Like Sparks in Your Sky - Sarah Short - E-Book

Like Sparks in Your Sky E-Book

Sarah Short

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Beschreibung

**Kannst du deine Vergangenheit hinter dir lassen?**  In der Hoffnung auf einen Neubeginn zieht es Emilie kurz vor Weihnachten nach Nairn in die schottischen Highlands. Im alten Cottage ihrer Großmutter warten nicht nur Renovierungsarbeiten auf sie, sondern auch ein ziemlich frostiges Wiedersehen mit ihrem Jugendfreund Fin. Doch Emilie fühlt sich immer noch zu dem attraktiven Highlander hingezogen, und während sie ihm hilft den hoch verschuldeten Hof seines Großvaters zu retten, knistert es erneut zwischen ihnen. Die vielen gemeinsamen Stunden in den schneebedeckten Bergen lassen alte Gefühle aufleben, aber Fin kämpft verzweifelt dagegen an, denn er verschweigt Emilie ein dunkles Geheimnis ...  Lass dich von eisigen Wintertagen und romantischen Sternennächten in den schottischen Highlands verzaubern! //»Like Sparks in Your Sky« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.// 

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

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Sarah Short

Like Sparks in Your Sky

**Kannst du deine Vergangenheit hinter dir lassen?**

In der Hoffnung auf einen Neubeginn zieht es Emilie kurz vor Weihnachten nach Nairn in die schottischen Highlands. Im alten Cottage ihrer Großmutter warten nicht nur Renovierungsarbeiten auf sie, sondern auch ein ziemlich frostiges Wiedersehen mit ihrem Jugendfreund Fin. Doch Emilie fühlt sich immer noch zu dem attraktiven Highlander hingezogen, und während sie ihm hilft den hoch verschuldeten Hof seines Großvaters zu retten, knistert es erneut zwischen ihnen. Die vielen gemeinsamen Stunden in den schneebedeckten Bergen lassen alte Gefühle aufleben, aber Fin kämpft verzweifelt dagegen an, denn er verschweigt Emilie ein dunkles Geheimnis …

Wohin soll es gehen?

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Vita

Playlist

© privat

Sarah Short wurde 1985 in Heidelberg geboren. Zum Studieren zog sie zwanzig Jahre später nach Freiburg im Breisgau, wo sie noch heute mit ihrem Mann, ihren beiden Söhnen und zwei Kaninchen lebt. Neben dem Schreiben und ihrer Arbeit als Lehrerin verbringt sie gerne Zeit mit ihren vielen Büchern oder in der Natur; mal mit, mal ohne Pferd.

Vorbemerkung

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Sarah und das Impress-Team

Playlist

Lana del Rey – Dark Paradise

Manchester Orchestra – The Silence

Oasis – Stop Crying Your Heart Out

Eva Cassidy – Fields Of Gold

Kansas – Dust in the Wind

Wham – Last Christmas

The Beatles – Golden Slumbers

Sting – If I Ever Lose My Faith In You

John Lennon & The Plastic Ono Band – Merry Xmas

Queen – Thank God, It’s Christmas

Dean Martin – Let It Snow

Sara Bareilles & Ingrid Michaelson – Winter Song

King’s College Choir – In the Bleak Midwinter

Frankie goes to Hollywood – The Power Of Love

Oasis – Let There Be Love

Battlefield Band – Shepherds Lad

The Corries – Loch Lomond

Folksong – Greensleeves

Die Toten Hosen – Auld Lang Syne

Bill Withers – Lean on Me

The Beatles – And I Love Her

Prolog

Weihnachten 2013

Eisiger Meereswind fegt über meinen Kopf hinweg, als ich Finlay die Dünen hinunter bis an den Saum der Nordsee folge. Die salzige Luft peitscht mir ins Gesicht, winzige Sandkörner prasseln auf meine Haut, doch ich ziehe meine Schuhe und Strümpfe aus und renne juchzend in die rauschende Brandung. Es ist so kalt, dass es mir fast den Atem verschlägt. Finlay kickt mir lachend eine Ladung Wasser entgegen. Schreiend springe ich zur Seite. Er hat keine Angst vor den Fluten. Sein Vater ist Fischer und hat ihn während der gemeinsamen Fahrten aufs Meer hinaus abgehärtet.

»Los, Em, bis zu den Knien!«, fordert Finlay mich auf. »Nur echte Schotten gehen im Dezember ins Meer!«

Da ich zur Hälfte Deutsche bin, muss ich streng genommen nicht ins Wasser, aber ich würde niemals vor Finlay kneifen. Meine Füße werden bereits taub und meinen Waden ergeht es nicht besser, als ich zitternd weiter hineinwate. Außer ein paar kreischenden Möwen ist niemand hier. Die meisten Leute in Nairn sitzen mit vollen Bäuchen am Festtagstisch und genießen die Wärme ihrer Häuser und Wohnungen.

Die dunkelgrauen Wolken hängen so tief, dass es aussieht, als berührten sie weiter weg das Wasser. Noch einmal frischt der Wind auf. Schneeflocken rieseln herab, werden aber sofort verweht. Im Sommer liebe ich diesen Teil des Nairn Beach, doch selbst im Winter, wo er sich als ungezähmter, rauer Flecken Erde präsentiert, gefällt er mir.

Mit klappernden Zähnen verlasse ich vor Finlay das Wasser. Er tritt mir entgegen, eine feine Schicht Schnee auf seinen wilden dunkelbraunen Locken, die ihm bis über die Ohren reichen. Obwohl wir uns nur ein paar Mal im Jahr treffen, ist Finlay mein bester Freund. War er immer schon. Ich bin sein German Girl, seit er weiß, was das bedeutet.

Jetzt grinst er mich an. Seine Wangen sind von der Kälte gerötet und seine hellblauen Augen blitzen unternehmungslustig. Zu behaupten, dass ich ihn hübsch finde, ist untertrieben. Finlay ist der schönste Junge, den ich mir vorstellen kann. Zum Glück weiß er nicht, dass ich weit mehr für ihn empfinde als Freundschaft. Dass mein Bauch kribbelt, wenn er wie jetzt meine Hand ergreift und mich mit sich durch den feuchten, kalten Sand zieht.

Er ist vierzehn, ein knappes Jahr älter als ich, aber er wirkt auf mich viel reifer als ich mit meinem rotblonden Zopf, der unter meiner Strickmütze hervorschaut. Ich weiß nicht mehr, wann ich angefangen habe, Finlay anders anzusehen, ab wann ich ihn plötzlich als attraktiv bezeichnet und jedes Wort von ihm aufgesaugt habe wie ein Schwamm. Natürlich will ich auch viel sprechen, damit mein Gälisch nicht einrostet. Deshalb telefonieren wir sogar ab und zu, sobald ich zurück in Deutschland bin. Aber in Wirklichkeit will ich seine Stimme hören und wissen, dass er mich genauso vermisst wie ich ihn, mir vorstellen, dass ich längst nicht mehr Schwesternersatz und Kumpel bin.

Inmitten des ausgeblichenen Strandhafers setzen wir uns hin, um unsere Schuhe wieder anzuziehen.

»Schon nach Hause? Es ist noch nicht dunkel«, frage ich in der Hoffnung, die gemeinsame Zeit noch nicht beenden zu müssen. Finlays Lächeln lässt mein Herz schneller schlagen. Gut, dass er auch das nicht weiß.

