Lilith - Adams erste Frau - Hermann Schladt (Hrsg.) - E-Book

Lilith - Adams erste Frau E-Book

Hermann Schladt (Hrsg)

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

„Lilith – Adams erste Frau“, lautete das Thema elften Story-Wettbewerbs des vss-verlags

Auch dieses Mal gab es genügend Storys, um eine ansprechende Anthologie gestalten zu können. Neun Storys waren es, die von den Juroren ausgewählt wurden; herausgekommen ist ein eBook, das viel Lesevergnügen bereiten wird. Ob subtiler Humor oder sanfter Grusel, die Aspekte, mit denen sich die Autorinnen und Autoren dem Thema nähern, sind weit gespannt.

Die Storys:

Eberhard Leucht – Liliths Rückkehr

Tobias Wandel – Lilith – Geschichte einer Selbsterkenntnis in 13 Szenen

Sabine Frambach – Die das Licht stahl

B. B. Beard – Four Needles

Severine Horlacher – Gottes missratener Stolz

Marielle Bodenheimer – Engelstränen

Thomas Bilicki – LILITH 2.0

Chrissy Lazemare – Die Nacht des schwarzen Mondes

Julia A. Jorges – Wo deine Schuld vergeben ist

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2016

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hermann Schladt (Hrsg.)

Lilith - Adams erste Frau

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Vorspann

Düstere Welten – Band 1

Hermann Schladt (Hrsg.) - Lilith – Adams erste Frau

1. eBook-Auflage – März 2016

© vss-verlag Hermann Schladt

Titelbild: Armin Bappert unter Verwendung eines Fotos von http://www.freepics.com/

Lektorat: Hermann Schladt

 

 

 

 

Hermann Schladt (Hrsg.)

 

Lilith – Adams erste Frau

 

Anthologie zum Storywettbewerb 2015 des vss-verlag

 

 

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

„Lilith – Adams erste Frau“, dieses Thema unseres Story-Wettbewerbs 2015 erwies sich dann doch als sehr schwierig. Dies zeigte sich zum einen an der recht geringen Zahl der eingereichten Titel, zum anderen aber auch daran, dass es sich bei fast zwei Dritteln der Beiträge um reine Nacherzählungen der in der Ausschreibung angeführten Legende um Lilth handelte, denen es meist an jeglicher Originalität mangelte.

Dennoch gab es auch dieses Mal genügend Storys, um euch eine ansprechende Anthologie gestalten zu können. Neun Storys waren es, die von den Juroren ausgewählt wurden; herausgekommen ist ein eBook, das euch hoffentlich viel Lesevergnügen bereiten wird. Ob subtiler Humor oder sanfter Grusel, die Aspekte, mit denen sich die Autorinnen und Autoren dem Thema nähern, sind weit gespannt.

Mein besonderer Glückwunsch gilt der drei Erstplatzierten des Wettbewerbes:

Marielle Bodenheimer mit der Story „Engelstränen“

Eberhard Leucht mit „Liliths Rückkehr“

Sabine Frambach mit „Die das Licht stahl“

Und jetzt viel Vergnügen beim schmökern.

Herausgeber

Eberhard Leucht - Liliths Rückkehr

(2. Platz)

Es war nicht mehr als ein Impuls, der einem Gedanken entsprang. Er streifte mich in der Unendlichkeit des Nichts. Ganz schwach nur, kaum zu spüren, hauchte er dennoch Bewusstsein in mich, das mich dem Vergessen entriss.

Ich bin … Zu wissen, was Vergessen ist, machte die Existenz des Ichs erst möglich. Die Dualität, die diese Welt beherrscht, das Ja gegen das Nein, das Licht gegen das Dunkel – das Eine definiert sich nur durch das Andere.

Ich bin … Doch was ich bin, ist damit noch lange nicht erklärt. Denn da ist nur Leere und das Ich ist Teil dieser Leere. Es gibt keine Grenzen zwischen dem was war und dem was ist. Die Leere zu füllen macht mich leben. Doch das vermag ich nicht allein. Wo ist die Hand, die nur göttlichen Ursprungs sein kann, die die Grenze zwischen dem Sein und Nichtsein zieht, die die Koordinaten meiner Existenz festlegt?

Sie ist da, diese Hand, irgendwo, sie wird mich finden, wie mich der Gedanke gefunden hat, der meinem Bewusstsein Leben einhauchte.

