Zu dramatischen Ereignissen - Erich Honecker - E-Book

Zu dramatischen Ereignissen E-Book

Erich Honecker

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Beschreibung

Ein historischer Text eines gestürzten Staatsmannes, der Beachtung verdient. Der frühere Generalsekretär der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR nimmt in diesem hochbrisanten Text Stellung zu den dramatischen Ereignissen. Im Exil in Moskau, in der politischen Auseinandersetzung 1989 – 91 geschrieben, findet er auch nach 20 Jahren noch seine Bestätigung. Dieses Buch wurde – im Unterschied zu anderen Veröffentlichungen – von Erich Honecker autorisiert. So bietet sich dem Leser die Chance, am authentischen Text selbst zu prüfen, ob Honeckers Meinung vor der Geschichte Bestand hat.

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Erich Honecker

Zu dramatischen Ereignissen

2012 • Verlag Wiljo Heinen, Berlin

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Und nun wollen wir Sie nicht weiter beim Lesen stören…

I. Einleitung

Da in dem von mir nicht autorisierten Buch und in einigen anderen Veröffentlichungen, auf die ich keinen Einfluss hatte, Entstellungen und Fälschungen enthalten sind, halte ich es schon aus Gründen der politischen Kultur für erforderlich, mich zu äußern. Vor allem jedoch entspricht das meiner politischen Verantwortung.

Ich weiß, dass es auch wohl gemeinte Ratschläge von Freunden gibt, überhaupt auf öffentliche Erklärungen zu verzichten, da sie in jedem Falle für neue Hetztiraden benutzt werden können. Das ist nach den jüngsten Erfahrungen auch keineswegs von der Hand zu weisen, aber andererseits kann man mir nicht zumuten, zu all den tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen zu schweigen.

Ich halte es einfach für meine Pflicht, mich zu den dramatischen Ereignissen seit November 1989 zu äußern. Schließlich gibt es nicht nur jene, die nur allzu schnell ihre früheren Ideale und Freunde verraten und ihre politische Gesinnung gewandelt haben, sondern auch unzählige ehrliche ehemalige Mitstreiter, vernünftige und anständige Menschen in aller Welt, die trotz kritischer Bewertung der Vergangenheit ihre Hoffnung auf eine neue, eine von kapitalistischer Ausbeutung freie moderne sozialistische Gesellschaft trotz alledem nicht aufgegeben haben. An sie wende ich mich in erster Linie.

Von der Bühne der Geschichte abzutreten, ohne meinen Standpunkt zu den erdbebenartigen Entwicklungen der letzten Zeit darzulegen, das hielte ich für ehrlos, nicht nur für mich persönlich, sondern auch für die deutsche und internationale kommunistische Bewegung.

Ich bin fest entschlossen, soweit meine Kräfte reichen, mich von den heutigen Siegern ebenso wenig mundtot machen zu lassen, wie einst von der faschistischen Gestapo. Das bin ich meinem ganzen Leben als Kommunist schuldig.

Zunächst möchte ich sagen: die Ereignisse seit meinem Rücktritt als Staatsratsvorsitzender und Generalsekretär, die sich in der DDR vollzogen, haben mich tief erschüttert. Ich kann aber nicht sagen, »dass in mir eine ganze Welt zusammengebrochen sei«. Der Untergang der DDR hat aber mir und anderen Kampfgefährten nicht den Glauben an den Sozialismus als der einzigen Alternative für eine menschliche Gesellschaft genommen. Es ging beim »Zurückrollen« des Sozialismus in den Kapitalismus nicht um mich, sondern um alle, die tatkräftig mitgebaut haben an der Errichtung und Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft. Ich verstehe sehr gut all jene, die sagen, es kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir 40 Jahre umsonst gearbeitet haben. Sie haben recht! Was wir in 40 Jahren, jeder an seinem Platz, unter schwierigen Bedingungen für ein Leben im Sozialismus auf deutschem Boden geleistet haben, wird fortbestehen in den Kämpfen der Zukunft. Ich denke dabei insbesondere an die durch die sozialistischen Produktionsverhältnisse bedingte soziale Sicherheit für alle, an solche verwirklichten Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit, das Recht auf gleiche Bildung, die Gleichberechtigung der Frau, an all die Errungenschaften, die vielen schon selbstverständlich erschienen, heute jedoch rigoros zerschlagen werden. Arbeiter, Bauern, Wissenschaftler, Lehrer, Männer und Frauen und die Jugend, viele heute ohne Arbeitsplatz, ohne Lebensperspektive werden nur im Kampf zurückgewinnen können, was ihnen an Rechten schon garantiert war in unserem ehemals sozialistischen Land. Bei dem schier Unverständlichen des Zusammenbruchs der sozialistischen Gesellschaft, bei all dem Verrat, bei aller Erbärmlichkeit, die wir erleben mussten, bleibt es dabei: Der Aufbruch in eine neue Welt ist nicht aufzuhalten. Diese Erkenntnis erschließt sich für jeden, der Marx und Engels und Lenin nicht nur gelesen, sondern auch verstanden hat. Die Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesellschaft sind objektiv. Der Hauptwiderspruch der Welt des Kapitals, so sehr sich der Kapitalismus auch zu »wandeln« in der Lage ist, er existiert und bleibt bestehen. Erst wenn der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Arbeit und privater Aneignung aufgehoben wird, werden die Bedingungen für den Einzelnen, für ein menschenwürdiges Leben geschaffen werden können. Die Grenzen, an die die kapitalistische Gesellschaft schließlich stoßen wird, machen den Weg frei für den Sozialismus.

