Lohas - Eike Wenzel - E-Book

Lohas E-Book

Eike Wenzel

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Beschreibung

Viele gehören bereits zu den so genannten Neo-Ökos oder Lohas, ohne sich darüber im Klaren zu sein: Sie führen einen möglichst ökologischen und nachhaltigen Lebensstil, konsumieren sehr bewusst und sind auch neuster Technik gegenüber aufgeschlossen – wenn sie mit dem grünen Gewissen vereinbar ist. Die Anzahl dieser Öko-Anhänger wird ständig größer und entwickelt sich damit zu einer ernst zu nehmenden Größe für Wirtschaft und Politik. Konsumfreudig, umweltbewegt und konsequent wird sie mehr und mehr zu einer der wichtigsten Gesellschaftsgruppen der nahen Zukunft. Das Buch beleuchtet die Lebenswelt der Lohas und zeigt dem Leser Innenansichten einer neuen Umweltbewegung, die bereits heute Schlagzeilen macht.

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Anja Kirig | Eike Wenzel

LOHAS

Anja Kirig | Eike Wenzel

LOHAS

Bewusst grün – alles über die neuen Lebenswelten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:[email protected]@redline-verlag.de

Nachdruck 2013

© 2009 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH Nymphenburger Straße 86 D-80636 München Tel.: 089 651285-0 Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Ulrike Kroneck, Melle-Buer Umschlaggestaltung: Jarzina Kommunikations-Design Umschlagabbildung: Thomas Jarzina, www.istockphoto.com Satz: Jürgen Echter, Landsberg am Lech Druck: Books on Demand GmbH, Norderstedt Printed in Germany

ISBN Print 978-3-86881-499-6 ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-203-1

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unterwww.muenchner-verlagsgruppe.de

Inhalt

VorwortEinleitungDie neue Genusselite: Im Burger-Lokal auf der ZeilLOHAS-Lifestyle - die Richtung unserer zukünftigen Sehnsüchte„Sehnsucht Grün" - wie ein Mentalitätswandel unsere Wunschwelten umgestaltetEine neue Lebenskunst - und eine neue Ethik1. LOHAS, Neo-Ökos und moralische Hedonisten - Die Geburt einer neuen LebensformDie Lebensstil-Revolution: Wie wir uns in unserem neuen Leben einrichtenSekt, Selters oder Bionade: Es geht um UrsprünglichkeitApple: Von der Technik zur KreativitätstechnikEnde der Dresscodes: Von Freizeit über Outdoor zu GreenstyleAmerikanisches LOHAS-Kino: Julia Roberts - von der Tussie zum Green-GlamourDie neue Verabredung mit der NaturVon Wellness zur Selbstkompetenz in Fragen der GesundheitWas Gesundheit zukünftig für uns bedeutet: Wohlfühlen, Balance, Selbstkompetenz2. Acht Aufbrüche in eine neue Genuss-Kultur1. Von der Mangelbeseitigung zum Neuen Luxus2. Wiederverortung im Vertrauten: Regional-Kult und Glamour in der Provinz3. Profane Erleuchtung: Vom Glauben zur Spiritualität4. Vom Immer-Mehr zum Kult des Weniger: Simplify your Life5. Von der Ironiegesellschaft zur Renaissance der Werte6. Von der Talkshow-Demokratie zur Mikropolitik: Es geht um Teilhabe7. Von der Partygesellschaft zur neuen Erfahrungskultur8. Vom Broadcasting zum Narrowcasting: Mediendämmerung, Social Media, Web 2.03. Der Lebensstil des Sowohl-als-auchDas große „Irgendwie": Willkommen zum Protest-Pop auf der NordseeinselDie Welt hinter der Wohlstandswelt: Aus der Wohlstands- in die WohlfühlgesellschaftWie wir wurden, was wir künftig nicht mehr sein wollen: Das magische Quadrat des WohlstandsDie neue Erlebniskultur des UND verändert unsere Lebenskonzepte: Kind UND Karriere, Selbstverwirklichung UND Familie4. Sehnsucht nach dem Echten und Ehrlichen: LOHAS transformieren die Food-MärkteWillkommen in der global-lokalen Genusswelt von morgenThink global, eat local! Warum Heimat so ganz unverwechselbar gut schmecktLebenslust 2.0: Mittendrin statt nur dabei - staunen, schmecken, lernen5. Der Neue LuxusWarum LOHAS den Neuen Luxus so anziehend findenFlaneure und neue Dandys6. Die Feminisierung unserer Lebenswelt: Frauen sind die Bewusstseinselite von morgenDer weibliche Werte-Cocktail: Individualität mit VerantwortungVon der lächelnden Weinkönigin zur erfolgreichen SpitzenwinzerinWie die grünen Göttinnen einkaufenNachhilfe in Sachen grüner Lifestyle: Männer ändern sich7. Die neue Sehnsucht nach Gemeinschaft und der lange Abschied von den MassenmedienWeshalb Gerhard Schröder nie ein LOHAS wirdWir verabschieden uns vom Fernsehen - neue Medien, neue SehnsüchteDie Persönlichkeit des Jahres? Wir!Individualisierte LOHAS-Medien - Technologien „für uns selbst"Meldestelle für Glücksmomente - das lokal-globale NetzDigital paradox: Die Wiedergeburt des Realzeit-StarsDer paradoxe Triumph des Web 2.0: Leben in der Offline-Welt8. Die Weisheit des Teebeutels: Spiritualität in einer Zeit, in der wir nicht mehr glauben wollenDie moderne Botschaft des Dalai Lama: Ichkultur ohne Egoismus, Gemeinschaft ohne SektierereiKlosterurlaub: Die Meister der Askese lehren spirituelle Einkehr und GenussDie „andere Ökonomie" im vermeintlichen Spannungsfeld von Markt und ReligionSehnsucht im 21. Jahrhundert: Entwicklung statt BekenntnisUnser Körper als Schnittpunkt von Spiritualität und SportlichkeitNachwort: Mit den LOHAS ins nächste JahrzehntÜber die AutorenStichwortverzeichnis

Vorwort

Im vergangenen Jahr habe ich vier Diplom- und Bachelor-Arbeiten betreut, die sich mit dem Thema LOHAS beschäftigten. Unzählige Interviews, Interviewanfragen und Fragebögenaktionen (die zu unserer Überraschung fast alle aus wirtschaftlichen bzw. touristischen Studiengängen kamen) waren ebenfalls dabei. Nach Feuilleton und Marketing hat jetzt auch die Universität den Lifestyle of Health and Sustainability, kurz LOHAS genannt, entdeckt. Von einem künstlich erzeugten Hype kann schon lange keine Rede mehr sein. In den wichtigsten Branchen, bei den namhaftesten Unternehmen bekamen wir Gelegenheit, über das schillernde LOHAS-Phänomen zu sprechen (und selbst über den Lifestyle hinzuzulernen). Alle namhaften Marktforscher, allen voran AC Nielsen, Gf K und Allensbach, haben ihre Umfragesystematik auf die LOHAS, die wir gern auch moralische Hedonisten nennen, ausgerichtet. Wichtige Meinungsbildner wie der „Spiegel“ oder die „Brigitte“ preisen sich gegenüber der Anzeigenkundschaft als LOHAS-Medien an.

Gerhard Matzig hat die Aufregung um die LOHAS im November 2006 in der „Süddeutschen Zeitung“, zu dem Zeitpunkt also, als sich die großen nationalen Medien immer stärker für das Thema interessierten, mit folgenden Worten kommentiert:

„Hollywood fährt Hybrid, Angela Merkel katalysiert Europa, Heidi Klum trägt Birkenstock, Yello-Gründer Dieter Meyer züchtet in Argentinien Bio-Rinder, Star-Architekt Wolfram Sobek baut in Stuttgart einen Öko-Glas-Palast, die Generation Golf stürmt die Bio-Märkte. Tatsächlich tauchen auf Architekturkongressen, in Designschauen und auf den Automobilmessen Leute auf, die aussehen, als ob sie die Zeitschrift Hedonism Quarterly herausgeben – in Wahrheit interessieren sie sich für energieeffiziente Häuser, stromsparende Haushaltsgeräte, hybridgetriebene Autos und das Kyoto-Protokoll.“

Menschen verlassen die eingetretenen Pfade, es tritt eine Irritation im Sinngerüst unserer Welt ein, neue Verbindungen entstehen, Veränderungen, Widersprüche und unausgegoren Neues schießen zu einer verdichteten, semantisch aufgeladenen Situation zusammen, die wir einen Trend nennen. Und davon soll in diesem Buch die Rede sein: Von Trends, die unseren Lebensstil zu verändern beginnen und dies – unserer Einschätzung zufolge – auch noch in den nächsten zehn bis 15 Jahren tun werden. Was uns bei dem vorliegenden LOHAS-Buch wichtig war: Es geht um die gesellschaftlichen Voraussetzungen eines Trends, den wir im Zukunftsinstitut in den Jahren 2002/2003 als Erste für den europäischen Markt identifiziert haben und der seitdem eine ungeahnte Dynamik entwickelt hat (siehe den Beleg bei Wikipedia unter http://de.wikipedia.org/wiki/LOHAS).

