Likest du noch oder lebst du schon? - Christina Feirer - E-Book

Likest du noch oder lebst du schon? E-Book

Christina Feirer

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Beschreibung

"Wir lassen uns bereitwillig ablenken – und zwar davon, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen und herauszufinden, wie es uns tatsächlich geht. Und davon, wie wir unser Leben führen wollen." Morgens im Bett die Mails checken, mit einem Posting Likes sammeln, mit Menschen in aller Welt verbunden sein: Das Smartphone ist unser ständiger Begleiter, mehrere Stunden täglich verbringen wir mit Swipen, Tippen, Liken, Posten. Vergessen wir es einmal zuhause, haben wir Angst, etwas zu verpassen, werden nervös – warum eigentlich? Digital-Detox-Coach Christina Feirer erklärt mit Know-how, Empathie und Witz, warum Apps in unserem Hirn das Belohnungszentrum aktivieren, welche Urinstinkte Likes in uns wecken und zeigt, wie das Dauerfeuer an Nachrichten und Informationen auf uns wirkt. Dabei wird das Smartphone nicht verteufelt, im Gegenteil: Feirer unterstützt dabei, die Beziehung zu unserem schlauen digitalen Freund auf ganz persönliche Bedürfnisse und Anforderungen abzustimmen – und zwar so, dass Online- und Offlinezeit in Balance sind und bleiben.

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Christina Feirer

LIKEST DU NOCH ODER LEBST DU SCHON?

Über den achtsamen Umgang mit dem Smartphone

www.kremayr-scheriau.at

ISBN 978-3-218-01306-2

eISBN 978-3-218-01308-6

Copyright © Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Schutzumschlaggestaltung, typografische Gestaltung und Satz:

Sheila Ehm, unter Verwendung einer Illustration von Nadia Snopek / Shutterstock.com

Kernillustrationen: S.R. Ayers

Lektorat: Stefanie Jaksch

Inhalt

Schöne neue Oberflächen

Ein gewöhnlicher Start in den Tag?

Meine persönliche Smartphone-Reise

Der Moment, der die Normalität in Frage stellte

Wenn die Unruhe zu groß wird

Deine Zeit am Smartphone

Was lässt uns klicken und liken?

Sprechen wir über das menschliche Gehirn

Kampf oder Flucht – was darf es sein?

Die Macht der Urinstinkte

Unser Belohnungszentrum und das Dopamin

Unsere Urinstinkte, Belohnungen – und das Smartphone

Sofortige Belohnung mag unser Gehirn am liebsten!

Wenn übermäßige Smartphone-Nutzung zur Gewohnheit wird

Warum fällt uns unser Verhalten nicht auf?

Wie viel Menschlichkeit steckt in unserer digitalen Zukunft?

Nebenwirkungen der digitalen Medien

Langeweile gibt es nicht mehr

Konzentration und Fokus ade

Wir vergleichen uns ständig

Die Qual der Wahl: unendliche Möglichkeiten

Wir glauben, wir können immer überall sein

Schlaf wird sowieso überbewertet

Digitale Medien in der Zukunft

Wie menschenfreundlich ist die Digitalisierung?

Was geben wir an nächste Generationen weiter?

Der Weg in eine selbstbestimmte digitale Zukunft

Zehn Schritte zum ominösen Erfolg?

Meine vier Digital Detox Hacks

Push-Nachrichten deaktivieren

Apps vom Smartphone löschen

Apps zu bestimmten Uhrzeiten sperren

Das Smartphone „verstecken“

Wie du die Digital Detox Hacks am besten umsetzt

Kleine Schritte sind besser als keine Schritte

Informiere dein Umfeld

Erlebe eine tiefgehende Transformation

Die Gegenwart: Ein ehrlicher Blick auf dein gegenwärtiges Smartphone-Verhalten

Die Zukunft: Reflexion und Entwurf eines dir entsprechenden Smartphone-Verhaltens

Verbindung zum Smartphone

Tägliches Praktizieren deines bewussten Smartphone-Verhaltens

Was ist mit Achtsamkeit gemeint?

