The Lily and the Crown - Roslyn Sinclair - E-Book

The Lily and the Crown E-Book

Roslyn Sinclair

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Beschreibung

Sie ist die Tochter des Kommandanten. Ihre neue Sklavin eine brandgefährliche Piratin. Was als Pflicht beginnt, wird zu einer verbotenen Romanze, die das gesamte Imperium erschüttern könnte. Ariana »Ari« Geiker lebt isoliert auf einer imperialen Raumstation, auf der ihr Vater das Kommando hat. Das perfekt geordnete Leben der jungen, talentierten Botanikerin wird ins Chaos gestürzt, als ihr eine Frau von einem Piratenschiff als Sklavin zugewiesen wird. Ihre namenlose Sklavin ist wachsam, intelligent, gefährlich und unglaublich sexy. Außerdem scheint sie eine Menge über die gefürchtete Piratenkönigin Mír zu wissen. Was passiert, wenn die Sklavin ihrer unschuldigen Herrin auch ihre Verführungskünste offenbart?

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Seitenzahl: 455

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

EPILOG

Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen

Über Roslyn Sinclair

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Kapitel 1

Ariana Geiker war hoch erfreut darüber, wie die Barmensis nobu sich entwickelt hatte. Ihre Blüten waren inzwischen groß, gleichmäßig geformt und schimmerten prächtig. Die Blätter waren von einem vollen, prallen, gesunden Grün. Das einst kümmerliche, zerrupft aussehende kleine Ding hatte einen langen Weg hinter sich.

Sollte Ari sie wegräumen? Nein. Nein, sie würde sie genau so auf dem Tisch stehen lassen. Dr. Phylyxas musste sie sich unbedingt ansehen, wenn er käme, um Aris Sammlung zu begutachten. Obwohl die Barmensis nur eine kleine Pflanze war, erfüllte sie Ari mit Stolz.

In Dr. Phylyxas neuestem Buch hatte es geheißen, dass es im Alltag meistens die kleinen Siege waren, die sich als bereichernd herausstellten. Sicher, es war enorm befriedigend, einen mächtigen Garten zu unterhalten, neue Pflanzenarten zu entdecken und all das, aber was hatte man am Ende des Tages am häufigsten vor sich? Die Blumen auf dem Küchentisch. Also konnte man sich genauso gut um diese Pflanzen angemessen kümmern. Ari hoffte, die Barmensis würde Dr. Phylyxas auffallen und er würde bemerken, dass sie sich seine Ratschläge zu Herzen genommen hatte. Ihrem Idol gegenüberzustehen stellte sich als weitaus nervenaufreibender heraus, als sie angenommen hatte.

Es war wirklich nett von ihm, sie zu besuchen – schließlich war er der Oberste Kaiserliche Botaniker. Aris Vater war vermutlich der wichtigste Funktionär in diesem Sektor, aber Dr. Phylyxas hatte ganz viele dringende Aufgaben zu erledigen. In weniger als einem Monat sollte ein vollkommen neuer Flügel im Kaiserlichen Arboretum des Heimatplaneten eröffnet werden. Es sollte der bisher beeindruckendste Trakt werden. Ari dachte, es müsse großartig sein, selbst einmal dorthin zu reisen und ihn besichtigen zu können.

Leider musste sie sich jedoch trübselig eingestehen, dass das wegen all der Weltraumpiraten, die im All unterwegs waren, in der nahen Zukunft eher unwahrscheinlich war. Es war eine große Erleichterung gewesen, vor wenigen Minuten zu erfahren, dass Dr. Phylyxas’ Schiff sicher im Hangar gelandet war.

Sie schaute erneut auf die Barmensis. Ja, sie sah gut aus, aber irgendetwas fehlte noch. Sie hatte doch noch etwas anderes zeigen wollen. Was war das noch gleich? Gott sei Dank hatte sie sich noch rechtzeitig erinnert.

Ari eilte aus ihrer Küche zurück ins Wohnzimmer – wobei es wahrscheinlich eine Untertreibung war, diesen Raum »Wohnzimmer« zu nennen. Als einziger Tochter des Kommandanten der Raumstation hatte man ihr eine Unterkunft mit mehr Zimmern gegeben, als eine einzelne Person jemals brauchen würde. Dennoch hatte sie sich sehr darüber gefreut, schließlich musste es ein Zeichen seiner väterlichen Liebe sein, als er dafür gesorgt hatte, dass sie Räume bekam, die ihren … ungewöhnlichen Ansprüchen entgegenkamen. Um genau zu sein ihren Ansprüchen, mitten im Weltall einen großen, florierenden Garten zu kultivieren – Bäume inklusive. Er hatte ihr nie verraten, wie es ihm gelungen war, das zu organisieren, aber er erzählte ihr ohnehin vieles nicht.

Jedenfalls wollte sie sich dazu anhalten, vor Dr. Phylyxas nicht von »Wohnzimmer« zu sprechen. Obwohl er es vielleicht als eine liebenswerte Eigenart ansehen würde, denn wenn es überhaupt jemanden gab, der verstand, wie sie tatsächlich inmitten ihrer Pflanzen leben konnte, war es bestimmt der Oberste Kaiserliche Botaniker.

Ari ging durch ihren Garten geradewegs auf ihr Ziel zu und schob auf ihrem Weg diverse Blätter und Äste beiseite. Schnellen Fußes erreichte sie das Regal mit den vielen dutzend Probengläsern. »Eine Frau lebt nicht von Pflanzen allein«, murmelte sie. Sie lächelte. Vielleicht war das ein Scherz, den sie vor Dr. Phylyxas machen konnte?

Ja, vielleicht. Doch zuerst musste sie noch ein Beispiel dafür aussuchen, um ihm zu zeigen, dass sie nicht nur mit Blumen und Sträuchern umgehen konnte. Ja, Cranli könnte passen. Die Gottesanbeterin bewegte eifrig ihre Beinchen, als Ari das Glas ergriff, ohne Zweifel eifrig bemüht, wieder zu ihrer Lieblingspflanze zurückzukommen. Tja, sie und die Mustopher illis würden es ertragen müssen, ein paar Stunden getrennt zu sein.

»Ich möchte dich einem ganz besonderen Gentleman zeigen«, sagte Ari besänftigend zu ihr. »Du bist so ein hübsches, kleines Ding. Dazu leistest du so unglaubliche Arbeit im Garten.« Cranli sah nicht beschwichtigt aus. Auf der anderen Seite ließ sich bei einer Gottesanbeterin ohnehin schlecht feststellen, in welcher Stimmung sie gerade war.

Vielleicht sollte Ari erst einmal tief durchatmen. Es war offensichtlich, dass sie sich vor Nervösität noch merkwürdiger verhielt als sonst. Reiß dich zusammen. Komm wenigstens einmal in deinem Leben aus dir heraus. Wann wirst du jemals wieder eine Gelegenheit wie diese bekommen?

Gut, dieser Gedanke war nicht gerade beruhigend. Tief durchatmen war die bessere Idee.

In diesem Moment ertönte der Glockenton an ihrer Quartiertür, der Besuch ankündigte. Unmittelbar danach glitt die Tür zu ihren Räumen auch schon mit einem zischenden Geräusch auf. Ari schnappte nach Luft und ließ beinahe das Glas fallen. Er war schon hier? Das ging schnell. Zu schnell. War sie schon auf den Besuch vorbereitet?

Dann hörte sie den Wachposten mit einem freudig Tonfall sagen: »Da wären wir. Rein mit dir. Viel Vergnügen.«

Ari war schockiert. Redete man so mit dem Obersten Kaiserlichen Botaniker? Das Glas immer noch in der Hand, lief sie an ihren Bäumen vorbei zurück und schwor sich, ein ernstes Wörtchen mit der Wache zu reden. Aber die Tür schloss sich bereits wieder und Ari merkte, dass sie zu spät kam. Sie verzog unwillig das Gesicht und trat hinter dem letzten großen Gebüsch hervor, welches den Küchen- vom Wohnbereich trennte.

Sie blinzelte überrascht. Anscheinend hatte sie jemand … nicht richtig über Dr. Phylyxas informiert.

Zum einen war er eine sie. Zum anderen sah sie komplett anders aus, als Ari sich einen Obersten Kaiserlichen Botaniker immer vorgestellt hatte. Nicht, dass sie darüber viel nachgedacht hatte, aber wenn, dann hatte sie vor ihrem geistigen Auge immer einen beleibten, zu Glatzenbildung neigenden Mann mit Hologrammbrille gesehen, der in einen Talar aus Tweed gekleidet war.

Ganz offensichtlich aber war Dr. Phylyxas eine hochgewachsene, majestätisch aussehende Frau mit kurzen schwarzen Haaren, die an den Schläfen bereits silbern wurden, was zu ihrer ebenfalls silberfarbenen Stirnlocke passte. Sie schien genauso groß wie Ari zu sein, allerdings waren ihre bloßen Arme weitaus muskulöser.

