Leila - Thomas Perlick - E-Book

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Thomas Perlick

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Beschreibung

„Es ist, als ob die Dinge nur für den Augenblick da sind, in dem sie zueinander passen: Die Regentrude und der opulente Busen auf dem Fensterbrett, der Kellner, der sein Gesicht wachsen und schrumpfen lassen kann, der kleine Lord mit seinem Blumengrab am Gitter, die schönen Augen des Radfahrers, der Riese hinter Glas, auch die Tauben und der schnelle Tod.“ Zwölf unerhörte Erzählungen von Thomas Perlick

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Seitenzahl: 122

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Leila

Erzählungen

Thomas Perlick

Print: ISBN 978-3-943539-69-1

eBook EPUB: 978-3-96285-179-8

1. Auflage 2016

Copyright © 2016 by Salier Verlag, Leipzig

und Thomas Perlick, Römhild

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.

Einband und Foto Titel: Andreas Collandi, Leipzig

Satz & Layout: InDesign im Verlag

Herstellung: Salier Verlag, Bosestr. 5, 04109 Leipzig

Printed in the EU

www.salierverlag.de

Inhalt

Altweibersommer

Der Umarmmann

Der Wolf im Wahlkampf

Die Engelmacherin

Die Hoffnung der Abstellgleise

Die Stunde des Wachmannes

Line draußen

Leila

Nachts am Meer im Zimmer

Regenbogenforelle

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern

Veronika in den Kissen

Thomas Perlick

Altweibersommer

Die alten Weiber haben ihren eigenen Sommer, in dem die Samenfäden durch die Luft ziehen. Sie liegen dann abends in ihren einsamen Betten, einen träge gewordenen Gatten neben sich. Er riecht nach Bier, nach Fußball und dem ersten, zweiten, dritten Schnaps.

Gegenüber wohnt der junge, schöne, grandios gebaute Nachbar. Fern gegenüber. So nah.

Woran man denkt, wenn man begehrt, das ist im Alter nicht vorüber. Vergiss das nicht, wenn Altweibersommer ist und du über die Straßen gehst und die späten Damen auf den Bänken hocken und dir mit ihren Augen hinterher eilen. Du sollst ihnen nicht weh tun durch deinen überlegenen Blick. Lächle ihnen zu. Aber es darf nicht gnädig aussehen. Dreh dich um! Schau sie freundlich an! Lass ihnen ihre Fantasien! Das macht sie reich und nimmt dir nichts weg. Du sollst nicht so tun, als begehrtest du sie, aber du sollst auch nicht ihr eigenes Begehren verspotten.

Denn es ist Altweibersommer draußen in der Stadt zwischen den Häusern und Fabriken. Es ist Altweibersommer auf den Wiesen und an den Bächen. Die Fäden ziehen ihre Bahnen durch das Land und haben den alten Weibern den Kosenamen eines verspäteten Sommers geschenkt. Mach dich nicht lustig über die Ackerfurchen in den Gesichtern der ewigen Mütter.

Und wenn die betagte Helene sich plötzlich enge Jeans kauft und zum schrägsten Frisör der Stadt geht und sich überschminkt und den Betörungsduft von Lacoste aufträgt, dann sollst du es ihr gönnen.

Du sollst die alten Weiber schützen, wenn sie ihren Sommer haben. Tu ihnen nicht weh, damit sie dem Winter gewachsen sind, dem Altmännerwinter draußen auf den Friedhöfen.

Der Umarmmann

Im Treiben einer dicken Stadt lebte einst etwas scheu ein Herr mit Augen, die gern blinkten, einer Nase, die gern schnüffelte und einem Mund, der gern aß. Er war einfach nur da wie ein vergessener Schirm oder eine ausgelesene Zeitung. Gab es einen Schatten, so stellte er sich dort unter, um den Blicken der Menschen schadlos zu entgehen.