Wie kannst du Achtsamkeit in dein Leben lassen, um dein Smartphone-Verhalten zu transformieren?

Inspiration für deinen Start

Deine Zeit ist wertvoll

Was zählt wirklich für dich?

Ein menschliches Zukunftsszenario

In dieser Welt will ich leben

Literatur

Schöne neue Oberflächen

Wenn ich durch die Straßen gehe, schaue ich mich sehr gerne um und beobachte. Oftmals sehe ich Menschen, deren Blick auf ihr Smartphone gerichtet ist. Am Gehsteig schlendernd, an der Bushaltestelle sitzend oder an der Supermarktkasse wartend. Im Café und Restaurant wird das Smartphone schnellstmöglich auf den Tisch gelegt und immer wieder ein Auge darauf geworfen. Sobald das Gegenüber für wenige Minuten die Toilette aufsucht, werden Nachrichten beantwortet. Im Urlaub in einer schönen Unterkunft angekommen, wird ein Kurzvideo des Meerblicks aufgenommen, um es mit dem weltweiten sozialen Netzwerk zu teilen.

Gibt es einen rationalen Grund dafür, dass wir uns freiwillig und permanent von Nachrichten anderer Menschen und von Netzwerken leiten und fremdbestimmen lassen? Im Alltag, wenn es sich weder um einen Notfall noch um einen Bereitschaftsdienst handelt, bin ich davon überzeugt, dass die exzessive und selbstverständliche Nutzung unseres Smartphones in vielen Fällen ein Automatismus ist, der überhandnimmt. Wir lassen uns bereitwillig ablenken – und zwar davon, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen und herauszufinden, wie es uns tatsächlich geht. Und davon, wie wir unser Leben führen wollen.

Wir lassen uns lenken, leiten und führen – ein Leben auf Autopilot, das weder unseren wahren Wünschen noch unseren Bedürfnissen entspricht.

Exzessives Smartphone-Verhalten ist gesellschaftlich angesehen. Es ist schick, modern und gilt gemeinhin als normal. Doch wie „normal“ ist dieses Verhalten wirklich – und wie viel trägt es tatsächlich zu deinem erfüllten Leben bei?

Ganz ehrlich: Vor einigen Jahren kreisten auch meine Fragen und Gedanken ständig um Likes, Follower und Posts. Doch meine ständige Erreichbarkeit fühlte sich immer unstimmiger und unnatürlicher an. Nach und nach wurde mir klar, dass ich mich auf den sozialen Netzwerken unbewusst mit den anderen verglich. Ich realisierte, dass ich Beiträge und Fotos veröffentlichte, nur um zu zeigen, wer ich angeblich bin und was für ein großartiges Leben ich doch führe. Und genau dafür wollte ich Anerkennung. Es schien, als wäre ich abhängig von den Interaktionen und Apps meines Smartphones: soziale Netzwerke, Nachrichtendienste und Co. gehörten zu meinem Leben einfach dazu. Doch mir wurde klar: Ob ich mir diese Fessel der Fremdbestimmung auferlege oder nicht, ist allein meine Entscheidung.

Dieses Buch soll aufwecken und zum Nachdenken anregen. Es soll dich dazu inspirieren, was gesellschaftlich als normal gilt zu hinterfragen und auch dein eigenes Verhalten zu beleuchten. Es soll dich dazu ermutigen, Schöpfer deines eigenen Lebens zu werden und dieses aktiv nach deinen Vorstellungen und Visionen zu gestalten. Denn du verdienst es, deine Lebenszeit auszukosten und mit vollem Herzen zu leben.

Ein gewöhnlicher Start in den Tag?