Dr. Phylyxas sah sich in Aris Quartier um und hatte dabei einen Gesichtsausdruck, der überwiegend Misstrauen, aber auch Ekel ausstrahlte. Ohne Zweifel war sie entsetzt darüber, wie die Wache mit ihr gesprochen hatte.

»O Gott«, sagte Ari.

Dr. Phylyxas zuckte zusammen, drehte sich um und sah Ari mit großen Augen an.

»Es tut mir so leid«, fügte Ari hinzu und drückte dabei das Glas mit Cranli gegen ihre Brust.

Dr. Phylyxas warf einen kurzen Blick darauf und sah dann erneut auf Ari.

Ihr scharf geschnittenes Gesicht war verschlossen, kalt und reserviert. Der Blick in ihren Augen ließ Ari erzittern.

Was Ari fühlte, musste Angst sein, richtig? Einschüchterung? Komisch – es schien keine Art von Angst zu sein, die sie jemals zuvor verspürt hatte. Es war eher ein Stromschlag, der durch ihre Finger und Zehen kribbelte.

Jetzt war nicht der Zeitpunkt, dem nachzugehen. »Ich … Ich werde mit der Wache reden«, sagte Ari. »Ich kann nicht glauben, dass er so unfreundlich zu Ihnen war.«

Jetzt sah Dr. Phylyxas überrascht aus. »Kannst du nicht?«

Ari runzelte die Stirn. Hatte ihre Außenstation irgendwo einen schlechten Ruf für ihre Gastfreundschaft bekommen? Sie hoffte es nicht. Es wäre schrecklich, wenn Dr. Phylyxas den langen Weg mit dieser Annahme hinter sich gelegt hätte.

»Ähm«, sagte sie zögerlich, »w-wollen Sie sich nicht setzen?« Sie gestikulierte in Richtung des Küchentischs. Der Anblick der Barmensis nobu machte sie wieder sicherer und sie strahlte Dr. Phylyxas an. »Ich hoffe, sie gefällt Ihnen.« Sie zeigte auf die Pflanze. »Es hat mich viel Zeit gekostet, sie wieder aufzupäppeln, aber ich habe hart daran gearbeitet.«

Dr. Phylyxas sah zuerst sie und dann die Pflanze mit einem unendlich leeren Gesichtsausdruck an.

Ari musste schlucken und tief Luft holen. Schlechte Gastfreundschaft, in der Tat. Sie stellte Cranlis Glas auf dem Küchentisch ab.

Dr. Phylyxas Blick folgte Aris Bewegung.

»Es tut mir so leid«, wiederholte sie sich. »Ich … Wollen Sie etwas trinken? Ich habe Kaffee. Und Tee.«

»Ob ich …« Dr. Phylyxas schüttelte schnell den Kopf. Es war ein wirklich eleganter Kopf. Sie war tatsächlich eine überaus vornehme Frau, auch wenn sie etwas … einfach gekleidet war dafür, dass sie eine kaiserliche Offizielle war. Sie trug eine schlichte weiße Tunika, die stark an die der Angestellten und Sklaven erinnerte. Andererseits war es keinesfalls praktisch für eine Botanikerin, erlesene Kleidung zu tragen – man verbrachte ohnehin so viel Zeit im Dreck und wurde dabei immer wieder von Ästen und Dornen zerkratzt.

Vielleicht war Dr. Phylyxas mit der Erwartung gekommen, richtig zu arbeiten. Der Gedanke ließ Ari vor Aufregung nach Luft schnappen.

»Kaffee«, sagte Dr. Phylyxas, setzte sich an Aris Küchentisch und warf Ari einen noch misstrauischeren Blick zu.

Nun ja, das war schon irgendwie komisch. »Ich ernte und röste die Bohnen selbst«, erklärte Ari. »Die Kaffeebohnen. Und den Tee.« Sie lächelte erneut. »Das ist viel besser als das, was man im Kasino bekommt. Also, wenn ich das so von mir behaupten darf.«

»Aha.« Dr. Phylyxas sah zwischen Ari und der Barmensis hin und her, als ob sie nicht recht wusste, wo sie überhaupt war. »Nun, das ist …« Sie musterte Ari von oben bis unten, betrachtete aufmerksam ihr Kleid, welches, wie Ari gerade erst bemerkte, über und über mit Erde bedeckt war.

Sie fühlte, wie sie rot wurde und gab ein verschämtes Kichern von sich, während sie an ihrem Kleid herumstrich. »Ich nehme an, ich sehe im Moment nicht gerade feierlich aus«, sagte sie. »Also … nicht, dass ich jemals wirklich hoch offiziell aussehe …«

»Den Eindruck habe ich auch«, gab Dr. Phylyxas zurück.

»Nun ja«, antwortete Ari hilflos, »ich war so aufgeregt wegen Ihres Besuchs, weshalb ich den ganzen Morgen gearbeitet habe, um alles –«

»Mein Besuch?« Dr. Phylyxas sah erstaunt aus.

Ari starrte sie an. Dann fügte Dr. Phylyxas hinzu: »Ich glaube, du verwechselst mich mit jemandem.«

»Was? Sie …« Ari blinzelte. »Sie sind nicht Dr. Phylyxas?«

»Leider nein«, sagte Nicht-Dr.-Phylyxas, stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch, verschränkte die Beine und sah beinahe amüsiert aus.

»O nein«, keuchte Ari mit der Gewissheit, dass sie nun noch sehr viel röter im Gesicht sein musste als bereits zuvor. »Es tut mir so leid – Sie müssen gedacht haben … Ich hole Ihnen einen Kaffee.« Mit glühenden Wangen verschwand sie in ihrem Garten und schnitt mit zitternden Händen Zweige der Coffea maliksika ab. Dann, als sie die roten Bohnen in den Händen hielt, kam ihr ein Gedanke.

Sie ging in die Küche zurück, in der Nicht-Dr.-Phylyxas immer noch mit übergeschlagenen Beinen am Tisch saß, nun aber selbst sprachlos schien.

»Entschuldigung«, sagte Ari, »aber wer bitte sind Sie dann?«

Die Frau wollte etwas sagen, wurde aber von dem Glockenton der Tür unterbrochen. Sie warf der Tür einen schnellen, wachsamen Blick zu. Ari hatte gerade noch genug Zeit zu sehen, wie sich ihre Körperhaltung versteifte, bevor die Tür sich öffnete.

Dieses Mal trat ein beleibter, gut gekleideter Mann ein, gefolgt von einer Wache. Der korpulente Mann sah genau so aus, wie Ari ihn sich vorgestellt hatte, inklusive der Hologrammbrille. Er blinzelte etwas irritiert beim Anblick von Ari, die mit dem Kaffeezweig in der Hand mitten in ihrer Küche stand, und sah dann die am Küchentisch sitzende Frau an.

»Meine Güte, Eure Ladyschaft«, sagte er zu der Frau am Tisch. »Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen. Oh, bitte, bleibt sitzen.«

»Einverstanden«, antwortete die Frau und machte tatsächlich keine Anstalten, sich zu bewegen.

»Ähm«, sagte Ari.

»Ich muss zugeben, ich dachte, Sie seien jünger«, fügte Dr. Phylyxas hinzu.

»Mein Gott«, sagte die Frau. »Wie im Theater.«

»Verzeihung?«, sagte Dr. Phylyxas.

»Entschuldigen Sie«, platze es aus Ari heraus, »aber ich bin Lady Ariana. Nicht sie.«

»Das will ich meinen«, fauchte die Wache, woraufhin sowohl Ari als auch Dr. Phylyxas zusammenzuckten. Der Wächter sah die Frau am Tisch missmutig an. »Auf die Füße mit dir vor deiner Herrin oder ich peitsche dir den Rücken blutig.«

»Ich habe mich schon gefragt, wann es dazu kommen würde«, sagte die Frau und erhob sich anmutig.

»Ich verstehe nicht …« Ari sah zwischen den Anwesenden hin und her. Was war aus dem ruhigen, lehrreichen Morgen geworden, auf den sie so gehofft hatte? »Es tut mir leid, aber was … wer ist …«

Die Wache deutete mit Ekel im Blick auf die Frau. »Sie ist die neue Sklavin Eurer Ladyschaft.«

Ari starrte ihn an. »Meine was?«

Jetzt sah die Wache auch sie überrascht an. »Haben Eure Ladyschaft heute Morgen nicht die Nachricht Eures Vaters erhalten?«

Sofort richtete sich Aris Blick auf das Intercom an der Tür. Tatsächlich blinkte dort ein rotes Licht, das signalisierte, dass jemand versucht hatte, sie zu kontaktieren. Wie gewöhnlich war sie wohl gerade dabei gewesen, irgendetwas anderes zu erledigen – entweder ihren Garten zu inspizieren oder sich umzuziehen, bevor sie rausgehen und ihre Kleidung erneut ruinieren würde. Sie hatte den Signalton nicht gehört; er war weitaus leiser als der Glockenton der Tür.

