Sommerhimmel über der Toskana - Sarah Short - E-Book

Sommerhimmel über der Toskana E-Book

Sarah Short

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Beschreibung

Sommerlicher Liebesroman über Neuanfänge, die Liebe und Dolce Vita in der Toskana. Für alle Leser:innen von Ursi Breidenbach und Claudia Winter  »Wir liegen nebeneinander im trockenen Gras, um uns herum zirpen Heuschrecken und Zikaden. Durch die lichten Kronen der knorrigen, uralten Olivenbäume sehe ich das tiefe Blau des Himmels.«  Nach ihrem abgebrochenen Studium begleitet Mia Farisetti ihren Mann von Bayern in die Toskana, wo er in Pisa für ein Jahr einen Lehr- und Forschungsauftrag angenommen hat. Unter der italienischen Sonne will Mia den Kopf freikriegen, bis sie weiß, was sie mit ihrer Zukunft anfängt. Doch der Auslandsaufenthalt wird bald zur Belastungsprobe für die Beziehung, als Bruno sich zwischen Vorlesungen, der Habilitationsschrift und Ausgrabungen aufreibt und seine Frau zunehmend vernachlässigt. Mia wiederum findet sich rasch in der fremden Umgebung ein, nimmt dank ihrer guten Italienischkenntnisse einen Job an und knüpft neue Kontakte. Bald hat sie jedoch das Gefühl, dass ihre Ehe nur noch auf dem Papier existiert. Der Stuckateur Giovanni, in Wirklichkeit angehender Firmenerbe eines großen Bauunternehmens, hat einen größeren Anteil daran, als Mia zugeben will. 

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Covergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

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Epilog

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

1

Halb erleichtert, halb am Boden zerstört schließe ich die Tür des Studierendensekretariats hinter mir. In der Hand halte ich den Zettel, der mein Scheitern beweist.

Ich bin exmatrikuliert. Zwei Mal bin ich durch eine Abschlussklausur gefallen und habe damit über drei Jahre meines Lebens verschwendet.

Meine Eltern sagten es von Anfang an; Schuster bleib bei deinen Leisten, meinten sie immer. Und ich hasse es, dass sie recht behalten haben. Hektisch blinzle ich die Tränen weg, die in meinen Augen brennen, schlucke gegen den Kloß in meinem Hals an.

Meine Füße tragen mich ins nächste Gebäude des weitläufigen Campus, zum Büro meines Mannes. Doktor Bruno Farisetti, mit dem das Unheil seinen Lauf nahm. Nur wegen ihm hatte ich mich überhaupt für ein BWL-Studium eingeschrieben, für das ich dank meiner kaufmännischen Ausbildung zugelassen wurde.

Keine Ahnung, wie er darauf kam, dass ich ein Studium schaffen könnte. Meine Noten waren schon zu Beginn nicht überragend gewesen, ganz gleich, wie viel ich paukte, wie viele Tutorien ich besuchte. Langsam kriecht die Scham in mir empor. Meinen Eltern gegenüberzutreten und meine Niederlage einzugestehen ist eines, Bruno, dem aufstrebenden Archäologen, etwas ganz anderes. Meine Kehle ist ganz eng, als ich an seine Tür klopfe.

Er öffnet mir mit dem Telefon am Ohr. Abgelenkt von seinem Gespräch begreift er meine Stimmung nicht und weist mit der Hand auf einen der Stühle vor seinem ausladenden Eichenschreibtisch. Durch das hohe Fenster scheint die Junisonne herein und lässt Staubteilchen auf ihren Strahlen tanzen. Das vollgestopfte Büro unterscheidet sich kaum von dem Arbeitszimmer in unserer gemeinsamen Wohnung im Münchner Glockenbachviertel. Alles ist voller Bücher, Ordner und Steine, voller Tonscherben in Schaukästen und Papierstapel. Nach dem PVC-Geruch des Uniflurs riecht es hier nach vergilbtem Papier und Holz. Zusammen mit Brunos unaufdringlichem Aftershave beruhigt es mich sofort etwas.

Heute fühle ich mich so fehl am Platz wie damals vor vier Jahren, als ich mit meinen zwei Koffern bei Bruno einzog. Übrigens auch eine Entscheidung, die meine Eltern nicht gutheißen. Eigentlich akzeptieren sie Bruno bis heute nicht. Mein Vater bezeichnet uns als »ehrlich arbeitende Menschen«. Er selbst ist Schreiner, meine Mutter Einzelhandelskauffrau wie ich. Und dann komme ich eines Tages mit einem italienischen Doktoranden an. Als ich einundzwanzig wurde, heirateten wir. Ihm zuliebe habe ich neben der Arbeit einigermaßen Italienisch gelernt, begleitete ihn auch nach meiner Schicht im Baumarkt zu irgendwelchen Univeranstaltungen und tat die ganze Zeit so, als würde ich dazugehören. Tat ich nie. Sosehr ich versuche, mich anzupassen, ihm nachzueifern, Bruno lebt noch immer in einer anderen Welt als ich. Ich verstehe bis heute nicht, was er in mir sieht, warum er mich liebt. Wir sind so unterschiedlich, wie Menschen nur sein können. Und ich weigere mich, ihn als Prinzen zu sehen und mich als Aschenputtel. Ich hatte nie vor, nach oben zu heiraten, durch einen Mann einen höheren Status zu erlangen. Ich wollte es selbst schaffen, nachdem Bruno mir einen Weg gezeigt hatte. Es hat nicht funktioniert.

Meine Hände drücken die Exmatrikulationsbescheinigung so fest zusammen, dass das Papier knistert. Dabei muss ich sie für meine einmal magere Rente ordentlich abheften und darf sie nicht zerknüllen.

Endlich legt er auf, kommt um den Schreibtisch herum und nimmt mir das Papier aus der Hand.

»Es tut mir so leid, Mia. Ich weiß, dass du viel gelernt hast.«

Und schon wieder fühle ich mich wie eine seiner Studentinnen. Das freundliche Zureden kann er sich bei mir echt sparen. Doch ich weiß, dass ich nur wütend auf mich selbst bin. Weil ich dachte, ich könnte so sein wie er. Intelligent, erfolgreich, zu Höherem bestimmt. Ich hatte mir die ganze Zeit etwas vorgemacht. Ich gehöre hinter eine Kasse, nicht in einen Hörsaal. Wut und Traurigkeit ballen sich in meinem Innern zusammen.

Mein Seufzen verwandelt sich in ein leises Schluchzen. Da erkennt Bruno, dass ich seine Aufmerksamkeit dringender brauche als der Wisch vom Sekretariat. Mein Mann ist ein lieber Mensch, aber viel zu oft unbeholfen und begriffsstutzig, sobald es um Gefühle und überhaupt andere Menschen geht. Sein Kopf ist brillant und sein Herz das Einzige an ihm, dem ich etwas beibringen konnte. Vielleicht der einzige Grund, weshalb er mich nicht längst gegen eine Juniorprofessorin oder eine Doktorandin ausgetauscht hat.

