Liebe - Melodie des Glücks - Roslyn Sinclair - E-Book

Liebe - Melodie des Glücks E-Book

Roslyn Sinclair

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Beschreibung

Die leidenschaftlich-romantische Carlisle-Saga geht weiter ... Jules Moretti und Vivian Carlisle haben gemeinsam viel durchgemacht, um ihr kleines Happy End zu erreichen. Doch kaum liegen sie sich in den Armen, ist ihre Beziehung schon wieder in Gefahr. Jules arbeitet nicht mehr als Assistentin für Vivian, sondern baut sich eine eigene Karriere auf. Damit sind sie zwar nicht mehr Chefin und Angestellte, aber Vivian ist trotz der bevorstehenden Geburt ihres Babys immer noch ein gnadenloser Workaholic. Wird ihre Liebe auch diese Zerreißprobe überstehen und sich gegen hinterhältige Vorgesetzte und übereifrige Familien durchsetzen? Oder geht sie sogar gestärkt daraus hervor? "Liebe – Melodie des Glücks" ist der zweite Teil der Carlisle-Saga.  Ein lesbischer Liebesroman zum Mitfiebern und Träumen, über zwei Frauen, die sich gegen alle Widerstände der Liebe öffnen.

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Seitenzahl: 500

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

Von Roslyn Sinclair außerdem lieferbar

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen

Über Roslyn Sinclair

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Von Roslyn Sinclair außerdem lieferbar

Wie Frau eine Anwältin verführt

The Lily and the Crown

Carlisle-Saga

Liebe – Chaos des Lebens

Liebe – Melodie des Glücks

Widmung

Die Carlisle-Saga ist allen Leser*innen gewidmet, die mir im Lauf der Jahre ein Quell der Unterstützung und Freude waren. Ihr alle bedeutet mir mehr, als ihr euch vorstellen könnt.

Kapitel 1

»Was sind Ihrer Meinung nach Ihre größten beruflichen Stärken?« Als sie diese Worte aussprach, lief es Jules Moretti eiskalt den Rücken hinunter. Egal, wie viele Bewerbungsgespräche sie auch führte: Die Angst, dass es nicht passen könnte – die Angst, dass man für die Stelle ungeeignet war –, ging nie weg. Zumindest nie ganz.

Und dieses Bewerbungsgespräch musste perfekt laufen. Wirklich. Denn sie hatte viel weniger Optionen, als sie zu Beginn ihrer Suche gedacht hatte.

»Nun«, antwortete die schlanke, dunkelhaarige Frau, die ihr gegenübersaß, »wie Sie meinem Lebenslauf entnehmen können, habe ich in den letzten zehn Jahren für zwei Familien gearbeitet – dadurch konnte ich ein enges Verhältnis zu den Kindern aufbauen. Während meiner Zeit auf der Highschool habe ich schon in einer Kindertagesstätte gearbeitet, da konnte ich viele der Kinder ganz gut kennenlernen. Also würde ich sagen, meine größte Stärke«, sie lachte selbstironisch, »ist Durchhaltevermögen.«

»Das ist ziemlich nützlich. Unerlässlich, würde ich sogar sagen.« Jules schaute noch einmal auf die Liste, auf der sie ihre Fragen notiert hatte. »Hm, wie würden Sie mit einem weinenden Baby umgehen?«

Zahra faltete die Hände im Schoß und lächelte bescheiden. »Also, da ich gerade mit meinem Masterstudium der Kinderpsychologie begonnen habe, informiere ich mich regelmäßig über neueste Studien und Erkenntnisse –«

»Über neueste Trends, meinen Sie?« Vivian Carlisle sah Zahra durchdringend an.

Jules warf Vivian, die neben ihr auf dem Zweiersofa im Salon saß, einen durchdringenden Blick zu. Es kostete Jules immer noch viel Überwindung, Vivian einen mahnenden Blick zuzuwerfen. Niemand durfte die Chefredakteurin von Du Jour, der einflussreichsten Modezeitschrift der Welt, einfach so böse anfunkeln.

Aber Jules war Vivians Partnerin – eine Partnerin, die sich bei der Suche nach einer Nanny regelmäßig die Haare raufte. Das heutige Treffen sollte Vivian besser nicht in den Sand setzen. Bisher hatten sie zwei Vorstellungsgespräche geführt, und beide Bewerberinnen hatten sich für eine andere Stelle entschieden. In Manhattan eine erstklassige Nanny zu finden, war gar nicht so einfach. Jules hätte niemals mit so einem Konkurrenzkampf gerechnet.

Zahra schien sich an Vivians unhöflicher Frage nicht zu stören. Sie lächelte Vivian sogar selig an. »Ich würde das nicht als ›Trends‹ bezeichnen, sondern eher als Gedanken, die sich entwickeln. Aber ich verstehe schon, warum das frustrierend wirken kann. Ich meine, es wäre doch viel einfacher, sich eine Herangehensweise herauszupicken und dabei zu bleiben, oder?«

»Ganz genau.«

Das war die bisher enthusiastischste Reaktion, die Jules von Vivian erlebt hatte. Sie erlaubte sich ein klein wenig Hoffnung. Zahra war die perfekte Kandidatin, geradezu ein Juwel.

Vivian hatte gerade den fünften Schwangerschaftsmonat hinter sich. Sie hätten längst jemanden finden müssen. Die besten Nannys planten Monate im Voraus, wenn sie einen neuen Job annahmen. Das Kind, das Zahra im Moment betreute, wurde im Juni fünf Jahre alt, und seine Eltern wollten jetzt lieber ein Au-pair-Mädchen aus Paris einstellen. Da spielte es keine Rolle, dass Zahra fließend Französisch, Arabisch und Spanisch sprach. Außerdem hatte sie im Nebenfach Informatik studiert und im Columbia University Orchestra Klavier gespielt.

Mit aller Kraft versuchte Jules, Vivian telepathisch mitzuteilen: Schreck die bloß nicht ab.

»Wenn ein Baby weint, heißt das, dass seine Bedürfnisse nicht erfüllt sind«, sagte Zahra. »Hat es Hunger? Dann füttere ich es. Ist es müde? Dann wiege ich es sanft und singe ihm etwas vor, wenn ihm das gefällt. Wenn ein Baby gerade erst auf der Welt ist, ist es besonders wichtig, ihm zu zeigen, dass es bekommt, was es braucht. Immerhin hängt davon seine ganze zukünftige Entwicklung ab.«

»Also kein Druck, hm?«, sagte Jules. »Haha.«

Vivian schaute böse und Zahra lächelte höflich – ja, der Witz war eindeutig danebengegangen. Das restliche Gespräch verlief erfreulicherweise ohne Zwischenfälle. Zahra schien beeindruckt, als Jules ihr schilderte, wie das Haus für das Baby hergerichtet werden sollte und welche konkreten – sehr, sehr konkreten und speziellen – Vorstellungen Vivian von Zahras Aufgaben hatte. Doch diese bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Vorstellungen schienen Zahra eher zu begeistern als abzuschrecken. Sie war ein anderes Kaliber als die Mitarbeiter von Du Jour.

»Ich finde es immer hilfreich, wenn ich weiß, welche Wünsche die Eltern haben«, sagte Zahra und stand auf.

Jules lächelte etwas gezwungen und schaute zu Vivian. »Vivian hat immer ganz genaue Anforderungen an ihre Angestellten.«

Vivian sah völlig ungerührt drein.

Zahra lächelte Jules an, ihre Zähne waren perfekt. »Nun, für Sie als persönliche Assistentin hat das doch sicher einige Vorteile.«

Jules wollte gerade sagen: »Na ja, das ist gleichzeitig Fluch und Segen«, als die Realität sie einholte. Sie war nicht länger Vivians Assistentin. Eine Woche zuvor hatte Mark Tavio, der Vorstandsvorsitzende der Verlagsgruppe Koening, der gleichzeitig Vivians Arschloch von Boss war, Jules gefeuert. Auf Außenstehende würde es jetzt also seltsam wirken, dass Jules überhaupt noch bei der Suche nach einer Nanny half.

Sie brach in Schweiß aus. Was sollte sie sagen? Lügen wollte sie nicht. Aber Vivian und sie hatten noch nicht darüber gesprochen, noch keine Ausrede parat. Vivians Miene war völlig unergründlich. Sie sah Jules an, während Zahra immer noch auf eine Antwort wartete. Jules sollte also die Zügel in die Hand nehmen.

Sonst war Jules immer so stolz darauf, dass sie spontan reagieren konnte, aber jetzt brachte sie nur hervor: »Ich musste mich erst daran gewöhnen, aber ja, Klarheit hat definitiv Vorteile.«

»Stimmt.« Zahra schwang sich ihre Tasche von Parker Clay über die Schulter. »Es war schön, Sie beide kennenzulernen. Ms. Carlisle, danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.«

»Gern. Julia, bringen Sie Zahra doch bitte zur Tür.« Vivians Tonfall war kühler als vorher.

Als Jules Zahra zur Haustür führte, fragte sie sich, woran das wohl lag. Was hatte Vivian für ein Problem? Jules verhielt sich doch nur professionell.

Sie nahm Zahras Visitenkarte entgegen, winkte ihr zum Abschied und ging ins Haus. Jetzt musste sie erst einmal herausfinden, warum Vivian sich so verhielt.

Vivian saß mit gefalteten Händen immer noch im Salon, ganz am Rand des Zweiersofas. Julia kannte diese Haltung und den Gesichtsausdruck. Es stand ein ernstes Gespräch an.