Stell dir vor, es ist 6:45 Uhr. Du öffnest deine Augen, die Sonne scheint, erhellt dein Schlafzimmer und ihre Strahlen leuchten dir sogar direkt ins Gesicht. Du fühlst dich wohl, weil du gut geschlafen hast und weil ein neuer Tag und somit neue Möglichkeiten auf dich warten. Du reckst deinen Körper, bringst Lebensenergie in jede Zelle deines Körpers und streckst deine Hand aus. Ganz automatisch tastet deine Hand nach dem kleinen rechteckigen Teil, das gleich auf Augenhöhe am Nachttisch liegt: nach deinem Smartphone. Ein Klick auf den Home Button genügt, um zu sehen, dass bereits unzählige Instagram-, Facebook-, Twitter- und WhatsApp-Benachrichtigungen auf dich warten. Die Vorschau gibt dir einen Ausblick, welche Menschen an dich gedacht haben. Dieser eine Klick genügt auch, damit du auf einen Blick die weltweit wichtigsten Geschehnisse seit gestern Abend im Überblick erfährst. Ebenso bist du darüber im Bilde, was Arbeitskollegen in Übersee auf dein gestriges Mail geantwortet haben. Und nicht zu vergessen: Durch diesen einen Klick unterstützt dich dein Lieblings-Onlinehandel dabei, seine täglichen Angebote nicht mehr zu übersehen. Sogar noch besser: Du wirst dabei unterstützt, dass du die Angebote mit wenigen weiteren Klicks einfach und unkompliziert zu dir nach Hause geliefert bekommst. All diese Informationen erhältst du innerhalb weniger Sekunden.

Du verschickst Herzen und schreibst kurze Kommentare. Du verteilst großzügig Likes in sozialen Netzwerken und entdeckst neue, ansprechende Profile. Es scheint, als stünde dir die Welt offen. Du stehst in Kontakt mit Menschen auf der gesamten Welt, die dir Einblicke in ihr persönliches und scheinbar perfektes Leben gewähren. Du scrollst, bist fasziniert von den Erlebnissen anderer Personen. Es ist, als wärst du in einen Bann gezogen worden – und das so schnell und automatisch, dass du es gar nicht bewusst mitbekommen hast.

Die Zeit bleibt bekanntlich nicht stehen. Verblüfft schaust du auf deine Uhr ganz oben am Smartphone-Bildschirm und realisierst, dass es bereits 7:15 Uhr ist. Wie kann es sein, dass bereits 30 Minuten vergangen sind, seitdem du deine Augen geöffnet hast? Wohin ist die Zeit verflogen? Dabei hast du deine Nachrichten-App, deine E-Mails oder deine heutigen Lieblingsangebote noch gar nicht geöffnet. Du legst dein Smartphone kurz zur Seite, um es nach dem Aufstehen gleich wieder in die Hand zu nehmen und damit ins Badezimmer zu spazieren.

Das morgendliche Zähneputzen bietet dir eine gute Möglichkeit, um parallel deine E-Mails zu überfliegen und somit bereits ein Gefühl für deinen bevorstehenden Arbeitsalltag zu bekommen. Dein Frühstück nutzt du, um dich von den weltweiten Nachrichten berieseln zu lassen. Schließlich willst du ja informiert sein, bevor du in die Arbeit fährst. Mit diesen Informationen stehst du beim morgendlichen Kaffee mit Arbeitskollegen gut da und kannst mitreden. Flink verschickst du noch ein paar Nachrichten und ein Foto deines Frühstücks an deine Freunde, Familie und diverse WhatsApp-Gruppen. Das machst du, um ihnen einen schönen Tag zu wünschen, ehe du dein Zuhause verlässt und in Richtung Arbeit aufbrichst.

Meine persönliche Smartphone-Reise

Ein ganz gewöhnlicher Start in den Tag? Für mich persönlich beschreibt dieser frühe Morgen eine Routine, die ich viele Jahre sehr intensiv gepflegt habe. Es war für mich das Normalste auf der Welt, gemeinsam mit meinem Smartphone in den Tag zu starten. Schließlich wollte ich verbunden sein: mit der Welt und den Menschen da draußen. Außerdem, so dachte ich, fühlte es sich gut an, bereits in der Früh zu realisieren, dass so viele Menschen an mich dachten. Und sei es nur, dass sie mir ein Like oder ein Herz für eines meiner Postings geschenkt haben.

