Liebesmühen - Detlef Klöckner - E-Book

Liebesmühen E-Book

Detlef Klöckner

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Beschreibung

Moderne Liebesbeziehungen sind eine schwierige Lebensart. Aber auch wenn die Liebe auf Dauer Mühe bereitet und Paare reihenweise an ihren Ansprüchen scheitern, besteht noch lange kein Grund zu verzagen. Dieses Buch ist Allen gewidmet, die sich an einer Liebesbeziehung versuchen, aber ganz besonders denen, die mutlos zu werden drohen. Es lotst Sie an Hand einer gestalttherapeutischen Beziehungsperspektive durch die Strapazen und Tragödien einer Langzeitbeziehung. Wer sich auf die Liebe einlässt, sollte wissen, wie man mit leidenschaftlichen Dramen und komplizierten Entwicklungen umgeht. Man fängt am Besten damit an, zu akzeptieren, dass Krisen unvermeidbar sind und niemand ohne Fehler und Widersprüche ist. Soll eine Liebesbeziehung auf lange Sicht gelingen, muss man unterscheiden lernen, was zu welchem Zeitpunkt Sinn macht und was nicht. Wofür lohnt es sich anzustrengen, und was sollte man besser unterlassen? Vor allem aber: Wie lassen sich Überdruss und aufreibende Verwicklungen auflösen? Wie findet man aus Sackgassen wieder heraus? Wie bewältigt man fällige Veränderungen? Davon erzählt dieses Buch mit Hilfe der gestalttherapeutischen Prozess- und Krisenlogik.

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Meinen Eltern und Schwiegereltern in Dankbarkeit

Inhalt

Hinweise

Ein Geheimnis fliegt auf – Drama in zwei Akten

Prolog

Liebe und Entwicklung – Wirkung und Nebenwirkungen – Die romantische Utopie – Versprechen

Die Liebe, ein himmlisches Geschenk?

Poesie gegen Ökonomie – Liebe als Kulturgut – Liebenswertes und Gehässiges – Liebe und Manie

Leidenschaft, Zwiespalt und Krise

Bleibendes und Veränderliches – Ambivalenz und Moral – Selbstentwicklung und Selbsterhaltung – Scham und Schuld – Exklusive Intimität – Das Ungehörige und das Verbotene – Das Verborgene – Ruhige und aufregende Zeiten – Grenzen und Grenzgänge – Krisendynamik und Veränderung

Entwicklungen und Verwicklungen

Der Grund der Liebe – Die Flüchtigkeit des Rauschs – Gestaltpsychologie der Liebe – Beziehung und Entwicklung

1 Die doppelte Angst der einsam Verliebten

Verzauberte Ohnmacht – Die Verwirklichung der Liebe – Gestaltpsychologischer Einschub: Der Kontaktprozess – Halbe und ganze Zuwendung – Symbiotischer Sog – Waghalsigkeit und Beharrlichkeit – Das Zögern des Alleinstehenden – Sehnsucht und die Angst vor dem Fall – Kleiner Ratgeber

2 Selbstkontrolle oder symbiotisches Schweben

Ausschweifung und Zurückhaltung – Gehobener Selbstwert und alte Verhältnisse – Der zügellose Blick – Jenseits und Diesseits; eine Verteilungsfrage – Gestaltpsychologischer Einschub: Vom Kontakt zur Beziehung – Unmittelbarkeit und Beziehung – Liminalität und Normalität – Intime Hingabe – Intime Muster – Intimer Schutz – Intime Grenzen und Eifersucht – Vom Scheitern der Symbiose – Kleiner Ratgeber

3 Kämpfe um Liebe, Autonomie und das richtige Leben 126

Vorlieben und Abneigungen – Einfache Widersprüche – Eltern oder Liebende: ein Einschub, der nicht aufzuschieben ist – Ein Horizont zerfällt – Gefühle und Relationen – Fanatismus und Gefasstheit – Zweiter Gestaltwandel der leidenschaftlichen Liebe – Verhandeln und Verzicht – Halten oder Loslassen – Kleiner Ratgeber

4 Rituale, gewohnte Konflikte und Überdruss

Beziehung als Heimat – Gestaltpsychologie der Gewohnheit – Die Zähmung der Unmittelbarkeit – Faktisches und gefühltes Zuhause – Fehlendes und Vernachlässigtes – Entfremdung – Existenzielle Einsamkeit – Bikulturelle Befremdung und befremdende Übergänge – Gestaltpsychologischer Einschub: Gezähmte Leidenschaft – Rock ’n’ Roll und die Ordnung der Dinge – Freiwillige und verordnete Treue – Zwischen Heimatgefühlen und sinkendem Selbstwert – Ein neuer Anfang oder das Ende? – Gleichförmige Sicherheit – Radikale Dialoge und die persönliche Scham – Kleiner Ratgeber

5 Verluste und Nöte alter Paare

Altern – Die abnehmende Welt des alten Paares – Gestaltpsychologie des alten Paares – Aufschub und Frieden – Ungleichzeitigkeit und Rollenumkehrung – Angelebte Motive und unverarbeitete Erfahrungen – Kleiner Ratgeber – Diesseits- und Jenseitserweiterungen – Sterben und Tod – Vermächtnis

Epilog

Ein vorläufiger Nachtrag zum Epilog

Literatur

Zum Autor

Hinweise

Die Liebe ist eine schwierige Angelegenheit, und obgleich sie Angst einflößen kann und sich nicht zwingen lässt, Liebesbeziehungen mitunter Qualen bereiten und Paare reihenweise an sich selbst scheitern, existiert kein achtbarer Grund, vor der Liebe Reißaus zu nehmen. Im Gegenteil, die Liebe macht Sinn und sie gibt unserem Leben Sinn. Lassen Sie sich mit Enthusiasmus den Kopf verdrehen, immer wieder aufs Neue!

Wilhelm Hennis, der sich als politischer Philosoph verstand, sprach davon, dass nichts für den Menschen von Wert ist, was er nicht immer wieder mit Leidenschaft tut. (Hennis 1977) Dass im ›Immer-Wieder‹ und ›Fortwährend‹ das Kernproblem der Leidenschaft steckt, war ihm bewusst. Deswegen hat er auf die Verbindung von Leidenschaft und Einsicht gepocht. Liebespaare kommen ohne die Kombination von Hingabe und Rücksichtnahme, Einsatz und Bescheidenheit nicht weit.