Trotz der jetzigen Niederlage bin ich wie viele Gleichgesinnte von der Gewissheit erfüllt, dass die Ablösung der kapitalistischen Gesellschaft durch eine wie auch immer konkret ausgestaltete sozialistische Gesellschaft unvermeidlich ist, weil sich die Gesetzmäßigkeiten der Geschichte nicht außer Kraft setzen lassen. Deshalb beurteile ich die Dinge aus historischer Sicht nicht so pessimistisch, wie das nach dem Schock des Jahres 1989 von vielen getan wird.

Schließlich gruppieren sich doch alle Fragen, die das Leben der Menschen erst lebenswert machen, primär um solche Werte wie soziale Sicherheit. Aber dafür ist in der Ellbogengesellschaft, in die wir gestoßen wurden, keinerlei Platz. Die Wolfsgesetze des Manchester-Kapitalismus, die heute in der ehemaligen DDR herrschen, stellen doch wohl keinesfalls eine Alternative zu einer sozial gerechten Gesellschaft dar. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Entwicklung längst nicht an einem Schlusspunkt angelangt und die sozialistische Idee keinesfalls tot ist. Manche nennen das realitätsfernes altes Denken und beweisen damit nur ihr Unverständnis für historische Prozesse und zugleich ihre tiefe Gegnerschaft gegenüber der marxistischen Theorie.

Mein Rücktritt vollzog sich, wie die Ereignisse bestätigen, auf dem Hintergrund von Vorgängen, die nicht von heute auf morgen eintraten. Dem gingen langfristig angestrebte Veränderungen auf der Weltbühne voraus, Veränderungen, die, wie sich bald zeigen sollte, das Antlitz Europas veränderten. Die heutigen Begebenheiten, so äußerte ich mich bereits im Frühjahr 1990, bezeugen das leider in einem Umfang, den man damals noch nicht voll einschätzen konnte. 1987 erhielten wir Informationen aus Washington, die besagten, dass die DDR der »Preis« für das Haus Europa sein würde. Diese Information war offensichtlich von der Befürchtung getragen, dass die USA aus Europa heraus gedrängt werden sollten. Und es war das Jahr 1987, als einige namhafte, oder sich mit diesem »Ruhm« schmückende sowjetische Autoren in den westlichen Medien auftraten, die die Überwindung der deutschen »Zweistaatlichkeit« als politische Tagesaufgabe »verkündeten«.

War es da nur ein Zufall, dass Reagan etwa zur gleichen Zeit am Brandenburger Tor forderte, die Mauer fallen zu lassen? Dass die Überwindung der deutschen »Zweistaatlichkeit« nach Lage der Dinge nur durch einen Systemwechsel in der DDR zu bewerkstelligen war, war nur logisch. Aber daran zu glauben, kam uns damals nicht in den Sinn. Wir glaubten an die gegenseitigen Bündnisverpflichtungen, die niemandem das Recht gaben, die DDR aufzugeben und wir glaubten an die Festigkeit dieses Bündnisses, an die Ehrlichkeit der Verbündeten, die mit uns nie und nirgendwo über die Möglichkeit der Aufhebung der deutschen »Zweistaatlichkeit« sprachen. Die Ereignisse seit dem Beschluss des Politbüros des Zentralkomitees der SED am 11.  Oktober 1989 zur Wende, meinem Rücktritt auf dem 9. Plenum des Zentralkomitees am 18. Oktober 1989 verliefen folgerichtig in Richtung Systemwechsel. Die DDR wurde der BRD ausgeliefert und von der BRD okkupiert, auch wenn man das freiwilligen Anschluss nennt. Und heute zeigt sich, dass das nicht des Volkes Wille war, auch wenn später die Mehrheit die CDU/CSU wählte.