Am besten komme ich ihr einfach zuvor. Sie fuhr sich durch ihr Haar und trat näher. »Wir hätten uns besser vorbereiten sollen.«

»Vorbereiten, worauf denn genau?«

Jules setzte sich neben Vivian. Normalerweise würde sie sich jetzt an Vivian kuscheln, ihre Nähe suchen, aber das kam in dieser Situation nicht infrage. »Eine Ausrede, um unsere Beziehung zu verheimlichen. Tut mir leid, dass ich eben so unbeholfen war. Ich –«

»Verheimlichen.« Vivians Tonfall war ausdruckslos. Auch in ihren Augen lag keinerlei Wärme.

Was war ihr Problem?

»Hm, ja«, sagte Jules. »Ich kann mich ja nicht einfach jederzeit und überall an dich kuscheln und dich auf die Lippen küssen.«

»Und das ist sehr schade«, sagte Vivian. »Das sind genau die Momente, die ich so liebe. Und ja, wir müssen über uns reden. Aber ich möchte nichts verheimlichen. So will ich das nicht nennen.«

Mit klopfendem Herzen und auf das Schlimmste gefasst ballte Jules ihre Fäuste und zerknautschte dabei Zahras Visitenkarte. »Sondern?«

»Ich weiß, wir sind in einer ungewöhnlichen Situation«, sagte Vivian mit fester Stimme, »aber ich will auch keine Lüge leben.«

»Ich habe nicht gelogen«, protestierte Jules. »Ich habe ja nicht behauptet, dass ich deine Assistentin bin.«

Eine schwache Entgegnung, die Vivian nicht akzeptierte. »Nein, aber du hast deine Antwort so formuliert, dass sie genau davon ausgehen muss. Du bist nicht meine Assistentin, du bist meine Freundin, meine Partnerin. Ich behaupte nicht, dass das fürs Erste ein Problem ist, aber wenn wir sie einstellen, will ich ihr auf keinen Fall etwas vorspielen.«

Selbst in dieser angespannten Situation erfüllten die Worte Du bist meine Freundin Jules mit unbeschreiblicher Freude. Noch vor einem Monat hätte sie so einen Moment für völlig unmöglich gehalten. Konnte man es ihr verübeln, dass sie ihre gerade erst entstandene Beziehung schützen wollte?

»Und was willst du ihr dann vermitteln?«, fragte Jules. »Vivian, es ist noch zu früh, um unsere Beziehung öffentlich zu machen. Du hast dich gerade scheiden lassen, und ich arbeite erst seit ein paar Tagen nicht mehr für dich. Außerdem sind wir noch gar nicht so lang zusammen.«

»Es geht mir nicht darum, dich zu irgendwelchen Benefizgalas mitzunehmen«, sagte Vivian genervt. »Gute Hausangestellte sind in der Regel diskret, und wenn Zahra so qualifiziert ist, wie sie scheint, dann plaudert sie nicht alles bei Page Six aus. Du musst wegen unserer Beziehung keinen Eiertanz aufführen, schon gar nicht in meinem Haus.«

Wenn man es so betrachtete, schien Jules’ Vorsicht übertrieben. Bei dem Gedanken, dass jemand von der Beziehung erfahren könnte, und sei es die Nanny, wurde ihr immer noch leicht übel. Normalerweise hätte sie nichts gegen ein Coming-out. Aber normalerweise war die eigene Partnerin auch nicht schwanger, frisch geschieden und – nicht zu vergessen – die mächtigste Person in der ganzen Modeindustrie. Ganz zu schweigen davon, dass diese Person ihre ehemalige Chefin war.

Die Leute würden schlecht über Jules und Vivian reden. Jules würde entweder als armes Opfer oder als geldgierig bezeichnet werden, und Vivian als übergriffig oder verzweifelt. Niemand würde in ihnen zwei Menschen sehen, die sich mit klarem Verstand auf eine gleichberechtigte Beziehung einließen.

Wobei … klarer Verstand in Vivians Gegenwart?

Jules biss sich auf die Unterlippe und betrachtete Vivian, ihre hellblauen Augen und das kurze blonde Haar, ihre eleganten, wohlgeformten Gesichtszüge und ihre makellose Haltung. Ein weiter, cremefarbener Pullover verbarg ihren leicht gewölbten Bauch. Auch heute, an diesem entspannten Sonntagnachmittag, sah sie schicker aus als die meisten herausgeputzten Frauen. Hinter ihren Augen verbarg sich ein messerscharfer Verstand, mit dem sie in aller Ruhe jede Situation von allen Seiten betrachten konnte. Und unter der unauffälligen, aber eleganten Kleidung verbarg sich eine Frau, die im Bett einfach eine Bombe war.

Der primitivste Teil von Jules’ Hirn fauchte: Natürlich soll alle Welt wissen, dass sie mir gehört. Der etwas entwickeltere Teil erinnerte Jules daran, dass Vivian das vielleicht nicht so sah. Es könnte zum Beispiel sein, dass Vivian beim Gedanken an Jules nicht so ein flaues Gefühl in der Brust bekam. Vielleicht sah Vivian auch keine braunhaarige Frau in einer Menschenmenge und spürte nicht, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte, weil sie sich fragte, ob es Jules war.

Vielleicht erwiderte Vivian ihre Liebe gar nicht.

Ja, Jules war ihr wichtig. Das hatte sie deutlich gemacht. Aber wie weit ging das? Offensichtlich so weit, dass sie Jules bei sich haben, oft mit ihr Sex haben und außerdem mit ihr reden und Zeit mit ihr verbringen wollte. Das tat Vivian mit niemand anderem. Aber das Wort Liebe hatte sie noch nicht in den Mund genommen.

»War wohl nur ein Reflex«, murmelte Jules, anstatt all ihre Gedanken laut auszusprechen. »Ich hab nicht drüber nachgedacht. Wir haben ja gerade beide genug andere Sorgen, oder?« Sie hob die Hände und zählte es an den Fingern ab. »Du bist schwanger, lässt dich gerade scheiden und musst dich gegen Mark wehren, und ich fange gerade in einem neuen Job an und …«

Zum Glück lächelte Vivian müde. »Ich versteh schon. Die Scheidung hab ich aber schon hinter mich gebracht.«

Na endlich. Vivians Ex-Mann Robert Kirk hatte sie betrogen und den Scheidungsprozess so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen. Das wäre ja auch in Ordnung gewesen, wenn er nicht genauso schnell – nein, sogar noch schneller – auf das Umgangsrecht mit seiner Tochter verzichtet und Vivian das alleinige Sorgerecht übertragen hätte. Vivian hatte es zwar genau so gewollt, aber Jules fand es trotzdem schade – auch wenn Robert ein Arschloch war. Jetzt würde das Baby mit dem Wissen aufwachsen, dass sein Vater es nicht wollte.

Ich mache das wieder gut, dachte Jules unwillkürlich.

»Ja«, sagte sie und rückte näher an Vivian heran. »Er ist Geschichte, und du gehörst nur mir.«

Vivians Schnauben konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ihren Körper entspannte und Jules entgegenkam. »Ganz schön gierig, hm?«

»Na klar.« Jules strich Vivian durchs Haar. »Wollen wir noch ein bisschen rumknutschen, bevor wir Zahra anrufen?«

Vivian fummelte bereits an den Knöpfen von Jules’ Bluse herum. »Denkst du, sie wird Ja sagen?«

»Was meinst du?«

»Ich glaube schon.« Vivians Blick bohrte sich in Jules’. »Ich weiß sehr gut, wann jemand Ja zu mir sagen will.«

Hitze durchströmte Jules’ ganzen Körper, bis sogar ihre Kopfhaut zu kribbeln begann. Für einen Moment verschlug es ihr den Atem.

Vivian legte eine Hand auf Jules’ Knie und ließ sie höher wandern, bis zu ihrem Oberschenkel. Die Hitze ihrer Haut brannte förmlich durch ihre Hose.

»Würdest du gern mehr machen, als nur rumknutschen, Julia?«

»Ja, Vivian«, flüsterte Jules, beugte sich vor und küsste sie. »Oh ja.«

Kapitel 2

Am folgenden Freitagmorgen sah Jules endlich zum ersten Mal die Büroräume, die ihr neuer Chef, Simon Carvalho, gemietet hatte. Hier sollte das Hauptquartier von Adrian & Jo entstehen, dem hochwertigen Online-Versandhandel, für dessen Gründung er bei Du Jour gekündigt hatte. Obwohl Jules durch ihren Rauswurf keine andere Wahl gehabt hatte, als in Zukunft mit Simon zusammenzuarbeiten, war sie aufgeregt. Es war cool, wenn man von Anfang an bei so einem Projekt dabei sein konnte.

Nicht, dass sie hier irgendetwas Aufregendes machte. Im Moment übernahm sie ungefähr die gleichen Aufgaben wie zuvor für Vivian bei Du Jour. Aber Simon hatte ihr versprochen, dass sie schnell aufsteigen konnte. Schon bald würde sie also mehr als nur eine Assistentin sein.

Wie bald stand allerdings noch nicht fest.

Die Räumlichkeiten an sich waren nichts Besonderes. Das Büro von Du Jour war wunderschön, mit seiner cremefarbenen Einrichtung, den Glaswänden und den vielen Bildern der angesagtesten Künstlerinnen und Künstler. Es hatte einen prominenten Platz im Koening-Gebäude im Herzen von Midtown Manhattan. Adrian & Jo dagegen fing etwas bescheidener an: standardmäßige, langweilige Einrichtung. Kahle Wände. Viele kleine Arbeitsnischen. Simon hatte eine halbe Etage in Murray Hill gemietet. Nicht gerade das angesagteste Viertel der Stadt.

Nach ihrer Zeit bei Du Jour war das natürlich eine Enttäuschung, aber Jules fand, dass sie in dieser Hinsicht einfach verwöhnt war.