Wer sich auf die Liebe einlässt, muss wissen, wie man mit leidenschaftlichen Dramen und schwierigen Entwicklungen umgeht. Man fängt am besten damit an zu akzeptieren, dass Krisen unvermeidbar sind, kein Leben fehlerlos bleibt und niemand ohne Widersprüche ist.

Soll also eine Liebesbeziehung auf lange Sicht gelingen, muss man unterscheiden lernen, was zu welchem Zeitpunkt Sinn macht und was nicht. Wofür lohnt es sich anzustrengen und was sollte man besser unterlassen? Vor allem aber, wie lassen sich aufreibende Verwicklungen auflösen, wie findet man aus Sackgassen wieder heraus, wie bewältigt man anstehende Veränderungen und wie lässt sich Unveränderliches ertragen? Davon erzählt dieses Buch.

Dieses Buch ist all denen gewidmet, die mitunter an der Liebe zweifeln und verzweifeln, aber ganz besonders den Verzagten und Mutlosen. Es lotst Sie sicher durch die Strapazen und Tragödien einer Langzeitbeziehung.

Bevor es losgeht, möchte ich kurz den Aufbau des Textes erläutern. Die Entwicklungen und Themen, um die es sich drehen wird, werden aus der Perspektive der gestalttherapeutischen Prozesstheorie erklärt. Da die Liebe ein Phänomen zwischen Menschen ist, ihre Verwirklichung sich mithin im realen Leben entscheidet, berichten einzelne Personen an passender Stelle in Monologen und Dialogen von ihren Erfahrungen oder ich habe zur Veranschaulichung mir zugetragene Geschichten eingestreut. An vielen Plätzen sind auch Literaturbeispiele, Gedichtauszüge, Filme und Musikstücke angeführt.

Das mag auf den ersten Blick überbordend geraten sein, ist aber so gewollt. Wenn es um die Liebe geht, zeigen uns Menschen, was die Liebe und das Leben aus ihnen macht, geben Künstler der Liebe ihre eigentliche Sprache und eine brauchbare Theorie bastelt den Orientierungsrahmen um subjektive Erfahrungen. Die Liebe und die Künste erheben den Mensch aus seiner materiellen Realität und erfüllen die Welt mit Sinn, heute mehr denn je. Ohne eine poetische Beleuchtung kann ich mir die Liebe, selbst ein Kunstwerk, nicht vorstellen und ohne dass man sich in die Arme der Melancholie retten könnte, sind die Martyrien der Liebe kaum auszuhalten; mit all dem aber wohl.

Nichts im Leben bleibt einfach, wie es ist. Der Text greift daher zwei wesentliche Prozesse auf, die im Kontext der Liebe eine besondere Bedeutung besitzen. Gemeint sind einmal der Vorgang der Veränderung selbst und zum anderen die Konsequenzen von Entwicklungen. Aus gestalttherapeutischer Sicht stellen sich dazu folgende Fragen: Wie passiert Veränderung, beziehungsweise was ist die Struktur des Wandels? Und weiter: Mit welchen Entwicklungen müssen Menschen rechnen, wie verändert sich die Qualität von Liebesbeziehungen auf lange Sicht? Beide Prozesse lösen Konflikte und Krisen aus, beide Prozesse können daher nur im Zusammenhang mit den dabei auftauchenden Konflikten und Krisen verstanden werden und in ihnen spiegelt sich das grundlegende Paradox der Liebe.

Dieses Buch ist auch in anderer Hinsicht ein Zwitter. Es ist ebenso eine Art Kompass, der uns durch die Welt der Liebe führt, ein Bewegungsinstrument wie auch eine Landkarte, die uns Orientierung im Überblick anbietet. Damit kann man ziemlich weit kommen. Wie weit, das entscheidet sich im Tun. Die Liebe ist eine begrenzte Sache zwischen zwei Personen und die große Geschichte der Liebe schreibt sich beständig weiter.

Liebesmühen riskiert einen Blick in die Tiefen und Untiefen von Liebesbeziehungen. Das Buch leuchtet dort hin, wo sich Ängste, Zweifel und Abneigungen verstecken und geht gedanklich in Gefilde, wo man nicht gerne alleine ist. Manchmal brauchen wir jemanden, der uns einen Moment an die Hand nimmt. Dann, wenn uns Verluste drohen, und ganz besonders, wenn wir nicht mehr aus noch ein wissen. Manchmal hat man nur noch Fragen, aber keine Antworten; manchmal verlässt uns das Gespür, wohin es gehen soll, und manchmal verschwindet auch der letzte Funken Hoffnung. Spätestens dann sollte man sich fragen, auf was es wirklich ankommt im Leben. Das Buch ist als Ermutigung gedacht, sich den komplizierten Seiten der Liebe zu stellen und immer wieder aufs Neue etwas zu wagen.

Leseempfehlung

Hennis, W. (1977): Politik und praktische Philosophie, Klett-Cotta, Stuttgart

Ein Geheimnis fliegt auf – Drama in zwei Akten

Eines Tages rief Frau F. von unterwegs an. Sie hatte ihr Mobiltelefon zu Hause vergessen und bat ihren Mann, rasch eine gespeicherte Telefonnummer für sie nachzusehen. Auf der Suche nach dem Telefon fand Herr F. zwei Konzertkarten. Ihm wurde warm ums Herz. Er vermutete, es handele sich um eine Überraschung, und behielt die Entdeckung für sich.

Am Tag des Konzertes teilte ihm seine Frau mit, dass sie abends noch mit Kolleginnen verabredet sei und es später werden könne. Er brauche nicht auf sie zu warten. Der Ehemann sah sicherheitshalber noch einmal in der Zeitung nach. Ein Irrtum war ausgeschlossen, das Konzert war heute. Da kam Herr F. ins Grübeln.

Seine Ehefrau kam später als erwartet nach Hause. Er lag hellwach im Bett. Sie begann sich im Dunkeln leise auszukleiden. Als er sie in die Stille hinein fragte, woher sie jetzt komme und hinzufügte, er wisse zumindest, wo sie den ersten Teil des Abends verbracht habe, musste sie sich setzen. Sie nahm einige Atemzüge Anlauf, dann gestand sie ihm eine Affäre mit einem anderen Mann. Die heimliche Beziehung ging bereits über ein halbes Jahr.

