Lehrbuch Sexualtherapie - Reinhard Maß - E-Book

Lehrbuch Sexualtherapie E-Book

Reinhard Maß

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Beschreibung

Das Buch nimmt eine Bestandsaufnahme der wichtigsten sexualtherapeutischen Konzepte vor und bewertet sie kritisch im Hinblick auf ihre Wirksamkeit. Die Therapieansätze werden anschaulich beschrieben und miteinander verglichen. Das Buch gibt detaillierte Empfehlungen für die Durchführung einer Sexualtherapie anhand von zahlreichen Beispielen und stellt konkrete therapeutische Interventionen vor. Mangelndes Verlangen, Vaginismus, vorzeitiger Samenerguss, Erektions- und Orgasmusstörungen gehören zu den häufigsten sexuellen Problemen. Doch welche Therapieform ist bei welcher der genannten Störungen tatsächlich erprobt und geeignet? Die Autoren geben eine Übersicht und Bewertung der im deutschsprachigen Raum bekanntesten sexualtherapeutischen Konzepte: Masters und Johnson, Helen S. Kaplan, Hamburger Modell, Syndyastische Sexual therapie, Crucible-Ansatz von David Schnarch, Systemische Sexualtherapie und Sexocorporel. Auf der Grundlage dieser Analysen schlagen sie ein sexualtherapeutisches Konzept mit Paar- und Einzelübungen vor und beschreiben hypnotherapeutische Interventions möglichkeiten. - Übersicht und Bewertung der wichtigsten Konzepte der Sexualtherapie - Konkrete Empfehlungen für die sexualtherapeutische Praxis Dieses Buch richtet sich an: - SexualtherapeutInnen, Ärztliche und Psychologische PsychotherapeutInnen - Praktische ÄrztInnen, UrologInnen, GynäkologInnen - PsychologInnen und SozialarbeiterInnen

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Reinhard Maß, Renate Bauer

Lehrbuch Sexualtherapie

Mit einem Geleitwort von Steffen Fliegel und einem Beitrag von Dirk Revenstorf und Elsbeth Freudenfeld

Impressum

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2016 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von © Ole Graf/Corbis

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94933-9

E-Book: ISBN 978-3-608-10057-0

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20342-4

Dieses E-Book entspricht der aktuellen Auflage 2016 der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Inhalt