Adrian & Jo würde schon seinen Platz in der Welt finden. Irgendwo musste man ja anfangen. Wenigstens war es kein offenes Büro ohne Wände. Simon hielt es wie Vivian, die es als ein Grundrecht ansah, nicht ständig andere Menschen anschauen zu müssen. Das war auch so ziemlich das einzige Zugeständnis, das sie ihren Untergebenen machte.

Jules sah sich im leeren Büro um, stemmte die Hände in die Hüften und atmete tief durch. Es gab noch viel zu tun. Und sich um solche Herausforderungen zu kümmern, war ihre Spezialität. Mit der Gewandtheit eines professionellen Revolverhelden zückte sie ihr Handy und machte sich an die Arbeit.

Nach ein paar Tagen des Nichtstuns fühlte sich die Arbeit wie ein bequemes Paar Schuhe an. Und die brauchte man, wenn man sofort losrennen wollte. Bei Du Jour hatte sie sich nie mit der IT-Abteilung, dem Telefonanbieter oder dem Büromöbelverleih herumschlagen müssen. Aber da musste sie einfach ihre Soft Skills spielen lassen, oder?

Sie wollte sich eine eigene berufliche Position erarbeiten, denn die alte hatte sie ja gerade verloren. Außerdem war dieser Job etwas Eigenes, das nichts mit ihrer Beziehung zu Vivian zu tun hatte. Etwas, das Jules gehörte.

Experten zufolge war so etwas wichtig für eine gesunde Beziehung. Getrennte Interessen und Karrierewege und so weiter. Wenn Jules sich das noch ein paarmal einredete, würde sie es vielleicht bald selbst glauben.

Zu Jules’ Überraschung rief Simon sie abends um halb sieben an und sagte ihr, dass sie im Büro warten solle.

Eine Viertelstunde später kam er, sah erschöpft aus und lächelte sie schief an. »Ich hatte den ganzen Tag noch mit Du Jour zu tun«, sagte er. »Zum Glück war Vivian nicht da. Ich dachte, ich komme mal vorbei und schaue nach, was …« Er sah sich am Empfang um. Jules’ iMac summte leise auf ihrem perfekt aufgeräumten Schreibtisch. Dann blickte er in sein Büro, wo es genauso aussah. »Wow.«

»Ich hab unseren IT-Spezialisten angerufen«, sagte Jules. »Ich glaube, der mag mich.«

»Riecht es hier etwa nach Kaffee?«

»Ich habe eine Kaffeemaschine von Keurig geholt.«

»Hast du hier gestaubsaugt?«

»Und Staub gewischt.«

»Willst du mir den Job wegnehmen?«

Jules lachte. Simon auch.

»Gib mir noch zehn Jahre«, sagte sie. »Mindestens. Dann vielleicht.«

»Ahhh.« Simon streckte sich und hielt sich das Kreuz. »Ich mach nur Witze. Dieses Projekt gebe ich auf keinen Fall auf.«

Dann atmete er tief durch. Er sah ein wenig besorgt aus.

»Du machst das alles super«, sagte Jules. »Die ganze Sache wird super. Ich hab schon E-Mails verschickt«, fügte sie hinzu, »und ein paar Antworten bekommen. Klingt so, als wären einige Leute sehr gespannt auf das, was wir machen. Ein Online-Versandhandel der Extraklasse ist bahnbrechend.«

»Ich weiß.« Beeindruckt zog Simon eine Augenbraue hoch. »Die meisten Mails waren auch an mich adressiert. Du warst ja eine fleißige kleine Biene.«

Jules zuckte die Schultern. Sie verschwieg lieber, dass dieser ganze Trubel ihr half, Vivian nicht zu sehr zu vermissen.

»Also.« Simon rieb sich die Hände und ging in sein Büro.

Jules folgte ihm und beobachtete amüsiert, wie er sich auf seinen Stuhl setzte und eine kerzengerade Haltung einnahm, die sehr an ihre frühere Chefin, Vivian, erinnerte.

Dann hob er das Kinn. »Julia«, setzte er an.

»Oh nein«, sagte Jules und grinste.

Simon legte die Handflächen auf den Schreibtisch und schaute Jules dann über den Rand seiner Brille hinweg an. »In fünf Minuten steht hier eine Tasse Kaffee von La Colombe vor mir. Nein. In drei.«

»Ahaha … Hör doch auf …«, keuchte Jules, die sich vor Lachen den Bauch hielt und sich an der Wand abstützen musste.

»Und dann will ich Neuigkeiten von Testino, und zwar noch gestern. Das mein ich ernst. Also beeilen Sie sich gefälligst und drehen Sie die Erdkugel in die andere Richtung –«

»Ja, Simon«, brachte Jules hervor, die sich langsam wieder unter Kontrolle hatte. »Ich sag Allie sofort Bescheid.«

»O Gott.« Simon fiel aus der Rolle, legte den Kopf auf den Schreibtisch und lachte. »Allie. Wir haben sie mit Allie alleingelassen.«

Bei dem Gedanken an Allie, die unbeholfene Praktikantin, die Jules kurz vor ihrer Kündigung eingestellt hatte, grinste sie nur. »Aber vielleicht nur kurz.« Eine ernüchternde Feststellung. »Wenn Allie den Job nicht allein hinkriegt, ist sie erledigt.«

»Das liegt leider nicht mehr in deiner Hand«, sagte Simon und setzte sich wieder aufrecht hin.

»Ich weiß, aber ich fühle mich irgendwie verantwortlich«, entgegnete Jules. »Immerhin habe ich Allie eingeste…, also, vorgeschlagen. Und Vivian meinte schon, dass sie sie vielleicht kündigen muss, wenn –«

Einen Moment zu spät fiel ihr auf, was sie da gerade ausgeplaudert hatte. Gemessen an Simons weit aufgerissenen Augen, war ihm das wohl nicht entgangen.

»Und wann genau hat Vivian dir das gesagt?«, fragte er in neutralem Ton.

Jules holte tief Luft und versuchte, beiläufig zu klingen. Aber das war gar nicht so einfach, wenn man erst einmal tief Luft geholt hatte, und so wunderte sie sich nicht, dass es ihr nicht gelang. »Gestern.«

»Also habt ihr noch Kontakt.«

»Ja«, sagte Jules, ohne den Blick abzuwenden. Sie würde es nicht abstreiten. Nicht Simon gegenüber. Es war schließlich kein Verbrechen, mit seiner ehemaligen Chefin zu kommunizieren.

»Ehrlich gesagt«, sagte Simon und lehnte sich zurück, »bin ich darüber nicht so überrascht, wie ich eigentlich sein sollte.« Er blickte Jules fest in die Augen.

Bloß nicht in Schweiß ausbrechen. »Du meintest doch selbst, dass sie mich vermissen würde. Du wusstest doch, dass sie –«

»Dich braucht?«, fragte Simon ohne Umschweife.

Jules stieg Hitze in die Wangen. »Hm, ja. Aber … Aber das hat nichts mit meiner Arbeit zu tun, Simon. Ich arbeite für dich, nicht für sie. Es ist nur so, dass wir«, sie wedelte hilflos mit einer Hand, »wir sind sozusagen –«

Simon schürzte die Lippen. »Befreundet?«

»Ja«, sagte Jules und schämte sich ein wenig. Es war kein schönes Gefühl, Vivians Bedeutung so herunterzuspielen. Aber wenn sie nicht einmal der Nanny ihre Beziehung erklären konnte, würde sie es bei Simon erst gar nicht versuchen. Jedenfalls jetzt noch nicht.

»Ich frage mich, ob es außerhalb der Arbeit einfacher ist, mit Vivian befreundet zu sein«, überlegte er und lächelte wehmütig. »Sag mir Bescheid, ja? Ich werde es wahrscheinlich nicht mehr herausfinden.«

Jules biss sich auf die Unterlippe und wünschte, sie könnte das Gegenteil behaupten. Aber Simon hatte Vivian verletzt. Schlimmer noch: Er hatte sie völlig überrumpelt, und das würde sie ihm nie verzeihen. Das Beste, was sie Simon jetzt noch sagen konnte, war, dass Vivian beschlossen hatte, ihn weiterhin als nützlich zu betrachten. Und sie war sich ziemlich sicher, dass sie das auf keinen Fall sagen sollte.

»Na ja. Hast du morgen Nachmittag schon was vor?«, fragte Simon. »Ich treffe mich mit Jack und Lazaro. Wird bestimmt witzig. Viel Alkohol. Wäre schön, wenn du auch mitkommst.«

»Ich würde ja gern.« Jules biss sich auf die Unterlippe. »Aber vielleicht hab ich schon was vor.«

»Ach ja?« Simon zog die Augenbrauen hoch. »Irgendetwas ganz besonders Spannendes, das es wert wäre, eine Gelegenheit zum Netzwerken sausen zu lassen?«

Jules zuckte zusammen. »Das fällt irgendwie in die Kategorie von, äh, also … worüber wir eben noch gesprochen haben.«

»Die Kateg…« Simon blinzelte. »Vivian?«

Jules schoss Hitze in die Wangen. »Sie will mich zum Geburtstag zum Essen einladen.«

»Du hattest letzte Woche Geburtstag.«

»Ich weiß. Ich erinnere mich gut, vor allem wegen der Kündigung«, sagte Jules trocken. »Es ist eher eine nachträgliche Einladung.«

Außerdem war es eine nicht existente Einladung. Ja, Vivian und Jules wollten sich zu einer nachträglichen Geburtstagsfeier treffen. Aber sie gingen nicht aus. Jules hatte sehr deutlich gemacht, dass ihre Vorstellung einer perfekten Feier vor allem private Dinge beinhaltete. Sie hatten ja schon eine vorgezogene Geburtstagsparty gefeiert – und dabei zum ersten Mal miteinander geschlafen. Außerdem hatte Jules eine E-Mail von Modernity erhalten, in der sie gebeten worden war, einen Artikel zum Thema Lifestyle zu schreiben.

