Pflegeberuf bietet etliche Möglichkeiten

7.2 Fachmann Gesundheit/Fachfrau Gesundheit EFZ

7.2.1 Rückblick

7.2.2 Zukunft

7.2.3 Ausbildung

8. Polydesigner 3D/Polydesignerin 3D EFZ

8.1 Ein Allroundberuf für Kreative

8.2 Der Beruf Polydesigner 3D/Polydesignerin 3D EFZ

8.2.1 Rückblick

8.2.2 Zukunft

8.2.3 Ausbildung

9. Koch/Köchin EFZ

9.1 Als Köchin kann ich auf der ganzen Welt arbeiten

9.2 Der Beruf Koch/Köchin EFZ

9.2.1 Rückblick

9.2.2 Zukunft

9.2.3 Ausbildung

10. Restaurantfachmann/Restaurantfachfrau EFZ

10.1 Gäste bei einem kulinarischen Erlebnis begleiten

10.2 Der Beruf Restaurantfachmann/Restaurantfachfrau EFZ

10.2.1 Rückblick

10.2.2 Zukunft

10.2.3 Ausbildung

11. Fahrradmechaniker/Fahrradmechanikerin EFZ

11.1 Faszination Mechanik

11.2 Der Beruf Fahrradmechaniker/ Fahrradmechanikerin EFZ

11.2.1 Rückblick

11.2.2 Zukunft

11.2.3 Ausbildung

12. Schlusswort – Lehrberufe im Wandel der Zeit

Literaturverzeichnis

Über die Autorinnen und den Autor

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser

Vor rund zehn Jahren begegnete ich in den Vereinigten Staaten einem erfolgreichen Bäcker. Er hatte in der Schweiz eine Berufslehre inklusive Meisterprüfung absolviert und wanderte danach in die USA aus. Inzwischen beschäftigte er in seinem Unternehmen circa hundert Angestellte und ich durfte den Betrieb besichtigen. Er produziert ein grosses Sortiment an Backwaren für mehrere eigene Verkaufsläden und Restaurants. Stolz führte er mich durch seinen Betrieb und erklärte mir die einzelnen Fertigungsschritte. Am Ende des Rundgangs fragt ich ihn, wie er seine Fachkräfte rekrutiere. Er erklärte mir, dass es ein College gebe für Backwaren und dass sein Personal in der Regel von dort komme. Da musste ich ihn selbstverständlich fragen, ob er denke, dass es einen Unterschied gebe zwischen den amerikanischen Absolventinnen und Absolventen des Backwaren-Colleges und den Schweizer Lehrabsolventen und -absolventinnen. Fachlich bestehe kein merklicher Unterschied, antwortete der Bäckermeister, aber kulturell sei der Graben gross. Ich hakte nach und er erklärte: «Wenn in der Schweiz eine Kollegin oder ein Kollege sieht, dass ein Arbeitsschritt besser, einfacher oder schneller erledigt werden kann, dann spricht man das an und das Gegenüber nimmt den Rat normalerweise problemlos an. In den USA funktioniert das nicht. Da muss eine Sitzung einberufen werden und Schritt für Schritt müssen alle zusammen zu der Überzeugung kommen, dass dieser Arbeitsschritt auch anders ausgeführt werden könnte. Alle müssen ihr Gesicht wahren können, alle müssen involviert sein.»

Dieses Beispiel zeigt für mich exemplarisch den Vorteil einer Berufslehre gegenüber einer rein schulischen Fachausbildung. In der Lehre lernt man von den erfahrenen Kolleginnen und Kollegen, nimmt Ratschläge an, beobachtet und stellt Fragen. So bauen Lernende sehr früh in ihrer Laufbahn wertvolle praktische Fähigkeiten auf, welche Absolventinnen und Absolventen rein schulischer Ausbildungen erst nach dem Berufseinstieg erwerben.