Lange nach diesem Abend sagte Frau F., im Nachhinein sei sie heilfroh, dass die Sache damals aufgeflogen sei. Sie habe sich immer tiefer in ein angespanntes Doppelleben verstrickt und nicht mehr gewusst, wie sie da je wieder herauskommen werde. Ihr Liebhaber hatte die Hoffnung, die Offenlegung könnte zur endgültigen Trennung von ihrem Mann führen. Sie selbst dachte nicht entfernt daran. Nach dem ersten Chaos war sie vielmehr erleichtert, dass die Heimlichkeiten und Lügen endlich vorbei waren. Seitdem fragt sie sich, wie sie die Beziehung mit ihrem Mann wieder hinbekommt. Der sagt, ihr zu verzeihen hänge entscheidend davon ab, ob er begreife, warum das geschehen sei. Warum gerade ihm, der immer treu war, und warum gerade jetzt?1

Prolog

Von Deinen Sinnen hinaus gesandt geh bis an Deiner Sehnsucht Rand

Rainer Maria Rilke

Bisweilen beschleichen uns Ahnungen, und manchmal sind wir überzeugt, dass es schlecht enden wird. Aber oft bricht es aus heiterem Himmel über uns herein, sind es schockierende Entdeckungen, die uns viel zu spät vor Augen führen, dass etwas Grundlegendes nicht mehr in Ordnung ist. Tatsächlich verschleiern solche Episoden wie die geschilderte eher, was im Schatten des Alltags schon länger schief gelaufen ist und die Beteiligten unglücklich gestimmt hat. All die erduldeten Kränkungen, das Nachlässige und Lieblose, die beiläufigen Gehässigkeiten, die wir bei Lichte betrachtet gar nicht gewillt sind hinzunehmen, übersehen und verdrängen wir so lange, wie es uns gelingt, irgendwie damit zurecht zu kommen. Bis es nicht mehr geht oder eine Belanglosigkeit das Fass zum Überlaufen bringt.

Seitensprünge wie jener von Frau F. müssen sich nicht zutragen, passieren aber immer wieder. Im Fremdgehen zeigen sich die Widersprüche und Rückschläge eines Lebens, das einstmals angetreten war, sich alles zu sein. Ohne Fehl und Tadel, ohne das unschöne Andere auszukommen, ist unmöglich. In jeder Liebesbeziehung kommt es zu Vertrauensbrüchen, hat man Geheimnisse voreinander und geht auch eigene Wege. Manches davon spielt keine Rolle, manches tut der Beziehung sogar gut, anderes bekommt ihr schlecht.

Nur mit den Lügen ist es so eine Sache. Die meisten Lügen fliegen früher oder später von selbst auf. Dafür kennt man sich zu gut und teilt zu viel. Und obwohl wir wissen, wie schnell es schief gehen kann, handeln wir immer wieder mal auch im Verborgenen. Auch Liebende hintergehen sich und schummeln Dinge aneinander vorbei. Unerkannt scheint manches einfacher zu gehen, und unbeobachtet wird mancher Schritt auch erst getan. Cosi fan tutte!Hin und wider tut es jeder.

Seltsamerweise glaubt die Mehrheit dennoch felsenfest, Untreue sei der überwiegende Ausdruck eines mangelhaften Charakters. (So denken zumindest die Hintergangenen.) Nicht gar so viele halten die fehlende erotische Standfestigkeit für eine Konsequenz wahrhaftiger, nämlich nicht zu bändigender Leidenschaft oder schreiben es wenigstens schicksalhaften Verwicklungen zu. (So argumentieren oft die Romantischen und Wankelmütigen.) Wenn das an sich Verwerfliche ohnehin vorkommt, dann sollten Affären wenigstens gekonnt vertuscht werden. Zu viel amouröses Durcheinander bringt das Leben unnötig aus dem Lot und gehört sich einfach nicht. (So mahnen die Sturmerprobten.) Ob mehr mit moralischer Entrüstung, mehr mit lustvollem Fatalismus oder durch die weise Brille der Erfahrung betrachtet, Unverlässlichkeit in der Liebe ist anrüchig und trägt den dicken Stempel des Vermeidbaren.

Leidvolle Sequenzen gehören aber ebenso zur Liebe wie die auf ewig geschworene Treue; und obwohl Leid die untrennbare Kehrseite der Leidenschaft ist, soll kein Kummer die Liebe trüben und die Treue niemals nachlassen. Dennoch passiert es und es verändert die Beziehung. (Illouz 2011) Da helfen keine Schwüre und keine Tabus. In jeder Liebesbeziehung stellt sich vielmehr die Frage, was dem Einzelnen so schwer fällt zu lassen, beziehungsweise welche anderen Motive neben unseren liebevollen Absichten noch in uns arbeiten. Was sind das für ›dunkle Antriebe‹, die uns in Schwierigkeiten bringen? Anders gefragt: Lohnt es der Mühen, Dinge aufhalten zu wollen, die scheinbar nicht aufzuhalten sind, und umgekehrt bedacht, lohnt es der Probleme, die uns manches Unbedachte und unsere andere Seite einbringen?

Solchen Fragen soll hier auf den Grund gegangen werden, wobei es um den flagranten Treuebruch gar nicht in erster Linie geht. Leidenschaftliche Fiasken und ihre misslingenden Vertuschungsversuche sind der übliche Stoff eines Dramas, der nur deshalb zu Krisen führt, weil Paare ihn ausschließen. Katastrophen in der Machart des Paares F. werden in den folgenden Kapiteln quasi nebenher besprochen. Viel schwieriger ist es, und darauf liegt die Aufmerksamkeit des Buches, die normalen Entwicklungen und Wendungen einer Liebesbeziehung, sozusagen die einfachen komplizierten Dinge des gemeinsamen Lebens, hinzubekommen.

Dieses Buch hat das Mühevolle einer Liebesbeziehung zum Thema. Es geht der Frage nach, wie man leidvollen Entwicklungen und Irrungen konstruktiv und liebevoll begegnen kann. Liebesmühen dreht sich hauptsächlich um das Zwangsläufige, um die unaufhaltbaren Veränderungen eines Paares, die erlittenen Enttäuschungen, Ermüdungen und den einsetzenden Überdruss; schlicht, es geht um die unvermeidbaren Störungen einer Lebensgemeinschaft, die auf Liebe beruht, und um die Haltung, mit der man Krisen und Traumata sinnvoll begegnen kann.

