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Beschreibung

Die liberale Demokratie steht weltweit unter Druck. Sie wird durch antiliberale Bewegungen und Parteien ebenso herausgefordert wie durch autoritäre Regimes. Der Liberalismus als parteiübergreifende Strömung ist in die Defensive geraten und wird oft mit Marktradikalismus, sozialer Kälte und ökologischer Ignoranz assoziiert. Die namhaften Beiträger*innen zeigen, dass der Liberalismus als Denkrichtung nicht tot ist. Sie stellen in ihren Essays Ideen und Ansätze für neue liberale Konzepte zur Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit vor: vom Klimawandel über Globalisierung und digitale Revolution bis hin zu transnationaler Migration und zur zunehmenden Systemkonkurrenz zwischen Demokratien und autoritären Regimen.

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Ralf Fücks, Rainald Manthe (Hg.)

Liberalismus neu denken

Freiheitliche Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit

Dieser Band wurde ermöglicht durch eine Förderung der Friede-Springer-Stiftung und der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, denen wir ganz herzlich für ihre Unterstützung danken.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell.

(Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de)

Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2022 im transcript Verlag, Bielefeld © Ralf Fücks, Rainald Manthe (Hg.)

Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld

Lektorat & Korrektorat: Nila Sarabi und Lara Schauland

Print-ISBN 978-3-8376-6319-8

PDF-ISBN 978-3-8394-6319-2

EPUB-ISBN 978-3-7328-6319-8

https://doi.org/10.14361/9783839463192

Buchreihen-ISSN: 2364-6616

Buchreihen-eISSN: 2747-3775

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

 

Liberalismus neu denken. Eine EinleitungRalf Fücks & Rainald Manthe

ILiberalismus im 21. Jahrhundert

Neue Lösungen für neue Probleme: Warum (und wie) sich der Liberalismus im 21. Jahrhundert neu erfinden mussTimothy Garton Ash

Demokratie ohne FreiheitRainer Hank

Globalisierung und demokratische RegressionMichael Zürn

Die Rache der GefühleKarolina Wigura

Giftschrank oder Schatztruhe? Warum jede Generation ihren eigenen Neoliberalismus benötigtStefan Kolev

»Liberalismus der Furcht«Amichai Magen

»Vorwärts, nach hinten«: Die illiberale Wende in OstmitteleuropaJaques Rupnik

Liberalismus jenseits von Individualismus und KapitalismusChristoph Möllers

Freiheit und Gerechtigkeit im Doppelpack: Eine kleine Reise durch die liberale Ideengeschichte der GerechtigkeitKaren Horn

Ökologie und FreiheitRalf Fücks

IILiberale Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit

Zur Kritischen Infrastruktur der Liberalen DemokratieJan-Werner Müller

Die Freiheit in den Zeiten der PandemieSabine Döring

Liberalismus gegen RechtspopulismusSabine Leutheusser-Schnarrenberger

Eigentum für alle! Von der Klassengesellschaft zur EigentümergesellschaftRalf Fücks

Liberale Demokratien vs. totalitäre Autokratien: Europäische Antworten im SystemkonfliktDaniela Schwarzer

Globale Migration und Zusammenhalt diverser GesellschaftenCornelia Schu

Mit klugem Marktdesign zu nachhaltigen InfrastrukturenAchim Wambach

Die Zukunft des FreihandelsGabriel Felbermayr

Ich tweete, also bin ich? Für eine neue Ethik der DigitalisierungAlexandra Bochardt

Freiheitspolitik als DemokratiepolitikChistopher Gohl

Bildungsgrundeinkommen als soziales BürgerrechtRalf Fücks & Rainald Manthe

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Liberalismus neu denken. Eine Einleitung

Ralf Fücks & Rainald Manthe

Demokratie lässt sich heute nur noch als liberale Demokratie denken. Die Schimäre der »illiberalen Demokratie« ist nur Tarnung auf dem Weg in den Autoritarismus. Ideengeschichtlich bildet der Liberalismus als breite politisch-philosophische Denkströmung die Grundlage der modernen Demokratie. Er hat Gewaltenteilung und Rechtsstaat, eine ständige Ausweitung politischer Partizipation und eine aktive Bürgergesellschaft befördert. In seinem Zentrum steht das Postulat der gleichen Freiheit aller und die normative Idee der Menschenrechte. Beide sind subversive Postulate gegenüber Verhältnissen, in denen sie nicht eingelöst sind. Auch die Vorstellung einer durch das Recht geregelten internationalen Ordnung geht auf liberale Denker zurück. Der Liberalismus ist so tief vorgedrungen, dass wir die Begriffe »liberale Demokratie« und »Demokratie« heute beinahe synonym benutzen.