Geleitwort von Steffen Fliegel

Kapitel 1Einführung

Kapitel 2Übersicht über die wichtigsten sexualtherapeutischen Konzepte

2.1 Das revolutionäre Konzept von Masters und Johnson

2.1.1 Vorbemerkungen

2.1.2 Beschreibung

2.1.3 Diskussion

2.2 Die neue Sexualtherapie von H. S. Kaplan

2.2.1 Vorbemerkungen

2.2.2 Beschreibung

2.2.3 Diskussion

2.3 Das Hamburger Modell

2.3.1 Vorbemerkungen

2.3.2 Beschreibung

2.3.3 Diskussion

2.4 Syndyastische Sexualtherapie

2.4.1 Vorbemerkungen

2.4.2 Beschreibung

2.4.3 Diskussion

2.5 Sexual Crucible

2.5.1 Vorbemerkungen

2.5.1.1 Das Konzept der Selbstdifferenzierung (Bowen-Theorie)

2.5.2 Beschreibung

2.5.3 Diskussion

2.6 Systemische Sexualtherapie

2.6.1 Vorbemerkungen

2.6.2 Beschreibung

2.6.3 Diskussion

2.7 Sexocorporel

2.7.1 Vorbemerkungen

2.7.2 Beschreibung

2.7.3 Diskussion

Kapitel 3Hypnose in der Paar- und Sexualtherapie

3.1 Einleitung

3.1.1 Hypnotische Offenheit

3.1.2 Direkte hypnotische Suggestion

3.1.3 Sex als Trance

3.2 Sexuelle Differenzierung

3.3 Störungen der weiblichen Sexualität

3.3.1 Gelungene weibliche Sexualität

3.3.2 Das selbstbestimmte Verfügen über den eigenen Raum

3.3.3 Das Wiedererlangen der Subjekthaftigkeit

3.3.4 Die liebevolle Beziehung zu sich selbst

3.4 Störungen der männlichen Sexualität

3.4.1 Gelungene männliche Sexualität

3.4.2 Männliche Verweigerung

3.5 Mangel an sexuellem Verlangen

3.6 Fazit

Kapitel 4Mangelndes sexuelles Verlangen als kulturelles Phänomen

Kapitel 5Medikalisierung von Sexualität und sexuellen Problemen

5.1 Einfluss der Pharmaindustrie auf Politik, Gesundheitswesen und Forschung

5.2 Medikalisierung der Sexualität am Beispiel von »Pink Viagra«

5.3 Profitorientierte Definition sexueller Krankheitsbilder

5.4 Medikalisierung der Psychotherapie

Kapitel 6Vorschlag einer modifizierten Sexualtherapie nach Masters und Johnson

6.1 Theoretische Überlegungen

6.1.1 Ist Sexualtherapie eine Spezialform der Verhaltenstherapie?

6.1.2 Was ist der Sensate Focus?

6.1.3 Wie wirkt der Sensate Focus?

6.2 Praktisches Vorgehen

6.2.1 Indikationen und Kontraindikationen

6.2.2 Besonderheiten bei der Arbeit im Therapeutenteam

6.2.3 Rahmenbedingungen bei Beginn der Therapie

6.2.4 Explorationssitzungen und Störungsmodell

6.2.5 Roundtable

6.2.6 Sensate Focus I, Phase 1

6.2.7 Sensate Focus I, Phase 2

6.2.8 Im Sensate Focus Wünsche äußern

6.2.9 Sensate Focus II

6.2.10 Erkundung der Genitalien

6.2.11 Sensate Focus III: Spiel mit der sexuellen Lust und Erregung

6.2.12 Sensate Focus IV: Coitus

6.2.13 Ergänzende Einzelübungen

6.2.14 Ausklang der Therapie

6.3 Störungsspezifische Aspekte der Sexualtherapie

6.3.1 Ejaculatio praecox

6.3.2 Erektionsstörung

6.3.3 Mangelndes sexuelles Verlangen

6.3.4 Vaginismus

6.4 Schlussbemerkungen

Literatur

Sachregister

Geleitwort von Steffen Fliegel

Sexuelle Störungen zählen zu den häufigsten psychischen Problemen bei Männern, Frauen und insbesondere Paaren, wenngleich bei weitem nicht alle diese Probleme behandlungsbedürftig sind. Warum wagen sich aber nur wenige Praktikerinnen und Praktiker, egal welcher Berufsgruppe, an Beratungen und Behandlungen dieser Thematik heran?

Da ist zum einen die oft sprachliche Hemmschwelle, die Patienten und Therapeuten den Zugang zur Befassung mit einem intimen Lebens- und Alltagsbereich gleichermaßen erschwert. Und dies, obwohl wir in einer Epoche leben, in der Sex bis in die feinsten Verästelungen befreit scheint, in der es eine Flut von geschriebenen und visuellen Ratgebern zum Sex und seinen Störenfrieden gibt, das Internet keine sexuelle Präferenz auslässt und auch das Fernsehen kaum sexuelle Tabus kennt.

Sexualität ist immer auch ein Kulturphänomen, eines, das gestaltet werden will und sich dynamisch weiterentwickelt. Partnerschaftliche Sexualität braucht Spielräume, in denen beide Partner einander fordern und herausfordern. Zugleich gibt es viele Rahmenbedingungen, die diese Prozesse stören, gesellschaftlich vorgegebene Bilder etwa oder auch individuelle Lern- und Lebensgeschichten mögen die Entfaltung erschweren und durch Ängste blockieren.

