Lifestyle Toujours - Lars Distelhorst - E-Book

Lifestyle Toujours E-Book

Lars Distelhorst

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Beschreibung

Heute wird nicht einfach so, sondern mit Stil gelebt – Lifestyle eben. Dieser Stil bereitet vielen Menschen enormes Kopfzerbrechen, wie schon Google beweist, wo das Wort Lifestyle weit mehr Treffer erzielt als Begriffe wie Freiheit oder Demokratie. Mit dem Lifestyle geht ein verführerisches Versprechen einher: Freiheit im Anderssein. Wer mit Stil zu leben wisse, hebe sich ab von der mediokren Masse der immer gleichen Alltagsmenschen und erfahre gerade deswegen von allen Bewunderung. Doch was passiert, wenn plötzlich alle die Erfüllung dieses Versprechens einklagen und das Leben mit Stil zum allgegenwärtigen Trend wird? Wer ist anders, wenn alle anders sind, und ist Anderssein überhaupt so erstrebenswert? Wie könnte ein Anderssein aussehen, das seinen Namen verdient und vor allem: Anders als was könnte es sein? Glück kann gedacht werden als kurzfristiges Ereignis, als individuell definierter Zustand oder als philosophische Idee (Glückseligkeit). Diese Kategorien finden sich auch in den Texten dieses Bandes wieder. Philosophen unterschiedlichster Schulen, Glaubensrichtungen und Überzeugungen haben im Kontext ihrer Lebenszeit und Bezug nehmend auf andere Lehren und Meister niedergeschrieben, was sie für Glück halten. Mit Texten von Epiktet, Platon, Aristoteles, Epikur, Seneca, Descartes, Pascal, La Mettrie, Kant, Schiller, Fichte, Schopenhauer, Nietzsche und Scheler

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Lars Distelhorst

Lifestyle Toujours

Parodos

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

Taschenbuch: © Parodos Verlag Berlin 2008 ISBN 978-3-938880-23-4 Umschlagfoto: Daniel Harders Alle Rechte vorbehalten

E-Book: © Parodos Verlag Berlin 2023

Ein Begriff wie ein Fisch

Mit dem Leben ist das heute so eine Sache. Es ist schwerer geworden, womit hier bei aller Härte dieser Probleme nicht auf Arbeitslosigkeit, Hartz IV, Zukunftsangst, Ozonloch oder Kriegsgefahr angespielt werden soll. Es sind zwar schlechte Ausgangsbedingungen, denen sich ein heute gelebtes Leben in der einen oder anderen Weise zu stellen hat, doch aus Sicht des durchschnittlichen Bürgers einer westlichen Metropole machen selbige nicht unbedingt die Hauptprobleme seiner Existenz aus. Was das Leben so ungemein schwerer macht, als es früher war, ist die Frage, wie es gelebt werden soll. Sicher, das war schon immer eine Frage. Welchen Beruf ergreifen, heiraten oder nicht, Kinder kriegen oder Karriere machen, ein Haus bauen oder zur Miete wohnen – sicher waren das schon immer Fragen, von denen viele Menschen sich bedrängt fühlten, die ihnen schlaflose Nächte bereiteten, und sicher kamen auf den vielen Abzweigungen dieser verschiedenen Wege auch schon immer viele verschiedene, ja manchmal gar schillernde Biographien zustande. Doch heute hat sich etwas wesentlich verändert. Einfach nur eine Biographie zu schreiben, innerhalb der eingetretenen Pfade oder auch abseits von ihnen einfach nur sein Leben zu leben im Versuch, ein Stück vom Glück zu erhaschen, so abgedroschen dies auch bei näherer Betrachtung erscheinen mag, einfach nur auf dieser Spur unterwegs zu sein, reicht nicht mehr. Es hat sich eine wesentliche Frage dazugesellt und das ist die Frage des Stils. Wie auch immer wir heute leben, wichtig ist, dass wir es mit Stil tun. Das Leben ist nicht mehr einfach das Leben, sondern es verlangt danach, mit Stil gelebt zu werden.