»Du bist traurig«, stellt er das Offensichtliche fest. Ich verkneife mir einen sarkastischen Kommentar und kämpfe gegen die Tränen an. Weil er so hilflos neben dem Schreibtisch steht, gehe ich auf ihn zu und nehme ihn in den Arm. Ich brauche jetzt Zuwendung. Seine langen, für einen Bücherwurm erstaunlich starken Arme umschließen meinen schmalen Körper warm und sicher. Seine Nähe tut gut und tröstet mich ein kleines bisschen. Gegen die Scham, das Gefühl, nicht gut genug zu sein, hilft sie leider kaum. Bruno ist für einen Italiener recht hochgewachsen, jedenfalls größer als ich mit meinen ein Meter siebzig. In seine funkelnden dunklen Augen und seine dichten, schwarzen Haare habe ich mich mit meinen damals unbedarften achtzehn Jahren genauso verliebt wie in sein einnehmendes Lächeln. Gerade ist aber keinem von uns nach Lächeln zumute. Schweren Herzens gestehe ich mir ein, dass ich mit fünfundzwanzig in einer Sackgasse gelandet bin. Kein Uniabschluss, kein Job. Nicht einmal Kinder, was ich mir seit ein paar Jahren wünsche, wegen des Studiums und Brunos Weg in die Professur aber nach hinten geschoben habe.

Trotz der sommerlichen Temperaturen Ende Juni trägt Bruno ein hellbraunes Jackett über seinem marineblauen Hemd. Mein fröhliches, gelbes Sommerkleid, das so toll zu meinen kastanienbraunen Haaren passt, wirkt zu leichtherzig, zu jugendlich neben Brunos seriösem Outfit. Heute sehe ich wieder einmal überdeutlich, dass er neun Jahre älter ist als ich.

Vorsichtig streichelt er meinen angespannten Rücken. Ich lockere meinen Griff um ihn ein wenig. Er soll nicht denken, dass ich ihn als Rettungsanker benutze. Aber gerade fühle ich mich ermüdet. Ermüdet vom Kampf, Bruno und mir selbst etwas beweisen zu wollen. Wir sind nicht ebenbürtig. Und wir werden es niemals sein. Wo werde ich stehen, wenn er erst Professor ist? Ich bin mir sicher, dass er das schafft.

»Ich glaube, dir würde eine Pause guttun, etwas Abstand zu allem. Was meinst du, Mia?«, spricht er in meine finsteren Gedanken hinein, als hätte er sie gelesen.

»Das würde mir wirklich guttun«, gebe ich zu. »Aber ich muss mir so schnell wie möglich Arbeit suchen. Ich habe lange genug auf deine Kosten gelebt und studiert.«

Für die zum Glück niedrigen Semestergebühren habe ich einen Kredit aufgenommen, den ich auch bald abbezahlen muss. Ich wollte weder Bruno noch meine Eltern damit belasten. So viele Haushaltspflichten kann ich gar nicht übernehmen, um kein schlechtes Gewissen zu haben. Bruno versteht das nicht, er denkt, was das angeht, sehr traditionell. Aber ich bin kein italienisches Hausmütterchen und habe auch nicht vor, eines zu werden. Ob ich nun zu blöd zum Studieren bin oder nicht.

»Begleite mich nach Pisa«, schlägt er vor. »Gerade habe ich die Zusage bekommen, für meine Habilitation an der Scuola Normale Superiore zu lehren. Wir bekommen eine kleine Wohnung in der Nähe des Campus. Niemand fände es seltsam, wenn ich meine Frau mitnehme. Was sagt du?«

Er klingt so froh, so begeistert. Sein italienischer Akzent ist etwas stärker als sonst. Ich will nicht Nein sagen. Ich will ihn unterstützen. Es ist gerade das Letzte, was mir geblieben ist. Wenigstens einer von uns soll etwas erreichen.

Also nicke ich. »Ich komme gerne mit. Dann verschiebe ich die Jobsuche eben.«

Geradezu stürmisch küsst er mich auf den Mund. Innerlich lächle ich. Sonst ist er eher der reservierte Typ. Gar nicht so italienisch. Der Rest seiner Familie ist laut und offenherzig und im Pulk wirklich anstrengend. Auch wenn ich seine Eltern, seine Nonna und seine drei Schwestern mit ihren Familien alle mag. Sicher freut er sich darauf, sie etwas öfter zu besuchen, denn seine Eltern leben in einem Dorf irgendwo hinter Rom.

»Wann fahren wir?«, erkundige ich mich. Tatsächlich geht es mir besser. Meinen Mist hier kann ich erst einmal hinter mir lassen und habe ein Jahr Zeit, mich neu zu sortieren. Da kommt das Lächeln auch in meinem Gesicht an.

»In zwei Wochen. Wir werden ein Jahr lang fort sein. Lange genug, um unsere Wohnung unterzuvermieten.«

Niemand, der noch bei Sinnen ist, kündigt in München eine Wohnung mit tragbarem Mietpreis. Schon gar nicht im angesagten Glockenbachviertel. Wieder nicke ich. Auf einmal sieht die nahe Zukunft wieder etwas rosiger aus.

»Danke, dass du mich mitnimmst. Und dass du nicht sauer bist, weil ich schon wieder durch die Prüfung gefallen bin.«

Er runzelt die Stirn. »Du hast getan, was du konntest. Manchmal soll es eben nicht sein. Du bist trotzdem die beste Frau, die ich mir wünschen konnte. Du bist nicht weniger wert, bloß weil du eine Prüfung nicht bestanden hast.«

Wieder küsst er mich. Ich schlinge meine Arme fester um ihn. Bruno denkt nicht schlecht von mir. Das tue nur ich selbst.

Jetzt kommen mir erneut die Tränen. Ich liebe ihn. Aber ich bin völlig abhängig von ihm. Und ich hasse es, jemandem so ausgeliefert zu sein. Selbst wenn dieser Jemand mich liebt und mir einst das Versprechen gegeben hat, immer für mich da zu sein. Ich stehe in Brunos Schatten, seit wir uns kennen. Früher störte es mich nicht. Doch mittlerweile bin ich es leid, das hübsche, unselbstständige Anhängsel eines Mannes zu sein. Ich sehe es so deutlich vor mir wie nie zuvor. Wenn ich es in diesem Jahr in der Toskana nicht schaffe, aus Brunos Schatten herauszutreten, ist unsere Ehe genauso zum Scheitern verurteilt wie mein Studium.

2

Einen Tag vor der Abreise stehe ich im Hausflur meiner Eltern im Zentrum von Neuperlach. Sie wohnten schon vor meiner Geburt in dem in die Jahre gekommenen, achtzehnstöckigen Hochhaus. Ich hatte keine schlechte Kindheit, aber ich komme nicht mehr oft her. Zu sehr zerren die Diskussionen mit meinen Eltern an meinen Nerven. Doch heute muss ich sie besuchen und sie vor vollendete Tatsachen stellen. Unser Italienaufenthalt steht fest, die Koffer und Reisetaschen sind gepackt, die Ersatzschlüssel an unsere Zwischenmieter übergeben. Ich habe mich von meiner ehemaligen Kollegin und Freundin aus dem Baumarkt, Bettina, verabschiedet und meiner liebsten Kommilitonin Emma gebeichtet, dass sie nicht nur ohne mich zur Zeugnisverleihung gehen, sondern auch das nächste Jahr auf meine Gesellschaft verzichten muss. Allerdings haben beide versprochen, mich in Italien zu besuchen, worauf ich mich freue. Also steht mir nur noch eine Hürde bevor, die sich hinter der weißen Tür befindet.

