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Beschreibung

Die schönste Strandlektüre mit Texten von Theodor Fontane, Thomas Mann, Joachim Ringelnatz, Rainer Maria Rilke, Theodor Storm und vielen anderen. »Das Meer ist keine Landschaft, es ist das Erlebnis der Ewigkeit.« Thomas Mann

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Seitenzahl: 218

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Leselust am Meer

FISCHER E-Books

Herausgegeben von Julia Gommel-Baharov

Inhalt

Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer!MeergrußLied vom MeerVon der bildenden Kraft der MeereVon den wahren MeeresbewohnernResurrectioIm grossen SchweigenDie NachtblumeDer Mensch und das MeerNach neuen MeerenWir gehen am Meer im tiefen Sand, Die Schritte schwer und Hand in Hand.MeeresstrandSandliederHeinrich HeineMax DauthendeySeegesichtDas HimmelblauSonntagMuscheln, MuschelnZu zweien schwimmenDas MeerBuddenbrooksDreißig GradWarum hat Deutschland noch kein großes öffentliches Seebad?OsternHeinrich HeineMöwenflugSonne, Meer und Himmelbläue, Nichts ums Schiff sonst ringsumher!MeerfahrtSeeliedMeeresstilleAn BordZwei SegelSeemorgenSegelschiffeGegen NordenLord JimDer junge SchifferWarum Rußland noch keine gute Seeflotte hatAuf hoher SeeDer PriemDelphineDer Fischer und der DelphinMeerfahrt mit ›Don Quijote‹Schiff 1931Die SeefahrerVor dem Golf von NeapelNächtige SeefahrtEen Boot is noch buten!An einen FreundGoodwin-SandVerbrannte SchiffeIm MeerSturmKlageAus fernem Süd taucht blühend eine Insel …Die Geschichte der InselDie Erschaffung der InselExil auf zwei InselnArno HolzStandard-IslandDie BrautfahrtInsel HiddenseeBaron von Münchhausens erstes SeeabenteuerDer Herr der InselGewürzinseln und Molukken in ScheerauAus des Meeres dunklen Tiefen …Gedanken zur Mythologie der MeereMeeresleuchtenDie Nacht am StrandePoseidonPoseidonJoseph von EichendorffDie SeeschlangeSeegespenstDer fliegende HolländerDie Geschichte von dem GespensterschiffDie SeejungfrauenSeemärchenBrief einer KlabauterfrauNachweise

Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer!

Heinrich Heine

Heinrich Heine

Meergruß

Thalatta! Thalatta!

Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer!

Sei mir gegrüßt zehntausendmal,

Aus jauchzendem Herzen,

Wie einst dich begrüßten

Zehntausend Griechenherzen,

Unglückbekämpfende, heimatverlangende,

Weltberühmte Griechenherzen.

Es wogten die Fluten,

Sie wogten und brausten,

Die Sonne goß eilig herunter

Die spielenden Rosenlichter,

Die aufgescheuchten Möwenzüge

Flatterten fort, lautschreiend,

Es stampften die Rosse, es klirrten die Schilde,

Und weithin erscholl es, wie Siegesruf:

Thalatta! Thalatta!

Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer!

Wie Sprache der Heimat rauscht mir dein Wasser,

Wie Träume der Kindheit seh ich es flimmern

Auf deinem wogenden Wellengebiet,

Und alte Erinnrung erzählt mir aufs neue

Von all dem lieben, herrlichen Spielzeug,

Von all den blinkenden Weihnachtsgaben,

Von all den roten Korallenbäumen,

Goldfischchen, Perlen und bunten Muscheln,

Die du geheimnisvoll bewahrst,

Dort unten im klaren Kristallhaus.

O! wie hab ich geschmachtet in öder Fremde!

Gleich einer welken Blume

In des Botanikers blecherner Kapsel,

Lag mir das Herz in der Brust.

Mir ist, als saß ich winterlange,

Ein Kranker, in dunkler Krankenstube,

Und nun verlaß ich sie plötzlich,

Und blendend strahlt mir entgegen

Der smaragdene Frühling, der sonnengeweckte,

Und es rauschen die weißen Blütenbäume,

Und die jungen Blumen schauen mich an,

Mit bunten, duftenden Augen,

Und es duftet und summt, und atmet und lacht,

Und im blauen Himmel singen die Vöglein –

Thalatta! Thalatta!