Das Wort Stil weckt Assoziationen zur Kunst, wo es die spezifische Eigenart des Künstlers beschreibt, sich in malerischer oder schreibender Weise auszudrücken. Ein unbekanntes Bild von Van Gogh oder Picasso wird mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar ein Mensch erkennen, der in seinem sonstigen Leben nicht viel mit Kunst am Hut hat, ebenso wird er bei minimaler Kenntnis der Literatur in der Lage sein, zwischen Hemingway und Proust zu unterscheiden, auch wenn er von beiden vielleicht nur zehn Seiten in seinem Leben gelesen hat. Woran liegt das? Die Frage ist leicht zu beantworten: Es liegt an der Einzigartigkeit des jeweiligen künstlerischen Zur-Welt-Seins, die durch jede Faser Leinwand, jeden Buchstaben dieser Werke dringt, die sich in der Perspektive und der Haltung offenbart und so charakteristisch wie unverwechselbar ist. Eben das ist Stil. Wenn also vom Leben heute verlangt wird, es müsse Stil aufweisen, so bedeutet dies nichts weniger als dies: Es muss eine bestimmte Farbe haben, ein Gefühl, eine Einstellung verkörpern, Intensität aufweisen. Das Leben ist heute zum Objekt einer unendlichen Modellierung durch uns selbst geworden.

Mit Foucault ließe sich hier vielleicht einwerfen, das sei nichts Neues, schließlich seien schon die Griechen von einer massiven Sorge um sich selbst ergriffen gewesen und hätten penible Gebote entworfen, wie es etwa mit den Knaben zu halten und auf welche Weise der Oikos zu führen sei. Was also soll neu an der Stilisierung des heutigen Lebens sein? Neu ist die Art dieses Stils. Zielten die Griechen vor allem auf die Kontrolle des eigenen Selbst, geht es heute um etwas ganz Anderes. Als stilvoll gilt heute der, der stylish ist. Von einer intensiven Selbstsorge geprägt sind beide Begriffe, doch zielt der Stil auf die Haltung sich selbst und der Welt gegenüber ab, während stylish sein vor allem eine Bekundung des Up-to-date-Seins bedeutet, die Verkörperung des Zeitgeistes und die individuelle Positionierung in einer Moderne, als deren kunstvoll modellierte Abschattung sich der stylishe Mensch begreift. Style zu haben heißt aktuell zu sein, zu wissen, was geht, Hipness zu beweisen und dies alles in einer individuellen Ästhetisierung der Lebensführung klar und unmissverständlich nach außen zu bekunden. Wo sich der Stilvolle in seiner Selbstsorge nach innen wendet, richtet sich der Stylishe nach außen und äugt auf den Effekt, den er dort erzielt. An die Stelle des Lebensstils ist heute der Lifestyle getreten und vielleicht ist es dessen so stark nach außen gerichtete Dynamik, die verantwortlich für die Hysterie ist, die heute um das Wie des Lebens veranstaltet wird.