In dem Buch Greenomics, das bei getAbstract mittlerweile als Bestseller geführt wird, ging es uns um die wirtschaftlichen Konsequenzen der Megatrends Neo-Ökologie. In dem vorliegenden LOHAS-Buch stehen kulturelle Hintergründe, sozialpsychologische Befunde, alltagsethnologische Beobachtungen und – wie sich das für Trendforscher gehört – Einblicke in Märkte und Marketing im Vordergrund.

Während wir den Lesern von Greenomics mithin eine Gebrauchsanweisung liefern wollten, wie sie mit dem Neo-Ökologie-Trend in ihrer Branche umgehen können, möchten wir mit dem LOHAS-Buch über die soziokulturellen Motive und Tiefenstrukturen dieses wirkungsmächtigen Trends informieren. Nach unserer Meinung ist das nicht weniger wichtig für denjenigen, der sich professionell und umfassend mit den LOHAS beschäftigen möchte. Allerdings ist der Gebrauchswert ein anderer. In Greenomics erhalten unsere Leser einen Überblick darüber, wo sich der Megatrend Neo-Ökologie bereits auf den weltweiten Märkten manifestiert hat. Wer sich indes intensiver mit dem Werte- und Mentalitätswandel auseinandersetzen möchte, der zweifellos in dem LOHAS-Trend enthalten ist, der sollte sich in das vorliegende Buch hineinknien.

Denn eines ist klar, und das haben wir bereits in Greenomics angedeutet: LOHAS-Lifestyle ist nicht der nächste Zielgruppen-Hype, der uns von aufgekratzten Marktforschern angedient wird. LOHAS sind eine gesellschaftliche Veränderungsbewegung, die mindestens bis 2030 unsere Märkte fundamental verändern wird. Als Trendanalytiker befassen wir uns in erster Linie mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen.

Was wir als Trend beschreiben, ist häufig nichts anderes als ein solcher Veränderungsprozess, der in der Gegenwart in Spuren und Fragmenten zu beobachten ist und dessen weitere Entfaltung – das versuchen wir stets anhand von Daten und Fakten zu belegen – das Leben (und das ökonomische Handeln) in der Zukunft signifikant beeinflussen wird. Wir unterscheiden Megatrends (Neo-Ökologie, Gesundheit, Alterung, neue Geschlechterbeziehungen, Digitalisierung, Globalisierung …), deren Halbwertzeit zwischen 30 und 50 Jahren liegen. Aus diesen Megatrends leiten sich gleichzeitig die meisten der Gesellschafts- und Konsumtrends ab, ihre Halbwertzeit liegt bei maximal zehn bis 15 Jahren. Mit dem LOHAS-Buch stellen wir Ihnen also einen einflussreichen Gesellschaftstrend vor, der einen fundamentalen Mentalitätswandel in der globalen Welt zur Folge hat und der ohne den Megatrend Neo-Ökologie schlechterdings nicht vorstellbar ist.

Megatrends sowie Konsum- und Gesellschaftstrends sind in der Welt des 21. Jahrhunderts entscheidend dafür verantwortlich, wie wir unser Leben in den nächsten Jahren gestalten. Mit unserem LOHAS-Buch legen wir Ihnen gewissermaßen die Geschichte der aktuellen und relevantesten Lebensstilveränderungen vor. Der Lebensstil der LOHAS, das ist unsere Überzeugung, beschreibt den Wertewandel, der unser Leben in den nächsten zehn bis 20 Jahren am einschneidendsten prägen wird. Unser Anspruch bei der Lebensstilanalyse der LOHAS war es, in die Tiefen-schichten dieses Mindsets vorzustoßen.

Und da sich LOHAS gern in paradoxale Konstellationen begeben, oder besser: in Konstellationen, die sich aus dem Blickwinkel der Lebensstilforschung des 20. Jahrhunderts überhaupt nicht zu einem stimmigen Lebensentwurf „zusammenzwingen“ lassen, setzt unsere Recherche an den unterschiedlichsten Stellen unserer Wirklichkeit an. Dass diese „Stellen“ jedoch signifikante Orte sind, die den Lebensstil der Zukunft authentisch beschreiben, das sei hier kurz angedeutet.

1. Authentisch sein: Die Geburt eines neuen Lebensstils

Wir beginnen unsere Analyse mit einem Begriff, der ebenso schillernd ist wie das Kürzel LOHAS selbst. Authentizität ist das, was die LOHAS in ihrem Leben, in ihrem Beziehungsleben und im Konsum suchen. Die Lebensstil-Revolution basiert unter anderem darauf, dass die moralischen Hedonisten nach Glaubwürdigkeit und Ursprünglichkeit suchen. Authentizität heißt aber auch, Produkte an die Hand zu bekommen, die die eigene Kreativität steigern und – wir werden das unter anderem am Beispiel von Apple zeigen – einen neuen Zugang zu neuen „Infrastrukturen des Genusses“ eröffnen.

2. Die acht Grundkoordinaten der LOHAS-Kultur

Im Anschluss daran erläutern wir Ihnen, wie die Grundkoordinaten der neuen LOHAS-Kultur schon heute aussehen und wie sie sich in Zukunft noch stärker in unsere zeitgenössischen Lebenswelten einschreiben werden. Wir erzählen Ihnen von acht Aufbrüchen in eine neue kulturelle Lebenswelt, die Regionales und Lokales wieder attraktiv findet, die sich nach dem Puren und Einfachen sehnt. LOHAS-Kultur heißt aber auch Abschied von der Comedy- und Ironiegesellschaft, die in den 1990er-Jahren unsere Weltsicht geprägt hat. Es heißt auch, dass damit eine neue Mikropolitik und ein neues Modell der Teilhabe in politischen Prozessen gesucht wird. Wie sehen diese Prozesse aus, wie stellen sich die LOHAS den politischen Prozess in der Zukunft vor?

3. Die Philosophie des Sowohl-als-auch

Dass zu dieser neuen Kultur- und Wertewelt auch ein neues Verständnis von Ideologie und Parteilichkeit gehört, versteht sich eigentlich von selbst. Ein grundlegend neues Mindset der LOHAS haben wir bei unseren Erkundungen in der Alltagskultur der moralischen Hedonisten in der Denkfigur des Sowohl-als-auch gefunden. Viele der LOHAS kennen soziale Bewegungen, haben sich dort engagiert, viele der älteren LOHAS (beziehungsweise die Eltern der LOHAS) haben ihre Erfahrungen mit der bundesrepublikanischen Ökologiebewegung der 1980er-Jahre gemacht. Die Frühphase dieser Ökologiebewegung war durch ein strenges Lagerdenken gekennzeichnet – wer gegen die Startbahn West demonstrierte und das Waldsterben beklagte, der konnte kein CDUler sein (obwohl einige der GRÜNEN-Gründer aus dem Christdemokratischen Spektrum kamen, ein feiner Unterschied, der zur damaligen Zeit zugunsten der Frontgenauigkeit jedoch kaum jemandem bewusst wurde). Und wer sich dem wertkonservativen bis rechten Spektrum zugehörig fühlte, der ging mit Schalenkoffer zur Uni und freute sich an Atomraketen vor der Haustür: „Lieber ne Pershing im Garten als ne SS 20 aufm Dach“, wie der zeitgenössische Reim darauf lautete. Die LOHAS entwickeln ihren Lebensstil konträr zu diesem Entweder-oder. Sie haben gelernt, dass nur im Sowohl-als-auch Entwicklung und Selbstbestimmung möglich ist und das Entweder-oder in den Kalten Krieg der Ideologien zurückführt.