Diesen Irrtum muss das Volk teuer bezahlen. Die Opferung der DDR ist das Schmerzlichste in meinem Leben, aber es bleibt die Zuversicht, die mit mir viele Menschen teilen: Der Sozialismus ist nicht von der Weltbühne verschwunden und er wird von ihr nicht abtreten.

Trotz des vorläufigen Scheiterns des Versuchs der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft, trotz der gegenwärtigen politischen Verwirrungen wird der Wille zur Errichtung einer von Ausbeutung freien, gerechten und friedlichen Welt nicht zu brechen sein. Das Wichtigste ist und bleibt, dass unsere Bewegung nach ihrer größten Niederlage seit ihrer Existenz, dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder in Mittel- und Osteuropa und der gegenwärtigen komplizierten Lage in der UdSSR und der damit eingetretenen Schwächung ihrer Position in der Welt neue Kräfte sammelt, dass sich die marxistischen Parteien wieder festigen, denn nur sie sind in der Lage, eine Politik in Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Entwicklungsgesetzen auszuarbeiten, auf die neu entstandenen Bedingungen und Probleme Antwort zu finden und trotz aller Widrigkeiten die sozialistische Idee in den Massen zum Tragen zu bringen.

Der Sozialismus ist keine Utopie, er ist eine Wissenschaft, daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es in Deutschland, dem Land, aus dem die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus stammen, »modern« geworden ist, dass »sozialistische Theoretiker« das in Frage stellen. Niederlagen muss man mit der Marxschen Methode analysieren, nur so lassen sich Lehren ziehen. So werden und können, wie Karl Liebknecht kurz vor seiner Ermordung schrieb, Niederlagen auch Siege sein, Niederlagen zu neuen Siegen führen.

Natürlich war mir in den Oktobertagen des Jahres 1989 nicht so klar wie heute, dass durch die Verschiebung der weltpolitischen Konstellation für das Sein oder Nichtsein der DDR eine neue Situation eingetreten war. Das möchte ich auch den Mitgliedern und Kandidaten des Politbüros und des Zentralkomitees zugute halten. Denn sie konnten so wenig wie ich das Spiel durchschauen, das zu einer völligen Veränderung des Kräfteverhältnisses in der Welt führte. Ich bin mir gerade heute, wie bereits in der Sitzung des Politbüros vom 10. und 11. Oktober 1989, darüber im klaren, dass der in meiner Abwesenheit vorbereitete Beschluss für die »Wende« falsch war. Weder die Beschlüsse des 9. Plenums noch des 10. Plenums des Zentralkomitees der SED konnten die Lage positiv beeinflussen, da der DDR, die ein Ergebnis des 2. Weltkrieges und der Nachkriegsentwicklung war, bereits der Boden für ihre Existenz entzogen war. Sowohl die Partei als auch die staatlichen Organe wurden durch den Beschluss und seine Begleitumstände irritiert. Die dann eingeleitete Verleumdungskampagne gegen die »SED-Spitzen« auf den verschiedensten Ebenen hat für den »Systemwechsel« günstigen Boden bereitet. Das war nun das Verdienst der »demokratischen Sozialisten« in der Partei, die mit ihrem Ruf nach mehr »Demokratie«, was der Springer-Presse besonders gefiel, dazu beitrugen, die DDR in den Abgrund zu stürzen.