Ich muss jenen, den ich nicht Schöpfer nennen will und der kein Schöpfer ist, nicht suchen, er wird mich finden. Es ist ein noch zartes Band, das uns verbindet, das aber nicht so einfach zu zerstören ist. Nicht, wenn ich es nicht will. In mir drin beginnt sich der Wille zu entwickeln, ein Wille, der schnell wächst und stark wird und mich am Leben erhält. Diese Stärke ist ein Teil von mir. Woher ich das weiß? Ich kann es nicht sagen.

Fremde Gedankenspiele knüpfen ein Netz, in dem ich mich bewege wie eine Spinne und dabei die Fäden zu meinen eigenen mache. Dünn sind sie, kaum zu sehen. Meine Opfer werden sich darin verfangen. Ich brauche nur zu warten.

Meine Gedanken durchstreifen die Nacht. Ich bin auf der Suche. Vielleicht auch auf der Jagd. Ich weiß es nicht. Ich muss den finden, dessen Geist mich schuf und wachsen ließ, um ihm die Widerhaken meiner Existenz in die Seele zu stoßen. Das wird mich endgültig an ihn binden und mir, so meine Erwartung, Macht über ihn verleihen. Ich weiß, ohne die Quelle dieses Wissens zu kennen, dass ich über die Kraft verfüge, andere in ihrem Tun zu beeinflussen. Nichts wird mich davon abhalten, diese Kraft auch einzusetzen, denn ich habe auch Angst, Angst, wieder zurückgestoßen zu werden ins Vergessen, ins kalte Nichts.

Die Nacht ist erfüllt von Sternen und einem fetten gelben Mond. Das Tor in die jenseitige Welt ist weit aufgestoßen. Meine unsichtbaren Fühler werden finden, wonach ich suche. Ich fühle die Präsenz von etwas, das eine Erinnerung in mir weckt, denn dieses Etwas ist, wie ich einst gewesen bin – vor langer, langer Zeit …

Adrian Kents Augen flogen über die Zeilen auf dem Desktop seines Computers, derweil die Finger seiner rechten Hand den Aschenbecher suchten und die Zigarette ausdrückten. Er konnte den aufsteigenden Hustenreiz nicht länger unterdrücken. Er entlud sich mit einem heiseren Bellen, das seinen Körper ordentlich durchschüttelte und einen schmerzenden Druck in seiner Brust verursachte.

Er sollte endlich die Finger von den verdammten Glimmstängeln lassen! Nicht weil es Dr. Hemmerlein gesagt hatte – wer richtete sich schon nach den Ratschlägen seines Arztes, wenn er nicht gerade todkrank war? – sondern weil die Hustenanfälle immer schlimmer wurden. Manchmal glaube er, ersticken zu müssen, was jedes Mal Panik bei ihm auslöste.

Aber immer wenn er ein Kapitel eines seiner vielen Bücher zu Ende geschrieben hatte und er mit dem Ergebnis und mit sich selbst und der Welt zufrieden war, begannen seine Finger ein Eigenleben zu führen. Geschickt entnahmen sie der rechten Schreibtischschublade die angebrochene Schachtel Pall Mall. Wie von Zauberhand erschien gleich darauf ein Feuerzeug in seiner Hand. Nein, Adrian Kent konnte wirklich nichts dafür und eigentlich wollte er es auch gar nicht, und doch kringelten sich da schon die ersten blauen Rauchwölkchen in der Luft. Tief sog er den Rauch ein und stieß ihn genüsslich wieder aus. Nun erst war die Arbeit wirklich beendet, mit der Belohnung, die er sich gönnte. Und überhaupt, es waren ja gar nicht viele … Als wenn das eine Rolle spielte.

Ja, das verdammte Nikotin half ihm, denn schon nach den ersten Zügen spannen seine Gedanken die Geschichte, an der er gerade schrieb, weiter, er drang in die Welten vor, in denen die Figuren, die sein Geist erschaffen hatte, agierten. Beinahe ohne aktives Zutun entwickelte sich die Story weiter. Seine Helden nahmen ihn bei der Hand und ließen ihn an ihren Abenteuern teilhaben. Die brauchte er später dann nur noch zu Papier zu bringen. Das tat er auf die Weise, dass er sie in die Tastatur seines Computers hämmerte. So war es immer schon gewesen, auf diese Weise hatte er seine erfolgreichsten Sachen geschrieben. Daran sollte sich so schnell auch nichts ändern. Es war ein Ritual, dem er folgte und das zu unterlassen einer Blasphemie gleichkam.