Jedes Mal, wenn ich in den Flieger in mein anderes Leben steige, lasse ich einen Teil von mir in Nairn zurück. Bei Finlay, bei Grandma und Grandpa, an der rauen See.

Aber egal wie oft ich meine Eltern beknie herzuziehen und für immer in Schottland zu bleiben – sie wollen nicht. Mama liebt die Berge, die bayrischen Alpen, wo sie aufgewachsen ist, und Papa seinen gut bezahlten Job.

Ich verstehe ihre Gründe. Trotzdem nehme ich mir vor, eines Tages hierher zurückzukehren und nicht mehr wegzufahren.

»Lass uns noch ein bisschen nach Strandgut suchen«, schlägt Finlay vor. »Nach dem Sturm letzte Nacht ist bestimmt einiges angespült worden.«

Und das machen wir. Nebeneinander hergehend suchen wir den Sand nach Muscheln und Treibgut ab. Doch es ist mehr mein Freund, den ich ansehe.

Innerlich seufze ich, weil ich in einer Woche wieder fortmuss. Unvermittelt bleibt Finlay stehen und greift nach meinem Handgelenk. Der Wind hat seine Haare so sehr zerzaust, dass ich sie am liebsten mit den Fingern durchkämmen würde.

»Schreibst du mir, wenn du wieder zu Hause bist?«, fragt er.

»Mache ich. Aber zu Hause ist hier, Fin.«

Er umarmt mich. »Ich versuche auch, dir zu schreiben.«

Lieber telefoniert er, weil ihm Schreiben zu anstrengend ist. Genau wie Lesen.

Als hätte er meine Gedanken gehört, fügt er hinzu: »Wenn wir nachher wieder bei deinen Großeltern sind, kannst du mir weiter Harry Potter vorlesen?«

»Na klar«, stimme ich leichtherzig zu. Alles, was du willst.

Er macht sich los und springt davon. So ist er immer. Wie ein energiegeladener junger Hund. Oder wie die Pferde, die sein Großvater hält, wenn sie auf die Weide dürfen. Ich laufe ihm nach, breite die Arme aus und lasse den Wind durch meine Finger strömen.

Noch acht Tage.

1. Kapitel

September 2022

Wohin geht man, wenn man sich mit zweiundzwanzig so fühlt wie seine eigene Großmutter?

Denn meine Großmutter geht selten aus, trifft kaum jemanden und empfängt so gut wie nie Besuch.

Denn meine Großmutter ist Witwe. Wie ich.

Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt und seit fast einem Jahr verwitwet, ohne jemals verheiratet gewesen zu sein. Darauf kommt es nicht an. Ich musste den wichtigsten Menschen in meinem Leben begraben. Ich bin zweiundzwanzig und meine Zukunft liegt in Trümmern.

Erst allmählich schüttle ich die Lähmung ab, die mich seit Monaten im Griff hält. Ich mache neue Pläne, nein, hege Fluchtgedanken. Immer stärker wird das Gefühl, den Ort, die Menschen, die mich unablässig daran erinnern, was ich verloren habe, zu verlassen.

Doch wohin soll ich gehen? Wohin zieht mich mein gebrochenes Herz? Wo kann es endlich heilen? Zumindest gut genug, um wieder nach vorn zu blicken?

Aus den Lautsprechern meiner Anlage klingt leise The Silence von Manchester Orchestra. Der Song stößt etwas in mir an, gibt mir in diesem Moment den nötigen Impuls, um aufzustehen und in das Schlafzimmer zu gehen, das seit Björns Tod nicht mehr ist als ein zu groß geratener Kleiderschrank. Ich schlafe seit einem Jahr auf dem Sofa im Wohnzimmer. Mein Rücken findet das nicht toll, aber er hat nichts zu melden.

Ein Blick auf das akkurat gemachte, leicht staubige Bett lässt mich fest die Lippen zusammenpressen. Ich habe Björns Decke und sein Kissen seit jenem verhängnisvollen Tag nicht mehr angefasst. Habe Björns Lieblingstasse weggeworfen, seinem besten Freund Joachim die Comicsammlung vermacht und die Aftershave-Sammlung entsorgt. Doch Björn fehlt überall, in jedem Raum. Seine Nichtpräsenz ist so mächtig, dass ich seit einem Jahr zu wenig schlafe und zu oft glaube, innerlich zu ersticken. Dann sehe ich Björn leicht gebückt in der Küche am Herd stehen, zu groß für die niedrige Arbeitsfläche. Ich sehe ihn am Schreibtisch sitzen, hochgewachsen und strohblond – ein Wikinger mit Freude am Programmieren. Manchmal verfolgen mich die Erinnerungen derart, dass ich mitten in der Nacht das Haus verlasse, um ziellos herumzulaufen, bis ich mich beruhige.

Gleich nach Björns Tod hatte ich eine Trauertherapie begonnen, doch als ich nicht mehr ständig in Tränen ausbrach, hielt ich mich für stark genug, um aufzuhören. Ein Fehler. Doch ich sehne mich nach Veränderung. Das ist ein gutes Zeichen. Oder die endgültige Kapitulation. Wenn ich in mich hineinhorche, fühle ich mich mehr getrieben als in Aufbruchsstimmung.

Ich muss hier raus. Solange, bis ich nicht mehr weinen muss, wenn ich das unberührte Bett sehe, die falsche Schranktür geöffnet habe und mir die schwindenden Überreste von Björns Geruch entgegenschlagen. Oder wenn ich die gerahmten Fotos von ihm endlich wieder aufhängen kann, anstatt sie in einer Kiste auf dem Schrank zu verstecken. Hätte ich genügend Geld gehabt, wäre ich umgezogen. Aber so eine günstige Bleibe muss ich erst mal wieder finden.

Dieser Ort, diese Wohnung sperrt mich in meiner Trauer ein. Erst in den letzten Tagen habe ich das begriffen. Der Einzug des Herbstes macht mich dieses Jahr noch trübsinniger als sonst. Es wird das zweite Weihnachten ohne Björn sein. Das zweite Weihnachten voller Schuldgefühle, weil ich noch hier bin und mit meiner Familie feiern kann, während Björns Eltern allein sind. Aber auch Schuldgefühle, weil es Björn erwischt hat und nicht mich. Warum der Lkw in sein Auto rasen musste, als er ohne mich darin saß. Bis heute frage ich mich immer wieder, warum er Pech hatte und ich Glück. Ob es überhaupt einen Grund dafür gibt.

Ich will endlich raus aus diesen endlosen Gedankenspiralen, raus aus dieser Wohnung, aus der Taubheit, in die ich mich geflüchtet habe. Ich will nicht mehr hier sein.

Der graue Himmel vor dem Fenster verdunkelt sich immer mehr.

Als schwere Tropfen auf das Sims und gegen die Scheibe prasseln, erstarre ich mit einer Jeans über dem Arm. Es durchzuckt mich wie der Blitz, der den Himmel erhellt.

Es gibt einen Zufluchtsort: Großmutters kleines Haus in Nairn bei Inverness … an Schottlands Nordostküste.

Die schönsten und kältesten Urlaubserinnerungen sind untrennbar mit diesem Stück Heimat in der Ferne verknüpft. Dorthin müsste ich nichts mitnehmen als ein paar Koffer voller Kleider, Bücher und meinen Laptop.

Ein zartes Lächeln zupft an meinen Mundwinkeln. Die Jeans werfe ich auf den Kleiderstuhl neben dem Bett. Ich habe auf einmal viel zu organisieren. Ein Job und eine Mietwohnung wollen gekündigt, Flug- und Bahntickets gebucht werden. Unruhig laufe ich von einem Raum in den nächsten. Dass ich nicht eher darauf gekommen bin!

