Lichte Gedichte - Robert Gernhardt - E-Book

Lichte Gedichte E-Book

Robert Gernhardt

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Beschreibung

»Lichte Gedichte« widmet sich sowohl den ewigen Themen der Dichtung – Liebe, Natur und Tod – als auch zeitgenössischen Sujets wie einem Besuch im Möbelhaus am Montagvormittag oder einem Interview mit Steffi Graf. Dem Spagat zwischen Ernst und Komik verleiht Robert Gernhardt eine besondere Qualität in seinem größten Zyklus »Herz in Not«, der in einhundert Gedichten seine Herzoperation poetisiert.

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Robert Gernhardt

Lichte Gedichte

Fischer Klassik PLUS

Fischer e-books

Ilieblich

Schneiden und Scheiden

Ein guter Abend, um Pflaumen zu schneiden,

vorausgesetzt, es stimmt mit euch beiden.

Man kann beim Entkernen Gefühle erleben,

die schlichtweg erheben.

Zum Beispiel das, nicht allein zu sein.

Dann das Gefühl, zu zwein zu sein.

Sowie die Gewißheit: Was immer ihr tut –

es wird gut.

Ich rede jetzt nicht von der Marmelade.

Wenn die danebengeht, ist es kein Schade.

Auch meine ich keineswegs euer Verschränken.

Daß das in Ordnung geht, will ich gern denken.

Nein:

Ich stell mir nur vor, wie ihr Pflaumen schneidet,

wie ihr sorgsam die Kerne vom Fruchtfleisch scheidet

und wie sich zwei Schalen nach und nach füllen

mit Kernen und Hüllen.

Solch Scheiden, paarweis und stetig betrieben,

steigert das Leben und fördert das Lieben,

hindert das Meiden und mindert das Leiden,

vorausgesetzt, es stimmt mit euch beiden.

Wärme, Stille, Kühle

Der heiße Tag. Das Summen wilder Bienen

geht in dem Wein so emsig ein und aus,

als wolle jede mit dem Hinweis dienen:

Wer jetzt ein Haus hat, gehe in dies Haus.

Der stille Raum. Durchs Gitter der Lamellen

fällt gleißend parallelgeführtes Licht

aufs blaue Laken, wo der Liebe Wellen-

und Schattenspiel sich in den Spiegeln bricht.

Der nackte Leib. Des Windes leichtes Fächeln

bestreicht ein Fleisch, das sich erschauernd streckt

von Fuß bis Kopf, wo ein verschlafnes Lächeln

Erinnerung an wilde Bienen weckt.

Italien – Mexiko, Fussball-WM, 28. 6. 94

Wäre ich schwul,

ich verliebte mich

in den mexikanischen Torwart.

»Dann sei doch mal schwul,

verlieb dich doch

in den mexikanischen Torwart!«

Schweig stille, mein Herz,

was faselst du da

vom mexikanischen Torwart?

Wie säh’ das denn aus:

Ich und verliebt

in den mexikanischen Torwart?!

Verzeih, liebe Frau,

ich lebe ab jetzt

mit diesem mexikanischen Torwart.

Hallöchen, Jungs,

begrüßt meinen Freund,

einen mexikanischen Torwart!

Ist hier noch was frei

für mich und den Herrn,

jenen mexikanischen Torwart?

Grüß Gott, Herr Kaplan,

wir wär’n gern ein Paar,

ich und dieser mexikanische Torwart …

Herz, du spielst falsch!

Du denkst nicht an mich

und schon gar nicht an den mexikanischen Torwart!

Denn tätest du das,

bedächtest du auch,

was derweil aus dem mexikanischen Tor wird!

Darum werd ich nicht schwul.

Ich verlieb mich auch nicht

in den mexikanischen Torwart.

Ich bleib treu und normal,

und du, mein Herz,

gehörst einer deutschen Hausfrau!

Fünf schlichte Gedichte zu einem komplexen Thema

1

Über Liebe kann man nicht schreiben.

Man liebt oder läßt es bleiben.

In Worte läßt sich Liebe nicht fassen.

Man kann sie nur leben oder lassen.

Liebe entzieht sich dem Sagen.

Man hat nur die Wahl: Kopf oder Kragen.

2

Ich hab mir doch immer am besten gefallen.

Ich war mir doch immer der liebste von allen.

Aber nun?

Ich war mir doch immer besonders nah,

und auf einmal ist diese andere da.

Was tun?

3

Noch einmal eine Junge gefunden?