Adrian warf einen letzten Blick durch das Fenster in die laue Sommernacht. Am tiefblauen Firmament stand ein fetter gelber Mond, der zur Hälfte vom schwarzen Schattenriss eines Baumes verdeckt wurde. Grillen zirpten, in der Ferne quakte ein Frosch. Die Idylle wirkte beruhigend auf Adrian. Er schloss das Fenster, knipste das Licht aus und stieg die Treppen nach oben ins Schlafzimmer.

Auf der linken, der Fensterseite, schlief Lucy den Schlaf der Gerechten. Die geblümte Bettdecke, eins der geschmacklosen Geschenke der Schwiegermutter, hob und senkte sich kaum sichtbar im Takt der flachen Atemzüge. Adrian schlüpfte lautlos auf seiner Seite des Bettes unter die Decke. Er wollte nicht, dass Lucy aufwachte, nur weil er bis in die Morgenstunden arbeitete. Dabei wusste er, dass ihr Schlaf so fest war, dass sie nicht einmal den Kuss mitbekam, den er ihr auf die Lippen hauchte.

„Gut geschlafen, Liebling?“ Lucy schien guter Laune zu sein, wie sie mit ihrem strahlenden Lächeln durch die Küche wirbelte und ihm Kaffee einschenkte.

Adrian nickte und ließ sich schwer auf den Stuhl fallen. Sein Morgen begann, wenn in anderen Haushalten das Mittagessen serviert wurde. Lucy hatte sich an den unregelmäßigen Tagesablauf gewöhnt, ohne je Widerspruch geäußert zu haben. Sie war eben eine Perle, und Adrian wusste genau, was er an ihr hatte. Seiner Maulfaulheit nach dem Aufstehen begegnete sie mit einer großen Portion guter Laune, die nicht einmal aufgesetzt war. Irgendwann kam dann auch der Moment, in dem er in ihr Lachen einfiel.

„Blass siehst du aus“, meinte sie an diesem Tag und ihr Gesichtsausdruck wechselte von vergnügt zu besorgt. „Ich glaube, du arbeitest zu viel. Wann bist du ins Bett gegangen? Es war bestimmt nach drei.“

Adrian nickte. „Es läuft im Augenblick besonders gut, weißt du. Mir fliegen die Ideen nur so zu. Ich habe immer Angst, ich komme mit dem Schreiben nicht hinterher. Es ist wie ein Zwang. Ich kann gar nicht anders.“

„Es ist dein Job und es ist doch schön, wenn er dir leicht von der Hand geht. Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten, in denen du über Schreibblockaden geklagt hast. Dann warst du tagelang unausstehlich.“

Wieder nickte Adrian. Ja, in solchen Fällen war es ratsam, ihm aus dem Weg zu gehen. „Ist diesmal ganz anders. Manchmal habe ich das Gefühl, es fließt alles durch mich hindurch, direkt in meine Finger.“

„Das freut mich.“

„Korrekturlesen ist trotzdem angesagt, Schatz. Je schneller ich schreibe, desto mehr Fehler mache ich.“

„Klar.“ Lucy zuckte mit den Schultern. Sie hatte ihm früher mehrfach angeboten, das Korrekturlesen zu übernehmen, schließlich hatte sie ein paar Jahre als Lehrerin gearbeitet, als Unterstufenlehrerin zwar nur, aber Rechtschreibung und Grammatik waren ihr vertraut. Adrian aber ließ keine Menschenseele auch nur eine Silbe eines neuen Manuskripts lesen, bevor er nicht das Wörtchen „Ende“ daruntergesetzt hatte. Eines seiner heiligen, unantastbaren Rituale. Von denen gab es nicht wenige, und manche von ihnen hätten bei anderen Menschen wohl nur Kopfschütteln verursacht.

Lucy arrangierte frisch geschnittene Blumen zu bunten Sträußen, die sie in Vasen, jede auf ein Spitzendeckchen gestellt, im Wohnzimmer verteilte und damit etwas vom Sommer ins Haus brachte. Adrian verfolgte mit den Augen, wie sie dabei ihren Po, vom dünnen Stoff eines Sommerkleidchens zart umspielt, elegant hin und her warf. Er war versucht, ihr in den Hintern zu kneifen, ließ es aber bleiben, weil er wusste, dass er sich nur einen Klaps auf die Finger einhandeln würde. Derartige Anzüglichkeiten am helllichten Tag mochte Lucy nicht. Alles zu seiner Zeit, lautete ihre Devise.