Und es war ihr Vater gewesen. Ihr Gesicht wurde heiß. Sie hatte eine Nachricht ihres Vaters verpasst, dabei versuchte er nicht oft, sie zu erreichen.

Konzentrier dich. Sie zwang ihre Gedanken zurück in das Hier und Jetzt. »Nein, ich habe die Nachricht nicht bekommen.«

»Sie wurde gestern Nacht auf einem Piratenschiff festgenommen«, erklärte die Wache. »Ein kleiner Späher. Alle wurden umgebracht, bis auf sie hier – eine Dienerin. Und jetzt ist sie Eure Dienerin, eine Gefälligkeit Eures Vaters.« Er starrte die Frau zornig an. »Zu dumm, um zu begreifen, dass sie jetzt weitaus besser dran ist, wenn Ihr mich fragt.«

Ari sah die Frau an, die von der Wache gerade als dumm bezeichnet worden war. Diese Einschätzung schien etwas unpassend, gelinde gesagt. Teilnahmslos wäre eine bessere Beschreibung. Vielleicht sogar gelangweilt, als könnte sie es selbst kaum glauben, so ihre Zeit zu verschwenden. Die schlechte Meinung der Wache schien sie auf jeden Fall nicht zu kümmern.

Ari schon. Die ganze Situation war ihr alles andere als gleichgültig. »Ich will keine Sklavin!«, rief sie entsetzt. »Ich meine … Ich brauche keine –«

»Nun ja, sie können ganz nützlich sein«, sagte Dr. Phylyxas. Ari drehte sich erstaunt zu ihm um. Er nickte zu der Sklavin und zuckte mit den Schultern, als wäre es kaum der Rede wert. »Sachen bringen und schwere Lasten tragen und noch viel mehr. Ich besitze allein vier, um mir beim Erhalt meines privaten Gartens zu helfen. Ihr werdet erstaunt sein, wie viel leichter dadurch alles wird.«

Das schien fraglich. Ari war daran gewöhnt, ganz gut allein klarzukommen. Sie sah die Frau hilflos an. »Hm. Was für Piraten?«

»Das Schiff trug das Symbol einer Lilie an der Seite«, sagte die Wache und wirkte ausgesprochen schadenfroh. Ein Schiff aus Mírs privater Flotte.«

Dr. Phylyxas zog erstaunt seine Augenbrauen nach oben, jetzt schien auch er beeindruckt. »Was Sie nicht sagen.«

Ari blieb nicht einmal halb so gelassen. Sie ließ fast den Kaffeezweig fallen. »Mír?«

»Ja, Eure Ladyschaft. Wohlgemerkt nur ein Späher. Es schien, als sei er in Schwierigkeiten geraten – sie hatten einen Notruf abgesetzt auf einer Frequenz, die eigentlich nur Piraten kennen dürften. Aber seine Lordschaft, Euer Vater, hat alles unter Kontrolle, nicht wahr?« Die Wache sah die Frau grimmig an. »Ich wette, deine frühere Herrin wird darüber nicht erfreut sein.«

»Das will ich meinen«, antwortete die Frau.

»Du meine Güte«, sagte Ari schwach. Allein der Gedanke daran, dass ein Schiff, wenn auch nur ein kleiner Späher, aus Mírs Flotte so nahe an ihre Raumstation herangekommen war, ließ sie erschaudern. Jeder wusste, dass die Piratenkönigin weder Gnade noch Skrupel kannte.

»Beruhigt Euch, Eure Ladyschaft.« Dr. Phylyxas legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Ich bin mir sicher, dass Ihr Euch um nichts Sorgen zu machen braucht. Die Station scheint sehr gut bewacht zu sein.«

»Niemand schafft es hier rein, Eure Ladyschaft.« Die Wache starrte die Frau böse an. »Wie deine früheren Herren feststellen mussten.«

»Zu ihrem Schaden«, sagte die Frau mit ruhiger Stimme, aber da war etwas in ihren Augen, das sehr viel schwieriger zu entschlüsseln war.

»Nun ja.« Ari lachte unbeholfen. »Lassen Sie uns nicht … Ich meine –«

»In der Tat, in der Tat«, Dr. Phylyxas lachte herzlich. »Zerbrechen wir uns jetzt nicht die Köpfe darüber. Ich bin gekommen, um mir Euren Garten anzusehen.«

»Oh!« Das hatte Ari in dem ganzen Trubel beinahe vergessen. »Ja! Danke schön«, fügte sie an die Wache gewandt hinzu. »Das wäre es dann. Nein, warten Sie.« Sie sah ihn finster an. »Waren Sie derjenige, der sie auch hier reingebracht hat?« Sie neigte ihren Kopf in Richtung der Frau.

»Ja, Eure Ladyschaft.«

»Dann denke ich, dass Sie sich entschuldigen sollten«, sagte Ari.

Alle drei starrten sie an.

Ari wand sich unter den eindringlichen Blicken. Aber es war ihr wichtig. »Wenn sie eine Sklavin ist, die von einem Piratenschiff gerettet wurde, hat sie offensichtlich einiges hinter sich. Es gibt keinen Grund für Ihr unfreundliches Verhalten.« Sie hob eine Hand, um das Gesagte mit einer Geste zu untermalen, und bemerkte, dass sie immer noch den Kaffeezweig in der Hand hielt.

Sowohl die Wache als auch die Frau sahen Ari an, als ob ihr ein zweiter Kopf gewachsen wäre. Dennoch wandte sich die Wache an die Frau. »Es tut mir ja so leid«, sagte er und dehnte dabei jede Silbe in die Länge, um so sarkastisch wie möglich zu klingen. »Mylady.«

Ein Lächeln umspielte die Lippen der Frau. »Entschuldigung angenommen«, antwortete sie süßlich.

Die Wache knurrte sie an und ging.

Dr. Phylyxas klatschte in die Hände und rieb sie unternehmungslustig aneinander. »Nun! Was für ein interessanter Start für unser Treffen, nicht wahr?«

»O ja.« Ari lächelte leicht. »Äußerst merkwürdig.«

Sie sah unsicher die Frau an, die ihre Augenbrauen in die Höhe zog.

»In der Tat«, sagte sie. »Ich war an einem einzigen Tag noch nie an so vielen Verwechslungen beteiligt.«

»Nun … hm …«

»Mylady«, sagte Dr. Phylyxas zu Ari, »Ich bin ganz begierig darauf, unsere Tour zu beginnen.«

»Selbstverständlich!« Ari blickte hinab auf ihren Zweig vom Kaffeebaum und dann zu der Frau. »Meine Güte. Tut mir leid. Wir werden uns später um alles andere kümmern, das verspreche ich. Bis dahin, würde es dir, ähm, etwas ausmachen, noch auf deinen Kaffee zu warten?«

Die Frau öffnete ihren Mund, schloss ihn und machte eine Geste, die so viel bedeutete wie warum nicht?

»Gut«, sagte Ari erleichtert. »Bedien dich in der Küche, falls du Hunger hast. Das Badezimmer ist da drüben.« Sie deutete in die entsprechende Richtung. Dann strahlte sie Dr. Phylyxas an und schwor sich, den Morgen von nichts mehr ruinieren zu lassen. »Wollen wir beginnen? Oh!« Sie schnappte sich Cranlis Glas vom Küchentisch und ging voran in ihren Garten. »Ich dachte, Sie könnten sich vielleicht dafür interessieren …«

~ ~ ~

Vier Stunden später hatte Dr. Phylyxas seine Inspektion von Aris Garten beendet. Er hatte sie offensichtlich sehr genossen und viele lobende Worte für Aris Arbeit gefunden und auch einige Vorschläge gemacht, die Ari sich unbedingt zu Herzen nehmen wollte. Allem Anschein nach hatte es ihm auch gefallen, Ari an die Schulter zu fassen oder seine Hand auf ihren Rücken zu legen. Na ja, vielleicht handhabten die Menschen auf dem Heimatplaneten das so – die Leute mussten dort sehr viel höflicher und kultivierter sein. Ari wusste es jedenfalls nicht besser.

Als er ging, bot Ari ihm die Pflanze auf dem Küchentisch an. Die Frau saß nicht mehr dort und Ari wunderte sich, wo sie wohl steckte. Vielleicht war sie im Badezimmer. Oder draußen vor der Tür, um sich die Beine zu vertreten.

Hoffentlich würde sie bald auftauchen. Ari hatte viele Fragen an sie und es würde weitaus leichter sein, mit jemand komplett Fremden über diese Situation mit den Piraten zu reden, als mit ihrem Vater.