Du tapferes Rückzugherz!

Wie oft, wie bitteroft!

Bedrängten dich des Nordens Barbarinnen!

Aus großen, siegenden Augen

Schossen sie brennende Pfeile;

Mit krummgeschliffenen Worten

Drohten sie mir die Brust zu spalten;

Mit Keilschriftbillets zerschlugen sie mir

Das arme, betäubte Gehirn –

Vergebens hielt ich den Schild entgegen,

Die Pfeile zischten, die Hiebe krachten,

Und von des Nordens Barbarinnen

Ward ich gedrängt bis ans Meer,

Und frei aufatmend begrüß ich das Meer,

Das liebe, rettende Meer –

Thalatta! Thalatta!

Rainer Maria Rilke

Lied vom Meer

Capri. Piccola Marina

Uraltes Wehn vom Meer,

Meerwind bei Nacht:

du kommst zu keinem her;

wenn einer wacht,

so muß er sehn, wie er

dich übersteht:

uraltes Wehn vom Meer,

welches weht

nur wie für Ur-Gestein,

lauter Raum

reißend von weit herein …

O wie fühlt dich ein

treibender Feigenbaum

oben im Mondschein.

Johann Gottfried Herder

Von der bildenden Kraft der Meere

Ich will nur einige Worte über die Ufer des Meers sagen: sein Schauplatz ist so weit, als mannigfaltig und groß die Aussicht des festen Landes. Was ist’s, das Asien so zusammenhängend an Sitten und Vorurtheilen, ja recht eigentlich zum ersten Erziehungshause und Bildungsplatz der Völker gemacht hat? Zuerst und vorzüglich, daß es solch eine große Strecke festen Landes ist, in welchem Völker sich nicht nur leicht fortbreiten, sondern auch lange und immer zusammenhangen mußten, sie mochten wollen oder nicht. Das große Gebirge trennt Nord- und Süd-Asien; sonst aber trennet diese weiten Strecken kein Meer; der einzige Caspische See ist als ein Rest des alten Weltmeers am Fuß des Caukasus stehengeblieben. Hier fand also die Tradition so leicht ihren Weg, und konnte durch neue Traditionen aus derselben oder einer andern Gegend verstärkt werden. Hier wurzelte also alles so tief, Religion, Vateransehen, Despotismus! Je naher nach Asien, desto mehr sind diese Dinge als alte ewige Sitte zu Hause, und ungeachtet aller Verschiedenheiten einzelner Staaten sind sie über das ganze Südasien gebreitet. Das nördliche, das durch hohe Bergmauern von jenem geschieden ist, hat sich in seinen vielen Nationen anders, aber trotz aller Verschiedenheit der Völker unter sich, auf einen ebenso einförmigen Fuß gebildet. Der ungeheuerste Strich der Erde, die Tartarey, wimmelt von Nationen verschiedner Abkunft, die doch beynah alle auf Einer Stufe der Kultur stehen: denn kein Meer trennt sie; sie tummeln sich alle umher auf einer großen, nordwärts hinab gesenkten Tafel.

Dagegen, was macht das kleine rothe Meer für Unterscheidung! Die Abessinier sind ein Arabischer Völkerstamm, die Aegypter ein Asiatisches Volk: und welch eine andre Welt von Sitten und Lebensweise errichtete sich unter ihnen! An den untersten Ecken von Asien zeigt sich ein Gleiches. Der kleine Persische Meerbusen, wie sehr trennt er Arabien und Persien! Der kleine Malayische Sinus, wie sehr unterscheidet er die Malayen und Kambojer voneinander! Bei Afrika ist’s offenbar, daß die Sitten seiner Einwohner weniger verschieden sind, weil diese durch keine Meere und Meerbusen, sondern vielleicht nur durch die Wüsten voneinander getrennt werden. Auch fremde Nationen haben daher weniger auf dasselbe wirken können, und uns, die wir alles durchkrochen haben, ist dieser ungeheure Erdtheil so gut als unbekannt; bloß und allein, weil er keine tiefe Einschnitte des Meers hat und sich wie ein unzugangbares Goldland mit Einer stumpfen Strecke ausbreitet. Amerika ist vielleicht auch deswegen voll so viel kleiner Nationen[1], weil es nord- und südlich mit Flüssen, Seen und Bergen durchschnitten und zerhackt ist. Seiner Lage nach ist’s von außen das zugangbarste Land, da es aus zwey Halbinseln bestehet, die nur durch einen engen Isthmus zusammen hangen, an dem die tiefe Einbucht noch einen Archipelagus von Inseln bildet. Es ist also gleichsam ganz Ufer: und daher auch der Besitz fast aller europäischen Seemächte, so wie im Kriege immer der Apfel des Spiels. Günstig ist diese Lage für uns Europäische Räuber; ungünstig war seine innere Durchschnittenheit für die Bildung der alten Einwohner. Sie lebten von einander durch Seen und Ströme, durch plötzlich abbrechende Höhen und Tiefen zu sehr gesondert, als daß die Kultur Eines Erdstrichs oder das alte Wort der Tradition ihrer Väter sich wie in dem breiten Asien hätte befestigen und ausbreiten mögen.