Es gab nämlich eine Absonderlichkeit an seinem Leib: Seine Arme maßen das Doppelte der Länge seiner Gesamtkörpergröße. Da er immerhin ein Meter und sechsundachtzig groß war, schoss jeder seiner beiden Arme drei Meter und zweiundsiebzig Zentimeter aus seinen gewaltigen Schulterblättern heraus. Die Damen schauten zunächst bewundernd auf den muskulösen Oberbau, der diese Länge zu halten hatte, ehe sie die tief heraushängenden Greifwerkzeuge bemerkten. Dann begannen sie zu kichern und verletzten den Herrn mit Bemerkungen, bis er sich krümmte.

Wenn er durch die Straßen eilte, warf er manchmal unabsichtlich Dinge um. Er musste von Zeit zu Zeit seine Arme ausstrecken, um sie zu entspannen.

Eines Mittags sah er eine alte Dame am Brunnen stehen. Sie wollte gerade ein Fünf-Cent-Stück ins Wasser werfen, um die Sekunden des Sinkens bis zum Grund zu zählen. Das war ihre Leidenschaft. Dazu tauschte sie hin und wieder einen Zehn-Euro-Schein in zweihundert Fünf-Cent-Münzen um. Man kannte sie bereits in der Stadtsparkasse und befüllte gern ihren kleinen Geldsack.

Diesem Behältnis wollte sie gerade die dreiundsiebzigste Münze entnehmen, als das Säckchen riss und der ganze Schatz mit einem Mal in den Brunnen stürzte. Sie vermochte nur das Sinken der ersten drei Münzen mit den Augen zu verfolgen. Dabei zählte sie die Sekunden klackend wie ein Metronom. Alle anderen Fünf Cent Stücke torkelten ungezählt auf den Grund herab. Nun stand die Enttäuschte schräg wie eine halb gefallene Bahnschranke und weinte dicke Tränen in das von unten her blinkende Wasser des Stadtbrunnens hinein. Sie hatte durch den Riss des Geldsäckchens fünf Euro und fünfundzwanzig Cent mit einem Mal an den Brunnen verloren.

An dieser betrüblichen Stelle der Geschichte tritt unser Held auf. Er hatte beobachtet, wie die Tränen das Wasser des Stadtbrunnens in eine winzige ozeanische Bewegung versetzen. Das rührte sein Herz.

»Küss die Hand Madame«, sagte er. »Kann ich Ihnen helfen?«

»So schauen Sie doch, mein Herr! All mein Münzwerk ist mit einem Mal gesunken. Dabei hätte es zu einhundertundfünf Einzelsinkungen gelangt.«

»So, so. Nun, vielleicht kann ich Ihnen helfen, Madame!«

»Das glaube ich nicht. Der Brunnen ist drei Meter fünfzig tief, und zum Hineinsteigen ist es im April noch etwas zu kalt.«

»Oh, drei Meter fünfzig sind mir ein Leichtes«, sagte er.

»Wie das?«, erwiderte sie und sah erst jetzt genauer hin. »Oh, Sie haben wohl aus beruflichen Gründen verlängern lassen?«

»Nein, ich bin von Geburt an so ausgerüstet.«

»Das ist aber praktisch«, rief sie und klatschte in die Hände. »Sie wären beim städtischen Fundbüro bestens aufgehoben. Sie könnten beispielsweise in offene Gullys greifen und zu weit gewordene Eheringe aus der Kanalisation fischen.«

»Sicher«, sagte er.

»Sie könnten auch aus Dachrinnen Lotteriescheine bergen, die ein glücklicher Gewinner im Überschwang der Freude einem Aufwind überlassen musste.«

»Auch das ließe sich machen.«

»Nicht zuletzt wären Sie in der Lage, durch einen Metallzaun zu greifen und Pfirsiche von einem Baum zu pflücken, der etwas absteht. Ich denke da an eine gewisse Stelle im Süden der Stadt.«

»Wir wollen es lieber nicht übertreiben, Madame!«

Nun langte der Herr mühelos zu dem drei Meter und fünfzig tiefen Grund hinab und holte, laut mitzählend, einhundertfünf Münzen herauf. Bei jedem Klimpergeräusch juchzte die alte Dame glückselig und sich stetig steigernd auf. Es waren solche Juchzer bei ihr schon ziemlich lange her. Man schaute sich bereits nach ihr um, besonders die Männer. Der Schatzheber hatte die Hemdsärmel bis auf die mächtigen Schulterblätter aufgewickelt. Aber sie rutschten ihm immer wieder hinunter. Also nahm die Dame kurzentschlossen ihre Strumpfbänder ab, um sie zum Justieren einzusetzen.