Ein Geburtstagsgeschenk von Vivian, mit dem Jules innerlich immer noch kämpfte. Sie war wirklich erleichtert, dass Vivian ihr für morgen etwas Traditionelleres versprochen hatte.

Simon seufzte, und sein nachdenklicher Gesichtsausdruck wurde zu einem Warum-frag-ich-überhaupt-Blick. »Ich denke an dich, während du einen Gin Fizz nach dem anderen trinkst und die männlichen Models angaffst.«

Eine harmlose Aussage. Simon klang weder argwöhnisch noch anklagend.

Aber trotzdem hatte Jules das Gefühl, noch nicht so ganz davongekommen zu sein.

Kapitel 3

Als Jules an diesem Abend Vivian anrief, ging sie sofort ran. Das schmeichelte Jules’ Ego, aber sie durfte jetzt keine Witze darüber machen, dass Vivian am Telefon gewartet hatte, denn dann wäre das Gespräch vorbei, bevor es überhaupt begonnen hatte.

»Wie geht es dir?«, fragte sie.

»Gut«, antwortete Vivian.

Beim Klang ihrer Stimme fühlte sich Jules ganz leicht, und ihr wurde schwindlig.

»Ich bin froh, dass der Tag vorbei ist.«

»Was ist passiert?«, fragte Jules besorgt.

»Nichts Ungewöhnliches.« Vivian seufzte. »Nur einer dieser Freitage, an denen ich bis zum Abend keine Sekunde Ruhe hatte.«

»Oh.« Jules biss sich auf die Unterlippe. »Soll ich später noch einmal anrufen? Oder …«Es war fast zehn. »Oder lieber morgen?«

»Nein. Erzähl mir von deinem Tag. Ist es so faszinierend, ein Büro einzurichten, wie es klingt?«

»Oh ja. Ich habe heute viel geschafft. Zum Beispiel eine Kaffeemaschine bestellt.«

»Und ich hatte schon befürchtet, deine Talente wären dort verschwendet.«

Als ob Jules ihre Talente bei Du Jour in vollem Maße hatte nutzen können! »Nein. Ich blühe richtig auf.«

»Das merke ich.«

Und da kam Jules eine Idee. Eine wunderbare, großartige, wahrscheinlich unmögliche Idee. »Ich meine, ich bin ein Multitalent.«

Sie versuchte, unschuldig zu klingen – sogar langweilig –, aber irgendetwas an ihrer Stimme schien sie verraten zu haben, denn Vivian schwieg einen Moment zu lang.

Und sie klang misstrauisch, als sie antwortete. »So könnte man es ausdrücken.«

»Ich hab dich vermisst«, sagte Jules.

Vivian räusperte sich. »Na ja, wir sehen uns ja morgen.«

»Ich hab dich seit Mittwoch nicht gesehen.«

»Ich war doch am Donnerstag bei dir.«

»Das meinte ich nicht.«

»Julia –«

»Ich meinte, dass ich meine liebsten Teile von dir seit Mittwoch nicht mehr gesehen, geschweige denn angefasst habe.«

»Julia!« Vivian klang jetzt richtig empört.

Jules grinste. »Ich mein ja nur.«

»Du – wie gesagt, wir sehen uns morgen.«

»Das ist mir zu spät«, sagte Jules.

Vivian stockte der Atem.

»Hast du mich auch vermisst?«

»Ich, äh …« Vivian zögerte. »Ja.«

»Einen bestimmten Teil von mir?«

»Dieses Gespräch hat ja eine elegante Wendung genommen.«

»Tut mir leid.« Jules lachte. »Ich wusste nicht, dass Telefonsex stilvoll sein muss.«

»Wir haben doch keinen – das machen wir ganz bestimmt nicht.«

»Nicht?« Jules brachte ihre Enttäuschung deutlich zum Ausdruck.

Vivian hüstelte. »Nein.«

»Auch nicht, wenn ich das Reden übernehme?«

»Nein.«

Jules wurde heiß, und unter ihrem Pyjama-Oberteil wurden ihre Brustwarzen hart. »Auch nicht, wenn ich dir von allem erzähle, was ich morgen mit dir anstellen will?«

»Wer sagt denn«, entgegnete Vivian, »dass du morgen die ganze Arbeit übernimmst?«

Jules schnappte nach Luft. Sie konnte Vivians Schmunzeln förmlich vor sich sehen. Doch sie riss sich schnell zusammen. »Aber es ist meine Geburtstagsparty, oder?«

»Ich glaube, so eine Party hatten wir schon«, sagte Vivian schelmisch.

»Das war die Vorfeier. Morgen feiern wir nach.«

»Für wen hältst du dich? Kim Kardashian?«

Jules ignorierte das und fuhr fort: »Also, als Geburtstagskind sollte ich mir ja wohl was wünschen dürfen. Und ich wünsche mir, mich über dich herzumachen.«

»Ich …« Vivian unterbrach sich. »Ach ja?«

Jules grinste. Die Nacht war gerettet. »Ja. Versteh mich nicht falsch: Alles, was du mit mir machst, fühlt sich großartig an. Aber es macht mich richtig an, dich festzuhalten und zu tun, was ich will.«

»Ja?«, fragte Vivian schwach.

»Und dir gefällt das auch, oder? Ich bin eine Macherin. Und das gefällt dir. Oder?«

»Ja«, gab Vivian zu.

»Und wie fühlst du dich dabei?«, fragte Jules, ihr Gesicht heißer denn je. »Du musst nur vor mir liegen und verdrehst mir sofort den Kopf. Macht dich das glücklich?«

»Ja«, wiederholte Vivian – und schluckte schwer.

»Gut.« Jules lächelte. »Also … dann lässt du mir freie Hand?«

Vivians Stimme klang rau und tief, als sie fragte: »Freie Hand?«

Jules schloss die Augen und schluckte. »Um dich auszuziehen, aufs Bett zu legen, und zu ficken.«

»Oh«, sagte Vivian nach ein paar Sekunden. »Mhm.«

»Und zwar ganz langsam«, flüsterte Jules. »Keine schnellen Nummern mehr. Wir machen es langsam. Ganz langsam, so wie es dir gefällt. Und mir auch.«

»D-dir auch?«

»Oh ja«, sagte Jules. »Dich überall zu lecken. Und alles zu tun, was du willst. Du weißt doch, dass ich das liebe, oder?«

»Ich hatte da so eine Ahnung«, krächzte Vivian.

»Also, lässt du mir freie Hand?«

Jules konnte förmlich sehen, wie Vivian ein Dutzend cleverer Entgegnungen zur Seite schob und dann antwortete: »Ja.«

»Gut«, hauchte Jules. »Ich kann es kaum erwarten.« Sie hielt inne. »Und du?«

»Ich hab ja keine andere Wahl, als abzuwarten«, sagte Vivian angespannt.

»Doch, hast du. Und das weißt du auch.«

»Hör auf damit«, drängte Vivian.

»Warum denn?«, fragte Jules. »Ist doch nichts dabei, wenn du –«

»Wenn ich was? Wenn du willst, dass ich es tue, dann sag es einfach.«

»Dann befriedige dich selbst«, sagte Jules. Ihre eigene Dreistigkeit machte sie fast schwindlig – sie hatte Vivian Carlisle gerade befohlen, zu masturbieren!

»Das würde dir gefallen, hm?«, murmelte Vivian. »Dabei zuzuhören?«

»Ja«, brachte Jules krächzend hervor.

»Wie schade«, sagte Vivian. »Das habe ich schon so oft gemacht, aber diesmal würde es mich nicht befriedigen. Ich will lieber, dass du mich berührst, Julia.«

Jules öffnete den Mund, war aber unfähig, irgendetwas zu sagen. Überhaupt nichts. Dann entfuhr ihr ein Ton, der sehr an ein Quietschen erinnerte und etwas peinlich war.

»Gute Nacht, Julia«, schnurrte Vivian. Dann legte sie auf.

Jules starrte auf ihr Handy und sank stöhnend in ihr Kissen. Sie verfluchte die Frau, die sie von ganzem Herzen liebte.

* * *

Vivian war die mächtigste Frau der gesamten Modeindustrie. Da war es nicht verwunderlich, dass sie ihren Mitmenschen extravagante Geschenke machte, ohne weiter darüber nachzudenken. Und jetzt, wo Jules nicht mehr für sie arbeitete, hielt sie genau das offenbar für angebracht.

Jules bemühte sich, nicht gehemmt zu wirken, als sie die drei wundervoll verpackten Geschenke öffnete. Darin fand sie eine Tasche von Bottega Veneta, Stiefeletten von Stella McCartney und ein Fläschchen Parfüm von Amouage. Für alles zusammen hätte Jules zwei Monatsgehälter ihres neuen Jobs sparen müssen.

Sie sprühte sich das Parfüm aufs Handgelenk. Es roch stark nach Weihrauch und Ambra. So etwas hätte sie – abgesehen vom hohen Preis – nicht für sich selbst gekauft, aber es gefiel ihr jetzt schon. Ein neues Parfüm war ein riskantes Geschenk. Das war typisch Vivian.

Jules roch an ihrem Handgelenk. »Das ist wirklich toll. Woher wusstest du, dass es mir gefallen würde?«

Vivian lächelte sie an. Sie saßen auf dem Sofa im Wohnzimmer. Vivian hatte einen ihrer nackten Füße unter sich geklemmt, und Jules’ Schoß war mit Geschenkpapier bedeckt. »Es passt zu dir, oder nicht?«

»Ja. Hätte ich nicht gedacht. Es ist … schwerer als das, was ich sonst trage.« Jules roch noch einmal an ihrem Handgelenk.