Warum zeichnet sich Europa durch seine Verschiedenheit von Nationen, durch seine Vielgewandtheit von Sitten und Künsten, am meisten aber durch die Wirksamkeit aus, die es auf alle Theile der Welt gehabt hat? Ich weiß wohl, daß es einen Zusammenfluß von Ursachen gibt, den wir hier nicht auseinander leiten können; physisch aber ist’s unleugbar, daß sein durchschnittenes, vielgestaltiges Land mit dazu eine veranlassende und fördernde Ursache gewesen. Als auf verschiednen Wegen und zu verschiednen Zeiten sich die Völker Asiens hieher zogen: welche Buchten und Busen, wie viele und verschieden laufende Ströme, welche Abwechselung kleiner Bergreihen fanden sie hier! Sie konnten zusammen sein und sich trennen, auf einander wirken und wieder in Friede leben; der vielgegliederte kleine Welttheil ward also der Markt und das Gedränge aller Erdvölker im kleinen. Das einzige mittelländische Meer, wie sehr ist es die Bestimmerin des ganzen Europa worden! so daß man beynah sagen kann, daß dies Meer allein den Ueber- und Fortgang aller alten und mittlern Kultur gemacht habe. Die Ostsee stehet ihm weit nach, weil sie nördlicher, zwischen härtern Nationen und unfruchtbarern Ländern, gleichsam auf einer Nebenstraße des Weltmarkts, liegt; indessen ist auch sie dem ganzen Nord-Europa das Auge. Ohne sie wären die meisten ihr angränzenden Länder barbarisch, kalt und unbewohnbar. Ein gleiches ist’s mit dem Einschnitt zwischen Spanien und Frankreich, mit dem Canal zwischen diesem und England, mit der Gestalt Englands, Italiens, des alten Griechenlands. Man ändere die Gränzen dieser Länder, nehme hier eine Meerenge weg, schließe dort eine Straße zu, und die Bildung und Verwüstung der Welt, das Schicksal ganzer Völker und Welttheile geht Jahrhunderte durch auf einem andern Wege.[2]

Johann Gottfried Herder

Von den wahren Meeresbewohnern

Ich komme wieder aufs Meer zurück und in seinen Grund. Ist da nicht solch eine Kette von Geschöpfen wie auf der Erde? Und wo die Seemenschen? Tritonen und Sirenen sind Erdichtungen; aber daß es nicht wenigstens Meeraffen gebe, glaube ich sehr wohl. Maupertuis’ Leiter wird nicht voll, bis das Meer entdeckt ist. Natürlich können sie so wenig schwimmen, wie wir fliegen. Der Fisch fühlt wenig: sein Kopf, seine Schuppen – sind, was dem Vogel Federn und sein Kopf, jedes in sein Element. Da singt der Luftvogel, und dazu sein Kopf; der Fisch, was tut er? Was hat er für neue Wassersinne, die wir Luft-Erdengeschöpfe nicht fühlen? Sind sie nicht analogisch zu entdecken? Wenn ein Mensch je die magnetische Kraft innewürde, so wäre es ein Blinder, der nur hören und fühlen, oder gar ein Blinder, Tauber, Geruch- und Geschmackloser, der nur fühlen könnte. Was hat ein Fisch für Sinne? In der Dämmerung des Wassers siehet er, in der schweren Luft höret er; in ihrer dicken Schale fühlt die Auster – welch ein Gefühl, daß solche starke Haut nötig war, sie zu decken, daß Schuppen nötig waren, sie zu überkleiden? Aber ein Gefühl welcher Dinge? Vermutlich ganz andrer als irdischer. Wie sich Welle in Welle bricht, so fließen die Luftundulationen und Schälle ineinander. Die Sinnlichkeit der Wasserwelt verhält sich also wie das Wasser zur Luft in Hören und Sehen! Ei, wie Geruch, Geschmack und Gefühl? – Wie die Welle das Schiff umschließt, so die Luft den sich bewegenden Erdball; dieser hat zum eignen Schwunge seine Form wie das unvollkomme Schiff zum Winde! Jener wälzt sich durch, durch eigne Kraft; dieser durchschneidet das Wasser durch Kraft des Windes! Der elektrische Funke, der das Schiff umfließt, was ist er bei einer ganzen Welt? Nordlicht? Magnetische Kraft? – Die Fische lieben sich, daß sie sich, wo kaum eine dünnere Schuppe ist, aneinander reiben, und das gibt welche Millionen Eier! Der unempfindliche Krebs und der Mensch, welche Einwürkung und Zubereitung haben sie nicht nötig! Kennet der Fisch Gattin? Sind die Gesetze der Ehe anders als untergeordnete Gesetze der Fortpflanzung des Universums?

