Letzte Aufzeichnungen - Erich Honecker - E-Book

Letzte Aufzeichnungen E-Book

Erich Honecker

4,6

Beschreibung

Erich Honecker war 169 Tage in Berlin-Moabit inhaftiert, ehe er Anfang 1993 nach Chile ausreiste. Im Gepäck hatte er ein Tagebuch, etwa 400 handschriftlich gefüllte Seiten. "Für Margot" stand auf dem Deckblatt. Darin berichtet er über den Gefängnisalltag, sein Befinden, Gespräche und Eindrücke. Es sind vermutlich die einzigen persönlichen Notizen, die Erich Honecker je zu Papier brachte. Sie erscheinen im Jahr, in welchem er 100 geworden wäre. Mit einem Vorwort von Margot Honecker.

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Bildnachweis:

„Zu Gast bei den Grenztruppen der DDR: von rechts nach links Manfred Gerlach (LDPD), Ernst Goldenbaum (DBD) und Heinrich Homann (NDPD), 1981“ und „Michael S. Gorbatschow mit seiner Frau Rassia vor dem Brandenburger Tor, 26. April 1986“ Nachlass Klaus-Dieter Baumgarten;

„Die JVA Berlin-Moabit“, „Die JVA Berlin-Moabit in der Sommerhitze“, Kapitel - 16. August „Die JVA Berlin-Moabit“, „Bruderkuss. Darstellung auf der East-Side-Gallery in Berlin“ © Robert Allertz;

Alle anderen Illustrationen aus dem Nachlass von Erich Honecker im Besitz von Margot Honecker

ISBN eBook 978-3-360-51000-6

ISBN Print 978-3-360-01837-3

© 2012 edition ost im Verlag Das Neue Berlin, BerlinCovergestaltung: Buchgut, Berlin, unter Verwendung des Fotos„Honecker beim täglichen Rundgang im Hof der Haftanstalt Moabit 1992“,ullstein Bild

Die Bücher der edition ost und des Verlags Das Neue Berlinerscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe

www.edition-ost.de

Das Buch

Das Manuskript, etwa 400 handschriftliche Seiten, befand sich im Besitz von Margot Honecker. Die Aufzeichnungen entstanden in der fünfeinhalb Monate währenden Haft in Berlin-Moabit. Sie sind sowohl Berichte vom Tage, Repliken auf Zeitungsbeiträge, Reaktionen auf den Prozess sowie auf medizinische Untersuchungen. Auf einer dritten Ebene hält der Autor gleichsam Zwiesprache mit seiner Frau, die zu jener Zeit schon in Chile lebt. Die Tagebuchaufzeichnungen sind ein zunächst privates, aber durchaus allgemeines zeitgeschichtliches Zeugnis. Sie geben Auskunft über das Innenleben eines ehemaligen Staatsmannes, der, schon todkrank, von einer gnaden- und seelenlosen Justiz zu Tode gehetzt werden soll. Nach fast zwei Jahrzehnten sind viele Namen und Zusammenhänge auch geschichtskundigen Lesern kaum noch präsent. Sie werden in ausführlichen Anmerkungen erläutert.

Der Autor

Erich Honecker (1912-1994), geboren und aufgewachsen in Neunkirchen im Saarland in einer Bergarbeiterfamilie. Mit 10 wurde er Mitglied der Kommunistischen Kindergruppe, mit 14 des Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD), mit 17 der KPD. Besuch der Leninschule in Moskau 1930/31. Antifaschistischer Widerstand, Haft von 1935 bis 1945. Nach dem Krieg Mitbegründer der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und dessen Vorsitzender bis 1955. Besuch der Parteihochschule in Moskau bis 1957. Nach seiner Rückkehr Mitglied des Politbüros und ZK-Sekretär. 1971 Erster, ab 1976 Generalsekretär des ZK der SED, Vorsitzender des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates bis zum 18. Oktober 1989. Von Moskau im Sommer 1992 ausgeliefert, 169 Tage U-Haft in der JVA Berlin-Moabit, Ausreise nach Chile am 13. Januar 1993. Dort verstorben am 29. Mai 1994.