Ruckelnd schließe ich auf. Sofort empfängt mich der Geruch nach frisch gekochten Kartoffeln, Fleisch und Rahmsoße. Gegen meinen Willen stellt sich ein heimeliges Gefühl ein, begleitet von Hunger. Ich liebe das Essen meiner Mutter, mehr als mein eigenes, obwohl ich behaupten kann, eine gute Köchin zu sein.

Mein Vater fängt mich im Flur ab und umarmt mich fest.

»Mia! Das hat aber gedauert, bis du wieder hergefunden hast! Wir wissen ja gar nicht mehr, wie du aussiehst.«

Gegen meinen Willen muss ich lachen. Papa übertreibt wie immer. Da erscheint auch meine Mutter hinter ihm, um mich zu begrüßen. So uneinig wir uns häufig sind, meine Eltern lieben mich und ich sie.

»Komm, das Essen ist fertig«, sagt Mama und zeigt auf das Ende des Flurs, wo sich das Esszimmer befindet. Ihre blonden, kurz geschnittenen Haare und rosa Gelnägel passen mit ihrer gewissen Flippigkeit wenig zu Papas dunklem Schnauzer und seiner Glatze. Viel renoviert haben meine Eltern nicht, seit ich vor über fünf Jahren auszog. Nur mein altes Kinderzimmer hat Mama in ein Näh- und Bügelzimmer verwandelt, das sie sich schon lange gewünscht hatte. Im Rest der engen Dreizimmerwohnung hängen noch dieselben weiß gestrichenen Raufasertapeten, stehen die gleichen dunklen Eichenmöbel, nur durchbrochen von helleren Sperrholzstücken, die aus reinem Geldmangel angeschafft worden waren.

Wir setzen uns an den runden Tisch vor dem Fenster am kleinen Balkon. Wie jedes Jahr hat Mama ihn mit Begonien und Geranien bepflanzt.

»Schön, dass du zum Essen kommst«, sagt Papa, während er sich Salzkartoffeln nimmt.

Ich beschließe, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Es wird nicht leichter, indem ich es vor mir herschiebe.

»Bruno und ich fahren morgen nach Pisa. Er hat dort eine Gastprofessur für ein Jahr angenommen. Ich möchte das Jahr mit ihm dort verbringen.«

Meine Mutter lässt das Besteck sinken und schaut mich konsterniert an. Doch es ist Papa, der hastig schluckt und entgegnet: »Du willst ein ganzes Jahr im Ausland verbringen? Was ist mit deinem Abschluss?«

Zeit für die nächste unangenehme Neuigkeit.

»Aus dem Bachelor wird nichts. Ich bin durch die letzte Prüfung geflogen.«

»Und das sagst du uns erst jetzt?«, ruft Mama. Ihre rosa geschminkten Lippen verziehen sich missbilligend.

»Es ändert nichts daran, ob ich es euch heute sage oder irgendwann. Ich bin exmatrikuliert und habe noch keinen neuen Job.«

»Und da fällt deinem tollen Bruno nichts Besseres ein, als dir noch ein Jahr zu stehlen, indem er dich mit nach Italien nimmt? Was wird mit deiner Rente, Mia? Was ist mit deinem Arbeitsleben?«

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Das Geschnetzelte in meinem Mund fühlt sich pappig an. Hastig schlucke ich es hinunter und spüle mit einem Schluck Sprudel nach.

»Auf ein Jahr mehr oder weniger kommt es doch nicht an. Ich werde sicher nicht hierbleiben und arbeiten, während mein Mann tausend Kilometer entfernt von mir lebt.«

»Ich verstehe immer noch nicht, wie du an den geraten konntest«, brummt Papa. Kurz ist nur das Klappern des Bestecks an den Porzellantellern zu hören.

»Suchst du dir wenigstens in Italien einen Job?«

Ich nicke. »Natürlich. Da kann ich auch mein Italienisch verbessern. Ihr habt selbst gesagt, dass Fremdsprachen nützlich sind.«

»In meiner Schreinerei komme ich mit Deutsch gut zurecht.«

Papa meint Deutsch, aber er spricht Bairisch. Ein Norddeutscher würde nicht einmal die Hälfte von dem verstehen, was er von sich gibt.

»Drei Jahre in den Sand gesetzt, für was, Mia?«, fängt Mama wieder an.

»Ich habe mich wirklich angestrengt. Aber es hat nicht gereicht. Es tut mir leid.«

»Du hättest gleich im Baumarkt bleiben sollen. Stattdessen hast du dir diese Flausen vom Studieren in den Kopf setzen lassen.«

Fing das schon wieder an! »Bitte nicht! Darüber haben wir genug diskutiert. So schön war es nicht im Baumarkt, dass ich diesem Job nachtrauern würde.«

»Er hat dir etwas zu essen auf den Tisch gebracht«, grummelt Papa. »Was wollt ihr jungen Leute heutzutage eigentlich? Arbeit bringt Geld, dadurch hat man ein Dach über dem Kopf, was zu beißen und Kleidung. Mehr ist das nicht. Niemand aus unserer Familie hat jemals studiert oder Abitur gemacht. Das ist was für Leute, die sich zu fein zum Schaffen sind. Solche Leute sind wir nicht.«

Solche Leute wie mein Mann. »Ich will einfach etwas machen, was ich gerne tue. Es war ätzend im Baumarkt, aber das Studium hat eben auch nicht geklappt. Jetzt gehe ich nach Italien und sehe, was sich ergibt. Und wenn es nur Unterstützung für Bruno ist.«

»So habe ich dich nicht erzogen«, stöhnt Mama. »Dass du dich abhängig machst von einem Mann. Sobald er Professor ist, findet er eine bessere Frau als dich, warte nur ab. Eine, die ihm das Wasser reichen kann. Du machst dir doch bloß etwas vor, wenn du glaubst, es mit einem derart gebildeten Mann aufnehmen zu können. Die bleiben immer unter sich. Dein Bruno wird das auch noch kapieren. Und dann stehst du mit nichts da.«

»Nicht so optimistisch, Mama. Vielleicht liebt Bruno mich trotzdem?« Jedenfalls hoffe ich, dass er es weiterhin tut.

Papa schnaubt. »Pff, Liebe! Die macht dich nicht satt und bezahlt nicht deine Stromrechnung.«

»Meine Güte, ich werde mich um meine Zukunft kümmern, okay? Unabhängig von Bruno. Der unterstützt mich nämlich dabei!«

Schweigend essen wir auf. Danach verabschiede ich mich schnell. Das ist ja mal super gelaufen.

3

Bei Regen waren wir frühmorgens mit Brunos altem Opel Kadett losgefahren, bei strahlendem Sonnenschein und gefühlten zehn Grad Celsius mehr kamen wir am späten Nachmittag in Pisa an.