Ernst Stadler

Resurrectio

Flut, die in Nebeln steigt.

Flut, die versinkt.

O Glück: das große Wasser,

das mein Leben überschwemmte, sinkt, ertrinkt.

Schon wollen Hügel vor. Schon bricht gesänftigt

aus geklärten Strudeln Fels und Land.

Bald wehen Birkenwimpel

über windgesträhltem Strand.

O langes Dunkel.

Stumme Fahrten zwischen Wolke, Nacht und Meer.

Nun wird die Erde neu.

Nun gibt der Himmel aller Formen zarten Umriß her.

Herzlicht von Sonne,

das sich noch auf gelben Wellen bäumt –

Bald kommt die Stunde,

wo dein Gold in grünen Frühlingsmulden schäumt –

Schon tanzt im Feuerbogen,

den der Morgen übern Himmel schlägt,

Die Taube,

die im Mund das Ölblatt der Verheißung trägt.

Friedrich Nietzsche

Im grossen Schweigen

Hier ist das Meer, hier können wir der Stadt vergessen. Zwar lärmen eben jetzt noch ihre Glocken das Ave Maria – es ist jener düstere und thörichte, aber süsse Lärm am Kreuzwege von Tag und Nacht –, aber nur noch einen Augenblick! Jetzt schweigt Alles! Das Meer liegt bleich und glänzend da, es kann nicht reden. Der Himmel spielt sein ewiges stummes Abendspiel mit rothen, gelben, grünen Farben, er kann nicht reden. Die kleinen Klippen und Felsenbänder, welche in’s Meer hineinlaufen, wie um den Ort zu finden, wo es am einsamsten ist, sie können alle nicht reden. Diese ungeheure Stummheit, die uns plötzlich überfällt, ist schön und grausenhaft, das Herz schwillt dabei. – Oh der Gleissnerei dieser stummen Schönheit! Wie gut könnte sie reden, und wie böse auch, wenn sie wollte! Ihre gebundene Zunge und ihr leidendes Glück im Antlitz ist eine Tücke, um über dein Mitgefühl zu spotten! – Sei es drum! Ich schäme mich dessen nicht, der Spott solcher Mächte zu sein. Aber ich bemitleide dich, Natur, weil du schweigen musst, auch wenn es nur deine Bosheit ist, die dir die Zunge bindet: ja, ich bemitleide dich um deiner Bosheit willen! – Ach, es wird noch stiller, und noch einmal schwillt mir das Herz: es erschrickt vor einer neuen Wahrheit, es kann auch nicht reden, es spottet selber mit, wenn der Mund Etwas in diese Schönheit hinausruft, es geniesst selber seine süsse Bosheit des Schweigens. Das Sprechen, ja das Denken wird mir verhasst: höre ich denn nicht hinter jedem Worte den Irrthum, die Einbildung, den Wahngeist lachen? Muss ich nicht meines Mitleidens spotten? Meines Spottes spotten? – Oh Meer! Oh Abend! Ihr seid schlimme Lehrmeister! Ihr lehrt den Menschen aufhören, Mensch zu sein! Soll er sich euch hingeben? Soll er werden, wie ihr es jetzt seid, bleich, glänzend, stumm, ungeheuer, über sich selber ruhend? Über sich selber erhaben?