„Bis später.“ Mit einem flüchtigen Küsschen auf die Wange verabschiedete er sich schließlich für die nächsten Stunden ins Arbeitszimmer. Dort würde es mehr Erotik geben als mit seiner Blumenfee, denn der Text, den er durcharbeiten musste, enthielt einige prickelnde Szenen. Er hatte sie gestern wie im Rausch niedergeschrieben.

Ich habe ein gutes Gefühl. Mein Bewusstsein durchdringt das Dasein. Ich spüre in mir eine Kraft, die mir beinahe Angst macht. Ich vermag alles, wenn ich nur will. Und ich will. Ich will alles.

Fast zeitgleich beginne ich zu verstehen. Das, was ich bin, ist nicht neu geboren, es existiert seit sehr langer Zeit. Es ist eine Rückkehr. Das was ich war, was hinter mir liegt, ist mir verschlossen. Noch jedenfalls. Die Gedankenmuster jedoch, die zu Worten werden, füllen die Leere Stück für Stück. Was ich brauche, ist Geduld. Als wenn ich die hätte! Mir geht es nicht schnell genug. Ich möchte sein, ich möchte wissen …

Die Verbindung mit dem, den ich mangels rechten Wissens noch immer Schöpfer nenne, ist stabil. Ich kann sicher sein, dass uns nichts so einfach trennen kann. Und so wie er etwas formt, das immer mehr zu meinem Ich wird, umso mehr wächst auch mein Einfluss auf ihn. Das habe ich inzwischen herausgefunden, und ich gedenke, die Macht, die mir gegeben wurde, auch einzusetzen.

Wenn sich mein Bewusstsein mit Energie füllt und durch die Nacht kreist – und das keineswegs mehr so ziellos und willenlos wie am Anfang – dann fühle ich mich ihm nahe. Er ist wie ein Schatten, der sich vor die Sterne am Firmament schiebt, zum Greifen nahe und gleichzeitig unerreichbar fern.

Noch etwas erwacht in mir. Es ist eine Art Verlangen, ein Verlangen nach ihm, den ich doch nicht Schöpfer nennen will, doch ich habe keine Ahnung, auf welche Weise es Erfüllung finden könnte. Ich sehne mich nach ihm, wer immer er auch sein mag, und ich glaube zu wissen, dass dieses Gefühl erwidert wird. Oder erwidert werden könnte. Ich kann dieses Gefühl nur als eine wunderschöne, in allen Farben strahlende Kugel beschrieben, die verlockend vor mir schwebt. Doch wenn ich glaube, sie ergreifen zu können, löst sie sich sofort in Nichts auf.

Nein, ich bin keineswegs schon vollkommen, auch wenn ich es mir so sehr wünsche. Ich möchte vollkommen sein, wenn ich dem gegenübertrete, der mich schuf. Dann, dessen bin ich mir sicher, werden die Gefühle, die ich für ihn empfinde, erwidert. Ich bin wie die Knospe einer wunderschönen Blume, die der Odem des Lebens aufblühen lässt. Wer mich erblickt, muss mich in Besitz nehmen, ohne zu begreifen, dass ich es bin, die ihn beherrschen wird. Dem gilt mein ganzes Streben.

Ich könnte meine Hände ausstrecken und ihn, dem meine Sehnsucht gilt, fühlen. Doch ich weiß, der Zeitpunkt ist noch nicht gekommen. Zu fragil ist das Gebilde, das ich aus fremden Gedankenmustern erschaffe.

„Ja“, antwortete Adrian auf Lucys Frage und hatte im gleichen Moment schon wieder vergessen, was sie eigentlich von ihm hatte wissen wollen. Oder hatte sie ihn um etwas gebeten? Egal, sein „Ja“, zuversichtlich und ohne Zögern ausgesprochen, hatte sie beruhigt.