In der kleinen Wohnung unweit des Stadtkerns und des Campus herrscht entgegen meinen Erwartungen ein angenehmes Klima. In den engen Gassen spenden sich die Häuser gegenseitig Schatten und trotzen der brennenden Sonne.

Ich war völlig erledigt, obwohl ich nur ein paar Stunden selbst gefahren war und sonst lesend auf dem Beifahrersitz gesessen hatte.

»Wie gefällt es dir?«, fragt Bruno nach einem kleinen Rundgang durch die Dreizimmerwohnung.

»Gut«, erwidere ich ehrlich. Es gibt ein kleines Bad mit Wanne und einem prähistorischen Boiler, eine hübsche kleine Küche und zwei Schlafzimmer. Außer im Marmorbad ist der ganze Fußboden mit roten Terrakotta-Fliesen ausgelegt. Außen sind dunkelgrüne Fensterläden an der Fassade aus hellem Stein angebracht. Ein mediterraner Traum. Die Aufputzleitungen wirken zwar etwas provisorisch und sind keine Augenweide, gehören in Italien aber dazu.

Noch bevor ich alle Kleider in den Einbauschrank des Schlafzimmers eingeräumt habe, nimmt Bruno im anderen Wohnraum seine Arbeitshöhle in Betrieb. Dort gibt es einen Holztisch, auf dem er seinen Laptop und die wichtigsten Unterlagen ausbreitet, außerdem ein Regal für Bücher und ein Sofa, das er vermutlich nie benutzen wird. Einen Desktop-PC wird er noch von der Uni bekommen.

Seufzend lasse ich ihn mit seinen Büchern allein und räume auch seine Kleidung in den Schrank. Ich weiß, dass er andernfalls die erste Woche aus dem Koffer lebt.

»Was möchtest du essen?«, rufe ich aus dem Schlafzimmer hinaus, mehr als Test, ob er noch anwesend ist. Ich höre Blätterrascheln und einen Stuhl, der verrückt wird.

»Nudeln vielleicht. Nichts Großes«, antwortet er.

»Alles klar.«

Ein paar Vorräte haben wir von zu Hause mitgebracht, damit sie nicht verderben. Ich kümmere mich darum, dann inspiziere ich den Gasherd. Ich werde schon damit zurechtkommen.

Vor dem Küchenfenster hängen Wäscheleinen. Dort wird demnächst auch unsere Wäsche trocknen. Vielleicht kann ich ein paar Kräutertöpfchen auf die Fensterbank stellen; am besten Basilikum, Rosmarin, Oregano und Thymian.

Als der Duft von Olivenöl, Knoblauch und Tomaten den Raum erfüllt, breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Hier werde ich mich sehr wohlfühlen, das spüre ich.

Später sitzen wir bei Spaghetti mit Tomatensoße am Esstisch, genießen den Blick über die Dächer der Altstadt von Pisa und das Gefühl, angekommen zu sein. Bruno wirkt viel aufgeräumter als gestern vor der Abreise, wo er die ganze Zeit über fürchtete, wichtige Unterlagen in Deutschland zu vergessen.

»Danke, dass du gekocht hast, Mia«, sagt er nach einer Weile des einträchtigen Schweigens. »Es schmeckt wie immer sehr gut.« Und das ist ein großes Kompliment, schließlich ist er mit einer kochfreudigen Nonna und einer ebenso küchenaffinen Mutter aufgewachsen.

»Ich koche gerne, das weißt du doch.« Ich esse die letzte Gabel Nudeln, bevor ich frage: »Gefällt es dir? Wirst du hier gut arbeiten können?«

Er nickt. »Die Wohnung ist toll. Viel besser, als ich sie mir vorgestellt habe. Ich kann sogar zu Fuß zur Universität gehen. Gefällt es dir auch?«

»Sehr. Der Herd und ich mögen uns schon mal. Übermorgen habe ich ein Vorstellungsgespräch in dem Töpferladen, von dem ich dir erzählt habe.« Ich habe mich schon in Deutschland darum gekümmert, damit ich ihm und meinen Eltern etwas vorzuweisen habe, selbst wenn es nichts wird mit dieser Stelle. Ich wundere mich noch immer darüber, dass ich als Ausländerin so bereitwillig zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.

»Sehr gut. Morgen schauen wir uns die Stadt an, ja? Du sollst dich hier genauso gut auskennen wie ich, wenn du allein unterwegs bist.«

Immer besorgt um mein Wohlergehen. Manchmal benimmt Bruno sich mehr wie mein Vater als wie mein Ehemann. Aber das werfe ich ihm nicht vor. Er lernte mich als jungen Hüpfer kennen und fühlt sich dadurch verantwortlich für mich. Zwar bin ich längst nicht mehr die unerfahrene Achtzehnjährige, aber eingefahrene Verhaltensmuster lassen sich schwer ablegen.

»Ich komme schon zurecht, Bruno«, sage ich. »Aber ich würde mir gerne mit dir die Stadt ansehen. Den Schiefen Turm und das alles. Du bist bestimmt der beste Fremdenführer, den ich finden kann.«

»Das ist lieb von dir. Die meisten finden meine Vorträge eher ermüdend.«

Ich oft genug auch, aber sein reiches Wissen weiterzugeben, gehört zu ihm, und daher akzeptiere ich es.

»Wusstest du, dass der Name Toskana sich von den Etruskern ableitet? Früher war die Gegend ein Teil Etruriens, die Römer nannten sie latinisiert Tuscia, und die Etrusker wurden Tusci genannt.«

»Das wusste ich nicht. Aber natürlich weißt du es.«

»Ich hoffe, in diesem Kernland der Etrusker Neues zu finden, vielleicht sogar eine Ausgrabung mitzumachen. Es gibt immer noch so viele Rätsel um dieses Volk. Ich will unbedingt dazu beitragen, ein paar davon zu lösen.«

»Jetzt hast du noch mehr Chancen dazu als in München. Ich wünsche dir, dass du damit Erfolg haben wirst.«

Da lächelt er und hebt sein Weinglas. Ich tue es ihm gleich.

»Auf ein lehrreiches, gutes Jahr.«

Wir stoßen an.

Wie lehrreich dieses Jahr für uns beide wirklich wird, wissen wir an diesem lauen Frühsommerabend zum Glück noch nicht.

4

Auch in der Vorsaison ist Pisa überlaufen. An den Hotspots auf der Piazza dei Miracoli wie dem Schiefen Turm, dem Baptisterium und dem Dom drängen sich die Menschenmassen. Überall gibt es Stände, die den Touristen kitschigen Nippes verkaufen. Dennoch kann ich nicht widerstehen und kaufe für Papa eine Miniaturausgabe des Turms und für Mama eine Schürze mit der Mona Lisa darauf, die den Dab macht. Bruno schüttelt nur den Kopf über meine Anschaffungen.

»Gehen wir in den Turm rein? Dort oben sind Leute«, sage ich und zeige nach oben.