Eine Meisterlehre trägt nicht umsonst diesen Titel. Man lernt das Metier vom Meister, der Meisterin, von Experten, Expertinnen ihres Fachs – und wird schliesslich selbst zum Meister, zur Meisterin. Damit verbunden ist ein Stolz auf das eigene Handwerk, auf das eigene Können und die Fähigkeit, sich richtig einzuschätzen. Die schulischen Noten treten in den Hintergrund – das (Hand-)Werk spricht für sich.

Ich selbst habe ebenfalls eine Berufslehre absolviert. Maschinenmechaniker hiess mein Lehrberuf damals, heute entspricht das in etwa dem Polymechaniker, der Polymechanikerin. Ich hatte genug von der Schule und war heilfroh, dass ich dreieinhalb Tage die Woche in der Werkstatt verbringen konnte. Ich habe es geliebt, dass nun zu dem kognitiven Wissen aus der Berufsschule in der Werkstatt praktisches Wissen und Fertigkeiten hinzukamen. Fertigkeit, die ich nicht aus Büchern, sondern nur durch die tägliche Praxis lernen konnte. Mit sechzehn Jahren wäre ich in der Schule definitiv am falschen Platz gewesen. Deshalb bin ich überzeugt, dass die vier Jahre Lehrzeit entscheidend waren für meine persönliche Entwicklung und meinen beruflichen Erfolg. In diesen vier Jahren lernte ich, was es heisst, zuverlässig zu sein, vereinbarte Termine einzuhalten und im Team zu arbeiten. Erst viele Jahre später hörte und lernte ich dann die Theorie dazu.

Diese Werte geben wir in der Noser Gruppe auch unseren Lernenden weiter. Ich bin stolz, dass wir heute mehr als hundert Lernende aus den eigenen Betrieben und aus Partnerfirmen ausbilden. Mit Noser Young führen wir die Lehrlingsausbildung in einem Unternehmen, das sich in den letzten zehn Jahren zu einem der wichtigsten Informatikausbildnern in Zürich und Bern entwickelt hat. Die Lernenden werden bei uns nicht nur ausgebildet, sondern lernen auch, unternehmerisch zu handeln, indem sie eigene Kundenprojekte akquirieren und umsetzen.

Die Berufslehre hat nicht ausgedient – im Gegenteil. Auch heute, in der digitalisierten Welt, ist es meines Erachtens der beste Weg, sein Metier direkt vom Meister oder von der Meisterin zu lernen. Die Lehre ist nach wie vor die Ausgangslage für viele erfolgreiche Berufskarrieren. Dies zeigen auch die Beispiele von Führungskräften an der Spitze erfolgreicher Schweizer Unternehmen, die ihre Karriere auf einer Berufslehre aufgebaut haben.

Ich halte die Berufslehre für eine äusserst wichtige Institution in unserer Wirtschaft. In der Schweiz sind die Lernenden Teil des Teams, tragen zum Erfolg bei und werden ernst genommen. Denn hierzulande zählt, was du kannst, und nicht, welche Schule du besucht hast. Und gerade darauf beruht der Erfolg der Schweizer Wirtschaft.

 

Ruedi Noser, Ständerat Kanton Zürich

Alleinaktionär und Mitglied des Verwaltungsrats von Noser Management AG, Muttergesellschaft der Unternehmen der Noser Gruppe

1.Einleitung – Lehrberufe im Wandel der Zeit

Die Arbeitswelt ist in einem rasanten Wandel begriffen. Er basiert in erster Linie auf der fortschreitenden Technologisierung und Digitalisierung (Sterel, Pfiffner & Caduff 2018, S. 23). So gibt es heute Berufsausbildungen, die man vor wenigen Jahren noch gar nicht kannte, zum Beispiel Betriebsinformatiker/-in EFZ[1] (ab 2021), Carrosseriereparateur/-in EFZ[2] (ab 2021) oder Qualitätsfachfrau/-mann Mikrotechnik EFZ[3] (seit 2020). Berufsbilder verändern sich rasch, neue Berufe entstehen und traditionelle Berufe verschwinden.