Den ganzen Tag über hatte ich das Smartphone stets griffbereit, am besten direkt in der Hand, leicht zugänglich in der Tasche oder am Tisch mit laufendem Blickkontakt. Nur so konnte ich sicherstellen, dass ich wirklich nichts verpasste. Push-Nachrichten unterstützten mich dabei, dass ich über jedes einzelne Ereignis sofort informiert wurde und auf jede Nachricht sofort antworten konnte, so dass ich mich über jeden Kommentar und über jedes Herz unmittelbar freute.

Fragen, die während des Tages auftauchten, konnte mir Google über mein Smartphone unmittelbar beantworten. Mit diesem Wissen fühlte ich mich ständig gut begleitet. Auch Langeweile konnte ich fast vollständig aus meinem Leben verbannen. Wartezeiten, die ich in der Vergangenheit als äußerst ineffizient, langweilig und unangenehm empfunden hatte, konnte ich einfach überbrücken. Videos, Fotos oder der Besuch von Profilen meiner Freunde in sozialen Netzwerken verwandelten selbst Wartezeiten zu einem Highlight. Es war, als könnte mein Smartphone jedes Problem lösen und ich genoss die Unterstützung meines zuverlässigen Wegbegleiters von morgens nach dem Erwachen bis spät abends, kurz bevor ich meine Augen schloss und einschlief.

Damals habe ich mein Verhalten nie hinterfragt. Wieso denn auch? Ich schaute mich um und realisierte, dass mein Umfeld und der Großteil der Menschen ein ähnliches Leben führte. Ich wollte am Puls der Zeit leben, und damit war mein Smartphone-Verhalten für mich ganz normal.

Der moderne Mensch wird nun einmal von seinem Smartphone begleitet, sagte ich mir. Und beantwortet Nachrichten nun einmal schnellstmöglich, nachdem sich auf WhatsApp die zwei Häkchen blau gefärbt haben. Außerdem erkennt ja der Algorithmus eine rege Interaktion, was wiederum die begehrte Reichweite steigert. Häufige Interaktion war für mich also notwendig, um online ausreichend gesehen zu werden.

Ich fühlte mich gut und gesellschaftlich anerkannt. Ich „passte“ in diese Gesellschaft und in diese Welt. Zumindest glaubte ich das. Und redete mir ein, dass ich mich gut fühlte, dass ich gesehen werde und dass ich dazugehöre.

Der Moment, der die Normalität in Frage stellte

Hin und wieder gab es jedoch Momente, in denen ich mich nicht ablenken konnte. Genau dann nahm ich tief in meinem Innersten, zuerst ganz leise, dann schleichend lauter werdend, eine konträre Stimmung wahr. In mir machte sich Unruhe, Unzufriedenheit und Leere breit. In diesen Augenblicken spürte ich, dass ich mich, aus zumindest zunächst unerklärlichen Gründen, wie gefangen, fremdbestimmt und unfrei fühlte. Damals konnte ich diese Gefühle nicht zuordnen. Wieso sollte ich mich so fühlen, wenn mir augenscheinlich alle Möglichkeiten offenstanden und mir die Welt sprichwörtlich zu Füßen lag?

Wieso machten sich in mir immer mehr Stress und Unruhe breit, wo ich doch ein scheinbar gelassenes Leben in voller Sicherheit genoss?

Wieso fühlte ich mich innerlich hin- und hergerissen, obwohl ich von der Außenwelt viel Zuspruch bekam? Nichts davon ergab Sinn, und so betäubte ich mich weiterhin mit konstanter Ablenkung. Denn genau das fühlte sich ja gut an.

Ein Griff in meine Tasche nach dem Smartphone genügte, um mich mit der äußeren Welt zu verbinden. Wenige Klicks machten es möglich, ein lustiges Video anzuschauen, neu gewonnene Likes zu zählen oder andere Profile zu entdecken. Online-Streaming füllte die langen Pausen, die nach Ablenkung verlangten. Online-Shopping war ein guter Zeitvertreib und eine Befriedigung, um Gefühle von Mangel zu bekämpfen. Oft fühlte sich dieser Zeitvertreib gut und wie eine Belohnung an.