Joseph von Eichendorff

Die Nachtblume

Nacht ist wie ein stilles Meer,

Lust und Leid und Liebesklagen

Kommen so verworren her

In dem linden Wellenschlagen.

Wünsche wie die Wolken sind,

Schiffen durch die stillen Räume,

Wer erkennt im lauen Wind,

Ob’s Gedanken oder Träume? –

Schließ ich nun auch Herz und Mund,

Die so gern den Sternen klagen:

Leise doch im Herzensgrund

Bleibt das linde Wellenschlagen.

Charles Baudelaire

Der Mensch und das Meer

Freier mensch! das meer ist dir teuer allzeit ·

Es ist dein spiegel · das meer · du kannst dich beschauen

In seiner wellen unendlichem rollendem grauen ·

In deinem geist ist ein abgrund nicht minder weit.

Gerne versenkest du dich tief in dein bild ·

Ziehst es an dich mit auge und hand – deine sinne

Halten manchmal im eigenen tosen inne

Bei dem geräusch dieser klage unzähmbar und wild.

Beide lebt ihr in finstrer und heimlicher flucht.

Mensch noch sind unerforscht deine innersten gründe!

Meer noch sind unentdeckt deine kostbarsten schlünde!

Euer geheimnis bewahrt ihr mit eifersucht.

Und seit unzähligen jahren rollet ihr weiter

Ohne mitleid ohne reuegefühl ·

So sehr liebet ihr blut und totengewühl –

Unversöhnliche brüder! ewige streiter!

Friedrich Nietzsche

Nach neuen Meeren

Dorthin – will ich; und ich traue

Mir fortan und meinem Griff.

Offen liegt das Meer, ins Blaue

Treibt mein Genueser Schiff.

Alles glänzt mir neu und neuer,

Mittag schläft auf Raum und Zeit –:

Nur dein Auge – ungeheuer

Blickt mich’s an, Unendlichkeit.

Wir gehen am Meer im tiefen Sand, Die Schritte schwer und Hand in Hand.

Max Dauthendey

Theodor Storm

Meeresstrand

Ans Haff nun fliegt die Möwe,

Und Dämmrung bricht herein;

Über die feuchten Watten

Spiegelt der Abendschein.

Graues Geflügel huschet

Neben dem Wasser her;

Wie Träume liegen die Inseln

Im Nebel auf dem Meer.

Ich höre des gärenden Schlammes

Geheimnisvollen Ton,

Einsames Vogelrufen –

So war es immer schon.

Noch einmal schauert leise

Und schweiget dann der Wind;

Vernehmlich werden die Stimmen,

Die über der Tiefe sind.

Ferdinand Freiligrath

Sandlieder

1.

Ich meine nicht den Wüstensand,

Den Tummelplatz des wilden Hirschen;

Die Körner mein’ ich, die am Strand

Des Meeres unter mir erknirschen.

Denn jener ist ein weh’nder Fluch,

Der Wüste rastlos irrende Seele.

Er legt, ein brennend Leichentuch,

Sich über Reiter und Kameele.

Der Sand des Meeres ist kühl und frisch,

Und feucht von Furchen und von Gleisen,

Ein allezeit gedeckter Tisch,

Auf dem die Möven Fische speisen.

2.

Vom Meere fährt heran der Wind;

Die Körner wehn, Meergräser schwanken.

Auf flücht’gem Meeressande sind

Unstet und flüchtig die Gedanken.

Wie dieser Sand vor Wind und Fluth

Sich jagt in wirbelnden Gestalten,

So fährt und schweift mein irrer Muth,

Und keine Stätte kann ihn halten.

3.

O, welch ein wunderbarer Grund!

Ich kann sein Treiben nicht verstehen:

Er lässet Schiffe scheitern, und

Er lässet sie vor Anker gehen.

Dem Raben ist er ewig frisch,

Und dürr des Seegewürmes Zungen;

Verschmachten lässet er den Fisch,

Und ätzt die Möv’ und ihre Jungen.

Auch hab’ ich einen Mann gesehn,

Der wandt’ ihm satt und kalt den Rücken;

Ich aber blieb im Sande stehn,

Und baute Schiffe mir und Brücken.