4. Die Genusswelten der LOHAS

Schließlich charakterisiert die LOHAS nichts so treffend wie ihr Umgang mit Lebensmitteln, Essen, Genuss. Hier entfaltet sich ihr Sowohl-als-auch-Mantra: Genussvoll und gesund soll es sein, Essen und Genießen soll von Verantwortung gekennzeichnet sein und zugleich Vergnügen bereiten. Damit verabschieden sich die LOHAS auch von einem fragwürdigen Ökobewusstsein, das gesunde Ernährung (in den 1980er-Jahren) mit Kritik an Kapitalismus und Konsumgesellschaft kurzschloss. Die modernen Genusswelten der LOHAS flüchten nicht in ideologischen Selbstbestätigungsnischen, um eine Identität zu entwickeln. Für sie beginnt die „global-lokale“ Genussrealität auf dem platten Lande direkt hinter den arroganten Hochhaustürmen in Frankfurt am Main. Hier gedeihen (wieder) Berliner Schafsnase und Bohnapfel – eine neue Genusskultur mit neuen Werten, die für Banker und Sozialpädagogin gleichermaßen zustimmungsfähig sind. Und: Die neue Genusskultur der LOHAS hat nichts mehr mit der Generalabsage an die Gesellschaft zu tun, LOHAS begreifen sich auch nicht mehr als „Verbraucher“, sie gestalten diese neue weltoffene und traditionsgesättigte Food-Kultur aktiv mit: „Think global, eat local!“

5. LOHAS und der Neue Luxus

Kein Zweifel, dass die LOHAS damit eine neue Genusskultur anstreben. Aber ihre Sehnsucht reicht noch weiter. Sie prägen einen Neuen Luxus, der sich vom klassischen Prestige- und Status-Luxus in vielerlei Hinsicht unterscheidet. Um diesen Neuen Luxus lebendig werden zu lassen, erzählen wir Ihnen von Hotels, die mit einem völlig neuen Leitbild ihren Gästen gegenübertreten. Der neue Hotel-Luxus lässt seine Gäste ankommen, es gibt keine Lobby mehr im traditionellen Sinne, keine nervige Rezeption – der Gast betritt ein Wohnzimmer, ein Stück Zuhause. Modernes Design ist Social-Design und Social-Design ist LOHAS-Design: Der Neue Luxus holt die Gäste aus ihrer Vereinzelung heraus – aber nur, wenn sie wollen, er verbindet sich via WLAN mit der Welt – aber nur, wenn das ausdrücklich gewünscht wird. In diesen Hotelkonzepten, so unser Eindruck, wird der Neue Luxus der Zukunft definiert: Ökologisch, Community-driven, ohne muffigen 5-Sterne-Pomp und immer auf die individuellen Bedürfnisse des Gastes zugeschnitten. Natürlich bleibt dieser Neue Luxus nicht auf das Hotelgewerbe beschränkt. Ausgerechnet in aktuellen Fastfood-Konzepten und in der Tiroler Supermarkt-Architektur fanden wir weitere Belege für den LOHAS-Luxus.

6. Frauen: Die Hauptantriebskraft der LOHAS-Bewegung

Paul Ray, der amerikanische Soziologe, der unter dem Schlagwort der „Cultural Creatives“ die Anatomie der LOHAS akribisch herausgearbeitet hat, hat vor allem die Frauen zu den Protagonisten dieser gesellschaftlichen Veränderungsbewegung erklärt. Ray sieht in der Mehrzahl Frauen an der Spitze der LOHAS-Bewegung. Eigenschaften wie vorausschauendes Denken, ganzheitliche Herangehensweise an Dinge, hohe Aufmerksamkeit für Gesundheit und das „Große und Ganze des täglichen Lebens“ machen sie zu LOHAS par excellence. Diese Frauen, das haben wir beobachtet, haben das Kriegsbeil des Geschlechterkampfs längst begraben. Was sie suchen, ist eine neue Verabredung der Geschlechter. Es geht ihnen weniger darum, endlich erhört zu werden, das haben die meisten von ihnen nicht mehr nötig, LOHAS-Frauen brauchen keinen Artenschutz. Sie suchen nach Identität mit sich selbst und den gesteckten Zielen, sie streben nach Erfolg, der sich gern auch monetär zeigen darf, aber nicht die oberste Priorität genießt.

7. LOHAS und der lange Abschied von den Massenmedien

Keine Frage, dass LOHAS-Frauen und LOHAS-Männer auch ein zentrales Sinnsystem unserer Gesellschaft mit neuen Ansprüchen konfrontieren – gemeint ist das System der Medien. LOHAS sind extrem informationsorientiert – bei der Frage, wie sie zu ihren Informationen kommen, allerdings sehr medienkritisch. Für LOHAS ist es selbstverständlich, die Botschaften der herrschenden Medien in Zweifel zu ziehen. LOHAS haben sich als aktive und eingreifende Medien-Prosumenten verstanden, noch bevor Begriff wie Social Media und Web 2.0 das Licht der Welt erblickten. In den neuen Medien entdecken die LOHAS potenziell neue Formen des Gemeinsinns und eine neue Öffentlichkeit der mündigen und bewussten Konsumenten. Für LOHAS ist das Internet das unangefochtene Leitmedium, aber auch aus einer eher paradoxen Begründung heraus: Das Fernsehen hat vor unseren Augen eine eigene Welt ausgebreitet, der wir lange Zeit eine hohe Glaubwürdigkeit beigemessen haben, während das Medium selbst uns zu passiven Zaungästen gegenüber einer Medieninszenierung gemacht hat. Das soziale Internet hat diese überredende Wirkung nicht. Deshalb ist es das Leib-und-Magen-Medium der LOHAS – eben weil es keine geschlossene Welt vorgaukelt, sondern uns in die Offline-Welt verweist. Und: Weil es die Individualisierung der Nutzung von Medien bedingungslos vorantreibt.

8. LOHASundSpiritualität

Individualisierung ist auch das Stichwort für unser abschließendes Kapitel, last but not least, denn es geht noch einmal ans Eingemachte. Wie halten es die LOHAS mit dem Glauben und der Religion? LOHAS wollen in der Regel nicht mehr glauben müssen. Aber sie „wissen“, dass es zwischen Himmel und Erde noch mehr gibt als nur materielle Ansprüche. In dem abschließenden Kapitel zeigen wir Ihnen, wie die neuen Kathedralen der LOHAS aussehen: Es kann der Klosterurlaub ebenso sein wie der Wellnesstempel für jedermann um die Ecke. LOHAS-Sein findet – gerade was die spirituelle Dimension dieses Lebensstils angeht – in selbst gewählten Situationen und Szenarien statt, ist mithin vor allem eine Frage, die die LOHAS mit sich ausmachen. Als Richtschnur gilt am ehesten noch das Statement des Dalai Lama: „Ichkultur ohne Egoismus, Gemeinschaft ohne Sektiererei.“ Entwicklung statt Bekenntnis, Erfahren statt Glauben – wir zeigen Ihnen, wo die spirituellen Orte der Zukunft liegen: in der Natur, im eigenen Körper, auf der (neu entdeckten) Konzertbühne etc.

Doch bei aller Aufmerksamkeit für das Spirituelle: LOHAS sind die neue Verantwortungs- und Genusselite. LOHAS sind pragmatische Idealisten, sie wenden sich ab von Heilsprophezeiungen im Jenseits, sie möchten sofort, im Hier-und-Jetzt anfangen, etwas zu verändern. Sie sind ins Gelingen verliebt, definieren sich darüber hinaus aber gerne als zukunftsoffene Pragmatiker. Weil Utopien (ganz gleich, ob politischer oder religiöser Natur) Nicht-Orte sind und sich damit dem Verdacht der Scharlatanerie aussetzen, sind sie für die LOHAS kein verlässliches Rüstzeug für die Zukunft.