Ich habe mir nie eine Auszeit genommen, habe funktioniert und geglaubt, dass ich mein altes Leben zurückbekomme, wenn ich nur immer weitermache.

Jetzt steige ich aus. Grandma, die diese englische Anrede immer noch besser findet als das deutsche Oma, wird es am besten verstehen. Sie hat ihr Haus verlassen, um dem Geist meines Großvaters nicht mehr ständig begegnen zu müssen, und ist nach Deutschland in unsere Nähe gezogen. Nun werde ich dasselbe tun. Mit diesem Gedanken greife ich in meine hintere Hosentasche, um mein Smartphone herauszuholen. Ich spreche schottisches Gälisch mit ihr; das ist meine zweite Muttersprache neben Deutsch. Mein Englisch hat einen fürchterlichen schottischen Akzent, weshalb ich es als eher ausbaufähig betrachte.

Es knackt in der Leitung, als Grandma abhebt.

»Seanmhair? Ich bin’s, Emilie. Darf ich für eine Weile nach Schottland in dein Haus ziehen? Es steht doch noch leer, oder?«

2. Kapitel

November 2022

Ende November sind meine Koffer gepackt, die meisten meiner Möbel verkauft, verschenkt oder eingelagert und meine Stelle im Kindergarten habe ich gekündigt. Ich wundere mich immer noch über das Verständnis meiner Kolleginnen, meiner Chefin und meiner Familie, allen voran meiner Eltern und Grandma, aber auch meines neunzehnjährigen Bruders Ben, der gerade ein Studium in Berlin begonnen hat. Sie alle haben erkannt, dass ich mehr als eine Luftveränderung brauche, dass ich an einem neutraleren Ort die Teile von mir suchen muss, die ich in unserem kleinen bayrischen Dorf am Fuße der Alpen nicht mehr finden kann.

Mein Vater, über einen Meter neunzig groß und ein gutmütiges Lächeln in seinem überraschend jung gebliebenen Gesicht, bringt mich am 30. November zum Bahnhof, von wo aus ich mit dem Zug zum Frankfurter Flughafen fahre.

Die ganze Fahrt über reden wir wenig. Es ist alles gesagt und mehr, als mir Glück zu wünschen, kann er nicht. Doch ich sehe auch die Sorgenfalten auf seiner hohen Stirn und sein schmales Lächeln.

»Spuck’s schon aus, Dadaidh«, fordere ich ihn schließlich auf. Diese schottisch-gälische Bezeichnung für Papa benutze ich nur, wenn wir allein sind. Meine Mutter bevorzugt es, wenn wir Deutsch sprechen. Doch jetzt reden wir in seiner Muttersprache. Er fährt sich mit einer Hand über den kurzen Vollbart, dunkelbraun wie sein Haar. Meine Haarfarbe habe ich von ihm geerbt, die wellige Struktur allerdings von meiner Mutter. Von Dadaidh habe ich auch die blasse Haut ohne eine einzige Sommersprosse. Im Gegensatz zu vielen anderen hätte ich mich über die Farbtupfer gefreut.

»Hast du keine Angst, einsam zu sein?«

Ich rolle mit den Augen, allerdings in Richtung Seitenfenster, sodass er es nicht sehen kann. Er will nur das Beste für mich.

»Ich ziehe nicht in den Wald, sondern in einen Ort in der Nähe einer Großstadt. Meine Güte, du bist dort geboren und aufgewachsen. Es wird mir gefallen.«

Er brummt etwas Unverständliches, ehe er fragt: »Bist du sicher, dass wir dich nicht an Weihnachten besuchen sollen?«

»Ganz sicher. Das ist viel zu teuer, wenn ihr zu viert mit Oma kommt! Versteh doch, ich brauche dringend Abstand von all den Leuten, die mich tagtäglich entweder mitleidig oder vorsichtig anschauen und behandeln wie ein rohes Ei. Als warteten sie auf den nächsten Zusammenbruch. Es wird mir guttun, Menschen zu treffen, die keine Ahnung haben, was mir passiert ist. Oder die zumindest nicht die ganze Zeit dabei waren, während ich versucht habe, wieder auf die Füße zu kommen. Ich will atmen, Dadaidh!«

Er drückt kurz mein Knie. »Das verstehe ich doch. Du wirst nur so schrecklich weit weg sein. Wir werden das erste Weihnachten ohne dich feiern. Das ist eben ein bisschen seltsam.«

»Ich gehe in die Kirche. Das ist mir Feier genug dieses Jahr. Wir können auch während eurer Bescherung facetimen.«

»Das ist nicht dasselbe, aber eine gute Idee.« Er seufzt, ehe er das Thema wechselt: »Ist mit deiner neuen Stelle im Kindergarten alles geklärt?«

»Der Kindergarten gehört zur Grundschule in Nairn. Ich kann übernächste Woche anfangen, zum fünfzehnten Dezember. Zwar nur in Teilzeit, aber immerhin. Omas Kontakte sind Gold wert. Und du weißt ja, die Strukturen und Konzepte werden ein wenig anders sein als hier, aber Kinder sind überall gleich.« Zumal ich fließend Englisch und schottisches Gälisch spreche und mich dadurch ganz auf die pädagogischen und organisatorischen Aspekte konzentrieren kann.

Zum Vorstellungsgespräch im Oktober habe ich auch mein neues Zuhause in Augenschein genommen. Es kam mir vor, als hätte das Häuschen all die Jahre auf mich gewartet. Es stand schon da außer Frage, dass ich dorthin zurückmuss.

»Ich habe vor, ein bisschen was im Haus zu renovieren. Oma lässt mir freie Hand, hat sie gesagt.«

»Dann vergiss nicht, uns Fotos zu schicken, Emilie.« Er sagt es wie Emily, also so, wie es gedacht war. Manchmal hadere ich damit, dass meine Eltern sich nicht für die normale Schreibweise meines Namens mit y entschieden haben, sondern eine besondere wollten. Zumindest in Deutschland spricht mich jeder aus wie Ottilie, bis ich ihn verbessere.

***

Beide Flüge verliefen herrlich ereignislos. Keine Turbulenzen, keine Notlandung. Ich fliege nicht gern, ziehe eine kurze Flugreise aber einer schaukelnden Fahrt mit dem Schiff über die sturmgepeitschte Nordsee vor. Zwischen Oktober und Februar fahren nur Hartgesottene mit der Fähre. Ich gehöre sicher nicht dazu. Da es gerade keinen Nonstop-Flug von Frankfurt nach Inverness gegeben hatte, musste ich am Flughafen London City zwischenlanden, dann mit Sack und Pack nach London Heathrow fahren, um von dort aus das letzte Stück nach Inverness zu fliegen. Insgesamt war ich sechs Stunden unterwegs, bis ich endlich vor Grandmas alleinstehendem Haus am Rand von Nairn aus dem Taxi steige. Die nächsten Nachbarn befinden sich in mindestens dreihundert Metern Entfernung am Saum des Waldes.

Die letzten Jahre seit Grandmas Umzug sind meine Eltern einmal im Jahr hergekommen, ansonsten haben sich Bekannte ab und zu um das Haus gekümmert.