Dr. Phylyxas nahm die Barmensis nobu mit einem höflichen Lächeln entgegen und sagte, sie solle ihn besuchen kommen, wenn sie auf den Heimatplaneten reiste. »Es ist mir immer eine Freude, einen anderen Enthusiasten zu treffen«, erklärte er, als er ging.

Sein Besuch war so gut gelaufen. Besser, als sie es zu hoffen gewagt hatte. Ari strahlte.

Ihr Strahlen hielt für ungefähr zehn Minuten an, bis sich ihre Tür erneut mit einem Zischen öffnete und die Sklavin hereinstolperte, geschubst von der Wache.

»Rein mit dir, du undankbare Schlampe.« Er fuhr zusammen, als er Ari sah. »Bitte verzeiht meine Ausdrucksweise, Eure Ladyschaft.«

Ari starrte erschrocken die Frau an, auf deren rechter Wange sich ein deutlicher blauer Fleck bildete. »Was ist passiert?«

»Hat versucht abzuhauen«, sagte die Wache und sah die Frau grimmig an. »Und zwar ohne Eure Erlaubnis. Wir dachten alle, Ihr hättet sie auf einen Botengang geschickt, bis wir sahen, wie sie auf den Hangar zuging.«

»Wieso haben Sie sie geschlagen?« verlangte Ari zu wissen. »Ich bin mir sicher, dass sie nichts Böses im Sinn gehabt hat. Habe ich recht?«

»O nein«, sagte die Frau und schenkte Ari erneut einen ihrer undurchschaubaren Blicke. »Gott behüte.«

»Na bitte«, fuhr Ari die Wache an. »Sehen Sie? Sie können jetzt gehen.« Ihr eigener Ton erschrak sie. Wie oft kam es vor, dass sie jemanden so harsch anging?

Das hier ist wichtig, erinnerte sie die kleine Stimme in ihrem Hinterkopf, wobei sie immer noch versuchte, sich darüber klar zu werden, wie wichtig, und warum es sich so anfühlte. Auf der ganzen Station gab es Sklaven. Ari war damit nicht einverstanden, aber sie konnte auch nichts dagegen tun und hatte sich daran gewöhnt. Warum sträubten sich jetzt ihre Nackenhaare?

Die Tür schloss sich hinter dem empört dreinblickenden Wächter, der sich ohne Zweifel wunderte, weshalb Ari seine barbarische Weltsicht nicht teilte. Die unbekannte Stimme in ihrem Kopf knurrte zu schade.

Meine Güte.

»Setz dich.« Ari deutete zum Küchentisch. Voll Mitleid betrachtete sie die blaue Wange der Frau. »O je, das sieht schlimm aus. Warte, ich habe eine Skla– Salbe!«, korrigierte sie sich und holte tief Luft, als die Frau eine Augenbraue nach oben zog. »Ich, äh, bin gleich zurück. Ich mache sie selbst. Also die Salbe«, fügte sie über die Schulter gewandt hinzu, als sie zurück in den Garten eilte.

Nach ein paar Minuten tauchte sie mit einem kleinen Gefäß in der Hand wieder auf. Sie schraubte den Deckel ab und tauchte mit ihrem Finger in die Salbe, dann streckte sie ihre Hand nach dem Gesicht der Frau aus. Die Frau sah sie mit einem so versteinerten Gesichtsausdruck an, dass Ari hart schlucken musste und ihr schließlich das Töpfchen mit der Salbe hinhielt. »V-vielleicht möchtest du das lieber selbst machen.« Sie strich ihren Finger an ihrem Kleid ab. »Danke«, sagte die Frau gleichmütig und nahm das Gefäß entgegen. Gekonnt verteilte sie die Salbe auf dem blauen Fleck in ihrem Gesicht.

Wahrscheinlich war sie es gewohnt, sich zu verarzten. Ari wurde bei dem Gedanken daran, was die Frau in den Händen von Mírs Leuten hatte ertragen müssen, das Herz schwer. Kein Wunder, dass sie so misstrauisch war. Sie musste zweifellos traumatisiert sein.

»Es ist gar nicht so schlecht hier«, platzte Ari heraus.

Die Frau sah sie und an und sagte nichts.

Vielleicht sollte sie noch etwas hinzufügen. »Es wird anders sein, als du es gewohnt bist. Ich werde nicht zulassen, dass dir irgendjemand weh tut.« Der blaue Fleck ließ Ari erneut zusammenzucken. »Ich meine, ich werde nicht zulassen, dass so etwas noch einmal passiert. Das verspreche ich.«

»Oh«, sagte die Frau. »Gut«. Sie ließ das Gefäß auf den Tisch fallen, wo es mit einem Klack aufkam. »Ich bin sicher, es wird mir ein Vergnügen sein, deine Sklavin zu werden.«

Ari hielt erschrocken den Atem an. »So habe ich das nicht gemeint. Bitte denk das nicht.« Sie rang ihre Hände. »Wirklich, ich würde nicht …« Sie runzelte ihre Stirn. »Tut mir leid, wie ist dein Name?«

»Sklavin.«

»Oh, komm schon. Bitte. Wirklich. Wie heißt du?«

»Wie sonst sollte ich heißen? Das machen Piraten so. Ihre Sklaven haben keinen anderen Namen als Sklave.«

Nun, das klang wirklich schrecklich. »Ich bin keine Piratin«, sagte Ari gereizt. »Niemand hier ist ein Pirat. Wir sind nicht so.«

Die Frau schnaubte verächtlich. »Seid ihr nicht? Du wirst es schwer haben, mich davon zu überzeugen.«

»Das muss ich nicht«, sagte Ari stur. »Du wirst es schon selbst sehen.« Wenn ihr Vater wollte, dass sie eine Sklavin besaß, nun, dann hatte sie nicht wirklich eine Wahl. Eigentlich hatte sie gar keine. Auf jeden Fall würde sie diese Frau besser behandeln, als es Mírs Plünderer getan waren.

»Wenn du das sagst.«

»Aber wie lautet dein Name?«, drängte Ari. Dann kam ihr ein schrecklicher Gedanke. »Du hast doch einen, oder?«

»Nein.«

»Ach du meine Güte.« Empörung schwoll in Ari an. »Das ist ja schrecklich!«

»Ist es das?«

»Natürlich ist es das! Jeder hat das Recht, einen Namen zu tragen!« Ari stützte ihre Hände auf den Tisch. »Dann müssen wir dir wohl einen geben.« Sie starrte den Fleck auf dem Tisch an, auf dem die Pflanze gestanden hatten. »Barmensis!« sagte sie. »Das ist die Blume, die ich hier stehen hatte. Sie war wirklich hübsch.«

Sobald sie das gesagt hatte, lief sie erneut rot an im Gesicht. Hübsch? Sie hatte sich nichts dabei gedacht, aber sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, klangen sie irgendwie unangemessen. Diese Frau war nicht hübsch. Sie war … fesselnd. Atemberaubend. Dominant. Nichts, was man von einer Sklavin erwarten würde, und Ari konnte nichts davon sagen. Ari fügte schnell hinzu: »Würde dir dieser Name gefallen?«

Die Frau sah sie komplett entgeistert an. »Du wirst mich nicht«, sagte sie, »Barmensis nennen«.

Ari biss sich auf die Lippe. »Entschuldige. Ich sollte dich selbst einen Namen aussuchen lassen, oder?« Wie gedankenlos konnte sie sein? Man taufte Menschen nicht einfach so wie Haustiere. Kein Wunder, dass die Frau nichts Besseres von ihrem Leben erwartete, wenn sie so behandelt worden war. »Tut mir leid«, sagte sie erneut. »Ich … ich habe nicht oft mit Sklaven zu tun.« Sie hatte nicht oft mit Menschen zu tun. Wie würde es sein, eine andere Person immer um sich zu haben, in ihrer Umgebung, in ihrem Zuhause?

»Hätte ich nie erraten«, sagte die Frau.

