Lichte Gedichte - Robert Gernhardt - E-Book

Lichte Gedichte E-Book

Robert Gernhardt

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Beschreibung

»Lichte Gedichte« widmet sich sowohl den ewigen Themen der Dichtung – Liebe, Natur und Tod – als auch zeitgenössischen Sujets wie einem Besuch im Möbelhaus am Montagvormittag oder einem Interview mit Steffi Graf. Dem Spagat zwischen Ernst und Komik verleiht Robert Gernhardt eine besondere Qualität in seinem größten Zyklus »Herz in Not«, der in einhundert Gedichten seine Herzoperation poetisiert.

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Seitenzahl: 119

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Robert Gernhardt

Lichte Gedichte

Fischer Klassik PLUS

 

 

Über dieses Buch

 

 

»Lichte Gedichte« widmet sich sowohl den ewigen Themen der Dichtung – Liebe, Natur und Tod – als auch zeitgenössischen Sujets wie einem Besuch im Möbelhaus am Montagvormittag oder einem Interview mit Steffi Graf. Dem Spagat zwischen Ernst und Komik verleiht Robert Gernhardt eine besondere Qualität in seinem größten Zyklus »Herz in Not«, der in einhundert Gedichten seine Herzoperation poetisiert.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Robert Gernhardt (1937-2006) lebte als Dichter und Schriftsteller, Maler und Zeichner in Frankfurt/Main und in der Toskana. Sein umfangreiches Werk erscheint bei S. Fischer, zuletzt »Was das Gedicht alles kann: Alles. Texte zur Poetik« (2010) und »Toscana mia« (2011). Gernhardt erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Heinrich-Heine-Preis und den Wilhelm-Busch-Preis.

Impressum

 

 

© Robert Gernhardt 1997

Alle Rechte S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012

Covergestaltung: bilekjaeger, Stuttgart

ISBN 978-3-10-401744-0

 

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Inhalt

I lieblich

Schneiden und Scheiden

Wärme, Stille, Kühle

Italien – Mexiko, Fussball-WM, 28. 6. 94

Fünf schlichte Gedichte zu einem komplexen Thema

Eigentlich nicht

Lied des Mädchens

Lied des Mädchens in der Kurzfassung für den eiligen Gedichtleser

Jüngling im Park

Stadtsommer (9. 8. 95)

Ja damals

Herz und Hirn

Unpassende Erinnerung während eines Klassentreffens

Gottesurteil

Bei Vampirs

Gestrafte Männer

Gespräch mit dem Wolf

Einer überdenkt einiges

Idiotische Fragen

Hinter der Tür

Die Geburt

II persönlich

Gehen und schreiben und fernsehen

Ankunft in Montaio (23. 8. 1995)

Einer liest einen Briefwechsel

Die Schwachheit der Wachheit

Was der Tag bringt

Unperson

Diät-Lied (mit Ohrfeigenbegleitung)

Mein Feind

Alb der Welt

Im Spiegel

Er sieht einen jungen Dichter vorbeigehen oder eine glänzend geglückte Gegendarstellung

Irgendwann

Rückgabe-Antrag

Frühes Glück

Ein Gast

Bitte an durchreisende Verehrer

Alles wird anders

Nah schwach lieb gross

Freier Fall oder Bungee-Jumping – nein danke

Er und ich

Hiob im Diakonissenkrankenhaus

Klinik-Lied

Post-OP-Robert

Choral

III natürlich

Blau und grün

Gemütsmenschen

Zurück zur Unnatur

Fabel

Natur-Blues

Wetterwand

Im Nebel

Beginn der Sommerzeit 96

Als am 4. 4. 96 der Winter zurückkehrte

Schön und gut

Tier und Mensch

Bruder Otter

Kurze Rede zum vermeintlichen Ende einer Fliege

Dämmerung

Olbioa – Livorno

Septembersee

Viel und leicht

IV künstlich

Alles über den Künstler

Heia Safari

Kunst und Leben

Ein Künstlerleben

Der Dichter

Der alte und der junge Dichter

Memento

Rat

Nachmittag eines Dichters

Kulturbetrieb

Themawechsel

Knastbrüder

Ein ebenso informatives wie interessantes Gespräch mit der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg 10

Tu’s noch einmal, Benn

Inventur 96 oder ich zeig eich mein Reich

Als er die ersten Kritiken nach dem Erscheinen des Romans »Ein weites Feld« las

Wenn Dichter einen Ausflug machen

Bodenseereiter

Good news aus Nürtingen

Der Maler Pablo Picasso schreibt an seinen Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler

Nachdem er die Kölner Malewitsch-Ausstellung gesehen hatte

Geschehen und gesehen

Als er am Abend des 5. 3. 1996 vor dem Haager Mauritshuis stand

Ballade von der Lichtmalerei

V läßlich

Knabberwix

Ottos Mops ond so fort

VI beweglich

Der ICE passiert Günzburg

Freundinnen im Speisewagen Karlsruhe – Kehl, 27. 10. 1995

Er beobachtet ein Paar auf der Fahrt Nürnberg – Regensburg

Der ICE verlässt Frankfurt/Main um 14 Uhr 30

Duisburg Hbf

Frankfurt/Main – Zürich 5. 5. 95, im Gegenlicht

Zürich – Frankfurt/Main 6. 5. 95, mit Rückenlicht

Köln – F/M

Der ICE hat eine Bremsstörung hinter Karlsruhe

Zwischen Mannheim und Gross-Gerau

Im Bord-Restaurant oder Aufklärung – nein danke

Über den Semmering nach Mürzzuschlag

Vor dem Start Zürich – Amsterdam

Der lange Weg nach Büdingen

Pfadfinder

VII alltäglich

Was es alles gibt

U-Bahnhof Miguel-Adickes-Allee 15 Uhr 30

Wiener Anwandlung

Die Alten

Gespräch mit einem Studienfreund, heute Führungskraft

Von gleich zu gleich

»Gastlichkeit in Recklinghausen«

Mönchengladbach, Lettow-Vorbeck-Strasse

Sonntag in Lübeck

Ballade vom grossen Möbelhaus am Montagvormittag

Der Sohn führt den Vater durch die neue Wohnung

Als er sich auf einem stillen Örtchen befand

Tageslauf

Erzählungen

Einer schreibt der Berliner Republik etwas ins Stammbuch

Volkes Stimme, 1994

Hotel »Europäischer Hof«

Kurznachrichten

Derrick

Steffi Graf-Gospel oder die ›Frankfurter Allgemeine‹ zitiert die Brühlerin nach deren Spiel gegen Gabriela Sabatini am 7. 6. 1995

Boris Becker besiegt Andre Agassi am 7. 7. 1995 in Wimbledon

Couplet von der Erblast

Bildunterschriften

Liegengebliebene ›Zeit‹ auf der Ferienterrasse

Gut und Lieb

VIII endlich

Im Kreis kreisen

Wir sind wir

Der Baldy oder Ein verwirrender Moment auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof

Die Nachbarin

Traum im Amazone-Village

Dreiakter

Ross und Reiter

Es, es, es und es

Ein Glück

Litanei vom Schmerz

Enttarnt

So

Ritter, Tod und Teufel

Das Dunkel

Der letzte Gast

Ach

IX herzlich

I Prä-Op

II Post-Op

Alphabetisches Verzeichnis der Gedichtanfänge und -überschriften

Ilieblich

Schneiden und Scheiden

Ein guter Abend, um Pflaumen zu schneiden,

vorausgesetzt, es stimmt mit euch beiden.

Man kann beim Entkernen Gefühle erleben,

die schlichtweg erheben.

Zum Beispiel das, nicht allein zu sein.

Dann das Gefühl, zu zwein zu sein.

Sowie die Gewißheit: Was immer ihr tut –

es wird gut.

Ich rede jetzt nicht von der Marmelade.

Wenn die danebengeht, ist es kein Schade.

Auch meine ich keineswegs euer Verschränken.

Daß das in Ordnung geht, will ich gern denken.

Nein:

Ich stell mir nur vor, wie ihr Pflaumen schneidet,

wie ihr sorgsam die Kerne vom Fruchtfleisch scheidet

und wie sich zwei Schalen nach und nach füllen

mit Kernen und Hüllen.

Solch Scheiden, paarweis und stetig betrieben,

steigert das Leben und fördert das Lieben,

hindert das Meiden und mindert das Leiden,

vorausgesetzt, es stimmt mit euch beiden.

Wärme, Stille, Kühle

Der heiße Tag. Das Summen wilder Bienen

geht in dem Wein so emsig ein und aus,

als wolle jede mit dem Hinweis dienen:

Wer jetzt ein Haus hat, gehe in dies Haus.

Der stille Raum. Durchs Gitter der Lamellen

fällt gleißend parallelgeführtes Licht

aufs blaue Laken, wo der Liebe Wellen-

und Schattenspiel sich in den Spiegeln bricht.