Erich Honecker

Letzte Aufzeichnungen

Mit einem Vorwort von Margot Honecker

Das erste Blatt der Aufzeichnungen

Vorwort

Von Margot Honecker

Lange habe ich gezögert, diese letzten Aufzeichnungen Erich Honeckers aus der Hand zu geben. Sie sind stellenweise wie in einem vertrauten Gespräch mit mir und der Familie geschrieben. Ich meinte, dass man Privates, etwas, das auch Empfindungen offenbart, besser im privaten Raum belassen sollte.

Mein Mann begann mit diesen Aufzeichnungen mit dem Tag seiner Einlieferung ins Gefängnis Moabit. Er schrieb auf Anraten seines Verteidigers Friedrich Wolff eine Art Tagebuch, das auch Aufschluss geben sollte über den Prozess. Er hatte keine Schreibmaschine, er schrieb mit der Hand. Mit dem Fortschreiten seiner Krankheit schwanden seine Kräfte, wurde seine Schrift immer schwerer lesbar. Seine Gedanken sprangen auch. Manches blieb fragmentarisch, und einige Bemerkungen sind nur mit der Hetze, dem enormen Druck, der auf ihm lastete, zu erklären.

Nach den ersten ärztlichen Untersuchungen in Berlin war ihm gesagt worden, dass der bösartige Tumor in der Leber sich aggressiv weiterentwickelte. Erich Honecker wollte sich mit der ihm verbliebenen Kraft und Lebenszeit vor allem auf den Prozess konzentrieren.

Wenn ich mich, auch dem Rat guter Freunde folgend, nun doch entschloss, die Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, so deshalb, weil sie nicht nur einen wahrhaften Einblick geben in einen kurzen Lebensabschnitt im kämpferischen Leben Erich Honeckers, sondern auch in einen in der deutschen Geschichte schwerwiegenden Zeitraum. So könnten die Aufzeichnungen hilfreich sein in der politischen Auseinandersetzung mit der Geschichte, indem sie einige Wahrheiten ins Licht rücken inmitten der Lügen, Fälschungen und Verleumdungen, die nun schon seit über zwei Jahrzehnten verbreitet werden. Und alles deutet darauf hin, dass auch weiterhin Heerscharen aufgeboten werden, geschichtliche Wahrheiten unter den Teppich zu kehren, den Sozialismus zu diskreditieren, Kommunismus und Kommunisten zu verteufeln. Nichts ist dieser herrschenden Klasse in ihrem Selbsterhaltungswahn heilig, sie kennt keine ethischen Normen, ihre Hassgesänge entspringen nun mal ihrer Klassenmoral. Unsere Gegner agieren so, weil sie nicht akzeptieren können, dass eine andere Gesellschaft als die, in der wir zurzeit leben, nötig und möglich ist. Sie können nicht verzeihen, dass eine andere Gesellschaft als die ihre auf deutschem Boden errichtet wurde, die immerhin 40 Jahre existierte und in dieser Zeit ihre Herrschaft über ganz Deutschland verhinderte.

Jene, die in den Diensten des zeitweilig über den Sozialismus triumphierenden Kapitalismus stehen, von geschichtlichen Wahrheiten überzeugen zu wollen, ist vergebliche Mühe und nicht mein Anliegen. Mir begegnen immer wieder Menschen, vor allem jüngere, die nachdenklich geworden sind, ob diese kapitalistische Gesellschaft eine Zukunft hat. Es sind Menschen, die sich historischen Wahrheiten nicht verschließen.

Zum Nachdenken anregen könnten auch diese Aufzeichnungen, die aus Anlass des bevorstehenden 100. Geburtstages Erich Honeckers erscheinen. Seinen 80. Geburtstag verbrachte er in Moabit. Damals wurde seine schwere Erkrankung öffentlich. Ich rief von Chile aus zur Solidarität mit meinem Mann auf und erklärte: »Ich bin mir sicher, mein Mann wird, so lange er lebt, nicht nur sich und seine Genossen verteidigen, sondern auch das Unrecht anklagen, das zehntausendfach den Bürgern der DDR angetan wurde, indem man aus der demokratischen, friedlichen Wiedervereinigung eine Okkupation der DDR machte.«

Ich habe mich in diesem Urteil nicht geirrt.

Die Aufzeichnungen enthalten Fakten und Hinweise, die den politischen Prozess gegen Honecker und Genossen in Erinnerung rufen. Es ging dabei nicht um Juristisches, nicht um Personen: Es ging um Politik.