Kaum dass sich die Sonne dem Horizont näherte und sich das Licht aus den Zimmern des Hauses stahl, wurde er von einer unerklärlichen Unruhe erfasst. Etwas zerrte an ihm, wollte ihn fortreißen vom bequemen Platz auf der Couch, weg von Lucy und der Wärme ihrer Schenkel, weg von ihrem unbeschwerten Lachen, weg von ihrer Plauderei, die ihm stets geholfen hatte, in angespannten Situationen den Kopf frei zu bekommen und die er plötzlich nur noch als banal empfand.

War es das Manuskript in seinem Arbeitszimmer, das nach ihm rief? Der Abgabetermin lag in weiter Ferne, es gab nichts, das ihn drängte. Sein letztes Buch „Todeskonstruktion“ lief nach wie vor sehr gut, der Verlag wollte davon noch so viele Exemplare wie möglich verkaufen, ehe es einen Nachfolger auf den Markt warf.

Mit seinem nächsten „Ja“ stimmte Adrian Lucy zu, sie am nächsten Tag irgendwohin zu begleiten, wofür er zum Dank einen schmatzenden Kuss auf die Wange bekam.

Was genau hatte sie vor?, versuchte er sich krampfhaft zu erinnern. Aber er kam nicht drauf. Lucys Worte waren ihm vorbeigerauscht wie ein Mückenschwarm, man kam nicht umhin ihn zu bemerken, aber man hatte ihn schon wieder vergessen, wenn man ihn hinter sich gelassen hatte. In seinen Gruselgeschichten hätte er sich in diesem Augenblick als jemand beschrieben, dessen Geist sich aus dieser Welt entfernt hatte. In seinem Fall allerdings nur bis ins nebenan gelegene Arbeitszimmer. Ungewollt spann er die Geschichte, an der er gerade schrieb, weiter. In aller Deutlichkeit entstanden in seinem Kopf Szenen, die in weniger als einer Stunde in das Manuskript einfließen würden.

Während er den Computer hochfuhr, blätterte Adrian in dem Stapel der Ausdrucke. Die rot angestrichenen Fehler hatte er am Nachmittag im elektronischen Text korrigiert. Nun suchte er den Anschluss an die letzte Seite …

Adrian war ans Fenster getreten und hatte es geöffnet – und er war sich seines Tuns gar nicht bewusst gewesen. Nun blickte er in den nächtlichen Garten, als gäbe es dort etwas anderes als die tiefschwarzen Schatten der Bäume zu sehen. Der Wind rauschte geheimnisvoll im Laub.

Adrian hielt sich am Fensterrahmen fest und fragte sich zum zweiten Mal, was er hier eigentlich tat. Tief atmete er die kühle Luft ein. Hatte er draußen im Garten ein ungewöhnliches Geräusch vernommen, deren Ursache er auf den Grund gehen wollte? Adrian beantwortete sich diese Frage mit einem Schulterzucken. Er brauchte sich nur umzudrehen und die drei Schritte zum Schreibtisch gehen. Aber er tat es nicht, als hielte ihn irgendetwas davon ab. Er schloss die Augen, als hätte ihn ein Blitz geblendet. Als er sie wieder öffnete, befand er sich mitten im Garten. Außerhalb des Hauses!

Er fragte sich gar nicht mehr, wie er da hingekommen war, ob er einen Aussetzer gehabt hatte oder einfach nicht mehr wusste, was er tat, denn vor sich erblickte er so etwas wie ein Nachbild, etwas das man sah, wenn der Lichtreiz eines Objektes längst abgeklungen war. Doch im Gegensatz zu den natürlichen Erscheinungen dieser Art schien dieses Nachbild nicht abzuklingen. Adrian hatte das Gefühl, es wurde schärfer, je länger er darauf blickte. Es schwebte inmitten der Dunkelheit des nächtlichen Gartens und sah aus wie ein ovaler Spiegel oder ein Gemälde mit einem golden schimmernden Rahmen, in den seltsame Ornamente eingelassen waren, die mystische Gestalten mit fratzenhaften Gesichtern miteinander verbanden. Die Innenfläche, etwas über einen Meter hoch, wirkte transparent und zeigte die Schemen einer Person, deren Formen auf eine Frau schließen ließen. Um einen Spiegel handelte es sich also definitiv nicht. Um ein Bild allerdings auch nicht, denn die Frau bewegte sich. Oder schien ihm das nur so?