»So wie alles in der Mode ist auch Parfüm entweder intelligent oder nicht. Du verdienst etwas, das ausgetüftelter ist als ein einfacher Blumenduft. Gib mir mal deinen Arm.« Gebieterisch streckte Vivian eine Hand aus.

Jules gehorchte und hielt ihr den Arm hin, damit Vivian an ihrem Handgelenk riechen konnte. Als Vivian ihre Haut mit der Nase – und gleich darauf mit dem Mund – streifte, bekam Jules eine Gänsehaut. So wie Vivian es sicher beabsichtigt hatte.

»Ich hab langsam das Gefühl, dass du einen Plan hast«, hauchte Jules.

»Siehst du? Du bist schon schlauer geworden.« Wieder küsste Vivian sie auf das Handgelenk.

»Haha.« Jules nutzte die Gelegenheit, um Vivians Wange zu streicheln, die unter der Berührung rosa anlief.

Vivian hielt kurz die Luft an. »Jetzt benimm dich.«

»Ich?« Jules zog den Arm zurück und steckte den Verschluss wieder auf das Parfümfläschchen. »Ich packe doch nur diese reizenden Geschenke aus.«

Vivian räusperte sich. »Vielleicht bekommst du auch noch eins.«

Jules schaute sie an. Inzwischen waren ihre Wangen tiefrot. »Ach wirklich?«, sagte sie.

Vivian nickte.

Was auch immer es war, Jules war hundertprozentig bereit dafür. »Hmm, warum liegt es denn nicht hier bei den ganzen anderen Geschenken?«

»Du machst mich wahnsinnig«, sagte Vivian, sehr ruhig für eine Person, die gerade immer roter im Gesicht wurde.

»Das hör ich gern«, sagte Jules, leicht erregt und mehr als nur ein bisschen neugierig. Bestimmt ging es um Reizwäsche. Was Vivian ihr wohl gekauft hatte? Wenn sie wusste, welches Parfüm Jules gefiel, wusste sie dann auch, welche Bodys und Dessous ihr am besten standen?

Was auch immer sie gekauft hatte: Vivian wusste, dass Jules es für sie tragen wollte. Das stand außer Frage. Jules freute sich aufrichtig darauf, sich in ein enges, dünnes Outfit zu werfen, nur um es dann unter Vivians brennendem Blick langsam wieder auszuziehen.

Vivian rutschte auf dem Sofa hin und her. »Nnngh.«

»Geht es dir gut?«

»Ja«, sagte Vivian und stand auf. »Aber ich gehe jetzt besser nach oben.« Mit ihren geröteten Wangen wirkte sie nicht mehr erregt, sondern eher verlegen. »Gib mir nur ein paar Minuten und komm dann hoch.«

»Oh. Okay. Dann komme ich gleich«, sagte Jules, ohne weitere Fragen zu stellen.

»Gut«, sagte Vivian und verließ schnell den Raum.

Während sie wartete, betrachtete Jules das Amouage-Fläschchen, das sie wieder in seine samtene Verpackung gesteckt hatte. Es war weniger ein Fläschen als eine Flasche. Vivian hatte einfach gewusst, dass der Geruch zu Jules passte, und nicht die winzigste, und sicherlich immer noch teure, Variante gekauft.

Unausgesprochen blieb der Satz: Dafür kenne ich dich gut genug.

Ein Schauder durchlief Jules von Kopf bis Fuß. Von Vivian gekannt und gesehen zu werden, war aufregend und beängstigend zugleich. Was, wenn Vivian etwas sah, wofür Jules noch nicht bereit war? Zum Beispiel, wie sehr sie bereits in Vivian verliebt war?

Ein Tag nach dem anderen. Jules atmete tief durch. So funktionieren Beziehungen doch, oder?

Jules fand, dass sie lange genug gewartet hatte. Sie ging nach oben und klopfte an Vivians Tür. Aber es gab keine Reaktion. Eine andere Art der Angst machte sich jetzt in ihr breit. Ging es Vivian gut?

Jules öffnete die Tür einen Spalt und rief: »Vivian?«

»Ich bin gleich da«, rief Vivian aus dem Badezimmer. »Komm ruhig rein.«

Erleichtert, dass es Vivian gut zu gehen schien, schloss Jules die Tür hinter sich, setzte sich auf das gigantische Bett und unterdrückte den Drang, auf der wunderbaren Matratze auf und ab zu wippen. Was wohl als Nächstes passieren würde? Vielleicht wollte Vivian ja gar nicht –

Vivian öffnete die Tür und verließ das Badezimmer in einem Wirbel aus champagnerfarbener Seide und goldener Spitze.

Jules riss die Augen auf. Ihr Herz setzte aus. Sie konnte nicht atmen. Ihre Haut wurde heiß, als hätte sie Fieber. Vivian trug dasselbe Abendkleid wie an Silvester. Damals war Jules zum ersten Mal bewusst geworden, wie stark ihre Gefühle für Vivian waren.

Jetzt war es offiziell: Die Diagnose lautete Vivian Carlisle.

Bedächtig verschränkte Vivian die Hände und neigte den Kopf zur Seite. Ihre Augen funkelten amüsiert, wie jedes Mal, wenn Jules wie ein sabbernder Trottel dreinblickte. Aber Jules konnte gar nicht anders, wenn Vivian vor ihr stand und … dieses Outfit trug? Inzwischen lag es natürlich etwas anders an ihrem Körper. An den Hüften wirkte es zum Beispiel enger. Und ihre Brüste waren eindeutig größer als an Silvester. Und natürlich trug sie keinen BH. Und oh, oh, oh.

»Ähm, äh«, sagte Jules und streckte beide Hände aus. Sie gestikulierte fieberhaft, damit Vivian zum Bett kam. Wenn sie selber aufstehen würde, könnten ihre Knie sie sicher nicht halten.

Vivian lächelte und glitt förmlich auf sie zu. »Du hast dein Silvesteroutfit für mich ja schon getragen«, sagte sie. »Das ist also nur fair.«

Es war mehr als nur fair. Jules wurde fast schwindlig, als sie sich daran erinnerte, wie Vivian sich an Silvester in diesem Kleid bewegt hatte. Wie alle im Ballsaal sie angestarrt hatten. Und wie Jules sich absolut sicher gewesen war, niemals auch nur Vivians Hand berühren zu dürfen.

Sie stand auf. Ohne ein weiteres Wort nahm sie Vivians Gesicht in beide Hände und küsste sie ganz langsam, ganz sanft, als würden sie sich zum allerersten Mal küssen.

Vivian griff nach ihren Schultern und zog Jules näher an sich heran. Sie vertiefte oder beschleunigte die Küsse aber nicht. Es schien ihr zu gefallen, dass Jules sich Zeit ließ. Es war so, so viele Tage her, dass sie –

»Du hast so viele Fantasien, die ich erfüllen will«, hauchte Vivian zwischen den Küssen.

»J-Ja?«

»Natürlich. Zum Beispiel die Fantasien von mir in diesem Kleid, von denen du mir erzählt hast.«

Jules beugte sich vor und küsste Vivians Hals. Gott im Himmel, sie trug dasselbe Parfüm wie damals. Sogar ihre kurzen Haare hatte sie auf die gleiche Weise gestylt. War das Absicht, oder war Vivian einfach nur Vivian, die es auf unheimliche Weise immer wieder schaffte, das perfekte Outfit in Szene zu setzen?

»Was für Fantasien? Sag es mir.« Jules knabberte sanft an Vivians Hals.

Vivian entfuhr ein Zischen.

»Sag es mir«, wiederholte Jules.

»Zeig es mir.« Vivian neigte den Kopf zur Seite und erzitterte, als Jules ihr eine Hand auf die Brust legte. »Oh. Du hattest … etwas von Sex in der Garderobe gesagt.«

Mit dem Daumen strich Jules über Vivians Brustwarze, die sofort reagierte.

»Oh«, stöhnte Vivian.

»Eigentlich war das deine Fantasie«, meinte Jules, und ihr drehte sich der Kopf. Die freie Hand ließ sie an Vivians Rücken hinabwandern, um ihren Po zu streicheln.

Wieder erzitterte Vivian.

»Du hattest doch noch eine.« Jules küsste Vivians Schulter. »Weißt du noch?«

»Ich –«

»Du hast darüber fantasiert, dass ich dich aufs Bett drücke, ohne dass du dir vorher das Kleid und die Schuhe ausziehen kannst.« Jules küsste sie erneut, diesmal intensiver, bis sie beide keuchten. »Und darüber, wie feucht du dann wärst.« Sanft biss sie in Vivians Hals.

Vivian stöhnte auf und ließ ihre Hände an Jules’ Rücken auf und ab gleiten.

Jules spürte, wie Vivians Knie schwach wurden, wie ihr Atem unregelmäßiger ging, wie Vivian noch mehr Anzeichen zeigte, dass sie zu nichts anderem mehr fähig war, als sich von Jules ficken zu lassen. »Bist du schon feucht?«, flüsterte Jules.

»Julia«, hauchte Vivian, und stöhnte dann fast: »Julia«, als Jules sie langsam entlang ihres Korsetts küsste und den Kopf an ihre Brüste schmiegte.

Durch Spitze und Seide hindurch biss Jules sanft in eine Brustwarze.

Vivian keuchte, grub ihre Fingernägel in Jules’ Rücken und vergrub die Nase in Jules’ Haaren.

Mit zitternden Knien setzte sich Jules auf die Bettkante. Als Vivian auf sie zukam, hielt Jules sie fest, sodass sie sich vorbeugen, ihr Gesicht wieder in Vivians Dekolleté vergraben und ihr die Hände auf den Po legen konnte.