Die liberale Demokratie ist bedroht

Die Erfolgsgeschichte des Liberalismus ist allerdings keine Garantie für die Zukunft. Die liberale Demokratie ist umkämpft. Im Inneren ist sie durch populistische Parteien und Bewegungen bedroht, die sie als Deformation des »echten« Volkswillens attackieren. Während die Hochzeit der AfD in Deutschland (vorerst) vorbei zu sein scheint, konkurrierten im Nachbarland Frankreich bei den Präsidentschaftswahlen 2022 gleich mehrere populistische Kandidaten und Kandidatinnen um das höchste Staatsamt. Auch in den USA ist die populistische Gefahr nicht gebannt. Dort hat die politische und kulturelle Polarisierung ein Ausmaß erreicht, das kaum noch eine Rückbesinnung auf demokratische Gemeinsamkeiten ermöglicht. In einigen ost-mitteleuropäischen Staaten regieren Parteien, die den Rechtsstaat und die Unabhängigkeit der Medien untergraben.

Von außen wird die liberale Demokratie durch immer selbstbewusster auftretende autoritäre Mächte bedroht, allen voran China und Russland. Wir befinden uns inmitten einer neuen Systemkonkurrenz mit autoritären Staaten. In China ist ein neuer Typus eines High-Tech-Autoritarismus entstanden, der totalitäre Herrschaftsmethoden mit ökonomischer Dynamik, technischer Innovation und digitaler Überwachung verbindet.

Während wir diese Zeilen schreiben, führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, wie ihn Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen hat. Putins Feldzug gegen eine unabhängige, demokratische und europäische Ukraine ist zugleich ein Angriff auf die liberale Demokratie. Nichts fürchten die Herrschenden im Kreml mehr als ein Überspringen des Geists der Freiheit auf Russland.

Der eklatante Bruch des Völkerrechts und die enthemmte Gewaltpolitik eines ständigen Mitglieds des UN-Sicherheitsrats markieren eine tiefe Zäsur. Putins Krieg hat die liberalen Demokratien aufgeweckt. Deutschland fährt seine Verteidigungsausgaben hoch und steigt aus der lange gehegten Energiepartnerschaft mit Russland aus. Die Europäische Gemeinschaft rückt enger zusammen, das transatlantische Bündnis wird neu belebt.

Was sind Demokratien bereit zu tun, um sich gegen ihre Feinde zu verteidigen? Diese schon fast vergessene Frage lässt sich nicht länger beiseiteschieben. Freiheit gibt es nicht umsonst, sie muss immer wieder neu errungen und verteidigt werden. Die Ukraine zahlt gerade den höchsten Preis – auch, weil der Westen zu lange zögerte, Putins Revanchismus entgegenzutreten.

Herausforderungen der 2020er Jahre

Damit nicht genug. Die 2020er werden ein Jahrzehnt des Umbruchs. Zum neuen Systemkonflikt zwischen Demokratie und Autoritarismus kommen weitere fundamentale Herausforderungen:

Die größte ist wohl der Klimawandel. Es bleibt offen, ob die Destabilisierung des Erdklimas in eine Art ökologisches Notstandsregime führt oder ob es in einer globalen Kraftanstrengung gelingt, den Klimawandel durch eine neue Welle grüner Investitionen und Innovationen aufzuhalten. Eine vorrangig auf Einschränkungen und Frugalismus setzende Politik wird den Klimawandel bestenfalls verzögern, aber die Demokratie gefährden.

Die digitale Revolution beeinflusst alle Bereiche unseres Lebens. Sie verändert dramatisch die Arbeitswelt wie auch die öffentliche Kommunikation und die Art, wie Politik gemacht wird. In letzter Konsequenz stellen Künstliche Intelligenz und die fortschreitende Automatisierung komplexer Tätigkeiten die Dominanz des Menschen über die Maschinenwelt infrage. Digitale Technologien haben ein großes Freiheitspotential, das sich aber auch in sein Gegenteil wenden kann, wie der chinesische Hightech-Autoritarismus zeigt.

Westliche Gesellschaften werden sozial und kulturell immer heterogener. Dieser Prozess nimmt durch globale Migration noch einmal zu. Wie lässt sich in so diversen Gesellschaften sozialer Zusammenhalt und republikanische Gemeinsamkeit herstellen? Wie können wir gleiche Rechte und Chancen für alle gewährleisten und vermeiden, dass die Gesellschaft in identitäre, selbstbezügliche Gruppen zerfällt?