»Ich will auch keine Sklavin haben«, fügte Ari hinzu. »Ich finde so etwas schrecklich.« Sie knetete ihre Hände, bevor sie sich davon abhalten konnte. »Du … du musst nicht bei mir bleiben, wenn du nicht willst.«

Die Frau sah sie zornig an. »Und wo soll ich sonst hin? Wenn nicht zu dir, schicken sie mich zu irgendjemand anderem. Ich gehöre deinem Vater, nicht dir.«

»Oh«, sagte Ari und errötete. Das stimmte. Sie hatten kaum zwei Minuten miteinander gesprochen und die Frau hatte bereits jetzt einen guten Grund zu glauben, sie sei eine Idiotin. Wie sollte das je funktionieren? »Das stimmt wohl.«

»Ich habe keinen Namen. Ich will auch keinen.«

»Tja, ich werde dich nicht Sklavin nennen«, sagte Ari und versuchte, ernst zu klingen. Irgendwie war das mit dieser Frau sehr viel schwieriger, als es mit der Wache gewesen war. »Also … hm … wie wäre es mit …« Ihr Gesicht leuchtete auf. »Assistentin!«

Die Frau blinzelte. »Assistentin?«

»Natürlich«, sagte Ari, plötzlich ganz aufgeregt. »Dr. Phylyxas hatte recht. Du kannst mir im Garten helfen.« Sie klatschte in die Hände. Vielleicht gab es tatsächlich einen Weg, der nicht in einem Desaster enden würde. Sie musste sich jedenfalls einen ausdenken. »Das wüsste ich wirklich zu schätzen. Ich meine, da du sowieso hier sein musst und sofern es dir nichts ausmacht. Ich arbeite an diesem großen neuen Projekt und es wäre wirklich toll, noch eine helfende Hand zu haben.«

Die Frau blickte auf ihre eigenen Hände. Ari konnte sehen, dass sie schlank und elegant waren, wie der Rest von ihr, aber auch rau von der Arbeit – an ein paar Stellen jedenfalls, als ob sie es gewohnt war, immer etwas ganz Bestimmtes in der Hand zu halten. So wie Ari ihre Schaufeln.

»Ich arbeite daran, eine Kreuzung zwischen verschiedenen Erbsenpflanzen zu züchten«, fügte Ari hinzu. »Dr. Phylyxas sagte, es klinge sehr interessant. Es wurde zuvor auch noch nie versucht. Ich hoffe, eine komplett neue Erbsensorte entwickeln zu können.«

»Wirklich.«

»Ja. Kälteresistenter als die anderen beiden. Wenn sie auch unter schwierigen Bedingungen wächst, könnten Menschen, die in raueren Gegenden leben, eine neue Nutzpflanze erhalten, um …« Aris Stimme erstarb und sie errötete. »Und dich interessiert das alles nicht.« So wie alle anderen, bis auf Dr. Phylyxas. »Nun gut. Ich wollte nicht so viel reden. Entschuldige.« Sie atmete tief ein und lächelte. Vor ihr lag von jetzt an vermutlich noch viel mehr falsches Lächeln. Allein der Gedanke daran war anstrengend, aber sie durfte die Frau auf keinen Fall spüren lassen, wie unangenehm ihr ihre Anwesenheit hier war. Besonders, da keine von ihnen beiden etwas daran ändern konnte.

Die Frau starrte sie ununterbrochen an, ihr Gesicht blieb dabei ausdruckslos. »Also«, riss sich Ari zusammen, »wenn du keinen Namen willst … wäre Assistentin als Anrede für dich in Ordnung?«

»Warum nicht?«, sagte die Frau – Assistentin – trocken.

»Gut.« Ari schluckte. »Ich denke … oh. Wolltest du einen Kaffee? Und hast du überhaupt irgendetwas zu Essen bekommen?« Als die Frau ihren Kopf schüttelte, fügte Ari hinzu: »Dann lass uns das direkt erledigen.« Sie stand schnell auf, woraufhin sich der Raum um sie herum drehte.

»Alles okay mit dir?«, fragte Assistentin, auch wenn sie keine Anstalten machte, ihr zu helfen.

»O ja.« Ari winkte ab. »Ich denke, ich bin auch nur hungrig. Ich habe heute Morgen vergessen zu essen.« Sie runzelte die Stirn, als sie nachdachte. »Und diesen Nachmittag. Und auch gestern Abend, glaube ich. Ich war sehr beschäftigt. Manchmal vergesse ich solche Sachen, wenn ich in ein Projekt vertieft bin.« Sie warf Assistentin einen kurzen Blick zu. »Aber du wirst mich das nicht vergessen lassen, nicht wahr? Also, wenn du Hunger bekommst, zögere nicht damit, mir das zu sagen. Ich werde es höchstwahrscheinlich einfach nur vergessen haben.«

»Ich verstehe«, sagte Assistentin. »Keine Sorge. Ich werde es dich nicht vergessen lassen, wenn mein Magen auf dem Spiel steht.«

»Sehr gut.« Ari deutete auf die Küchenschränke. »Ich denke, ich habe dort noch ein paar Nahrungsersatzriegel.«

Assistentins Augen weiteten sich. »Nahrungsersatzriegel?« sagte sie. »Bist du nicht die Tochter des Kommandanten?«

»Ja«, sagte Ari verlegen.

»Und du isst Nahrungsersatzriegel?«

»Das geht schneller«, entgegnete Ari. »Ich habe dir gesagt, dass ich mitten in einem wichtigen Projekt stecke.«

»Du kochst nicht?«

»Nein«, sagte Ari. »Also – ich versuche es manchmal, aber ich bin nicht sehr gut darin.« Sie neigte dazu, sich leicht ablenken zu lassen, wenn sie ein Projekt im Kopf hatte, weshalb ihre Mahlzeiten regelmäßig anbrannten. »Nun … wir können auch etwas aus dem Kasino bestellen, wenn dir das lieber ist.«

»Ist es«, sagte Assistentin ausdruckslos.

»Ah, ja«, sagte Ari und kam sich sehr albern vor.

»Das ist das Intercom?« Assistentin erhob sich und ging auf den Kasten an der Wand zu. Das rote Licht, das die Nachricht von Aris Vater ankündigte, blinkte immer noch.

»Ja«, sagte Ari. »Du … äh … warum bestellst du nicht zwei Portionen? Ich weiß nur nicht, was es heute gibt.«

»Da die Alternative Nahrungsersatzriegel sind, werde ich das Risiko eingehen«, sagte Assistentin.

»Okay.« Ari sah sehnsüchtig zurück in ihren Garten, in dem ihre Pflanzen nie versuchten, sie klein zu machen oder sich dumm fühlen ließen, wie andere Menschen es taten. »Ich werde … ich werde da drüben weiterarbeiten. Ich kann dir später alles zeigen, nachdem du … wir etwas gegessen haben. Oh«, fügte sie schnell hinzu, »ich denke, du solltest nicht erneut versuchen abzuhauen. Die Wachen sind nicht gerade nett und sie werden wohl nach dir Ausschau halten.«

»Das habe ich mir schon selbst gedacht«, sagte Assistentin. Ihre Augen waren leer und kalt.

Ari erschauderte.

Assistentin sah wieder auf das Intercom. »Sieht aus, als hättest du eine Nachricht. Hast du ein Passwort?«

Ari blinzelte irritiert, als die Finger von Assistentin über dem Touchpad schwebten. »Natürlich, selbstverständlich.«

»Wie lautet es?«, fragte Assistentin, die nun erstaunlich entspannt klang. Als Ari unsicher an ihrer Unterlippe nagte, sagte sie: »Sag nicht, dass die Sklaven hier keine Nachrichten entgegennehmen dürfen.«

»Doch, doch«, murmelte Ari. Das klang, als ginge es in Ordnung. Die persönlichen Sklaven ihres Vaters taten das auch. Er hatte einen Ruf als guter Herr, also musste das erlaubt sein. »Es ist 0243545AG.« Assistentin starrte sie an.

»Was? Es ist ganz leicht zu merken. Es ist –«

»Dein Geburtstag und deine Initialen«, sagte die Assistentin. Als Ari sie staunend ansah, fügte sie hinzu: »War nur ein Schuss ins Blaue.«

Ari betrachtete sie prüfend. Es war eines, nett zu sein, aber etwas anderes, offenen Spott einfach so hinzunehmen, und von Letzterem hatte sie schon seit Langem genug. Sich zurückzuhalten war eine Möglichkeit, aber da das keine Option mehr war …

»Das ist keine große Sache«, erklärte sie. »Ich habe schließlich keinen Zugang zu irgendwelchen wichtigen oder geheimen Informationen.« Nur weil sie die Tochter des Kommandanten war, bedeutete das nicht, dass man ihr Staatsgeheimnisse anvertraute. Sie verschränkte ihre Arme. »Und du musst keine Nachrichten für mich entgegennehmen oder irgendetwas dergleichen. Ich bin bisher ganz gut allein zurechtgekommen.«

Anstatt zu antworten seufzte Assistentin und tippte Aris Code ein. Als sie die letzte Taste gedrückt hatte, ertönte die Stimme von Aris Vater etwas blechern aus dem Lautsprecher.

»Ariana, hier spricht dein Vater. Ich nehme an, du bist mal wieder irgendwo am herumgärtnern.«

War da ein liebevoller Unterton in seiner Stimme? Ari wollte so sehr daran glauben.

»Ich kann nicht lange reden, aber ich wollte dich darüber in Kenntnis setzten, dass dich ein Geschenk erwartet.«

Ein Geschenk? Ari konnte Assistentin nicht in die Augen sehen.