Manchmal jedoch regte es mich auch auf, schlechte Nachrichten zu lesen oder perfekte Leben gespiegelt zu bekommen. Das war vor allem dann der Fall, wenn ich Unzufriedenheit mit meiner eigenen Lebenssituation empfand. Egal wie es sich anfühlte, eines war immer gegeben: Ich konnte mich konstant von meiner Innenwelt ablenken und meine Aufmerksamkeit auf äußere Geschehnisse fokussieren. Und genau das, so glaubte ich, brauchte ich in diesen Momenten.

Gefühle, die ich unterdrücken wollte, fanden jedoch immer wieder einen Weg an die Oberfläche. In unerwarteten Momenten, vor allem dann, wenn es in mir ruhiger wurde, ließen mich nicht mehr los. Nach und nach wurde mir bewusst, dass ich ein Leben lebte, das nicht meinen Vorstellungen und Bedürfnissen entsprach, sondern von den Werten und Vorstellungen anderer geprägt wurde. Das zwar perfekt in das Weltbild der Gesellschaft passte, jedoch nicht in das Weltbild meines eigenen Herzens. Stück für Stück hatte ich mich von Vorstellungen anderer leiten lassen und glaubte sukzessive weniger an mein wahres Selbst, an meine Vorstellungen, meine Werte und meine Begabungen.

Mein innerer Druck wurde größer. Langsam und anfangs unfreiwillig begann ich zu reflektieren und meine Angewohnheiten zu hinterfragen. In kleinen Schritten begann ich Neugier dafür zu entwickeln, weshalb ich ein Leben aufrechterhielt, das eigentlich nicht meinen Wünschen entsprach. Inwieweit war dies sinnvoll? Wieso lebte ich ein Leben, das mich weder glücklich machte noch mein Herz zum Leuchten brachte oder mich tagtäglich inspirierte? Da saß ich nun also mit meinem Smartphone in der Hand, und genau diese essenziellen Fragen fesselten mich und ließen mich nicht mehr los. Das war der Startpunkt für meine persönliche Reise zu mir selbst. Mich besser kennenzulernen und mein Leben selbst zu kreieren: Das waren damals meine beiden großen Ziele.

Wenn die Unruhe zu groß wird

Ironischerweise wurde ich unruhig, wenn ich zu viel Zeit am Smartphone verbrachte, aber ebenso, wenn sich mein Smartphone nicht in Reichweite befand. Schon beim Aufstehen nahm ich eine Sehnsucht nach meinen Lieblings-Apps wahr, als würde es sich dabei um besondere Menschen handeln, die ich vermisste. Besonders angetan war ich von sozialen Netzwerken, Nachrichtenportalen, aber auch E-Mail- und Messenger-Diensten. Beispielsweise überkam mich bereits morgens im Bett das Verlangen, nachzuschauen, was mich am heutigen Arbeitstag erwarten würden. Und das, obwohl mein Arbeitsalltag erst Stunden später startete. Damals arbeitete ich im Personalmanagement und war mit Mitarbeitern und Partnern weltweit verbunden. Aufgrund des Zeitunterschiedes erreichten mich per E-Mail auch nachts Neuigkeiten. Dieses Bedürfnis zu wissen, was sich über Nacht in der Arbeitswelt getan hatte, wollte gestillt werden. Und so gut wie immer gab ich dem nach. Schnell öffnete ich ungelesene Nachrichten. Einige beruhigten mich. Andere wiederum regten mich auf. Und da war sie wieder: Die innere Unruhe und Unzufriedenheit, die meine Laune bereits früh morgens in den Keller rasseln ließ.

Mittags ging ich mit meinen Kollegen essen. Fröhliche Geschichten wurden ausgetauscht. Wir unterhielten uns über das letzte Wochenende, über Fernsehserien sowie über Rezeptideen. Manchmal blieb mein Smartphone am Arbeitstisch liegen. Ich vergaß es dort, und ehe ich es bemerkte, befand ich mich bereits in der Warteschlange vor der Essensausgabe. Immer dann, wenn ich mein Smartphone vergessen hatte, fühlte ich mich nackt. Ich hatte meinen wichtigsten Begleiter nicht dabei und fühlte mich verloren.