4.

Der Dünen schwach begraster Wall

Behindert landwärts meine Blicke.

Gleichviel! rundspähend auf dem Schwall

Der Wasser, schau ich nicht zurücke.

Ich weiß nicht, daß noch Land besteht.

Die Wellen hier sprühn Schaum und Funken!

Doch Berg und Wald und Wiese – geht!

Das Alles ist im Meer versunken.

Nur dieser schmale gelbe Streif

Ist übrig von der Welt geblieben.

Drauf irr’ ich, wie ohn’ Stab und Reif

Ein König, welchen man vertrieben.

Ich kann es nicht begreifen, daß

Ich einst durch Wälder bin geschritten,

Daß ich auf Bergesgipfeln saß,

Und über Heiden bin geritten.

Sie ruhn im Meer; im Meere ruht

Mein Lieb’, mein Hoffen und mein Sehnen;

Und wie heran jetzt schießt die Fluth,

So schießen mir ins Auge Thränen.

5.

Gleich’ ich dem Strome, welcher, tief

In einem Waldgebirg entsprungen,

Durch Länder und durch Reiche lief

Und bis zum Meere vorgedrungen? –

O, thät ich’s! – Mann geworden jetzt,

Begrüßt den Braus des Meers der seine

Und doch in ew’ger Jugend netzt

Sein Quell die Wurzeln heil’ger Haine.

6.

Ob meinem Haupte ziehn

Drei Möven, schwer und träg.

Ich schaue nicht empor,

Doch kenn’ ich ihren Weg.

Denn auf den Körnern, die

Im Sonnenscheine glühn,

Fließt flügelausgespannt

Ihr schwarzer Schatten hin.

Und eine Feder fällt

Herab, daß diesen Tag

Ich Sand und Mövenflug

Damit beschreiben mag.

Heinrich Heine

Das Fräulein stand am Meere

Und seufzte lang und bang,

Es rührte sie so sehre

Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! sein Sie munter,

Das ist ein altes Stück;

Hier vorne geht sie unter

Und kehrt von hinten zurück.

Max Dauthendey

Wir gehen am Meer im tiefen Sand,

Die Schritte schwer und Hand in Hand.

Das Meer geht ungeheuer mit,

Wir werden kleiner mit jedem Schritt.

Wir werden endlich winzig klein

Und treten in eine Muschel ein.

Hier wollen wir tief wie Perlen ruhn,

Und werden stets schöner, wie die Perlen tun.

Peter Hille

Seegesicht

Die Küste ruht.

Weites Tritonengetut,

Silberne Wunden der Flut,

Tobende Augen der Wut.

Krähende Pausbacks auf steigenden Rossen,

Plätscherndes Spielen, purpurne Flossen,

Neckisch Bedräuen mit Zacken und Spießen,

Kräftig anfassendes Leiberumschließen.

Und sieh, eine Muschel fleischgelb und zart,

Von Amorinen flüsternd bewahrt.

Hingegossen ruhende Linien,

Grüßender rauschender Palmen und Pinien.

Angeblühte rosige Brüste.

Lächelnde sonnengestreifte Küste.

Fürder kein Dräuen mit Zacken und Spießen,

Müdhinlallendes Leiberumschließen.

Nickende Pausbacks mit schlürfenden Rossen. –

Grünhinflüsternde, finstere Flossen.

Erloschene Wunden der Flut,

Fernes Tritonengetut,

Stierende Augen der Wut,

Die Küste ruht.

Ludwig Tieck

Das Himmelblau

Sie alle umschließ’ ich mit Armen linde,

Sie alle tränk’ ich an meinen Brüsten

Mit Lüsten,

Ich sende die kühlenden Winde,

Ich schaue tief auf sie hinunter,

Sie alle schauen hoch zu mir daher,

Alle macht mein klarer Anblick munter,

Die herrliche Bläue im unergründlichen Meer.