Die Beiträge dieses Bandes stehen noch unter dem Eindruck der Covid-19-Pandemie. In vielen Ländern – nicht nur in China mit seiner Null-Covid-Strategie – wurden drastische Maßnahmen ergriffen, um die Pandemie einzudämmen. Individuelle Freiheiten wurden im Interesse aller eingeschränkt. Heute wird in Deutschland heftig über eine Impfpflicht gestritten. Was tun, wenn der Appell an Eigenverantwortung und Solidarität nicht ausreicht? Wieweit ist die Einschränkung von Grundrechten legitim oder sogar geboten, um Leben und Gesundheit aller zu schützen? Weitere Gesundheitsgefahren – etwa eine wachsende Resistenz gegen Antibiotika und damit verbundene neue Pandemien – klopfen bereits an die Tür.

Auch die Rolle des Staates wandelt sich. Wenn die Welt aus den Fugen gerät, ist der Staat gefordert. Er rückt wieder als kollektive Instanz der Gefahrenabwehr in den Blick. Darin liegt auch die Gefahr der Überschätzung und Überforderung. Demokratische Resilienz erfordert mehr als einen handlungsfähigen Staat. Sie braucht funktionierende Märkte und eine engagierte Zivilgesellschaft. Das wird gerade wieder an der großen Hilfsbereitschaft bei der Aufnahme ukrainischer Geflüchteter deutlich. Markt, Staat und Zivilgesellschaft müssen zusammenspielen, um die liberale Demokratie zukunftsfest zu machen.

Liberalismus unter Beschuss

Es scheint, als habe der zeitgenössische Liberalismus zu diesen zentralen Herausforderungen wenig zu sagen. Auch deshalb ist er vielfach in die Defensive geraten. Von seinen Gegnern wird er oft und gern mit Marktradikalismus, Egoismus, sozialer Kälte und ökologischer Ignoranz assoziiert. Manche Kritikerinnen und Kritiker werfen ihm vor, den Geltungsanspruch liberaler Prinzipien überdehnt zu haben. Andere hegen den Verdacht, der Liberalismus habe sein emanzipatorisches Potential verloren und sei zur bloßen Verteidigung der Privilegien der Privilegierten verkümmert. Das Beharren auf individueller Freiheit, die liberale Staatsferne und die Skepsis gegenüber Gemeinschaftsutopien gelten als nicht mehr zeitgemäß.

Wir sind überzeugt: Der Liberalismus als Denkrichtung ist nicht tot, aber er braucht eine profunde Erneuerung. Diese selbstkritische Erneuerung muss sich über die gegenwärtigen Bedingungen von Freiheit verständigen, und sie muss liberale Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit geben.

Was will dieses Buch?

Der Liberalismus ist eine vielfältige, sich ständig erneuernde Denkströmung. Sie reicht weit über die Parteien hinaus, die »liberal« oder »Freiheit« im Namen tragen. Es gibt freiheitlich denkende Akteure in allen demokratischen Parteien und fast allen gesellschaftlichen Milieus. Allerdings sind die Bedingungen der Freiheit im 21. Jahrhundert andere als in der Frühzeit des Liberalismus und wiederum andere als in seiner jüngsten Blütezeit in den Wendejahren 1989/90. Der Liberalismus darf die Suche nach Identität und Gemeinsamkeit nicht der politischen Rechten, die soziale Gerechtigkeit nicht der Linken und die Ökologie nicht allein den Grünen überlassen. Er muss eigene, liberale Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit finden. Um diese selbstkritische Erneuerung des Liberalismus geht es im ersten Teil unseres Bandes.

Der zweite Teil diskutiert liberale Antworten auf die großen Probleme der 20er Jahre: den Klimawandel, die Globalisierung, die digitale Revolution, die transnationale Migration. Welche Infrastrukturen brauchen Demokratien? Wie sollten Liberale auf das wachsende Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität in einer sich rasant verändernden Welt reagieren? Wie muss das Verhältnis von Staat, Markt und bürgerlicher Selbstverantwortung neu bestimmt werden?

Die Texte

Unser Band versammelt Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft, Politik, Medien und Zivilgesellschaft, die sich auf verschiedene Weisen als liberal verstehen. Dass der Liberalismus unterschiedliche Perspektiven auf die Verwirklichung von Freiheit einnimmt, wird auch an ihren Beiträgen deutlich.