Das vorliegende Buch entstand im Nachgang an die Lernaufgabe[4] «Zukunft der Berufe» im Modul «Berufspädagogik». Dieser Kompetenznachweis schreibt Kompetenzen aus den jeweiligen Handlungsfeldern für die Ausbildung von Lehrpersonen in der Berufsbildung vor (PHZH 2021). Die Aufgabe für die Studierenden, die bei dieser Aufgabenstellung in Trios arbeiteten, bestand darin, einen Beruf, der in der beruflichen Grundbildung erlernt werden kann, zu analysieren. Dies einerseits hinsichtlich der Haupttätigkeiten dieses Lehrberufs und der Veränderungen, die sich in den letzten circa zwanzig Jahren ereignet haben. Andererseits ging es darum, zwanzig Jahre in die Zukunft zu blicken und zu skizzieren, wie sich dieser Beruf möglicherweise verändern wird. Dabei sollten verschiedene Bereiche beleuchtet werden, beispielsweise wie bestimmte Arbeitsformen verschwinden beziehungsweise ersetzt und welche Abschlüsse künftig notwendig werden könnten. Ebenso sollten Analysen erfolgen, welche Handlungskompetenzen (Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen) in den Fokus rücken und welche wahrscheinlich eher in den Hintergrund treten. Zudem sollten «Gewinnerinnen und Gewinner» sowie «Verliererinnen und Verlierer» in diesem Berufsfeld beschrieben werden.

Anschliessend ging es darum, festzuhalten, was die Veränderungen im beschriebenen Ausbildungsberuf für Berufsfachschullehrperson (sowohl Berufskunde/Höhere Fachschule wie auch allgemeinbildender Unterricht) bedeuten könnte. Welchen Herausforderungen müssen sich zukünftige Berufsfachschullehrpersonen stellen? Wo fühlen sich die Studierenden bereits vorbereitet und wo sehen sie bei sich noch Kompetenzen, die aufzubauen sind?

Des Weiteren umfasste die Aufgabe im Bereich «Handlungsfeld Digitalisierung» (PHZH 2021) den Auftrag, eine Berufsbildnerin oder einen Berufsbildner respektive eine Expertin oder einen Experten aus dem gewählten Beruf zu interviewen, sie oder ihn kritisch über die «Ausbildung der Zukunft» im beschriebenen Beruf zu befragen (beispielsweise welche konkreten Ansprüche sie oder er in Zukunft an Berufslernende stellt; wo sich Ausbildungsinhalte und -methoden an Berufsfachschulen verändern müssen usw.). Das Interview musste mit einer Kamera aufgezeichnet, geschnitten und mit Vor- sowie Abspann versehen sein.

Bei der Lernaufgabe ging es also darum, sich ein Stück weit mit der Vergangenheit und der Gegenwart, aber primär intensiv mit der Zukunft eines Lehrberufs auseinanderzusetzen. In der Folge findet sich die Präsentation der zehn Lehrberufe. Einerseits wird eine Übersicht des Berufs mit seinen heutigen Ansprüchen gegeben, andererseits finden sich Annahmen, Vermutungen und Meinungen von den Studierenden sowie Expertinnen und Experten dazu, wie sich der analysierte Lehrberuf entwickeln könnte. Die Zukunft wird weisen, welche Annahmen eintreffen werden und welche nicht.

Des Weiteren wurden Lernende der vorgestellten Berufsbilder an ihrem Arbeitsort besucht, interviewt und porträtiert. Diese Lernendenporträts bilden den Einstieg in die folgenden Kapitel, gefolgt von der Auseinandersetzung mit den zehn unterschiedlichen Berufsbildern gestern, heute und morgen.

2.Informatiker/Informatikerin EFZ

2.1Alles andere als ein Job für Nerds

Ein Beruf mit vielen Möglichkeiten und Zukunftschancen. Lewin Gerber schätzt die vielen positiven Aspekte, die er als Informatiker hat. Nach der Lehre möchte er sich mit einem Fachhochschulstudium spezialisieren.