Vivian warf den Kopf in den Nacken und taumelte nach vorne. Sie musste sich mit den Händen auf Jules’ Schultern abstützen, um nicht umzufallen.

»Du meintest, du würdest mich anbetteln, bis ich endlich mache, was ich will«, sagte Jules. Sie griff nach dem Reißverschluss an Vivians Rücken und zog ihn langsam nach unten. Das Geräusch beim Öffnen klang fast unanständig. Aber sie wollte nicht, dass Vivian das Kleid schon auszog, also ließ sie den Reißverschluss halb offen und zog an einem der Spaghettiträger. »Hier, lass uns …«

Vivian schüttelte sich, zog die Schultern hoch und löste den Träger. Dann zog sie ihren Arm hindurch und entblößte eine Brust. Die Brustwarze war fest und hart.

Jules beugte sich vor, küsste und leckte sie, biss sanft hinein, bis Vivian sagte: »Bitte … Bitte … Ohh …«

Vor Hitze wurde Jules schwindlig. Sie hielt kurz inne, um ihr eigenes Oberteil auszuziehen. Dann zog sie Vivian zu sich aufs Bett, legte sie flach auf den Rücken, küsste sie wieder und wieder, am ganzen Körper. Unter Vivians erregtem Zittern griff Jules unter ihren Rock und ertastete die weiche, zarte Haut, die sie so liebte. Dann ließ sie ihre Finger weiter nach oben wandern – und stellte fest, dass Vivian gar keinen Slip trug. »Oh«, flüsterte Jules und bewegte die Finger. »Ja, du bist eindeutig feucht.«

Vivian erschauderte und sah Jules wie benommen an.

Immer wieder streichelte Jules über Vivians Oberschenkel.

»Oh nein, bitte.«

»Was, bitte?«, hauchte Jules und knabberte wieder an Vivians Hals.

»Bitte«, stieß Vivian mit durchgedrücktem Rücken hervor. »Ich will … ich will –«

»Du willst was?« Jules erinnerte sich daran, wie selbstgefällig Vivian gestern Abend am Telefon geklungen hatte. Sie lächelte, den Mund an ihrer Haut. »Meinen Mund? Du willst meinen Mund an dir spüren?« Wieder streichelte sie Vivians Oberschenkel. »Soll ich es dir mit dem Mund machen?«

»O Gott!«, keuchte Vivian und kniff die Augen zusammen.

Jules kniff eine von Vivians Brustwarzen.

»Oh! Bitte … Ich halte es nicht mehr aus –«

»Es ist meine Party«, flüsterte Jules, und etwas in ihrer Stimme – vielleicht das Versprechen süßer Qual – ließ Vivian erneut aufstöhnen. »Und ich darf tun, was ich will.«

»Oh nein«, wimmerte Vivian, doch es klang überhaupt nicht nach Protest.

»Und ich will es langsam angehen. Schön langsam.«

»Nein«, wiederholte Vivian. Es hätte überzeugender geklungen, wenn ihre Brustwarzen nicht noch härter und die Feuchtigkeit um Jules’ Finger nicht noch stärker geworden wäre. »Ich will –«

»Ich gebe dir, was du willst.«

Jules bewies es ihr. Sie zeigte Vivian ihre Liebe. Zentimeter für Zentimeter zog sie ihr das Abendkleid aus. Und je mehr Vivian Jules anflehte, alles, was sie tat, schneller und intensiver zu tun, desto mehr Zeit ließ Jules sich.

Als sie schließlich beide nackt waren, war das Abendkleid vermutlich ruiniert, und Vivian brachte kein klares Wort mehr heraus.

Nun endlich gab Jules ihrem brennenden Verlangen nach und quälte Vivian nicht weiter. Stattdessen streichelte sie sie so behutsam an ihrer empfindlichsten Stelle, so sanft, aber gezielt, dass Vivians Zittern und Keuchen stärker und stärker wurden, bis sich ihre inneren Muskeln anspannten und sie kam.

Nach dem Orgasmus stöhnte Vivian einmal auf und ließ sich dann zitternd auf die Matratze fallen. Bei diesem Anblick, Vivian so errötet und befriedigt vor ihr liegend, wurde Jules ein wenig schwindlig.

»Großer Gott, Julia.«

Jules, die selber so feucht und atemlos und unendlich erregt war, dass sie befürchtete, auf der Stelle sterben zu können, rang nach Worten. »Ich liebe das. Ich …«, brachte sie nur hervor.

Vivian öffnete die Augen und sah sie verträumt an.

Noch bevor Jules weiterreden konnte – noch bevor sie zugeben konnte, dass sie nicht nur den Sex mit Vivian liebte –, streichelte Vivian Jules’ Oberschenkel.

Zu ihrer eigenen Überraschung stieß Jules hervor: »Nein. Noch nicht.«

Vivian blinzelte und fragte heiser: »Nein?«

»Noch nicht«, wiederholte Jules und schluckte schwer. Es gab etwas, das sie im Moment viel lieber tun wollte. »Machen wir dich erst mal sauber.«

Wieder blinzelte Vivian. »Was?«

Und dann, als Jules den Kopf nach unten neigte und ihn Vivian gierig zwischen die Beine legte, entfuhr ihr ein Schrei.

»Ich kann nicht genug von dir bekommen.« Jules küsste, leckte, saugte, während Vivian erbebte und die Hände in den Kissen vergrub, zu atemlos, um noch flehen oder etwas sagen zu können. »Ich wünschte, ich müsste niemals damit aufhören.«

»Bitte«, wimmerte Vivian und kam dann mit einem Schrei, der in ein Schluchzen überging, zum Höhepunkt. Ihre Oberschenkel zitterten.

Jules zog sich zurück, leckte sich die Lippen und wartete, bis Vivian die Augen öffnete.

Das tat sie einen Moment später, ihr Atem wurde langsamer. Vivian zitterte, legte eine Hand auf die Augen, zog sie wieder zurück und schluckte schwer. »Hmm.« Dann sagte sie: »Komm her.«

Jules gehorchte, legte sich neben sie und sah ihr in die Augen. Beherrsch dich, befahl sie sich selbst. Sie wollte diesen Moment gern festhalten.

Aber natürlich hatte Vivian etwas anderes im Sinn. Sie berührte Jules’ Kinn, zog sie zu sich heran, küsste sie und schmeckte sich selbst an ihren Lippen. »Nun«, sagte sie heiser, als sie sich von Jules löste.

Beim Klang ihrer Stimme durchlief Jules ein wohliger Schauder. Nach einem Orgasmus hatte Vivian immer die interessantesten Pläne, und sie war nur allzu bereit, den Spieß umzudrehen.

»Das hat dir gefallen, hm?«, fragte Vivian.

Vielleicht wäre Jules irgendeine Klugscheißer-Antwort eingefallen, wenn Vivian nicht ihre Fingerspitzen in Jules’ Oberschenkel vergraben hätte. Also keuchte sie nur. »Ja.«

»Hast du bekommen, was du wolltest?« Vivians Augen funkelten. »Hast du das bekommen, was du wolltest? Das getan, was du dir gewünscht hast? So hast du es doch ausgedrückt, oder? Hast du das gemacht?« Mit dem Mittelfinger drang sie in Jules ein.

Jules wäre fast auf der Stelle gekommen.

Vivian lächelte zufrieden. »Hm?«

»Sag du es mir«, keuchte Jules. »Du warst doch dabei, oder?«

Vivians Antwort bestand darin, dass sie mehr oder weniger sanft mit dem Daumen über Jules’ Klitoris rieb.

Jules stöhnte auf. »O Gott.«

»Ja«, flüsterte Vivian. »Ich war dabei.«

»Und du bist mehrmals gekommen.« Jules grinste. Sie liebte Vivian so sehr, dass es fast schon wehtat. Dieses Gefühl dämpfte sogar einen Moment lang ihre Erregung. Sie senkte den Blick, wischte sich das verschwitzte Haar aus der Stirn und küsste Vivian auf die Nase.

Vivian schaute sie überrascht an. Dann kniff sie die Augen zusammen. So, als fragte sie sich, was Jules jetzt wieder vorhatte.

Die Antwort lautete: Gar nichts. Jules lachte. »Besorgst du es mir jetzt oder nicht?«

»Du lachst wirklich in den merkwürdigsten Situationen«, sagte Vivian und rächte sich, indem sie einen weiteren Finger in Jules gleiten ließ.

Sofort verging Jules das Lachen, und sie biss sich auf die Unterlippe, um ein Stöhnen zu unterdrücken.

Nun war es an Vivian, zu lachen. »Also, wie soll ich es dir besorgen?«

Jules küsste Vivians Stirn, dann ihre Schläfe und murmelte: »Gestern Abend meintest du, dass du dich selbst befriedigt hast. Schon öfter.«

Vivian zischte und hielt die Finger still.

»Sag mir, woran du dann denkst.« Jules legte eine Hand auf Vivians Brust und streichelte ihre Brustwarze. »Sag es mir.«

Vivian hätte weiter mit ihr spielen, sie noch ein wenig mehr necken können. Aber das tat sie nicht. Sie flüsterte: »An dich.«

»O Gott.« Jules legte die Stirn an Vivians.

Vivian atmete keuchend aus und fragte: »Willst du wissen, wie es war, als ich es das erste Mal getan habe?«

»Ja«, wimmerte Jules und küsste Vivian, weil sie einfach nicht anders konnte.

Als sie sich von ihr löste, spannte Vivian ihre Finger in Jules an.

Jules erzitterte.