»Wir haben eine Sklavin auf einem Piratenschiff gefangen genommen. Ich schicke sie dir als Hilfe. Sie scheint körperlich fit und einigermaßen redegewandt, wenn auch etwas … hochnäsig.«

Nun konnte Ari nicht einmal mehr in die ungefähre Richtung von Assistentin schauen. Sie schluckte und studierte stattdessen die Wand vor sich.

»Aber das passt vielleicht zu dir, da du die Einsamkeit ja gewohnt bist.«

Der nichtssagende Tonfall ihres Vaters ließ nicht erkennen, ob das etwas Gutes oder Schlechtes war.

»Ich bin mir sicher, dass du sie in deinem Garten gebrauchen kannst. Wenn du nicht mit ihr zufrieden bist, lass es mich wissen. Aber gib ihr erstmal eine Chance. Sagen wir, eine Probewoche, bevor du erneut darauf bestehst, dass deine Pflanzen alles sind, was du brauchst. Solange« – seine Stimme wurde fester – »sie sich nicht als gefährlich oder ungehorsam herausstellt. Dann werde ich sofort eine andere Aufgabe für sie finden. Geiker Ende.«

Das Intercom verstummte. Aris Vater hätte sie nur noch mehr beschämen können, wenn er davon erzählt hätte, wie sie aufs Gesicht gefallen war, als sie in ihrem letzten Schuljahr einen Preis für akademische Bestleistung entgegengenommen hatte. Warum kam er nicht gleich vorbei und verkündete Ich zwinge jemanden dazu, mit dir zu leben, damit du mit einem anderen menschlichen Wesen reden musst?

Als ob andere Menschen ihr jemals etwas bedeutet hätten.

»Eine andere Aufgabe für mich«, murmelte Assistentin, woraufhin Ari sie mit einem nervösen Blick ansah. Sie starrte immer noch das Intercom an. »Was denkst du? Dienst in den Abwasserkanälen? Oder würde man mich direkt in ein Schiff verfrachten und zur Arbeit in die Minen schicken?«

»Niemals!« Ari verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Die Wahrheit war, dass ihr Vater vermutlich genau das machen würde. »Tut mir leid. Ich glaube das hättest du nicht hören sollen.« Sie versuchte sich erneut an einem Lächeln. Vielleicht würde es ihr ja mit etwas mehr Übung leichter fallen. »Ich bin mir sicher, dass wir klarkommen werden. Und es ist ja nicht so, dass du gefährlich wärst, oder?« Den Teil mit der Ungehorsamkeit ignorierte sie geflissentlich.

»Ich und gefährlich?« Assistentin blickte von der Sprechanlage zu Ari, die vor Schreck fast zusammenzuckte. »Wie kommst du nur auf so einen Gedanken?«

Ihre blauen Augen schienen Ari mit Blicken aufzuspießen, aber irgendwie schaffte sie es, dieses Mal nicht wegzusehen. Es waren wirklich sehr blaue Augen. Und ihr Verhalten war so elegant, so stolz – kein Wunder, dass Dr. Phylyxas sie für die Herrin des Hauses gehalten hatte.

Aris Vater hatte etwas von gefährlich gesagt. Was für eine hirnrissige Idee. Ari würde freundlich zu Assistentin sein und sie als ebenbürtig behandeln. Assistentin war nicht auf den Kopf gefallen und auch wenn sie etwas schroff war, würde sie auf keinen Fall versuchen, der Tochter des Kommandanten etwas anzutun.

Ari befand sich nicht in Gefahr. Und trotzdem wurden ihre Knie etwas zittrig, als sie murmelte: »Jedenfalls kannst du schon mal vorgehen und das Essen holen, ruf mich einfach, wenn es da ist.« Sie zog sich wieder in den Schutz ihres Gartens zurück.

Nein. Dieser Tag war überhaupt nicht so, wie sie sich ihn vorgestellt hatte.

Kapitel 2

Es brauchte ganze vier Tage, bis Ari sich traute, Assistentin eine Frage zu stellen.

Sie leisteten schwere Arbeit im Garten. Die letzten vier Tage waren nicht schlecht gewesen – ungewohnt, ja, aber nicht schlecht. Es war seltsam, aber irgendwie auch schön, jemanden zum Helfen zu haben. Es hatte sich herausgestellt, dass Assistentin ein Naturtalent darin war, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Mit ihrer Hilfe lief alles sehr viel schneller und entspannter.

Es fühlte sich auch weniger einsam an, wenn jemand um einen herum war. Das hatte sie nicht erwartet. Ari verbrachte so viel Zeit in ihren Räumlichkeiten, dass sie leicht vergaß, dass außerhalb noch etwas anderes existierte. Nicht, dass sie irgendetwas dort draußen brauchen würde. Ihre Räume reichten ihr. Die Küche lag direkt im Eingangsbereich, ein gefliester Weg führte zu ihrem Schlafzimmer mit dem Badezimmer, eine der wenigen Erinnerungen daran, wie das Appartement ausgesehen hatte, bevor sie die Pflanzen bekommen hatte.

Jetzt lebte sie in einem Wald wie aus einem Märchen – einem seltsamen Märchen, in dem das Abenteuer in der Küche anfing und dann über einen magischen Weg zu den Bäumen, Büschen und Blumen führte. Hinter den Bäumen gab es ein Beet für die Erbsenzucht und an den Wänden standen Regale für die Gläser mit Samen, aber ansonsten war der Schein perfekt. In der Tat hatte Ari Assistentin ein paar Mal dabei ertappt, wie sie sich mit einem erstaunten Gesichtsausdruck umgesehen hatte.

Konnte man es ihr übel nehmen? Wenn man mit Weltallpiraten zusammenlebte, sah man vermutlich nicht besonders viele Gärten.

Ari für ihren Teil kannte nicht viel anderes. Ihre Erfahrung in der Nahtal-Station war begrenzt. Sie hatte sich nie wirklich umgesehen – auch wenn eine Besatzung von viertausend Menschen im Vergleich zu anderen Stationen oder den auf Planeten gelegenen Städten nicht besonders viel war, fühlte sie sich eingeengt, sobald sie einen Ausflug in die Korridore oder die Offiziersmesse machte. Auch mochte sie die Aufmerksamkeit nicht, die sie als Tochter des Kommandanten bekam, besonders, da man sich wahrscheinlich hinter ihrem Rücken über ihre Unbeholfenheit lustig machte. Es war also weitaus besser, bei ihren Pflanzen zu bleiben. Und bei ihrer neuen Sklavin.

Anfangs war es eine schreckliche Vorstellung gewesen, ständig jemanden um sich herum zu haben. Aber Assistentins Anwesenheit war keineswegs so störend wie befürchtet – sofern sie sich überhaupt etwas vorgestellt hatte. Ari fürchtete sich vor dem Eindringen in ihr Leben, dem schleichenden Gefühl, dass ständig jemand über ihre Schulter sehen würde, aber Assistentin hatte an so etwas offenbar gar kein Interesse. Manchmal schien es so, als hätte sie überhaupt kein Interesse an Ari.

Trotzdem aß Ari inzwischen mehr als sonst. Assistentin war nicht besonders zurückhaltend, wenn es darum ging, eine Pause anzukündigen. Sie aß oder schlief nicht, bevor Ari schlief oder aß, weshalb diese sich mehr Mühe gab, an Ruhezeiten zu denken. Trotzdem war es schön, daran erinnert zu werden. Assistentin schlief in einem schmalen Bett in einem Alkoven abseits des Gartens. Ari hatte ihr eigenes Bett, selbstverständlich war dieses größer, aber es kam nicht selten vor, dass sie auf einem Feldbett in der Nähe ihrer geliebten Pflanzen schlief. Sie waren ihr Zuhause, ihre liebsten Freunde. Warum sollte sie nicht in ihrer Nähe sein?

Es war offensichtlich, dass Assistentin Aris Liebe für ihre Pflanzen nicht nachvollziehen konnte. Na ja, niemand konnte das, aber sie arbeitete immerhin ohne Protest mit. Dennoch konnte Ari sehen, dass sie nicht wirklich zufrieden war. Ruhelos, das war das Wort. Als ob sie auf etwas warten würde. Ihr etwas fehlen würde.

Wann immer Ari darüber nachdachte, was Assistentin brauchen könnte, erschauderte sie aus einem unerfindlichen Grund. Allerdings war das kein schlechtes Gefühl. Assistentin hatte etwas Aufregendes an sich, das Ari nicht benennen konnte, und das weit darüber hinausging, dass sie ihr Gesellschaft leistete und eine helfende Hand bot. Vier Tage nach Assistentins Ankunft begann der Anblick ihrer schwarzen Haare und der blauen Augen bei Ari allmählich einen beschleunigten Herzschlag auszulösen.

Vielleicht gab es mehr als nur eine Art von Gefahr.