»Wenn du möchtest. Komm, da hinten ist die Warteschlange.«

Es ist schön, Bruno ausnahmsweise ganz für mich zu haben. Das ist in München so gut wie nie der Fall. Ständig hat er Termine, muss seine Vorlesungen und Seminare vorbereiten, Klausuren korrigieren oder an seinem Forschungsprojekt arbeiten. Heute scheint er mal nicht daran zu denken und den Tag mit mir zu genießen. Seine geliebten Etrusker haben heute Sendepause.

Er streichelt meine Haare, als ich mich an seinen Arm hänge und ihn zur Warteschlange am Turm ziehe. Ich fühle mich gut in seiner Gesellschaft. Das habe ich schon immer getan. Aber ich wünsche mir mehr, als mich nur gut zu fühlen. Vielleicht finden wir hier wieder zueinander, so wie früher.

Dank Brunos Überredungskunst habe ich dunkelgrüne Shorts und ein gelbes T-Shirt angezogen. Es ist so warm, dass ich mich mit einer langen Hose nur lächerlich gemacht hätte. Zumal man auch in Jeans erkennt, dass meine Beine so kurz und kräftig sind wie der Rest von mir. Bruno und ich sehen nebeneinander immer aus wie der spannenlange Hansel und die nudeldicke Dirn aus dem Kinderlied. Er hochgewachsen und hager mit beinahe schlotterndem Hemd, ich rundlich und neben ihm klein. Aber ich habe mittlerweile gelernt, mich mit meinem Körper anzufreunden. Er ist weiblich und vor allem gesund. Das ist mir endlich wichtiger als Modelmaße.

Für mein Vorstellungsgespräch ziehe ich ein weißes, sommerliches Baumwollkleid an. Das ist formeller, aber dennoch nicht zu steif. Ich habe mich ja nicht bei einer Bank beworben. Bruno ist längst aus dem Haus. Vor lauter Aufregung ist er bereits um halb sechs aufgestanden und hat beim Kaffeekochen mit dem Sansibar eine riesige Schweinerei in der Küche hinterlassen. Der Entschuldigungszettel und die frischen süßen Croissants stimmen mich aber milde, als ich mich ans Aufwischen mache. Den restlichen Vormittag bis zu meinem Termin verbringe ich mit dem Putzen des Badezimmers, einem kleinen Einkauf im nächsten Supermarkt und Lesen.

Die Hauptfigur in dem Liebesroman, den ich zusammen mit einem Berg weiterer aus Deutschland mitgebracht habe, wirft gerade ihren untreuen Ehemann aus dem gemeinsamen Haus, als ich losmuss.

Den Laden am Rand der Innenstadt finde ich schnell. Er ist nur knappe zehn Gehminuten von unserer Wohnung entfernt.

Es ist Mittagspause, länger als in Deutschland, sodass wir viel Zeit für unser Gespräch haben.

Als ich an den heruntergelassenen Rollladen klopfe, steigt die Aufregung in meinem Innern noch einmal an. Meine Hände zittern leicht, und mein Puls beginnt zu rasen. Auf dem Fußweg konnte ich mich mit dem Suchen der richtigen Adresse ablenken. Jetzt sollte ich einen guten Eindruck hinterlassen. Ich will, dass Bruno stolz auf mich ist und mich nicht als Klotz am Bein empfindet, als Anhängsel, das er durchfüttern muss. Mit einem unwirschen Kopfschütteln verscheuche ich die ungebetenen Gedanken. Da wird der Rollladen hochgezogen, und hinter einer Glastür kommt eine Frau zwischen fünfzig und sechzig mit wilden, dunklen Locken und vielen bunten Halsketten über ihrem weit geschnittenen Batikkleid zum Vorschein. Sie sieht aus wie ein Hippie aus dem Bilderbuch.

»Ciao«, begrüßt sie mich lässig und reicht mir die Hand. »Maria Pentone, das ist mein Geschäft.« Mit der freien Hand weist sie auf den Raum voller Geschirr und kleiner Figuren. Ihr fester Händedruck ist warm.

»Mia Farisetti«, erwidere ich. »Danke, dass ich kommen durfte.« Ein Teil meiner Anspannung fällt von mir ab, als ich merke, dass mir das Italienisch leicht über die Lippen kommt. Das viele Sprechen mit Bruno und seiner Familie hat mir am Ende mehr gebracht als die beiden Kurse an der Volkshochschule.

Sie führt mich lächelnd durch den kleinen Verkaufsraum, vorbei an einem etwas größeren Nebenraum mit Zugang zu einer mit Blauregen und Wein überwachsenen Terrasse, hinein in die Werkstatt. Interessiert blicke ich mich um. Durch ein kleines Fenster fällt gerade genug Licht, dass ich die Wandregale voller halb fertiger Stücke, die tonverschmierte Töpferscheibe und eine Werkbank erkennen kann. Signorina Pentone schaltet das Licht an. Surrend erwachen ein paar Neonröhren an der geweißelten Decke zum Leben. In einer Ecke entdecke ich einen kleinen Schreibtisch mit einem in die Jahre gekommenen Computer und einem Zettelchaos, das mich ein wenig an Brunos Büro erinnert.

»Haben Sie schon einmal getöpfert?«, erkundigt sich meine potenzielle Arbeitgeberin.

»Ja, sehr oft sogar. Ich habe ein paar Kurse besucht und in unserem Keller getöpfert, wenn ich Zeit hatte.«

»In Ihrer Bewerbung steht, dass Sie Verkäuferin sind.«

Ich nicke. »Ich habe bis vor etwa drei Jahren in einem Baumarkt gearbeitet, bis ich das Betriebswirtschaftsstudium angefangen habe.«

»Aber das Studium mussten Sie abbrechen?«

»Ich habe es leider nicht geschafft.« Es fällt mir nicht leicht, das zuzugeben, aber zu lügen hat keinen Zweck. Mein Magen kribbelt unangenehm.

»Nicht jeder ist für das Studieren geschaffen. Ich selbst kann mit meinem Studium nicht viel anfangen, außer hier zu töpfern. Eine große Künstlerin ist nicht aus mir geworden. Und das ist überhaupt nicht schlimm. Dass Sie etwas vom Kaufmannswesen verstehen und selbst gerne mit Ton arbeiten, ist sehr gut. Was machen Sie noch in Ihrer Freizeit?«

Das will sie wissen? Nicht, was ich im Studium gelernt habe oder welche Stärken und Schwächen ich habe? Nichts von all diesem Blödsinn, der mir vor jedem Vorstellungsgespräch den kalten Schweiß auf die Stirn treibt?

»Ich liebe es, zu backen und zu kochen. Backen etwas mehr.« Ich traue mich zu lächeln, als ihre Augen aufleuchten.

»Backen liebe ich auch. Aber der Laden lässt mir nicht viel Gelegenheit dazu.« Sie runzelt einen Moment die Stirn. »Sie sind mir sympathisch, und ich glaube, Sie sind genau das, was mein Geschäft braucht. Frischer Wind, Sie wissen schon. Machen Sie einen Probetag. Was sagen Sie?«

Überrumpelt schaue ich sie an. Dann nicke ich. Es ist die beste Option, die ich abgesehen von zu Hause sitzen und weitersuchen habe. Maria Pentone ist mir auch sympathisch, und ich habe große Lust, in einem kleineren Laden zu arbeiten als in dem unpersönlichen Baumarkt oder gar einem Supermarkt.