Dann sag der auch unumwunden:

Du liebst einen nicht mehr ganz jungen Mann,

also ran!

Also ran an den Mann,

nimm ihn richtig, nur dann

kann der Knabe von Grund auf gesunden:

Noch einmal eine Dumme gefunden.

4

»Wie hast du gelebt?«

»Ich habe geliebt.«

»Wie hast du geliebt?«

»Alla grande.

Groß war mein Einsatz,

größer mein Spiel –«

»Und am größten deine Schande.«

»Das ist auch wieder wahr.«

5

Worüber schreibst du denn da?

Ach, übers Lieben.

Worüber weinst du denn da?

Ach, übers Leben.

Worüber gehst du denn da?

Ich? Über Leichen.

Eigentlich nicht

Das nennt man nicht eigentlich suchen,

wenn man schon weiß, wo was ist.

Das nennt man nicht eigentlich finden,

wenn man es gar nicht vermißt.

Das nennt man nicht eigentlich lieben,

wenn man den Liebling erpreßt.

Das nennt man nicht eigentlich halten,

wenn man ihn fallenläßt.

Lied des Mädchens

Männer, das ist was,

was neben mir sitzt

eine Zeit

und mich mit werbender

Stimme anmacht:

»Kleine Maid.«

Männer, das ist was,

was neben mir liegt

eine Zeit

und nicht davon abläßt

zu betteln:

»Beine breit.«

Männer, das ist was,

was neben mir geht

eine Zeit

und sich sodann klamm

in die Büsche schlägt:

»Keine Zeit.«

Lied des Mädchens in der Kurzfassung für den eiligen Gedichtleser

»Kleine Maid

Beine breit

Keine Zeit.«

Jüngling im Park

Ihm wird der Park zum Paradies

im Dämmer.

Weiße Tiere schreiten hindurch

im Paßgang.

Daß diese Stunde nie ende, so in

der Schwebe.

Erst zwischen Tag und Traum löst sich

die Zunge:

Euch weichen Fraun entsag ich

auf immer.

Zu den Mädchen im Sandkasten will ich

mich hocken.

Über uns steigen lautlos hinweg

die Tiere.

Unter uns lassen wir Alter, Geschlecht

und Verlangen.

Da bricht er ab, als hielte ihm jemand

den Mund zu.

Hinter ihm schlagen zusammen die Zweige

der Büsche.

Stadtsommer (9. 8. 95)

Die trug sehr schwer an ihren Brüsten

Als sei das Wunder dieses Tages

Darin gesammelt und sie trag’ es

Gleich einem Schiff, das von den Küsten

Des Reichtums heimkehrt, und es müßten

Nun alle, die bisher nur Vages

Von ihnen hörten, denken: Mag es

uns wirklich frommen, wenn wir wirklich wüßten?

Ja damals

Mal wieder in München,

mal wieder die Hitze,

es klebt am Papier

die schreibende Hand

und ist doch dieselbe,

die damals in München

so fingerfertig

in etwas verschwand,

das war so verlockend,

das war so erregend,

gefügig, geschmeidig,

zum Fingern bewegend,

man konnte sich darin

so gänzlich verlieren,

mit einem Wort:

Es war nicht: papieren.

Herz und Hirn

Ist das Herz auf dem Sprung, ist das Hirn auf der Hut

Springt das Herz in die Luft, greift das Hirn nach dem Schirm

Schwebt das Herz himmelwärts, spannt das Hirn seinen Schirm

Stürzt das Herz auf den Schirm, ist das Hirn obenauf:

Siehste, mein Lieber. Immer schön auf dem Teppich bleiben!

Unpassende Erinnerung während eines Klassentreffens

Mich an deiner Klugheit zu berauschen

Log ich, stahl ich manche Stunde

Nur um dir und deinem Wort zu lauschen

Hing ich tiefgebannt an deinem Munde

Mochten andre mit ihm Küsse tauschen

Mich zog es zu ihm aus anderm Grunde

Einst im Mai. Den Casus aufzubauschen

Wäre freilich unklug in der Runde

Ältrer Herrn, die von Verflossnen plauschen.

Gottesurteil

Euch Frauen all, die ich begehrt,

euch hat der Zahn der Zeit versehrt.

Euch Frauen all, die ich gebraucht,

euch hat des Lebens Fuß verstaucht.

Euch Frauen all, die ich umschwärmt,

euch hat des Schicksals Faust verhärmt.

Euch Frauen all, die ich versucht,

euch hat der Gottheit Mund verflucht:

Ihr Frauen all habt IHN verschmäht!