Lewin Gerber in den Büroräumlichkeiten seines Arbeitgebers Zühlke (Bild: Stephanie Weiss)

Wer die Firmenräumlichkeiten von Zühlke Engineering AG betritt, ist beeindruckt: einladende, offene Arbeitsplätze, loungige Nischen und viele Pflanzen verbreiten eine behagliche Atmosphäre. Hier können die Mitarbeitenden selbst auswählen, wo sie ihre Arbeit verrichten wollen. Lewin Gerber und sein Ausbildner Mario Sabbatella haben sich in einem ruhigen Sitzungszimmer eingerichtet, um über ihre Arbeit zu berichten.

Der 19-jährige Lewin aus Winterthur befindet sich im vierten Lehrjahr zum Informatiker EFZ Applikationsentwicklung und absolviert seit drei Monaten sein Praktikum bei Zühlke. Die ersten drei Jahre seiner Ausbildung besuchte er die Informatikmittelschule (IMS). «Man kann auch das klassische Modell wählen, bei dem man eine vierjährige Berufslehre in einem Lehrbetrieb absolviert und ein bis zwei Tage pro Woche zur Berufs- und Berufsmittelschule geht», erklärt Sabbatella.

Dieser Beruf sei für Lewin auf der Hand gelegen, weil er sich schon immer für Computer interessiert habe: «Ich habe mich früh mit Technologie auseinandergesetzt. Wenn man den Computer noch nicht so versteht, hat es auch etwas Magisches an sich. Davon ein besseres Verständnis zu gewinnen und Dinge selbst programmieren zu können waren meine Motivation für die Berufswahl.»

Seinen Arbeitstag kann er bezüglich Arbeitszeiten und Ort frei gestalten: «Grundsätzlich geht es darum, dass ich mit dem Projektteam zusammenarbeite und die geforderten Resultate liefere. Ich habe immer jemanden zur Seite, den ich um Feedback bitten kann. So bilde ich mich fortlaufend weiter.»

Die Projektvielfalt seines Arbeitgebers ist gross. Das internationale Dienstleistungsunternehmen mit rund 1400 Mitarbeitenden ist auch in Produktinnovationen involviert, wie beispielsweise das digitale Sparschwein Digipigi der Credit Suisse. Momentan arbeitet Lewin mit anderen Praktikanten an einer Webapplikation für die Verwaltung von Softwarelizenzen. «Die Arbeit an diesem internen Projekt macht mir Spass und ist eine gute Erfahrung, bei der ich viel lerne.» Es sei ein tolles Gefühl, am Ende des Tages ein selbst entwickeltes Ergebnis vorweisen zu können.

In diesem Beruf müsse man selbstständig arbeiten und Eigeninitiative zeigen, sagt Lewin. «Wenn ich im Projektteam arbeite, muss ich meine Ideen einbringen und teilen können.» Um sich den Arbeitstag selbst einzuteilen, müsse man Verantwortung übernehmen und die nötige Motivation aufbringen. «Wenn ein Problem auftaucht, kann ich nicht immer sofort nach Hilfe fragen, sondern muss versuchen, es selbst zu lösen. Diese Selbstständigkeit sagt mir aber auch zu.»

Vielfältige Arbeitsfelder

Lewin kann diesen Beruf allen empfehlen, die schon früh ein Interesse für Computer und Technologie entwickeln und kommunikativ sind. «In der Lehre kann man die Basis lernen und sich nachher spezialisieren.» Das Berufsfeld werde immer breiter, ergänzt Sabbatella. «Als Informatiker oder Informatikerin hat man etliche Möglichkeiten. Viele haben noch das veraltete Bild des nerdigen Programmierers im Kopf, der allein im Kämmerlein arbeitet. Dieser Beruf hat sich aber sehr gewandelt. Heute ist die Teamarbeit zentral.»

Dass es sich um ein Arbeitsfeld handelt, das sich rasant wandelt, schreckt Lewin nicht ab – im Gegenteil. «Wenn man in der Informatik angefangen hat, merkt man, wie viel Wissen man sich hier erarbeiten kann. Es ist ein schönes Gefühl, zu wissen, dass man nie an ein Ende gelangen wird, sondern dass es immer etwas Neues zu entdecken gibt.» Bei Zühlke sei die Palette an Projekten und Bran-chen breit, ergänzt Sabbatella. «Jedes neue Projekt ist fast wie ein Jobwechsel.»