»Als du mich auf die Wange geküsst hast.« Vivians Stimme, dieses Schnurren, drang tief in jeden einzelnen von Jules’ Nerven ein. »An diesem ersten Abend, an dem wir gemeinsam zu Abend gegessen haben.«

»O Gott«, keuchte Jules.

»Ich war überrascht von mir selbst.« Vivian küsste Jules’ Hals. »An diesem Abend wollte ich früh schlafen gehen.« Sie biss sanft zu. »Aber ich konnte nicht.«

»Vivian.« Jules krallte die Fingernägel in ihre Handfläche und versuchte, noch nicht zu kommen. Ihr Gehirn stand in Flammen. »Bitte.«

»Ich hab an Silvester gedacht. Daran, wie sehr du dich nach mir verzehrt hast. An deinen weichen Mund.« Vivian leckte Jules’ Hals und bewegte ihre Finger in Jules langsam vor und zurück.

Hilflos drückte Jules den Rücken durch.

»Und ich habe mich gefragt, was ich getan hätte, wenn du geblieben wärst. Wenn du in mein Schlafzimmer gekommen wärst, dich zu mir ins Bett gelegt und mich geküsst und berührt hättest …«

»O Gott«, seufzte Jules wieder und kam Vivians Bewegungen entgegen.

»Was hätte ich getan?«, flüsterte Vivian. »Wäre ich wütend geworden? Hätte ich dich weggeschickt? Oder hätte ich …« Sie spreizte ihre eigenen Beine.

Jules stöhnte und vergrub ihr Gesicht in der weichen, salzigen Rundung von Vivians Hals.

»Das habe ich mich gefragt. Und dann habe ich das hier gemacht. Genau das.« Wieder rieb Vivian mit dem Daumen über Jules’ Klitoris, ganz, ganz leicht nur. »Genau das, was ich gerade bei dir tue. Und da habe ich begriffen, dass ich es sehr gern schön langsam habe. Und sanft.«

»Ich komme«, keuchte Jules, »Ich … Ich ko–«

»Aber du hast es gern etwas härter, hm?«, fragte Vivian. Und mit dem Daumen drückte sie fester zu.

Jules schrie in Vivians Schulter und drückte einmal, zweimal ihre Hüften durch, bevor sie erstarrte. Aber Vivian hörte einfach nicht auf, und …

Sie wurde fast ohnmächtig. Die Welt war auf einmal verschwommen und grau, und Jules nahm wie durch einen Schleier wahr, dass Vivian den Daumen wegnahm und sanft die Finger aus ihr herauszog.

»Ich glaube«, keuchte Vivian »dass das noch eine größere Sauerei geworden ist als vorher, bevor du mich sauber gemacht hast.«

»Hast … Hast du das wirklich gemacht? Dich selbst befriedigt? Nachdem ich dich geküsst hatte?« Oder hatte Vivian nur gedacht, dass Jules die Vorstellung erregen könnte?

»Oh ja«, sagte sie. »Das hab ich.«

»Wow.« Jules konnte förmlich hören, wie Vivian die Augen verdrehte. Sie kuschelte sich näher an sie und versuchte, ihr Gehirn wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Als ob ihr das in Gegenwart von einer nackten Vivian gelingen würde …

»Ich dachte, du magst keinen Dirty Talk«, sagte sie, und weil sie nichts Besseres mit ihren Händen anzufangen wusste, streichelte sie über Vivians runden Bauch.

Vivian rümpfte die Nase und schnaubte, klang aber nicht wirklich verärgert. »Viele meiner bisherigen Regeln scheinen bei dir nicht zuzutreffen. Das gilt auch in diesem Fall.«

Jules grinste.

»Außerdem«, fügte Vivian hinzu, »kann ich das ja anscheinend ganz gut.«

»Oh ja«, sagte Jules mit viel Begeisterung.

»Ja«, antwortete Vivian, die keine Bestätigung brauchte. »Ich mache gern Dinge, die ich gut kann.«

»Ach was.« Jules stützte sich auf den Ellbogen und sah auf die Uhr auf dem Nachttisch. Es war fast drei.

Als könnte Vivian ihre Gedanken lesen, stupste sie Jules am Arm. »Ich muss um fünf Uhr zur Eröffnung der Ausstellung im Museum of Modern Art.«

Vivians persönliche Stylistin würde also um Punkt vier Uhr hier sein. Jules unterdrückte ein Seufzen und fuhr Vivian mit einer Hand durch ihr verschwitztes Haar. »Ich weiß. Hank Willis Thomas, oder?«

»Ja. Seine transmedialen Projekte. Das wird bestimmt atemberaubend. Ich dachte, Simon könnte vielleicht …«

Die plötzliche Stille wog so schwer, dass Jules das Gewicht auf ihren Schultern spürte. Sie biss sich auf die Unterlippe. »Simon hat heute seinen letzten Tag, oder?«

»Darüber reden wir jetzt nicht.«

Die ganze Entspannung nach dem Sex war bereits aus Vivians Körper gewichen. Jetzt war sie so angespannt, dass Jules das Gefühl hatte, Maschendraht anzufassen.

»Ich habe mich nur versprochen. Vielleicht bin ich wegen der Schwangerschaft ein bisschen verwirrt.«

»Okay.«

»Ich kann nicht fassen …«, setzte Vivian an, schluckte und wiederholte: »Darüber reden wir jetzt nicht.« Sie starrte an die Decke und weigerte sich, den Kopf auch nur ein Stück in Jules’ Richtung zu drehen.

Ihre Wut war verständlich. Simon hatte jahrelang an Vivians Seite gearbeitet, war ihr immer treu gewesen, ein Fels in der Brandung. Immer kompetent. Er hatte es länger mit ihr ausgehalten als alle ihre Ehemänner zusammen. Er hatte ihre Launen und Marotten ertragen und sie, soweit Jules wusste, nur sehr, sehr selten mit ihrem Verhalten konfrontiert. Einen engeren Freund als ihn, wenn man das so nennen wollte, hatte sie nie gehabt. Und irgendwann war es ihm zu viel geworden.

Und auch das konnte Jules verstehen. Da er so lang bei Du Jour gearbeitet hatte, wusste er, wie leichtfertig Vivian ihre Angestellten rauswarf, wenn sie Fehler machten. Jules hatte das so oft miterlebt, dass sie davon ausgegangen war, dass Vivian auch sie eines Tages wie ein Stück Abfall wegwerfen würde. Simon hatte schlicht nicht riskieren wollen, Vivians Geduld überzustrapazieren. Und die Aussicht auf ein eigenes Unternehmen hatte ihn am Ende zu sehr gereizt.

Nein, Jules konnte es Simon nicht verübeln, dass er ausgestiegen war. Aber jetzt, als sie Vivians blasses Gesicht und ihre fest zusammengepressten Lippen sah, konnte Jules ihn ein bisschen dafür hassen. Nur ein kleines bisschen.

Ob Vivian wohl weinen würde? Damit konnte Jules bestimmt nicht umgehen, denn was konnte man schon tun, wenn Vivian Carlisle weinte? Vielleicht irgendwo Schutz suchen, denn das wäre sicher ein Zeichen dafür, dass die Welt untergehen würde.

Doch Vivian weinte nicht. Sie schluckte nur schwer und sagte sonst nichts.

Jules dachte krampfhaft darüber nach, was sie sagen konnte.

Aber bevor ihr etwas einfiel, keuchte Vivian und legte sich eine Hand auf den Bauch. »Ah!«

Kalte Panik durchfuhr Jules. Doch sie versuchte, ruhig zu bleiben. »Was ist los?«

»Sie hat getreten«, murmelte Vivian.

Jules starrte sie an. Dann sah sie auf Vivians Bauch und rechnete im Kopf nach. Sie war gerade ein paar Tage über den fünften Monat hinaus. Ja, es wurde langsam Zeit. »Darf ich …?«

Vivian nahm Jules’ Hand in ihre und legte sie auf ihren Bauch.

Jules hielt die Luft an. Einen Augenblick lang fürchtete sie, nichts mehr zu spüren, doch dann: ein schwacher, aber unverwechselbarer Stoß gegen ihre Handfläche. »Wow«, hauchte sie. »Passiert das gerade zum ersten Mal?«

»Es ist auch gestern Abend schon passiert«, gab Vivian zu. »Das wollte ich dir auch erzählen, aber du hast mich abgelenkt.«

Mit dem Daumen rieb Jules sanft über Vivians Bauch. »Wie fühlt sich das an?«

»Schwer zu beschreiben. Nicht wirklich wie ein Tritt. Eher wie ein … Zucken.« Für einen Moment wirkte Vivian ängstlich. »Das ist doch normal, oder?«

Eine Minute später scrollten sie sich auf Jules’ Handy durch eine Internetseite mit Gesundheitstipps.

»Das ist ganz normal«, sagte Jules erleichtert. »Offenbar kann es sich für Schwangere auch unterschiedlich anfühlen.«

Vivian atmete auf. »Gut.«

»Trotzdem sollten wir Dr. Viswanathan kontaktieren und ihr Bescheid sagen.« Sita Viswanathan war Vivians Geburtshelferin.

»Und welche Ausrede benutzen wir dann?«, fragte Vivian trocken.

Jules sah sie kurz an.

Aber die Frage schien rhetorisch zu sein, denn Vivian fuhr fort. »Ich hoffe, sie macht mir nicht wieder wegen meiner Ernährung die Hölle heiß. Sie erwartet doch nicht ernsthaft, dass ich vollständig auf rotes Fleisch verzichte. Ganz ehrlich, ich glaube …«

Bei Jules gingen die Worte zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Sie versuchte, sich zu konzentrieren, aber es war leichter, sich Gedanken über die Zukunft zu machen, über alles, was sie bereithielt – oder schlimmer noch, was sie vielleicht nicht bereithielt.