Zum Glück versuchte Assistentin nie, Aris Gedanken zu erraten. Gott sei Dank. Sie würde diese ohne Zweifel lächerlich finden. Aber sie schien Ari nicht abzulehnen, im Gegenteil, sie schien vor allem verwirrt zu sein. Ab und zu sogar amüsiert. Ari hatte das Gefühl, dass es nicht viel gab, was Assistentin amüsierte, weshalb sie sich fragte, ob das nicht sogar ein Kompliment war.

Daher fühlte sie sich am vierten Tag endlich selbstbewusst genug, um zu fragen: »Assistentin? Wie war das so? Mit Piraten zu leben, meine ich.«

Assistentin warf ihr einen scharfen Blick zu. Der blaue Fleck auf ihrer Wange war beinahe komplett verschwunden. »Was meinst du?«

»Ich meine, wie sind Piraten so? Was machen sie den ganzen Tag über? Wenn sie nicht gerade …« Ari gestikulierte vage mit ihrer Schaufel und warf sich dabei etwas Erde in ihr Gesicht. »Du weißt schon. Plündern und so.« Sie wischte sich über das Kinn.

»Hauptsächlich ziehen sie von Ort zu Ort und rauben andere aus«, sagte Assistentin. »Außerdem trinken sie viel und huren herum. Zumindest einige von ihnen.« Sie stieß ihre Schaufel kräftig in die Erde. »Aber nicht die, mit denen ich gelebt habe.«

»Huren …« Ari musste schlucken und errötete. Sie war eine solche Sprache nicht gewohnt. Mehr als das, sie klang ungewohnt aus Assistentins sonst so gebildetem … wo sie doch sonst über ein so gebildetes Vokabular verfügte. Ein Schauer jagte über Aris Rücken. Verzweifelt versuchte sie, ein neues Gesprächsthema zu finden und sagte: »Hast du sie jemals gesehen?«

»Sie?«

»Du weißt schon. Mír.« Ari senkte aus Gewohnheit die Stimme. Es war bescheuert. Aber schon seit Jahrzenten wurde Mír wie ein böses Märchen benutzt, um Kinder zu erschrecken. Sei brav oder die böse Piratenkönigin kommt und holt dich mitten in der Nacht. Ari selbst hatte als Kind mehrere Versionen dieser Geschichte gehört.

»Was ist mit ihr?«, hakte Assistentin nach und zog fragend eine Augenbraue hoch.

»Hast du sie jemals gesehen?«, wiederholte Ari. »Man sagt, niemand hat das jemals. Kein freier Mensch. Sie erscheint nie auf den Hologrammen. Es gibt nicht mal eine Aufnahme ihrer Stimme.«

»Ja«, sagte die Assistentin. »Soweit ich das mitbekommen habe, kümmert sie sich sehr gewissenhaft darum, dass das so bleibt.«

»Manche behaupten, dass sie nicht einmal wirklich existiert. Weil sie noch nie gesehen wurde, verstehst du? Man sagt, sie wäre nur eine Erfindung, um Kinder zu erschrecken, und in Wahrheit ist es jemand anderes, der die Piraten anführt. Oder mehrere Personen. Ein Piratenring«, fügte sie aufgeregt hinzu.

»Oh, sie existiert definitiv«, sagte Assistentin der Erde zugewandt.

»Also hast du sie gesehen?«, fragte Ari atemlos. Was würde sie mit der Information machen, wenn dem so wäre? Wäre sie dazu verpflichtet, ihrem Vater davon zu erzählen?«

»Nein«, sagte Assistentin und beendete damit Aris Überlegungen als überflüssig.

»Ach«, sagte Ari ernüchtert. »Woher weißt du dann, dass es sie gibt?«

»Ich weiß es einfach. Man schnappt so einiges auf da draußen.«

»Ist sie so böse, wie man sich erzählt?« Es schien unmöglich. Kein Mensch konnte so bösartig sein, wie es die ganzen Geschichten darstellten. Und obwohl Ari inzwischen eine erwachsene Frau war, jagte die Erinnerung an die Geschichten einen Schauer über ihren Rücken. »Man sagt, sie lässt einen nie wieder gehen.«

»Das ist wahr.« Assistentin sah Ari todernst in die Augen. »Sie würde auch dein hübsches Gesicht nicht verschonen, das kann ich dir sagen.«

»Oh«, presste Ari heraus.

Assistentin stach ihre Schaufel in die Erde. »Also solltest du sehr, sehr froh sein, an so einem geschützten« – Stoß – »abgesicherten« – Stoß – »gut bewachten Ort zu sein.«

»Hey, sei vorsichtig.« Ari hielt ihre Hand fest. »Du beschädigst die Knollen.« Ari bemerkte, wie Assistentin sich versteifte und zog ihre Hand weg.

Ein paar Augenblicke arbeiteten sie still weiter. Dann fragte Ari zögerlich »Denkst du, ich bin hübsch?«

»Herrgott noch mal.«

»Tut mir leid.« Ari starrte mit glühend heißem Gesicht auf den nächstgelegenen Sack mit Samen. »Ich … äh … ist es Zeit fürs Mittagessen?«

»Schon längst.« Assistentin stand auf, stapfte auf das Intercom zu und zog dabei ein kleines Stück Rasen hinter sich her.

~ ~ ~

Assistentin schien nach dieser Begebenheit etwas verstimmt zu sein. Ihre Antworten auf Aris Anweisungen waren kurz und knapp. Aber sie leistete genauso gute Arbeit wie sonst und pflanzte alle Knollen ein.

»Ich denke, sie sehen gut aus«, sagte Ari erfreut und schielte zu Assistentin herüber, die statt der Pflanzen Ari ansah. »Findest du nicht? Ich denke, wir haben gute Arbeit geleistet.«

Assistentin sah sie mit versteinerter Miene an.

»Hör mal, es tut mir leid«, sagte Ari. »Wegen meiner Fragen gestern. Über die Piraten. Ich weiß, du willst dich wahrscheinlich nicht daran erinnern.« Sie wandte den Blick ab. Offensichtlich musste sie noch an sich arbeiten, bevor eine Fremde sich bei ihr willkommen fühlen konnte.

»Wieso verlässt du nie dein Quartier?«

Ari sah sie erschrocken an. »Was?«, fragte sie. »Ich meine, das mache ich doch, jedenfalls manchmal.«

»Ich bin jetzt seit fast einer Woche hier. Du hast in dieser Zeit nicht ein einziges Mal diese Räume verlassen.«

Ari blinzelte. »Ich bin eben sehr beschäftigt«, sagte sie. Hatte Assistentin das nicht bemerkt? »Ich habe immer etwas zu tun. Oh!« Sie riss die Augen auf. »Du musst hier drin verrückt werden, nicht wahr?«

Assistentin zog zynisch eine Augenbraue nach oben. »Nur ein kleines bisschen.«

»Ach!« Ja, Ari musste auf diesem Gebiet dringend dazulernen. »Das habe ich nicht bemerkt. Komm, lass uns rausgehen. Machen wir einen Spaziergang. Ich weiß auch wohin – ins Observatorium!« Sie wischte über ihre schmutzige Schürze. Assistentin hatte sie dazu gebracht, lieber eine Schürze umzubinden, als nur in ihren Kleidern im Garten umherzukriechen. »Wir haben hier einige tolle Teleskope. Weißt du, ich mag Astronomie, wenn ich nicht gerade mit den Pflanzen beschäftigt bin.«

»Vom Boden auf zu den Sternen, hm?«, fragte Assistentin mit einem Schimmer echter Belustigung in ihren Augen.

Ari lächelte. »Könnte man sagen. Magst du Sterne?«

»Ich liebe sie«, sagte Assistentin und klang dieses eine Mal ehrlich. »Besonders Sternkarten.«

»Oh.« Ari blinzelte. »Wirklich?«

»Wirklich«, sagte Assistentin ernst. »Gibt es welche im Observatorium?«

»Natürlich!« Ari war erfreut darüber, etwas gefunden zu haben, was Assistentin gefiel. Sie hatte sich schon gefragt, wann das wohl passieren würde. »Dutzende. Ich zeige sie dir.«

»Nett von dir«, sagte Assistentin.

Ari wandte sich schnell ab, damit Assistentin sie nicht erröten sehen konnte. »Ich hätte schon früher darauf kommen sollen«, murmelte sie. »Dass du vielleicht gerne ausgehen würdest, meine ich. Lass mich nur kurz meine Kleidung wechseln.«

Sie wischte erneut über ihre Schürze und sah wieder zu Assistentin, die sie mit einem hochgezogenen Mundwinkel beobachtete. Ari hatte sie noch nie so nah an einem Lächeln gesehen. Ihr Herz fing an zu stottern und blieb beinahe stehen und Ari wusste nicht, was sie mit ihren Händen machen sollte.

»Ich bin sofort wieder da«, sagte sie mehr zu sich selbst. Und aus irgendeinem Grund war sie nun tatsächlich besorgt, was sie anziehen sollte.