Als das Auto davonfährt, stehe ich einen Moment zwischen meinen Koffern und Taschen im Licht der untergehenden Sonne auf der einsamen Zufahrtsstraße und atme ganz tief ein. Die Luft schmeckt leicht salzig, denn das Meer ist nah. In den nächsten Tagen will ich unbedingt einen Strandspaziergang machen. Von hier aus sieht man es nicht, sondern nur den Wald und die grünen Hügel, die Vorboten der hohen Berge in den Highlands.

Doch jetzt will ich hineingehen. Also krame ich den Schlüssel aus meinem Rucksack, schleife zwei Koffer und eine schwere Reisetasche durch den überwucherten Vorgarten und mühe mich mit dem alten Schloss an der dunkelgrün lackierten Holztür ab. Dann endlich geht knarzend die Haustür auf. In der mit rotem Steinzeug ausgelegten Diele empfängt mich der Geruch von Staub, alten Mänteln und selbst Grandmas blumigem Parfum. Ich fühle mich augenblicklich daheim. Warum habe ich bloß so lange gewartet? Seit ich denken kann, habe ich Sehnsucht nach diesem Ort verspürt und jedes Mal weinen müssen, wenn wir abgereist sind. Nun kann ich bleiben.

Seit Monaten breitet sich wieder ein ehrliches Lächeln auf meinem Gesicht aus.

Ich bin … zu Hause.

3. Kapitel

Nach dem obligatorischen Bin-heil-angekommen-Anruf bei meiner Familie reiße ich sämtliche Fenster im Erdgeschoss und im ersten Stock auf, lasse das Wasser laufen, bis es nicht mehr braun aus der Leitung kommt, und schleppe mein Gepäck die Treppe hinauf in das Gästezimmer, das ich immer in den Ferien bewohnt habe. Allerdings will ich nicht dauerhaft darin schlafen. Es ist nämlich der kleinste Wohnraum von sechs im Haus.

Ich nehme noch einmal mein Handy, um Grandma anzurufen. Sie hat mir zwar ihr Okay für Veränderungen im Haus gegeben, aber ich will nicht alles allein entscheiden. Ihr altes Schlafzimmer umzugestalten, verlangt Fingerspitzengefühl.

Als ich aufgelegt habe, schaue ich aus dem Küchenfenster zur Straße in die Dunkelheit hinaus. Unter der einzigen Straßenlaterne am Haus steht eine hochgewachsene Gestalt. Ich erstarre mit dem Smartphone in der Hand. Die Person schaut zu mir herein in den spärlich beleuchteten Raum. Ich kann keine Details in ihrem Gesicht erkennen, aber ich bin mir auf einmal sicher, dass es Finlay ist. Spätestens als der bärtige Mann seine Kapuze herunternimmt und mir einmal zunickt. Sein dunkles, lockiges Haar ist unverwechselbar. Und obwohl er kantiger wirkt als früher, kann es niemand anders sein. Finlay schaut nach, ob ich gut angekommen bin. Mein Herz stolpert auf einmal.

Dann hält mich nichts mehr. Ich sprinte durch den Flur, reiße die Haustür auf und bleibe im eisigen Luftzug stehen.

Er ist weg. Ich hätte ihm wenigstens gern Hallo gesagt. Enttäuschung macht sich zusammen mit einem Hauch von Erleichterung in mir breit. Denn was ich weiter mit ihm reden sollte als ein Hallo, weiß ich nicht.

Frierend schlinge ich die Arme um meinen Oberkörper und starre noch einige Sekunden auf den Lichtkegel, in dem Finlay eben noch stand. Wo er jetzt wohl wohnt? Ob er wieder hier lebt? Wahrscheinlich besucht er nur seinen Großvater.

Fergus, Omas alter Schulfreund und Finlays Grandpa, freut sich vielleicht, wenn ich morgen bei ihm vorbeischaue. Langsam gehe ich ins Haus zurück. Ich sollte Finlay erklären, dass es gruselig ist, einer Frau vor ihrem Haus aufzulauern; besonders wenn sie allein ist. Außerdem ist es ziemlich unhöflich, nur zu nicken und dann abzuhauen.

Während ich aus meinen wenigen mitgebrachten Vorräten Spaghetti mit Tomatensoße zaubere, erlaube ich meinem Kopf, alle Erinnerungen hervorzukramen. Die rote Soße, in der ich rühre, verschwimmt immer wieder vor meinen Augen.

Alles, was ich sehe, ist Finlay. Der lachende, jungenhafte Finlay, an den ich mich erinnere, und der ernste, schweigsame Finlay, der vor dem Haus auftauchte und nicht einmal an der Tür läuten wollte. Aber er hat nach mir gesehen. Vielleicht hat Fergus ihn geschickt, er wusste nämlich, dass ich heute ankomme? Oder Finlay ist aus eigenem Antrieb gekommen …? Dann hätte er aber doch mit mir sprechen müssen.

Bis zum Schlafengehen schaffe ich es nicht, mich von den Gedanken zu befreien. Das Kapitel Finlay war längst abgeschlossen. Vor Jahren schon, nachdem kein Brief und kein Anruf mehr gekommen waren, nicht einmal mehr eine SMS. Ich hatte mich damit abgefunden, meinen besten Freund, den Hafen in der Ferne, verloren zu haben.

Doch jetzt ist er hier. Ich könnte zu ihm gehen, mit ihm reden, ihn fragen, wie es ihm ergangen ist. Und warum er mich so viel leichter vergessen konnte als ich ihn. Ich schüttle unwillig den Kopf. Nein, damit darf ich ihn nicht sofort konfrontieren. Ich verstehe nicht, wie mich die kurze Fast-Begegnung mit ihm dermaßen aufwühlen kann.

Fergus. Ich werde zuerst Fergus nach seinem Enkel fragen.

Draußen wird der Wind stürmischer. Er rüttelt an den Fensterläden und heult ums Haus. Doch ich fürchte mich nicht. Mir hat dieses Geräusch gefehlt, das Gefühl, warm und geborgen zu sein, an dem Ort, nach dem ich mich so lange gesehnt habe.

Mit diesem guten Gedanken drehe ich mich endlich auf die Seite und überlasse mich dem Schlaf.

***

Am nächsten Morgen wache ich früher auf als gedacht. Es dämmert draußen, als ich im Morgenmantel in die Küche hinunterschlurfe, um Tee zu kochen. Da es regnet und überhaupt ziemlich düster ist, bleibe ich drinnen und arbeite im Haus.

Bis kurz vor Mittag habe ich alle Kleider ausgepackt und in den leeren Schrank in Omas Schlafzimmer geräumt, das Bad geputzt und überall Staub gesaugt. Der Regen macht eine Pause, sodass ich gründlich lüften kann, ohne einen nassen Fußboden zu riskieren. Das würde dem schönen Dielenboden gar nicht guttun.

Nach den Resten der Spaghetti vom Abendessen ziehe ich meinen Mantel an, um in der Garage nach Großvaters uraltem Landrover zu sehen. Er ist immer zuverlässig gefahren, aber jetzt stand er eine ganze Weile, wenn Fergus nicht danach gesehen hat. Ich brauche das Auto zum Einkaufen und um in dieser ländlichen Gegend mobil zu sein. Es gibt zwar öffentliche Verkehrsmittel, auch einen Zug, mit dem man schnell in Inverness ist, aber ich will unabhängig sein.

In der Garage riecht es nach Motoröl, Benzin und alten Reifen, die hier in zwei Stapeln lagern. Im Landrover selbst wird der Benzingeruch stärker, jedoch erahne ich noch die Pfefferminzbonbons, die Grandpa immer gelutscht hat.