Nein, kein Zweifel, die langen Haare, auf denen Reflexe des Mondlichts schimmerten, bewegten sich, als spielte der Wind mit ihnen. Die Augen von unbestimmbarer Farbe waren voller Leben. Die geschwungenen Formen der Lippen zuckten leicht, deuteten ein Lächeln an. Die vollen Wülste, leicht aufgeworfen, enthielten das Versprechen purer Sinnlichkeit. Wie gerne hätte Adrian sie mit den seinen berührt, ganz sanft am Anfang, flüchtig wie der Hauch eines Schmetterlingsflügels, um sie dann fester und fester darauf zu pressen und den Kuss von ihnen zu trinken.

Doch er war nicht fähig, sich von der Stelle zu rühren. Etwas schien ihn zu umschlingen wie unsichtbare Tentakel.

Etwas sprach mit ihm, auch wenn er die Worte nicht verstehen konnte. Die Stimme war in ihm drin, ganz leise, weniger als ein Flüstern.

Nun trat die Frau aus dem Bild. Sie glitt durch Adrian hindurch wie ein Geist und verschwand hinter seinem Rücken.

Vielleicht gibt es wirklich Situationen, in denen die Zeit im wahrsten Sinne des Wortes stehenbleibt. Als sich Adrian im Inneren seines Zimmers, am Fenster stehend, wiederfand, verriet ihm ein Blick auf die Uhr, dass eine ganze Stunde vergangen war.

Was für ein intensiver Traum! Aber was bedeutete er? Und wieso verfiel er in Träume, wo er doch zu arbeiten hatte?

Im Raum schwebte der zarte Klang einer Stimme, einer Stimme voller Sinnlichkeit. Diesmal konnte Adrian die Worte deutlich verstehen. „Wir sehen uns wieder. Wenn du willst.“ Nach einer kurzen Pause tiefster Stille ließ sie sich noch ein weiteres Mal vernehmen: „Du willst doch!“ Der letzte Satz klang nicht wie eine Frage …

Das Tor ist weit auf. Ich komme meinem Ziel immer näher. Ich verfüge inzwischen über die Kraft, es zu durchqueren und wieder zurückzukehren. Einmal, so weiß ich, werde ich nicht mehr zurückgehen, ich werde es nicht mehr brauchen. Ich kann die Grenzen meiner derzeitigen Existenz niederreißen.

Ich bin ihm, dessen Gedankenmuster mein Bewusstsein erweckten, begegnet. Nein, er ist kein Schöpfer. Das, was er getan hat, könnte man als Wiedererweckung bezeichnen. Seine Worte haben mich dem Nichts, dem Vergessen entrissen. All seine Gedanken manifestieren sich in einem Stapel Papier, den ich auf seinem Tisch neben einem ungewöhnlichen Apparat entdeckt habe. Ich werde auch noch hinter das Geheimnis all der Geräte, die es in vielfältiger Weise in seiner Welt gibt, kommen. Dessen bin ich mir sicher.

Die Worte hat er auf Papier geschrieben, in einer schönen, korrekten, gerade ausgerichteten Schrift, die ich nicht kenne. Und doch verstand ich, was da geschrieben stand. Diese Worte haben mir Leben eingehaucht.

„Die Rückkehr der Dämonin“ stand auf der ersten Seite geschrieben, darunter ein Name, wahrscheinlich seiner. Dämonin? Bin ich eine Dämonin? Meine Erscheinung hat sich im Fensterglas widergespiegelt, ich habe mich gesehen und erkannt und ich fand, dass ich keineswegs wie eine Dämonin aussehe. Eher wie jemand, dem Menschen wie er, Männer, leicht verfallen.

Man kann sagen, ich bin dem Stapel Papier entstiegen. Aber es gibt nichts, was mich wieder dort hinein verbannen könnte.

Es ist mir nicht schwergefallen, ihn, der meine Existenz mit Worten füllt, zu verzaubern. Ich habe schnell herausgefunden, welche Stelle bei ihm am schwächsten ist – sein Herz. Zum Dank für meine Wiedererweckung habe ich ihn mit Hoffnung erfüllt, mit der Hoffnung, mich wiederzusehen. Die Hoffnung ist in seiner Welt, so scheint mir, eine große Kraft. Er weiß noch nicht, wer ich bin, aber er wird mich kennenlernen. Und ich bin sicher, es wird schon bald geschehen.