Was uns an den LOHAS fasziniert ist ihre euphorische Diesseitigkeit. Ein Text der Band Blumfeld von ihrer letzten Platte beschreibt die Verfassung der LOHAS an einem entscheidenden Punkt. Blumfeld hat sich nach der Platte „Verbotene Früchte“ aufgelöst, die faszinierende Platte hat noch einmal das Feuilleton-Establishment nachdrücklich irritiert, weil sie sich unter anderem in Naturlyrik und Kinderreimen erging. Vom politischen Diskursrock zur Renaissance der Romantik, auch eine sehr LOHAS-gemäße Entwicklung. Bandleader und Textgenie Jochen Distelmeyer textet in dem Song „Atem und Fleisch“:

„Es gibt kein nächstes Mal, es gibt nur diese Welt. Alles ist grundlos da, wir sind auf uns gestellt… Und es ist sonderbar, wir sind einfach. Was wir tun und lassen, liegt in unserer Hand.“

Vergnügen und Verantwortung, Ethik ohne moralischen Zeigefinger, Optimismus ohne Utopiegläubigkeit, Idealismus UND Pragmatismus, Spiritualität ohne Glaubenmüssen, politisches Bewusstsein ohne ideologisches Lagerdenken, neue Natursehnsucht ohne dogmatische Überformung.

Willkommen in der Welt der LOHAS!

Dr. Eike Wenzel

Heidelberg im Januar 2009

Einleitung

Wir sitzen in einer Burgerbar unweit der Frankfurter Zeil – Deutschlands umsatzstärkster Einkaufsmeile. Die Burgerbar trägt den wunderbar verspielten Namen „Die Kuh die lacht“. Und auch sonst ist hier alles anders als wir es von den üblichen Hamburger-Buden gewohnt sind. Schräg gegenüber der edlen Schillerpassage gelegen, mit der sich einst der Frankfurter Baulöwe Jürgen Schneider so gigantisch verspekulierte, lockt das helle Lokal mit puristisch-edlem Ambiente. Eine große Glasfront lässt unseren Blick in die Küche fallen, während wir an der großzügigen Theke bestellen. Dahinter steht Appolinaris neben Bionade und Chianti neben Bio-Bier.

Die Burger von „Die Kuh die lacht“ sind sozusagen paradoxe Burger. Sie machen aus der Trash-Ikone des Fastfoods eine moderne Delikatesse, Bioqualität inbegriffen. Diese Burger werden nicht in Bratfett ertränkt, sondern auf einem Grill frisch und fettfrei gebraten. Das Fleisch kommt von nebenan, aus dem Vogelsberg, von frei laufenden, naturbelassenen Angus-Rindern. Die Brötchen werden eigens von „Krögers Brötchen“, dem gesund-genussvollen Lokalmatador unter den Frankfurter Bäckern, gefertigt, der noch ohne Fertigbackmischungen, chemischen Backhilfsmittel und Zusätze wie Emulgatoren, Farb- und Konservierungsstoffe backt. „Die Kuh die lacht“ ist lecker und ethisch korrekt, deftig und bio.

Restaurants mit einer gesunden Bio-Philosophie gehörten in den 1980- und 1990er-Jahren eindeutig in die Ecke der ideologisierten Gesundheitseiferer, die mit „ökologisch“ und „gesund“ kurzschlüssig die Absage an Gesellschaft und Lebensmittelindustrie verbanden. Restaurants mit Cheeseburgern, Pommes und Barbecuesoßen auf der Karte haben wir bis vor Kurzem noch in die grell-bunte und ungesunde Plastikwelt der Fastfood- und Junk-Generation verbannt. Jetzt sitzen hier Banker neben Studenten, Werbetexter neben IT-Experten und genießen moderne Esskultur auf hohem Niveau. Fast Food, Gesundheit, Genuss und Design sind keine Widersprüche mehr.

Die neue Genusselite: Im Burger-Lokal auf der Zeil

Hamburger, die viel mehr sind als Buletten und Brötchen, das passt wunderbar zu dieser Stadt. Frankfurt hat überhaupt ein gutes Fluidum für ein Buch, das den Titel LOHAS. Bewusst grün – alles über die neuen Lebenswelten trägt und nach unseren Lebensentwürfen und Lebensstilen von morgen fragt. Frankfurt ist eine Stadt, die sich ständig im Umbruch befindet, von Veränderungen lebt und immer wieder Bühne für historische Zäsuren und gesellschaftliche Konflikte war (ob sie es wollte oder nicht). Dazu braucht man von der Burgerbar nur ein paar Straßenzüge weiterzugehen. Ins Westend zum Beispiel, wo Anfang der 1970er-Jahre der Häuserkampf begann und die Spontis gegen Grundstücksspekulationen und Wohnraumzweckentfremdung kämpften. Von hier aus starteten Joschka Fischer und Dani Cohn-Bendit ihren langen Marsch aus der außerparlamentarischen Opposition in die Parlamente und auf die Regierungsbänke dieser Republik.

Frankfurt war schon immer ein Brennglas gesellschaftlicher Konflikte: Hier auf der Zeil brannten am 2. April 1968 die Kaufhäuser Schneider und Kaufhof. Hier wurde der erste Anschlag verübt von den RAFlern der ersten Generation, der den Beginn des mörderischen deutschen Herbstes markierte und neun Jahre später in Mogadischu, mit den Selbstmorden in Stammheim und der Schleyer-Ermordeung seinen deprimierenden Höhepunkt erlebte. Die Brandanschläge auf die Kaufhäuser sollten ein Fanal sein gegen die Konsumgesellschaft und den satten Wohlstandsdeutschen den Terror in Vietnam vor Augen führen. Nur wenige Jahre später, am 1. Juni 1972 um 5:50 Uhr, nahm die Polizei hier am Dornbusch, in unmittelbarer Nähe des Hessischen Rundfunks, Andreas Baader, Holger Meins und Jan Carl Raspe fest. Sie waren mit einem aubergineroten Porsche Carrera, wie sie es öfters zu tun pflegten, in eine Einbahnstraße hineingerast. Gerade Andreas Baader hatte eine Schwäche für schnelle Autos. Auch die ökosoziale Bewegung nahm von hier aus ihren Ausgang: Die Hüttendörfer, die die Gegner der Startbahn 18 West im Jahr 1980 vor den Toren Frankfurts errichteten, markierten ihren Beginn und führten schließlich zur Gründung der Grünen. Ökologisches Denken und die Zuspitzung gesellschaftlicher Trends – Frankfurt war immer ein Treibhaus für politische Zäsuren und die Zuspitzung von Konflikten. In den 1980ern und 1990ern konnte man besonders hier in der Banken-, Verlags- und Agenturenstadt die Yuppies beobachten, Karrieristen und Ehrgeizlinge, die in der Woche die Ellbogen einsetzten und am Wochenende ultimativen Spaß haben wollten in der Erlebnisgesellschaft, in der deutschen Filmkomödien-Harmlosigkeit des Kinos und dem aufgekratzten Comedy-Hype des Fernsehens.

Rechts am Tisch neben uns hat ein Banker Platz genommen, grauer Brioni-Anzug, Krawattennadel, zusammen mit seiner Lebensabschnittspartnerin. Sie reden über den Urlaub, Alltagsprobleme, Belanglosigkeiten. Gegenüber von uns sitzen ein paar jüngere Leute; wir tippen Agentur-, Werbungs-, Medienszene. Direkt am Eingang hat sich ein Studentenpärchen in ein atemloses Gespräch verstrickt, sie reden über WG, Beziehung und Klausurenstress. Eine bunt gemischte Zusammensetzung individueller Lebensstile. Vieles passt in der neuen Welt der Bio-Burger nebeneinander. Hier wird niemand mehr taxiert (hat er die richtige Hose an, stimmt die Krawattenfarbe, trägt er Turnschuhe, ist er ein Mod oder ein Ted, ein Hippie oder ein Punk?). Wir leben im 21. Jahrhundert, es gibt keine Milieus mehr und keine Trend-Schablonen.

Der Wandel, den wir in diesem Buch beschreiben möchten, erklärt sich über das Individuum, über uns selbst. Lebensstile haben sich in den vergangenen Jahren in derart rasantem Tempo verändert, dass Milieus keine Zeit mehr haben, sich vereinheitlichend über unser Verhalten auszubreiten. Was wir hier als wichtige Veränderung beschreiben, läuft jedoch keineswegs auf eine neue Ego-Kultur oder ein Revival der Narzissten und Ichlinge hinaus. Ganz im Gegenteil. Was wir hier beschreiben, ist eine neue Sehnsuchtswelt, die Individualität und Welt, Ich und Gesellschaft, Innen- und Außenwelt auf neue Weise in Schwingung versetzen möchte.