Natürlich springt der Wagen nicht an. Ich bekomme nicht mal ein Ächzen von ihm. Die Batterie ist sicher total leer.

Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und rufe Fergus an. So habe ich mir unser erstes Treffen nach all der Zeit nicht vorgestellt.

»Hallo, Fergus, hier ist Emilie.«

»Emilie! Wie geht es dir? Bist du gut angekommen in Nairn?«, grollt seine tiefe, ruhige Stimme aus dem Smartphone.

Ich lächle.

»Es geht mir gut. Allerdings wollte ich gerade einkaufen gehen und der Wagen springt nicht an.«

»Schön, dass du hier bist! Komm doch nachher vorbei, wenn du Zeit findest. Ich schicke dir Fin. Er kann nachsehen, was mit dem Auto los ist. Wenn es kaputt ist, repariert er es dir bestimmt.«

»Das ist nicht nötig«, wehre ich ab.

Fergus kann Finlay nicht einfach so zwingen, sich mit mir abzugeben und auch noch für mich zu arbeiten. Es ist nicht mehr wie früher. Das hat mir seine Aktion vor meinem Haus allzu deutlich gezeigt. Das muss Fergus verstehen. »Ich bringe es in die Werkstatt, wenn es kaputt ist. Ich will Finlay nicht so viel Arbeit machen.« Im Halbdunkel der Garage betrachte ich die Steine der grob gemauerten Wand und fahre die kühle Lederverkleidung des Lenkrads mit dem Zeigefinger nach.

»Mach dich nicht lächerlich, Emmi.«

Emmi. Niemand außer Fergus nennt mich so. Fast werde ich sentimental. Aber nur fast.

»Emmi wird sich um ihren eigenen Kram kümmern. Ich dachte nur, du könntest mir helfen, nicht Finlay. Weißt du, wir haben seit beinahe sechs Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt. Kannst du uns diese Peinlichkeit nicht ersparen?«

Er lacht. »Ihr seid beide erwachsen. Stell dich nicht so an. Fin war dein bester Freund. Er kann sich ruhig dein Auto ansehen, nachdem du so viele Schularbeiten für ihn erledigt hast.«

Das hatte ich verdrängt. Plötzlich stürmen die Erinnerungen auf mich ein. Finlay und ich auf dem Fußboden in Grandmas Gästezimmer über Englischbüchern und Matheformeln, zusammen auf meinem Bett, während ich ihm vorlese, bis er wegdöst. Nicht einmal mit meiner Freundin Lisa ist es je so gewesen wie mit Finlay. Doch sie ist geblieben, während Finlay sich von mir abgewandt hat.

Überfordert schließe ich die Augen.

Ich werde gleich Finlay treffen, mit ihm reden. In meinem Bauch summt es seltsam. Ich begreife, dass es vor allem Angst ist. Er will gar nichts mehr mit mir zu tun haben. Was, wenn er all die schönen Erinnerungen zerstört? Wenn mein Fin endgültig verschwunden ist? Gestern hat er mich nicht treffen wollen. Warum sollte es heute anders sein? Ich bin so in meinen Gedanken gefangen, dass ich den Rest von Fergus‘ Antwort nicht verstehe.

»Wie bitte?«, frage ich nach.

»Ich sagte, Fin ist in zehn Minuten bei dir. Komm später zum Tee, Emmi. Ich freue mich sehr, dass du hier bist.«

»Ich freue mich auch«, flüstere ich. Obwohl Freude gerade das Letzte ist, was ich empfinde.

Meine Finger zittern, als ich das Smartphone neben mich auf den Beifahrersitz lege und die Tür öffne. Um mich zu beschäftigen und meine Nervosität zu dämpfen, suche ich in Grandpas vollgestopftem Werkzeugschrank nach einer Taschenlampe. Finlay soll ja schließlich im Motorraum etwas erkennen können.

Unter einem Häufchen mit ölverschmierten Putzlumpen finde ich eine große Maglite, die sogar noch funktioniert. Allerdings erlischt ihr schwaches Licht nach wenigen Sekunden. Seufzend krame ich in einer Schublade voller Schrauben und Autobirnchen nach Batterien. Draußen geht ein Regenschauer nieder. Die Tropfen prasseln auf das Garagendach und die geteerte Auffahrt.

Ich lasse die Batterien fallen, als ein Wagen mit grollendem Motor vor der Garage zum Stehen kommt. Sie rollen unter den Landrover.

»Mist«, sage ich zu mir selbst und krieche halb unter das Auto, um sie aufzuheben.

»Emilie? Bist du hier drin?«

Mir stellen sich sämtliche Körperhärchen auf. Oh, mein Gott. Es ist eindeutig Finlays Stimme, aber sie ist ein wenig tiefer, als ich sie in Erinnerung habe. Und ich krabble dabei auf dem staubigen Boden herum und strecke Fin meinen Hintern entgegen. Nein, nicht Fin. Finlay. Er hat mich Emilie genannt und nicht Em wie früher. Ich rapple mich auf und stehe einem Riesen gegenüber. Finlay war immer größer als ich, aber er ist um einiges kräftiger als mit siebzehn. Er verdeckt einen Teil des fahlen Lichts, das durch das Garagentor hereinfällt. Mein Magen zieht sich unter dem finsteren Blick zusammen, der mich trifft. Finlay hat alles Weiche, Zarte verloren. Da sind nur noch seine unbändigen Locken und seine hellen Augen, die an den Jungen erinnern, den ich kannte. Aber er ist immer noch schön. Mir stockt der Atem, als ich ihm endlich in die Augen schaue. Sein Blick ist verschlossen wie sein ganzes Gesicht.

»Hallo«, sage ich so cool wie möglich.

»Was ist mit dem Wagen?«

Autsch. Kein »Wie geht es dir?«, kein »Was hast du so getrieben?«. Dennoch lausche ich dem schottischen Gälisch nach, das er spricht. Wäre ich nicht mit dieser Sprache aufgewachsen, wäre ich unfähig, sie gut genug zu erlernen. »Ähm … keine Ahnung. Ich glaube, die Batterie ist leer«, erwidere ich.

Er brummt anstelle einer Antwort und geht um mich herum, ohne mich zu berühren. Erneut krampft sich mein Magen zusammen. Was hatte ich erwartet? Dass er mir freudestrahlend um den Hals fällt? Die Realität ist hart und ätzend. Wenn jemand das weiß, dann ich.

Ich beobachte Finlay in seinen schmutzigen, aber gut sitzenden Jeans und dem dicken braunen Wollpullover, an dem Pferdehaare und ein paar Strohhalme hängen. Er öffnet erst die Motorhaube und geht dann zu seinem schlammverspritzten Geländewagen hinüber, um Überbrückungskabel zu holen. Mit meinem Haarknoten, dem ordentlichen dunkelblauen Baumwollkleid unter dem grauen Wollmantel, den schwarzen Leggings und meinen hellbraunen Stiefeletten bildet mein Bibliothekarinnenaufzug einen starken Kontrast zu Finlays, der förmlich nach harter, körperlicher Arbeit schreit.

Schweigend gibt er mir Starthilfe, dann erwacht der Motor des Landrovers dröhnend zum Leben. Die Spritanzeige empfiehlt mir, bald eine Tankstelle aufzusuchen.

»Hast du den Ölstand kontrolliert?«, grummelt Finlay über das Grollen des Motors hinweg.

