Lichtenbergs Fall - Georg M. Oswald - E-Book

Lichtenbergs Fall E-Book

Georg M. Oswald

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Beschreibung

Der gesellschaftliche und ökonomische Abstieg des Juristen Carl Lichtenberg, der alles verliert und nach einem Mord verurteilt wird - eine fulminante Charakterstudie vom preisgekrönten Autor Georg OswaldSeinen Lebensweg plant er zielstrebig und schon früh hat Lichtenberg begriffen, wie man sich materiell und gesellschaftlich Vorteile verschafft. Zunächst geht auch alles glatt: Er absolviert ein juristisches Studium, heiratet die Tochter einer reichen Witwe, ist im Beruf erfolgreich. Sein gesellschaftliches Ansehen bekommt Risse, als er beginnt, gegen Konventionen zu verstoßen. Als ihn ein geplatztes Börsentermingeschäft dann auch noch in finanzielle Not bringt, ist sein Abstieg unaufhaltsam. Was liegt in dieser Situation näher, als die reiche Schwiegermutter zu ermorden?

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Inhalt

Cover & Impressum

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

II.

Befragt, wann und unter welchen Umständen er seine spätere Schwiegermutter kennengelernt habe, antwortete Lichtenberg, es solle offensichtlich ernstgemacht werden mit dem Vorwurf, er habe sie ermordet, was ihn nicht hindern, im Gegenteil sogar ermutigen werde, sich weiterhin um Kopf und Kragen zu reden, jetzt, da die Vernehmung nun einmal begonnen habe und wohl schon gar nicht mehr aufzuhalten sei. Als Jurist wisse er natürlich genau, dass er sich um Kopf und Kragen rede, wenn er rede, egal, was er rede, aber er rede nun einmal, wie er erklärte, für sein Leben gern.

Der Vernehmende wies Lichtenberg auf sein Aussageverweigerungsrecht hin, der lachte und fuhr den Vernehmenden an, einen Dreck sei es wert, dieses Aussageverweigerungsrecht, das wisse er, der Vernehmende, so gut wie er, der Vernommene, Lichtenberg.

»Ich werde Ihnen alles sagen, alles, was ich weiß, und doch werden Sie von mir nicht zu hören bekommen, was Sie einzig und allein hören wollen, nämlich, dass ich meine Schwiegermutter ermordet habe«, sagte Lichtenberg.

Auf ärztliches Anraten sei er vor ziemlich genau zehn Jahren, so Lichtenberg, nach Elba gereist, um sich für längere Zeit zur Erholung dort aufzuhalten, nachdem er zu Hause, kurz vor dem Abitur, in rascher Folge zwei Blutstürze erlitten habe, deren letzterer nach Auskunft des Arztes durchaus lebensbedrohlich gewesen sei, eine verschleppte Lungenentzündung sei ihm diagnostiziert worden, so dass absolute Ruhe und frische Meeresluft sowie warmes mediterranes Klima unbedingt angezeigt gewesen seien.

Auf diese Weise sei er nach Elba gekommen, an einen Ort, der Villa Ottone geheißen habe, nahe Portoferraio. Die Villa Ottone sei eine allererste Adresse für Erholung suchende Schwerreiche aus ganz Europa gewesen, Lichtenbergs Vater habe ihm den dortigen für drei Monate geplanten Aufenthalt in ernster Sorge um seine, Lichtenbergs, Gesundheit finanziert, und er, Lichtenberg, sei begeistert gewesen, als er nach seiner Ankunft habe feststellen dürfen, dass es dort etliche jüngere und ältere Frauen gegeben habe, die, der Erholung müde, auf Abwechslung wie ihn gewartet hätten.

In der Villa Ottone auf Elba sei er erstmals auf seine spätere Schwiegermutter getroffen, zuvor aber auf seine spätere Frau Lisa, deren erster Anblick ihm schon einen derartigen Schlag versetzt habe, dass ihm auf der Stelle klar gewesen sei, hierbei handle es sich nicht um die gewöhnliche Faszination oder Verliebtheit, welche die Anwesenheit schöner Frauen leicht in ihm auslöse, sondern um eine Empfindung, der er wohl mit ganzem Herzen nachgehen müsse, wolle er ihr gerecht werden.