Normalerweise ist es so, das wir uns um anstehende Korrekturen so lange herumdrücken, wie es nur eben gelingt, ohne Konsequenzen durchzukommen. Da ist es in der Liebe nicht anders als im sonstigen Leben. Besonders in Liebesdingen legen wir großen Wert darauf, dass sich möglichst wenig ändert. Die Liebe, so wie sie begonnen hat, ist einmalig in ihrer Art, soll sich nicht wandeln. »Verweile doch, du bist so schön!« ist keine Poesie für schlichte Gemüter. Hinter Fausts Flehen steckt Goethes Verständnis über die Paradoxie einer gesitteten und gleichsam leidenschaftlichen Lebensführung. (Goethe 1998) Nun wissen wir aber, es ist uns nicht vergönnt, die Zeit anzuhalten, auch in der Liebe nicht. Gerade Paarbeziehungen unterliegen unaufhaltsamen Wandlungen.

Liebe und Entwicklung

In der Unaufhaltbarkeit des Wandels ist die Liebesbeziehung dem griechischen Drama ähnlich. Das dramatische Schauspiel besitzt eine weitläufig vorgezeichnete Choreographie. Es unterliegt Gesetzmäßigkeiten und muss nicht schlecht enden, aber sein Verlauf wird den Protagonisten aufgezwungen. Die Entwicklungen einer Liebesbeziehung finden auf eine vergleichbare Weise statt, und zwar einfach, weil wir die Beziehung leben, aus keinem anderen Grund. Innerhalb des Ablaufes haben wir es natürlich in der Hand, Einfluss zu nehmen, darauf nämlich, welche Entscheidungen wir treffen und welche Haltungen wir einnehmen wollen. Aber niemand kann den grundlegenden Entwicklungsprozess einer Liebesbeziehung umschreiben. Das Skript der psychologischen Wandlungen steht fest, alles Weitere ist individueller Natur und wird von den Umständen geprägt.

Zunächst hört sich diese Aussage seltsam fatalistisch an. Sind es denn nicht in erster Linie vermeidbare Situationen, Umgangsweisen und unvorhersehbare Schicksalsschläge, die eine Beziehung belasten und in die schwierige Richtung navigieren? Das auch, aber neben den problematischen Ereignissen, die auf unserem persönlichen Mist gedeihen, für die wir Verantwortung tragen, findet unterschwellig eine kontinuierliche Umwälzung statt, die langsam, aber stetig unsere Wahrnehmung und unser Handeln transformiert. Diese Entwicklung ist das psychologische Resultat ständig anwachsender Erfahrungen miteinander. Sie verläuft jenseits des Einflusses unseres guten oder schlechten Willens.

Der Romantiker in uns schreit wahrscheinlich längst laut auf: Muss es denn wirklich immer kompliziert werden und kann es nicht nur schön und leicht bleiben? Nein, einfach und ›wie von selbst‹ geschieht das nie auf Dauer, weil nichts bleibt, wie es beginnt. Was einem Paar absehbar widerfährt und wie ein Paar die vorgezeich neten Veränderungen meistern kann und sogar davon profitiert, ist das Thema dieses Buches: Es geht um Herausforderungen, die man verweigern kann, an denen man scheitern kann oder an denen man gemeinsam wächst.

Trotz eigener Erfahrungen und zugetragener Geschichten, die sich mit der Eingangsszene vergleichen lassen, und im Bewusstsein um vielerlei Anfechtungen anderer Art sind unsere Sehnsüchte unbeirrbar auf die ewig störungsfrei verbundene Liebe gerichtet. Das untermauern zahlreiche Untersuchungen zum Thema. Im tiefsten Inneren scheint der moderne Mensch der Vision verfallen zu sein, dass eine Zweisamkeit in Liebe unantastbar und unveränderlich zu sein hat. Was der beflügelnde Traum geflissentlich übersieht, sind die Fährnisse des alltäglichen Lebens. Eine erotische Dreiecksbeziehung – also ein Beziehungsgeflecht, in dem normalerweise eine Person leidenschaftliche Beziehungen zu zwei anderen unterhält, wovon die eine meist unterschlagen wird – ist dabei nur eine Variante an sich verwickelter Gefühlslagen und Tatsachen, mit denen ein Paar zurecht kommen muss.

Wirkung und Nebenwirkungen

In Wirklichkeit balancieren wir ständig zwischen widerstreitenden Motiven und von uns oder anderen geschaffenen Gegensätzen und – das ist das eigentlich Überraschende daran – geraten darüber recht selten in existenzielle Schieflagen. Dennoch verzehren wir uns nach dem Bild der einfachen und erhabenen Liebe. Wir alle stehen (mal mehr mal weniger) unter dem Einfluss des romantischen Liebesideals: Du bist mein Ein und Alles! So erwarte ich es auch umgekehrt und so soll es von uns beiden auf immer empfunden und praktiziert werden. Gegen diesen strahlenden Traum scheint noch immer kein Einwand gewachsen.

Es ist überflüssig, gegen solche Hoffnungen anzugehen. Warum auch? Lieber scheitern wir mehrfach an der schönen Idee, als diese letzte und höchste aller Utopien aufzugeben. Es kann also nicht meine Absicht sein, den Liebeswahn zu diskreditieren. Ich möchte aber auf Probleme verweisen, die uns begegnen, wenn wir der Liebe folgen und uns quasi bedingungslos ›auf ewig und durch schlechte Zeiten hindurch‹ verbinden oder, nur scheinbar schlauer, schon am Anfang versprechen, uns lieber wieder im Guten zu trennen, als uns jemals etwas Böses anzutun. Mit diesem oder einem ähnlichen Glaubenssatz fängt alles an.

Die in unseren Köpfen spukende Vision der totalen Zweisamkeit kann mit einsetzenden Ambivalenzen und Paradoxien schlecht umgehen. Sie lässt keine Unzuverlässigkeit zu und auch sonst nur wenig Störendes. Die leidenschaftliche Liebe ist ein radikaler Glaube an das völlige Glück und eine Festschreibung der Zukunft. Bis zu einem gewissen Grad kommt das eine Weile ja auch hin. Empirisch betrachtet, belasten unübersichtliche und unsichere Beziehungen die Psyche. Daher und aus vielen anderen Gründen setzen wir uns ungern damit auseinander, dass auch eine Liebesbeziehung dazu zwingt, sich mit dem Scheitern zu beschäftigen, sich am Realisierbaren zu versuchen und einzusehen, dass eine gelebte Beziehung immer mehr und anders ist als reines Wunschdenken.