An den meisten Tagen allerdings war das Smartphone beim Mittagessen nicht wegzudenken. Nach der Essensausgabe legten wir alle unser Smartphone auf die Tischfläche. Wir erzählten uns Geschichten und tauschten uns aus, aber sobald eines unserer Smartphones zu leuchten begann, galt ein kurzer Blick dem Bildschirm. Manchmal ging dies einher mit einem schnellen Entsperren und einer sofortigen Rückmeldung. Zumindest ein Emoji musste drin sein. Am Ende der Mittagspause fühlte ich mich selten erholt.

Hatte ich mein Smartphone vergessen, fühlte ich mich unwohl. Hatte ich mein Smartphone bei mir, nahm ich allerdings innerlichen Stress wahr. Denn es war, als müsste ich an mehreren Welten parallel teilnehmen. Überall musste ich zuhören und sofort eine Antwort parat haben. Das Essen nahm ich kaum wahr und von Erholung war weit und breit keine Spur. Zu viel passierte um mich herum und zu viele Eindrücke prasselten auf mich ein.

Spät nachmittags verließ ich mein Büro. Ich schickte die letzten E-Mails ab, jedoch im Wissen, dass ich jederzeit über das Smartphone weitere E-Mails nachreichen konnte. Das beruhigte mich. Ich packte meine Sachen und startete in meinen Feierabend. Zuhause angekommen spürte ich erst, wie erschöpft ich mich fühlte. Ein ganzer Tag voller Tätigkeit, ohne wirklich eine Pause eingelegt zu haben. Es war an der Zeit, es mir am Sofa bequem zu machen. Nur kurz die Füße ausstrecken – das hatte ich mir verdient. Danach blieb noch genug Zeit, um die Hausarbeit zu erledigen und Sport zu betreiben.

Plötzlich war es still und ich tat: nichts. Ein Zustand, den ich nicht gewöhnt war. Dementsprechend hielt er auch nicht lange an.

Ich hielt es einfach nicht aus, und der Griff zum Smartphone lag nahe. Dadurch verwandelte sich die unangenehme Stille in bunte Bilder, Ereignisse und Geschichten. Ich bewunderte die Fotos und Geschichten der Personen, die ich online verfolgte. Es schien mir fast so, als würde jeder in meiner Online-Welt gerade eine Weltreise unternehmen und perfekt gestylt vor den schönsten Sehenswürdigkeiten der Welt posieren. Jene Personen, die gerade keine Weltreise unternahmen, gaben stattdessen bekannt, dass sie frisch verlobt waren oder posteten das erste Ultraschallbild ihres noch nicht geborenen Kindes. Jeder schien unfassbar glücklich, erfolgreich und darüber hinaus echt gutaussehend. Und ich saß am Sofa und fühlte, wie sich mit jedem Foto meine Unzufriedenheit ausbreitete. Ich war damals Single, meine letzte Reise war einige Zeit her, im Berufsleben war ich mäßig erfolgreich und mein Make-Up hatte ich bereits seit einiger Zeit nicht mehr verwendet. Ich fühlte mich alles andere als glücklich, erfolgreich oder gutaussehend. Im Gegenteil: Ich fühlte mich wie eine Versagerin, die nichts im Leben erreicht hatte.

Beispiele wie diese waren in meinem Alltag omnipräsent. Eines hatte jeder dieser Momente gemeinsam: Ohne Smartphone fühlte ich Leere und Einsamkeit in mir. Mit Smartphone waren innerlicher Stress und der Zwang, mich zu vergleichen, meine ständigen Begleiter. Dennoch war es einfacher für mich, der Versuchung durch das Smartphone nachzugeben. Und so kam es, dass es immer mehr die Kontrolle über mich, meinen Alltag und schlussendlich auch über meine Launen übernahm.