Wolken kommen, Wolken ziehn,

Wolken fliehn,

Treiben in meinem Gebiete hin und her;

Sind dem größeren Blick des Waldes Blätter,

Der Blumen Putz überfliegt der Glanz

Des Abend- und des Morgenroth’s heraufgezogen,

Der kühn gespannte Regenbogen,

Im goldnen Abendmeer die tausend Flammen wogen,

Im furchtbaren Wetter,

Der Wolken Tanz,

Der Blitze zückender Glanz. –

Rainer Maria Rilke

Sonntag

Das war … das war … an der Ostsee. Ich kam von einem frühen Morgengang. Der Wald um mich her war still, ganz still. Auch mein Schritt verklang auf dem weichen, habitbraunen Waldboden. Nur die Luft war voller Vogelsang. – Schulterhohe Farren prahlten mit perligem Tauschmelz. Die steifen Stämme glühten, und ihre hohen Kronen schwankten lautlos her und hin, als wollten sie den weiten Himmel blankscheuern. – Und der war doch so klar.

Jetzt tauchte das Dorf auf. Viel weißer waren die kleinen Häuser als sonst, und ihre moosbewimperten Augen, die Fenster, blinzten viel heller. – Und der Kirchturm mit dem roten Zwiebeldach, – drollig: der sah aus wie ein stämmiger, kerngesunder Pausback. – Drüben die Straße schimmerkiesig, und die Meilensteine, an ihrem Ranfte im Grünen, wie Kinder im Hemdchen, die knieen und beten! – Nicht?

Beten, ja! Dank beten.

Ich ging durch die Gassen. Hart vor mir war der Morgen hier gegangen. Ich sah seine goldene Sohlenspur. Rechts bald, bald links hinter hellgrünen Latten standen sonnenhaarige Mädchen. Sie sangen und schnitten Rosen, sich damit zu schmücken. – Wir lachten und nickten uns zu. Und aus den Fenstern lugten freundliche, uralte Mütterchen zum Himmel hinauf mit lichtmatten, aber lachenden Augen. Kinder standen im Hemde am Türpfosten. Sie klatschten in die Hände, und ihre beiden pfirsichroten Backen waren voll Sonntagskuchen …

Dann stand ich am Meer. Das Meer war wie violenblauer, schwerer Atlas. Ein winziges, ockergelbes Segel sonnte weit draußen, und am Horizont zog wie ein silberweißer Schwan der große Rügendampfer …

Ich staunte hinaus in die flimmernde Pracht. Wie ein Kind, das ein schönes Spielzeug erhalten hat, hätte ich Alle rufen mögen, die mir lieb sind: »Kommt und seht, ist das nicht – herrlich?!«

Dabei war meine Brust voll Jubel und Lachen.

Ein brauner, alter Fischer kam just des Wegs. Ich eilte hinzu und drückte seine schwielenharte Hand, daß es mich schmerzte …

Ja, das war an der Ostsee. – Hab damals übrigens fleißig Tagebuch geführt. An diesem Tage schrieb ich in mein Heft: »Ein Sonntag …!« Kein Wort mehr. –

Wolfgang Borchert

Muscheln, Muscheln

Muscheln, Muscheln, blank und bunt,

findet man als Kind.

Muscheln, Muscheln, schlank und rund,

darin rauscht der Wind.

Darin singt das große Meer –

in Museen sieht man sie glimmern,

auch in alten Hafenkneipen

und in Kinderzimmern.

Muscheln, Muscheln, rund und schlank,

horch, was singt der Wind:

Muscheln, Muscheln, bunt und blank,

fand man einst als Kind!

Eduard von Keyserling

Zu zweien schwimmen

Der Tag war sehr heiß. Die Generalin hatte die Strandkörbe auf die Düne stellen lassen. Dort saßen sie und ihre Tochter und machten Handarbeit. Fräulein Bork ruhte vor ihnen im Sande und zeichnete das Meer. Sie zeichnete immer das Meer, lange leichtgewellte Linien, am Horizont ein Segelboot. Wedig saß neben seiner Mutter und mußte aus Fénélons »Télémaque« vorlesen. Er las ganz eintönig in einer Art klagender Melodie, die wie das Schlummerlied für diese heiße Stunde klang. Er selbst fühlte sich ganz hoffnungslos, sein Feriengefühl war ihm abhanden gekommen. Dieses ewig glitzernde Meer, dieser heiße Sand, der sich an die Finger hing und sie nervös machte, die Ereignislosigkeit, all das schien Wedig gewöhnlicher Alltag und machte ihn weltschmerzlich. Dazu noch dieser Mentor mit seinen endlosen Reden. Wedig wünschte, er hätte ihm die Nase abreißen können. Frau von Buttlär hörte der Vorlesung nur unaufmerksam zu, nur mechanisch warf sie hin und wieder ein zerstreutes »faites les liaisons, mon enfant« hin. Oft griff sie nach ihrem Opernglase, um zum Strande hinabzusehen, wo Lolo und Nini auf und ab gingen und sich abkühlten, bevor sie in das Wasser gingen. In den roten Badeanzügen, weiße Stoffkappen auf dem Kopf, sahen sie wie sehr schlanke Knaben aus und sie gingen ganz aufrecht, die Beine ihrer Freiheit ungewohnt ein wenig befangen und steif bewegend.