Tut Buße, ehe es zu spät!

Bei Vampirs

Ich biete dir die Kehle dar.

Nimmst du nicht meine Kehle wahr,

so beiß ich in die deine.

Und saug an ihr, bis du verstehst,

daß du an mir zugrunde gehst,

beißt du nicht rasch in meine.

Gestrafte Männer

Gott straft die Männer, die schweratmend

in fremden Betten liegen und zur

Decke emporseufzen: Ich wußte gar nicht,

daß es das gibt.

Gott straft sie dadurch, daß er rächend

ins eigne Bett sie heimschickt, um dort

der Ehfrau vorzuseufzen: Zur Zeit ist

die Firma die Hölle.

Gott straft die Männer. Läßt sie ächzend

das Nachtlicht löschen, um ins Dunkel

zu seufzen: O Gott, wenn sie wüßte, wie schwer

es mir fällt, sie anzulügen.

Gott straft die Männer. Doch der andre

läßt sie schon anderntags in den Hörer

seufzen: Wir sehn uns, Liebling! und denken:

Bin ich des Teufels?

Gespräch mit dem Wolf

Wo kommst du her?

Ich? Aus dem hohen Norden.

Wo gehst du hin?

Ich? In die tiefe Nacht.

Wen stellst du dar?

Ich? Bin ein Wolf geworden.

Wem stellst du nach?

Ich? Alles taugt zum Morden.

Wen frißt du auf?

Dich! Was hast du gedacht?

Einer überdenkt einiges

Und er dachte an die Fraun in seinem Leben

Und befand: Sehr viele waren’s nicht

Und er fragte, was sie ihm gegeben

Und erinnerte sich dunkel: Licht

Und er dachte, ob sie seiner dächten

Und befand: Wahrscheinlich ist das kaum

Und er fragte, was Gedanken brächten

Und erinnerte sich hellwach: Traum

Und er dachte, was sie ihm genommen

Und befand: Die Glut aus meiner Brust

Und er fragte, was er selbst bekommen

Und erinnerte sich seufzend: Lust

Und er dachte an die Folgen all der Lieben

Und befand: Sie gingen reichlich weit

Und er fragte, was davon geblieben

Und erinnerte sich lächelnd: Leid.

Idiotische Fragen

Wie oft schon hast du so geschaut

und dem, den du ansahst, jeden Fluchtweg verbaut,

du Schöne?

Wie oft schon hast du so gelacht

und den, dem dein Lachen galt, wehrlos gemacht,

du Starke?

Wie oft schon hast du so getan,

als gingen dich deine Opfer nicht das geringste an,

du Schlimme?

Wie oft schon habe ich mir geschworn:

Die siehst du nie wieder, sonst bist du verlorn,

du Armer?

Wie oft noch werde ich mich beschwörn:

Wann wirst du denn endlich auf meine Warnung hörn,

du Idiot?

Hinter der Tür

Du öffnest die Tür,

da siehst du das Mädchen,

halbnackt im Karton

schließt sie geblendet

die Augen, das obere und das untere.

Da wirfst du die Tür zu,

gehst aber nicht weiter.

Du verharrst an der Stelle,

denn die willst du noch mal sehn,

die Augen, das obere und das untere.

Doch dann siegt die Rücksicht

auf die da hinter der Tür,

halbnackt im Karton und

mit weitaufgerissenen

Augen, dem oberen und dem unteren.

Die Geburt

Als aber in der finsteren Nacht

die junge Frau das Kind zur Welt gebracht,

da haben das nur zwei Tiere gesehn,

die taten grad um die Krippen stehn.

Es waren ein Ochs und ein Eselein,

die dauerte das Kindlein so klein,

das da lag ganz ohne Schutz und Haar

zwischen dem frierenden Elternpaar.

Da sprach der Ochs: »Ich geb dir mein Horn.

So bist du wenigstens sicher vorn.«

Da sprach der Esel: »Nimm meinen Schwanz,

auf daß du dich hinten wehren kannst.«

Da dankte die junge Frau, und das Kind

empfing Hörner vorn und ein Schwänzlein hint.

Und ein Hund hat es in den Schlaf gebellt.

So kam der Teufel auf die Welt.

IIpersönlich

Gehen und schreiben und fernsehen

Zur gleichen Zeit, da ich von meinem Hügel,

die Beine lustig werfend, talwärts wandre,

an dem Gehöft vorbei, das an den Weg grenzt,

liegt dort der Bauer und hat grad Probleme,

vom Bauch sich auf den Rücken zu verlagern:

Seit jenem Sommerabend, als sein Traktor

ihn unter sich begrub, läuft wenig.