«Wenn man in der Informatik angefangen hat, merkt man, wie viel Wissen man sich hier erarbeiten kann.» (LEWIN GERBER)

Lewin Gerber, Lernender Informatik EFZ Applikationsentwicklung (Bild: Stephanie Weiss)

Nach Lehrabschluss will sich Lewin mit einem Fachhochschulstudium weiter spezialisieren. «Mich interessieren Data Science oder Machine Learning, also Bereiche, in denen man mit Daten arbeitet.» Zühlke hat grosses Interesse daran, Praktikantinnen und Praktikanten weiter zu beschäftigen, berichtet Sabbatella. Viele von ihnen absolvieren nach Lehrabschluss ein Studium. «Nach dem Bachelorstudium kann man auch in spannenden Bereichen rund um die Softwareentwicklung arbeiten, wie beispielsweise Cyber Security, Data Science, Artificial Intelligence und vielen anderen.»

Trotz den vielen Vorzügen dieses Berufs entscheiden sich kaum Frauen für diese Ausbildung. «Pro Klasse haben wir höchstens eine bis zwei Frauen», berichtet Sabbatella, der an der IMS Rapperswil unterrichtet. «Wir würden das gerne fördern, aber vielleicht wirkt das alte Nerd-Image auf Frauen immer noch abschreckend. Das ist schade.» Einer Informatikerin oder einem Informatiker mit Bachelorabschluss stehen viele Türen offen. «Man muss nicht das ganze Leben lang Software programmieren, sondern kann als Projektleiterin, Business Analyst, Softwarearchitekt, Coach oder Trainerin arbeiten – es gibt unzählige Varianten.» Zudem kann dieser Beruf auch von zu Hause aus oder in Teilzeit ausgeübt werden. Last but not least seien die Jobchancen und das Salär gut, schliesst Sabbatella die Liste der Pluspunkte ab, die gleichermassen für männliche sowie weibliche Engineers gelten.

2.2Der Beruf Informatiker/Informatikerin EFZ

Silvan Gehrig, Jaime Oberle, Mario Sabbatella

Lewin Gerber, Lernender Informatik EFZ Applikationsentwicklung, und sein Ausbildner Mario Sabbatella (Bild: Stephanie Weiss)

Informatikwissen erfordert Dynamik

Wer eine Ausbildung in Informatik macht, hat gute Berufsaussichten – so die allgemeine Meinung. Doch bei der ICT-Branche handelt es sich um ein äusserst dynamisches Arbeitsfeld. Für die Berufsschulen ist es schwierig, mit den rasanten Entwicklungen mitzuhalten und der Differenzierung des Informatikberufs gerecht zu werden. Wer sich im Berufsleben – und insbesondere auch im Informatikberuf – nicht ständig weiterbildet, wird den Anschluss verlieren und bei zukünftigen Stellenwechseln Mühe bekunden. Auf der anderen Seite wird der Beruf des Informatikers und der Informatikerin durch die fortschreitende technologische Entwicklung in der ICT-Branche auch in Zukunft dynamisch und spannend bleiben.

Faktenblatt Informatiker/Informatikerin EFZ

Worum es geht

Informatikerinnen und Informatiker EFZ sind Fachleute für die Erstellung und Bereitstellung von digitalen Produkten und Dienstleistungen. In der Applikationsentwicklung programmieren sie Software für verschiedene Branchen. In der Plattformentwicklung richten sie Informatiksysteme für Unternehmen ein und beheben technische Störungen.

 

Die wichtigsten Anforderungen

Team- und Kommunikationsfähigkeit

logisch-abstraktes Denkvermögen

Kreativität bei der Lösungssuche

rasche Auffassungsgabe

Freude am Lösen komplexer Aufgaben

ausgeprägte Konzentrationsfähigkeit

systematische Arbeitsweise

Geduld und Ausdauer

gute Englischkenntnisse

In der Regel erwarten die Lehrbetriebe, dass vor einer Bewerbung die Erfüllung der Voraussetzungen via Multicheck abgeklärt wird.