Nachdem das kapitalistische Deutschland das sozialistische Deutschland unterworfen hatte, demonstrierte der kapitalistische Staat, wie er mit Menschen umzugehen gedenkt, die eine andere als diese Gesellschaft wollen. Warum sonst fanden Ermittlungsverfahren und Prozesse statt gegen Grenzsoldaten, Juristen, Angehörige des MfS, Sportler und andere Personen, die der DDR dienten? Gegen mehr als 100.000 Bürger der DDR wurden Beschuldigungen erhoben, rund 85.000 juristische Verfahren wurden eingeleitet, von denen die meisten im Sande verliefen, die aber die betroffenen Familien oft ins Unglück stürzten. Auch wenn man es nicht wahrhaben wollte – und es waren damals viele, die durch die konterrevolutionären Ereignisse irritiert waren –, bleibt es eine unbestreitbare Tatsache, dass die juristische Verfolgung eine politische Abrechnung der BRD mit der DDR darstellte. Der Kapitalismus maßte sich an, über den Sozialismus zu Gericht zu sitzen.

Die herrschende Politik tat und tut alles, um diese gesellschaftlichen Zusammenhänge zu verschleiern und zu leugnen. Nicht alle ließen sich beirren, Klardenkende sahen diese Zusammenhänge. Auch im bürgerlichen Lager gab es Persönlichkeiten, die die Prozesse kritisch verfolgten. Günter Gaus, einst Ständiger Vertreter der BRD bei der DDR, verstand sich als radikaler Demokrat. Er glaubte an diese Ordnung und vertrat sie mit Überzeugung. Als Honeckers Prozess endete, schrieb Gaus, dem dieser gesellschaftliche Kontext sehr bewusst war, am 22. Januar 1993: »Der Wille, die DDR-Geschichte juristisch aufzuarbeiten, hatte die unvermeidliche Zuspitzung auf Totschlag zur Folge. Der Prozess setzte erstens voraus, dass Honecker die Mauer allein und aus Böswilligkeit gebaut hatte und also anzuklagen sei. Das ist geschichtslos. Wahr ist, an der Elbe 1961 existierte tatsächlich die gefährlichste Militärgrenze der Welt. Dass Honecker das auch gesagt hat, macht ja noch nicht, dass es falsch ist. Und es ist auch wahr, der Kalte Krieg wurde 1961 von beiden Seiten heftig geführt und hatte eine Zuspitzung erreicht, dass die Alliierten – wie an ihrem Verhalten abzulesen – ganz froh waren über den Bau der Mauer.«

In einem anderen, früheren Text hieß es dazu bei Gaus: »Lag nicht doch Krieg auf den Straßen von Berlin am damaligen 13. August? Und falls er drohte – und alle Welt meinte, er drohe –, war dann der Mauerbau ein unverhältnismäßiges Mittel zu seiner Verhinderung?«

Gaus warf die Frage nach der Mitverantwortung der Bundesrepublik auf und meinte darum in jenem Beitrag zum Ende des Honecker-Verfahrens, dass »wirkliche Schuld« erst noch verhandelt werden müsse. »Ich denke aber, dass der Bau der Mauer der falsche Punkt ist. Denn es hat, zweitens, keinen Sinn, so zu tun, als sei die DDR eine abtrünnige Provinz der Bundesrepublik gewesen. Es gab zwei voneinander unabhängige deutsche Staaten, von der ganzen Welt anerkannt.«

Über zwei Jahrzehnte sind vergangen. Es braucht seine Zeit, bis die Wahrheit sich durchsetzt. Ein ungetrübter Blick auf Vergangenheit und Gegenwart wird verhindert durch den Nebel, den die herrschende Politik über den tatsächlichen Verlauf der Geschichte verbreitet. Tatsachen lassen sich aber nicht auf Dauer leugnen.

Tatsache bleibt: So lange das sozialistische Deutschland existierte, gab es keinen rabiaten Sozialabbau. So lange das andere Deutschland existierte, wurde Deutschland daran gehindert, seine Söhne wieder in Kriege zu schicken.