Lifestyle ist heute ein geflügeltes Wort. Kaum eine Illustrierte oder Zeitschrift, die nicht eine eigene Rubrik zu diesem Thema unterhält und ihre Leserschaft in regelmäßigem Takt darüber unterrichtet, welche neuen Werkzeuge ihr zur Verfügung stehen, um ihrem Style neue Nuancen hinzuzufügen. Was da angeboten wird, wirkt vollkommen heterogen. Es geht um Sex, Reisen, wer in Cannes was getragen hat, welcher Cellulite-Typ man ist, wo gerade ein superfuturistisches Gebäude gebaut wird, Autos, Telefone, Tätowierungen und vieles mehr. An dieser Stelle lohnt, eine Geschichte aus der Sesamstraße in Erinnerung zu rufen. Krümel hält eine Trompete, eine Trommel, eine Mundharmonika (auf jeden Fall waren es Musikinstrumente) und eine Banane ins Bild und fragt, welcher dieser Gegenstände nicht zu den anderen passt. Logisch, antwortet er seinem verdutzten Gegenüber, das die Banane als schnöde Frucht denunzierte, die Instrumente könne man alle essen, während die Banane sich bestens eigne, um Musik auf ihr zu machen. Die Antwort ist überraschend und hat Witz, sucht sie doch Gemeinsamkeiten, wo keine sind und subvertiert so die fest codierte Ordnung der alltäglichen Dinge. Gemeinsamkeiten lassen sich auch auf den Lifestyle-Seiten des Internets finden, doch bleiben hier sowohl die Überraschung als auch der Witz aus. Es gibt schlichtweg nichts, was aus diesen Seiten herausfallen könnte, da heute von der ersten Cellulitespur über Fellatio bis hin zu den individuellen Gehaltsvorstellungen alles eine Frage des Lifestyles ist. Sicher geht es ums Haben, darum, sich gewisse Dinge leisten zu können, doch eben nicht nur, und sicher geht es auch um die Frage des Seins, aber auch das nur zum Teil. Der Lifestyle hat sowohl das Sein als auch das Haben erobert. Für welchen der beiden Wege wir uns auch immer entscheiden mögen, auch wenn wir versuchen, zwischen beiden Ausgewogenheit herzustellen – Balance, wie es heute heißt –, es lastet doch der Druck auf uns, unsere jeweilige Entscheidung in einen entsprechenden Style zu kleiden, wenn wir nicht wie die letzten Dinosaurier dastehen wollen. Vom Lifestyle lässt sich bis zu diesem Punkt nichts anderes sagen, als dass er seinen Effekt im Außen erzielt und in seinen Erscheinungsformen plural genug daherkommt, um koextensiv mit dem Leben selbst zu sein. Philosophisch ausgedrückt hieße das, das Leben sei zu einem Immanenzfeld des Styles geworden.

Der gute alte Individualismus

Um Freud umzudrehen, ließe sich sagen: Wenn etwas derart entschlossen und feurig bejaht wird und dieses Etwas dazu noch so unbestimmt daherkommt wie das auf einer x-beliebigen Lifestyleseite zu findende Sammelsurium, dann geht es vielleicht weniger um die Sache selbst als um das, was durch ihre so entschlossene Affirmation verneint werden soll. Um zu bestimmen, worum es hierbei gehen könnte, lohnt ein kleiner Blick zurück in die Geschichte. 1895 schreibt Le Bon sein auch heute noch als Klassiker geltendes Buch über Massenpsychologie, Freud legt 1921 mit einer Schrift über das gleiche Thema nach, 1929 veröffentlicht Ortega y Gasset sein bis heute unvergessenes Werk über den Aufstand der Massen, Hitler und Stalin erscheinen auf der geschichtlichen Bühne und bedienen sich zur Realisierung ihrer Absichten in einer Weise der Massen, die keiner der gerade genannten Theoretiker sich zu dieser Zeit hätte vorstellen können. Der totalitären Herrschaft folgt auf den ersten Blick die Demokratie, doch noch 1970 gibt Hannah Arendt in ihrer kleinen Schrift über Macht und Gewalt zu bedenken, die heutigen Gesellschaften seien weniger demo- als vielmehr bürokratisch und tendierten dazu, das Handeln zu unterbinden und die Menschen zu einem Rad im Getriebe zu machen. Auch wenn in der gerade angesprochenen Zeit die politischen Systeme mehrmals wechselten und sich Weimarer Republik, spanische Militärdiktatur, Nationalsozialismus, Stalinismus, US-amerikanische und deutsche Demokratie natürlich wesentlich voneinander unterscheiden, ist der rote Faden dieser Zeit doch in der Drohung zu erkennen, von der politischen Entwicklung und der geschichtlichen Dynamik in ein so kleines wie unauffälliges Glied einer vollkommen uniformen Gesellschaft verwandelt zu werden. Das Wesen aller Staatsformen, die sich im 20ten Jahrhundert nördlich der Äquatorlinie etablierten, lag darin, ihre Bürger einander gleich zu machen und sie in ununterscheidbare Schafe einer sich endlos erstreckenden Herde zu verwandeln. So zumindest sahen das damals viele. Es folgten die 68er, Woodstock, diverse Subkulturen und mit ihnen setzte der Trend zum Individualismus ein, der noch vor kurzem in aller Munde war, wenn es darum ging, in intellektueller Manier über die neue Gefühlskälte der Gesellschaft zu dilettieren.