LOHAS-Lifestyle – die Richtung unserer zukünftigen Sehnsüchte

Fastfood wird grün, und die Bestandteile des global snack kommen aus dem Vogelsberg. So wie Banker und Studentenpärchen plötzlich Gefallen an gesundem Schnellessen finden, so haben sich in den vergangenen knapp zehn Jahren überall in unserem Leben neue Allianzen gebildet. Vieles findet plötzlich zueinander und ergibt einen Sinn, wo wir noch vor Kurzem keinerlei Verbindung erkennen konnten. Gesundheit und Genuss schließen sich nicht mehr aus, die New York Times sprach deshalb kürzlich von health-hedonism. Wir sind LOHAS geworden, wir leben den Lifestyle of Health and Sustainability. Das vorliegende Buch beschreibt die Zukunftswelt des 21. Jahrhunderts nach dem Ende der Ideologien. Die LOHAS (in der Presse gehen sie mittlerweile auch leicht despektierlich als „Ökoschickis“ oder „Neogreens“ „Greenglamour“ durch), leben in einer Kultur des Sowohl-als-auch: Realitätstauglichkeit UND die Lust auf blumige Zukunftsszenarien, maximale Unabhängigkeit UND möglichst große Verbindlichkeit im Zusammenleben, Urlaub, der luxuriös UND ethisch korrekt ist, Kind UND Karriere, individuelles Lebensglück UND Engagement für das große Ganze, Familienglück UND individualisierter Lifestyle. LOHAS (bleiben wir ruhig bei dieser Abkürzung, sie hat sich mittlerweile in den Medien etabliert) sind ins Gelingen verliebt. Es sind pragmatische Idealisten, sie haben konkrete Vorstellungen von einem glücklichen und genussvollen Leben in der Zukunft, wissen aber auch, dass dabei die Mühen der Ebene (von der Kinderbetreuung bis zur Steuererklärung) bewältigt werden müssen. Die meisten von ihnen haben bewusst die Gräben des politischen und subkulturellen Bekennertums und der Entweder-oder-Logik verlassen und Folgendes für sich entdeckt:

➤ Es macht Sinn, Zukunft konstruktiv und mit Optimismus zu planen. Wer sich im 21. Jahrhundert über die Zukunft des Planeten sorgt, der schlurft nicht mehr durch die Welt mit Trauermiene, als ob der Jüngste Tag gekommen wäre. Umweltbewusstsein geht nicht mehr mit Verzicht und Selbstbeschränkung einher. ➤ Es ist keineswegs esoterisch, zunächst über die eigene Befindlichkeit nachzudenken und sich selbstreflektiert zu verhalten. Das bewahrt davor, die neurotischen Projektionen vieler Subkulturen der 1980er- und 1990er-Jahre zu wiederholen, die dadurch eine fragwürdige Identität entwickelten, indem sie immer die anderen für schuldig erklärten. ➤ Es kann genussvoll sein (manchmal ist es aber auch einfach nur schmerzhaft), sich mit der Realität einzulassen und die ideologischen Welterklärungsprogramme hinter sich zu lassen. Der pragmatische Idealismus der LOHAS zeichnet sich durch eine neue Lust am Konkreten und Naheliegenden aus. Motto: Es sind die kleinen Dinge im Alltag, die die Welt verändern. ➤ Mit der Wiederentdeckung der Realität geht bei den LOHAS gleichzeitig eine verschärfte Skepsis gegenüber Utopien und politischen Heilsversprechen einher. Utopien entlarven sie als das, was sie in ihrer griechischen Grundbedeutung sind, nämlich „Nicht-Orte“, verschwommene Erlösungsmetaphern mit starker Jenseitsdynamik. LOHAS wollen aber keine Nicht-Orte, sie lieben gerade das konkrete In-der-Welt-sein. Konkrete Orte, Räume und Identitäten sind für sie besonders wichtig – und das im Hier-und-Jetzt. ➤ Authentizität, die tiefe Sehnsucht nach dem Wahrhaftigen und Wirklichen, das kennzeichnet den Lebensentwurf der LOHAS. Und das beschreibt im Kern auch ihren inneren Antrieb. Sie sind auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst.

Wir haben uns bereits im Jahr 2003 mit den ersten zarten Anzeichen dieses Trends beschäftigt. Der Begriff LOHAS kommt aus der amerikanischen Sozialforschung und wurde just zu Beginn des 21. Jahrhunderts entwickelt. Paul Ray hat im Jahr 2000 zusammen mit seiner Frau Ruth Anderson das Buch „Cultural Creatives. How 50 Million People Are Changing the World“ veröffentlicht. Ray und Anderson führten in ihrer Studie die umfangreichsten aktuellen Umfragen zum Wertewandel in den USA für die letzten 20 Jahre durch. Die Ergebnisse der Untersuchung legten den Grundstein für die „Kulturell Kreativen“, eine neue Gesellschaftsformation, aus kreativen, verantwortungsbewussten, gesundheitsorientierten und Genuss suchenden Menschen. Ein Drittel der Menschen in den USA und ein Drittel der Menschen hierzulande müssen diesem neuen Lebensstil zugerechnet werden. Das Bizarre hierbei: Was Paul Ray in seinen Befragungen immer wieder erlebte, ist auch uns bei unseren Recherchen mehrmals passiert: Man redet mit Menschen über den LOHAS-Lebensstil, die meisten können sich sofort damit identifizieren. Allerdings können sich die meisten von ihnen absolut nicht vorstellen, dass es noch andere Menschen gibt, die einen ähnlichen oder gar den gleichen Lebensentwurf pflegen. LOHAS, so mussten wir lernen, sind sicherlich keine asozialen Narzissten, aber sie sehen sich in hohem Maße als genießende Individualisten.

Der Grund dafür: Wir definieren uns heute mehr oder weniger alle als Individualisten, keiner möchte mehr zu einer Klasse gehören. Die gibt es auch nicht mehr. LOHAS ist ein Lebensstil, der einen Sehnsuchtsraum entwirft, aber nicht auf bestimmte Verhaltensweisen einengt. LOHAS, das ist eine neue Avantgarde des grünen und gesunden Genießens. LOHAS durchschauen die simplen Überredungstricks der Werbung, sie bevorzugen ethisch einwandfreie und biologische Produkte. LOHAS sind selbstbewusste Konsumenten. Verwandt mit ihnen ist ein Phänomen, das die Amerikaner conscious consumerism nennen, bewussten Konsum. Wir Konsumenten haben dank des Internets in den vergangenen zehn Jahren auf den weltweiten Märkten die Macht übernommen. Bewusstes Konsumieren, das heißt: Wir achten auf die Qualität der Produkte, die wir kaufen. Es heißt aber auch: Wir überlegen uns sehr genau, warum wir kaufen, was wir kaufen und wem wir unser Geld geben.

Wir, die Autoren dieses Buches, sind natürlich ebenfalls LOHAS. Gleichzeitig stehen wir jedoch drinnen und draußen: Wir beobachten eine gesellschaftliche Entwicklung und sind gleichzeitig Teil dieser Entwicklung. In unserem Buch bekennen wir uns bewusst zu den Paradoxien eines solchen Unterfangens: Ohne eine affirmative Nähe zu diesem Lebensstil können wir ihn nicht von der Wurzel aus begreifen. Zugleich brauchen wir jedoch eine ausreichende Distanz, um diesen neuen Sehnsuchtskosmos nachvollziehbar beschreiben zu können. Eine wissenschaftlich neutrale Analyse des Phänomens würde uns jedoch keinesfalls zufriedenstellen, denn wir möchten, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit uns in diesen neuen Sehnsuchtsraum eintauchen. Wir sind überzeugt: Ohne Emotionen und Herzblut lassen sich gesellschaftliche Trends schlechterdings nicht erhellend beschreiben.

Wir sind Trendforscher und arbeiten seit mehreren Jahren daran, was Menschen wirklich wollen, wonach sich Menschen sehnen, was Menschen interessiert und antreibt. Aber auch, welche Ängste und Befürchtungen immer wieder unser Streben nach Glück, Balance und Wohlbefinden stören. Unsere Leser können uns gerne als Ethnologen des Alltags sehen, als neugierige, unruhige „Zeitgeister“, die in der täglichen Kleinarbeit des Recherchierens, Redens, Zuhörens und Suchens die Veränderungen in den Mikroorganismen unserer Gefühle und Wunschwelten begreifbar machen wollen.