Ich schrecke zusammen, weil er plötzlich direkt neben mir am Fahrerfenster steht.

Ich fasse den Schlüssel an, um den Motor abzustellen, als Finlays große Hand vorschnellt, um mich daran zu hindern.

Er knurrt mehr, als dass er spricht: »Lass um Himmels willen den Motor laufen, sonst muss ich dich anschieben! Du solltest so bald wie möglich eine neue Batterie einbauen. Jetzt reicht es vielleicht, wenn du ein wenig herumfährst. Gib mir mal ein Taschentuch, ich sehe nach dem Öl.«

Verdammt, ich hasse es, wie er mit mir umgeht. Und besonders hasse ich es, dass mich sein Knurren irgendwie anmacht. Geht’s noch, Emilie?

Ich gebe ihm ein Papiertaschentuch aus dem Handschuhfach und steige aus. In der Garage stinkt es mittlerweile furchtbar nach Abgasen.

Finlay weiß im Gegensatz zu mir, was er tut. Seine Stirn legt sich in Falten, als er das schwarze Öl auf dem Messstab begutachtet.

»Du brauchst dringend einen Ölwechsel«, sagt er. »Komm nach dem Einkaufen zu Gudesire, ich mache das schnell. Er lädt dich sowieso zum Tee ein.« Er klingt, als würde ihm das nicht passen. Mir fällt wieder ein, dass Finlay seinen Großvater selten Grandpa nennt.

»Ich weiß. Danke, Finlay.« Warum bist du gestern Abend nicht zu mir gekommen?

Ich bin kurz davor, ihn danach zu fragen, da klappt die Motorhaube schon wieder zu und er verlässt mit schnellen Schritten die Garage. Grußlos fährt er davon.

Geistesabwesend streichle ich mit dem Zeigefinger über den kühlen Lack des Autos. Wenn ich nur wüsste, was ich Finlay getan habe … Sosehr er mich auch irritiert, er holt mich äußerst effektiv aus meiner Lethargie. Ich kann es mir gleich eingestehen, dass er das noch viel besser kann als die gute schottische Luft und die vertraute Umgebung.

Grübelnd steige ich in den Landrover und steuere ihn vorsichtig in Richtung Nairn. Auf der linken Straßenseite zu fahren, ist mehr als gewöhnungsbedürftig. Vermutlich bin ich ein richtiges Verkehrshindernis. Zum Glück ist nicht viel los. Und zum Glück muss ich mich so sehr konzentrieren, nirgendwo falsch abzubiegen oder versehentlich auf die Gegenfahrbahn zu geraten, dass ich bis zum Supermarkt nicht mehr über Finlays abweisendes Verhalten nachdenken kann. Oder über seinen ansehnlichen Hintern in der abgerissenen Jeans. Der geht mich nun wirklich nichts mehr an.

4. Kapitel

Wintertage in Nairn sind kurz. Die Abenddämmerung senkt sich herab, als ich die wenigen Minuten durch Regen und starken Wind zu Fergus fahre. Niemals würde ich bei dem Wetter zu Fuß im Dunkeln an der Landstraße entlanglaufen. Umbringen will ich mich nicht. Zumal Finlay meinen Wagen braucht. Allerdings habe ich ein schlechtes Gewissen, weil er jetzt noch einen Ölwechsel machen will. Er steht sicher früh auf und wird alles tun, was Fergus aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht mehr kann.

Auf dem Hof sieht es auf den ersten Blick chaotisch aus. Zwei halb zerlegte Traktoren begrüßen einen an der Hofeinfahrt, daneben befindet sich ein großer, dampfender Misthaufen und ein baufälliger Werkzeugschuppen. An das steinerne Wohnhaus schließen sich an der Vorderseite direkt eine hohe Scheune und ein Stall an. Alles wirkt renovierungsbedürftig. Aus dem Haus und dem Stallgebäude scheint warmes Licht. Ich denke daran, wie oft ich als Kind hier gewesen bin, Fergus‘ Pferde geputzt und gefüttert habe, wie er mit Finlay und mir Kutsche gefahren ist oder wir reiten durften.

Auf einmal fällt alle Unsicherheit wegen Finlay von mir ab und ich kann es kaum erwarten, zu Fergus ins Haus zu kommen. Ich habe ihn so lange nicht mehr gesehen. Da ist Freude in meinem Herzen. Echte Freude, keine vorgetäuschte.

Noch bevor ich richtig ausgestiegen bin, stürmen vier riesige Kaltblüter an meinem Wagen vorbei. Ihre Hufeisen klappern auf dem Pflaster. Lächelnd sehe ich zu, wie sie tropfnass vom Regen im Stall verschwinden, wo ihr Futter auf sie wartet.

Finlay trottet hinterher. Er würdigt mich keines Blickes, sondern geht schnurstracks in den Pferdestall, um die Boxentüren zu schließen und das Licht auszumachen.

Ich folge ihm zum Haus. Das rissige, unebene Pflaster des Hofes ist mit tiefen Pfützen übersät, die ich hüpfend umgehe.

Ich hätte besser Grandmas Gummistiefel angezogen.

An der Tür empfängt mich ein lächelnder Fergus. Er riecht nach Holzfeuer, Pfeifentabak und Pferdestall. Mir schießen Tränen in die Augen, als er sich herunterbeugt, mich fest in seine starken Arme nimmt und an sich drückt.

»Emmi!«, brummt er in mein langes Haar.

Durch die Feuchtigkeit kringelt es sich um mein Gesicht.

Ich kann nicht sprechen. Ich kämpfe mit dem Kloß in meinem Hals. Wer hätte gedacht, dass ich Fergus so vermisst habe?

Verschämt wische ich mir ein paar Tränen ab und löse mich von ihm.

»Hallo, Fergus. Danke, dass du mich eingeladen hast.«

»Du hättest auch ohne Einladung kommen können, Emmi. Du bist immer willkommen hier.«

»Das ist lieb von dir. Schön, dich zu sehen.«

Er zieht mich an der Hand über die Schwelle. Wärme schlägt mir entgegen. Ich begrüße sie nach der feuchten Kälte dort draußen. Einen Moment mustern Fergus und ich uns gegenseitig. Er hat sich kaum verändert, nur seine Haare sind etwas lichter und weißer geworden. Seine blauen Augen strahlen genauso viel Lebendigkeit aus wie früher und sein wettergegerbtes Gesicht hat die gleichen Lachfalten. Selbst den grauen Dreitagebart trägt er noch. Er ist fast so groß wie sein Enkel und ähnlich breit gebaut, doch er wirkt gebeugter. Gicht hat seine Fingergelenke anschwellen lassen.

»Gut siehst du aus, Käferchen«, sagt er kurz darauf. Auch diesen Spitznamen benutzt nur er. Fergus bringt es fertig, dass ich mich sofort leichter fühle.

In der Küche mit den uralten Holzschränken und der knarzenden Eckbank sitzt Finlay am Tisch und schenkt gerade allen Tee ein.

»Ich trinke nur eine Tasse Tee, dann kümmere ich mich gleich um deinen Wagen«, sagt er ohne Begrüßung.

»Wie wäre es mit ›Latha mhath, Emilie?‹, du alter Stoffel?«, weist Fergus ihn zurecht und schüttelt den Kopf. Das bedeutet Guten Tag.