I Liberalismus im 21. Jahrhundert 

Timothy Garton Ash spricht sich für eine neue liberale Agenda aus. Ein erneuerter Liberalismus muss sich mit seinen blinden Flecken und Verkürzungen auseinandersetzen, er muss das traditionelle Erbe wie die Redefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz gegen den neuen Autoritarismus verteidigen und Antworten auf die neuen Herausforderungen geben.

Rainer Hank wendet sich gegen eine reine Verteidigung der Demokratie. Liberalismus und Demokratie, meint er, seien nicht immer dasselbe. Wichtig sei, den Liberalismus und damit die liberale Demokratie zu verteidigen. Jetzt muss für eine liberale Toleranz gestritten und wehrhaft mit den Gegnern umgegangen werden.

Michael Zürn beleuchtet das Spannungsverhältnis zwischen Globalisierung und liberaler Demokratie. Die Erwartung, dass die ökonomische Globalisierung den Siegeszug der Demokratie befördert, hat sich als Illusion entpuppt. Vielmehr hat sie zu wachsenden Konflikten in den westlichen Demokratien geführt und zugleich den globalen Aufstieg des autoritären Populismus befördert.

Karolina Wigura plädiert dafür, einer »Politik der Gefühle« wieder mehr Raum zu geben. Während populistische Bewegungen und Parteien vor allem das Gefühl der Angst kapitalisieren, versagen Liberale dabei, mit Gefühlen progressive Politik zu machen.

»Neoliberalismus« ist ein schillernder Begriff. Vielfach wird er als Grund allen Übels gegen liberales Denken und Politik in Stellung gebracht. Stefan Kolev zeichnet in seinem Beitrag die Geschichte und Bedeutung dieses Begriffs nach und plädiert dafür, dass der Liberalismus sich immer wieder erneuern muss, also stetig neue Neoliberalismen benötigt.

Ein Leben in Furcht macht unfrei. Amichai Magen plädiert in Anlehnung an Judith Shklar für einen »Liberalismus der Furcht«, der verhindert, dass Furcht zur dominierenden Stimmungslage wird.

Jacques Rupnik erkundet mit seinem Text, warum sich in einigen Ländern Ost-Mitteleuropas ein fruchtbarer Boden für illiberale, autoritäre Parteien entwickelt hat. Demografische Panik, schwach ausgeprägte liberale Traditionen, soziale Diskrepanzen sowie eine kulturelle Definition nationaler Identität bilden ein spezifisches Gemisch, das nationalpopulistische Parteien begünstigt.

Christoph Möllers zeigt, dass Individualität nur als soziale Leistung zu verstehen ist. Freiheit ist an gesellschaftliche Bedingungen geknüpft, die erlernt und bewahrt werden müssen. Das erfordert gemeinsames Handeln als Medium der Freiheit. Ein moderner Liberalismus muss sich vor allem in Situationen bewähren, in denen Menschen die Freiheit, ihr Leben selbstständig zu gestalten, verwehrt wird.

Freiheit und Gerechtigkeit werden in der öffentlichen Diskussion häufig als konkurrierende Grundwerte gehandelt. Demgegenüber zeigt Karen Horn in ihrer Reise durch die Ideengeschichte, dass Gerechtigkeit für liberale Denker ein zentrales Konzept ist.

Auch Ökologie und Freiheit erscheinen oft als Gegensätze. Gerade jetzt, da der Klimawandel eine drastische Reduktion von Treibhausgasemissionen erfordert, werden Rufe nach Freiheitseinschränkungen lauter. Ralf Fücks plädiert demgegenüber für die Innovationsfähigkeit von liberaler Demokratie und Marktwirtschaft und umreißt die Potentiale einer ökologischen Moderne.

II Liberale Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit 

Demokratie baut auf eigenen Infrastrukturen auf: Parlamente, Parteien und unabhängige, professionelle Medien. Jan-Werner Müller plädiert dafür, auch die digitalen Infrastrukturen der Demokratie – vor allem soziale Medien und Software – stärker zu demokratisieren, damit sie die aktive Teilhabe Vieler unterstützen.

Die Coronapandemie ist eine Bewährungsprobe für den Liberalismus. Sabine Döring diskutiert anhand der Frage einer allgemeinen Impfpflicht, wie Freiheit und Gemeinwohl miteinander in Verbindung gebracht werden können. Sie knüpft damit an Christoph Möllers an: Freiheit vollzieht sich immer nur im Kontext eines Gemeinwesens.