 

Ausbildung

Dauer der Ausbildung: 4 Jahre, 3 Jahre für Quereinsteiger und -einsteigerinnen mit Erfahrung in der Informatik

Praxisbildung: in einem Finanz-, Versicherungs-, IT-Dienstleistungs-, Kommunikations-, Industrie- oder Gewerbebetrieb oder in der Verwaltung

Schulische Bildung: An der Berufsfachschule, 1 bis 2 Tage pro Woche. Neben der klassischen Lehre gibt es in einzelnen Kantonen auch die Möglichkeit, eine 3-jährige schulische Ausbildung mit einem 1-jährigen Praktikum (in Form einer Informatikmittelschule IMS) zu besuchen.

Berufsmaturität: möglich

Abschluss: Eidg. Fähigkeitszeugnis «Informatiker/-in EFZ»

Quelle: Berufsberatung.ch

2.2.1Rückblick

Diversifizierung des Berufs

Die Berufslehre in der Informatik zählt zu den jüngsten Berufslehren in der Schweiz und wurde in ihrer heutigen Form in den Jahren 2000/2001 lanciert. Damals konnte das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) in Informatik in einer der Fachrichtungen Applikationsentwicklung, Systemtechnik oder Geräteinformatik erworben werden. In den letzten zwanzig Jahren hat sich der Beruf dynamisch weiterentwickelt und so sind bis heute aus den letzteren beiden Fachrichtungen eigene Berufsabschlüsse entstanden. Weiter kamen die Berufsabschlüsse Mediamatik und Plattformentwicklung hinzu. Somit kann man heute, verglichen mit der ursprünglichen Informatikausbildung, in den folgenden Berufen eine diversifiziertere und differenziertere Ausbildung absolvieren (vgl. ICT-Berufsbildung Schweiz o.J.):

INFORMATIKER/-IN EFZ

Fachrichtung Applikationsentwicklung

Fachrichtung Plattformentwicklung (seit 2021)

BETRIEBSINFORMATIKER/-IN EFZ (ehem. Fachrichtung Systemtechnik des EFZ für Informatik)

ICT-FACHMANN/-FACHFRAU (als 3-jährige Ausbildung, ehem. Fachrichtung des EFZ für Informatik)

MEDIAMATIKER/-IN EFZ

Die Gründe für diese Veränderungen finden sich in der Weiterentwicklung dieser Branche und den neu entstandenen Bedürfnissen. Ein Blick auf ausgeschriebene Stelleninserate zeigt, wie divers dieses Berufsbild geworden ist und wohl auch in Zukunft werden wird. Eine nicht abschliessende Übersicht der Fachrichtungen der Informatikberufe zeigt beispielsweise über vierzig Spezialisierungen auf (Talentzeit o.J.).

Die berufliche Grundbildung soll mit ihrem Angebot den Auszubildenden die Grundlagen vermitteln, um die Absolventen und Absolventinnen nach dem Abschluss produktiv in der Wirtschaft einsatzfähig zu machen. Neben einer darauffolgenden betrieblichen Spezialisierung (und den entsprechenden Risiken für die Arbeitnehmenden hierbei) ist nicht von der Hand zu weisen, dass spezialisierende Weiterbildungen oder tertiäre Ausbildungen an höheren Fachschulen und Fachhochschulen für Personen in diesem Berufsfeld potenziell notwendig werden, um die erforderliche fachliche Tiefe zu erlangen. Bestrebungen, die Berufslehre gleich mit dem Fachhochschulstudium zu verbinden, bestätigen diese Tendenzen (Schöchli 2020).

Dass die Berufsbildung in der Informatik noch gewisse Lücken aufweist und weitere Berufsabschlüsse oder Fachrichtungen notwendig werden, ist schon länger bekannt (Frey Akademie 2010). So fehlen bis heute die Grundlagen für den bereits seit Längerem existierenden Abschluss in Wirtschaftsinformatik, der an Fachhochschulen und Universitäten erworben werden kann. Ein neuer Abschluss in diese Richtung ist aktuell in Planung (ICT-Berufsbildung Schweiz o.J.).