Es ist fast wie mit einem Psychopharmakon. Einmal geschluckt entfaltet es neben der beabsichtigten Wirkung unerwünschte Nebenwirkungen, und immer wieder verabreicht, verändert es die Aufnahmefähigkeit der Rezeptoren und damit die gewünschte Wirkung. Anhaltende Perioden der Einnahme einer kräftigen Substanz bewirken über kurz oder lang ein schwer entwirrbares, diffuses Irgendwas von allem, wodurch der Organismus belastet wird, an das er sich dennoch gewöhnen will, worüber er sich umorganisiert und das er nun braucht, obwohl es nicht gut tut.

Eigentlich bewirkt mehr oder minder jedes den Organismus außergewöhnlich beeinflussende Stimulans, über lange Zeit verabreicht, zunächst ein Hoch, dann eine abfallende und in Folge eine sich langsam vom Neutralen ins Negative wandelnde Resonanz. Dieser Adaptionsprozess unterliegt dem allgemeinen Prinzip der homöosthatischen Selbstregulation. Die Homöosthase pegelt Einwirkungen vom Außergewöhnlichen ins Gewöhnliche, auch unter negativen Vorzeichen, sofern besondere Umstände oder Energien den Organismus nicht daran hindern, sich dergestalt auszubalancieren. Jener Transformations- und Balanceprozess ist grundlegend für jede Erfahrung, die sich lange genug wiederholt, und besitzt daher Geltung für alle systemischen Vorgänge, auch für die Entwicklung sozialer Beziehungen.

Menschen reagieren auf Abhängigkeit aber meist mit der Hoffnung, dass es wieder werden soll wie zu Beginn, und machen deshalb weiter wie bisher, worauf es immer weniger wird vom ursprünglich Gewollten und immer mehr vom Unbeabsichtigten. Ein Organismus, der sich durch bestimmte Einflüsse verändert hat, kann nicht durch die gleiche Gabe wieder in seinen vorherigen Zustand zurückversetzt werden. Was also tun? Wider besseres Wissen vergebens weiter machen? Keith Richards, der Jahre als Heroinjunkie hinter sich gebracht hat, rückt das Dilemma des Süchtigen in ein poetisches Bild:

Sing me back home with a song I used to hear…

Sing me back home before I die.

(Keith Richards: Life, 2010, 521)

Menschen sind in Wahrheit zwiespältig veranlagt und vielfachen Umständen verpflichtet. Dadurch wird der Horizont eines Paares von vornherein durch wechselnde und unübersichtliche Verhältnisse beeinflusst. Nur während der Verliebtheit des Anfangs schmälert sich die tatsächliche Komplexität des Lebens. Im vorübergehenden seelischen Tunnel wird das Miteinander als vollständig und selbstverständlich empfunden. Man darf die leidenschaftliche Verzückung des Beginns getrost als eine Zeit gemeinsamer Verzauberung ansehen. Diese Atmosphäre trägt aber deshalb auch verrückte Züge. Die Manie der entfesselten Liebe besitzt etwas Unbändiges und Verstandesloses. Unser ansonsten durchaus vorhandenes Vermögen zur Selbststeuerung erhält am Beginn einen ausgedehnten Freigang, anderweitige Interessen und Beziehungen verlieren in dieser Zeit an Wert. Mit der leidenschaftlichen Liebe kann es nichts aufnehmen. Frisch verliebt ist uns egal, wie vielschichtig wir als Person eigentlich sind.

Die verzweigten Lebensumstände Erwachsener beinhalten aber natürlich viel mehr, als eine soeben entfachte Liebe beansprucht. Es wird daher später zur lebenslangen Aufgabe von Paaren, Gegensätzliches, schwierig Vermittelbares und Unvereinbares einigermaßen wohltuend zu jonglieren. Nur zwanghafte Menschen glauben an die Abwesenheit beziehungsweise Kontrollierbarkeit widerstreitender Lebensinhalte. Und wohin das führt, ahnt man sofort. Verliebten fällt aber eine Zeit lang nicht ein, solche Gewissheiten zu berücksichtigen. In der empfundenen, nicht der faktischen Abwesenheit des Alltäglichen, offenbart die Liebe ihren leidenschaftlichen Kern.

Die romantische Utopie

Das Mysterium der modernen Liebe zeigt sich also nicht so sehr in der Schwierigkeit, einen Menschen für ein gemeinsames Glück zu begeistern – und das kann schon schwierig genug sein –, sondern stets an der romantischen Utopie zu scheitern, den emotionalen Augenblick bändigen und für immer erhalten zu wollen. Das gelingt nicht. So, wie sich Menschen ändern, wandeln sich Beziehungen im Lauf der Jahre. Das ist keine Frage persönlicher Kompetenzen, fehlender oder vorhandener Fähigkeiten, sondern Ausdruck der gelebten Gemeinsamkeit. Wir können nicht anders, als uns mit und über unsere Erfahrungen zu verändern.

Illustriert man das charakteristische Fortschreiten einer Liebesbeziehung, hört sich das in etwa so an: Es beginnt, indem unsere Psyche aus eingelösten Sehnsüchten glückliche Erfahrungen macht, aus den anhaltenden Erfahrungen lieb gewordene Gewohnheiten und aus andauernden Gewohnheiten innige Vertrautheit, aber auch zunehmenden Verdruss, der erneut den Wunsch nach dem Seltenen und Unbekannten weckt. Jenes ferne Fremde gerät irgendwann wieder in emotionale Konkurrenz mit dem Steten, nun allzu Bekannten. Der langsam eintretende Wahrnehmungswandel bewirkt, dass wir uns mit den zunehmenden Jahren des gemeinsamen Lebens mehrfach anders empfinden und zueinander verhalten, als zu Beginn. Die meisten Menschen sind über diesen Werdegang enttäuscht und viele auch überzeugt, die Liebe zu einem Menschen sei erloschen, wenn sich Gefühle abschwächen oder neu ordnen.