Gar nicht leicht sei es gewesen, an Lisa heranzukommen, denn sie sei nahezu perfekt von Mutter und Schwester abgeschirmt gewesen, alle drei Frauen hätten ein kaum zu sprengendes Familienmolekül gebildet, das jeden Fremdkörper ohne Weiteres von sich abgestoßen habe. Eine höchst eigenartige, einzigartige, unzerbrechliche, unzerstörbare, hochexplosive, im höchsten Maße ekelerregende Familienmolekülstruktur habe er da entdeckt und sei von ihr zugleich angezogen und angewidert gewesen.

Diese drei Frauen, seine spätere Ehefrau, seine spätere Schwiegermutter und seine spätere Schwägerin, die er über Tage in der Villa Ottone beobachtet habe – bevor es an der Bar in der Lounge zu einem ersten Gespräch zwischen ihm und Lisa gekommen sei, bei dem sich sogleich erwiesen habe, dass Lisa ihn, Lichtenberg, ebenfalls schon über Tage beobachtet habe –, diese drei Frauen hätten sich nach einem minutiös geregelten Plan zu bestimmten vorgegebenen Zeiten an bestimmten Orten aufeinander zubewegt und wieder voneinander gelöst wie unsichtbar miteinander verbundene Teile eines Ganzen.

Das Gespräch an der Bar in der Lounge zwischen ihm und Lisa sei deshalb dem Versuch gleichgekommen, eines dieser Teile aus dem Ganzen herauszutrennen, der von seiner späteren Schwiegermutter und seiner späteren Schwägerin aus ihren Klubsesseln heraus, einige Meter von ihm und Lisa entfernt in der Lounge, mit ungläubigem Entsetzen verfolgt worden sei.

Während seine spätere Schwiegermutter über die gesamte Dauer seines Gesprächs mit Lisa hinweg ihren Mund stets leicht geöffnet gehalten habe, so Lichtenberg, sei Olga damit beschäftigt gewesen, einen Cocktail nach dem anderen auszutrinken, eine Eigenart, die sie sich im übrigen, seit er sie kenne, nicht abgewöhnt habe. Beide hätten Lisa und ihn nicht eine Sekunde lang aus den Augen gelassen, während Lisa und er sich in der anregendsten Unterhaltung befunden hätten und Lisa, so sei es ihm vorgekommen, ihre hinter ihrem Rücken sitzende Familie vollkommen vergessen habe, wohingegen er unausgesetzt die gesamte Familie Orlow im Blick behalten habe, direkt vor ihm Lisa und, wenige Meter dahinter, seine spätere Schwiegermutter und Olga, ihn und seine spätere Ehefrau erstaunt und voller Geringschätzung fixierend.

Lichtenberg habe sich an diesem Abend in Lisa verliebt, wie sie sich an diesem Abend in ihn verliebt habe, es sei da von Anfang an nicht zu den geringsten Missverständnissen gekommen.

Was die spätere Schwiegermutter schon zu diesem Zeitpunkt als das Empörendste angesehen habe, den mehr als sechs Jahre betragenden Altersunterschied zwischen ihm, dem Neunzehnjährigen, und ihr, der Fünfundzwanzigjährigen, hätten Lisa und er von Beginn an als eine reizvolle Provokation empfunden, die ihr Interesse aneinander niemals ausgemacht, aber doch verfeinert habe.

Der Vernehmende fragte, wann Lichtenberg und Frau Orlow, seine spätere Schwiegermutter, erstmals über die Hochzeit mit Lisa gesprochen hätten und wie dieses Gespräch verlaufen sei.

Eine ziemlich direkte Frage, antwortete Lichtenberg, die ihm zeige, dass der Vernehmende wisse, worauf er hinaus wolle, weil er vermutlich von Lisa oder von Olga die Fluchtgeschichte gehört habe.

Weil er nun schon einmal dabei sei, sich um Kopf und Kragen zu reden, werde er ohne Weiteres auch die Fluchtgeschichte erzählen, sagte Lichtenberg.