Natürlich trugen unsere Fehler, unsere Mängel zu der eingetretenen Entwicklung bei. Beim Rückwärtsblicken sind sie heute auch klarer erkennbar. Klarer ist aber auch ersichtlich, dass der Warschauer Pakt die Aufgabe aufgeben wollte, zu deren Zweck er gegründet wurde: die Verteidigung der im Ergebnis des 2. Weltkrieges und der Nachkriegsentwicklung in Europa entstandenen sozialistischen Staatengemeinschaft gegenüber der aggressiven subversiven Politik der NATO, einschließlich ihrer Geheimorganisation, der »Gladio«. Leider fehlte es an der Bereitschaft, rechtzeitig über solche Pläne offen im politisch beratenden Ausschuss zu sprechen. Auch nicht, als es 1987 während der Kommandostabsübung »Meisterschaft« klar wurde, dass mit der neuen Militärdoktrin der Sowjetunion, der Doktrin der Konfliktvermeidung, der hinlänglichen Verteidigung im Ernstfall, die DDR der NATO preisgegeben würde. Unser Protest gegen eine solche Variante der Verteidigungsdoktrin wurde als Missverständnis, als eine irrtümliche Auslegung der neuen Militärdoktrin abgewehrt.

Hinzu kommt, dass alle möglichen inneren und äußeren Gegner durch die in der Sowjetunion erneut aufgeworfenen Frage »Wer – Wen« zu noch massiveren Attacken gegen den Sozialismus ermuntert wurden. Es musste zu den großen Enttäuschungen der Menschen kommen, die ihre Zukunft, ihre Hoffnungen mit dem Sozialismus in der DDR verbanden.

Trotz allem darf man die Situation, in der wir uns befinden, nicht verkennen. Neofaschistische Pogrome, nationalistische Exzesse, eine beispiellose antikommunistische Hexenjagd, nicht zuletzt auch Verrat an unserer Sache, dürfen den Blick nicht trüben für das, was sich gegenwärtig auf deutschem Boden, in Europa und in der Welt vollzieht.

Aus Gründen des Profits und kapitalistischer Konkurrenz wurde bewusst der Ruin der DDR-Wirtschaft, der gewollte Zusammenbruch des Marktes organisiert: neben solchen Betrieben, die ohne staatliche Hilfe und andere Stimuli in der Marktwirtschaft nicht existenzfähig wären, werden massenweise auch technisch hochmoderne, nicht selten von westlichen Firmen errichtete leistungsfähige Betriebe regelrecht vernichtet. Der sich krass abzeichnende soziale Massenexitus, die Vernichtung sozialer Existenzen in Größenordnungen, der Zerfall von Ehen und Familien, die sich in der westlichen Lebensweise, die ihnen über Nacht übergestülpt wurde, nicht zurechtfinden, führt zu einer Explosion der Kriminalität und zu einer Besorgnis erregenden regelrechten Suizid-Epidemie. Der Zusammenbruch ganzer gesellschaftlicher Bereiche, wie zum Beispiel des Gesundheitswesens, der Kinder-, Jugend- und Altenbetreuung, die Abwicklung von Wissenschaft, Kultur und Volksbildung – all das steht in scharfem Kontrast zu den verlogenen Versprechungen der Herrschenden sowie zu den von den Medien geschürten, hochgeschraubten Erwartungen und falschen Hoffnungen einer großen Mehrheit. Noch gelingt es den Herrschenden in Bonn, soziale Proteste abzuwiegeln und einzudämmen. Die Staffelung der Maßnahmen zum rigorosen Sozialabbau und Teilzugeständnisse, die den Unternehmern abgerungen wurden, haben zu einer vorübergehenden Ruhe vor dem Sturm geführt – der aber ist unausbleiblich. Und niemand weiß, wo eine Radikalisierung enden könnte.

Angesichts des politischen und ökonomischen Desasters, das sich am augenscheinlichsten in der ungeheuren Zahl von 3 Millionen Arbeitslosen in der ehemaligen DDR ausdrückt, fällt es der Kohl-Regierung immer schwerer, die Verantwortung auf DDR-Zeiten abzuwälzen. Der Protest lässt sich trotz der massiven Propaganda nicht mehr völlig nach hinten kanalisieren. Das mit Worten kaum qualifizierbare Auftreten bestimmter Wessis in der ehemaligen DDR, ihre Kolonialherren-Arroganz tun ihr Übriges, um immer mehr Menschen die Augen zu öffnen. Wenn die missbrauchten Mitläufer des November 1989 sagen, dass sie das alles nicht so gewollt haben, kann man ihnen glauben. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung und der noch bevorstehenden Talsohle der Krise wird doch immer durchschaubarer, dass es sich bei den uns alle tief bewegenden Ereignissen in Mittel- und Osteuropa um die Jahreswende 1989/90 um eine Konterrevolution handelte, deren Sieg durch den systematischen Abbau des Einflusses von marxistischen Parteien erleichtert wurde. Leider kommt diese Erkenntnis zu spät. Aber nicht zu spät, um Lehren für die Zukunft und für jetzt erforderliches entschlossenes Handeln innerhalb und außerhalb des Parlaments zu ziehen. Das Recht auf Arbeit, gleicher Lohn für gleiche Arbeit ohne Unterschied des Alters und Geschlechts, das Recht auf Bildung und Erholung, für jeden eine Wohnung – alles Dinge, die ich bereits 1945/46 für die junge Generation forderte. Diese Forderungen gelten für alle – heute erst recht.