Das unbedingte Festhaltenwollen emotionaler Ersteindrücke überfordert jedes Paar. Die Vorstellung einer gefühlten und praktizierten Konstanz geht am Wesen der Leidenschaft, am ambivalenten Kern der Psyche und an den verschlungenen Bedingungen des Lebens restlos vorbei. Die erotisch begründete Liebe ist und bleibt ein fragiles und oftmals flüchtiges Gut. Ihre Natur ist die andauernde Verwandlung der Liebenden. Welchen zum Teil komplizierten Wandlungen Paare auf Dauer unterliegen, in welcher Regelmäßigkeit sich Empfindungen und Handlungen ändern, welche Themen und Probleme sich auf dem Weg einstellen, zeigen die nachfolgenden Ausführungen.

Versprechen

Dieses Buch soll keine Angst, vielmehr Mut machen, sich trotz aller vorhersehbaren Verwicklungen und Widersprüche dem Abenteuer Liebe, den Höhen und Tiefen, Turbulenzen und Langeweilen einer Paarbeziehung zu stellen. Selbstverständlich besitzen Sie auch nach der Lektüre weiterhin die Freiheit, der Liebe aus dem Weg zu gehen oder sich fortwährend in neue Abenteuer zu stürzen, so wie es ein Gewinn sein kann, Askese zu üben oder in Abständen den Routinen des Alltags zu entfliehen. Es ist aber eine Expedition ganz anderen Umfangs, wenn man das widersprüchliche Spektrum der Leidenschaft und der eigenen Vielschichtigkeit gemeinsam durchlebt, eventuell gar bis zum Schluss eines Lebens.

Dafür ist viel Einsatz und Mut erforderlich, aber auch die Bereitschaft aufzugeben, was nicht mehr zu halten ist. Eine lange Wegstrecke zusammen zu gehen, verlangt nicht nur die Hingabe an einen Menschen, sondern auch die Ergebenheit hinzunehmen, was nicht miteinander gelingt. Das schließt insbesondere auch die Gabe ein, Unverträgliches und Überholtes loslassen zu können, wenn die Zeit dafür reif ist. ›Bis dass der Tod euch scheidet‹ ist lediglich ein Gelübde für den Rahmen, aber kein Garant für eine gelingende Zweisamkeit.

Was kann dieser schmale Band beisteuern, was Sie nicht schon aus eigener glücklicher und schmerzlicher Erfahrung wissen? Die Antwort ist einfach: Ich erzähle Ihnen ausführlich, was die Leidenschaft zu unterschiedlichen Zeitpunkten einer Paarbeziehung bewirkt, wohin Liebesbeziehungen als Ganzes führen, auch gegen ihre ursprünglichen Absichten, und wie sich Liebespaare langfristig betrachtet ändern, ob es ihnen passt oder nicht. Dabei werden Sie vieles wiedererkennen und manches wird Ihnen unvertraut sein. Ich versichere, nach der Lektüre werden Sie die eigenen Erfahrungen und bisher ungegangenen Schritte, Ihre vermeintlichen Fähigkeiten und Mängel besser verstehen und einordnen. Ihr bisheriges Tun und Lassen erscheint dann in einem logischen Licht als paradoxe Konsequenz gegensätzlicher Antriebe in unterschiedlichen Beziehungsphasen.

Wer das moderne Lebensgefühl mit all seinen Ansprüchen und Widersprüchen als kompliziert akzeptiert – Bourdieu spricht von der schwierigen Freiheit (Bourdieu 1987) – ist nicht nur weniger anfällig für naive Wahrheiten, er verfängt sich auch nicht ganz so hoffnungslos in den ausliegenden Fallstricken. Und wenn doch einmal wieder, findet man schneller und leichter wieder ins Freie. Paare sollten daher unbedingt etwas von existenziellen Konflikten und Krisen verstehen. Wenn eine Liebe auf Dauer erhalten bleiben soll, muss man wissen, wie Zwiespälte und verworrene Verhältnisse entstehen, wie man sich in diese verwickelt und wieder lösen kann.

Was Sie hier allerdings nicht finden werden, sind simple Lösungen. Für was auch immer Sie sich an Stelle von Frau und Herrn F. entscheiden würden, es hätte immer mehrfache Konsequenzen. Ich halte deshalb nichts davon, die Probleme, die sich den Paaren stellen, auf plumpe Weise zu vereinfachen. Und ich vertraue darauf, dass Sie nicht so einfältig sind anzunehmen, eine Liebesbeziehung sei ein einfaches Terrain. Man kann sich aber, gerade in dem Bewusstsein, dass alles schwieriger kommt als gedacht, anstrengen, möglichst eindeutig und liebevoll zu bleiben. Darauf hat der aus Liebe gewählte Mensch ein Anrecht, selbst in schlechten Zeiten.

Leseempfehlung

Bourdieu, P. (1987): Sozialer Sinn. Suhrkamp, Frankfurt/M.

Goethe, J. W. von (1998): Goethe Werke. Bd. 3, Verlag 2001, Frankfurt/M.

Richards, K. (2010): Life. Wilhelm Heyne, München

Die Liebe, ein himmlisches Geschenk?

But when the Lord of above you sends someone to love you the Blues is something you loose.

Billie Holiday, The Blues are Brewin’2

Nach einer kurzen Atempause sollte den Zeilen ursprünglich noch der Nachsatz folgen: for a little while. Billie Holiday hat das angeblich aus Gründen der Dramaturgie verworfen. So baut der Song einen leichtsinnigen Bogen, der erst später wieder einbricht, dann, wenn die Liebe ihren Höhepunkt überschritten hat. Ohne Glückseligkeit kein Absturz, ohne Vertrauen keine Enttäuschung. Mit Abgründen und Unglück kennt sich die Sängerin aus. Den hässlichen Zwilling der Verliebtheit übersieht sie hier aber generös und besingt das Dunkle dafür umso eindringlicher in anderen Stücken.

Solange wir uns nach Liebe sehnen, erstrahlt sie bar jeden Zweifels, erscheint die Liebe uns als Erlösung. Realisiert sie sich, offenbart sie in der Folge ihre zwiespältige Natur. Die Liebe ist ein durch und durch faustischer Pakt. Wer sich darauf einlässt, wird auch leiden. Aber wir laufen blind, wenigstens jedoch willig, in die Falle. Selbst die Ängstlichen und Zaudernden wollen im Grunde ihres Herzens von der Leidenschaft an der Hand genommen werden, gegen jede engstirnige Vernunft. Im Zauber der Liebe lebt das Erbe der Romantik in uns allen bis heute fort.