Wieder legte sie die Hand auf Vivians Bauch. Ein Tag nach dem anderen, sagte sie sich. Ein Tag nach dem anderen.

Kapitel 4

Jules setzte sich wieder auf ihr Sofa und atmete tief durch. Der Laptop auf ihrem Schoß schien sie zu verspotten. Schick ihn ab. Schick ihn doch einfach ab, du Angsthase.

Es gab keinen Grund für Nervosität. Jules hatte sich den Hintern für diesen Artikel wund gearbeitet und jetzt war er endlich fertig. Es ging um den Einfluss des klassischen Hollywood-Kinos auf die aktuelle Mode, und er sollte in Modernity erscheinen, dem angesehenen Lifestyle-Magazin, das sie um einen Artikel gebeten hatte.

Oder besser gesagt: Vivian hatte das so für sie eingefädelt. Jules wusste immer noch nicht, was sie davon halten sollte. Es wäre undankbar und dumm zugleich gewesen, Vivians Geschenk abzulehnen. Sie hatte nicht um diesen Gefallen gebeten, aber sie wusste, dass man Kontakte brauchte, um in einem Modemagazin etwas zu veröffentlichen. Das wusste jeder.

Außerdem gab es keine Garantie, dass der Artikel auch angenommen wurde. Vivian hatte nur dafür gesorgt, dass Modernity Jules kontaktierte. Wenn Jules einen mittelmäßigen Artikel schrieb, würden sie ihn niemals annehmen. Aber wenn sie ihn annahmen, dann hieß das, dass ihre Arbeit wertvoll war. Hoffte Jules.

Also durfte sie keine mittelmäßige Arbeit abliefern. Jules hatte den Artikel geschrieben, ihn Simon gezeigt, ihn überarbeitet, ihn Vivian gezeigt, ihn wirklich überarbeitet, und besser konnte er jetzt nicht mehr werden.

Mit schnell klopfendem Herzen schickte sie den Artikel in die Weiten des Internets, wo er hoffentlich auf Zustimmung stoßen würde. So. Fertig. Jetzt konnte sie nur noch warten.

Plötzlich verstand Jules, warum Vivian Warten so hasste.

* * *

In der folgenden Woche hatte Jules so viel zu tun, dass ihr das Warten etwas leichter fiel. Von morgens bis abends war sie mit dem Launch von Adrian & Jo beschäftigt. Simon hatte sie als Mädchen für alles eingestellt. Sie richtete nicht nur das Büro ein und verschickte E-Mails, sondern lotste auch die Lieferwagen zu den Lagerhallen, schrieb Pressemitteilungen und sichtete die Bewerbungen potenzieller Praktikanten, die die Kunden über eine Chatfunktion in Sachen Mode beraten sollten.

Freizeit hatte sie keine mehr. Noch nicht einmal für ein gemeinsames Abendessen mit Vivian, die ebenfalls rund um die Uhr arbeitete, blieb Zeit. Jules verließ ihr Apartment morgens um halb sieben und taumelte, wenn sie Glück hatte, um neun Uhr abends zurück. Wenn die Sterne günstig standen, konnten Vivian und sie noch kurz telefonieren. Wenn nicht, mussten sie sich mit Textnachrichten zufriedengeben, bis eine von ihnen vor Erschöpfung einschlief.

Jules liebte die Aufregung ihres neuen Jobs, aber noch mehr liebte sie Vivian. Es war schrecklich, sie zu vermissen. Ihre letzte Beziehung war gescheitert, weil sie sich zu sehr in ihre Arbeit hineingesteigert hatte. Vielleicht, dachte Jules, war sie aber auch gescheitert, weil ihr der Gedanke an ihren Ex-Freund Aaron nicht jedes Mal einen Stich im Herzen versetzt hatte. Sie hatte sich nicht nach ihm gesehnt, wenn sie nicht zusammen waren.

Ging es Vivian genauso? Jules traute sich nicht, sie zu fragen.

Dieses Wochenende, sagte sie sich am Donnerstagabend, als sie das Handy ein letztes Mal auf den Nachttisch legte. Am Sonntag sehe ich sie endlich wieder. Und es wird ja nicht ewig so weitergehen. Wir haben mehr Zeit füreinander, sobald sich das alles beruhigt hat.

Am nächsten Morgen erhielt Jules eine E-Mail, und sofort sehnte sie sich nach der gewohnten Verrücktheit ihres Jobs.

Liebe Ms. Moretti,

im Namen des Redaktionsteams von Modernity freue ich mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir Ihren Artikel »Von Hepburn zu Halston« für eine Veröffentlichung in unserer Juni-Ausgabe annehmen. Der Artikel wird auf der Webseite und in gedruckter Form im Magazin erscheinen. Im Anhang finden Sie den Vertrag. Bitte füllen Sie ihn aus und schicken Sie ihn so bald wie möglich unterschrieben zurück.

Jules griff sich an den Kragen, während eine Welle der Freude sie fast von den Füßen riss. Modernity hatte ihren Artikel angenommen. Er hatte ihnen gefallen. Sie würden ihn veröffentlichen. Ein Artikel von Jules würde in der verdammten Modernity erscheinen!

Und sie hatten ihr einen Vertrag geschickt! Sie würde ein Honorar bekommen! Das hatte sie schon fast vergessen. Wahrscheinlich mehr als bei Salon, aber immer noch nicht genug, um sich damit alle ihre verrückten Wünsche zu erfüllen. Vielleicht konnte sie ihre Frühlingsgarderobe etwas aufstocken. Oder sie konnte ihrer Leidenschaft für englische Literatur freien Lauf lassen und eine teure Ausgabe von Elizabeth Barrett Brownings Buch Sonette aus dem Portugiesischen kaufen.

Sie war so aufgeregt, dass sie den folgenden Absatz beinahe überlesen hätte.

Ich fand Ihren Artikel sehr interessant. Ein Glück, dass Vivian Carlisle Sie an uns vermittelt hat.

Freundliche Grüße

Carter Mathson

Kulturredakteur

Modernity

Jules’ Aufregung wurde aus ihr herausgesaugt, als wäre sie ein Teppich, gefangen unter einem besonders gierigen Staubsauger. Sehr interessant? War doch klar, was das bedeutete: total uninteressant mit einer Extraportion was Netteres fällt mir gerade nicht ein.

Und dann dieser letzte Satz. Über Vivian. Carter Mathson hätte ebenso gut schreiben können: Vivian Carlisle hat uns zu der Veröffentlichung gezwungen.

Die Wärme in Jules’ Bauch war verschwunden. Stattdessen war ihr jetzt übel. Du reagierst über, sagte sie sich. Vielleicht hat er es nicht so gemeint. Was soll er denn machen, deine Genialität in den Himmel loben? Und es stimmt doch, Vivian hat dich vermittelt. Das ist eine Tatsache.

Genau. Wenn Jules sich das lange genug einredete, würde es vielleicht eines Tages wahr werden.

Sie erinnerte sich daran, dass sowohl Simon als auch Vivian ihren Artikel geschätzt hatten. Und beide waren sehr anspruchsvoll. Keiner von beiden hielt sich mit Kritik zurück. Einen mittelmäßigen Artikel hätten sie ihr nicht durchgehen lassen. Also vielleicht wollte Mathson gar nicht Jules’ Arbeit herabwürdigen.

Sondern nur die Art und Weise, wie er davon erfahren hatte. Dank Vivian.

Ihre Schläfen pochten schmerzhaft. Stöhnend massierte Jules sie.

Genau deshalb hatte Vivians Geschenk ein seltsames Gefühl bei ihr ausgelöst. Irgendwie hatte sie gewusst, dass so etwas passieren würde. Vivian war in der Welt der Mode und der Magazine eine mächtige Frau, auch wenn Mark Tavio alles versuchte, um dies zu verhindern. Wenn sie befahl, dass ein Artikel von Jules in Modernity erscheinen sollte, dann hatte das auch zu passieren. Wie naiv von Jules, dass sie das nicht realisiert hatte.

Das durfte nicht noch mal passieren. Das war zu demütigend. Auch wenn Vivian es gut gemeint hatte: Jules konnte nicht ihr Leben lang an ihrem Rockzipfel hängen.

Sie las Mathsons E-Mail noch einmal. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte sie darüber nach, das Angebot abzulehnen. Ein Mensch mit Prinzipien hätte das getan. Aber Prinzipien waren eine Sache – Dummheit eine andere. Die Menschen, die den Artikel lasen, würden keine Ahnung haben, was hinter den Kulissen vor sich gegangen war. Für sie zählte nur die Qualität des Artikels. Wenn die Leserinnen und Leser der Modernity den Artikel mochten, war das allein Jules’ Verdienst. Die meisten Menschen bekamen doch sicher ihre ersten Aufträge über Kontakte.

Diese Erfahrung konnte immer noch eine Bereicherung für sie sein. Sie musste sich nicht … schmutzig fühlen.

Jules öffnete den Vertrag. Sie musste einfach den miesen Geschmack im Mund runterschlucken, den Vertrag unterschreiben und dann darüber nachdenken, wie sie Vivian ihre Gefühle erklären sollte.

Und obwohl Jules eine Karriere als Journalistin anstrebte, fehlten ihr manchmal einfach die Worte.

Kapitel 5

Als Jules am Sonntag bei Vivian ankam, fehlten ihr immer noch die Worte. Sie kam sich langsam lächerlich vor. In der Zwischenzeit hatten sie ein paarmal telefoniert, aber sie hatte das Thema nicht angesprochen. Und jetzt war sie bei Vivian und wusste nicht, wie sie anfangen sollte.

»Du hast deinen Salat ja kaum angerührt«, bemerkte Vivian.