Ich wusste damals nicht, was ich in meinem Leben überhaupt wollte, welche Werte ich tatsächlich vertrat und welche Bedürfnisse ich hatte. Früher dachte ich, dass ich all das über mich wusste. Jedoch musste ich feststellen, dass das ein Irrglaube war. Viele Jahre lang wurde mir von außen vermittelt, was vermeintlich richtig und was falsch ist, wie ich zu sein habe und was sich wie gehört. Natürlich hat dies nicht nur mit dem Smartphone zu tun. Geschichten über uns selbst entstehen durch Erziehung, Schule und das familiäre und soziale Umfeld. Dennoch, das Smartphone wirkt dabei wie ein Verstärker. Besser gesagt, nicht das Smartphone per se, sondern die Art und Weise, wie wir unser Smartphone nützen. Durch meine intensive Nutzung wurde mir permanent gespiegelt, wer ich zu sein habe, um erfolgreich, beliebt und schön zu sein. Und ich? Ich glaubte daran.

Ich definierte mein Leben als erfüllt, wenn ich ein vergleichbar glückliches Leben hatte wie Personen der Online-Welt. Und was waren Werte dieses glücklichen Lebens? Joberfüllung, Auslandserfahrungen, eine glückliche Beziehung, gut gelaunte Treffen mit dem eigenen Freundeskreis. Und dabei auf jedem Foto blendend aussehen. Und wenn ich das einmal erreicht haben würde, so glaubte ich, dann würde auch ich Erfüllung und Glück spüren. Es reichte mir nicht, dass ich bereits zahlreiche Abenteuer hinter mir hatte. Nein, ich wollte dieses aufregende und perfekte Leben jeden einzelnen Tag erleben, um umgehend online davon berichten zu können. Es fühlte sich gut an, anderen zeigen zu können, dass auch ich ein an Abenteuern reiches Leben hatte.

Ständig im Stress, Posts zu veröffentlichen, die beweisen sollten, dass ich diese Werte auch tatsächlich lebe, blieb kaum Zeit für Auseinandersetzung mit meinen echten persönlichen Bedürfnissen und Vorstellungen. Konstante Erreichbarkeit und schnellstmögliche Rückmeldungen auf alle Anfragen unterstützten eine Besinnung auf mich selbst ebenso wenig. Wie soll ich Zeit und Energie für mich selbst haben, wenn ich für so viele Menschen laufend und unmittelbar die richtige, inspirierende Antwort parat haben muss? Wie soll ich mich auf mich selbst fokussieren, wenn die Verlockung von äußerer Ablenkung so unglaublich groß ist?

Ich hatte weder die Zeit noch die Energie, mich damit auseinanderzusetzen, was ich im Leben wirklich erreichen wollte, was für mich zählte. Viel einfacher war es, mit dem Strom zu schwimmen. Es fiel mir leicht, mich so zu verhalten wie der Großteil der Menschen. Mich durch mein exzessives Smartphone-Verhalten zu betäuben war die perfekte Strategie, um meine wahren Bedürfnisse zu ignorieren und den gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu entsprechen und „dazuzugehören“.

Dies zu begreifen, dauerte Zeit. Es glich eher einem Prozess als einem Schalter, den ich von heute auf morgen umlegte. Bestimmt wurde der Umdenkprozess auch dadurch angeregt, dass mein inneres Unwohlsein intensiver wurde. Ich sah Menschen, die mit der gleichen innerlichen Unruhe lebten wie ich. Getrieben von Verpflichtungen und Erwartungen, die sie sich selbst auferlegt haben, im Glauben, es wäre der Weg zur Erfüllung. Und irgendwann kam der Wendepunkt, an dem ich endlich realisierte, was gerade mit mir passierte. Genau das war auch der Moment, in dem mir bewusst war, dass mein Smartphone nicht der Schlüssel zur Erfüllung sein konnte. Damals hatte ich keine Ahnung, wie ich meine Situation ändern kann. Alles, was ich wusste, war: Ich entscheide mich dafür, mein Leben und meine Zeit zurückzugewinnen und selbst zu gestalten.