Adrian verspürte den ganzen Tag schon eine unerklärliche Unruhe in sich. Wohin er auch ging, was er auch tat, er schleppte eine Erwartungshaltung mit sich herum, als stünde ihm eine großartige Begegnung bevor. Und doch hätte er nicht zu sagen gewusst, mit wem und warum. Es sind die Nachwirkungen des nächtlichen Traums, beruhigte er sich. Es war ein sehr intensiv erlebter Traum, wie er ihn schon lange nicht mehr erlebt hatte. Und er war verdammt realistisch gewesen. Vielleicht ein weiteres Zeichen, dass er überarbeitet war? Er dachte trotzdem nicht daran, kürzer zu treten. An dem Manuskript musste weitergeschrieben werden. Als ging es um sein Leben. Lucy sollte nichts davon erfahren, sie würde nur wieder Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihn von der Arbeit abzuhalten. Die brachte es fertig und holte wieder Dr. Braun ins Haus.

Nein, nein, für derlei Kinkerlitzchen war jetzt keine Zeit! Er sah noch ein bisschen blasser aus als sonst. Na und? Wenn es weiter nichts war! Er arbeitete nachts und schlief am Tag, er mied die Sonne wie ein Vampir.

Im Gegensatz zu Lucy. Die werkelte wieder in einem ihrer sorgsam gepflegten Blumenbeete. Gerade bückte sie sich und streckte ihren Hintern heraus. Genau in Adrians Richtung. Es war nicht nur das Wasser, was ihm bei diesem Anblick des knackigen Pos im Mund zusammenlief. Die Verlockung war groß, jetzt in den Garten zu gehen, Lucy zu packen und ihr die kurzen Shorts über den Hintern zu ziehen. Die Vorstellung, wie sie daraufhin quieken und ihn von sich schubsen würde – nicht hart, aber sehr entschieden – ernüchterte ihn schlagartig. Ja, genau, alles zu seiner Zeit, und jetzt wäre bestimmt keine Zeit für derartige Albernheiten. Albernheiten nannte sie es, wenn er sie am helllichten Tag zum Spaß oder um sie zu foppen in den Hintern kniff.

Da tauchte ein anderes Bild in ihm auf. Etwas schien ihn umschlingen zu wollen, nicht die Tentakel eines ekligen Tieres, sondern die warmen, weichen Arme einer Frau. Zärtlich und gleichzeitig besitzergreifend fiel diese Umarmung aus.

Ja, es war offensichtlich, er sollte daran erinnert werden, dass es jemanden gab, der ihm in solch einer Situation weder auf die Finger klopfen, noch ihn wie einen Trottel einfach stehenlassen würde. Sinnliches Verlangen schlug Adrian entgegen, und das kam nicht von Lucys Hintern.

„Ja“, vernahm er von weither eine Stimme, die in seinem Kopf gefangen zu sein schien, „ich bin hier bei dir … Jederzeit …“

Adrian stieß die Luft aus, die er aus unerfindlichen Gründen eine ganze Weile angehalten hatte. Er wandte sich um, Lucys Pobacken verschwanden aus seinem Sichtbereich. Er hatte in letzter Zeit wirklich zu viel gearbeitet, so viel, dass die Liebe zu kurz gekommen war. Und dass er Lucy liebte, stand außer Frage.

Was blieb ihm nun anderes übrig, als sich wieder in seine Arbeit zu stürzen. Deren Fortschritt war an dem stetig wachsenden Papierstapel zu erkennen. Erneut war die undankbare Arbeit des Korrekturlesens, dessen Wichtigkeit ihm als Profi bewusst war, angesagt.

Sein Blick fiel auf das Titelblatt. „Die Rückkehr der Dämonin“ war durchgestrichen. Handschriftlich stand darunter geschrieben: „Liliths Rückkehr“.

Hatte er diese Änderung vorgenommen? Wann? Und warum?

Tiefe Falten zogen sich durch seine Stirn. Je länger er darüber nachdachte, desto weniger wollte ihm ein Grund für diese Änderung einfallen. Es war nicht ausgeschlossen, dass er das heute Morgen, zu früher Stunde, im Halbschlaf getan hatte.

Wenn er es sich aber recht überlegte, dann war die Wahl dieses neuen Titels gar nicht so verkehrt. Die zentrale Figur seines Romans hatte zweifellos etwas vom Charakter der angeblich ersten Frau Adams – sie war verführerisch, hübsch, ausgesprochen selbstbewusst, sexy, ja, das sogar in besonderem Maße, und Verderben bringend.