Heute gibt es wieder ein kapitalistisches Großdeutschland, das seinen Nachbarn und der Welt erneut Unbehagen einflößt in seinem Streben nach Vorherrschaft. Unbehagen nicht zuletzt auch deshalb, weil schon wieder Nazis ihr Unwesen treiben können. Die Wurzeln des Faschismus wurden in der alten BRD nie ausgerottet. Und sie werden mit der blindwütigen Diskreditierung des Sozialismus, dem törichten unheilvollen Antikommunismus, wiederbelebt.

Ein ungetrübter Blick auf unsere Geschichte, auf die Vergangenheit und auf die Gegenwart sollte nachdenklich machen, Nachdenken befördern, Schlussfolgerungen für Gegenwart und Zukunft liefern.

Erich Honecker hielt an der Überzeugung fest, dass auch in Deutschland erneut gesellschaftliche Kräfte auf den Plan treten werden, die andere Verhältnisse erstreiten werden. Obgleich schwerkrank, ist er bis zum Ende seines Lebens für seine Überzeugung eingetreten.

Auch davon sprechen diese Aufzeichnungen.

Margot Honecker,Santiago de Chile, Dezember 2011

Die JVA Berlin-Moabit

29. Juli 1992

Berlin in Sicht. Die Stadt liegt in der Abendsonne. Ich sehe den Fernsehturm, um den Walter so gekämpft hat.1 Ich freue mich noch immer, dass ich ihn dabei unterstützte. Er hatte dabei einen schweren Stand. Aber schließlich doch die Mehrheit.

So sah es unter der »Diktatur« aus, in der Demokratie, die sozialistisch war.

Der Turm steht immer noch auf Berliner Boden. Wie ich hörte, soll noch die »Eigentumsfrage« von Grund und Boden geklärt werden.2 Ja, daran haben wir wohl damals nicht gedacht. Ich weiß auch nicht, wem er gehört. Früher gehörte er dem Volk.

Die Landung in Tegel war gut. Die Aufnahme korrekt. Der Leitende der Aktion Sicherheit stellte sich vor. Er hatte alles im Griff.3

Noch im Flugzeug erfolgte eine ärztliche Untersuchung: Herz/Lunge o.k., Blutdruck 90/180, Puls 130.

Danach ging im Mercedes die Fahrt nach Moabit.4 Am Straßenrand stehen Menschen, ich sehe Transparente, rote Fahnen, höre Rufe von Freund und Feind. Die freundlichen Worte überwiegen. In der Turmstraße5 großer Empfang, Rufe von unseren Berlinern. Tor auf – wir sind auf dem Hof des Haftkrankenhauses.

Im Krankenhaus erfolgt die Einkleidung. In der U-Haft hat man ja das Recht auf eigene Kleidung.

Um meine Bilder muss ich kämpfen. Zwei Fotos von den Enkeln hat man mir abgenommen.

Bin mit einem Sinto in der Zelle. Wir verstehen uns gut. Das Einschlafen fiel mir schwer. Ich habe noch eine Tablette genommen. In Zukunft wird dies wohl wegfallen.6

30. Juli

Nach dem Frühstück – mein Sinto versorgt mich wie einen guten Freund –, kommt das Geburtstagskind (70 Jahre) Dr. Friedrich Wolff. Kurze Information und Verständigung. Dann Landgericht Berlin, im Saal 500 Verlesung des Haftbefehls.7 Ich erkläre, dass ich heute dazu keine Bemerkungen habe. Ende.

Danach zum Amtsgericht Tiergarten im gleichen Gebäude in einem anderen Saal. Verzichte in Anwesenheit von Dr. Wolff auf Verlesung des Haftbefehls. Eine Komödie. Mit den Preisen in der HO-Wandlitz habe ich nie etwas zu tun gehabt.8 Der Haftbefehl wird mir ausgehändigt. Habe auch dazu keine Bemerkung gemacht.

Wir stellen fest, dass man mir im Landgericht den falschen Haftbefehl ausgehändigt hat und kehren darum zum Saal 500 zurück.9

Nach 57 Jahren sehe ich den Komplex Moabit also wieder von innen. Weihnachten 1935 hatte mich die Gestapo aus ihrer Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße hierher gebracht.10 Anderthalb Jahre war ich damals hier in Untersuchungshaft. Für wie lange wird es diesmal sein?