II. Die Veränderungen in der Weltarena – innere und äußere Bedingungen, die zum Systemwechsel führten

1. Der Umbruch und die Dominanz

In diesen Tagen erklärte ein Historiker, dass der Untergang der DDR, den er zutiefst bedaure, eingebettet war in den Zusammenbruch der sozialistischen Staatengemeinschaft in Europa, ihrer gesellschaftlichen und sozialen Ordnung. Dem zu widersprechen ist nur jenen vorbehalten, die aus diesem oder jenem Grund nicht bereit sind, die Lehren zu ziehen aus der Lage, in der wir uns befinden.

Es war, dies muss man heute sagen, für viele ein Irrtum anzunehmen, dass der Umbruch im Herbst 1989 von der Straße, von der »Heldenstadt Leipzig« eingeleitet worden wäre. Von dieser Vorstellung sollten alle, die solche hatten, Abschied nehmen. Die »friedliche Revolution« wurde, wie jetzt immer klarer wird, durch eine radikale Änderung der Weltpolitik ermöglicht. Die großen Veränderungen, die sich in der zurückliegenden Zeit in der Weltarena vollzogen, waren nur möglich, weil sich das militärische Kräfteverhältnis in der Welt veränderte.

Die Politiker der USA, die im Interesse reaktionärer imperialistischer Kreise seit Jahrzehnten, ja, man kann sagen, seit Beendigung des 2. Weltkrieges, danach strebten, eine solche Situation zu schaffen, wie sie heute ist, sie haben ihre Chance genutzt.

Es ist ihnen gelungen, dem Sozialismus eine schwere Niederlage zu bereiten.

In den sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas und in der Sowjetunion vollzog bzw. vollzieht sich ein Systemwechsel. Ich lasse dahingestellt, ob Herr Schewardnadse recht hat, dass die Thesen des politischen Berichts an den 27. Parteitag eine »kategorische Absage an die herrschende Ideologie« war, dass die Ideen des Berichts eine »entschlossene Demontage des Systems« ankündigten. Jedenfalls konnte man dies in der darauffolgenden Zeit nicht aus den vielen Gesprächen mit dem Berichterstatter an den 27. Parteitag der KPdSU, aber auch nicht in den Gesprächen mit Schewardnadse im Juni 1989 erkennen. Selbst als das »europäische Haus« in die Weltpolitik eintrat, war das noch nicht erkennbar.

Es ging immer um Koexistenz, also um das friedliche Nebeneinander, die Zusammenarbeit von zwei unterschiedlichen gesellschaftlichen, ja Weltsystemen. So wird das aber heute von Schewardnadse offenbar nicht gesehen. Der Erwärmung der Beziehungen der beiden Supermächte folgte die »Entlassung« der DDR und der anderen sozialistischen Länder in die »Freiheit«. Die Revolutionäre vom Herbst 1989 stehen im Regen. Die Geschichte möge beurteilen, ob es sich um die Opferung der DDR, der Volksrepublik Polen, der Tschechoslowakischen Republik, der Volksrepublik Ungarn, der Volksrepublik Bulgarien, der Sozialistischen Republik Rumänien auf dem Altar der Perestroika handelte, wie einer der Begründer dieser neuen Philosophie dies deutet. Tatsache ist, der Machtbereich der Imperialisten, der NATO wurde bis zur Westgrenze der UdSSR erweitert. Tatsache ist, dass es zu einer Tragödie in einem bisher nicht gekannten Ausmaß für die Völker gekommen ist, ebenso für solche Staaten der Dritten Welt, wie Nicaragua, Mozambique, Angola, Äthiopien und für die kommunistische Weltbewegung. Das hegemonistische Streben der USA, ihr Drang, alles in der Welt nach ihren Vorstellungen zu »ordnen«, hat angesichts ihrer Siege in den verschiedenen Teilen der Welt nicht an Zielstrebigkeit verloren, obwohl der Widerstand dagegen sich verstärkt. Die Demontage des Systems in der Sowjetunion, der Systemwechsel in Mittel- und Osteuropa führte zu Unsicherheiten, zu Irritationen in der kommunistischen und Arbeiterbewegung, bei einigen zum Übergang zur Sozialdemokratie. Wenn Herr Schewardnadse angeblich schon 1986 darüber philosophierte, »was schwerer zu machen sei, eine friedliche oder eine gewaltsame Revolution«, kann man angesichts solcher konterrevolutionärer Vorgänge wie in der UdSSR und dem Rachefeldzug in der Ex-DDR, der dort gegen Mitglieder und Funktionäre der SED, gegen 1,7 Millionen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, des Ministeriums des Inneren, gegen die Angehörigen der NVA, gegen Richter und Staatsanwälte, gegen weltweit angesehene Ärzte und Wissenschaftler, gegen die Kommunisten in allen ehemaligen sozialistischen Ländern geführt wird, und nun auch in der Sowjetunion, die Frage nach dem Stattfinden der »friedlichen, sanften« Revolution schon heute beantworten.