~ ~ ~

Sie wählte etwas Rotes. Ein dunkles, tiefes Rot, das man als rubinrot bezeichnen konnte. Als sie erwachsen geworden war, hatte man ihr gesagt, dass die Farbe ihrer blassen Haut und den haselnussbraunen Haaren, die sie normalerweise zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug, schmeicheln würde. Weshalb es von Bedeutung sein könnte, bei einem einfachen Ausflug ins Observatorium eine schmeichelhafte Farbe zu tragen, war ihr unerklärlich. Aber es war wichtig, also zog sie ihr rotes Kleid mit dem langen, wallenden Rock an, kämmte ihre Haare, stellte sicher, dass kein Schmutz unter ihren Fingernägeln war, und streifte sich sogar ein Armband über.

Als Assistentin sie ansah, war die Welle von Freude, die über sie hinwegbrandete, beinahe beschämend. Assistentins Augen wurden für einen kurzen Moment ganz groß – und hatte ihr Atem gestockt? Das konnte nicht stimmen.

Alles, was Assistentin sagte, war: »Das … ist ein ziemlicher Unterschied. Und ich dachte, ich könnte dich mit dieser Pracht in den Schatten stellen.« Sie strich über den Rock ihrer schlichten Sklaventunika.

»Wirst du wahrscheinlich«, hörte Ari sich sagen und klang wie eine Idiotin. Dennoch stimmte es. Assistentin brauchte keine schöne Kleidung, um wie eine Königin auszusehen.

Aber würde sie in einem roten Kleid, wie dem von Ari, nicht unglaublich aussehen? Nein – einem blauen. Blau würde ihre Haare komplementieren und ihre Augen betonen. Es sollte allerdings keine Ärmel haben, nicht bei diesen muskulösen Armen. Eine Kette könnte ihren langen, eleganten Hals schmücken.

Sie starrten sich bereits seit einigen Sekunden an, ohne ein Wort zu sagen. Ari hatte es nicht einmal bemerkt, bis Assistentin sich schließlich räusperte und zur Tür deutete. »Sollen wir, Herrin?«

»Nenn mich nicht so«, flüsterte Ari. »Bitte.«

»Wie du wünschst.« Ohne sich umzusehen, marschierte Assistentin zur Tür und öffnete sie.

Ari brauchte etwas länger, um wieder ihren Halt zu finden, sogar noch nachdem Assistentins unergründliche Augen nicht mehr auf sie gerichtet waren. Schwankte etwa der Boden? Nein, das war unmöglich. Aris Knie zitterten.

Gott sei Dank war das Kleid so lang.

Gefährlich, flüsterte die kleine Stimme in Aris Hinterkopf. Sie brachte sie unverzüglich zum Schweigen.

~ ~ ~

In den seltenen Fällen, in denen Ari ihre Räume verließ, fand sie es jedes Mal wieder ein wenig erschreckend, wie riesig die Station war, selbst nach den drei Jahren, die sie schon hier lebte.

Tatsächlich erwartete man hier keine so große Raumstation. An ihrem zweiten Tag hatte Assistentin den Nahtal-Sektor als einen schmuddeligen kleinen imperialen Außenposten beschrieben. Es stimmte, die Station lag am Rande des Imperiums und ihr Vater besaß einen sehr hohen Rang, weshalb es seltsam erschien, dass er so weit außerhalb stationiert worden war. Aber er hatte sich selbst für den Posten ins Spiel gebracht und damit argumentiert, hier draußen von weitaus größerem Nutzen sein zu können als auf einer prestigeträchtigeren Station, die einen ebenfalls prestigeträchtigeren Planeten beschützte, welcher näher am Heimatplaneten und dem Sitz der Macht lag.

Vor seiner Ankunft hatte er umfassende Umbauten und Modifizierungen an der Nahtal-Station veranlasst und auf zusätzliche Andockstationen bestanden, damit auch größere Raumschiffe anlegen konnten und nicht nur die üblichen Shuttles, die zu dem unter ihnen gelegenen Planeten pendelten. Es gab außerdem zusätzliche Kasernen für eine erhöhte Anzahl an Truppen und er hatte die Waffensysteme aufrüsten lassen. Ari kannte nicht alle Einzelheiten – er hatte ihr nie genaueres darüber erzählt und es handelte sich dabei nicht gerade um ihr Forschungsgebiet –, aber basierend auf den Gerüchten hatte die Station so einige Änderungen erlebt, bevor ihr Vater angekommen war und offiziell die Leitung übernommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt wusste bereits jeder, dass man ihm besser nicht in die Quere kommen sollte. Ari war sehr stolz auf ihn gewesen.

Vielleicht war es nur Wunschdenken, aber Assistentin schien ebenso ein wenig beeindruckt, als sie zusammen durch die Korridore streiften und die Aufzüge mehrere Ebenen hoch bis zum obersten Stockwerk nahmen, von wo aus das Observatorium eine beeindruckende Aussicht bot. Auf einer Seite konnte man auf den Planeten hinabblicken, der seine orangene Farbe von den zahlreichen Mineralien erhielt, die dort abgebaut wurden. Die andere Seite des Observatoriums sah auf die endlose Weite des Weltalls hinaus. Zurzeit sah man sehr viele Schiffe aus dem All kommen und wieder abfliegen, sich blinkend den Andockstationen nähernd.

Auf ihrem Weg zum Observatorium begegneten Ari und Assistentin einigen der Stationsbewohner: meist Arbeitern, Truppen und Sklaven, aber auch ein paar Familien, Pärchen und Kindern der Angestellten des Imperiums. Aris Vater war nicht gerade erfreut darüber, dass sie hier waren. Er meinte, dieser Außenposten sei kein Ort für eine »Stadt im All«. Er hatte sich sogar zuerst geweigert, Ari mitzunehmen. Allerdings gab es nur wenige Stationen, die rechtfertigen konnten, keinen Zivilwohnbereich zu haben, und Nahtal war keine von ihnen.

Also versuchte Ari nett zu lächeln und Blickkontakt mit den Zivilisten aufzunehmen, wenn sich ihre Wege kreuzten. Ob es ihr gefiel oder nicht, sie war Lady Ariana, auch wenn sie sich nie in ihrem Leben wie eine Adlige gefühlt hatte. Sie war die einzige Tochter des Kommandanten und musste ihren Vater stolz machen. Wenigstens brauchten die Zivilisten ihr nicht zu salutieren, so wie es die Militärangehörigen taten. Dennoch nickten sie ihr respektvoll zu, sofern sie sie erkannten.

Die Ehrerbietung schien Assistentin nicht zu stören. Sie sah jeden mit einem kalten Blick an, egal, ob es ein anderer Sklave war oder ein hochrangiger Offizier. Einmal, als eine Wache Ari salutierte, hätte sie schwören können, dass Assistentin zustimmend nickte. Hatten Piraten tatsächlich dieselbe Vorstellung von Disziplin wie Soldaten des Imperiums?

Ari brachte zaghaft diese Frage auf, als sie das oberste Stockwerk erreichten. Sie hatte sich bis dahin nicht getraut zu reden, da sie einen Kloß in ihrem Hals gespürt hatte, der sich sogar noch heißer anfühlte als der Hitzeball in ihrem Unterleib, der entstanden war, als Assistentin sie in ihrem roten Kleid gesehen hatte.

Assistentin antwortete: »Mírs Flotte wird mit genauso viel Struktur und Disziplin geleitet wie jede andere imperiale Macht. Eher strenger, soweit ich gesehen habe.«

Obwohl Assistentins Stimme kalt war, hätte Ari schwören können, einen Hauch von Stolz darin erkannt zu haben. Wie seltsam, auf die Menschen stolz zu sein, die einen gefangen genommen und versklavt hatten. Und da war noch etwas Seltsames an der Aussage. »Hast du schon viele imperiale Mächte kennengelernt? Das müsstest du schließlich, wenn du diesen Vergleich ziehst.«

Assistentin blinzelte, als ob die Frage sie überraschte. Sie antwortete ein wenig ausweichend. »Hier und da.« Als Ari den Mund öffnete, um nachzufragen, versteiften sich ihre Schultern. Die deutlichste Art zu sagen, Treib es nicht zu weit.

Ari verstand und schwieg. Sie versuchte, unbemerkt tief durchzuatmen. Dabei schnappte sie in dem beengten Raum des Aufzugs einen Hauch Geruch von Assistentin auf: Erde aus dem Garten, eine Spur Schweiß und noch etwas anderes, das Ari nicht identifizieren konnte. Vielleicht ihre Haare? Haare schienen immer einen Eigengeruch zu haben, der sich von Person zu Person unterschied. Nach was rochen die Haare von Assistentin?

Ari sah weg, bevor Assistentin sie dabei erwischte, dass sie sie anstarrte.