Es sind dieselben Flure und die gleichen Gänge. Ich habe noch die Rufe von damals im Ohr: »G 3 zur Vernehmung!« Später saß ich dem Untersuchungsrichter des »Volksgerichtshofes« Hans-Joachim Rehse11 gegenüber. Er fällte über zweihundert Todesurteile gegen Antifaschisten. Dafür wurde er in den späten 60er Jahren vom Berliner Landgericht wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil mit der Begründung auf, Rechtsbeugung sei nicht nachweisbar. »Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus«, sagten wir damals, als die Entscheidung von Karlsruhe uns in der DDR erreichte. Der Mörder Rehse starb unmittelbar nach seinem Freispruch. Nicht ein Nazirichter wurde damit rechtskräftig in der Bundesrepublik verurteilt. Nicht einer.

Seite aus Honeckers holländischem Reisepass, ausgestellt am 22. Januar 1934 für den Seemann Marten Tjaden. Rechts unten die Ausreise aus der Tschechoslowakei am 20. November 1935. Am 4. Dezember, zwei Wochen später, wurde er in Berlin verhaftet und Weihnachten nach Moabit überstellt

Und diese Justiz wird nun über mich und meinesgleichen zu Gericht sitzen.

31. Juli

Mein Sinto muss umziehen. Wir sind sprachlos. Höhere Gewalt. Ich bedauere die Trennung. Er war ein Mann mit vielen Erfahrungen und Kenntnissen. Die Sinti hatten und haben es immer schwer. Eine Überraschung: Er kennt Rechtsanwalt Becker12. Jetzt harre ich der Dinge, die heute kommen sollen. Alles andere liegt ja in der Zukunft.

Gestern hatte ich das Glück, nach so langer Zeit Erich Mielke13 zu sehen. Eine Krankenschwester begleitete ihn beim Rundgang auf dem Hof. Ich rief ihn von oben an. Keine Reaktion.

Ich nochmals: »Erich!« Diesmal mit »Rot Front!«, dass es über den ganzen Hof schallte.

Wieder nichts. Keine Kopfbewegung, kein suchender Blick. Offensichtlich wollte er nicht reagieren. Ich kann und will nicht glauben, dass er so fertig ist.

Am Nachmittag kommt Rechtsanwalt Becker. Wir besprechen etwa ein Dutzend Themen, die meine unmittelbare Situation betreffen.

1. Verbindung mit meiner Frau

2. meine Rente14

3. mein Konto15

4. unsere Sachen aus der Hütte

5. Jagdwaffen und zwei -fahrzeuge

6. Telefonat mit Manfred und Erika16

7. kein Buch

8. Bilder der Enkel

9. mein Lebenslauf in den Gestapo-Akten.

Zum Prozess:

Wie kam es zur Spaltung Deutschlands?

Wie kam es zur Mauer?

Chronologie der Reisepläne und -absagen in die BRD.

Gorbatschow 1984 und 1986/87 dagegen.

1. August

In der Nacht habe ich schlecht geschlafen. Ich soll im Haus verlegt werden. Die andere Zelle soll besser und sicherer sein.

Der Rundfunk meldet, dass Margot nach 30 Stunden Flug in Santiago de Chile eingetroffen sei.17 Wegen Nebels habe die Maschine nicht landen können und musste nach Argentinien zurückkehren. Sie sei von Sozialisten begrüßt worden. Die Nachricht von der glücklichen Landung ist eine Erlösung für mich.

In Deutschland wird die Hetzjagd gegen Dich, meine Kleine, fortgesetzt. Das schmerzt. So ist es mit dem »Vermächtnis der Widerstandskämpfer«, auf dem – wie ich den Erklärungen zum 20. Juli entnahm – die BRD ruht. Sie ruht bis jetzt, wie die Dinge zeigen, noch auf dem alten antikommunistischen Fundament. Deine Leistungen in der Illegalität, als andere braun waren und ihren »Führer« liebten, der die Juden unterdrückte, sie vergaste – ob Kind, ob Greis –, das alles ist vergessen und zählt nicht mehr. Deine Leistungen als Pionierleiterin über ein Jahrzehnt, die antifaschistische Erziehung der Jugend nach 1945, als Ministerin für Volksbildung: Das interessiert nicht.18 Stattdessen krähen sie von Zwangsadoptionen und anderen Dingen, derer Du Dich angeblich schuldig gemacht hast.