Demokratie muss wehrhaft sein. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger begründet, weshalb der Liberalismus sich entschieden dem Rechtspopulismus entgegenstellen muss. Liberale müssen einen Weg zwischen radikalem Individualismus und falscher, gesellschaftliche Konfliktlinien verleugnender Einmütigkeit finden.

Ralf Fücks plädiert in einem weiteren Beitrag für »Eigentum für alle« als Grundlage einer liberalen Bürgergesellschaft: Wohneigentum und eine breite gesellschaftliche Beteiligung an Unternehmen erweitern Freiheitsgrade und ermöglichen mehr ökonomische Mitbestimmung.

Daniela Schwarzer analysiert die neue Systemkonkurrenz zwischen liberalen Demokratien und autoritären Mächten, allen voran China und Russland. Sie zeigt, dass Demokratien nach innen wie nach außen handlungsfähig sein müssen und entwirft mögliche Antworten auf EU-Ebene, damit liberale Demokratien sich behaupten können.

Die gesellschaftliche Zustimmung zu Migration und Integration wächst. Wie kann man gelingende Integration politisch gestalten und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken? Cornelia Schu gibt fünf Antworten.

Achim Wambach zeigt, dass es Lösungen jenseits von Staatseigentum gibt, um wichtige öffentliche Infrastrukturen zu organisieren. Mit »klugem Marktdesign« lassen sich Mobilfunk- oder Energiemärkte im Interesse des Gemeinwohls regulieren.

Gabriel Felbermayr plädiert für mehr statt weniger Freihandel. Auch die Dämpfer durch die Coronapandemie sieht er nur als vorübergehend an. Staaten sollten wieder stärker auf Freihandel im Rahmen vereinbarter Spielregeln setzen, statt wohlstandsmindernde und innovationshemmende Handelsbarrieren aufzubauen.

Alexandra Borchardt argumentiert, dass Digitalisierung eine erneuerte Ethik braucht. Wir müssen, so ihr Apell, die digitale Welt gestalten, statt uns von ihr gestalten zu lassen. Das wird zu einer Grundfrage der Demokratie.

Christopher Gohl spricht sich für eine neue Demokratiepolitik aus. Damit die liberale Demokratie lernfähig und lebendig bleibt, muss Demokratiepolitik Wege zwischen technokratischer Elitenherrschaft und anti-institutionellem Populismus finden.

Im abschließenden Beitrag argumentieren Ralf Fücks und Rainald Manthe, dass Menschen in Zeiten rasanten Wandels ein grundständiges Maß an Sicherheit brauchen. Am Beispiel eines Bildungsgrundeinkommens, das ein Bürgerrecht auf Weiterbildung finanziell und institutionell absichert, zeigen wir, wie erweiterte individuelle Freiheitsgrade und Bewältigung des Strukturwandels zusammengehen können.

Danksagung

Dieser Band war nicht möglich ohne die Unterstützung vieler Menschen und Institutionen. Zuerst zu nennen sind die Friede-Springer-Stiftung und die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, die das Projekt finanziell unterstützt und uns darin ermutigt haben, dass ein erneuerter Liberalismus nötig ist, um unsere Demokratie weiterzuentwickeln. Ute Schweitzer und Anna Hofmann, die das Projekt wertschätzend und flexibel begleitet haben, danken wir sehr.

Auch unseren Autorinnen und Autoren sind wir zu großem Dank verpflichtet. Sie sind auf Anregungen eingegangen und haben sich auch über kurze Deadlines nicht beschwert. Ihre Ideen und Texte tragen das Buch und bereichern die Debatte. Gemeinsam mit ihnen zur Diskussion über einen erneuerten Liberalismus beizutragen ist uns eine Ehre und Freude.

Beim transcript Verlag hat Linda Dümpelmann uns stets unterstützt, auch schwierige Fragen gelöst und maßgeblich dazu beigetragen, dass dieser Band schnell erscheinen konnte.

Last but not least gilt unser Dank Nila Sarabi, Lara Schauland und Marius Drozdzewski, die das Projekt beim Zentrum Liberale Moderne begleitet und zu seinem Erfolg beigetragen haben.

ILiberalismus im 21. Jahrhundert

Neue Lösungen für neue Probleme: Warum (und wie) sich der Liberalismus im 21. Jahrhundert neu erfinden muss

Timothy Garton Ash

Aus lizenzrechtlichen Gründen ist dieser Beitrag nicht in der E-Book-Version dieser Publikation enthalten.