Der nackte Leib. Des Windes leichtes Fächeln

bestreicht ein Fleisch, das sich erschauernd streckt

von Fuß bis Kopf, wo ein verschlafnes Lächeln

Erinnerung an wilde Bienen weckt.

Italien – Mexiko, Fussball-WM, 28. 6. 94

Wäre ich schwul,

ich verliebte mich

in den mexikanischen Torwart.

»Dann sei doch mal schwul,

verlieb dich doch

in den mexikanischen Torwart!«

Schweig stille, mein Herz,

was faselst du da

vom mexikanischen Torwart?

Wie säh’ das denn aus:

Ich und verliebt

in den mexikanischen Torwart?!

Verzeih, liebe Frau,

ich lebe ab jetzt

mit diesem mexikanischen Torwart.

Hallöchen, Jungs,

begrüßt meinen Freund,

einen mexikanischen Torwart!

Ist hier noch was frei

für mich und den Herrn,

jenen mexikanischen Torwart?

Grüß Gott, Herr Kaplan,

wir wär’n gern ein Paar,

ich und dieser mexikanische Torwart …

Herz, du spielst falsch!

Du denkst nicht an mich

und schon gar nicht an den mexikanischen Torwart!

Denn tätest du das,

bedächtest du auch,

was derweil aus dem mexikanischen Tor wird!

Darum werd ich nicht schwul.

Ich verlieb mich auch nicht

in den mexikanischen Torwart.

Ich bleib treu und normal,

und du, mein Herz,

gehörst einer deutschen Hausfrau!

Fünf schlichte Gedichte zu einem komplexen Thema

1

Über Liebe kann man nicht schreiben.

Man liebt oder läßt es bleiben.

In Worte läßt sich Liebe nicht fassen.

Man kann sie nur leben oder lassen.

Liebe entzieht sich dem Sagen.

Man hat nur die Wahl: Kopf oder Kragen.

2

Ich hab mir doch immer am besten gefallen.

Ich war mir doch immer der liebste von allen.

Aber nun?

Ich war mir doch immer besonders nah,

und auf einmal ist diese andere da.

Was tun?

3

Noch einmal eine Junge gefunden?

Dann sag der auch unumwunden:

Du liebst einen nicht mehr ganz jungen Mann,

also ran!

Also ran an den Mann,

nimm ihn richtig, nur dann

kann der Knabe von Grund auf gesunden:

Noch einmal eine Dumme gefunden.

4

»Wie hast du gelebt?«

»Ich habe geliebt.«

»Wie hast du geliebt?«

»Alla grande.

Groß war mein Einsatz,

größer mein Spiel –«

»Und am größten deine Schande.«

»Das ist auch wieder wahr.«

5

Worüber schreibst du denn da?

Ach, übers Lieben.

Worüber weinst du denn da?

Ach, übers Leben.

Worüber gehst du denn da?

Ich? Über Leichen.

Eigentlich nicht

Das nennt man nicht eigentlich suchen,

wenn man schon weiß, wo was ist.

Das nennt man nicht eigentlich finden,

wenn man es gar nicht vermißt.

Das nennt man nicht eigentlich lieben,

wenn man den Liebling erpreßt.

Das nennt man nicht eigentlich halten,

wenn man ihn fallenläßt.

Lied des Mädchens

Männer, das ist was,

was neben mir sitzt

eine Zeit

und mich mit werbender

Stimme anmacht:

»Kleine Maid.«

Männer, das ist was,

was neben mir liegt

eine Zeit

und nicht davon abläßt

zu betteln:

»Beine breit.«

Männer, das ist was,

was neben mir geht

eine Zeit

und sich sodann klamm

in die Büsche schlägt:

»Keine Zeit.«

Lied des Mädchens in der Kurzfassung für den eiligen Gedichtleser

»Kleine Maid

Beine breit

Keine Zeit.«

Jüngling im Park

Ihm wird der Park zum Paradies

im Dämmer.

Weiße Tiere schreiten hindurch

im Paßgang.

Daß diese Stunde nie ende, so in

der Schwebe.

Erst zwischen Tag und Traum löst sich

die Zunge:

Euch weichen Fraun entsag ich

auf immer.

Zu den Mädchen im Sandkasten will ich

mich hocken.

Über uns steigen lautlos hinweg

die Tiere.

Unter uns lassen wir Alter, Geschlecht

und Verlangen.

Da bricht er ab, als hielte ihm jemand

den Mund zu.