»Vielen Dank, das wäre toll!«, entgegne ich lächelnd. »Ich bringe Ihnen gerne ab und zu Kuchen und Gebäck mit, wenn Sie möchten.«

Da lacht sie. »Das gefällt mir! Und wie wäre es, wenn wir uns duzen?«

»Sehr gern.«

Eine gute Stunde später verlasse ich mit einem breiten Lächeln im Gesicht und den Kopf voller neuer Informationen den Töpferladen. Morgen kann ich zum Probearbeiten kommen. Beschwingt laufe ich nach Hause, um das Abendessen zu kochen. Während ich Zucchini und Auberginen klein schneide und auf Bruno warte, gehe ich im Kopf meinen Arbeitsplan für den Probetag und die Liste mit Hinweisen durch, die Maria mir mitgegeben hat. Ich komme gar nicht mehr aus dem Lächeln heraus. Mein erster Erfolg seit Langem! Ich habe aus eigener Kraft einen Job gefunden, ohne Hilfe von Bruno oder meinen Eltern, wie damals bei meiner Ausbildung. Ich erlaube mir, ein bisschen stolz auf mich zu sein. Jetzt muss ich nur noch das Probearbeiten gut hinbekommen.

Als auch der Reis fertig ist und ich das mit Schafskäse überbackene Gemüse aus dem Backofen ziehe, kommt Bruno nach Hause. Mit wirrem Haar und gelockerter Krawatte betritt er die Küche.

»Das riecht aber gut, ich habe riesigen Hunger«, sagt er zur Begrüßung. Ich gehe auf ihn zu, um ihm einen Kuss zu geben. Er erwidert ihn kurz, zieht sich aber gleich zurück. Ich schlucke die aufkeimende Enttäuschung herunter und frage: »Hast du wieder vergessen, etwas zu essen?« Ich decke weiter den Tisch.

»Ja«, gesteht er. »Es war so interessant, und ich wurde so vielen Leuten vorgestellt, dass ich eine eigene Datei auf dem Computer dafür bräuchte. Am meisten freue ich mich auf den Besuch der Ausgrabungsstätten. In der Toskana gibt es so viele Spuren der Etrusker!«

Ich lächle über sein begeistertes Gesicht. Er geht zur Spüle, um sich die Hände zu waschen, bevor er am Tisch Platz nimmt und erst mir, dann sich Reis und Gemüse auf den Teller gibt.

Nach den ersten hungrigen Bissen stockt er und schaut mich an. »Du hattest doch heute dein Vorstellungsgespräch. Das habe ich ja völlig vergessen! Wie ist es gelaufen?«

»Gut. Ich darf morgen zum Probearbeiten kommen.«

»Das ist ja toll, Mia! Freut mich sehr für dich! Du überzeugst bestimmt. Jetzt muss ich kein so schlechtes Gewissen haben, wenn ich dich den ganzen Tag allein lasse. Du hast eine gute Beschäftigung.«

Ich presse kurz die Lippen zusammen. Meine Freude verfliegt.

»Es ist nicht bloß eine Beschäftigung, damit ich mich nicht langweile. Wenn es gut läuft, wird das mein neuer Job, meine Arbeit. Ich mache wieder das, was ich gelernt habe, worin ich gut bin. Es ist nicht weniger wert als das Studium.« Eigentlich sogar mehr, weil ich jetzt schon weiß, dass ich mich in Marias Laden nicht permanent minderbemittelt, unfähig und gehetzt fühlen werde wie an der Uni.

Da erkennt Bruno seinen Fehler. Er merkt es nicht, wenn er herablassend von Lohnarbeit spricht, er hat nie etwas anderes kennengelernt als Schule und Unibetrieb. Aber er weiß ganz genau, dass ich es hasse, wenn er auf »niedere Tätigkeiten« herabblickt. Sicher, ich werde wieder viel weniger Geld verdienen als er, aber das macht meine Arbeit nicht schlechter. Sie ist einfach anders.

Nichts davon spreche ich aus, denn Bruno hat es viele Male gehört. Er sieht an meinem Gesicht, was in mir vorgeht.

»Tut mir leid, ich wollte es nicht schlechtreden. Ich bin einfach immer noch enttäuscht, dass du deine Prüfung nicht bestanden hast. Du hast so viel Eifer und Zeit investiert und es doch nicht geschafft. Also freue ich mich wirklich für dich, dass du etwas gefunden hast, das Erfolg versprechender ist.«

Missmutig steche ich in eine Zucchinischeibe.

»Ein großer Diplomat wird nicht mehr aus dir. Aber du hast ja recht. Das mit der Prüfung ärgert mich auch immer noch. Allerdings will ich die Zeit hier darauf verwenden, eine neue Perspektive zu finden. Das Studium ist abgehakt, fertig. Der Laden ist eine neue Chance, die ich unbedingt nutzen will.«

Er nickt. »Und ich finde es toll, dass du schon wieder nach vorn blickst.«

Ich kann es mir auch nicht leisten, mich einzuigeln und meine Wunden zu lecken. Bruno wird nie verstehen, dass ich mich nicht von ihm aushalten lassen möchte. Er liebt das hier; heimzukommen und das Essen steht auf dem Tisch, seine lächelnde Frau erwartet ihn und lässt ihn von seinem Tag erzählen. Aber das reicht mir nicht.

Und ich werde nicht müde, ihm das zu sagen und zu zeigen. Doch jetzt steht mir der Sinn nicht mehr nach Diskussionen.

»Ich habe noch einiges für morgen vorzubereiten«, sagt Bruno in die kurze Stille hinein.

Ich seufze ergeben. Warum sollte es hier groß anders sein als in München? Ich werde die Küche aufräumen und duschen gehen, er wird sich im Arbeitszimmer verkriechen und erst herauskommen, wenn ich ihn zwinge, schlafen zu gehen, damit er am nächsten Morgen nicht total übernächtigt ist.

Der gestrige Tag voller Zweisamkeit muss wohl für eine ganze Weile vorhalten. Ich verabschiede mich innerlich vom Essengehen unter der Woche, von Abendspaziergängen durch die Gassen der Altstadt und Sonnenuntergängen auf einer der Brücken über den Arno.

Mein Mann mag Italiener sein; was Dolce Vita angeht, bin ich italienischer als er. Dafür passt seine Arbeitsmoral so gut nach Deutschland, dass seine Familie sich immer ein bisschen über ihn lustig macht.

5

Mein Probearbeitstag verläuft geruhsam. Erst am späten Vormittag, als der Laden schon über eine Stunde geöffnet ist, kommt ein Schwung Touristen, um sich die Auswahl an Tellern, Tassen, Schüsseln und Schalen anzusehen. Ein offenbar aus Ostdeutschland stammendes älteres Ehepaar diskutiert das Für und Wider einer neuen Obstschale. Sie können sich nicht recht entscheiden, was mich schließlich hinter dem Tresen hervorlockt. Ich mag selbst das einfache, handgemachte Geschirr, das in Blautönen oder weiß glasiert ist. Eine Entscheidung zu treffen, würde mir auch schwerfallen.