Print-Version verfügbar unter:

https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-6319-8

Demokratie ohne Freiheit

Rainer Hank

Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine sei ein Angriff auf den Westen, so hört man es oft.1 Deshalb gelte es jetzt, die »westlichen Werte« zu verteidigen, mithilfe von Wirtschaftssanktionen und, wenn es sein muss, auch mit Waffen.

Was sind westliche Werte? »Die Demokratie«, sagen viele. Aber Demokratie kennt viele Spielarten, nicht alle passen uns. Sie ist nicht mehr als ein Verfahren zur Legitimation einer Regierung durch das Volk. Das Volk kann auch Schurken wählen. Das ist dann nicht schön, aber immer noch Demokratie. Viktor Orbán, der ungarische Regierungschef, ist stolz auf seine »illiberale Demokratie«. Liberalismus hasst er, Demokratie mag er: Die Stimmen der Wähler stabilisieren seine Macht. Mit demokratischen Mitteln und einem ihn begünstigenden Wahlrecht hat Orbán sich zum Autokraten gewandelt. Seine Fidesz-Partei hat im April erneut die absolute Mehrheit im Parlament errungen.

Liberalismus und Demokratie werden oft synonym verwendet. Das ist falsch. Wenn es um die Verteidigung westlicher Werte geht, dann sollte es um liberale Werte gehen. Die sind das Erbe der (west)europäischen Aufklärung. Den Liberalismus würde ich mit Zähnen und Klauen verteidigen. Ob ich die Demokratie stets verteidigen würde, kommt darauf an. China und Nordkorea haben beide autokratische Regime, die sich »Volks«-Republiken nennen. Wenn der indische Premierminister Narendra Modi in seinem Land einen hinduistischen Nationalismus installiert, hat er nicht die Demokratie verraten, den Liberalismus aber schon. Wenn Polens Regierung unliebsame Richter auswechselt und die staatsunabhängige Presse stumm schaltet, ist das kein Verstoß gegen die Demokratie, aber ein schwerer Schlag gegen die Rechtsstaatlichkeit.

Sind totalitäre Systeme zum Scheitern verurteilt?

Man kann noch weiter gehen: Liberalismus hält demokratische Regierungen in Schach gegen deren Anfälligkeit, sich von Populismus und Nationalismus verführen zu lassen. Gewaltenteilung relativiert die Macht der Exekutive, schützt Minderheiten gegen demokratische Mehrheiten. Für den amerikanischen Politikwissenschaftler Francis Fukuyama ist »klassischer Liberalismus« ein Instrument, »in pluralistischen Gesellschaften Toleranz friedlich zu managen«. Die zentralen Ideen heißen Freiheit, Toleranz und Respekt vor der persönlichen Autonomie. Diese Werte muss eine Regierung garantieren, die ihrerseits durch das Recht diszipliniert wird und dieses auch respektiert. Der Rechtsstaat sichert das Privateigentum, die Vertragsfreiheit und freie Märkte: Nichts davon darf eine demokratisch gewählte Regierung über Bord werfen. Liberalismus ohne Marktwirtschaft geht nicht. Demokratie ohne Liberalismus geht. Ob Liberalismus ohne Demokratie geht, ist umstritten.

Dass der Liberalismus allenthalben auf dem Rückzug ist, lässt sich nicht übersehen. Der amerikanische Think-Tank »Freedom House« subsumiert für das Jahr 2020 nur noch 20,3 Prozent der Regierungen der Welt unter »frei«, etwa Deutschland, Frankreich, die Vereinigten Staaten und Südafrika. 41,3 Prozent sind »nicht frei«, dazu zählen Russland, China und Venezuela. 38,4 Prozent sind »teilweise frei«, zum Beispiel die Ukraine, Ungarn, Singapur und Indien.2 Verglichen mit dem Jahr 2005, sind die Veränderungen in Richtung Illiberalität dramatisch: Damals zählten 46 Prozent der Staaten als »frei« und 31,1 Prozent als »teilweise frei«.3

Für Francis Fukuyama müssen diese Fakten eine tiefe Kränkung sein. Im Sommer 1989, noch vor dem Mauerfall, wurde er weltberühmt mit einem einzigen Zeitschriftenartikel, der die Überschrift »Das Ende der Geschichte?« trug.4 Drei Jahre später wurde daraus ein Buch, der Titel blieb stehen, bloß das Fragezeichen war verschwunden. Das war dann doch etwas voreilig, wie wir heute wissen. Fukuyamas damalige These: Kommunismus und Faschismus stellten keine politischen Alternativen mehr dar, der Weg sei frei für eine liberale Demokratie, ein irdisches Paradies der Freiheit. Totalitäre Systeme seien zum Scheitern verurteilt, weil sie der liberalen Grundidee widersprechen. Ein bisschen naiv war das schon damals, nach dem Motto: Das Gute setzt sich am Ende durch.