Die Justiz der BRD hat kein Recht, über Dich, die Du Deinem Staat treu und erfolgreich gedient hast, zu Gericht zu sitzen.19 Wir haben den deutschen Militarismus wohl doch nicht überzeugend genug dargestellt. Aber die Erfahrungen jetzt mit ihm zeigen, dass wir ihn richtig eingeschätzt hatten. Bin gespannt, was das »Komitee für Gerechtigkeit«20 dazu zu sagen hat.

2. August

Mein Blutdruck ist 200 zu 160, so hoch wie noch nie.

Die Leute von der taz sind gut. Bringen jeden Tag eine Zeitung heraus, obwohl auch sie nicht in Ordnung ist.21

3. August

Suche wegen des Bluthochdrucks das Krankenhaus Moabit auf. Werde vom Personal gut aufgenommen und behandelt.

Prof. Dr. Volker Taenzer, ein Radiologe, untersucht meine Leber.22 Ich sehe die dunklen Stellen auf dem Röntgenbild. Er fragt nach den Röntgenbildern aus Moskau, um zu vergleichen. Ich habe sie nicht.

Vor der Untersuchung musste ich viel trinken. Zum Glück verfüge ich über die Erfahrungen von zwei Operationen und weiß, wozu das nötig ist. Die Menge hielt meine Blase dennoch nicht aus.

Wie ich höre, kennt Professor Taenzer Prof. Wolff und Prof. Althaus aus der Charité gut. Sie hatten mich damals behandelt.

Ich höre im Rundfunk die gute Nachricht, dass das Parlament in Chile Margot den Aufenthalt bewilligt hat.

Ich denke oft an Margot, an Robi23 und meine Lieben.

4. August

Das Leben geht seinen Gang. Ich lese jetzt viel und höre Rundfunk. Die Welt ist verrückt – und Russlands Staatsbank bewegt Rubel, pro Monat etwa 250 Milliarden. Jelzin besorgt den Ausverkauf. Ich muss den Säufer nicht mehr fürchten – im Unterschied zu den Russen.

 

5. August

Meine Anwälte informieren mich, dass es morgen einen Haftprüfungstermin im Saal 500 geben werde. Sie und auch die 27. Strafkammer haben ihn beantragt. Die Mediziner sollten sagen, ob ich haft-, vernehmungs- und verhandlungsfähig sei.

Ich weiß, dass dies den Regeln des »Rechtsstaats« entspricht. Die Frage aber ist doch eine ganz andere: Ist der Prozess, den man mir und den anderen Mitgliedern des Politbüros machen will, überhaupt zulässig, also rechtens? Vorgestern hat Augstein im Spiegel erklärt: »Der Haftbefehl gegen Honecker hätte gar nicht erst erlassen werden dürfen.«

Inzwischen gehen Briefe und Telegramme aus Berlin und ganz Deutschland ein. Ich bekomme Post aus Frankreich, Griechenland, Norwegen, Schweden, Dänemark, aus den Niederlanden, England, Spanien, selbst aus den USA. Sie zeigt, dass die DDR nicht vergessen ist. Die Solidarität ist groß. Am meisten aber freue ich mich über den Brief aus Israel, den mir Dr. Wolff übergab. Geschrieben hat ihn Sarah Fodorová, die ich 1935 laut Stern an die Gestapo verraten haben soll.24 Den Brief hat er von einem Berliner bekommen, der in Israel zu Besuch war. Dieser traf dort Sarah Fodorová, die unter dem Namen »Wiener« in Tel Aviv lebt und aus der Presse von meinem Schicksal erfahren hat. Auch von diesen Anschuldigungen, dass ich sie damals in Moabit angeblich ans Messer geliefert habe. Ich bezweifle, dass jene Zeitungen ihren Brief drucken werden, die mich als »Verräter« an den Pranger stellten. Es ist doch klar: kein positives Wort zu diesem Verbrecher!

Sarah war damals standhaft und mutig. Sie ist es auch jetzt. Ich versuche mich an sie zu erinnern, wie sie damals aussah, und stelle mir vor, wie sie heute – mehr als 50 Jahre nach unserem Prozess vorm »Volksgerichtshof« – aussehen könnte.

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