»Wir haben uns heute Mittag schon begrüßt, Fergus«, nehme ich Finlay in Schutz. Keine Ahnung, warum ich das tue. Wahrscheinlich ein alter Reflex. Kurz kneife ich die Augen zusammen und betrachte meinen früheren Freund. Was ist zwischen uns vorgefallen, dass ihm meine Gesellschaft so unangenehm ist? Auf die Schnelle kehre ich zu unserer letzten Begegnung zurück, im September 2017. Ich bin am nächsten Tag zurück nach Deutschland geflogen, weshalb wir uns bis spätabends am Strand herumtrieben und knutschten, als gäbe es kein Morgen. Was ja zu diesem Zeitpunkt auch den Tatsachen entsprach. Wir hatten damals keine Zukunft und jetzt traue ich mich nicht einmal zu hoffen, dass wir wieder Freunde werden könnten. Beide hatten wir schrecklichen Liebeskummer, das weiß ich von Grandma, aber ich schätze Finlay nicht so ein, dass er mir eine Trennung nachträgt, die ich nicht beeinflussen konnte. Niemals hätten meine Eltern mich bei meinen Großeltern leben und in Nairn zur Schule gehen lassen, obwohl ich sie mehr als einmal darum gebeten hatte. Ich hatte geplant, irgendwann zurückzukehren. Bis Finlay sich nicht mehr gemeldet hatte. Er hat mir bis zu meinem Entschluss im September keinen Grund gegeben, mein Leben in Deutschland aufzugeben. Nie im Leben würde Finlay mir daraus einen Strick drehen. Nicht nach so vielen Jahren Funkstille.

Er meidet meinen Blick, als ich mich ihm gegenüber auf die Eckbank fallen lasse. Fergus und ich bestreiten das Tischgespräch zu zweit. Es kommt mir vor, als würde eine Attrappe mit uns am Tisch sitzen, die finster in ihre Teetasse oder auf die Tischplatte starrt und nach dem letzten Schluck aufspringt, um aus der gemütlichen Küche zu flüchten. Ärgerlich versuche ich den dumpfen Schmerz abzuschütteln, weil Finlay lieber im eisigen Regen an meinem Auto herumschraubt, als sich mit mir in einem geschlossenen Raum aufzuhalten. Ich trinke weiter meinen Tee, während Fergus mir offen erzählt, wie schlecht es um seinen Hof steht. Augenblicklich vergesse ich Finlays Benehmen, als ich erkenne, wie traurig die wirtschaftliche Lage Grandmas alten Freund macht.

»Du hast also Schulden und weißt nicht, wie du die ganzen nötigen Reparaturen bezahlen sollst?«

»Genau. Fin hilft mir, wo er kann, aber er ist kein Dachdecker und der Stall muss dringend saniert werden. Dann fehlen wichtige Ersatzteile für die beiden Trecker. Wir bestellen den Acker nicht nur aus ökologischen Gründen mit den Pferden, ich habe schlicht und ergreifend seit einem Jahr keinen funktionierenden Traktor mehr. Ohne den kleinen Farmshop und die Kurse wäre totale Ebbe in der Kasse …«

»Was für Kurse denn?«, frage ich interessiert.

»In der landwirtschaftlichen Arbeit mit Pferden. Fin und ich zeigen Interessierten, wie man pflügt und eggt und mäht oder wie wir Holz rücken. Was für ein Glück, dass wir so viel Wald besitzen. Der Laden, die Kurse und das Holz halten uns über Wasser. Das bisschen Geld, das wir für die Landschaftspflege bekommen, ist nicht genug, um die Schulden zu tilgen.«

»Woher kommen denn die Schulden?«

»Durch viele blöde Zufälle und schlechte Entscheidungen. Ich musste letzten Winter Heu zukaufen, weil durch das undichte Stalldach ein paar Ballen geschimmelt sind. Dann kam die angefangene Reparatur der Traktoren, der gesunkene Holzpreis und zu wenige Touristen, die ich mit der Kutsche herumfahren konnte, hinzu. Aber am schlimmsten war meine Idee, mich an einem kleinen Fischereiunternehmen aus der Gegend zu beteiligen, das vor ein paar Monaten pleitegegangen ist. Mein ganzes Geld ist futsch. Fin werkelt hier umsonst, also nur für Kost und Logis. Jacob, meinen Helfer, musste ich entlassen, er arbeitet jetzt beim Getränkehandel.«

Ich unterdrücke alle Fragen zu Finlay. Ob er eine Wohnung hatte, die er für seinen Großvater aufgegeben hat, ob er seinen Job aufgegeben und was er überhaupt gemacht hat. Ich muss das im Moment nicht wissen. Was Fergus erzählt, hört sich grässlich an. Ich kann mir gut vorstellen, wie schwer es ihm gefallen sein muss, seinen langjährigen Mitarbeiter fortzuschicken, weil er ihm kein Gehalt mehr zahlen konnte. Ich habe Mitleid mit ihm und überlege fieberhaft, wie ich ihn unterstützen kann.

»Das ist doch ein Haufen Arbeit für zwei Leute«, sage ich. »Ihr versorgt die Pferde und die ganzen Hühner, bestellt ein riesiges Feld, geht in den Wald und veranstaltet diese Kurse. Habt ihr auch noch die Bienen und die Apfelbäume?«

Fergus nickt. »Im Farmshop verkaufen wir Äpfel, Honig, Eier und Hühnerfleisch und Birnen, solange der Vorrat reicht. Eine Freundin von mir backt auch Pies mit unseren Äpfeln. An dem Obst war sogar eine Schnapsbrennerei interessiert, aber ich hätte mehr Bäume pflanzen müssen und das ist mir zu viel Stress.«

Ich nicke.

»Wer verkauft denn im Laden?« Nach der Höhe der Schulden frage ich nicht. Hoffentlich sind sie nicht so hoch, dass Fergus die Farm verkaufen muss. Sie befindet sich seit vielen Generationen im Besitz der MacKays.

»Jessica, die Tochter von Pfarrer Almond, und ihre Mutter Shannon. Mary, die Granny, backt die Pies. Deine Grandma kennt sie auch. Natürlich haben wir nur stundenweise geöffnet, allein schon, weil Jessy noch zur Schule geht und Shannon im Pfarrbüro gebraucht wird. Außerdem zahlt die Kirche besser als ich.«

Etwas regt sich in mir … Der Wunsch mitzuhelfen, aktiv zu sein. Es hat erst einen Umzug und die offensichtliche Not eines lieben Menschen gebraucht, um mich richtig aufzuwecken. Ich will etwas tun.

Vor lauter plötzlichem Eifer kann ich kaum still sitzen.