„Sehnsucht Grün“ – wie ein Mentalitätswandel unsere Wunschwelten umgestaltet

Seit rund fünf Jahren durchmessen wir gemeinsam die Sehnsüchte und Befindlichkeiten, Märkte und Branchen dieser Welt. Das Zukunftsinstitut, für das wir als Trendforscher tätig sind, verkauft sein Trendwissen in Form von Studien, Reden, Workshops und anderen Auftritten in Öffentlichkeit und Medien. Unsere veröffentlichten Erkenntnisse werden in unserem hauseigenen Verlag im Direktmarketing (oder über den Buchhandel) verkauft. Wir legen großen Wert darauf, dass wir bei unseren Trendrecherchen und -expertisen unvoreingenommen, und ohne Rücksicht auf Dritte nehmen zu müssen, denken und schreiben können. Nur so – und das bestätigen uns unsere Kunden immer wieder – lässt sich das erfassen, was an tatsächlich Neuem in unsere Welt kommt. Und nur so lässt sich substanziell darüber reden, wie Zukunft zu planen ist. Deshalb sind wir auch keine Wissenschaftler, wollen das auch nicht sein. Wir haben intensive Erfahrungen mit den universitären Institutionen in Deutschland gemacht. Und diese Erfahrungen waren ein wichtiger Grund dafür, aus dem akademischen Forschungsbetrieb auszubrechen, der nach wie vor Barrieren zwischen gesellschaftlichen, ökonomischen und naturwissenschaftlichen Themen aufrechterhält statt Brücken zu bauen. Der LOHAS-Lifestyle lässt sich jedoch nur dann verstehen, wenn man Querverbindungen zieht und Fächergrenzen hinter sich lässt.

Bei einigen Stationen unserer Reise in die neugrünen Sehnsuchtswelten sind wir – in guter LOHAS-Manier – als Individualisten unterwegs gewesen. Andere Abschnitte haben wir gemeinsam bewältigt. Wir werden Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, stets signalisieren, mit wem Sie es gerade zu tun haben. Die Erkundungen in die neue Welt der weiblichen Health-Hedonisten hat beispielsweise Anja Kirig allein vorgenommen. Die neue Medien-Community-Welt wurde von Eike Wenzel in Augenschein genommen. Es gehört fraglos zu den Kulturfortschritten des LOHAS-Lebensstils, dass wir weder aus der individuellen Autorschaft noch aus der Co-Autorschaft einen Mythos machen wollen. Allein wäre diese lange Reise in die neuen Welten des Wünschens und Begehrens überhaupt nicht möglich gewesen und hätte auch nicht die vielen Facetten des LOHAS-Lebensstils zutage fördern können. In permanentem Zwiegespräch, quasi als schreibende siamesische Zwillinge, so unsere Erfahrungen, lassen sich viele Denkwege aber auch nicht beschreiten. Allein in der Mixtur aus individueller Recherche und forscherischem Kleinkollektiv hat unsere Recherche erst ihre Dichte und Prägnanz bekommen. Selbst wenn wir selbst viele LOHAS-Aspekte leben, möchten wir nicht die Gurus dieses neuen Lebensstils sein. LOHAS sind zu selbstreflektiert und zu selbstbewusst, als dass sie sich mal eben schnell einer Gehirnwäsche unterziehen lassen.

Wir schreiben dieses Buch, weil wir auf einen grundsätzlichen Mentalitätswandel aufmerksam machen möchten. Die Ausgangsdiagnose über die Befindlichkeit der Deutschen lautet: Unser Denken und Fühlen und unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit hat sich deutlich verändert. Wie wir als Individuen in der Gesellschaft und in unseren Familien leben, wie wir unser Verhältnis zu Umwelt und Natur, Wirtschaft und Arbeit definieren – diese Beziehungen, so unser Eindruck, durchleben gerade einen fundamentalen Wandel. Die LOHAS stehen im Zentrum dieser Veränderung, sie sind die Avantgarde (jedoch kein Elite), die diesen Wandel verkörpert. Der LOHAS-Lifestyle, das werden wir hier zeigen, ist eine gesellschaftliche Bewegung, die Begriffen wie Individualität und Gemeinschaft, Ich und Community einen neuen Sinn gibt. Wir werden Belege dafür liefern, dass wir in Deutschland dabei sind, die Beschränkungen des bipolaren Entweder-oder-Denkens hinter uns zu lassen. Ich ODER Gesellschaft, Selbst ODER Kollektiv, das ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr die Frage. Die Zeiten, als der „Spiegel“, wie in den 1990er-Jahren häufig geschehen, die Ego-, Ich- oder Narzissten-Gesellschaft ausrufen konnte, sind vorbei. Stattdessen lesen wir immer häufiger vom neuen „Wir-Gefühl“, von lebendigen Internet-Communitys und der neuen Sehnsucht nach Gemeinsinn, denken wir nur an die Fußballweltmeisterschaft 2006 und den Papstbesuch im gleichen Jahr. LOHAS definieren sich nicht über gute Taten, denn sie sind nicht die Pfadfinder-Abteilung eines vorübergehenden Hypes. Sie definieren sich auch nicht über ein dickes Portemonnaie, denn sie sind keine grün-gewendeten Neureichen.

Auch ohne den globalen Schock des 11. September können wir sagen, dass in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts und unmittelbar davor, etwa zwischen 1998 und dem Jahr 2004 ein fundamentaler Wertewandel stattgefunden hat. Eine Epoche ist zu Ende gegangen: Der Massenkonsum geht zu Ende, er stößt uns ab. „Geiz-ist-geil“-Gedröhne ist wie der Phantomschmerz einer Massenmarktkultur, mit der sich keiner mehr abgeben möchte. Längst haben sich die Aldis, Lidls und Pennys auf den Weg zu grünen Discountern gemacht, musste die Coffeeshop-Kette dem Organic-Cosmetic-Shop weichen, wurde der Ein-Euro-Laden durch eine Tee-Bar ersetzt. Wir sehnen uns nach individuellen und authentischen Dingen, Lebensmitteln, die wirklich aus der Natur und nicht aus Food-Laboren kommen. Produkten, die unseren Schönheitssinn ansprechen und uns zuverlässig in unserem Alltag begleiten. Was helfen uns pseudoglamouröse Marken, die uns nur von ihrer eigenen Großartigkeit überzeugen wollen?

Nach dem Ende der Ideologien und des Massenkonsums werden wir endlich zu genießenden Individuen. Erst jetzt können wir Querverbindungen zulassen, Paradoxien und Widersprüche aushalten, mit einem Wort: uns den Lebensstil des Sowohl-als-auch zu eigen machen. Wir entwickeln uns zu moralischen Hedonisten, wir streben nach intensivem Genuss, ohne in willenlosen Konsum zu verfallen. Die meisten von uns möchten lieber im Zeitwohlstand leben, anstatt sich mit noch einem Fernseher, noch einer Stereoanlage oder noch einem größeren Wagen zu belasten. Das Immer-mehr war der Lebensstil der logisch aus der Massenkonsumkultur des 20. Jahrhunderts resultierte, einer aggressiven Angebotskultur: „Kaufen, kaufen, kaufen!“ Wir freuten uns über den Wohlstand auf breiter Front und machten mit. Jetzt verlangen wir von den Märkten, dass sie auf unsere Nachfrage, auf unsere Wünsche und Sehnsüchte reagieren. Das Immer-mehr des 20. Jahrhunderts reagierte auf die erlebte Knappheit des Lebensnotwendigen im 2. Weltkrieg. Heute gibt es nur noch eine Knappheit. Und das ist unsere persönliche Knappheit an Aufmerksamkeit. Als Menschen des beginnenden 21. Jahrhunderts wissen wir, was uns wirklich wichtig ist. Und das sind eher immaterielle Dinge (und nicht das pure Habenwollen), Werte (und keine Rabatte), Sehnsüchte (und keine Seifenopern), Selbst-Erleben (und nicht Teil eines touristischen Massenkonzepts), authentische Erfahrungen (und nicht die Secondhand-Emotionen des sterbenden Massenmediums Fernsehen). Wenn die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die Epoche der Bedürfnisbefriedigung war, dann werden die ersten Dekaden das 21. Jahrhunderts eine Epoche der neuen Sehnsüchte sein.