Nach dieser, bei einer Achtzigjährigen etwas übermütigen Einlage, konnte die Schatzhebung zu einem glücklichen Abschluss gebracht werden.

»Zehn Prozent gehören Ihnen«, sagte die Dame, deren Strümpfe jetzt schneller sanken als sonst die Münzen.

»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Schmach der Entlohnung ersparten«, sagte der ins Licht geratene Schattenmann.

»Nun, so preisen wir einfach den Segen Ihrer gnädig langen Arme!«, erwiderte sie feierlich.

Das schmeichelte ihm. Allerdings juchzte er nicht. Es war nicht seine Art.

»Da Sie keinen Lohn wünschen, müssen Sie mich wenigstens umarmen, denn ich kann es der Kürze meiner Arme wegen nicht.«

Also umfasste unser Held die alte Dame, bemerkte aber nicht, dass hinter ihr eine Politesse der Stadtverwaltung stand, die gerade Strafzettel verteilt hatte. Sie wurde nun, aus Versehen sozusagen, gleich mit umarmt. Die Politesse hatte das wundersame Geschehen der Schatzbergung aus dem städtischen Brunnen beobachtet. Eigentlich hätte ihr dazu ein Strafrechtsbestand einfallen müssen. Aber sie empfand nur eine tiefe und fremde Rührung in ihrem unerlösten Beamtenherzen. Sie trug ihr volles Haar verknotet und ihren sinnlichen Mund verkniffen. Das war ihrer schamvoll verborgenen Schönheit abträglich. Ihre Leidenschaft hatte sich bis zu diesem Tag auf das Parkverbot beschränkt. Nun wurde sie also mit umarmt, zunächst ungewollt, da vom Umarmer ja nicht einsehbar. Der alten Dame wurde es etwas mulmig zumute, denn sie sah sich wachsendem Druck von zwei Seiten her ausgesetzt. Aber aus Dankbarkeit und Münzfreude ließ sie die Dinge einfach geschehen.

Über ihre knochigen Schultern hinweg erblickte der Umarmer plötzlich die Politesse, noch immer mit ungelöstem Haar und verkniffenem Mund. Aber er sah sie schon als Verwandelte mit Locken und vollen Lippen in weinrot. Der Blick über die Schulter der alten Dame hinweg wurde sogleich erwidert und man verliebte sich vulkanisch impulsiv. Erschrocken, allerdings freudig, ließ die Politesse den Strafzetteldrucker fallen. Dem Umarmer sprengte es zur gleichen Sekunde die Strumpfbänder an beiden Schultern. Die alte Dame klemmte wie ein Puffer zwischen den beiden Himmlischen. Die Luft ging ihr aus.

»Ich würde dann gern meines Weges gehen«, hauchte sie mit letzter Lungenbefüllung und kroch zwischen den Beinen der beiden verbliebenen Umarmenden heraus. Jetzt musste der Umarmer, um die entstandene Lücke zwischen sich und der erhitzten Politesse auszufüllen, seine Arme schlangenartig um sie wickeln. Denn zum einfachen Umarmen waren sie nun einmal zu lang. Also schlang er sie um die Hüften zum Rücken hin, dann wiederum nach vorn um den Bauch, in dem merkwürdigerweise ihr Herz klopfte, dann wieder hinterwärts zur Wirbelsäule, und schließlich, es ließ sich aus Platzgründen nicht anders machen, legten sich seine Hände sehr sanft auf ihren kleinen Politessenbusen. Sie litt es still, löste ihr Haar, entkniff ihre Lippen und machte sich auf den Weg zur Prinzessin, die sie unter all dem Verschnürten schon immer gewesen war. So standen die beiden mehr als vier Ewigkeiten lang. Denn es ist aller Zeiten schwerste, in der du dich von Umarmungen lösen musst.