Hinter ihm schlagen zusammen die Zweige

der Büsche.

Stadtsommer (9. 8. 95)

Die trug sehr schwer an ihren Brüsten

Als sei das Wunder dieses Tages

Darin gesammelt und sie trag’ es

Gleich einem Schiff, das von den Küsten

Des Reichtums heimkehrt, und es müßten

Nun alle, die bisher nur Vages

Von ihnen hörten, denken: Mag es

uns wirklich frommen, wenn wir wirklich wüßten?

Ja damals

Mal wieder in München,

mal wieder die Hitze,

es klebt am Papier

die schreibende Hand

und ist doch dieselbe,

die damals in München

so fingerfertig

in etwas verschwand,

das war so verlockend,

das war so erregend,

gefügig, geschmeidig,

zum Fingern bewegend,

man konnte sich darin

so gänzlich verlieren,

mit einem Wort:

Es war nicht: papieren.

Herz und Hirn

Ist das Herz auf dem Sprung, ist das Hirn auf der Hut

Springt das Herz in die Luft, greift das Hirn nach dem Schirm

Schwebt das Herz himmelwärts, spannt das Hirn seinen Schirm

Stürzt das Herz auf den Schirm, ist das Hirn obenauf:

Siehste, mein Lieber. Immer schön auf dem Teppich bleiben!

Unpassende Erinnerung während eines Klassentreffens

Mich an deiner Klugheit zu berauschen

Log ich, stahl ich manche Stunde

Nur um dir und deinem Wort zu lauschen

Hing ich tiefgebannt an deinem Munde

Mochten andre mit ihm Küsse tauschen

Mich zog es zu ihm aus anderm Grunde

Einst im Mai. Den Casus aufzubauschen

Wäre freilich unklug in der Runde

Ältrer Herrn, die von Verflossnen plauschen.

Gottesurteil

Euch Frauen all, die ich begehrt,

euch hat der Zahn der Zeit versehrt.

Euch Frauen all, die ich gebraucht,

euch hat des Lebens Fuß verstaucht.

Euch Frauen all, die ich umschwärmt,

euch hat des Schicksals Faust verhärmt.

Euch Frauen all, die ich versucht,

euch hat der Gottheit Mund verflucht:

Ihr Frauen all habt IHN verschmäht!

Tut Buße, ehe es zu spät!

Bei Vampirs

Ich biete dir die Kehle dar.

Nimmst du nicht meine Kehle wahr,

so beiß ich in die deine.

Und saug an ihr, bis du verstehst,

daß du an mir zugrunde gehst,

beißt du nicht rasch in meine.

Gestrafte Männer

Gott straft die Männer, die schweratmend

in fremden Betten liegen und zur

Decke emporseufzen: Ich wußte gar nicht,

daß es das gibt.

Gott straft sie dadurch, daß er rächend

ins eigne Bett sie heimschickt, um dort

der Ehfrau vorzuseufzen: Zur Zeit ist

die Firma die Hölle.

Gott straft die Männer. Läßt sie ächzend

das Nachtlicht löschen, um ins Dunkel

zu seufzen: O Gott, wenn sie wüßte, wie schwer

es mir fällt, sie anzulügen.

Gott straft die Männer. Doch der andre

läßt sie schon anderntags in den Hörer

seufzen: Wir sehn uns, Liebling! und denken:

Bin ich des Teufels?

Gespräch mit dem Wolf

Wo kommst du her?

Ich? Aus dem hohen Norden.

Wo gehst du hin?

Ich? In die tiefe Nacht.

Wen stellst du dar?

Ich? Bin ein Wolf geworden.

Wem stellst du nach?

Ich? Alles taugt zum Morden.

Wen frißt du auf?

Dich! Was hast du gedacht?

Einer überdenkt einiges

Und er dachte an die Fraun in seinem Leben

Und befand: Sehr viele waren’s nicht

Und er fragte, was sie ihm gegeben

Und erinnerte sich dunkel: Licht

Und er dachte, ob sie seiner dächten

Und befand: Wahrscheinlich ist das kaum

Und er fragte, was Gedanken brächten

Und erinnerte sich hellwach: Traum

Und er dachte, was sie ihm genommen

Und befand: Die Glut aus meiner Brust

Und er fragte, was er selbst bekommen

Und erinnerte sich seufzend: Lust

Und er dachte an die Folgen all der Lieben

Und befand: Sie gingen reichlich weit

Und er fragte, was davon geblieben