Streit für liberale Toleranz

Wohlfeil ist indessen die Häme, die sich seither über Fukuyama ergossen hat. Nichts ist produktiver als ein Irrtum von Format. Fukuyama arbeitet sich bis heute an seinem Fehlurteil ab. Sein gerade erschienenes neuestes Buch trägt den Titel »Liberalism and its discontents« (»Liberalismus und seine Zumutungen«).5 Es wurde vor Ausbruch des Ukrainekrieges abgeschlossen, hat aber an Brisanz noch einmal gewonnen. Die These, salopp gesprochen: Der Liberalismus ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Fukuyama äußert den Verdacht, dass der Liberalismus Mitschuld trage an der schwindenden Zustimmung zu den Werten der Freiheit und dem Siegeszug der Populisten und Autokraten.

Wie das? Einerseits hätten »dogmatische Neoliberale« (Ökonomen wie Gary Becker oder Milton Friedman) aus der Idee freier Märkte eine Art absoluter Religion gemacht. Sie hätten Krisen des Kapitalismus nicht verhindert und zugelassen, dass in vielen Ländern die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen unanständig und unerträglich geworden sei. Zugleich sei von den »Linksliberalen« die Idee der Toleranz und freien Rede als Privileg zum Machterhalt weißer Männer ideologiekritisch dekonstruiert worden. Aus dem liberalen Auftrag, Ambiguität auszuhalten, wurde eine dogmatische Identitätspolitik, eine Unterscheidung zwischen Freund und Feind. Kurzum: Wenn der Liberalismus selbst kein gutes Beispiel mehr gibt, braucht man sich nicht zu wundern, dass Machthaber allerorten sich von ihm abwenden.

Über Fukuyamas Thesen lässt sich streiten. Das macht sie wertvoll. Sie dienen erkennbar auch der Legitimation der Tatsache, dass die Weltgeschichte nicht auf Fukuyamas These gehört hat. Ich bezweifle, dass Putin, Orbán und Erdogan sich zum lupenreinen Liberalismus bekennen würden, wäre die Vermögensungleichheit in Amerika geringer und die LGBTQ-Bewegung weniger lautstark. Trotz seiner moralphilosophischen und ökonomischen Überlegenheit war der Liberalismus für seine Gegner immer schon dekadent, wurde der Kapitalismus von ihnen immer schon als plutokratisch verunglimpft.

Denen, die sich den Werten der Aufklärung verpflichtet fühlen, bleibt wohl nur, künftig noch entschiedener für liberale Toleranz zu streiten – und die Aporie zu ertragen, dass es keine Toleranz denen gegenüber geben darf, die ihre Politik auf Intoleranz, Krieg und Vernichtung gründen.

1Der Beitrag erschien zuerst am 03. April 2022 verfasst von Rainer Hank in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

2Vgl. Freedom House: »New Report: The global decline in democracy has accelerated«, Pressemitteilung vom 3.3.2022. https://freedomhouse.org/article/new-report-global-decline-democracy-has-accelerated

3Vgl. Freedom House: »Freedom in the World 2005. The annual survey of political rights & civil liberties«, New York: Rowman & Littlefield Publishers, Inc 2005.

4Fukuyama, Francis: »The End of History?«, in: The National Interest No. 16 (1989), S. 3-18.

5Fukuyama, Francis: Liberalism and Its Discontents, London: Profile Books 2022.

Globalisierung und demokratische Regression

Michael Zürn

Die Globalisierung hat zum vorübergehenden Triumph der Demokratie geführt. Sie brachte die Abschottungsstrategie der sozialistischen Welt von der Dynamik kapitalistischer und demokratischer Gesellschaften zum Scheitern. Sie erhöhte den Erneuerungsdruck in diesen Gesellschaften und brachte sie letztlich zum Einstürzen. Ohne Globalisierung hätte es kein 1989 gegeben.1

Die Globalisierung hat aber gleichzeitig erst die neuen Gegner der liberalen Demokratie hervorgebracht und gestärkt. Sie hat zum einen durch den Export von Kapital und Wissen zur ökonomischen Dynamisierung von Regionen geführt, die angesichts der Herausforderungen der nachholenden Entwicklung lange Zeit scheiterten. Vor allem Ostasien hat von der Globalisierung profitiert und einen eigenen Weg in die wohlhabende Moderne gefunden. Zunächst konnte dieser Prozess in Gesellschaften beobachtet werden, die sich im Zuge ihrer ökonomischen Dynamik auch demokratisierten. Nach 1989 bewies aber insbesondere China, dass es keinen engen Zusammenhang zwischen erfolgreicher kapitalistischer Entwicklung und Demokratie zu geben braucht. Die Globalisierung ermöglichte also auch die Erfolgsgeschichte eines autokratischen politischen Systems wie China. Spätestens seit der Finanzkrise erwächst der liberalen Demokratie westlicher Provenienz eine ordnungspolitische Konkurrenz, die im Gegensatz zum real existierenden Sozialismus beides ist: anders und erfolgreich.