2.2.2Zukunft

Wandel der Arbeitsformen

Ein Bedürfnis beziehungsweise eine Arbeitsform, die in den letzten Jahren immer wichtiger wurde, ist diejenige der Server-/Service-Bereitstellung. Der Betrieb von Applikationen ohne Serverdienste ist heute kaum noch verbreitet, entsprechend benötigen Applikationsentwicklerinnen immer mehr die Dienste der Plattformentwickler. Im Gegenzug sollen Plattformentwickler skalierbare und abstrahierte Dienste bereitstellen, welche die Applikationsentwicklerinnen selbstständig für ihre Entwicklungsprozesse in Betrieb nehmen können. Die daraus resultierende Schnittstelle zwischen diesen Fachrichtungen nennt sich DevOps (Development/Operations) und führt dazu, dass die beiden Fachrichtungen eigentlich näher zueinander rücken, was in der Ausbildung zum Informatiker oder zur Informatikerin zukünftig entsprechend besser abgebildet wird.

Grundsätzlich ist zu beobachten, dass der Abstraktionsgrad in beiden Fachrichtungen immer höher wird, da neue Lösungen stets auf bereits bestehenden Lösungen aufsetzen, um das Rad jeweils nicht neu erfinden zu müssen. Um diese wachsende Komplexität dennoch verwaltbar und handhabbar zu machen, müssen beide Fachrichtungen stets eine Automatisierung und Skalierbarkeit ihrer Produkte als auch deren Bereitstellung anstreben. So hat die Systemtechnik im alten Sinne von manueller Installation, Konfiguration und Bereitstellung von Serverdiensten bereits ausgedient und ist damit zu einer «Ressource» geworden. Künftig können Dienste auf Knopfdruck skalierbar in Rechenzentren hoch- und wieder heruntergefahren werden. Die Plattformentwicklung als neue Berufsgattung «programmiert» und automatisiert die benötigte Infrastruktur. Weiter ist sie beauftragt, den produktiven Betrieb der Produkte aus der Applikationsentwicklung zu gewährleisten, inklusive sämtlicher Sicherheitsaspekte. Hier hat die digitale Transformation bereits einen Beruf verändert: Aus dem Beruf Systemtechniker/-in sind die neuen Berufe Betriebsinformatiker/-in und Plattformentwickler/-in entstanden.

Auch in Zukunft werden etliche weitere Berufe entstehen, insbesondere im Bereich der Datenbewirtschaftung. In den letzten zwanzig Jahren wurden fleissig Daten gesammelt und nun gilt es, diese zu analysieren und wirtschaftlich zu nutzen. Das heisst, es wird hierfür Datenanalysten und -analystinnen in unterschiedlichsten Disziplinen und Ausprägungen brauchen.

Generell werden von Hand durchgeführte Arbeitsschritte auch in der Informatik immer weiter automatisiert werden, so zum Beispiel Installationen, Konfigurationen, Tests, Sicherheitsprüfungen oder der produktive Betrieb.

Personen, die heute diese Tätigkeiten vorwiegend manuell ausüben, werden entweder das Automatisieren dieser erlernen müssen oder in Zukunft Aufgaben erledigen, die primär in Interaktion mit anderen Menschen zu verrichten sind, so zum Beispiel Konzeption, Kreation, Entwicklung, Beratung, Support, Schulung, Beschaffung oder Integration.

2.2.3Ausbildung

Es bleibt dynamisch

Das Berufsfeld des Informatikers und der Informatikerin bleibt auch in Zukunft spannend. So wird die Dynamik der letzten zwanzig Jahre in der Informatik voraussichtlich auch in den nächsten Jahren erhalten bleiben. Heutige Ausbildungsstätten müssen also auf sämtlichen Stufen dem fortwährenden Wandel sowie den Anforderungen der Wirtschaft gerecht werden.

Pius Senn ist Fachbereichsleiter Informatik IMS am Berufs- und Weiterbildungszentrum (BWZ