Kann man eine solche Art neuen »Herangehens« an die Lösung internationaler politischer Fragen im Nachhinein mit dem Argument rechtfertigen: »Sonst wären Panzer gerollt«? Oder: »Die Gefahr eines Krieges wäre heraufbeschworen worden«? Soll das als Feigenblatt dienen? Es besteht kein Zweifel, die DDR und die sozialistischen Länder Mittel- und Osteuropas wurden Opfer des amerikanischen und deutschen Imperialismus. Diese Entwicklung vollzog sich in einem Tempo, das offenbar nicht einmal mehr Zeit ließ, die noch gültigen Verträge über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand außer Kraft zu setzen. Diese waren noch gültig bis zum Zeitpunkt des 2-plus-4-Vertrages. Die Vereinigung kam, so Kohl kürzlich in einer Erklärung, »in einem lichten kurzen Augenblick der Weltgeschichte zustande«, »sie wäre weder nachher noch vorher möglich gewesen«. Waren diese Augenblicke nicht doch schon langfristig vorbereitet worden? Wenn man die jüngsten Auslassungen von Schewardnadse liest über Gespräche »am Kamin in Washington«, kommt man zu diesem Schluss, dass die 1989/90 noch gültigen Verträge mit den Verbündeten in seinen Überlegungen, um mit den USA und der BRD zu einem Übereinkommen zu gelangen, keine Rolle spielten. Mit dem »Umbruch« entstand ein neues Kräfteverhältnis in der Welt. Nichts macht das deutlicher als der Golfkrieg. In Jugoslawien gibt es Bürgerkrieg. Über Nacht stand die Menschheit vor der Gefahr eines neuen Weltkrieges. Wie die Friedensdemonstrationen in der Zeit des Golfkrieges zeigten, hatten die Völker dies verstanden. Sie gingen wie nie zuvor auf die Straße unter der Losung »Kein Krieg für Öl«.

Ja, das Kräfteverhältnis hat sich verändert. Ohne die Änderung der Landkarte Europas, die Schwierigkeiten in der Sowjetunion, in dieser für die Menschheit so verhängnisvollen Zeit, wäre die nun offen zutage getretene Dominanz der USA nicht möglich gewesen, wäre ihre Hegemonie nicht zum Tragen gekommen, wäre die Konzentration der Armada zu Wasser, zu Lande und in der Luft in der Golfkriegsregion zur Führung des amerikanischen Krieges unmöglich gewesen. Die militärische Entlastung der USA in Europa durch die Auflösung des Warschauer Paktes hat das amerikanische Abenteuer am Golf erst ermöglicht. Ihr Sieg, mit dem sie die führende Rolle in der Welt unterstreichen will, wird den Völkern noch manche Gefahren bringen. Eine davon bahnt sich im Nahen Osten bereits an. Bereits im Frühjahr 1990 habe ich mich dazu geäußert. Schon damals war klar, dass die Probleme im Nahen Osten, die nur auf dem Verhandlungswege gelöst werden können, Gefahren für den Frieden enthalten.

Die Palästinenser, trotz ihres tapferen Kampfes unter der Führung der PLO und Jasyr Arafats, unterstützt durch die UNO