»Sagen Sie, Malwine«, fragte die Generalin, »sahen wir in unserer Jugend auch so aus, wenn wir badeten?«

Fräulein Bork kniff das eine Auge zu und lächelte gefühlvoll: »Ach, das ist so hübsch«, meinte sie, »wie kleine rote Silhouetten auf einem grünen Lampenschirm sehen sie aus.«

»Ja, o ja«, versetzte die Generalin, »daß das, was wir in unserer Jugend Hüften nannten, immer mehr abkommt!«

Jetzt gingen die Mädchen in das Wasser, vorsichtig wateten sie durch die Brandungswellen, verschwanden zuweilen ganz im weißen Schaum und warfen sich endlich auf das Wasser, um zu schwimmen, zwei rote Striche, in dem weißlichen Grün, das heute die Farbe des Meeres war. Sie waren gute Schwimmerinnen, aber Lolo überholte Nini weit, wunderbar leicht und schnell schoß sie vorwärts, geradeaus, als habe sie ein Ziel.

»Aber wohin will sie«, rief Frau von Buttlär, »warum bleiben sie nicht beisammen? Ich habe ihnen gesagt, sie sollen beisammen bleiben, ich habe ihnen verboten, bis zur zweiten Sandbank zu schwimmen. Lolo! Lolo!« Frau von Buttlär rief und winkte mit ihrem Taschentuche, aber der rote Strich dort drüben fuhr immer weiter ins Meer hinaus. »Ich sage es immer«, klagte Frau von Buttlär, »Lolo hat einen schwierigen Charakter, sie kann nicht gehorchen, ihr Mann wird es schwer haben. Lolo! Lolo!«

»Wer geht denn dort ins Meer?« fragte Wedig und zeigte zum Strande hinab.

»Das«, sagte die Generalin, »muß die Köhne sein.«

»Wo? Was?« rief Frau von Buttlär. »Ach, nenne sie doch nicht Köhne, Mama, sie heißt doch nicht so.«

»– Ach was«, meinte die Generalin, »wenn die Leute beständig ihren Namen ändern, kann mein alter Kopf es nicht behalten, und Grill, wer kann sich das merken, das ist nichts.«

Einen Augenblick schwiegen alle und schauten gespannt auf das Meer hinab. Wedig hatte den Télémaque fortgeworfen und legte sich platt in den Sand, lag da wie eine Robbe und starrte vor sich hin. Jetzt kam vielleicht doch ein Ereignis.

»Reizend«, bemerkte Fräulein Bork, »marineblau und einen kleinen gelben Dreimaster und wie sie schwimmt!«

»Sehr schick«, brummte Wedig. Das jedoch erregte aufs neue Frau von Buttlärs Aufregung. »Schweig«, herrschte sie ihren Sohn an, sie stand auf, schwenkte ihr Tuch, rief wieder: »Lolo! Lolo! Aber sie schwimmen ja aufeinander zu, auf der Sandbank müssen sie sich ja treffen. Ach Gott, mein armes Kind!«

»Na, setz’ dich, Bella«, beruhigte die Generalin ihre Tochter, »jetzt ist es nicht zu ändern. Sie wird Lolo auch nicht gleich anstecken.«

»Muß man so etwas erleben«, seufzte Frau von Buttlär und setzte sich kummervoll in den Stuhl zurück. Gespannt folgten alle mit den Augen dem roten und dem marineblauen Punkte dort auf der lichtüberglitzerten Fläche.

»Die Dame ist doch zuerst da«, rief Wedig triumphierend.

»Lolo scheint müde, sie schwimmt langsam«, bemerkte Fräulein Bork; »ah, ah, die Gräfin geht ihr entgegen, sie will ihr helfen.«

»Unerhört«, stöhnte Frau von Buttlär.