»Herbert! Das Blau ist zu dunkel. Wir nehmen die hellere Schale.«

Doch Herbert brummt nur.

»Entschuldigen Sie, wenn ich mich einfach so einmische, aber vielleicht möchten Sie noch eine dritte Version sehen. Wir haben diese Schale nämlich auch noch in einem hellen Petrol.« Ich ziehe die Schale aus einem Schrank hinter dem Tresen hervor und halte sie hoch.

Die Frau macht ein freudiges Gesicht, was ihr Gatte zu einem nachgebenden Nicken veranlasst.

»Na schön, die gefällt mir auch«, räumt er ein.

»Wunderbar. Manchmal findet man einen Kompromiss.«

»Dafür nehme ich noch eine hellblaue Tasse«, lässt sich die Gattin vernehmen.

»Ich packe Ihnen alles in Papier ein. Brauchen Sie eine Tüte?«

Aus dem Augenwinkel beobachte ich beim Abkassieren eine kleine Gruppe junger Frauen, die sich bei den Tassen umsehen. Maria sitzt hinten an der Töpferscheibe und hat den Laden nicht im Blick. Das gleichmäßige Drehgeräusch und Marias melodisches Summen dringen bis in den Verkaufsraum.

»Sie kommen aus Bayern, oder?«, fragt Herbert, als ich ihm den Kassenbon reiche.

»Ja. Aus München. Und Sie beide?«

»Aus Zwickau. Ist unsere zweite Italienreise.«

Die Frauen betrachten immer noch die Tassen und unterhalten sich auf Italienisch.

»Was hat Sie denn nach Italien verschlagen?«, erkundigt sich Herberts Frau.

»Mein Mann arbeitet für ein Jahr an einer der Hochschulen in Pisa. Ich begleite ihn.«

»Wie spannend! Hoffentlich haben Sie einen schönen Aufenthalt hier. Uns gefällt es sehr.«

»Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Urlaub!«

»Danke! Auf Wiedersehen!«, sagen beide im Chor.

Ich verkneife mir ein Grinsen. Dass wir gleichzeitig sprechen oder über Obstschalen diskutieren, ist bei Bruno und mir noch nie vorgekommen.

Hastig lenke ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Frauengruppe, um nicht weiter darüber nachzudenken.

Bis zur Mittagsruhe, dem Pranzo, verkaufe ich einige Tassen und Frühstücksteller. In den Zeiten ohne Kunden im Laden staube ich die Auslage ab und helfe Maria, eine Fuhre neue Kaffeebecher in den Brennofen zu stellen.

»Bis um vier mache ich zu«, informiert mich Maria gegen 13 Uhr. Gut, dass sich unsere Wohnung ganz in der Nähe befindet. Da kann ich wie viele Italiener nach Hause gehen, für den Abend vorkochen und gemütlich lesen, bis ich wieder losmuss.

Da ich hungrig bin, stelle ich mich bei der kleinen Pizzeria gegenüber in die Warteschlange. Etwas Pizza aus der Hand wird mir als Mittagessen reichen.

Die meisten Wartenden sind Handwerker und Bauarbeiter von dem sicher einmal schön gewesenen, mehrstöckigen Altbau neben der Pizzeria. Hinter mir stellt sich noch jemand an. Während ich den Geldbeutel aus meiner Umhängetasche hole, werfe ich einen verstohlenen Blick nach hinten, der leider erwidert wird. Ich lächle scheu und laufe prompt rot an.

Tiefblaue Augen in einem unverschämt attraktiven Gesicht, das zwar deutliche Spuren von weißem Kalk zeigt, aber darunter sonnengebräunt und lebendig ist. Schwarze Locken, auch leicht kalkbestäubt, umrahmen es. Als stünde ich einem römischen Gott gegenüber.

»Ciao, bella«, sagt er. Seine Stimme ist tief und leicht rau, als hätte sich der Kalkstaub auf seine Stimmbänder gelegt. Ein Italiener, der eine junge Frau mit »Ciao bella« begrüßt, mag ein schlimmes Klischee sein, aber er tut es. Sein verschmitztes Lächeln beschert mir eine wohlige Gänsehaut. Und das, obwohl er mich schamlos mustert. Ich bade regelrecht in seiner Aufmerksamkeit, selbst wenn sie nur meinem Körper gilt. Mir wird heiß unter seinem Blick.

»Ciao«, grüße ich zurück. Leiser als gewollt, aber immerhin.

Sein Lächeln vertieft sich.

Auf Italienisch fragt er mich, woher ich komme, weil er mich noch nie hier gesehen hat. Er spricht so schnell, dass ich Schwierigkeiten habe, ihn zu verstehen. Holprig antworte ich ihm, dass ich in Maria Pentones Töpferladen arbeite und gerade aus Deutschland hergezogen bin. Die Schlange bewegt sich weiter, noch zwei Leute sind vor mir.

»Deutschland! Von wo kommst du?«, fragt er auf Deutsch.

Sein italienischer Akzent ist zum Niederknien. Ich lächle. So viel Charisma habe ich selten erlebt.

»Aus München. Kennen Sie die Stadt?«

Er nickt. »FC Bayern München ist berühmte Fußballklub. Ich habe Spiel gesehen mit Freunden, als wir waren mit Schule dort.«

»Ein Schulausflug von Italien nach München?«, entgegne ich ungläubig und merke nicht, dass sich die Schlange weiterbewegt.

»Es geht weiter, Signorina«, sagt der römische Gott. Verwirrt von seinen strahlenden Augen nicke ich einen Augenblick zu spät.

»Ich war in Schweiz auf der Schule. Unterricht in Italienisch, aber Deutsch und Englisch als Fremdsprache möglich. Ich habe gewählt beides.«

Der Pizzabäcker unterbricht unser Gespräch. »Prego?«

Ich drehe mich mit sicher roten Wangen zu dem älteren Mann hinter der Theke um und bestelle stotternd eine Pizza Margherita und eine Flasche Wasser. Himmel! Der Adonis in meinem Rücken stört meine Konzentration gewaltig. Wenn er nur nicht so charmant wäre.

Ich trete zur Seite, damit auch er bestellen kann.

»Essen Sie mit mir?«, fragt er danach.

Ich nicke. Warum auch nicht?

Kurz darauf sitzen wir mit unseren Pizzakartons auf dem Schoß auf einem Mäuerchen und setzen unser Gespräch fort.

»Warum sind Sie in der Schweiz zur Schule gegangen?«

»Meine Mutter lebt in Schweiz.« Er trinkt einen Schluck aus seiner Colaflasche.

Rasch wende ich mich wieder meiner Pizza zu, um nicht zu fasziniert das Hüpfen seines Adamsapfels zu betrachten. Die schwarzen Bartstoppeln fühlen sich bestimmt ganz rau an, wenn man mit den Fingern darüber … O Gott, bitte nicht! Ich bin eine verheiratete Frau! Solche Gedanken sollte ich nicht haben, wenn ich fremden Männern beim Trinken zusehe!

»Wollen wir sagen Du?«, schlägt er vor. »Ich heiße Giovanni Carducci.« Er reicht mir seine große, staubige Hand.