Zu den Stolpersteinen trägt hier nicht zuletzt bei, wie sexuelle Beeinträchtigungen durch psychiatrische Diagnosesysteme gerahmt werden. Die klassischen Bezeichnungen sexueller »Funktionsstörungen« wie frühzeitige Ejakulation, Orgasmusstörung, ausbleibende Erektion, Dyspareunie, Vaginismus(1), Hypersexualität usw., aber auch die sogenannten Luststörungen vermitteln den Anschein, dass befriedigende Sexualität eine Frage des körperlichen oder psychischen Funktionierens ist. Damit wird jedoch der Blick auf die Beziehung, auf die Partnerschaft verwehrt. Es wird auf den einen gestörten Partner geschaut – nämlich den mit der gestörten Funktion. Dabei ist Funktion nur ein kleiner Teil von Sexualität, eine intakte sexuelle Funktion sagt wenig oder nichts aus über die Intensität und Tiefe des Erlebens, über Intimität und Begehren, über Grundbedürfnisse und erotische Kompetenz.

Sexualwissenschaftler sind sich heute weitgehend einig, dass Sexualtherapie nicht als eigenständige therapeutische »Spezialität« zu sehen sein sollte; sie ist ein Teil der grundlegenden Psychotherapie. Daher wird auch nicht die sexuelle Störung behandelt, sondern die Verursachungen und aufrechterhaltenden Bedingungen der vorgebrachten Symptome sind Ansatzpunkte psychotherapeutischer Interventionen. Und diese zeigen sich organisch, im Verhalten, in den Kognitionen, Einstellungen und Grundannahmen, in den Emotionen und dem Körperbezug und in den Störungsmotiven, den Beziehungen und Lebensbedingungen. Insofern kann keine einzelne therapeutische Schule für sich in Anspruch nehmen, hinreichende und umfassende Konzepte bei der Behandlung sexueller Störungen zu bieten. Therapeutinnen und Berater werden zunächst immer mit der jeweils eigenen therapeutischen Brille an die Behandlung herangehen. Und das ist auch in Ordnung – sofern andere Perspektiven je nach Bedarf zur Erweiterung des therapeutischen Handelns herangezogen werden können.

Und genau hier zeigt sich der besondere Wert des vorliegenden Fachbuchs von Renate Bauer und Reinhard Maß. Denn neben den beschriebenen Zugangsproblemen zu den sexuellen Störungen der Patienten einerseits blockiert andererseits vor allem das fehlende Wissen über spezielle therapeutische Interventionen. Auch wenn es für viele Betroffene bereits eine große Erleichterung bedeutet, für ihre sexuellen Probleme ein offenes fachliches Ohr zu finden, bedarf es für eine gute problemanalytische Diagnostik und die daraus resultierenden therapeutischen Ansatzpunkte auch spezifische Interventionen. Der große Gewinn bei dem hier vorgelegten Lehrbuch Sexualtherapie besteht darin, die klassischen und modernen sexualtherapeutischen Konzepte von Masters und Johnson bis in die Gegenwart verständlich darzustellen und kritisch zu diskutieren.

Nach einer kritischen Auseinandersetzung mit der Medikalisierung sexueller Probleme beschreibt das Autorenpaar in einem sehr praxisorientierten Teil auf der Grundlage der Analysen sexualtherapeutischer Ansätze, theoretischer Erwägungen, der empirischen Befundlage und der eigenen klinischen Erfahrungen Überlegungen und Vorschläge für die Durchführung einer vom Masters-und-Johnson-Konzept ausgehenden modifizierten Paarsexualtherapie. Den therapeutischen Schwerpunkt legen Bauer und Maß auf das verhaltenstherapeutische Handeln. Sie zeigen aber die notwendige fachliche Flexibilität insbesondere in der sexualtherapeutischen Arbeit mit Paaren, was auch eine Würdigung des über viele Jahre bewährten Hamburger Paartherapiekonzeptes sexueller Störungen von Gerd Arentewicz, Margret Hauch, Gunter Schmidt und anderen bedeutet.

Zahlreiche Fallvignetten und -beispiele bereichern die praktische Umsetzung der therapeutischen Konzepte, eingebettet in detaillierte Beschreibungen des fachlichen Handelns, die zeigen, wie eine Paarsexualtherapie konkret verläuft. Die einzelnen störungsübergreifenden Komponenten ermöglichen durch ihre Ergänzung mit störungsspezifischen Aspekten auch eine gute Übertragung auf die Einzeltherapie mit Männern und Frauen.