Wir erzählen in diesem Buch von den neuen Sehnsüchten, die unser Leben zu Beginn des 21. Jahrhunderts bestimmen. Sehnsüchte sind nicht das Gleiche wie Bedürfnisse, die sich immer irgendwie „befriedigen“ lassen. Sehnsüchte lassen sich niemals befriedigen, sie lassen sich nicht in einem finalen Akt erlösen. Sehnsüchte treten immer wieder auf und verlangen nach Aufmerksamkeit und Stimulation. Ohne Sehnsüchte können wir uns unser Leben schlechterdings nicht vorstellen. Den Sehnsüchten, die uns in diesem Land, in Europa und innerhalb der globalen Welt in den nächsten Jahren umtreiben werden, möchten wir in diesem Buch auf die Spur kommen.

Eine neue Lebenskunst – und eine neue Ethik

Sehnsüchte sind häufig der Treibstoff von Veränderungen. Und Veränderungen, die wir im Hier-und-Jetzt aufspüren und die eine starke Strahlkraft in die Zukunft haben, nennen wir Trends. Trends sind eigentlich etwas sehr Konkretes: Überall dort, wo Widersprüche deutlich werden, wo es knirscht, wo Ungekanntes auf den Plan tritt und wo Routinen plötzlich ins Leere greifen, überall dort entstehen Trends. Trends können sich in unserer Gesellschaft an vielen Orten bilden, im Straßencafé um die Ecke oder im Strategie-Meeting eines Lebensmittelkonzerns, in den Debatten einer Internet-Community oder in den Schnittmustern einer Modemacherin, auf dem Bildschirm eines Grafik-Designers oder in den vermischten Rubriken eines Stadtmagazins. Wirklich wichtige Trends entstehen in der unmittelbaren Gegenwart, vor unseren Augen und verbreiten sich wie eine Epidemie in ausnahmslos allen Bereichen der Welt von morgen. „Sehnsucht Grün“ ist ein solcher Trend. Die Sehnsucht der LOHAS nach Gesundheit UND Genuss, Verantwortung UND Vergnügen, Individualität UND Gemeinsinn wird unsere Lebensentwürfe heute und in der Zukunft nachhaltig verändern.

Was an dieser Stelle wichtig ist: Wir sind keine Marktforscher. Marktforscher kleben an der Gegenwart und am Einkaufsverhalten der Menschen. Sie versorgen zahlengläubige Menschen mit Daten, die immer nur einen Ist-Zustand beleuchten. Dabei berufen sie sich auf höchst fiktive und spekulative Konstruktionen. Marktforscher gehen davon aus, dass sich Lebensformen und Konsumstile sorgfältig unterteilt nach Alter, Einkommen und Schichtzugehörigkeit der Menschen schubladisieren lassen. Die LOHAS sind das beste Beispiel dafür, dass diese fantasielose Zahlenarithmetik für die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen im 21. Jahrhundert kein Sensorium besitzt. LOHAS, das werden wir anhand vieler Beispiele und eigener Erfahrungen zeigen, sind keine Zielgruppe. Sie sind eine neue gesellschaftliche Bewegung und prägen einen neuen Lebensstil, der alters-, einkommens- und schichtübergreifend funktioniert. LOHAS sind keine neue Zielgruppe, die man den Marketingexperten zur schnellen und gründlichen Ausweidung vorwerfen kann.

Um das zu erkennen, muss man sich mit seinem Beobachtungsinstrumentarium allerdings anders positionieren und nicht mit sturem Blick auf die Gegenwart starren. Wir untersuchen Phänomene, die jetzt im Moment aufblitzen und deren Auftauchen Konsequenzen für die Zukunft hat. Wir sind Trendforscher, und deshalb interessieren wir uns für Orte, Szenen und Gelegenheiten, an denen Widersprüchen aufeinanderprallen. Dann und wann hatten wir in den letzten Jahren das Gefühl, wir säßen in einer Zeitmaschine, die in uns zurückversetzt in die 1960er- und 1970er-Jahre. Auf den Covern einer schicken und zeitgeistigen Modefachzeitschrift wie der „Textilwirtschaft“ prangte im Frühjahr 2007 ein junger Mann. Sein Outfit: lange Haare, Fusselbart, Wollsocken und Jesussandalen an den Füßen, Palästinensertuch um den Hals, kragenloses Hemd und ausgewaschene Jeans. Erleben wir jetzt etwa die Rückkehr der „Müslis“, der „Alternativen“? Mitnichten! Die LOHAS verkörpern vielleicht den ersten Lebensstil, in dem Glaubensbekenntnisse und Abgrenzungsmechanismen keine Rolle mehr spielen.

Unser Buch zeichnet die Konturen einer neuen Genusskultur und einer neuen Lebenskunst. Und diese Lebenskunst der LOHAS beinhaltet auch eine neue Ethik. Wir leben in einer globalisierten Welt und haben die bürgerliche Pflichtkultur, die uns vorschrieb, wie wir lieben und leben sollen, wie und was wir glauben sollen, glücklicherweise hinter uns gelassen. Wir brauchen keine moralischen und religiösen Leitplanken mehr für unser Leben. Doch am Ende der Gewissheiten beginnt die Verantwortung. Verantwortung für uns selbst, für unsere Innenwelt, aber vor allem für unsere Mitwelt und für unsere Umwelt. Das klingt vielleicht moralinsauer. Aber wir wollen es so. Den Preis des Verlustes der Gewissheiten zahlen wir zugunsten eines höheren Maßes an Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Wir LOHAS wissen aber auch genau, dass diese hinzugewonnenen Freiheitsgrade von einer zeitgemäßen und nichtautoritären Ethik gestützt werden müssen. Der Selbstverwirklichungstrip der LOHAS geht also einher mit einem gesteigerten Verantwortungsgefühl für die Welt draußen: Familie, Freunde, Stadtteil, Gesellschaft, Umwelt usw. In einer europaweiten Umfrage, wurde kürzlich der Beweis erbracht, wie stark wir mittlerweile unsere persönliche Befindlichkeit mit einer intakten Umwelt in Verbindung bringen. Europaweit bestätigten 72 Prozent der Befragten, dass der Zustand der Umwelt ihre Lebensqualität „sehr stark“ oder zumindest „ziemlich stark“ beeinflusse. In Griechenland wurde diese Ansicht sogar von 94 Prozent der Befragten bestätigt. In Deutschland (60 Prozent) und Österreich (63 Prozent) war das immerhin bei weit mehr als der Hälfte der Fall. Was den neuen Lebensstil für uns so faszinierend macht, ist, dass er auch hier alte Gegensätze wie Moral vs. Hedonismus, Individualität vs. Gemeinschaft, Verantwortung vs. Vergnügen souverän überbrückt.

Fast immer, wenn schwergewichtige Begriffe wie Gesellschaft und Moral, Individualität und Verantwortung aufgerufen werden, steht uns ein grundlegender Wandel bevor. Und immer, wenn diese Begriffe ins Wanken geraten (und neu gefüllt oder gänzlich über Bord geworfen werden müssen), zeichnet sich ab, dass Menschen sich verändern und verändern wollen, Lebenskonzepte neu entwickelt und Wertesysteme einer Runderneuerung unterzogen werden.

Diesen Wandel, der uns ebenso ergriffen hat wie unsere Leser, werden wir hier beschreiben. Die Frage, auf die wir bei unserer Reise in diese neugrüne Sehnsuchtswelt ebenfalls eine Antwort geben wollen: Was kommt nach der Spaßgesellschaft, wie werden wir morgen leben? Wir suchen verstärkt nach Ursprünglichem und Authentischem, was uns jedoch keineswegs zu Zivilisationsflüchtlingen macht. Ganz im Gegenteil. Wir sind LOHAS, gesunde Genießer und moralische Hedonisten und setzen uns in ein neues Verhältnis zur Natur, zur Realität und zu uns selbst. LOHAS sind definitiv keine Technikfeinde und auch keine Gegner von Modernität – ganz im Gegenteil, wie wir noch sehen werden.

Willkommen in der Welt der neugrünen Sehnsucht!