Globalisierung hat auch die neuen Gegner der liberalen Demokratie hervorgebracht

Sie ist anders, weil sie die Entfaltung ökonomischer Marktdynamiken explizit nicht an die Institutionen der liberalen Demokratie koppelt und damit die scheinbar unauflösbare Verbindung von Markt und Demokratie infrage stellt. Sie ist erfolgreich, weil sich die autoritär regierenden Eliten in Ländern wie China und Singapur nicht ohne Weiteres als eigensüchtige Despoten abtun lassen. Ihre Politik hat eine erkennbare Gemeinwohlkomponente und kann dabei auf erhebliche Fortschritte insbesondere bei der Armutsbekämpfung verweisen. Aber auch bei der Pandemiebekämpfung haben sie sich als erfolgreicher erwiesen als die westeuropäischen und nordamerikanischen Länder. Diese Staaten zeigen, dass gesellschaftlicher Fortschritt möglich ist – und dies ohne die demokratische Kontrolle der Machthabenden und der Garantie von Individualrechten, verbunden mit weitreichenden Überwachungs- und Belohnungssystemen. Damit wird die insbesondere nach 1989 vertretene Vorstellung von der Alternativlosigkeit der liberalen Demokratie untergraben. Wenn China heute in Teilen des Globalen Südens als ordnungspolitische Alternative gesehen wird, dann ist die Frage nach der richtigen politischen Ordnung wieder auf der globalen Tagesordnung.

Rasanter Wandel hat die Gegner der liberalen Demokratie gestärkt

Die Globalisierung hat zudem auch die inneren Gegner der liberalen Demokratie gestärkt. Sie führte innerhalb der westlichen Welt zu einer dramatischen Zunahme an kultureller Diversität, zu wachsender ökonomischer Ungleichheit und zur Entfremdung von Teilen der Bevölkerung von einer als abgehoben wahrgenommen politischen Klasse. Das sind die Entwicklungen, die den Aufstieg der Populisten möglich gemacht haben. Damit sind die Parteien und politischen Bewegungen gemeint, die für sich reklamieren der einfachen Bevölkerung im Namen der Demokratie wieder eine Stimme zu verleihen, aber gleichzeitig eine grundlegende Gefahr für die liberale Demokratie darstellen. Der gegenwärtige Populismus ist nämlich vorrangig ein autoritärer Populismus. Es handelt sich um eine politische Ideologie, die auf eine entprozeduralisierte Form der Mehrheitsrepräsentation baut und sich nationalistisch gegen »liberale kosmopolitische Eliten« wendet. Der Topos our nation first bringt den Nationalismus zum Ausdruck. Die Entprozeduralisierung verweist auf die Ablehnung des demokratischen Streites über das, was richtig ist. Es muss nicht ausgehandelt werden, was das Richtige ist. Es steht fest. »Er weiß, was wir wollen« stand auf einem Wahlplakat der Freiheitlichen Partei Österreichs mit Blick auf H.C. Strache.

Autoritär-populistische Parteien haben in fast allen liberalen Demokratien in Westeuropa ein Wählerpotential von circa 20 Prozent der Stimmen. Viel wichtiger noch: Ein erheblicher Anteil der Weltbevölkerung wird von autoritären Populisten regiert. Die bekanntesten Namen sind: Jair Bolsonaro, Recep Tayyip Erdoğan, Lech Kaczyński, Nicolás Maduro, Narendra Modi, Viktor Orbán, Wladimir Putin und bis vor kurzem allen voran Donald J. Trump. Das sind fast alles große Länder, was den autoritären Populismus so wirkmächtig für die internationale Ordnung macht. Der autoritäre Populismus hat sich in relativ kurzer Zeit global ausgebreitet.

Der autoritäre Populismus ist global verbreitet

Dort wo die autoritären Populisten an die Macht gekommen sind, erleben wir ein democratic backsliding.