Es gibt zahlreiche Fachbücher zur Sexualtherapie. Diese sind entweder sehr theoriebezogen oder eignen sich eher als Ratgeber für Betroffene. Der große Wert des vorliegenden Buches ist sein »State of the Art« einer modernen Sexualtherapie, der Theorie und Praxis anschaulich verbindet. Sehr geeignet für alle, die sich für die sexualtherapeutischen Konzepte interessieren, besonders aber für Kolleginnen und Kollegen, die wissen möchten, wie die Therapie sexueller Störungen, insbesondere in der Arbeit mit Paaren, wirkungsvoll funktioniert.

Steffen Fliegel

Kapitel 1

Einführung

Das Thema der menschlichen Sexualität, ihrer Störungen und der Behandlung dieser Störungen ist außerordentlich komplex und bewegt sich wie kaum ein anderes in diversen Spannungsfeldern: Psychologie vs. Medizin vs. Soziologie vs. Biologie, Individuum vs. Gesellschaft(1), Psychotherapie vs. Pharmakotherapie, Forschung vs. Praxis, Verhaltenstherapie vs. Psychoanalyse vs. Systemische Therapie vs. Körperpsychotherapie – um nur einige zu nennen. Es gibt dementsprechend zahlreiche Publikationen über Sexualtherapie, geschrieben aus den verschiedensten Perspektiven, so dass man die Frage aufwerfen kann, welchen Zweck ein weiteres Buch noch verfolgen kann.

In den einschlägigen Zeitschriftenartikeln, Monographien und Herausgeberwerken werden zwar die gängigen Therapiekonzepte mehr oder weniger ausführlich dargestellt und oft mit zahlreichen Kasuistiken illustriert, jedoch findet dabei kaum eine kritische Auseinandersetzung mit den jeweils vorgestellten Konzepten statt. Das liegt vermutlich daran, dass in der Fachliteratur die Therapiekonzepte üblicherweise von ihren eigenen Vertreterinnen und Vertretern beschrieben werden. Eine unabhängige Bewertung und ein objektiver Vergleich der verschiedenen Ansätze sind auf diese Weise schwer zu erreichen. Das ist eine Lücke, die mit diesem Buch geschlossen werden soll. Bei der Auswahl der von uns in Kapitel 2 betrachteten Konzepte sind wir nach deren Bedeutung und Verbreitung im deutschsprachigen Raum vorgegangen. Wir haben uns auf seriöse Konzepte mit wissenschaftlichem Anspruch beschränkt. Zudem haben wir nur intensivere Formen der Behandlung berücksichtigt. Im sogenannten PLISSIT-Schema (Annon, 1976) werden mögliche Interventionen bei sexuellen Problemen in vier Stufen steigender Intensität unterteilt:

Permission,

Limited Information,

Specific Suggestions und

Intensive Therapy.

Die von uns berücksichtigten Konzepte gehören in diesem System zu der letztgenannten Stufe. Trotz dieser Auswahlkriterien entspricht die Auswahl unserer persönlichen Sichtweise; andere Autoren würden möglicherweise zu anderen Ergebnissen kommen.

So, wie aus unserer Sicht Sexualität oft eine Bühne ist, auf der Beziehungsprobleme eines Paares in Form sexueller Symptome dargestellt werden, so spiegelt auch in einem größeren Maßstab der Umgang einer Gesellschaft(2) mit Sexualität bestimmte soziale Zustände wider. Darum können sexuelle Störungen und Sexualtherapie nicht unabhängig vom gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden. Diese Perspektive kommt in verschiedenen Passagen unseres Buches zum Ausdruck. Kapitel 4 stellt im Zusammenhang mit mangelndem sexuellen Verlangen die Kulturabhängigkeit sexueller Normen dar. Zu unserer modernen Kultur gehört auch die allgemeine Tendenz zur Medikalisierung immer weiterer Lebensbereiche. Kapitel 5 zeigt, wie sehr die Sexualität davon betroffen ist.