Der Wolf im Wahlkampf

Im Märchen vom Wolf und den falschen Parolen geht ein großdeutscher Wolf auf Wahlkampftour. Er hatte eine unangenehme Kindheit: Seine Mutter wollte ihn nicht und sein Vater hatte ihn nicht gezeugt.

Er drückt auf den Klingelknopf. Sogleich ertönt die erotische Stimme von Adriano Celentano.

»Was ist denn?«, fragt ein genervter Knabe, der nur kurz die Tür öffnet.

»Macht auf, ihr lieben Wählerlein, ich habe eine gute Nachricht für euch!«, sagt der Wolf etwas unbeholfen.

»Sind Sie Geistlicher?«

»Nicht direkt.«

»Wir haben uns nämlich vom Religionsunterricht abgemeldet.«

»Ach so ...«, stammelt der Wolf. Er hat jetzt keinen Text mehr parat.

»Wir glauben nicht, dass Maria Jungfrau war!«

Jetzt erscheint das Jüngste am Fenster: »Wie sehen Sie denn aus? Sind Sie etwa so ein rechtsradikaler Idiot?«

»Aber wo denkst du hin«, erwidert der Wolf. »Wie könnte ich denn!«

»Was sind Sie dann?«

Der Wolf verwechselt in seiner Aufregung die Anlässe: »Ich bringe Kuchen und Wein für die Großmutter.«

»Unsere Großmutter wohnt in Palermo.«

»Ach so«, sagt der Wolf.

»Unsere Großmutter in Palermo hat Beziehungen. Wenn Sie uns was antun, wird sie mit der Mafia kommen, Ihnen Wackersteine in den Bauch implantieren und Sie in der Klärgrube versenken.«

Der Wolf wünscht sich jetzt einen Uhrkasten. Aber hier draußen steht natürlich keiner.

»Äh, das mit der Großmutter ist eine Verwechslung«, stammelt er.

»Ach! Na, dann zeigen Sie doch mal Ihre Füße her!«

Jetzt kann der Wolf endlich wieder nach Drehbuch spielen.

Denkt er zumindest.

»Pfui Teufel, Springerstiefel!«, brüllt die Schöne. »Für wie blöd halten Sie uns eigentlich? Denken Sie, wir sind so bescheuert und wählen rechts?«

»Ich, äh!«, sagt der Wolf.

»Bastiano!«, brüllt sie ins Haus hinein. »Ruf in Palermo an.

Aber verlang’ gleich den Onkel!«

»Moment, Moment«, knurrt der Wolf. »Ich bin durchaus nicht, was ich scheine!«

Aber es ist zu spät. Der Wolf hört, wie Bastiano drin am Telefonapparat lauthals die Anweisungen seines Onkels wiederholt. Man hört folgende Wortfetzen: Küchenmesser, Nudelholz, Brandbeschleuniger, Wackersteine, Baseballschläger, Nussknacker für die Fingerkuppen und eine Zange für die Zähne.

Der Wolf muss sich jetzt entscheiden: Wahlkampf oder Leben?

Er entschließt sich zur Flucht. Allerdings kommt die Kinderbande schwer bewaffnet aus dem Haus gestürzt. Der Wolf spürt den heißen Atem Bastianos hinter sich, der einen mächtigen Baseballschläger schwingt. Mit letzter Kraft rettet sich der Wolf in ein Möbelhaus und springt geistesgegenwärtig in die große Wanduhr. Das ist sein Glück. Irgendwann sind die Kinder fort. Aber von innen bekommt unser armer Wahlkampfwolf die Tür des Uhrkastens nicht mehr auf.

So hört er nun, wie der Zeiger hüpft. Immer schön von rechts nach links.

Die Engelmacherin

Dem Glaser war ein Kind geboren. Die Nachbarn, der Hufschmied Hohnel mit Frau und Schwester, gratulierten ebenso wie der Oberpostmeister Bollerstiel.