Poesie gegen Ökonomie

Eines muss gleich klargestellt werden: Wer die Liebe versucht, entscheidet sich für Poesie und gegen Ökonomie. Mir sind aber nur wenige bekannt, denen bewusst ist, dass die Liebe mehr Mühe macht, als Geld zu verdienen. Die meisten denken, sie kommt, weil man es verdient hat, und vergeht, wenn man Pech hat. Dann ist es vorbei: C’est la vie! Ganz so einfach ist es aber nicht. Die Liebe erscheint eher unangemeldet, nicht, weil man lange genug gehofft hat, erst recht nicht, weil man sich Verdienste erworben hat, aber sie flüchtet umgehend, wenn sie nicht eifrig gepflegt wird. Zur Liebe gehört lebenslange Arbeit. Wer dazu nicht bereit ist, glaubt wahrscheinlich auch daran, dass es mehr lohnt, Lotto zu spielen und die Gala zu lesen.

Relativ einig sind wir uns auch darin, dass wer sich partout vor der Liebe drückt, zu bedauern ist. Goethe wusste genau, warum er Mephisto säuseln lassen kann: »Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.« (Goethe, 1998) Wie man es dreht und wendet, die Liebe zeigt uns irgendwann ihre Schattenseite. Es ist nur eine Frage der Zeit. In diesem Buch schauen wir uns den Prozess der Leidenschaft daher gleich von der dunklen Seite aus an. Schließlich werden wir alle von der Kraft getrieben, die nur Gutes will und viel Böses einbringt. Zwischendurch und am Ende schauen wir immer auch auf leidvolle Episoden. Ich möchte die vor und hinter uns liegenden Dramen daher nicht als Fehlschläge verleugnen und möchte mit diesem Text erreichen, dass wir innehalten, hinsehen und uns auseinandersetzen. Wegrennen kann schließlich jeder; dazulernen aber auch. Deshalb fasse ich an geeigneten Stellen Vorschläge zusammen, wie mit den Untiefen des Liebeslebens passend umgegangen werden kann.

Liebe als Kulturgut

Es sind natürlich immer die gesellschaftlichen Begleitumstände, die zur Hintergrundmusik der Liebe aufspielen. Das Leidenschaftliche ist nicht frei von historischen Bedingungen und dem Zeitgeist geschuldeten moralischen Einschränkungen. Wenn mit einer gewissen Berechtigung die Rede davon ist, dass sich die Liebe über die Jahrhunderte zum obersten Sinnkriterium in der westlichen Welt gemausert hat, dann ist nicht die Nächstenliebe oder Elternliebe gemeint, auch nicht die Liebe für Gottes Schöpfung, die angesichts apokalyptischer Zukunftsängste immer mehr ins Zentrum der Wahrnehmung geraten ist, sondern die leidenschaftliche Liebe zwischen zwei Menschen. Leidenschaft ist heute der vorrangige Beweggrund für Paarbeziehungen. Diese Tatsache, und das sollten wir nie vergessen, verleiht dem Privatleben eine unglaubliche Brisanz und Dynamik.

Es ist Anlass genug, in Zeiten des technischen Kommunikationsgeplänkels einen kurzen Blick zurück zu werfen in das Zeitalter der Galanterie. Im 18. Jahrhundert verfasste der schottische Moralphilosoph Adam Smith einen Kodex der Liebe. In seiner Theory of Moral Sentiments widmet er sich der Sympathie. (Smith 2004) Smith hielt den sympathischen, also den mitfühlenden Menschen für den Ausgangspunkt der Moral neben der Selbstliebe und der Vernunft. Ein nur vernünftiger Mensch, so war seine Annahme, wird höchstens Hals über Kopf sein Herz verschenken. Den Rest seines Verstandes benötigt er für den fortwährenden Überlebenskampf in einer Welt vor Einführung der modernen Sozialversicherungssysteme. Ohne mitfühlende Moral wäre demnach kein ganzer Mensch zu erwarten und wäre auch keine gute Ordnung in der Welt. Smith nannte die Liebe folgerichtig Einklang der Herzen. In der Liebe, so sein weiterer Gedanke, vereinigen sich alle positiven Eigenschaften des Menschen.

So weit, so gut. Das glauben wir auch heute noch. Aber die Sache hat einen Haken. Das Großherzige und Tugendhafte an der Liebe trägt auch zu ihrem wankelmütigen Charakter bei. Die Moral des Mitgefühls ist zugleich Stärke und Schwäche jeder Liebesbeziehung. Denn, Hand aufs Herz, wer ist schon mit Dem- oder Derselben auf ewig großherzig und tugendhaft? Natürlich ist das niemand durchgängig. Aber an eben jener Totalen messen sich Liebespaare.

Liebenswertes und Gehässiges

Ein Zusammenleben bildet nicht nur liebenswerte Tugenden aus. Es spült auf Dauer Nachlässigkeiten nach oben, das ganz besonders, und auch manche Abscheulichkeit. Das bleibt nicht aus. Dafür ist das Leben zu vielschichtig, sind die Charaktere zu unvollkommen und bilden zwei Herzen nicht nur eine Einheit. Jeder ist sich selbst mehrfach verpflichtet und fühlt sich vielen Dingen des Lebens ausgeliefert, nicht nur der Liebe. Außerdem, das muss sich gerade der Verantwortungsbewusste immer wieder ins Gedächtnis rufen, haben wir generell weniger in der Hand, als wir in Beziehungen steuern möchten.

Jedes einzelne Menschenleben enthält so viel Konträres und Ungereimtes, dass konflikthafte Verwicklungen gar nicht ausbleiben können. Eine Vereinigung der Herzen schützt also nicht vor Schla massel. Die Liebe ist vielmehr ein Garant, dass es zu widerstreitenden Gefühlen kommt. Eine gelungene Vereinigung in Liebe vereinfacht das Leben zunächst aufs Sträflichste. Später kippt das Verhältnis von Liebe und Alltag, schlagen die Komplexität und das Unromantische des Lebens umso heftiger zurück. Das gehört zum unauflösbaren Paradoxon der Liebe.

Daher ist auch die gedankliche Koppelung von Freiheit und Liebe eine wirklichkeitsferne Vorstellung. Ebenso wenig wie kein Mensch nur frei von … oder frei zu … ist, hat die Liebe nur bedingt etwas mit Autonomie zu tun und sie kann selbstverständlich auch nicht alle kommenden Schwierigkeiten ausbügeln, obwohl es anfänglich danach aussieht. Solche und ähnliche Drehmomente und Missverständnisse deuten auf die verschlungene Matrix der Liebe hin, die in der Folge ausgiebig beleuchtet wird.