Zur gleichen Zeit, da ich den schlichten Vorgang,

die Feder eilig führend, niederschreibe

und ein Gefühl verspüre, das an Scham grenzt,

geht’s vielen ähnlich. Mancher hat Probleme,

den Bauch mit seinem Herzen zu versöhnen:

Doch dank der Schreckensbilder, deren Fülle

das Mitleid täglich lähmt, läuft nichts mehr.

Ankunft in Montaio (23. 8. 1995)

Und wieder mal an jenem Tisch,

an dem ich schrieb »Und wieder mal

an jenem Punkt, an dem man sa-

gen muß: Es reicht«, doch dieses Mal

will ich nicht hadern, kann nicht klagen,

muß lediglich: So sei es! sagen.

Einer liest einen Briefwechsel

Ach, so geht das Nacht für Nacht:

Eine schläft, einer wacht.

Einer liest, wie Jahr um Jahr

Schiller schlaf- und kraftlos war,

Indes Goethe, ungequält,

frisch von Hinz und Kunst erzählt.

Einer legt den dicken Band

schließlich seufzend aus der Hand

Und erhofft vom Rest der Nacht:

Alles schläft, keiner wacht.

Die Schwachheit der Wachheit

Ausgesetzt im Meer der Wachheit

winke ich den Schlafgaleeren,

doch die ziehn vorbei und scheren

sich nicht darum, daß da »Ach« schreit

irgendwer im Meer der Wachheit.

Festgetäut ans Floß der Helle

harre ich der Dunkelinseln,

doch kein Fluchen und kein Winseln

bringt mich Wachen von der Stelle,

festgetäut ans Floß der Helle.

Angespült am Fels der Frühe

träume ich vom Strand der Ruhe,

jäh gestört durch schwere Schuhe –

Vater Fleiß und Mutter Mühe

nähern sich dem Fels der Frühe:

Steig auf, Sonne, strahle, glühe!

Was der Tag bringt

Dieses Kreischen um fünf,

dieses furchtbare Kreischen!

– Das sind die Amseln.

Die bringen dir doch nur ein Ständchen.

Dieses Tuckern um sechs,

dieses gräßliche Tuckern!

– Das ist das Moped des Zeitungsboten.

Der bringt dir doch nur deine Zeitung.

Dieses Poltern um sieben,

dieses wahnwitzige Poltern!

– Das ist der Wagen der Stadtreinigung.

Der bringt doch nur deinen Müll weg.

Dieses Brummen um acht,

dieses schreckliche Brummen!

– Das sind die Flugzeuge.

Die bringen dir doch nur deine Kaptrauben.

Und das Stöhnen fortwährend.

Dieses nichtabreißende Stöhnen!

– Das warst du.

Sowas bringst doch nur du, du Weichei.

Unperson

Ein einsilbiges Couplet

Man kennt mich in Graz

Und man liest mich in Linz

In Steyr bin ich Star

Und in Melk bin ich Prinz

Man hebt mich in Wels auf den Dichterthron –

Nur in Wien bin ich eine Unperson.

Man ehrt mich in Chur

Und man liebt mich in Biel

Genf zahlt mich gut

Und Buchs zahlt mir viel

Man lockt mich nach Bern mit klingendem Lohn –

Nur in Wien bin ich eine Unperson.

Man nervt mich in Greiz

Und man höhnt mich in Mölln

Man schmäht mich in Trier

Und man haßt mich in Köln

Man quält mich in Hamm mit beißendem Hohn –

Nur in Wien

Nur in Wien

Nur in Wien bin ich eine Unperson.

Diät-Lied (mit Ohrfeigenbegleitung)

Ich freu mich auf mein Frühstück

Da schneide ich zwei Hörnchen auf

(Klatsch Klatsch)

Da schneid ich etwas Graubrot auf

und schmiere mir dick Butter drauf

und Leberwurst und

(Klatsch Klatsch)

Und schmier dünn Margarine drauf

und etwas Kräuterpaste

und reichlich Gorgonzola

(Klatsch Klatsch)

Und keinen Gorgonzola

Sodann greif ich zum Pfirsich

Den schneide ich in Stücke

und haue massig Sahne drauf

(Klatsch Klatsch)

Und mache einen Joghurt auf

und tu ihn auf den Pfirsich

und reichlich Gorgonzola