Perplex ergreife ich sie und nicke. »Ähm … Mia.«

»Mia«, wiederholt er. »Kurz und gut. Das kann ich merken mir.«

Wir essen weiter.

»Mia Farisetti. Mein Mann ist Italiener.«

»Du bist verheiratet?«

»Ja.« Ich werde schon wieder rot. Was ist daran peinlich? Dass er mich gleich hier sitzen lässt, weil verheiratete Frauen kein lohnenswertes Ziel sind?

Doch er bleibt.

»Wie alt bist du?«

»Fast sechsundzwanzig.«

»Oh! Ich bin schon alte Mann.« Er grinst.

»Du bist höchstens fünfunddreißig«, traue ich mich zu sagen.

»Noch älter macht sie mich! Ich bin dreißig.«

»Das kommt sicher von dem Kalkstaub.« Mir entfährt ein Kichern. Du meine Güte. Ich kichere.

Giovanni grinst immer noch. Er wirkt so viel jünger als Bruno, obwohl die beiden nur vier Lebensjahre trennen.

»Macht weiße Haare und Bart, ja? Ich arbeite in dem Haus da.« Er zeigt auf das renovierungsbedürftige Gebäude nur wenige Meter von dem Imbiss entfernt.

»Dann ist es ja kein Wunder, dass du voller Staub bist. Was ist dein Job? Bist du Maurer?«

Er schüttelt den Kopf. »Ich mache die Decken schön.« Er ringt um Worte und schüttelt nun etwas ärgerlich den Kopf. Seine dichten Brauen ziehen sich zusammen. »Warte.« Er legt den Pizzakarton neben sich, um sein Smartphone herauszuholen. Er öffnet die Galerie und zeigt mir Bilder aus dem Inneren des Altbaus. »Das habe ich gestern fertig gemacht. War viel Arbeit und wollte nicht gut trocknen.«

»Ah! Du bist Stuckateur!«, begreife ich.

»Stu-cka-teur«, wiederholt er das Wort. »Sonst ich mache Putz an die Wände. Decken mit Ornamente ist eine schöne Abwechslung.«

Ich stelle mir vor, wie er konzentriert diese Ähren und Blüten formt, wie seine schönen, schlanken Hände immer weißer werden. Ganz schlechte Richtung!

»Es sieht sehr schön aus. Wie lange dauert es, bis alles fertig ist?«

»Ganze Haus wird in vier bis fünf Monate fertig. Dann wird verkauft.« Er runzelt die Stirn. »Weißt du, meine Deutsch ist nicht gut. Ich sollte üben.«

Ich will ihm schon widersprechen, weil er der Erste hier ist, der Deutsch spricht. Und das in ganzen, verständlichen Sätzen. Aber ich nicke nur und sehe ihn abwartend an, während die letzten Stücke meiner Pizza kalt werden.

»Kannst du üben mit mir? In Mittagspause oder am Abend? Hast du Zeit?«

Ich gehe kurz in mich. Bruno wäre vermutlich nicht begeistert, wenn ich mich mit einem anderen Mann verabredete – selbst wenn es nur Nachhilfe wäre. Aber ich will auch nicht immer allein in der Wohnung herumsitzen und auf ihn warten. Vielleicht würde Bruno auch endlich einmal etwas eifersüchtig. Leiser Trotz regt sich in mir.

»Gerne«, rutscht es mir heraus. »Ich habe abends Zeit.«

»Dann wir essen am Mittag zusammen hier vielleicht?«

Er ist wirklich forsch. Ich sollte mich nicht so überrumpeln lassen. Das ist bestimmt seine bewährte Taktik mit naiven Frauen wie mir. Er lächelt sie an, lässt seine Augen blitzen und spannt seine kräftigen Arme an, schon zappeln sie am Haken. Er weiß garantiert, wie gut er aussieht.

»Falls wir uns treffen, essen wir zusammen«, erkläre ich. Das ist unverbindlich. »Aber Deutsch können wir heute Abend üben. Vielleicht bei mir zu Hause?« Dann würde Bruno uns sehen und mir nicht unterstellen, ich würde mich heimlich davonstehlen. Das sollte doch in Ordnung sein.

Giovannis Lächeln raubt mir beinahe den Atem, so viel Freude strahlt es aus. So unheimlich sexy ist es.

Auf einmal fühlt sich das Ganze wie eine richtig dumme Idee an. Doch jetzt kann ich nicht mehr zurück.

Er reicht mir noch einmal die Hand, dann steht er auf und winkt mit seinem Handy.

»Ich gebe dir meine Nummer, dann du kannst mir schreiben, wo und wann. Ich habe Schluss um 18 Uhr.«

»Okay.« Ich speichere seine Telefonnummer ab, dann erhebe ich mich ebenfalls.

»Hat mich gefreut, Mia«, sagt Giovanni lächelnd.

Ich erwidere es und muss blinzeln, damit mein Blick nicht an seinen schönen Augen hängen bleibt. Leider wandert er jetzt zu seinen vollen Lippen. Hastig sehe ich wieder auf.

»Tschüss«, sage ich ganz deutsch und hebe die Hand, da tritt Giovanni einen Schritt näher, drückt leicht seine Wange an meine und küsst die Luft neben meinen Ohren. Mir wird heiß und kalt zugleich, als ich die Rauheit seiner Haut fühle und mir sein herber, männlicher Duft, durchmischt mit Kalkstaub, in die Nase steigt.

»Arrivederci!«, raunt er.

Ich bekomme weiche Knie. Seltsam ermattet sinke ich wieder auf das Mäuerchen und schaue Giovanni nach, der in Richtung Baustelle davongeht. Staubbedeckte Arbeitshosen sind heißer, als ich dachte.

Ich beiße von meiner Pizza ab, ohne noch etwas zu schmecken.

Wo habe ich mich da nur hineingeritten?

6

Mit jedem Schritt in Richtung Laden wächst mein schlechtes Gewissen. Vergessen ist das Vorkochen und die Hausarbeit in der neuen Wohnung. Bruno hat zwar bestimmt nichts dagegen, dass ich neue Leute kennenlerne, aber ein italienischer Flirtweltmeister zählt sicher nicht dazu. Giovanni ist genau das. Ein Typ, der weiß, wie gut er aussieht und wie er seinen Charme einsetzen muss. Und ich bin ihm auf den Leim gegangen.

Maria muss mir meine unangenehmen Gedanken ansehen, denn sie schaut von ihrer Bohnensuppe auf und runzelt die Stirn, als ich ihren kühlen Laden betrete.

»Hat das Mittagessen nicht geschmeckt?«

Ich schüttle den Kopf und setze mich ihr gegenüber an den winzigen Esstisch.

»Ich hatte eine leckere Pizza und wirklich nette Gesellschaft beim Essen.«

»Warum dann dieses Gesicht?«

»Es war zu nette Gesellschaft.« Ich stütze den Kopf in die Hände. Was habe ich mir nur dabei gedacht, Giovanni Deutschnachhilfe geben zu wollen? Ihm meine Telefonnummer zu geben? Diese Wangenküsschen zu erlauben?