Das sei aber ein merkwürdiges Kind, sagte der Herr Oberpostmeister, als man die nachbarliche Visite hinter sich gebracht hatte. Man war sich einig, dass die Kleine etwas Schwachköpfiges an sich habe, ein blödes Kind, eine Idiotnatur.

Ja, pflichtete der Hufschmied bei. Es sei eben unter sieben immer ein verdorbenes Kind, das man dann nutzlos mit durchfüttern müsse. Deshalb habe er, Berthold Hohnel, eben nur drei. Drei sei die richtige Zahl in Bezug auf die Nachkommenschaft.

Der Oberpostmeister, obwohl kinderlos, nickte eifrig.

Nun müsse der Glaser mit seinem kleinen Einkommen noch die Dumpfhirnige durchfüttern, meinte er. Hätte er doch lieber die Engelmacherin geholt zur rechten Zeit.

Bei diesem Männergespräch waren die Frauen bereits abgängig. Man wollte sie schonen. Sie hingen ja in törichter Weise an allem, was in ihnen herangewachsen war.

Hohnel lüftete den Hut, Bollerstiel neigte als Höherrangiger nur leicht den Kopf, dann trennte man sich.

Fridolin, sechstes Kind des Glasers, hatte durch das Fenster des kleinen Aborts das Gespräch mit angehört und nur sehr wenig davon verstanden. Allerdings war ihm das Wort »Engelmacherin« mitten ins Herz gefallen. Er hatte es so aufgefasst, dass seine neue Schwester in der Lage sei, Engel zu machen. Engel aber, das hatte er nun wieder von der katholischen Gemeindeschwester gehört, vermochten nahezu alles. Sie waren Gottvaters Dienstgeister auf Erden. Manchmal verwandelten sie sich in Menschen. Gut, man konnte auch daran zweifeln, wenn man wollte. Aber eine Angelegenheit, die man aus dem Mund des Oberpostmeisters durch das Abortfenster hindurch erlauschte, musste einfach stimmen. Er hatte sich ja nicht verstellen müssen, konnte er doch nichts von der heimlichen Mitwisserschaft ahnen.

Plötzlich erscholl der väterliche Ruf. Die sechs Kinder des Glasers und der Zugeherin stellten sich der Größe nach auf. Dann öffnete sich die Pforte, die Hebamme kam heraus, ihre Entlohnung unter dem Arm tragend. Es war Antonia, die braunfleckige Ente, bereits enthauptet.

Nun durften die Kinder ihre erschöpfte Mutter ebenso betrachten wie das neue Schwesterchen, das allerdings anders aussah als die bisherigen. Es hatte einen schiefen Mund. Auch standen die Augen in unterschiedlicher Höhe. »Ein Krüppelkind«, flüsterten die Großen, die Wissenden. »Nein«, dachte Fridolin. »Eine Engelmacherin.« Der Vater sah unglücklich aus und schien sich wegen irgendetwas zu schämen. Die Geschwister senkten die Köpfe. Nur Fridolin strahlte und legte seine rechte Hand behutsam auf das winzige Haupt seiner Schwester.

»Nun ja, vielleicht kann sie ja einmal das Haus wischen und Wäsche stampfen«, sagte der Vater. »Vielleicht aber auch nicht.«

Fridolin lächelte. »Auch der Vater weiß es nicht«, dachte er.

»Du magst deine Schwester, Fridolin, nicht wahr?«, fragte die Mutter.

»Ja,« sagte er.

»Wie wollen wir sie nennen?«

»Engelm...«, begann er, biss sich dann aber auf die Zunge. Man durfte so etwas nicht verraten.

»Engel? Das geht leider nicht. Ich dachte an Miriam. Was meinst du?«

»Ja, das ist gut.«

Im Stillen würde er sie natürlich anders nennen. Also war es egal, wie sie bei denen hieß, die ihr Geheimnis nicht kannten.

»Möchtest du sie einmal in den Arm nehmen, Junge?«