1. LOHAS, Neo-Ökos und moralische Hedonisten – Die Geburt einer neuen Lebensform

Die Lebensstil-Revolution: Wie wir uns in unserem neuen Leben einrichten

Ein Freund, der uns regelmäßig vom ultimativen Genuss zu überzeugen versucht, hielt uns kürzlich wieder einmal eine luftgetrocknete Salami unter die Nase. Erwartungsvoll lächelte er uns an. Und? Ja, nicht unlecker. Jahrelang hat er uns mit Essigproben zu überzeugen versucht. Dieses Mal war es eine Edelsalami. Und sie kam nicht aus der Toskana, auch nicht aus den Apenninen oder aus der Provence. Sie kam aus Oberhessen. „Kannst du kaum besser machen, ist außerdem eine BioSalami, und sie hat gerade einmal fünfzig Kilometer zu uns zurückgelegt“, schloss er seine Genießerpräsentation ab. Wir waren überzeugt.

Überhaupt ist in letzter Zeit viel vom Genießen die Rede. In den Daily-Soaps ebenso wie beim Wochenend-Smalltalk auf dem Wochenmarkt oder mit dem Kollegen beim Mittagessen gehört es zum guten Ton, wenn man sein Wochenende, den Spaziergang mit dem Hund, den Ausflug in den Biergarten, die Massage (oder vielleicht auch nur die Fahrt zum Altglascontainer) „unheimlich genossen“ hat. Und immer häufiger verbinden wir Genuss mit authentischen Momenten, das Ausflugslokal, das vermeintlich noch keiner kennt, der Italiener in der Innenstadt, der nur zwei Tische zur Verfügung hat, wir kennen es alle. Authentizität bedeutet für uns Einzigartigkeit, Exklusivität, Unverwechselbarkeit, und das suchen wir längst nicht mehr im Supermarkt oder im Kaufhaus, sondern in den Nischen, der halböffentlichen Restaurants, den Hotels, die von einem Ehepaar mit Herzblut und 14-Stunden-Arbeitstag geführt werden.

Volvic schmeckt nach Südfrankreich, Ferien, Sonnenöl und Klassenfahrt. Volvic symbolisierte in den 1980er-Jahren für uns die Ablösung vom Elternhaus und die Befreiung aus der „Selterswasser“-Kultur. Sprudel trank man, um den Durst zu bekämpfen, Volvic war ein Stück mediterranen Lebensgefühls. Purem Wasser traute man hierzulande nicht: Wieso etwas verkaufen, was in mehr oder weniger identischer Qualität auch aus dem Wasserhahn floss. Und außerdem: Wer kauft schon banales Wasser, erst die Kohlensäure macht es zu einem akzeptablen Produkt. Volvic (oder Evian oder Vitell) dagegen stand für Fernweh und Weltentdeckung, die Gegenwelt zur Wohlstands-Bundesrepublik, eine Trinkkultur, der man sich jedoch auch nur in den Ferien voller Überzeugung hingab, und das auch aus dem Grunde, weil man Volvic in den meisten deutschen Supermärkten damals vergeblich suchte. Vor allem Frauen kultivierten mit Volvic die Sehnsucht nach einer anderen Genuss- und Wohlfühlwelt. An den Stränden und Zeltplätzen des südfranzösischen Sommers, den Eindruck konnte man bekommen, ernährten sie sich fast ausschließlich von diesem minimalistischen Zaubertrank, der nach so viel mehr schmeckte. „Sekt oder Selters“ war die falsche Alternative: Sprudel in den uniformen braunen Kästen, das war gutbürgerlich-bundesdeutsche Durstbekämpfungsindustrie. Volvic im martimen Blau und Weiß und in nonchalanter (und garantiert umweltschädlicher) 1-Liter- oder 1,5-Liter-Größe, das war die Verheißung mediterraner Genussfähigkeit. Bis heute habe ich mir die Sehnsuchtsmarke Volvic bewahrt, die großen schweren Plastikflaschen kommen mir nicht ins Haus – sie gehören in die Provence, nach Avignon, Aix und Sanary-sur-Mer.

Sekt, Selters oder Bionade: Es geht um Ursprünglichkeit

Die Selterswasser-Kultur haben wir spätestens mit dem Ende des 20. Jahrhunderts hinter uns gelassen. Es gibt jetzt viele Volvics, viel Sehnsuchts-Wasser. Wasser, das erfrischende Nichts, geschmacklos und doch das Grundelement unseres Lebens, wird von den gesunden Genießern mittlerweile zum Luxusartikel gemacht. Reduktion auf das Wesentliche, die Getränkehersteller haben verstanden: Das Edelwasser „Paris Pink“ von bling-h2o gibt es für 480 US-Dollar à 12 Flaschen, womit es wohl das exklusivste Wasser der Welt sein dürfte. Ein anderes exklusives Wasser kommt vom fernen Fujiyama. Das Wasser aus dem höchsten Berg Japans ist Ursprünglichkeit pur: Es brauchte 1000 Jahre, um durch das Vulkangestein emporzuquellen. Renommierte Privatkliniken polieren ihr Image, indem sie eigene Mineralwasser-Editionen herausbringen; die Wiesbadener Horst-Schmidt-Kliniken verkaufen ihr eigenes Markenmineralwasser, das aus den Schlangenbader Quellen gewonnen wird.

Die gesunden Hedonisten in Deutschland sind im Wasserrausch. Im Jahr 2006 ist der Absatz von Mineral- und Heilwasser um 7,1 Prozent gestiegen, was einem Pro-Kopf-Verbrauch von 132,2 Liter entspricht. Gleichzeitig sinkt der Bierverbrauch seit 30 Jahren um exakt ein Prozent. Für das Jahr 2010 wird den Deutschen ein Pro-Kopf-Verbrauch an Heil- und Mineralwasser von mehr als 150 Liter vorausgesagt. Einem alkoholfreien Oktoberfest im Jahr 2020 scheint nichts mehr im Weg zu stehen. Coca-Cola weiß in der Regel sehr genau, wo Zukunftsmärkte liegen und hat den Hype um das Elementargetränk erkannt: Im Mai 2006 kaufte die berühmteste Marke der Welt den deutschen Mineralwasserhersteller Apollinaris. Es tobt ein weltweiter Kampf um den Konsumenten, der die Authentizität des Wassers schätzt, Nestlé (rund 20 Prozent weltweiter Anteil am Wassergeschäft), Danone etc. führen einen erbitterten Wettbewerb. In Deutschland reüssieren sogar die Discounter mit dem „geschmacklosen“ Wasser, 46 Prozent des abgefüllten Wassers wird bei Aldi etc. verkauft. Besonders stilles Wasser erreicht die Deutschen mit ihrem Wunsch nach Frische und Ursprünglichkeit: Um 17 Prozent stieg im Jahr 2006 die Nachfrage nach stillem Wasser.

Wasser-Sommeliers werden in immer mehr Hotels zum Standard. Nichts ist minimaler, nichts ist basaler auf unserer Welt und elementarer als das Wasser. Der neue Gaumenluxus ist zuallererst elementar. Beim Stanglwirt in Going wird das Wasser neuerdings zelebriert, statt einfach eingegossen: Neben einer Wasserbar und einer Wasserkarte mit 21 Sorten hochwertigen Mineralwässern aus aller Welt, wird den Gästen mit dem ersten Tiroler Wassersommelier künftig auch eine neue Art von „Genussmanager“ angeboten. Das neue Riz Charlton in Manhattan beschäftigt den ersten Wasser-Sommelier in den USA, er heißt Philip Retman und kommt aus Schweden. „Chateldon 1650“ ist das erste Wasser, das am Hofe des Sonnenkönigs Ludwig XIV. in Flaschen serviert wurde, Deutschlands Wasser-Sommelier, Arno Steguweit, aus dem Berliner Regent-Hotel, hat es zu seinem Lieblingswasser erklärt. Der postmaterielle Hedonismsus funktioniert auch so: Im neuen Monopoly ist die Spielfigur ein Toyota Prius. In Holland hat jüngst der „Sustainable Dance Club” eröffnet: Im Off Corso in Rotterdam werden die Toiletten mit Regenwasser betrieben, die Elektrizität speist sich aus einem in die Tanzfläche integrierten Generator usw. usf.

Bionade: Design-Brause aus dem Labor der Natur