Im zweiten Hauptabschnitt dieses Buches in Kapitel 6 präsentieren wir theoretische Überlegungen und praktische Vorschläge zur Durchführung einer modifizierten Sexualtherapie für Paare auf der Grundlage des Konzepts von Masters und Johnson. Im Zentrum steht dabei der Sensate Focus(1). Unsere Wirkfaktorenanalyse zeigt, dass diese Technik ein ungemein effektives Instrument ist, dessen therapeutische Bandbreite heute oft unterschätzt wird.

Kapitel 3 ist ein Gastbeitrag von Dirk Revenstorf und Elsbeth Freudenfeld, in dem sie den Einsatz hypnotherapeutischer Interventionen in der Paar- und Sexualtherapie veranschaulichen. Sie präsentieren zahlreiche Beispiele für die Trance-Arbeit an spezifischen Problemen der männlichen und weiblichen Sexualität.

Das vorliegende Buch befasst sich mit Störungen sexueller Funktionen und ihrer psychologischen Behandlung, und zwar primär in paartherapeutischen Settings. Viele andere Themen können dabei nicht berücksichtigt werden, etwa die Endokrinologie oder Physiologie der Sexualität, Paraphilien, Trans- und Intersexualität oder forensische Fragen. Wir verweisen diesbezüglich auf hervorragende wissenschaftliche Nachschlagewerke wie Sigusch (2007) oder Briken & Berner (2013).

Unser Buch wird wahrscheinlich Widerspruch von vielen Seiten auslösen und wir sind uns bewusst, dass wir uns gewissermaßen zwischen die Stühle setzen. Manchen Lesern und Leserinnen wird das von ihnen selbst favorisierte Therapiekonzept in unserer Bewertung zu schlecht abschneiden (oder auch einfach fehlen), andere werden unsere Betrachtungen zu wissenschaftlich bzw. zu klinisch finden oder sich unseren konzeptuellen Vorschlägen nicht anschließen. Das lässt sich leider nicht ändern. Wir hoffen, dass es in diesem Buch für jeden zumindest ein paar Abschnitte von Wert gibt. Wir würden uns freuen, wenn auch unsere kritischen Anmerkungen als Ausdruck unseres Respekts vor den Leistungen der Kolleginnen und Kollegen verstanden werden würden, die sich schon lange vor uns mit Sexualtherapie auseinandergesetzt haben.

Es ist schwer einzuschätzen, wie eng Sexualtherapeuten sich an die Vorgaben des Konzepts halten, in dem sie ausgebildet wurden; vermutlich gibt es dabei beträchtliche Unterschiede. Viele Therapeutinnen und Therapeuten arbeiten eklektizistisch und benutzen in ihrer alltäglichen therapeutischen Arbeit eine Mischung unterschiedlicher therapeutischer Schulen. Manchmal ist es auch gar nicht möglich, Konzepte in ihrer »reinen« Form anzuwenden; so setzt ein paartherapeutisches Konzept die Arbeit mit einem Patientenpaar voraus, aber nicht immer sind beide Partner bereit, sich auf die Therapie einzulassen, oder der Patient ist alleinstehend. Es ist dann selbstverständlich möglich, nur die Teile eines Konzepts zu verwenden, die für eine Einzeltherapie geeignet sind. Die Analysen und Bewertungen in diesem Buch beziehen sich allerdings immer auf die ursprünglichen Therapiekonzepte, so wie sie in der verfügbaren Originalliteratur beschrieben wurden.

Dieses Buch richtet sich an Sexualtherapeutinnen und Sexualtherapeuten in eigener Praxis, in Beratungsstellen, Ambulanzen oder Kliniken, die hier möglicherweise Anregungen für die eigene Tätigkeit finden können. Es richtet sich ebenso an Psychologische und Ärztliche Psychotherapeuten, Sozialpädagogen und andere psychotherapeutisch qualifizierte Kolleginnen und Kollegen, die in ihrer alltäglichen Arbeit immer wieder mit sexuellen Problemen konfrontiert werden und die sich vielleicht für eine Spezialisierung in Sexualtherapie interessieren. Darüber hinaus soll es Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen in Ausbildung eine Orientierung bieten und sie an das sexualtherapeutische Arbeitsfeld heranführen.