»Wir hatten vor einigen Monaten eine richtig schlechte Zeit miteinander. Meine Frau hat sich nur noch um die Kinder bemüht und ich nur noch um den Job. Als sie dann auch noch sagte, eigentlich könnten wir auch auseinanderziehen, dann würde man sich wenigstens nicht auf die Nerven gehen, dachte ich, sie liebt mich nicht mehr. Ja, und dann ist mir eine blöde Sache passiert. Ich habe mich mit der Frau eines Freundes getroffen, denen ging es auch nicht so gut damals, weil ich jemanden zum Reden brauchte. Am Ende des Abends sind wir dann im Bett gelandet. Ich glaube, wir haben uns beide vorgemacht, dass wir mehr füreinander empfinden, und vielleicht habe ich auch gedacht, das ist die Lösung. Ach, ich weiß auch nicht, was ich mir da eingebildet habe. Mein Freund war natürlich total sauer und hat es meiner Frau erzählt. Danach war die Hölle los.«

In derartigen Verwirrungen steckt der Keim für die Wendungen, die eine Liebesbeziehung auf Dauer nimmt. Daher steht hier das Zweideutige und Voraussehbare im Mittelpunkt, weil ich glaube, dass sich darin nicht nur die eigentliche Schwierigkeit des Liebesgeschehens zeigt, sondern es uns auch davon abhält, weder an zu viel Schicksal noch an die Reinheit des Herzens zu glauben, vielmehr damit zu rechnen, dass wir alle Schwächen haben und viel Ungereimtes und Zweifelhaftes in uns wohnt.

Liebe und Manie

Betrachtet man es aus dieser Richtung, dann ist die leidenschaftliche Liebe gleichzeitig eine private Manie und gesellschaftliche Utopie, die uns Probleme beschert, die wir mit ihrer Hilfe überwinden wollten. Wäre da nicht ihr unbedingter Zauber, würde jeder die Finger davon lassen. Sie ist aber nun mal in der Welt und macht selbst vor Klostermauern nicht Halt. John Gray warnt in einem grundlegenden Text eindringlich vor solchen und anderen Utopien. Nach wie vor gibt man sich der Illusion hin, nichts könne den Menschen daran hindern, sich selbst und seine Welt nach Belieben umzugestalten. Diese Phantasie kommt in vielen Aspekten der zeitgenössischen Kultur zum Vorschein. (Gray 2007, 36)3

Gray ist ein Kritiker der Vereinfachung, nicht nur der öffentlichen Angelegenheiten, auch des Privatlebens. Seine Zweifel übersetzt er nicht in vorschnelle Antworten, sondern nutzt sie, um grundlegende Fragen aufzuwerfen: Woran ist eine Utopie zu erkennen? (37) So an die ›schwierige Freiheit‹ heranzugehen, macht unsicher, wenn man dabei die Liebe mitdenkt. Wie man es dreht und wendet, es bleibt immer auch ein utopischer Ansatz, Liebe als Beziehung zu leben. Niemand kommt um die beunruhigende Erkenntnis herum, dass gelebte Liebe bindet und eine Bindung nicht nur die anarchische Energie der Liebe domestiziert, sondern auch die Bewegung einschränkt. Die Entdeckung, dass die Liebe Grenzen setzt, muss aber nicht notwendigerweise so empfunden werden. Erwiderte Liebe ruft ein Gefühl von Freiheit hervor. Es kann sehr entlasten, zu spüren, dass man durch die Erwiderung ein Zuhause gewonnen hat, die Seele nicht mehr einsam schwebt.

Gray versteht es, mit vergleichbaren Doppeldeutigkeiten das eigentlich Utopische jeder Utopie aufzuzeigen. Die Unmöglichkeit einer Utopie zeigt sich nicht im Gedanken, sondern in seiner Umsetzung: Jeder Traum von einer Gesellschaft, aus der Zwang und Machtstrukturen für immer verbannt sind, ist – ob ihn nun Marxisten oder Anarchisten, Liberale oder Technokraten träumen – buchstäblich utopistisch. Er ist nirgends und nie umsetzbar, weil er unweigerlich an den unauflösbaren Widersprüchen zwischen den Bedürfnissen der Menschen scheitern würde. (38)

Der Graysche Apokalypsegedanke knüpft ein geistiges Band, das unterschiedliche historische Phänomene verbindet, und wahrscheinlich hilft die Aneignung dieses Gedankens dabei, sich nicht mehr ganz so schnell für beliebige Moden zu begeistern. Die persönlichen, liebgewonnen Utopien bleiben ebenfalls nicht davon verschont, und was das Beste daran ist: Es fühlt sich nicht schlecht an, ideologischen Ballast abzuwerfen.

Dennoch sitzt uns der absolute Anspruch der Liebe hartnäckig im Genick und konterkariert das eben Behauptete. Der Stoff ist wirksamer als jede durchdringende Erkenntnis. An der Liebe und an anderen Wiederholungen scheitert Grays Kritik der utopischen Unvernunft. Es ist mit der Liebe wie in der Mode und im Sport: Immer wieder dasselbe und dennoch wirkt die Suggestion, die kommende Saison werde besser als die letzte ausfallen, das nächste Mal werde es gelingen.

Mit der Liebe ist es aber in Wahrheit noch viel schlimmer. Sie wirkt nicht nur wie eine natürliche Droge oder Trance, die willfährig und ohnmächtig zugleich macht, sie wirkt sogar auf uns zurück, wenn wir uns ihr nicht überlassen. Ein Leben ohne die Liebe bleibt grau. Wenn also schon kein aufklärendes Kraut dagegen gewachsen ist, dann sollten wir wenigstens den Ehrgeiz besitzen, das Spiel gut, das heißt mit Leidenschaft und Bedacht, zu spielen. So bietet es wenigstens der Soziologe Peter Fuchs an, wenn er hinsichtlich der Liebe von dem entscheidenden Elixier spricht, das zur Konstruktion moderner Intimsysteme beiträgt. (Fuchs 2003) So denn: Faites vos jeux!

Leseempfehlung

Fuchs, P. (2003): Liebe, Sex und solche Sachen. UVK, Konstanz

Goethe, J. W. von (1998): Goethe Werke. Bd. 3, Insel, Frankfurt/M.