»Ich könnte im Laden aushelfen. Aber ihr braucht mehr Touristen. Das bringt doch am meisten Geld ein, oder?«

»Das ist schon richtig, aber wie sollen wir das machen? Über die Stadtgrenzen von Nairn hinaus kennt uns kaum jemand. Wir kooperieren mit den Gasthäusern und Hotels in der Gegend. Sie bringen uns Gäste, die zum Beispiel eine Kutschfahrt buchen möchten.«

»Habt ihr eine Website? Und Flyer im Touristikbüro in Nairn? Schaufensterplakate?«

Fergus lächelt über meine sprudelnden Vorschläge. »Die Zielgruppe für die Kurse ist zu klein, Emilie. So viele Leute interessieren sich nun auch wieder nicht für dreckige Feldarbeit und Holzrücken. Am besten gehen noch die Kutschfahrten am Strand und durch Nairn. Aber für Hochzeiten werde ich nur im Sommer gebucht.«

Da muss doch was zu machen sein! Aufgeregt rutsche ich auf meinem Stuhl herum. »Wem verkauft ihr eure Gerste? Immerhin ist sie biologisch erzeugt.«

Fergus nickt bedächtig. »Die geht an eine Ökobrauerei in Munlochy. Fin hat das vor Kurzem erst aufgetan. Die erste Ernte hat uns einen guten Preis eingebracht. Das Gästehaus hinter der Scheune müsste allerdings dringend renoviert werden, wenn wir mehr Leute anlocken wollen. Da wurde außer Glühbirnen und den Wasserleitungen seit den Siebzigern nichts mehr ausgetauscht oder erneuert.«

Ich grinse. »Also eher rustikal. Das können wir aber aufhübschen und als Übernachten mit Retro-Charme vermarkten.«

Fergus lächelt in seine Teetasse. »Ich dachte, du bist Kindergärtnerin?«

»Das bin ich auch. Aber das bedeutet nicht, dass ich keine anderen Fähigkeiten habe.« Eigentlich wurde ich eher aus der Not heraus Erzieherin, weil ich nicht studieren wollte und Kinder liebe. Mir ist einfach nichts Besseres eingefallen. Ziemlich armselig, aber so ist es. Mir gefällt die Arbeit, auch wenn sie oft anstrengend ist. Aber Fergus‘ ganze Probleme mit der Farm wecken die Lust in mir, mich in andere Gefilde vorzuwagen. Als Kind und Jugendliche war ich gern hier und habe bei allem mitgearbeitet, was so angefallen ist, ob die Apfelernte oder das Hühnerfüttern. Wenn ich nicht Geld bräuchte, um Strom, Wasser und Essen zu bezahlen, würde ich gleich morgen auf der Farm anfangen.

Mein Zeigefinger fährt über die Rillen und Macken an dem abgewohnten Holztisch. Immer wenn ich nachdenke oder mich konzentrieren muss, betaste ich meine Umgebung. Ein Tick, den ich gar nicht loswerden will.

Wenn Grandma hier wäre, würde sie sofort die Ärmel hochkrempeln und loslegen, ihrem Freund unter die Arme zu greifen. Aber sie ist nicht da. Also ist es an mir.

Fergus sieht mich ernst an.

»Ich will nicht sagen, dass ich deine Ideen schlecht finde. Sie sind sogar sehr gut. Fin hat auch viele Ideen, aber keiner von uns findet den Mut oder überhaupt die Zeit, sie umzusetzen. Wir fangen vor Tagesanbruch an zu arbeiten und hören auf, wenn es dunkel wird. Ich würde mich freuen, wenn du ein paar Dinge aufschreiben und zusammen mit Fin und mir einen Plan ausarbeiten würdest. Aber das ist kein Muss, nur eine höfliche Bitte.«

»Sehr gern, Fergus«, entgegne ich lächelnd. »Mein neuer Job im Kindergarten ist nur in Teilzeit. Ich sitze nicht gern untätig in Grandmas Haus herum.« Und fange am Ende noch an, wieder viel zu oft über meinen Verlust nachzudenken.

Wir plaudern noch ein wenig über meine Familie in Deutschland. Björn brauche ich nicht zu erwähnen, Fergus weiß Bescheid, denn er schüttelt den Kopf, als ich ansetze, vom Tod meines Lebensgefährten zu berichten. Erleichtert erzähle ich ihm von meinen Renovierungsplänen für Grandmas Cottage und mache mir im Kopf eine Notiz, einen Teil des Budgets für das Gästehaus bei Fergus beiseitezulegen. Die meisten Möbel meiner Großeltern sind schön genug, um bleiben zu dürfen. Es geht mehr um die dunklen Holzvertäfelungen, die einfach nicht mehr in Mode sind, um die geblümte Tapete im Schlafzimmer und die grenzwertigen karierten Vorhänge in allen Räumen. Mehr braucht es nicht, damit das Häuschen ein bisschen moderner wirkt und trotzdem sein gemütliches Flair behält. Das wird mit Fergus‘ Gästezimmern auch möglich sein.

»Können wir einen Rundgang machen? Dann kann ich mir alles besser vorstellen.«

»Es hat sich nichts verändert seit deinem letzten Besuch. Es ist nur alles kaputter als früher. Aber komm, ich wollte ohnehin noch mal nach den Tieren sehen.«

***

Der Regen hat etwas nachgelassen. Jetzt nieselt es nur noch, als ich Fergus hinterherlaufe und mich bemühe, nicht im Schlamm zu versinken, der sich rund um den Hühnerstall gebildet hat. Meine Schuhe kann ich zu Hause erst mal putzen.

Die Hühner sind alle im Stall, die Pferde ebenfalls. Beim Betreten des dunklen Gebäudes atme ich tief ein. Es riecht nach Heu und nach Pferd. Das Kauen und gelegentliche Schnauben sind beruhigende Geräusche. Fergus leuchtet mit einer kleinen Stalllaterne in jede Box. Und jeder der vier Wallache sieht kurz von seinem Heu auf und streckt den Kopf in die Stallgasse. Ich streichle nacheinander die weichen Nüstern von Merlin, McAllister, Beagan und Kenneth. Merlin schnauft mich mit seinem warmen Atem an und kitzelt mich mit seiner Nase an der Hand. Er ist das einzige Pferd von früher, das noch hier ist. Die anderen waren schon sehr alt, als ich zuletzt hier war.

»Du willst immer einen Vierspänner zusammenkriegen?«, frage ich halb im Scherz. Die hochbeinigen und starken Clydesdales wirken nicht nur vor einem mit Fässern beladenen Brauereiwagen beeindruckend. Fergus hält diese schottische Rasse, weil sie seiner Meinung nach die vielseitigsten Arbeitspferde hervorbringt. Er setzt sie zum Fahren, zur Wald- und zur Feldarbeit ein. Zumindest auf Merlin kann man zudem reiten. Ich habe große Lust, auch die anderen Pferde kennenzulernen.

»Wenn ich nicht so blank wäre, wäre jede Box in diesem Stall besetzt. Mein Großvater hatte nie weniger als acht Pferde.« Fergus sagt es, als würde er eine Niederlage eingestehen.

Ich streichle McAllister am Hals. Er ist weich und unter seinem dichten Winterfell ganz warm.

»Es ist vernünftig von dir, nur so viele Pferde zu halten, wie du dir leisten kannst. Wer weiß, vielleicht werden es eines Tages wieder acht sein. Oder sogar zehn.«

Meine Güte, selbst die Pferde haben mir gefehlt. Reitstunden in Deutschland können mit Ferien bei Fergus eindeutig nicht mithalten. Im Schein der Laterne sehe ich, dass auch die neuen Pferde allesamt Sabinoschecken sind wie Merlin. Das heißt, der größte Teil ihrer langen Beine und der üppige Fesselbehang sind weiß, der Rest des Körpers aber braun, bis auf die verschieden großen Blessen, die jeder der Wallache besitzt. Daran kann ich sie bald unterscheiden. Merlin hat durch sein Alter von bald fünfundzwanzig Jahren noch mehr weiße Haare am Kopf bekommen.

Nachdem wir alle Teile der Farm, einschließlich des in die Jahre gekommenen Gästehauses mit acht Zimmern aus dem Jahr 1974, besichtigt haben, führt unser letzter Weg in die an die Rückseite des Wohnhauses angebaute Werkstatt mit der Hebebühne, wo Finlay im Schein hässlicher Neonröhren unter meinem Auto liegt.