Wir haben uns beim Schreiben um eine einfache, klare Sprache bemüht, so dass das Buch auch für interessierte Laien verständlich sein sollte. Wir haben überlegt, wie wir mit dem Problem unangemessener geschlechtsspezifischer Sprache umgehen wollen und haben uns entschieden, zugunsten einer besseren Lesbarkeit auf alternative Sprachregelungen mit dem Binnen-I (»PsychologIn«), dem Schrägstrich (»Patient/-in«) oder mit Klammern wie bei »Therapeut(inn)en« zu verzichten. Wir benutzen zumeist das generische Maskulinum, sofern die Geschlechtszugehörigkeit unwichtig ist; gelegentlich verwenden wir Doppelnennungen, wenn besonders hervorgehoben werden soll, dass beide Geschlechter gemeint sind.

Kapitel 2

Übersicht über die wichtigsten sexualtherapeutischen Konzepte

2.1 Das revolutionäre Konzept von Masters und Johnson

2.1.1 Vorbemerkungen

Die sexualwissenschaftlichen Studien von William H. Masters (1915 – 2001) und Virginia E. Johnson (1925 – 2013) begannen 1954. Es lohnt sich, einen Blick auf den gesellschaftlichen Kontext dieser Zeit zu werfen.

Der Kalte Krieg hatte begonnen. Die sogenannte McCarthy-Ära, benannt nach dem republikanischen US-Politiker und »Kommunistenjäger« Joseph McCarthy (1908 – 1957), war noch nicht zu Ende gegangen. Es war ein Jahrzehnt, das durch paranoide Ängste vor dem Kommunismus und durch die inquisitorische Verfolgung politisch Verdächtiger geprägt war. Insbesondere das berüchtigte »Komitee zur Untersuchung unamerikanischer Umtriebe« hatte daran wesentlichen Anteil. In einer modernen Hexenjagd wurden nicht nur Marxisten, sondern auch liberale Intellektuelle und Filmschaffende verfolgt, es wurden »Schwarze Listen« geführt, Berufsverbote und Haftstrafen ausgesprochen.

Die soziologischen Arbeiten des Zoologen und Sexualwissenschaftlers Alfred Kinsey(1), die heute als Auslöser der sexuellen Revolution(1) der 1960er Jahre gelten, hatten heftige gesellschaftliche Kontroversen ausgelöst. Kinsey(2) und Mitarbeiter hatten in zwei großen Buchpublikationen zum Sexualverhalten des Mannes (1948) bzw. der Frau (1953), die als Kinsey Reports bekannt wurden, mit gesellschaftlichen Tabus gebrochen. Die durch Interviews an über 11 000 Männern und Frauen gewonnenen Ergebnisse zeigten beispielsweise, dass homosexuelle Erfahrungen auch bei heterosexuellen Personen häufig vorkommen und Bisexualität somit weit verbreitet ist, dass Masturbation (zumindest bei Männern) häufig vorkommt und unschädlich ist, also nicht zu psychischen Störungen führt, und dass vor- und außereheliche sexuelle Kontakte weit verbreitet sind.

Für konservative und christliche Kreise stellten die beiden Bücher eine unerträgliche Provokation dar, die Reaktionen waren entsprechend drastisch. Der ebenso einflussreiche wie fanatische Evangelikale und Erweckungsprediger Billy Graham, Präsidentenberater und Befürworter des Vietnamkrieges (heute würde man ihn einen »Hassprediger« nennen), hetzte ab 1950 in einer eigenen Radiosendung gegen den Kommunismus und gegen die Feinde des Christentums. Insbesondere die Studien Kinseys bekämpfte er, weil er sie als verheerend für die amerikanische Moral ansah. Das Komitee zur Untersuchung unamerikanischer Umtriebe sah auch in den Kinsey-Studien kommunistische Aktivitäten und übte Druck auf die Rockefeller-Stiftung aus. Diese Stiftung hatte bis dahin die umfangreichen Untersuchungen Kinseys finanziert und stellte unter dem Druck des Komitees 1954 ihre Förderung ein. Das bedeutete faktisch das Ende von Kinseys Forschung. Der frühe Tod dieses unpolitischen Sexualforschers im Jahr 1956 wird in Zusammenhang mit den erlittenen Repressalien gebracht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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